Der Weg zum Glück - Teil 104

Lieferung 104

Karl May

21. Juli 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Da hast ihn doch gleich derschossen?«

»Ja. Ich hab den Revolver herauszogen und ihm eine Kugel in den Kopf geben.

'Schließ zu!' hat Einer geschrieen, worauf dera Andre die Thür schnell zumacht und den Riegel vorgeschoben hat. Als sie sich dann nach mir umdrehten, hab ich wieder schossen, zweimal hinter einander und dazu geruft:

'Feuer, ganzes Bataillon Feuer! Hurrah, der Sepp ist da!'

Zwei sind stürzt. Die Andern haben den Einen, was dera Italiener gewest ist, aufgerafft und sind mit ihm ausgerissen. Ich ihnen nach, bis ich rufen hört:

'Ganzes Bataillon, Feuer, Feuer! Hurrah, der Fex ist da!'«

»Da hast Dich wohl gefreut?«

»Natürlich. Zunächst hab ichs gar nicht glaubt.«

»Warum?«

»Weil ich mir nicht denken konnt, daß auch Ihr da unten seid. Und nachhero aber, als ich Eure Schüsse hört, hab ich mirs sagt, daß Ihr es doch sein müßt, denn wenn es Freunde von den Kerls gewest wären, so hätten sie doch nicht schossen.«

»Das ist richtig. Dann bist also weiter hinter ihnen her?«

»Ja, bis ich zu Euch kommen bin. Das Uebrige wißt Ihr. So ists gewest.«

»Ein Glück, daß wir sie so schön zwischen uns bekommen haben!«

»Ja, wir haben sie überrascht. Sie haben vor Schreck gar nicht zur Ueberlegung kommen können.«

»Wenn sie gewußt hätten, daß wir so Wenige sind!«

»Da wäre es uns schlimm ergangen!«

»Was aberst ist nun zu thun?«

»Wir suchen Alles aus.«

»Das Nothwendigste wird wohl sein, daß wir zu Dem gehen, den sie erschießen wollten.«

»Ja, denn dieser Mann wird sich in dera größten Gefahr befunden haben. Kommt!«

Sie tranken aus und verließen den Vorrathsraum. Sepp hing die Lampe wieder an ihre vorige Stelle. Er hatte seine brennende Laterne noch in der Tasche, und die Andern brannten die ihrigen an.

»Wißt,« sagte der Alte, »bevor wir weiter gehen, wollen wir erst mal sehen, was die Weibsbilder vorhaben.«

»Das ist nicht nöthig.«

»Nein, aberst ich möcht gar zu gern wissen, ob sie wirklich den Muth haben, ihren Plan auszuführen. Horcht, sie klopfen.«

Es wurde von innen stark an die Thür gepocht.

»Sie scheinen doch Ernst machen zu wollen,« sagte der Sepp. »Laßt mal sehen.«

Er schob die Riegel weg und öffnete.


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»Was giebts denn?« fragte er.

»Ach Gott, die Beiden sterben!« antwortete Auguste in ängstlichem Tone, indem sie nach der hinteren Mauer zeigte.

»Wer denn?«

»Petruccio und der Andre.«

»Laßt sie sterben! Es ist nicht schade um sie.«

»Nein, denn sie sind unsere Peiniger. Aber wir sind doch Christen und müssen Mitleid haben.«

»Das habe ich auch. Darum störe ich sie nicht. Sie mögen ruhig sterben.«

Die beiden Kerls wandten sich hin und her und stöhnten wirklich zum Erbarmen.

»Hört Ihrs denn nicht?« sagte das Mädchen.

»Ich hörs gar wohl. Das ist aber nicht anders. Wenn man stirbt, so ächzt man gewaltig, zumal wenn man ein böses Gewissen hat.«

»Sie baten uns, Euch zu klopfen.«

»Warum denn?«

»Sie wollen beichten.«

»Es ist kein geistlicher Herr da.«

»So wollen sie Euch beichten.«

»Das geht nicht. Das dürfen wir nicht.«

»O doch! Wenn kein Geistlicher da ist, so kann es jeder Andre auch verrichten.«

»So verrichtet Ihr es. Ich habe keine Zeit.«

»Wir Frauenzimmer?«

»Ja.«

»Das ist unmöglich.«

»Warum denn?«

»Weil sie wohl Sachen zu beichten haben, die ein Frauenzimmer nicht hören darf.«

»Seid Ihr denn plötzlich so zart geworden? Es schien doch vorhin nicht so, als ob Ihr gar so ehrwürdig dächtet.«

Da ertönte aus dem Hintergrunde die leise, flehende Stimme des Italieners:

»Kommt doch, kommt! Thut es um Gottes willen! Ich muß mein Herz erleichtern.«

»Ists so schwer?«

»Ja. Ich kann doch nicht in meinen Sünden sterben!«

»O, Dir ists ganz recht, wenn Dir der Teufel die Krallen in die Seele schlägt.«

»Mein Himmel! Seid Ihr denn keine Menschen!«

»Thut es doch!« bat Auguste.

Jetzt nahm Sepp einen ganz anderen Ton an:

»Höre, Mädchen, uns täuschest Du nicht! Wir sollen hier hinter kommen, damit Ihr über uns herfallen könnt.«


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»Herrgott! Was denkt Ihr denn!«

»Schweig! Du bist ein schönes Dirndl! Aus Dir kann noch was werden, nämlich ein Galgenfutter.«

»Ich weiß von gar nichts!«

»So? Und doch hasts selber gesagt.«

»Wann denn?«

»Vorhin. Weißt, wenn Ihr wieder mal so einen Plan ausheckt, so redet leiser, daß man es nicht hier vor der Thür verstehen kann. So, nun weißts!«

»Ihr hättet etwas gehört?«

»Alles!«

»So täuscht Ihr Euch!«

»Unsere Ohren sind gut. Adieu!«

Er warf die Thür zu und schob die Riegel vor. Drin ertönte eine männliche Stimme.

»Himmeldonnerwetter! Da habt Ihr es! Mit Eurem Schreien habt Ihr Alles verdorben!«

»Das ist der Italiener,« meinte der Sepp.

»Wer hätte das gedacht!« sagte Auguste.

»Wer das gedacht hätte? Ich! Ich habe Euch das Schreien verboten. Nun ist Alles aus.«

»Vielleicht noch nicht.«

»Ganz gewiß. Nun sind sie auf ihrer Hut.«

»Am Ende gelingt es uns doch noch!«

»Nun nicht mehr. Jetzt könnt Ihr Euch in die Besserungsanstalt sperren lassen.«

»Ah!« lachte der Sepp. »Darauf war es angefangen! Sie fürchten sich vor der Anstalt. Brave Mädchens sind es also nicht. Nun, wir wollen dafür sorgen, daß sie in so eine Anstalt kommen. Jetzt gehen wir weiter.«

Sie schritten in den Gang hinein und gelangten an die Thür, an welcher Sepp den Kampf begonnen hatte. Es wurde von innen an dieselbe geklopft.

Wie Sepp erzählt hatte, waren die Kerls gewillt gewesen, den Gefangenen zu tödten. Sie hatten die Thür geöffnet und ihn, als er sich derselben näherte, angeleuchtet, damit er ein sicheres Ziel böte. Dann war der erste Schuß gefallen und man hatte die Thür wieder zugemacht.

»Was war das?« fragte der Gefangene. »Man richtete ein Pistol auf mich.«

»Gott! Man wollte Sie wohl tödten?« fragte Paula.

»Es schien ganz so. Horch.«

Der zweite und dritte Schuß erschallte, und gleich darauf ertönte der von den engen Wänden verdoppelte Kriegsruf des Alten.

»Himmel! Habens gehört?« rief Paula.

»Ja. Ists möglich!«

»Dera Sepp ist da!«


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»Er schießt. Es war seine Stimme.«

»Ja, ich hab sie auch erkannt.«

»Wie kommt er hierher!«

»O, dera Wurzelsepp ist überall.«

»Aber hier, hier! Sollten wir uns doch verhört haben?«

»Das glaub ich nicht.«

»Dann hat er auch noch Andre mit. Er that, als ob er ein ganzes Bataillon commandire. Horch!«

In der Entfernung ertönten wieder Schüsse, und eine zweite Stimme erschallte.

»Wieder, der Sepp ist da!« sagte der König.

Da sprang Paula vom Boden auf, sprang an die Thür und rief:

»Nein, nein, nicht dera Sepp.«

»O doch. Es rief: Der Sepp ist da.«

»Nein, nein! Da habens falsch verstanden.«

»Ich habe es deutlich gehört.«

»Es hat ganz anderst ruft, ganz anderst!«

»Wie denn?«

»Dera Fex ist da.«

»Was? Der Fex?«

»Ja. Ich habs genau hört. Nicht vom Sepp, sondern vom Fex ist die Red gewest.«

»Sollte es wirklich - - -«

»Ja, ja!« fiel sie ihm in die Rede.

»Undenkbar!«

»Warum undenkbar? Sie haben doch selbst sagt, daß dera Fex nach hier kommen ist.«

»Hm, ja!«

»Und Sie glauben doch, daß dera Sepp hier unten ist, daß er schossen hat?«

»Ja, das ist ganz gewiß.«

»Nun, warum sollt denn da dera Fex nicht auch bei ihm sein! Wann Beide in Triest sind und der Sepp hat derfahren, was hier auf dera Insel vorgeht, so hat er es dem Fex ganz gewiß sagt, und dieser ist mit gangen.«

»Das läßt sich freilich annehmen. Aber wie soll der Sepp es erfahren haben?«

»Das weiß ich nicht, aberst erfahren hat er es, denn er ist hier. Also weiß es auch dera Fex und ist auch hier. Herrgott, der Fex, der Fex!«

Sie schlug die Hände zusammen und brach in Thränen aus, ob des Schmerzes oder der Freude?

Der Gefangene schwieg. Er selbst war tief, tief bewegt. Erst nach einer Weile fragte er:

»Du weinst. Warum?«

»Ich weiß es selbst nicht.«

»Doch vor Freude!«


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»O nein.«

»Nicht? Du mußt doch voller Wonne sein, erlöst zu werden und den Geliebten zu finden!«

»Was wird er sagen, wann er mich hier sieht! Was soll er von mir denken!«

»Das Allerbeste.«

»O nein, sondern das Allerschlechteste!«

»Das darfst Du nicht sagen, Paula. Ich weiß ganz genau, was er von Dir denkt.«

»Aberst wann er mich unter solchen Dirndln findet - - -«

»So sagt er sich, daß Du unschuldig unter sie gekommen bist.«

»O, wenn das wäre!«

»Ganz gewiß. Schau, ich bin Dein Geliebter nicht; aber ich weiß ganz genau, daß Du Dich ohne Deine Schuld hier befindest.«

»So meinens, daß ich ihm getrost in die Augen schauen darf?«

»Getrost, ganz getrost.«

»Mein Herr und Gott! Das ist eine Wonne!«

»Er wird nicht ahnen, daß Du Dich hier befindest.«

»Grad darum wird er erschrecken und mich ganz falsch beurtheilen.«

»Erschrecken? Das denke ja nicht. Er wird ganz entzückt sein, ganz entzückt.«

»Meinens das wirklich?«

»Ja. Er wird ganz selig sein, erstens daß er Dich überhaupt wiederfindet, und zweitens daß es ihm vergönnt ist, Dich aus diesem Elende zu erretten.«

»Vielleicht aber kommt er nicht!«

»Warum sollte er nicht?«

»Es ist so still, so ruhig.«

»Sie werden erst Alles durchsuchen. Wer weiß auch, wie der Kampf abgelaufen ist.«

»Meinens, daß die Andern auch schossen haben?«

»Ja, ich hörte es ganz deutlich.«

»Heilige Mutter! Wanns den Fex derschossen hätten!«

»Das glaube ich nicht, denn dann wären sie bereits wieder hier, um mich zu tödten.«

»Warum habens denn Sie dermorden wollt?«

»Ihrer Sicherheit wegen. Sie denken, daß ich sie verrathen würde.«

»Schauens! Und Sie meinten, daß Sie ganz sicher seien, daß Sie sich nur zu zeigen brauchten, um frei zu kommen.«

»Ich habe mich da freilich geirrt. Ich habe mich in einer entsetzlichen Gefahr befunden. Wenn die Freunde nicht gekommen wären, so wäre ich jetzt eine Leiche. Ich darf gar nicht daran denken. Das ganze Land, ganz Deutschland, die ganze civilisirte Welt hätte - - -«

Er unterbrach sich und schwieg.


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»Was wollens sagen?« fragte sie.

»Etwas sehr Unnützes. Aber ich werde diesen Freunden danken und sie belohnen, wie nur ein Kö - - - Pah! Lassen wir das!«

»Wir dürfen noch gar nicht von einer Belohnung reden,« sagte sie. »Wir wissen noch gar nicht, wie es ablaufen wird.«

»Sie kommen; sie kommen ganz gewiß.«

»Der liebe Herrgott mag es geben.«

»Wir müssen uns in Geduld fassen und ruhig warten. Setze Dich wieder!«

»Das kann ich nicht. Mir zittern alle Glieder an meinem Leib.«

Der Gefangene befand sich in derselben Aufregung. Er schritt unruhig auf und ab. Die Minuten schienen zu Ewigkeiten zu werden.

Endlich hörte man Schritte.

»Sie kommen!« sagte er.

»Aber wer es sein mag!« zweifelte sie. »Wer hat im Kampf gewonnen?«

»Horch!«

Sie lauschten eine kleine Weile; dann hörte man, daß die Schritte sich in derselben Richtung, aus welcher sie gekommen waren, wieder entfernten.

Das war, als der Sepp mit den Freunden den Todten und Verwundeten geholt hatte.

»Sehens,« sagte Paula. »Wir werden halt nicht gerettet.«

»Wer weiß, was sie hier zu thun hatten.«

»Wann sie nur gesprochen hätten!«

»Ja, denn da hätten wir gehört, wer es war.«

»Hätten wir nicht klopfen sollen?«

»Gewiß. Aber ich glaubte, sie wußten die Thür, an welcher die Schüsse gefallen sind.«

»Wanns dera Sepp und dera Fex gewest wär, so hättens bei uns aufimacht.«

Jetzt trat wieder eine Pause ein, eine sehr peinliche Pause, weil sie noch viel länger währte als die vorige. Dann endlich, endlich ließen sich wieder Schritte hören.

»Jetzt kommens wieder!« sagte Paula. »Nun aberst klopfen wir dieses Mal.«

»Ja. Horch!«

Draußen ertönte die bekannte Stimme des alten Wurzelhändlers:

»Da rechts war die Thür. Schaut, dort! Nun werden wir gleich schauen, wer es gewest ist, den sie haben tödten wollen.«

Der Gefangene klopfte.

»Gleich, gleich!« ertönte eine andere Stimme.

»Gott, Gott! Das ist dera Fex!« flüsterte Paula. »Ich werd mich verstecken.«

Es überkam sie doch wieder die Angst, was der Fex von ihr denken werde.

»Ja, bleib im Winkel!« stimmte ihr Gefährte bei. »Er braucht Dich nicht sogleich zu sehen. Und nun wirst Du auch gleich erfahren, wer ich bin.«


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Die Riegel klirrten, und die Thür wurde geöffnet. Am Eingange stand der Sepp, hielt die Laterne hoch herein und sagte:

»Ist Jemand hier?«

»Ja,« antwortete der König, vortretend.

»So kommens herausi!«

»Gern! Erschrick nur nicht!«

»Erschrecken? Warum sollte ich denn erschrecken, wann - - - Kreuzmillion! - - -«

Die Laterne fiel ihm aus der Hand, so daß sie auf dem steinigen Boden in Scherben zerbrach. Es war gut, daß die Andern die Ihrigen mit hatten.

»Was giebts denn?« fragte Max, indem er näher trat.

»Was es giebt? Da - da - - da! - - -«

Er deutete auf den Gefangenen, welcher eben aus der Zelle trat, brachte aber vor Entsetzen kein weiteres Wort hervor.

Max leuchtete mit seiner Laterne höher und fuhr einige Schritte zurück.

»Herrgott! Ists wahr!« schrie er auf.

»Ja, es ist wahr; ich bin es.«

»Majestät - - -!«

»Pst! Nicht dieses Wort! So lange ich lebe, darf kein Mensch erfahren, was heut geschehen ist.«

»Herr, mein Gott! So - so - so ein -!«

»Beruhigen Sie sich! Es ist Alles sehr einfach zugegangen.«

»Aber welch ein Unglück wäre das gewesen, wenn dieser Mord - -!«

Der Fex und Hanns standen sprachlos dabei. Der Sepp hatte sich schnell beruhigt und sagte:

»Das wäre allerdings ein gewaltiges Unglück gewest. Also auf Sie hatten sie schießen wollt, auf Sie, Herr Ludewig?«

»Ja. Ich sollte ermordet werden.«

»Ich hab gar nicht wußt, daß Sie bereits hier in Triest ankommen sind.«

»Ich wollte heimlich da sein.«

»Und wie sinds unter die Insel gerathen? Hat man Sie mit Gewalt herabschleppt?«

»Nein; ich bin aus Neugierde hier, durch meine eigne Schuld. Doch davon später. Jetzt muß ich meine Retter grüßen. Grüß Gott, Fex! Grüß Gott, Hanns! Grüß Gott, Max! Ich nenne Euch beim Vornamen. Bei seinen Rettern darf man das schon thun.«

Er gab ihnen die Hand. Der Fex fragte:

»Maje - - ah, Herr Ludewig, sind Sie schon lange hier?«

»Nein, nur kurze Zeit.«

»Sind Sie in andere Zellen auch gekommen?«

»Nein. Ich habe mich nur in dieser einen befunden.«

»O schade! Da können Sie mir nicht sagen, ob sie hier ist.«

»Wer?«

»Die Paula.«


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»Ah! Soll die denn hier sein, wer sagte denn das?«

»Der Sepp hat es in Wien entdeckt. Man hat das liebe, arme, unglückliche Kind betrogen. Man hat sie hierher gelockt.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ja. Ich werde hier Alles umstürzen, bis ich sie finde. Ich bin deshalb hier.«

»Hm! Vielleicht ist sie aus eignem Willen hier!«

»Die? Was? Aus eignem Willen? Das ist eine Lästerung, die ich - - ah Verzeihung! Von Ihnen weiß ich ja, daß Sie es nicht im Ernste meinen.«

»Gewiß nicht; aber man muß an alle Fälle, an alle Möglichkeiten denken.«

»Das aber ist keine Möglichkeit; das ist unmöglich, vollständig unmöglich!«

»Ist Ihr Vertrauen zu Ihrer Freundin denn so groß?«

»Herr, wenn ich diesem braven Mädchen kein Vertrauen schenken wollte, so wäre ich der schlechteste Mensch unter Gottes Sonne!«

»Daß Sie so denken, freut mich. Auch ich bin überzeugt, daß sie nur durch Betrug und Täuschung in diese Lage kommen konnte. Aber, ich hörte schießen. Ist Jemand von Ihnen verwundet?«

»Nein,« antwortete der Sepp. »Aber die Hallunken sind alle blessirt. Einer ist gar todt.«

»Wo befinden sie sich?«

»Wir haben sie eingesperrt.«

»Es droht doch nicht noch anderweite Gefahr?«

»Nein. Es sind alle Complicen in unsern Händen. Sie brauchen nicht bange zu sein.«

»Das bin ich auch nicht, wenn ich mich in dem Schutze so tapferer Leute befinde. Jetzt aber kommt! Ich muß mir dieses unterirdische Verließ einmal genauer ansehen.«

»Da wollen wir zunächst das Gefängniß betrachten, in welchem Sie selbst steckt haben.«

Er nahm dem Fex die Laterne aus der Hand und wollte hineinleuchten. Der König aber zog ihn zurück und sagte:

»Dabei muß es eine ganz bestimmte Reihenfolge geben. Der Fex mag es sich zuerst ansehen. Treten Sie hinein!«

Der Fex, an welchen diese letztere Forderung gerichtet war, begriff zwar nicht, warum grad er der Erste sein solle, doch gehorchte er der Weisung des Königs. Er trat in die Zelle.

»Weiter hinein!« gebot der König.

Der Fex that noch einen Schritt. Da warf der Monarch die Thür zu und schob einen der Riegel vor.

»Sapperment!« rief Sepp. »Warum das?«

»Still! Die Paula ist drin.«

»Die Pau - - -! Ah! Schön, schön! Da gehen wir ein Stuckerl fort und lassen sie auf eine Viertelstunden allein.«


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Der Fex war natürlich überrascht, als die Thür hinter ihm zugeworfen wurde. Er nahm an, daß es ein kleiner Scherz sei und blieb ruhig stehen.

Da hörte er, daß die draußen Gebliebenen mit einander flüsterten und sich dann entfernten.

Was war das? Warum thaten sie das? Es war stockfinster um ihn her, da er keine Laterne hatte. Der Sepp hatte sie ihm ja abgenommen.

Er lauschte, bis die Schritte draußen verschallt waren.

»Hm!« sagte er halblaut. »Sonderbarer Scherz!«

Da war es ihm, als ob er ein leises Rascheln höre. Sollten sich Ratten hier befinden? Er strengte sein Gehör an, und wirklich, er vernahm Athemzüge.

»Ist Jemand da?« fragte er.

Das Herz Paula's hatte vor Wonne gezittert, als sie hörte, welches Vertrauen er zu ihr hatte. Also mit dem Könige war sie zusammen gewesen! Das gab den Worten, welche ihr Mitgefangener mit ihr gesprochen hatte, eine ganz besondere Bedeutung.

Sie wußte, weshalb er den Fex jetzt zu ihr eingeschlossen hatte. Es mußte Alles, Alles zur Sprache kommen, und das beklemmte ihr Herz so, daß sie jetzt nicht zu antworten vermochte.

»Es ist doch Jemand da! Ich höre es!« sagte er.

Sie schwieg auch jetzt.

Da zog er die Zündholzschachtel hervor, strich eins an und leuchtete. Er sah eine weibliche Gestalt in der Ecke stehen. Dann erlosch das Hölzchen.

»Ich habe Sie gesehen,« sagte er. »Warum reden Sie nicht?«

Ein tiefer, seufzender Athemzug erklang als Antwort.

»Sind Sie hier gefangen?« fragte er.

»Ja,« ertönte es leise.

»Sie Aermste! Wissen Sie, wer es war, der sich bei Ihnen befand?«

»Ich hab es nicht ahnt.«

»So hat er es Ihnen nicht gesagt?«

»Nein. Nun aber weiß ichs.«

»Ach! Sind Sie vielleicht gar aus Bayern?«

»Ja.«

»Aus welchem Orte?«

»Aus Scheibenbad.«

Sie hatte ihre Antworten kurz und mit gedämpfter Stimme gegeben, so daß er diese Letztere nicht erkennen konnte. Jetzt aber, da sie diesen Ortsnamen nannte, horchte er auf.

»Aus Scheibenbad!« rief er. »Da müssen Sie doch auch mich kennen.«

»Ich kenn Sie schon.«

»Nun, wer bin ich?«

»Der Fex.«

»Es sind also mehrere von dort hier?«

»Nein.«


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»Was! Nur Eine? Nur Sie?«

»Ja.«

»Herrgott! Paula, bist Du es?«

Sie schwieg. Aber schon stand er bei ihr und griff nach ihr.

»Paula, Paula, antworte! Bist Du es?«

Ein convulsivisches Schluchzen antwortete ihm.

Da riß er sie an sich, schlang beide Arme um sie und rief:

»Gott sei Dank! Gott sei Dank! Jetzt bin ich diese furchtbare Angst los! Jetzt habe ich Dich! Bist Du es denn auch wirklich?«

»Ja, ich bin es,« antwortete sie unter lautem Weinen.

»Da ist nun Alles, Alles gut! Paula, was hast mir für Gram und Sorgen bereitet!«

Sie antwortete nicht; sie weinte.

»Ich verstehe es wohl, daßt jetzt nicht reden kannst. Komm, leg Dein Köpfle an mich, und wein Dich richtig aus.«

Er legte ihren Kopf an seine Brust. Sie stand, an ihn gelehnt, die Arme matt herunterhängend, und weinte bitterlich.

So verging einige Zeit, bis er hörte, daß ihre Thränen nicht mehr so flossen. Da erkundigte er sich:

»Wie bist denn hierher kommen? Nicht wahr, von Wien aus?«

»Ja.«

»Da bist gemiethet worden?«

»Ja. Ich hab denkt, daß ich einen guten, ehrlichen Dienst bekomme. Du darfst ja nicht bös von mir denken!«

»Paula! Wie kannst so was sagen! Also in Wien bist gewest. Dort hab ich allerdings nicht nach Dir sucht.«

»Ich bin mit Fleiß hin.«

»Warum?«

»Weil ich dacht hab, daßt mich in so einer großen Stadt nicht finden wirst.«

»Also hast nix mehr von mir wissen wollen?«

Sie antwortete nicht.

»Sags! Wolltst ganz weg sein von mir?«

»Ja.«

»Für immer?«

»Für allezeit.«

»Weilst mir nicht mehr gut sein kannst?«

»Fex! Hast meinen Brief nicht erhalten?«

»Ja, ich hab ihn erhalten und ihn stets auf meinem Herzen tragen. O, wenn Du wüßtest, wie er mich elend macht hat!«

»Ich hab dacht, daßt mich vergessen sollst.«

»Ich Dich vergessen? Das ist ja gar nicht möglich!«

»Das weiß ich schon. So hab ichs auch gar nicht meint. Ich hab


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sagen wollt, daßt an mich denken sollst wie an eine Bekannte, Verschollene, die Dich gar nix mehr angeht.«

»Und das hast für möglich gehalten?«

»Ja.«

»So hast den Fex nicht kannt. Wie könnt der seine Paula aufgeben! Niemals, nie!«

»Wirst aber doch müssen.«

»Nein, nein!«

»Das Schicksal will es so.«

»Das Schicksal? Was ist das für ein Ding? Bist vielleicht unter Leute gerathen, die dem Dinge, was sie Schicksal nennen, und dem Zufall Alles in die Schuhe schieben? Weißt nicht, daß dera Herrgott Alles lenkt?«

»O, das weiß ich schon! Den Glauben hab ich noch, und den laß ich auch nicht fahren.«

»Und da denkst, er will es, daß wir einander nix mehr angehen sollen?«

»Ja.«

»Wer hat Dir das gesagt?«

»Ich.«

»Du Dir selberst also. Wanns Dir dera Herrgott sagt hätt, so müßtest Du gehorchen. Was sich aber Dein Köpfle selbst aussinnt, das ist kein Gesetz für Dein Herz. Ich möcht den Grund wissen, der uns trennen könnt!«

»Du kennst ihn ja.«

»Hast mich also doch nicht mehr lieb.«

»Fex! Du weißt, daß ich Dich immer und ewig lieb haben werd.«

»Also ist auch Alles gut! Nur wannst mir nicht mehr gut wärst, dann müßten wir uns trennen. Einen andern Grund erkenne ich nicht an.«

»Denk an meinen Vatern!«

»Weißt, an den denk ich gar nicht mehr.«

»Er hat Dich so unglücklich macht!«

»Da mußt Du es sühnen und mich nun recht glücklich machen.«

»Du kannst doch keine Frau haben, welche das Kind eines solchen - solchen - solchen - -«

»Paula, thu mir den Gefallen und red nicht in dieser Weise. Das thut mir so wehe. Dein Vater hat gefehlt und trägt die Folgen seiner Thaten, an denen Du kein Theil hast. Du bist schon seit unserer Kindheit meine Beschützerin und mein Engel gewest und sollst mein Engel bleiben, so lange ich lebe. Willst?«

Sie zögerte zu antworten.

»Wannst nix mehr von mir wissen willst, so mag ich gar nimmer leben!« gestand er.

»Fex!«

»Ja, so ists!«

»Bist doch ein Baron worden!«

»Was ist das weiter!«


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»Ein großer Herr von Adel! So reich! Und noch dazu ein berühmter Künstler!«

»Nix bin ich, gar nix ohne Dich! Kannst Dich noch besinnen, als wir damals des Nachts auf dem Heidengrab sessen haben?«

»Ja.«

»Da hab ich Dir sagt, wie so sehr, wie so unendlich lieb ich Dich hab - - -«

»Ja, das war damals!«

»Das war damals, und das ist auch noch jetzt. Wie lieb Du mir bist, das hab ich erst richtig erkannt, als Du verschwunden warst. Ich hab keine Ruh gehabt weder bei Tag noch bei Nacht; ich hab mich gesorgt, gekümmert und gehärmt, daß es zum Erbarmen war. Soll das so fortgehen?«

»Mein lieber, guter Fex!«

Jetzt hob sie zum ersten Male einen der niedergesunkenen Arme empor, um ihn um den Geliebten zu legen.

»Weißt, damals auf dem Zigeunergrab hab ich Dir sagt, daßt mein Engel, meine Seele und mein Leben bist. Das weißt doch noch?«

»Jedes Wort.«

»Und wann mal was Gutes aus mir wird, so bist Du schuld. Das hab ich auch sagt. Weißts?«

»Ja.«

»Und daßt nachhero an meinem Glück theilnehmen sollst, denn ohne Dich wär das Glück doch nur ein Unglück für mich.«

»Und doch darfs nicht sein.«

»Nur wegen Deinem Vatern?«

»Ja.«

»Ich bitt Dich gar schön, meine Paula, denk doch an Dich und an mich, nicht aber an ihn. Sein Andenken soll uns nicht stören.«

»Es wird stets zwischen uns stehen.«

»Nicht für eine Minute. Da denkst ganz unrecht. Andre denken viel richtiger.«

»Wer denn?«

»Nun, Du kennst doch die Silbermartha?«

»Natürlich.«

»Und ihren Geliebten?«

»Ja. Er war ja jetzt mit hier. Und die Martha ist auch da.«

»Das weißt?«

»Dera König hats mir sagt.«

»So! Nun weißt Du doch, daß sie grad so wie Du davongangen ist, ihres Vaters wegen.«

»Das weiß ich wohl. Als ich hört, daß sie es than hat, hab ich meint, daß es so richtig sei und daß ich es auch thun muß.«

»Ah! So ist sie also schuld. So hasts ihr nachmacht?«


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»Ja.«

»Nun, so folg auch weiter ihrem Beispiele! Sie hat denkt, daß sie nicht werth sei, die Frau vom Max zu werden. Heut habens sich aber wieder gefunden, und sie ist bereit, ihn glücklich zu machen.«

»Ist das wahr?«

»Ja. Wirsts sehen.«

»Vielleicht sagt sie nur so.«

»Es ist ihr Ernst.«

»Und dennoch entfernt sie sich wohl wieder heimlich von ihm.«

»Das fällt ihr gar nicht ein! Sie hat erkannt, daß sie durch ihre Flucht nur sich selbst und auch ihn unglücklich macht hat.«

»Gott, ja! So ists ja auch bei mir gewest. Ich hab mich so gar elend gefühlt.«

»Schaust, daß ich Recht hab! Und nun soll dieses Elend auch noch fernerhin währen? Nein, nein; das darf nicht sein. Das wär eine Sünd gegen mich und gegen den lieben Gott. Das darfst nicht auf Dein Gewissen nehmen. Geh her! Leg auch den andern Arm um mich, und sag mir, daßt Dich nimmer sträuben willst, daßt mein sein willst für lebelang!«

Sie gehorchte. Sie schlang auch den andern Arm um ihn und sagte in überquellendem Glücke:

»Meinsts denn wirklich ernst?«

»Paula! Wie könnt ich scherzen!«

»Und wann ichs thät?«

»So machst mich so sehr glücklich.«

»Und würdest mir wirklich das verzeihen, was mein Vater than hat?«

»Paula, sei doch still! Dein Vater geht mich gar nix mehr an. Ich hab ihn gar nicht kannt, ich weiß nicht, wer er ist und was er than hat. Ich kenne nur Dich und will weiter nix und Niemand kennen. So ists! Und nun thu Dein Herz auf, und laß nur es allein sprechen. Bitte, bitte, willst meine Paula sein?«

»Ja!« stimmte sie endlich bei.

»Und Dich nicht mehr sorgen und grämen?«

»O, nun nicht mehr, nie mehr!«

»Gott sei Dank! Jetzt hab ich Dich nicht blos wieder funden, sondern Dich mir auch zurückerobert. Nun geb ich Dich aber nimmer wieder her. Du sollst mein Augapfel sein, den ich hüten werd als meinen größten Schatz und mein köstlichstes Eigenthum.«

Er drückte sie an sich und küßte sie auf die Lippen.

In diesem süßen Genüsse wurden Beide so plötzlich gestört, daß sie aus einander fuhren. Es donnerte an die Thür.

»Das ist dera Sepp!« sagte der Fex. »Der hat sich herbei geschlichen und dabei dacht, daß er uns einen tüchtigen Schreck einjagen will. Der Sapperloter hats beim Max und dera Martha auch so gemacht. Er kommt stets dann, wann er unwillkommen ist.«


// 2486 //

»O nein. Wie willkommen war er uns heut, als er draußen rief: Der Sepp ist da!«

»Der Andre, der auch so rief, der war Dir wohl nicht so sehr willkommen?«

»O, noch viel, viel mehr!«

Der Alte pochte immer noch. Jetzt rief er:

»Na, zum Sappermenten, macht doch endlich mal aufi!«

»Wir können doch nicht,« antwortete der Fex.

»Habts denn den Hausschlüssel verloren?«

»Nein. Wir hatten gar keinen.«

»So sagt Ihr nur. Da schließen sich die Jungburschen mit ihren Dirndln ein, damit wir Alten aber auch gar nix Hübsches mehr zu schauen bekommen sollen! Aberst ich werd Euch doch die Supp versalzen. Da bin ich! Wie ists inzwischen ergangen?«

Er hatte die Thür geöffnet und leuchtete mit der Laterne herein.

»Gut, Sepp, sehr gut!«

»So seid Ihr jetzund zufrieden mit nander?«

»Vollständig.«

»So haltets auch fernerhin so, und kommt nun herausi, damit ich Euch meinen Segen geben kann!«

Der Fex führte die wiedergefundene Geliebte heraus. Als nun der Schein der Laterne auf sie fiel, fuhr der Sepp zurück.

»Herrgott!« schrie er. »Das, das ist die Paula?«

»Natürlich!« antwortete der Fex, den Alten verwundert betrachtend.

»Das soll sie sein, das! Siehsts denn nicht? Schau sie Dir doch nur mal an!«

Erst jetzt blickte der Fex in das Gesicht der Geliebten. Er ließ sie vor Schreck los.

»Paula!« schrie er auf. »O heiliger Himmel! Bist krank?«

Sie nickte, indem Thränen ihren Augen entstürzten.

»Was hast? Was fehlt Dir denn?«

»Brod!«

»Brod! So hast Hunger, Hunger, Hunger?«

»Gar großen. Ich hatt noch größern Durst; aber der König gab mir Wein.«

»Hunger hat sie, Hunger!« rief der junge Mann, die Hände zusammenschlagend. »Hast denn nix zu essen bekommen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht gehorchen konnt. Ich wollt mich nicht - mich nicht - nicht - -«

»Ach, weiß schon, weiß! Hast nix zu essen bekommen und nix zu trinken! Meine Paula hat nix zu essen gehabt! Sie hat dürsten müssen, weil sie ein braves Mädchen bleiben wollte. Das haben die Petruccio's than?«


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»Ja,« nickte sie.

»Wart, wart! Sepp, da, halte mal die Paula! Halte sie!«

Er schob das Mädchen dem Alten in die Arme und eilte fort.

»Wo willst hin?« rief ihm der Sepp nach.

»Wirsts gleich hören!«

Er rannte so schnell, wie der dunkle Gang es gestattete, davon. Als er in die Nähe der Vorrathskammer gelangte, hatte er Lampenschein. In dem genannten Raum saß der König mit Max und Hanns am Tische. Der Fex stürzte herein und blickte sich um wie Einer, der die allergrößte Eile hat.

»Was suchst?« fragte Max.

»Einen - einen - -«

»Na, was denn, einen - -?«

»Einen - einen - ja, ja, hier diese Peitsche such ich.«

Eine Hundepeitsche hing am Nagel. Er riß sie herab. Sie hatte jedenfalls zur Züchtigung derjenigen bedauernswerthen Mädchen gedient, welche Gegenwehr geleistet hatten. Der Fex sprang hinaus, riß drüben beide Riegel zurück, stieß die Thür auf und trat ein.

Die Mädchens sahen ihn erschrocken an und machten ihm eiligst Platz, als sie den Ausdruck seines Gesichtes bemerkten. Er fuhr wie ein rasender Roland zwischen ihnen hindurch bis hinter, wo der Italiener lag.

»Da liegt er, da!« rief er wüthend. »Weißt, weshalb ich komm, Petruccio?«

Die in dem Raume Befindlichen hatten gewünscht, daß ihre Besieger hereinkommen möchten. Jetzt war Einer da, und zwar ganz hinten; aber es fiel ihnen gar nicht ein, sich auf ihn zu werfen.

Sein Aussehen rieth ihnen, dies zu unterlassen. Man sah es ihm an, daß er den Kampf mit der größten Uebermacht aufgenommen hätte.

»Nein, ich weiß es nicht,« antwortete der gefragte Italiener.

»So! Und Du auch nicht?«

Diese Frage richtete er an Auguste.

»Wie soll ich das wissen?« antwortete sie in ihrem frechen Tone.

»Ich habe Dich vorhin nach einem Mädchen gefragt, Namens Paula Kellermann.«

»Ich weiß nichts von ihr.«

»Und Du bist die Wirthschafterin?«

»Die bin ich.«

»Da hast wohl die Mädchen zu beköstigen?«

»Ja.«

»Und wenn Eine nichts erhält, so weißt Du es, so weißt Du davon?«

»Natürlich.«

»Gut! Schön! Wie nun, wenn ich diese Paula gefunden hab?«

Sie erschrak.

»Hier jedenfalls nicht.«

»Nein, hier nicht, das ist wahr. Aber in einem dunkeln Loche, wo sie


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vor Durst und Hunger fast verschmachtet ist. Warum hast Du ihr nichts zu essen gegeben?«

»Weil ich nicht durfte.«

»Wer hat es verboten?«

»Petruccio.«

»Das ist nicht wahr!« rief der Genannte.

»Es ist wahr,« behauptete sie.

»Schon gut, schon gut!« knirrschte der Fex. »Ihr seid Beide schuld. Es ist Eins so schlecht wie das Andere. Für Eure Lügen aber sollt Ihr jetzt eine Abschlagszahlung erhalten. Hier, Du freche, unverschämte Dirn, nimm dies und dies und dies!«

Er holte aus und knallte ihr die Peitsche um den Rücken, daß sie laut aufbrüllte. Die Hiebe fielen hageldicht.

Ihr Geschrei rief den König und die Andern herbei.

»Fex, was machst Du denn?« rief der Sepp.

»Nix, gar nix!« antwortete dieser, indem er immerfort zuschlug. »Schau die Paula an, dann wirsts wissen.«

»Ja, dann ists recht und richtig. Giebs ihr nur derb!«

»Soll nicht fehlen! Und diesem auch!«

Er trat zum Italiener und kurbatschte diesen so durch, daß er sich wie ein Wurm wand und wie ein angespießter Eber schrie.

Der wüthende junge Mann hörte nicht eher auf, als bis er seinen Arm erlahmen fühlte. Dann verließ er das Gewölbe und riegelte die Insassen wieder ein.

Paula mußte sich in der Vorrathskammer niedersetzen und erhielt Speise und Trank.

Während der Fex sich mit ihr in der Zelle befunden hatte, war der König mit den Andern bemüht gewesen, diese unterirdischen Gelasse zu untersuchen. Sie hatten noch zwei Gewölbe gefunden, welche mit Mädchen angefüllt waren, mit den Letzteren aber zunächst noch kein Wort gesprochen.

Jetzt nun sahen sie mit Erbarmen, welchen Hunger Paula haben mußte. Sie gab sich alle Mühe, ihre Gier zu überwinden; aber es gelang ihr doch nicht ganz. Sie war noch nicht satt, als sie aufhielt. Sie machte nur vorsichtiger Weise eine Pause, um nicht etwa zu erkranken.

»Das sollen die Kerls büßen!« sagte der Fex. »Ich war erst zu Mitleid geneigt. Nun aber giebt es kein Erbarmen.«

»Das wär auch falsch angebracht,« antwortete der Sepp. »Haben sie doch unsern Herrn Ludwig ermorden wollen, von dem wir noch nicht mal wissen, wie er hier herunter gekommen ist.«

»Auf eine sehr einfache Weise,« antwortete der König. »Ich hatte mir das Schloß besehen und besuchte dann den Park. In der Eremitage ruhte ich aus. Da hörte ich plötzlich neben mir ein Geräusch. Die Felsenwand öffnete sich, und ein Mann trat heraus. Als er mich sah, fuhr er sofort zurück und verschwand. Die Thür aber blieb auf.«


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»Ach! Da sinds halt eintreten?«

»Ja.«

»Hm! Ohne Licht. Das war gefährlich.«

»O, ich vermuthete natürlich nicht, daß ich es mit Verbrechern zu thun haben würde. Ein Ort wie Miramare ist doch gradezu heilig. Ich trat in den Gang und rief hinein. Ich glaubte, es mit einem Gartenangestellten oder Parkhüter zu thun zu haben. Es antwortete mir Jemand, und ich schritt weiter. Da plötzlich verlor ich den Boden unter den Füßen.«

»Ah, das war das Loch!«

»Ja. Ich stürzte hinab und fühlte mich bald von Stricken umschlungen. Man zog mich heraus und steckte mich in die Zelle, in welcher ich Paula fand. Wir befreiten einander von den Fesseln und - nun, das Uebrige wißt Ihr ja!«

Während dieses kurzen Berichtes war der Fex in eine Ecke getreten, in welcher die Weinflaschen standen. Er wollte eine derselben öffnen, um der Geliebten einen Labetrunk zu geben. Als er sie wegnahm, sah er, daß sich in der Mitte eines der Steine, mit denen der Fußboden gepflastert war, ein Ring befand. Jetzt nun theilte er diese Entdeckung den Anderen mit.

Es wurde nachgesehen, und der Sepp meinte:

»Vielleicht kann man den Stein herausholen. Wollen es doch mal versuchen!«

Es ging viel leichter, als man dachte. Der Stein war gar nicht schwer. Er bestand nur aus einer dünnen Platte. Als er entfernt worden war, sah man ein Loch, in welchem einige Bücher lagen. Der König erhielt sie und blätterte sie durch.

»Das ist ein kostbarer Fund,« sagte er. »Diese Bücher enthalten die ganze Buchführung des Juden, welche sich auf den Mädchenhandel bezieht. Er betreibt dieses Geschäft schon seit langen Jahren, und es scheint außerordentlich lohnend zu sein. Das ist ein Beweismaterial, welches wir an uns nehmen werden. Aber ich bemerke abermals, daß meine Person nicht dabei in's Spiel kommen darf. Von meiner Anwesenheit darf Niemand Etwas erfahren.«

Jetzt begaben sich der Sepp und Max in die zwei Gewölbe, in welchen sich die anderen Mädchen befanden. Bei ihrer Rückkehr meldeten sie, daß dieselben alle nach ihrer Freiheit verlangten.

»Lassen wir sie heraus?« fragte der Sepp.

»Nein,« antwortete Ludwig. »Habt Ihr es ihnen gesagt, daß Ihr sie befreien könnt?«

»Noch nicht.«

»Das ist gut. Wir holen Polizei herbei. Diese Leute müssen sich heut Abend verstecken, wenn die Franzosen kommen. Ihr selbst thut, als ob Ihr Beauftragte des Juden wäret und verhandelt ihnen die Mädchen alle. Erst wenn sie dieselben bezahlt haben, ist der Beweis vollständig gegen sie erbracht, und die Polizei mag eingreifen und ihre Pflicht thun. Das Schiff wird dann


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confiscirt. Dann ist Eure Pflicht gethan, und Ihr könnt nach der Heimath zurückkehren.«

»Ich auch?« fragte der Sepp.

»Ja. Nach dem, was mir hier begegnet ist, sehe ich davon ab, meine Absicht, welche mich hierher trieb, weiter zu verfolgen. Ich reise morgen früh zurück. Diesen traurigen Ort aber verlasse ich gleich jetzt. Wenn unser Fex seine Paula nicht länger hier lassen will, können Beide mich begleiten.«

»Ja, er mag sie zu Martha und Anita führen. Bei ihnen wird sie sich bald erholen.«

Nach Kurzem entfernten sich die Drei. Der Fex nahm die Bücher mit und erbot sich, die Polizei über die hier gemachten Entdeckungen zu verständigen. -

Was nun an diesem Abende geschah, braucht nicht ausführlich berichtet zu werden. Am anderen Morgen erfuhren die Bewohner der Stadt, daß das von dem Capitän Marmel geführte französische Schiff confiscirt worden sei, da es sich mit Menschenhandel befaßt habe. Erst die gerichtlichen Verhandlungen enthüllten das Nähere.

Der Jude kam mit seinem Weibe lebenslänglich auf das Zuchthaus, und seine Complicen wurden ebenso bestraft.

Als man dann in das Innere der Insel eindringen wollte, stand dasselbe voller Wasser. Die See hatte Zutritt gefunden und verbot alles Nachforschen über die Geheimnisse dieses Ortes, der vielleicht für Tausende verhängnißvoll gewesen war.

________
 

Zwölftes Capitel.

Schluß.

 
Der Frühling war eingezogen, und das schöne, heilige Pfingstfest stand vor der Thür. Selbst in den Schluchten der bayrischen Alpen war der Schnee weggeleckt worden, und der Sonnenschein lag mild und warm auf den grünen Matten.

Die wenigen, kleinen Hütten droben über Elsbethen, jenseits der Salzburger Grenze, erfreuten sich nach der Winterskälte dieses Sonnenlichtes, und ihre Bewohner nicht minder.

Vor einer dieser Hütten saßen zwei alte Leute, ein Mann und eine Frau, auf der alten Thürbank. Sie hatten beide wohl altersschwache Augen, denn dieselben waren durch Brillen geschützt. Sie trugen sich sehr ärmlich, dabei aber sauber und reinlich. Es waren die Eltern des Krikelanton.

Der alte Mann schnitt eine harte Brodrinde in eine braune, thönerne Schüssel, und sein Weib schälte einige Kartoffeln, welche ihr das Mitleid geschenkt hatte. Sie machten keine freudigen Gesichter zu dieser Arbeit.


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Der Mann hielt inne, seufzte tief auf, legte Messer und Rinde in die Schüssel und sagte:

»Mutter, was werden wir morgen essen, wann wir uns heut diese Kartoffelsuppen machen?«

Sie sah nicht zu ihm auf, gab aber ihrer Stimme einen zuversichtlichen Ton, als sie antwortete:

»Gräm Dich nicht, Vater. Dera liebe Herrgott wird für uns sorgen.«

»Ja, er hat uns noch nicht ganz verhungern lassen, aberst hungert haben wir doch.«

»Es ist zu überstehen.«

»Weiß schon! Du willst nur nicht klagen, damit ich den Sohn, den Anton, nicht schimpfir. Aber das liebe Wasser steht Dir doch schon in denen Augen. Das seh ich doch, wann auch die meinigen schwach sind.«

»Vater, ich bitt Dich, sei still.«

»Ich möcht wohl. Aber dera Hunger ist ein lauter Gast. Er knurrt und murrt und hält nicht Ruh!«

»Tröst Dich doch! Die Nachbarn sind gute Leut. Vielleichten bekommen wir morgen wiederum ein Stuckerl Brod.«

»Vielleichten, ja! Und was ists dann, wann wir es erhalten? Almosener, Bettler sind wir doch!«

Die Frau fuhr sich mit dem Finger unter die Brille, um einen schweren Tropfen von dem Auge zu nehmen, und sagte:

»Es wird nicht lange mehr währen. Der Anton muß doch mal schreiben. Und wann er es so weit bracht hat, daß er was erübrigt, wird er schon einen Gulden senden oder zwei.«

»Einen Gulden oder zwei! Herrgottle, wann ich dran denken thu!«

»An was denn?«

»Es drückt mir das Herz ab. Ich habs Dir nicht sagen wollen, aberst ich kanns doch nicht länger für mich allein behalten.«

»So sags doch!«

»Es wird Dich kränken.«

»Bin ich nicht Dein Weib, welches Freud und Leid mit Dir zu tragen hat.«

»Freud und Leid! Ja, das Leid ist immer da und will nicht von uns weichen. Freud giebts blos dann einmal, wann die Leni an uns denkt. Das gute Herzerl muß aber auch uns vergessen haben. Es sind schon viele Wochen, daß sie nix schickt hat.«

»Wer weiß, was ihr hinderlich ist.«

»Ja, und sie hats auch gar nicht nöthig, an uns zu denken. Dera Anton hats nicht an ihr verdient.«

»Sag das nicht. Sie haben einmal nicht zu nander paßt.«

»Gut, sehr gut habens zusammenpaßt! Aberst der Anton ist ein zuwiderer Kerlen gewest. Er hat dieses goldige Herz von sich stoßen. Und jetzt - nein, ich muß Dirs doch sagen; ich kanns nicht mehr bei mir behalten!«

»Sags, Vater, sags!«


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»Weißt noch, wie dera Viehhändler da gewest ist vor drei Wochen?«

»Ja, den merk ich mir. Hab ihm doch unsere Gais verkaufen mußt, des lieben Brodes wegen. Was ists mit ihm?«

»Nun, der hat mirs heimlich erzählt, daß er in Wien gewest ist und den Anton troffen hat.«

»In Wien? Ist er dort?«

»Freilich ist er dort. Er ist vorher in Amerika gewest und hat sich ein heidnisch Geld zusammengesungen.«

»Das glaub ich nicht. Da hätt er uns was schickt.«

»Es ist wahr. Beinahe hunderttausend Gulden sinds gewest.«

»Du, glaubs nicht, glaubs ja nicht.«

»Ich muß es glauben, denn es ist wahr. Und nun verlebt er dieses Geld. Er lauft mit Dirndln herum; er hat eine Tänzerin habt, die jetzt im Zuchthaus sitzt und hat sich sogar einen fremden Namen macht.«

»Herrgott, das ist nicht wahr!«

»Freilich ists wahr. Herr Criquolini läßt er sich nennen, und an einem Tage verspielt er zuweilen hundert Gulden. Dera Händler hat sogar sagt, tausend.«

Da ließ sie die Kartoffel zur Erde fallen und rief:

»Vater, wannst Alles glaubst, nur das nicht, nur das nicht! Der Anton ist unser Kind, das einzige, welches wir haben. Wann er ein solches Geld hätt, thät er uns nicht verlassen.«

»Er hat es, er hat es! Es ist vorgekommen, daß man ihm tausend Gulden zahlt, wann er einmal im Theatern singt.«

»Das muß ein Anderer sein!«

»Nein, das ist der unserige. Und wir, seine Eltern, leiden Hunger. Ich hab seit gestern Abend keinen Bissen - wer kommt dort?«

Eine Gestalt kraxelte sich den Berg herauf. Die Augen der beiden Alten waren so schwach, daß sie den Nahenden nicht eher erkennen konnten, bis er beinahe vor ihnen stand.

»Der Briefbote, der Briefbote!« rief sie. »Vielleichten kommt er zu uns!«

Sie sprang von der Bank auf.

»Grüß Gott!« sagte der Bergsteiger, indem er verschnaufte. »Heut bei dera Sonn wirds Einem schwer.«

»Bringst uns was?«

»Ja,« lächelte er. »Es ist für Euch.«

»Gewiß von unserm Anton aus Wien?«

»Aus Wien ists, aberst nicht vom Anton.«

Die Züge der Frau wurden wieder traurig wie vorher. Sie hatte sich abermals geirrt.

»So ists von dera Leni,« sagte ihr Mann. »Das Geldl, welches sie uns im März schickt hat, war aus Wien.«

»Nein, von der ists nicht. Der ihre Hand thät ich kennen.«

»So ists ein fremder Brief?«


// 2493 //

»Ja wohl.«

»Herrgott! Er wird doch nix Böses enthalten!«

Der Briefträger that noch immer so, als ob er den Brief suche; er hatte ihn aber längst in der Hand. Sein Gesicht war ein sehr verheißungsvolles, was aber die alten Leute nicht sahen.

»Habt keine Angst. Ein schlimmer ists nicht. Er wird Euch Freude machen.«

»So, so? Warum?«

»Weil er fünf Siegeln hat. Hier ist er.«

»Fünf Siegeln! So ist wohl gar ein Geldl darinnen?«

Der Alte drehte den Brief in seinen zitternden Händen hin und her und gab ihn dann auch seiner Frau, die ihn neu- und begierig betrachtete.

»Ja, ein Geldl ist drinnen, und zwar was für eins!«

»Wirklich? Wirklich? Gott sei Dank! Da werden wir uns ein Brod kaufen können.«

»Nur eins?«

»Meinst etwan mehr?«

»O, von diesem Gelde könnt Ihr Euch hundert Brode kaufen, ja sogar tausend.«

»Tau - - was sagst?«

»Tausend Brode.«

»Das ist die Unmöglichkeit!«

»Kannst Dirs ja selberst ausrechnen, wannst nicht glaubst. Brauchst ja nur die Adreß zu lesen.«

»Wie lautet sie denn?«

»An Herrn Heinrich Warschauer, Elsbethen bei Salzburg. Stimmt das?«

»Ja, derjenige bin ich freilich.«

»Unten drunter steht 'frei', und oben drüber ist zu lesen: 'Inliegend dreihundert Gulden in Scheinen.' Nun, wie gefallt Euch das?«

»Hast richtig gelesen?«

»Ja, natürlich.«

»Was soll drinnen sein? Wieviel?«

»Dreihundert Gulden.«

»Das ist nicht wahr!«

»Es steht ja da!«

»So hat sich Wer einen Spaß macht.«

»Kannst Dich ja überzeugen!«

»Wodurch denn?«

»Mach den Briefen auf!«

»Darf ich denn?«

»Jawohl. Er ist der Deinige; er ist ja an Dich adressirt. Die Adressen stimmt.«

»Herrgott, wie ist mir nur. Ich zittere gar so sehr. Mach Du ihn auf, Briefbote! Ich zittere gar so sehr. Hier ist das Messer.«


// 2494 //

Er gab ihm Brief und Messer hin. Er zitterte vor Aufregung fast am ganzen Körper.

Der Postbote schnitt das Couvert auf und nahm den Inhalt heraus. Dieser bestand aus einem Briefe und drei Hundertguldennoten.

»Da, seht Ihr!« rief er aus. »Dreihundert Gulden. Hab ichs nicht sagt?«

»Drei-hun-dert-Gul-den!« rief er.

»Drei- -hun-hun-hun- - Jesses, Maria und Josepp! Ist das die Möglichkeit?« rief sie.

»Ja, da liegt ja das Geldl. Nehmts doch nur in die Hand.«

Er drückte ihnen die Scheine in die Hände.

»Das ist ja der wirkliche Himmel!« sagte der alte Mann. »Von wem ists denn?«

»Das wird wohl im Brief stehen.«

»Da müssen wir ihn lesen.«

»Jawohl.«

»So lies Du ihn! Mir gehen die Augen über.«

Das war wohl wahr; doch war es überhaupt in Beziehung auf das Lesen schlecht mit ihm bestellt.

Der Postbote faltete den Brief aus einander und las:

»Meine herzlieben Leutln. Wie geht es Euch? Ist es mit Euren alten Augen noch nicht besser? Ich möcht gern haben, daß Ihr nächste Mittwoch nach Scheibenbad kommt, wo ich Euch sehen möcht. Ihr müßt mit dem ersten Zuge fahren, und ich werd zu Euch in die Thalmühle kommen, wo ich Logis für Euch bestellt hab. Damit Ihr das Geld zum Fahren habt und Euch auch ein gut Gewandl zu dieser Reise kaufen könnt, leg ich Euch hier das Geld bei. Kommt aber ja, denn ich verlaß mich darauf.
Es grüßt Euch
                     Eure Leni.«

Die beiden Leute starrten einander an.

»Die Leni!« rief sie.

»Die Leni!« rief er. »Habs mir denken konnt! Dreihundert Gulden! Herrgott, muß die ein Geldl übrig haben.«

»Ja,« meinte der Briefträger mit wichtiger Miene. »Die Sängerinnen bekommen ein grausam Stuckerl Geld.«

»Die Sänger wohl auch?«

»Auch!«

»Unser Anton leider nicht!«

»Nicht?« fragte er mit Betonung.

»Nein.«

»Hm!«

»Was hast? Warum brummst so?«

»Weil ich hab munkeln hört.«

»Sags, was hast hört?«

»Daß er viel Geld verdient, sehr viel Geld, aberst Euch giebt er nix.«


// 2495 //

»Das sagen die Leut?«

»Ja, das sagen sie.«

»Da thun sie ihm Unrecht.«

»Das weiß ich nicht. Ich habs sagen hört; wer aber Recht hat, das weiß ich nicht. Aber die Leni, die ist brav!«

»Ja, das ist freilich eine sehr brave.«

»Ihr geht ihr gar nix an, und dennoch sendet sie Euch ein solches Geldl!«

»Ja, das thut sie. Dera Herrgott wirds ihr lohnen. Wann sie nicht wär, so hätten wir schon oft mehr Hunger leiden mußt, als es so schon der Fall ist. Jetzund sendet sie gar dreihundert Gulden. Und dafür sollen wir nach Scheibenbad kommen. Sie ist dort? Was aber sollen wir eigentlich dort thun?«

»Wer weiß es! Vielleichten will sie Euch gern mal sehen. Sie hat eine Sehnsuchten nach Euch.«

»Das liebe, gute Geschöpfle!«

»Und weil sie nicht zu Euch kommen kann, sollt Ihr zu ihr. Das wirds sein.«

»Denkst? Das ist eine große Ehr für uns.«

»Ja, denn weißt, solche Sängerinnen sind gar vornehm und geehrt. Sie verkehren mit Fürsten und Grafen.«

»O, die Leni sogar mit dem König!«

»Desto größer ist die Ehr für Euch.«

»So eine Reise! Wir sind noch gar nie aus dem Oertle hier herauskommen. Wir wissen halt gar nicht, wie man so eine Reis' zu machen hat und wie man sich dabei benehmen muß.«

Der Briefträger nahm eine wichtige Miene an und erklärte den beiden Alten:

»Das verstehe ich schon besser, als Ihr. Man hat sich einen Bahnhofsbillettenzettel zu lösen und setzt sich auf die Bahn. Da muß man die Röcke und Kleider rechts und links hübsch zusammen schieben, damit man die anderen Passagieren nicht generirt, und wann man die Tabakspfeif ausklopft, muß man das zum Fenster hinaus thun, damit die Aschen und der Tabaksschmirgel denen Damen nicht auf die seidenen Kleidern kommt. Den Hut muß man höflich abnehmen; besoffen darf man nicht sein, und kein Fenster soll man mit dem Kopf einschlagen. Zum Schaffner muß man sagen: 'Ich bitt schön, gnädiger Herr,' und überhaupt muß man nobel sein vom Kopf bis zum Fuß herab. Besonders soll man die Schuhe mit denen Füßen nicht den Anderen auf die Kniee legen, und wann man nießt oder ausspuckt, soll man das Schnupftuch hübsch vor den Mund nehmen.«

»O Jegerl! Was man sich da Alles zu merken hat! Das ist so grausam viel!«

»Es ist noch mehr, weit mehr! Wer es nicht weiß, der muß sich beim Locomotivenführer nach Allem derkundigen; der sagt es ihm, denn dazu ist er da.«


// 2496 //

»Und gar nach Scheibenbad! Das kenn ich nicht.«

»Aberst ich kenn es. Weißt, wir obersten Beamten von dera Post müssen eine ganz besonders genaue Geographie studirt haben. Scheibenbad ist nur ein kleines Städtle; aberst es ist ein Bad, wo im Sommer viele vornehmen Leutln beisammen sind. Letzthin hab ich davon im Blatt gelesen. Dera König hat dort ein neues Theatern bauen lassen, von einem ganz jungen Archivdirectoren, und das Gebäud soll ganz besonderbar prächtig sein. Es wird nächstens eingeweiht, sehr bald sogar, nämlich am - Himmelsakra! Da seid Ihr dort!«

»Wann?«

»Grad auf dera Mittwochen ist die Einverweihungen. Ich besinne mich ganz genau daraufi. Ein absonderlich schönes Stuckerl wird geben, worinnen lauter Göttern auftreten, die man sonst im Land niemals zu sehen bekommt. Lauter berühmte Sänger und Sängerinnen lassen sich da hören, und dera König kommt auch.«

»Singt er wohl auch mit?«

»Das weiß ich nicht. Aberst vielleicht hat auch die Leni einen Jodler mit zu singen.«

»Meinst, daß auch die Götter jodeln?«

»Warum nicht? Sie können doch auch mal lustig sein, wanns ein gutes Bierl trunken haben.«

»O, vielleicht sehn wir auch das Theatern oder gar das ganze Stuck!«

»Das kannst Dir derlauben. Hast ja volle dreihundert Gulden. Da mußt Dich aber zurecht machen. Dera Zug geht um fünf Uhr ab in dera Früh!«

»Schon! Und Mittwoch ists? Das ist so bald. Da giebts ja fast gar keine Zeit mehr, ein neu Gewandl anzuschaffen und Schuhen brauch ich auch.«

»So sputet Euch und kauft ja ein recht nobles, denn Ihr werdet dort von gar feinen Leutln angeschaut. Jetzund muß ich fort.«

»Bekommst auch was für das Geld?«

»Drei Kreuzern und ein Trinkgeldl für ein Bier. Für die Belehrung und Auskunften wegen der Reis', die ich Euch postamtlich geben hab, will ich nix rechnen, weil Ihr gar so arme Leutln seid. Unsereiner hat ein Herz im Leib, denn bei dera Post können nur gefühlvolle Personen ein höheres Amt erhalten.«

»Und wie hoch ist das Trinkgeldl?«

»Ganz nach Belieben. Kannst ein Sechskreuzerl geben; das macht grad ein Bier.«

»Ich hab aber keins. Ich hab seit langen Wochen kein Kreuzerl gehabt.«

»Das schadet nix. Wer dreihundert Gulden hat, dem geb ich gern Credit. Es ist ein gar schön und stolz Gefühl, wann man sich heimlich sagen kann, daß man sein Geld bei denen Leutln stehen hat. Zinsen und Prozenten berechne ich nicht. Da brauchst keine Angst zu haben.«


Ende der einhundertvierten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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