Der Weg zum Glück - Teil 14

Lieferung 14

Karl May

30. Oktober 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Warum nicht? Wir sind im freien Feld, und es sieht uns Niemand. Da kann ichs schon thun.«

»Das freuen mich ßehr, ßehr!« rief der Italiener. »Alßo fangen an, jetzt kleich, schnell!«

»Was für Jodler willst Du?« fragte sie. »Bekannte oder solche, die ich mir selber gleich mache?«

»Nicht bekannte, lieber maken.«

Es flog schelmisch über ihr liebes Gesicht. Auch der Sepp drückte das eine Auge zu und blinzelte mit dem anderen nach ihr hin, um ihr anzudeuten, daß sie diese Sache nicht allzu zart zu nehmen brauche. Und da sie sich bei guter Stimmung befand, ging sie sehr gern drauf ein. Sie sagte:

»Da wirst Dich freilich freun. Alle Leut kennen mich wegen meiner Stimm und meines Gesanges. Ich bin berühmt als Jodlerin.«

»Das ßein ausgeßeichnet gut! Ich hören kleik einer berühmten Jodlerin. Anfangen schnell!«

»So paß mal auf!«

Sie stemmte die linke Hand in die Hüften, hielt die andere frei zum Gestikuliren, setzte den Fuß vor und sang mit schrecklich krächzender Stimme und in möglichst unreinen Tönen:

»Da drüben und da draußen,
   Da steht ein Soldat,
Der wackelt mit dem Kopf
   Und schneidet Gurkensallat.«

Er blickte ihr ganz erstaunt in's Gesicht und fragte dabei:

»Das ßein Kesang? Das ßein Jodler?«

»Ja, freilich! Hör nur weiter:

Da drüben und da draußen,
   Wo der Finkerl so singt,
Da tanzt unser Küster
   Daß der Hut runter springt.«

Sie hatte jetzt womöglich noch schrecklicher gesungen als vorher. Er hielt sich die Hände an den Ohren, strampelte mit den Füßen und rief:

»Halt, halt! Das ßein kein Kesang! Du haben anfangt in Esdur und aufhören in Gis-moll. Das zerreißen Einem die Ohr aller Beiden!«

»So hast kein ordentlich musikalisches Gehören! Kann etwan Jemand schöner jodeln als jetzt:

Da drüben und da draußen,
   In das Welschland hinein,
Da giebts so viele Flöh,
   Und da möcht ich nicht sein.
Judirullilla juch, juch!«

Jetzt ärgerte ihn sogar außer den Tönen auch der Text. Er ballte zornig die Faust und sagte:

»Was kiebts in Welschland, in Italia? Flöhen? Das ßein eine Lükenhaftigkeiten! Wir haben kein Flöhen, pulci! Du ßelber haben wohl die Flöhen!


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Du ßelber ßein ein Floh! Du haben eine Sstimm wie ein Floh; Du ßingen wie ein Floh, und Du mit Worten stechen wie ein Floh! Du hast jetzt anfangen in G-moll und aufhalten in kar kein Tonarten. Du ßingen wie ein zerbrochenen Glas. Dein Geßang klingen wie ein Schnabel von Klarinette, wenn steckt er in ein Maul von die Affen. Ich niks mehr hören!«

»Was?« antwortete sie scheinbar zornig. »Du schimpfst mich und willst mich tadeln! Du verstehst gar nix davon! Du willst ein Musikus sein und kannst nicht mal eine Noten von einer Pausen unterscheiden! Da hör doch gleich mal!«

Und in ohrzerreißender Weise sang sie:

»Da drüben und da draußen,
   Da ists so der Brauch,
Und wannts wirklich besser kannst,
   So jodl doch mal auch!
Judirullilla! Juch, juch!
«

»O welk ein Unklük, welk einen Qual!« rief er aus. »Das reißen mir die Kedärm aus die Leib und die Sseel aus das Bauch! Du ßein so ein schön Mädchen und hast ßo ein häßlicher Kehlkopfen! Man kann mir in Dir verlieben und doch Dich schlagen todt, ßobald Du anfangen ßu ßingen.«

»Nun, so sing doch also selber mal!«

»Ich haben ein Geigen aber kein Stimmen; ich nicht ßingen ßondern spielen Violin!«

Dabei zeigte er mit dem rechten über den linken Arm hinweg. Leni aber rief:

»Schumpfen kannst also, aber besser machen kannst nix. Das will ich Dir gleich vorsingen:

Da drüben und da draußen,
   Thut Mancher gar groß,
Und wann er auch Concertmeister ist,
   so hat er doch nix los!
Judirullilla! Juch, juch!«

Jetzt hatte sie sich die größte Mühe gegeben, alle möglichen Untöne hören zu lassen, so daß er sich umdrehte und davon lief. Sie aber sprang ihm nach, faßte ihn, den kleinen, dünnen Kerl, um den Leib und wirbelte sich tanzend mit ihm auf der staubigen Straße herum, daß sie sich in einer förmlichen dicken Wolke befanden. Dazu krähte sie mit weithin schallenden Fisteltönen das »Judirullilla« und ließ dann bei dem zweiten »Juch« den athemlos keuchenden Mann so plötzlich los, daß er eine weite Lerche schoß und drüben sich höchst unfreiwillig auf ein frisch gedüngtes Ackerfeld niederließ.

Dann rannte sie fort, sich weder um ihn noch um den Sepp kümmernd. Sie hatte von Weitem die Mühle blicken sehen und ahnte sehr leicht, daß diese Gebäude das Ziel ihrer Wanderung seien.


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Der Italiener saß mitten im Felde, stöhnte laut und befühlte seine Gliedmaßen, ob dieselben keinen Schaden gelitten hatten. Der Sepp aber stand dabei und lachte, daß ihm die Thränen aus den Augen traten.

»O Unklüken, o Jammer und Elenden!« rief der Kleine. »Erst mir zerreißen den Ohren mit Jodler, nachher tanzen und dann werfen dahin wo ßtinken vor Mist, bovino, pastura! Und da lacken dazu wie ein Esel, asino, ciuco, miccio!«

»Ja, ein sakrisch Dirndl ists! Nicht wahr; sie kann jodlen wie Eine und tanzen, und Gewalt hats auch in den Armen! Sie hat Dich schön herum gerissen! Das war doch zu köstlich! Ja, die Leni, die Leni!«

»Das ik will mir verbitten!

»Nun, gefallt sie Dir nicht? Ist sie nicht ein schönes Dirndl, ein bildsaubers Weibsbild?

»Ja, schön, ßehr schön!«

»Na also! Aber steh doch auf!«

»Ik sehen wollen, ob ik auk kann.«

Er krappelte sich langsam auf und versuchte, zu gehen. Als er bemerkte, daß es ging und daß er unbeschädigt sei, heiterte sich sein Gesicht auf. Er klopfte sich den Schmutz aus den Kleidern, wobei ihm der Sepp behilflich war, und meinte dabei:

»Ssehr schön sie ßein, allerdinks ßehr, ßehr! Diesen schönen Kopf und Kesicht!«

»Ja, ein Gesichterl hats wie eine Puppen.«

»Diesen Taillen und Busen!«

»Der gefallt Dir wohl?«

»Ssehr, ßehr. Er sein nur versteckt unter die Hemd und nikt so unter Kleid wie bei Damen!«

»Freilich, das ist so die Gebirgstracht. Und nachgemacht ist er auch nicht. Die Leni braucht sich die Brust nimmer auszustopfen mit Watten und Herzbetterln und Fetzen wie Eure Damerln, welche die Waden haben wie der Storch und den Busen wie eine Kletterstangen. Die ist halt von guter Art.«

»Und diese Arme, braccia! Wie ein Venus oder Juno ßo herrlik, ßo nackt bis hinauf!«

»Ja, der Arm gefallt mir auch!«

»Ssehr, ßehr kut! Ein herrlik Frauen! Man könnt gleik heirathen ßie; aber ßie hat das Teufel in Leib; man muß ßik vor ßie in Akt nehmen!«

»So schlimm ists nicht. Das hat nur so gescheint. Sie war halt ein Wengerl ausgelassen. Sonst ists so lieb und mild wie ein Kind.«

»Ik danken für so einen Kind! Und eine Stimm hat ßie wie ein verßtimmten und verbogen Trompet, tromba, trombetta!«

»Heut, ja,« lachte der Alte. »Aber ich werd sie schon bald wieder einstimmen. Nachher sollst sie hören! Da wirst Dein blaues Wunder an ihr erleben!«


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»lk möken nikt hören wieder! Ik gehen nach Hausen. Ik haben satt von die Sennerin!«

»Meinswegen! Ruh Dich aus von dem Galopp, den sie mit Dir getanzt hat. Aber wann sie Dir so gefallt und Du sie etwan heirathen willst, so mußt mich um Erlaubniß fragen. Ich bin der einzige Verwandte von ihr. Behüt Dich Gott!«

Er ging querfeldein davon, nach der Fähre hin, um sich mit dem Fex wegen heut Abend zu besprechen. Er hatte mit seinen letzten Worten natürlich nur Scherz gemacht; er wußte nicht, daß der Eindruck Leni's auf den Italiener ein wirklich ungewöhnlicher war, trotz ihres ungewöhnlichen Verhaltens zu ihm.

Während der Concertmeister langsam nach der Villa hinkte, war die Leni bereits an der Mühle angekommen. Eine Magd stand da, neben derselben ein Knecht. Beide sprachen sehr angelegentlich mit einander, als ob etwas Außerordentliches passirt sei. Aus der Wohnstube des Müllers hörte man dessen zornig scheltende Stimme erklingen.

Leni trat zu den Beiden und fragte:

»Ist hier nicht eine Sängerin ankommen?«

»Leider!« antwortete der Knecht, sie neugierig betrachtend.

»Wo wohnt sie?«

»Da oben, eine Treppen hinauf. Willst etwan zu ihr?«

»Ja.«

»So nimm Dich in Acht, sonst könntst leicht einen Stuhl oder gar gleich das Kanapee an den Kopf bekommen.«

Und als sie sich nach der Thür wandte, meinte er zu der bei ihm stehenden Magd:

»Was für ein wundersaubers Dirndl! Wer mag das sein, und was mag das von der Dicken wollen!«

Eben als Leni in den Hausflur trat, kam Paula eilig zur Treppe herab. Ihr hübsches Gesichtchen war von Anstrengung und Aufregung hoch geröthet. Die beiden Mädchen betrachteten sich einen Augenblick lang mit der instinctiven Sympathie wie für einander geschaffener Seelen.

"Sag, bist vielleicht die Tochter des Müllern."

»Sag, bist vielleicht die Tochter des Müllern?« fragte Leni in freundlichem Tone.

»Ja, die bin ich schon.«

»Das gefreut mich. Ich will hinauf zur Sängerin.«

»Das laß ja bleiben!«

»Warum?«

»Die hat eine Launen wie der Bär, wann ihm die Ratten das Schwanzerl wegfressen haben!«

»O, die wird auch schnell wiederum gut.«

»So? Kennst sie wohl bereits?«

»Sehr genau.«

»So gehörst wohl zu ihr?«

»Freilich.«


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»Warum bist da nicht gleich mitkommen?«

»Weil ich noch zu thun hatt in der Stadt. Wann ich gleich dagewest wär, so hättst sehen sollen, daß die Sängerin ein gar guts Weibsbild ist.«

»So hast eine Gewalt auf sie? Sie folgt Dir?«

»Gar gern.«

»Das ist gut! Nun wird mir auch gleich das Herzel wieder leicht. Ach Gottel! Schau, ich hab noch gar keine so berühmten Sängerin gesehen, und da war die Angsten vor ihr groß. Jetzt sitzt sie oben, ganz außer Athem vor Zornmüthigkeit, und Keins kanns ihr richtig machen. Sie ist so dick und schwer, und als sie sich niedersetzt hat, da ist der Stuhl unter ihr zerbrochen und sie hat in der Stuben gesessen wie ein Spanferkel, wanns die Ohrlen spitzt. Da ists nachher losgangen, und wie! Unsere Stühlen sind nicht eingerichtet für so eine doppelte Personen, und derjenige, darauf sie sich auf selbigen gesetzt hat, der hat wohl schon einen kleinen Rissen oder Knicksen gehabt. Seitdem sitzts auf dem Kanapee und schnappt nach Athem. Drei Menschen waren nothwendig, um sie aufi zu heben von der Dielen. Sollt man denken, daß die berühmten Sängerinnen gar so sehr spectakelhaftig sein können!«

»Es giebt auch gute!«

»Ja, wann die Eine wär! Mureni solls heißen!«

»Die Mureni ist gut, und sie wird Dir schon auch gefalln; drauf kannst Dich verlassen. Laß mich nur erst hinauf, nachher bekommt die Geschicht ein ganz anderes Gesichten. Aber sag, wie Du heißt?«

»Paula.«

»Dieser Name gefallt mir. Ich heiß Leni.«

»Das klingt auch hübsch.«

»Meinst? Wollen wir ein Wengerl gut mit nander sein und freundlich auch, Paula?«

»O wie so gern!« antwortete die Müllerstochter, indem ihr Auge herzig aufleuchtete.

»Das gefreut mich. Gieb mir die Hand drauf.«

»Hier hast sie!«

»Schau, Du gefallst mir noch viel bessern als schon der Name vorher. Wannt mich kennen lernt hast, so wirst mir bald vielleicht gut sein.«

»O, ich bin Dir jetzund bereits gut.«

»Ich Dir auch. Komm her, ich muß Dir sogleich ein recht bravs Busserl geben!«

Sie zog sie an sich. Beide küßten sich. Dann aber fuhr Paula aus der freundschaftlichen Umarmung auf, deutete zur Thür hinaus und sagte:

»O Jemine, da kommt der Wagen mit der Sängrin ihren Sachen, nach denens so geschreit und geschumpfen hat. Jetzt kann man nur eilen, daß Alls schnell hinaufi kommt, und sich in Acht nehmen, daß ein jedes Stucken fein richtig und sanft angefaßt wird, sonst kanns ein Donnerwettern geben.«

»Ja, fein säuberlich muß damit umgangen werden, sonst wirds bös und grimmig. Ich will schnell hinauf.«


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Aber ehe sie hinaufkam, hatte die Dicke bereits die Ankunft des Wagens bemerkt und das Fenster aufgerissen. Ihre fette, scheltende Stimme ertönte um die Wette mit der Clarinette des Müllers, welcher drin in seiner Stube das Zeichen gab. Das Gesinde war in Zweifel, wem zuerst zu gehorchen sei, dem strengen Herrn oder der Fremden, deren hochrothes Gesicht drohend aus dem Fenster blickte. Käthe, die Magd, eilte nach kurzem Besinnen zum Müller.

Dieser hatte die Peitsche in der einen Hand und die Klarinette, in welche er ohne Aufhören blies, in der anderen. Als er die Magd eintreten sah, setzte er das Instrument ab und schrie sie an:

»Himmelmillionenschocktausendhöllenteufeln! Warum hört Ihrs nicht, wann ich das Signalen geb?«

»Weil Die da droben so schreit. Das geht noch über Deine Klarinetten; die hört man da gar nicht.«

»So! Das ist schön! Das laß ich mir gefallen! Jetzt bin ich nicht mehr Herr im Haus! Wart, das soll anderst werden, und zwar allsogleich! Hast den Mann gesehen, welcher die Stuben für sie gemiethet hat?«

»Nein.«

»Er heißt Herr Wagnern, drüben in der Villa, im Parterr. Zu ihm gehst hinüber und sagst, er soll sofort das Weibsen wieder weg nehmen, sonst werf ich sie durchs Fenstern herab!«

»Der wird mich schön anschaun!«

»So schaust ihn wiederum an! Und wann er Dir Etwas dagegen sagt, so merks: Wer der Gröbste ist, der hat gewonnen. Zeig nur gleich, daßts Maul auf dem richtigen Fleck hast!«

»Na, angewachsen ist mirs grad nicht.«

»Das weiß ich; darum schick ich Dich hinüber. Die Geschichten draußen auf dem Wagen werden nicht abgeladen. Die dicke Elephantin kann sich gleich selber draufsetzen und zum Teuxel fahren. Sag das draußen. Wers wagt, abzuladen, den jag ich aus dem Dienst! Und nun mach schnell, daßt hinübern kommst, sonst kannst auch noch die Peitschen schmecken!«

Er knallte mit der Letzteren so kräftig und drohend, daß die Käthe eiligst zur Thür hinaus fuhr. Nachdem sie draußen den Befehl übermittelt hatte, daß die Effecten nicht abgeladen werden sollten, ging sie nach der Villa. Sie nahm sich vor, gleich recht grob anzufangen; das paßte auch ganz zu ihrem Bildungsgrad und Character. Darum klopfte sie auch gar nicht an. Sie machte die Thür auf und trat ein.

An dem einen Fenster saß der König, in einem Buche lesend, und Wagner schrieb Noten am Schreibtische. Dieser Letztere drehte sich um. Ehe er aber ein Wort sagen konnte, begann sie bereits:

»Bist etwan der Wagnern?«

»Wer?« fragte er streng.

Der scharfe Blick seines Auges verwirrte sie doch ein Wenig. Darum wiederholte sie:

»Obst der Herr Wagnern bist?«


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»Ja. Und wer bist Du?«

»Ich bin die Käth und dien bei dem Müllern.«

»So merke Dir ein für alle Mal, daß Du ohne ganz specielle Erlaubniß hier nicht einzutreten hast. Hast Du nicht schon in der Schule oder von Deinen Eltern oder auch überhaupt gehört, daß man anzuklopfen hat, wenn man zu Jemand will?«

»Das weiß ich grad so gut wie Du und vielleicht gar noch bessern. Aber hier bin ich zu Haus, und wo man zu Haus ist, da braucht man nicht anzuklopfen.«

»Jetzt bin ich der Herr dieser Wohnung, und bei mir wird angeklopft. Wenn Du diese Höflichkeit unterlässest, werde ich mich bei Deinem Herrn beschweren.«

»Das kannst schon thun; ich hab gar nix dagegen. Grad der Herr hat mich herübern geschickt und mir anbefohlen, daß ich richtig grob mit Dir sein soll!«

»Das ist eine gradezu klassische Aufrichtigkeit!«

Die Käthe hatte das Wort klassisch noch niemals gehört; aber da sie nach den gegebenen Verhältnissen annehmen wollte, daß es eine Beleidigung bedeute, antwortete sie in ihrem schnippischsten Tone:

»Ja, die Dicke ist auch klasserisch!«

»Wer?«

»Die Dicke drüben!«

»Ich versteh Dich nicht.«

»Nun, die Sängerin.«

»Ach so! Sie ist vorhin angekommen. Wir sahen die Equipage vorüber fahren. Kommst Du ihretwegen?«

»Ja. Der Müllern laßt Euch sagen, daß sie sogleich wieder hinaus muß. Und wann Ihr das nicht wollt, so wirft er sie zum Fenster hinaus und Euch Beid auch dazu. Habt Ihrs gehört?«

Jetzt konnte sich der König nicht länger halten; er brach in ein herzliches Lachen aus, und Wagner stimmte natürlich mit ein. Das erboste die Magd. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und rief:

»Was habts zu feixen und zu kicheriren? Meint Ihr etwan, ich mach Spaßen mit Euch? Mit solchen Leutln fallt mir das schon gar nicht ein. Da seid Ihr mir zu dumm dazu! Ich werd mir aberst schon Respect verschaffen. Ich bin die Käth! Verstanden!«

»Ah! Die Käth bist Du?« meinte Wagner in gewaltsam erzwungenem Ernste. »Das ist etwas ganz Anderes. Ja, da haben wir freilich Respect.«

»Ja endlich! Das will ich mir auch verbitten! Mit solchem Gezeug muß man eben ernsthaft reden, sonst kommt man gar nimmer durch. Das kenn ich schon bereits. Das Stadtvolk hat Mucken im Kopf; aberst wir sind auch noch auf dera Welt.«

»Das seh ich, und das hör ich auch. Aber sag mir doch einmal, warum die Sängerin so schnell wieder fort soll?«


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»Weils eine unbändige Sakrifaxen ist, eine Teufelin, mit ders kein Mensch aushalten kann.«

»So bist Du wohl ein Engel gegen sie?«

»Ja, der reine Erzengel.«

»Hm! Unbegreiflich! Woher wißt Ihr denn bereits, daß sie ein solcher Ausbund ist?«

»Weil sie sofort anfangen hat, als sie hier ankommen that. Sie wollt gleich ihre Sachen haben, und die waren nicht da. Nachher haben wir sie fast gar nimmer aus der Kutschen herausbracht. Und als sie dann da stand, da hat sie nur so gepiebt und gebebt vor Zorn und Aerger. Nachhero brachtens wir kaum zur Treppen hinauf. Ich hab ziehen müssen und zwei Knecht schieben. Als wir oben ankommen sind, hat sie keinen Athem gehabt und kaum giebsen konnt. Da hat sie sich auf den Stuhl gesetzt, welcher unter ihr zerbrochen ist, so daß sie in der Stuben gesessen hat, auf ihrem eignen Schinken, Speck und Fetten. Das hat ein Zedrio geben, bis wir sie aufgewunden haben mit großer Noth und vielem Schweißen. Und als wir sie aufs Kanapee geschafft haben, sind allsogleich die Spannfedern zerbrochen. Nun jetzt hat sie das Fenstern aufgemacht und den Kopf herausgesteckt und schimpfirt von oben herab wie ein Rohrspatzen oder gar wie der alte Dessauern dazumal. Meint Ihr, daß wir das zu leiden haben? Nein, sie muß fort, und das auf der Stell, sonst fassen wir sie an und tragens hinüber in den Fluß, da mag sie schwimmen, wohins will, meinswegen immer fort bis Dingsdum und noch weiter hin!«

»Das klingt sonderbar. Du sprichst doch von der Sängerin, welche Signora Mureni heißt?«

»Von wem denn sonst? Hast keine Ohren!«

»Und die ist so dick und schwer, daß sie von drei Personen über die Treppe geschafft werden mußte, und daß dann der Stuhl unter ihr zerbrochen ist?«

»So dick wie eine Ausstellungssauen!«

Da platzte Wagner los. Er konnte das Gelächter nicht zurückhalten und der König ebenso wenig. Die Magd aber schrie im höchsten Zorn:

»Wann Ihr Dummrianer weiter nix wollt, als nur lachen, so könnt Ihr mich rund herum pfeifen! Ich geh!«

Wagner stieß mit größter Mühe den Bescheid hervor:

»So sag dem Müller, daß wir die Sache besorgen werden!«

Sie fuhr zur Thür hinaus. Draußen standen der Concert- und der Capellmeister. Ersterer hatte soeben angeklopft, und so stieß ihm die Magd die Thür mit aller Gewalt an den Kopf.

»Auch wieder so ein Unnutz und Galgenstrickerl!« rief sie. »Pack Dich hinein; da kannst mit feixen und Gesichtern schneiden um die Wetten! Ihr paßt doch allesammt zusammen, und Keiner taucht was.«

Sie stürmte fort. Der Italiener blieb, sich den Kopf haltend, mit seinem Gefährten unter der geöffneten Thür stehen. Beide waren nicht wenig


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überrascht, den berühmten Componisten und den sonst so ernsten, ja oft sogar düsteren Monarchen bei so außerordentlich heiterer Stimmung zu treffen.

Die Angelegenheit, in welcher sie kamen, bereitete ihnen ernste Befürchtungen. Die Meldung, daß die erwartete einstige Sennerin, unter welcher sie sich ein hübsches, schlankes, junges Mädchen vorgestellt hatten, eine ungeheuer dicke, an Athemnoth und Brustbeklemmung leidende, schlafsüchtige Person sei, war erwartungsgemäß von dem Könige mit großer Enttäuschung entgegen zu nehmen. Darum fühlten sie sich einigermaßen beruhigt und ermuthigt, als sie jetzt bemerkten, daß er sich in so ungeahnt vortrefflicher Laune befinde.

Beide traten unter tiefen Verbeugungen ein, wobei der kleine Concertmeister noch immer den Kopf in der einen Hand hielt. Der König und Wagner lachten noch immer. Ersterer trat den Audienz Suchenden einen Schritt entgegen und sagte in bedauerndem Tone:

»Das war eine höchst kräftige Carambolage, Herr Concertmeister. Ich hoffe, daß sie nicht von nachhaltiger Wirkung sein werde. Haben Sie Schmerzen?«

»Schmerzen, dolori, affani? Ein Wenik thun es weh. Das Thüre ßein mehr hart als mein Kopf, aber er ßein dok nok nicht kanz entßwei zerbrocken, und er hören schon jetzt auffen, ßu brummen, mormoreggiare, borbogliare e brontolare. Es ßein kut, ßehr kut!«

»Das freut mich, denn so hoffe ich, erfahren zu können, aus welchem Grund ich Sie bei mir sehe.«

»Grunden? Ursaken? Causa, cagione e origine? Signor Capellenmeister mag saken es. Er können besser ßprecken Deutsch als ich.«

Und als der König nun eine halbe Wendung gegen den Genannten machte, sagte dieser:

»Zunächst, Königliche Majestät, haben wir dringend um allerhöchste Verzeihung zu bitten, daß wir uns zu dieser Belästigung veranlaßt sehen müssen. Es handelt sich um die erwartete Sängerin.«

»Sie meinen Signora Mureni?«

»Ja. Die Angelegenheit erschien uns bedeutend genug, um zu Zweien vor Euer Hoheit zu erscheinen, damit der Eine die Worte des Andern bestätigen könne.«

»Das setzt die Annahme voraus, daß ich einen Zweifel in diese Worte legen könne?«

»Gewiß, das mußten wir annehmen.«

»So habe ich jedenfalls eine ganz ungewöhnliche Mittheilung zu erwarten, Herr Capellmeister.«

»So ungewöhnlich, daß ich offen gestehe, ganz fassungslos gewesen zu sein.«

»Wie? Die Mureni hätte Sie aus der Fassung gebracht?«

»Vollständig!«

»Ich soll doch nicht vielleicht hoffen, daß Etwas geschehen ist, was sie am Auftreten hindert?«

»Ein solches Ereigniß ist freilich nicht eingetreten; aber ich bezweifle überhaupt sehr, daß die Mureni wird singen können.«


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»Warum?«

»Ihre Gestalt, ihre ganze Persönlichkeit, ihre gegenwärtige Constitution, kurz, das Alles läßt vermuthen, daß sie nicht wird singen können.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

Der Capellmeister suchte in größter Verlegenheit nach passenden Worten. Die Mureni stand unter dem ganz besonderen Schutze des Königs; er hatte sie zur Sängerin bestimmt. Durfte man ihm jetzt sagen, daß sie für diesen Beruf untauglich sei? Und doch waren seine Augen so erwartungsvoll auf den Musiker gerichtet, daß dieser ganz verwirrt wurde und in dieser Pein gradezu herausplatzte:

»Sie hat keinen Athem.«

»Was? Die Mureni hat keinen Athem?« fragte der Monarch im Tone des höchsten Unglaubens.

»Ja. Ihr Athem reicht kaum zum Sprechen zu. Beim Singen aber wird er ihr ganz sicher ausgehen.«

»Das möchte ich denn doch bezweifeln!«

»Ich berufe mich auf das Zeugniß des Herrn Concertmeisters, den zu diesem Zwecke mitzubringen, ich mir erlaubt habe.«

»Wirklich?«

Bei diesem Worte blickte der König den Italiener an, und so beeilte sich dieser zu der zustimmenden Erklärung:

»Majestät, meine Freund hab kesakt das Wahrheit. Die Mureni hat kein Athem. Ssie wird ihn lassen fahren beim Ssingen. Es wird ßein ßehr schauderhaft, ßehr, ßehr!«

Jetzt fiel Wagner ein:

»Das muß ein Irrthum sein. Ich habe sie noch kurz vor meiner Abreise singen lassen. Sie war sehr gut bei Brust. Es ist doch ganz unmöglich, daß unterdessen ein Asthma sie überfallen habe.«

»Asthma?« rief der Italiener. »Ja, es ßein Asthma, kanz Asthma, kanz!«

»Unmöglich!«

»O dock ßein es Asthma!«

»Bei dieser Jugend!«

»O, ßie ßein über fünfßik Jahren!«

»Ueber fünfzig Jahre? Welch ein Irrthum.«

»Und haben einen Leib, einen Bauk, ßo dick, ßo, ßo dick!«

Er beschrieb während dieser Worte mit seinen beiden Händen einen weiten Bogen über seinen Unterleib nach abwärts, um anzudeuten, was für einen großen >Bauch< die Sängerin habe.

Wagner und der König blickten sich an. Es wurde ihnen schwer, ein Lachen zu verbeißen. Der Erstere hustete einmal in sein Taschentuch, um zu verbergen, daß die mit einer solchen Gestikulation verbundene Aeußerung des Concertmeisters sein Zwerchfell reize, und sagte:

»Wie? So stark soll sie sein? So dick?«


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»Sso dick, ßo, ßo, wie einen Muschel, conchiglia!«

»Und über fünfzig Jahre? Wo haben Sie sie denn gesehen, Herr Capellmeister?«

»Auf dem Bahnhofe,« antwortete der Gefragte.

»So! Haben Sie mit ihr gesprochen?«

»Eine ganze Weile, bevor wir sie in der Equipage nach der Mühle schickten. Die Dame hatte, mit allem Respect zu vermelden, einen solchen Umfang, daß sie das Innere der Kutsche ganz allein ausfüllte. Keine Menschenseele, selbst die magerste nicht, hätte neben ihr noch ein Plätzchen gefunden.«

Wieder blickte Wagner nach dem König und dieser nach ihm. Dann aber war es ihnen unmöglich, länger ernst zu bleiben. Sie brachen Beide in ein herzliches Lachen aus, welches immer stärker wurde, je dümmer sich die Gesichter der beiden Musici zeigten. Diese blickten bald einander und bald die lachenden Herren an; ihre Gesichter wurden länger und immer länger, und endlich meinte der Italiener trotz der Anwesenheit des Königs:

»Ssie lacken, lacken uns außer! Wir hab kesakt den Wahrheiten. Die Mureni ßein dick wie ein Maulwurfen, talpa, wie ein Daksen, tasso, wie ein Ballon von die Luft, pallone aërostatico! Ssie hab eine Leib wie einen Bierfaß und Beine wie einen ßweien Butterfaß, zangola. Ich hab kesehen Alles, Alles. Wenn ßie anfangen, ßu singen, wird der Luft ßein fort, kanz fort, wie bei ein Blaßenbalken, wo ßein ein Riß darinner.«

Er begleitete diese Worte mit so lebendigen und possierlichen Gestikulationen, daß die beiden Lacher nur noch lauter lachten. Der König drehte sich um; es war ja für ihn eigentlich nicht rathsam, sich einer solchen ungewöhnlichen Heiterkeit hinzugeben, und nur mit großer Anstrengung gelang es ihm endlich, wieder ein ernstes Gesicht zu zeigen. Dann wendete er sich an den Concertmeister:

»Ich bin vollständig überzeugt, daß hier eine große Verwechslung vorliegt. Die Mureni ist weder so alt noch von einem solchen Embonpoint, wie Ihr Herr College sie beschreibt. Sie müssen eine ganz andere Person für die erwartete Sängerin gehalten haben.«

»Das ist unmöglich, Majestät. Als der Zug kam, haben wir laut den Namen Mureni gerufen, und sie hat sich sofort zu demselben bekannt.«

»Bitte, erzählen Sie doch einmal!«

Der Capellmeister folgte dieser Aufforderung, und der Italiener streute in seinem gebrochenen Deutsch so drastische Bemerkungen ein, daß die beiden Zuhörer sich alle Mühe geben mußten, möglichst ernst zu bleiben und nicht abermals in ihr Lachen zu verfallen. Als der Bericht beendet war, nickte Wagner mit dem Kopfe und sagte nur den Namen:

»Madame Qualèche.«

»Ja, richtig!« fiel der König ein. »Also diese corpulente Dame hat nur ein Mädchen bei sich gehabt?«

»Nur!«

»Es war keine weitere junge Dame bei ihr?«


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»Nein.«

»So ist Signora Mureni entweder bereits früher angekommen, oder sie kommt mit einem späteren Zuge. Meine Herren, Sie haben die Wirthin der Sängerin mit dieser Letzteren verwechselt. Madame Qualèche war früher eine sehr gesuchte Concertsängerin, und ihre Tochter ist es noch. Die Dame wird als Anstandsdame der Mureni nach hier gekommen sein.«

Der Capellmeister machte ein sehr betretenes Gesicht und versuchte, sich zu entschuldigen:

»Aber, Majestät, als ich auf dem Perron den Namen >Signora Mureni< laut rief, beschied mich diese Dame mit einem deutlichen >Hier< zu sich hin!«

»Ganz richtig und auch sehr erklärlich. Sie gehört zur Mureni, und ich denke mir, daß Ihr Verhalten vielleicht nicht geeignet gewesen ist, das wunderliche Quiproquo aufzuklären.«

»Das mag sein. Wir haben sie eben ganz so behandelt, als ob sie die Erwartete sei.«

»Ja, ja! Und die gute Dame ist, wie ich mir auch habe sagen lassen, so denkbequem, daß es ihr gar nicht eingefallen ist, auf die Idee zu kommen, daß sie verwechselt wird.«

»Gott sei Dank! So sind also unsere Sorgen glücklicher Weise umsonst gewesen. Diese corpulente Person konnte doch unmöglich vor einem so ausgewählten Publikum singen!«

»Nein,« lächelte Wagner ein wenig ironisch. »Wenn Sie die Sennerin Leni erblicken, werden Sie sofort sagen, daß diese geeigneter dazu ist.«

»Aber wo mag sie sein? Da sie nicht mit Madame Qualèche gekommen ist, weiß sie nun doch gar nicht, welches Logis für sie bestimmt ist.«

»Das ist freilich ein unangenehmer Umstand. Soeben schickte der Müller zu uns, um uns sagen zu lassen, daß er die Sängerin Mureni durch das Fenster werfen lassen werde, wenn sie nicht sofort selbst gehe. Die Dame scheint einige Ansprüche gemacht zu haben, für welche dieser Mann kein Verständniß hat. Es ist eine Kommödie der Irrungen, welche wir sogleich aufklären müssen. Es muß Einer von uns hinüber in die Mühle.«

»Ick werden kehen, ich ßelber, ßoforten, ßoforten,« erklärte der Italiener dienstbereit.

»O bitte, Herr Concertmeister! Ihr Deutsch dürfte wohl kaum hinreichend sein, den zornigen und rohen Mann zu besänftigen. Ich werde selbst - -«

»Das ist auch nicht nöthig, mein Lieber,« unterbrach ihn da der König, welcher in der Nähe des Fensters gestanden und einen zufälligen Blick hinausgeworfen hatte. »Ich sehe da Einen kommen, der sich sehr freuen wird, um als Bote zu dienen. Es ist das ein ganz eigenartiger Zufall, welchen ich benutzen werde, eine Begegnung zwischen zwei Personen zu veranstalten, welche sich sehr gern und doch wohl auch sehr ungern wiedersehen. Er soll mich nicht sofort erblicken; darum rufen Sie ihn herein. Er heißt Anton.«

Der Betreffende war kein Anderer als der Krikelanton, welcher sich ja vorgenommen hatte, heut noch einmal nach der Mühle zu spazieren. Er hatte


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keine Ahnung, welche Begegnung ihm bevorstand. Eben als er an der kleinen Anhöhe, auf welcher die Villa lag, vorüber wollte, wurde ein Parterrefenster derselben geöffnet. Dort stand Wagner.

»Anton!« rief er laut.

Der Tabuletkrämer, welcher aber jetzt natürlich seinen Kasten nicht mit hatte, blieb stehen.

»Meinst mich?« fragte er.

»Ja, Dich!«

»Was solls?«

»Komm doch einmal herein zu mir!«

»Wozu?«

»Das wirst Du ja hören.«

»Ich kenn Dich gar nimmer, und ich hab auch keine Zeit.«

Er wollte gehen.

»Höre,« lachte Wagner, »für so einen ungefälligen Menschen habe ich Dich freilich nicht gehalten.«

Da blieb der Anton stehen und fragte:

»Ja, Du kennst mich vielleicht?«

»Hätte ich Dich sonst bei Deinem Namen gerufen?«

»Nun, wannst mich kennst, so werd ich hinein kommen. Wart ein kleins Bisle!«

Er stieg die Anhöhe hinan und begab sich in die Stube, nachdem er vorher angeklopft hatte.

»Verdimmi, verdammi!« rief er aus. »Da möcht ich doch gleich so rufen wie der Nachtwächtern, welcher mich dazumalen hat verarretiren wollen. Das bists ja, gar der König selber!«

Die drei Andern waren doch ein Wenig verwundert, als der König ihm die Hand entgegenstreckte und in freundlichster Weise sagte:

»Freilich bin ich es. Sei willkommen bei Dem, welchem Du damals das Leben gerettet hast!«

»Na, von dasselbige brauchst gar nimmer viel zu reden,« meinte der Krikelanton, indem er die ihm dargebotene Hand kräftig schüttelte.

»O doch! Oder meinst Du, daß ich mein Leben so gering anschlagen muß, daß ich meinem Retter den Dank verweigere?«

»Wir sind quitt!«

»Nein, nein!«

»Ja freilich. Ich habe den Bären derschossen, und Du hast mir die Freiheiten geschenkt. Da hat nun Keiner dem Andern was heraus zu zahlen. Aber warum hast mich jetzt zu Dir herein rufen lassen?«

»Um Dich zu begrüßen zunächst, und sodann auch, um Dich um eine kleine Gefälligkeit zu bitten.«

»Na, so schieß los! Du weißt ja, daß ich Dir ganz gern einen Gefallen thu.«

»Weißt Du die Mühle?«


// 326 //

»Ja, ganz gut.«

»Da wohnt jetzt eine Sängerin, welche Signora Mureni heißt. Willst Du nicht einmal zu ihr gehen?«

»Wannst mich schickst, so geh ich schon.«

»Gut! Sage ihr, daß sie sogleich einmal zu mir kommen soll. Aber Du darfst Niemandem sagen, wer ich bin. Man kennt mich hier nur als den Herrn Ludwig.«

»Schön! Das hab ich schon verstanden. Soll ich etwan auch wieder mit kommen?«

»Das ist nicht nothwendig. Hast Du vielleicht einen Wunsch, den ich Dir erfüllen kann?«

»Ja.«

»So sage ihn.«

»Ich wünsch, daßt immer recht hübsch gesund und munter bist, und daß Deine Geschäften bei der Regierung so gut gehen wie die meinigen jetzt auch!«

Er sagte das in so treuherziger, aufrichtiger Weise, daß Alle fühlten, wie gut und ehrlich es gemeint sei.

»Ich danke Dir!« antwortete der König. »Es freut mich, zu hören, daß es Dir wohl geht. Was treibst Du denn jetzt?«

»Ich bin Tabuletkramer worden, weißt, von den dreihundert Markerln, die Du mir damals geschenkt hast. Das Geschäft ist kein gar übels; es nährt seinen Mann besser als - als das Gamsenschießen, weißt.«

»Ja,« nickte der König ernst. »Das hast Du also ganz gelassen?«

»Ganz und gar. Ich kanns ja nimmer besser haben, als Du mir es mit dem Geldl gemacht hast.«

»So bist Du also ein braver Mensch geworden, wie ich es damals wünschte. Darüber werden Deine alten Eltern sich herzlich freuen.«

»Ja, das thun sie schon sehr.«

»Und freut sich nicht noch Jemand?«

»Wer sollte das sein?«

»Nun, bist Du nicht verheirathet?«

»Ich? Das fallt mir gar nicht ein!«

»Aber wenn Dein Geschäft Dich so befriedigt, so kannst Du doch an die Gründung eines eigenen Hausstandes denken!«

»Damit darfst mir nicht kommen. Ich hab kein Haus und auch keinen Stand. In unserer kleinen Hütten hat die Kuh ihren Stand; einen andern kenn ich nicht und einen andern mag ich nicht. Wann Einer sich einen Hausstand schaffen will, so muß er sich eine Frau nehmen, und das ist aber die allergrößte Dummheiten, die man begehen kann.«

»Warum?«

»Weils nicht eine einzige Frauen giebt, die was taugt.«

»Solltest Du Dich da nicht irren?«

»Nein. In diesem Kartoffelnbrei hab ich ein Haar funden, oder vielmehr nicht etwan ein einzig Haar, sondern gleich einen ganzen Weibernzopf.


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Weißt, wannst so herum hausirst wie ich, so schaust gar Manches, was kein Anderer nicht sieht. Da seh ich Dir Weiber, o Jerum! Die Eine hat keine Zähne, und die Andere hinkt; die Dritten schielt, und gar die Viert läßt die Milchen ins Feuern laufen. Die Fünft geht davon, um Theatern zu spielen, und die Sechst wascht die Hemden, daß sie ausschaun, als obs in der Tinten gelegen hätten. Nachhero die Siebent, das ist erst die richtige Prise, von der kann man gleich das Liedl singen:

O Du alte Kraxen
Mit den krummen Haxen,
Mach mir keine Faxen,
Sonst will ich Dich paxen.
Geh, du alte Tratschen,
Du Charfreitagsratschen,
Jetzt sing ich den lieben Augustin!
's Geldl ist weg, 's Madl ist weg,
Und nun habn wir Beid ein Dreck.
O, du lieber Augustin,
Alles ist hin!«

Er sang wirklich diese letzten Zeilen nach der bekannten Melodie und tanzte dazu in dem Zimmer herum. Dann fuhr er fort:

»Und weißt, was dann mit der Achten ist? Die kann keinen richtigen Strumpfen stopfen und keine Brodsuppen kochen. Die Neunt wieder putzt sich von Fruh bis Abends und hängt Primperln und Pramperln an, hinten und vorn, oben und unten, aber am Rock hangen die Fetzen und die Schürzen triefelt aus, daß die Faden hinterher wehen eine ganze Meilen weit. So könnt ich zählen nicht nur bis zur Neun oder Zehn, sondern gleich bis zur Hundert oder gar Tausend. Sie sind alle nur gut zum in den Syrupen stecken und nachhero sich selber ablecken.«

»So hat Dir Keine gefallen?«

»Nein.«

»Aber früher doch?«

»Ja, da hats gar wohl Eine gegeben; aber auch die ist mir unstat geworden und vom Weg abwichen und ins Kraut gerathen. Ich mag nimmer daran denken und auch nimmer davon sprechen. Laß mich aus mit dem Heirathen. Wer da heirathen thut, der erhält immer stets eine Nieten; sie aber hat dafür allemal das große Loos!«

»Wirklich?« fragte da Wagner.

»Ja. Oder meinst etwan vielleicht, daßt auch selbst so eine Nieten bist?«

»Das wohl nicht. Ich möchte mich doch viel lieber für einen Treffer halten.«

»Nun schau, so hab ich Recht, und Deine Frauen hat in dera Lotterien gewonnen. Wir Männer aberst müssen immer nur verlieren. Darum bleib ich, was ich bin, mein eigener Herr. Und nun will ich hinüber zur Mühlen, um die Botschaften auszurichten. Hat sonst noch Einer was zu bestellen?«


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»Nein,« antwortete der König. »Aber vergiß nicht, zu wem Du gehst, wenn Du einmal Hilfe brauchst.«

»Da komm ich halt zu Dir. Ich weiß schon, daßt ein guter Kerlen bist; ich habs ja erfahren. Also nun behüt Gott derweilen, und bleibt allesammt recht hübsch gesund! Das ist das Best, was man haben kann.«

Er ging.

Die Begegnung mit dem Könige hatte ihm große Freude bereitet und ihn in gute Laune versetzt. Das zeigte sich sogleich, als er vor der Mühle die große Käthe traf.

»Grüß auch Gott!« sagte er. »Hast schon einen Schatz?«

Sie blickte ihn an, als ob sie ihn fressen wolle.

»Was meinst?«

»Obst bereits einen Schatz hast.«

»Willst mich etwan?«

»Nein.«

»Warum fragst so dann?«

»Ich wollt ihm sagen, daß er sich lieber eine Andre nehmen sollt. Verstanden?«

Da kam er aber an die Unrechte. Sie trat einen Schritt näher, holte mit der Rechten aus und rief:

»Willst vielleicht gleich was?«

»Nun, was könnt das wohl sein?«

»So ein Ohrschwapperl, daßt Dich rumminummi drehst.«

»Dank schön! Hast so gar viele erhalten, daßt jetzt eine davon abgeben kannst? Sag, Du dienst wohl hier bei dem Müllern?«

»Ja.«

»Hab mirs doch denkt!«

»Wieso?«

»Nun, der Müllern soll so ein Urianer sein, so ein Heimducken, dems man nie recht machen kann. Und weilst auch so ein Aschkastengesicht hast, so hab ich gleich gemeint, daßt zu ihm gehörst.«

»Hör, Du Schlankel, wann ich jetzt eine Heugabeln hier in der Hand hätt, so thät ich Dich damit auf den Leib kitzeln, daßt denken sollst, in dera Welt giebts lauter dumme Jungs, und Du seist der Allerdümmst von ihnen.«

»Schau, wie Du reden kannst! Das steht Dir gut. Du hast so was Nobels dabei! Aber sag, wohnt nicht hier bei Euch eine Sängerin, die Mureni heißt?«

»Ja. Gehörst etwan zu ihr?«

»Freilich.«

»Was bist von ihr?«

»Ihr Urgroßvatern.«

»Ja, grad ganz so schaust aus! Na, da mach Dich nur schnell bald wiedern fort, sonst wirst mit ihr allsogleich herausgeschmissen!«

»Himmelsakra! Bei Euch scheints halt gar streng herzugehn. Nicht?«


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»Ja. Aber wannst zur Mureni willst, so mußt hier ins Haus gehn und zur Thür hinein, die zur rechten Hand ist. Da findst sie sogleich.«

Er blickte sie scharf an. Er mochte aus ihren Mienen lesen, daß sie einen Hintergedanken habe. Er meinte darum:

»Das kann ich thun. Aber wannst mich etwan an eine falsche Adressen sendest, so magst auch selber auslöffeln, wast einbrockt hast. Ich laß mich ganz gern an der Nasen herumiführen, aber nur von derjenigen Person, die auch das richtige Geschick dazu hat.«

Er ging. Sie murmelte höhnisch hinter ihm her:

»Da spaziert er zum Müllern. Na, das wird eine Geschichten geben! Da möcht ich mal eine Maus sein, um unbemerkt horchen zu können! Aber ich werd mich aus dem Staub machen. Das ist nun das Beste, was ich jetzt thun kann.«

Der Krikelanton klopfte an.

»Herein!« rief der Müller.

Anton trat ein.

Draußen war die Dämmerung nahe. Hier in der Stube aber war es schon so dunkel gewesen, daß der Müller die Läden hatte schließen und sich Licht bringen lassen. Er liebte die Dunkelheit nicht. Wenn er sich im Finstern befand, so kamen auch finstere Gedanken, welche ihn beängstigten. - Er warf einen kurzen Blick auf den Eintretenden und fragte:

»Wer bist?«

»Der Krikelanton.«

»Ich kenn Dich nicht. Was willst?«

»Ich wollt zu der Sängrin.«

Anton war hart an der Thür stehen geblieben. Das Gesicht des Müllers war kein Vertrauen erweckendes.

»Zur Sängrin willst? Tausend Teufel! Hört das denn nimmer auf! Kommst auch Du noch, um mich mit ihr zu ärgern! Da hast Eins, Du Hallunk!«

Er holte aus und versetzte dem Anton einen sehr kräftigen Peitschenhieb. Der Getroffene bewegte sich nicht, aber seine Augen funkelten zornig auf.

»Was hast mich zu schlagen, he! Hab ich Dir etwan was than, Thalmüllern?«

»Ja, geärgert hast mich!«

»Ich hab nach der Sängrin fragt, und die Magd hat mir sagt, daß ich sie hier finden thät.«

»So hats Dich belogen.«

»Hast da mich zu schlagen, wann sie die Prügel verdient hat? Ich komm ganz höflich zu Dir herein und steh Dir Reden und Antworten, und dafür haust mich mit dera Peitschen! Das bin ich nicht gewohnt!«

»Wirsts gleich gewohnt werden. Da hast noch Eins!«

Er versetzte ihm einen zweiten kräftigen Hieb. Anton stand, wie gesagt, noch ganz an der Thür. Er fuhr mit den Händen hinter sich, scheinbar damit


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er von der Peitsche nicht an dieselben getroffen werde, in Wirklichkeit aber in einer ganz andern Absicht. Er griff nämlich an das Thürschloß und schob den Riegel vor. Als ihn dann der Hieb getroffen hatte, sagte er, aber in aller Ruhe:

»Hör mal, so haben wir nicht gewettet. Deine Prügel werd ich nicht gewohnt. Wannst also nicht selbern welche haben willst, so thu die Peitschen fort und sag mir in Frieden, wo ich die Sängrin find!«

»Beim Teufel findst sie, verstanden! Und wann Du mir mit Prügeln drohst, so kommst an den Unrichtigen. Ich bin der Herr im Haus, und wer zu mir kommt, der hat sich meine Arten und Weisen gefallen zu lassen. Und wannst nicht glaubst, so hast hier grad noch Eins, und zwar ein Derbs!«

Er holte aus. Der Peitschenriemen schwirrte durch die Luft. Anton streckte die Hand aus und fing ihn auf. Ein Ruck - und er hatte dem Müller die Peitsche entrissen. Er schleuderte sie zur Seite und schritt langsam auf den Haustyrannen zu.

»Nun,« sagte er, »komm auch ich an die Reihe.«

»Was willst?« fuhr der Alte auf. »Geh zuruck, und komm mir nicht zu nahe, sonst kannst auch noch eine ganze Metzen voll Feigen haben, nämlich um die Ohren!«

»Das eilt nicht sehr! Dreimal hast mich geschlagen; wir müssen vorher quitt werden, ehe Du wieder haust. Da, eins - zwei - und drei!«

Er gab dem Müller drei schallende Ohrfeigen.

Der Alte wußte gar nicht, wie ihm geschah. Die Ohrfeigen waren gesalzen gewesen; aber er fühlte vor Erstaunen den Schmerz gar nicht. Das geschah ihm - ihm - ihm! So Etwas war noch niemals dagewesen. Er starrte den Krikelanton ganz fassungslos an.

»Nun,« lachte dieser. »Was machst für Augen? Denkst noch immer an die Backpfeiferln, die Du mir versprochen hast?«

Diese Frage brachte den Müller zur Besinnung.

»Ja,« brüllte er, »da hast sie!«

Er faßte den Anton am Gürtel, um ihn an sich zu ziehen, und holte aus.

»Ah! Machst wirklich Ernst?« sagte dieser. »Schau, das kann mich gefreun. Das hab ich gern. Da wolln wir mal nander das Gesetz und den Paragraph auslegen.«

Der Hieb des Müllers hatte ihn nur leicht getroffen; jetzt aber erhob er beide Hände und beohrfeigte den Alten von rechts und links mit solcher Schnelligkeit, daß die einzelnen Ohrfeigen fast gar nicht zu unterscheiden waren, so rasch ging es.

Der Müller wollte sich wehren, er wollte schreien, um Hilfe rufen; aber er kam weder zu dem Einen noch zu dem Andern. Er brachte den Mund gar nicht auf; sobald er ihn öffnete, wurde er ihm gleich wieder von der einen oder der anderen Seite zugeschlagen. Nur ein unverständliches Murmeln und Gurgeln brachte er hervor. Mit herabgesunkenen Armen nahm er regungslos die verdiente Züchtigung entgegen, bis Anton meinte, genug gethan zu haben.


// 331 //

»So!« sagte dann dieser Letztere. »Jetzt hab ich Dir zeigt, wie man auf eine höfliche Fragen auch eine angenehme Antworten geben muß. Und Du wirst mir bezeugen, daß ich eine saubere Arbeiten gemacht hab.«

Der Müller brachte vor Wuth kein Wort heraus. Anton nahm einen Stuhl, zog ihn hin zu demjenigen des Müllers, setzte sich darauf und fuhr fort:

»Jetzt nun kennen wir uns, und da können wir also unsere Sachen in Lieb und Gemüthlichkeiten abmachen. Also, ich will zu der Sängrin, und da hat man mich zu Dir gewiesen. Du wirst mir also wohl sagen, wo ich sie finden kann.«

Der Müller erhob die geballten Fäuste, streckte sie ihm entgegen und zischte:

»Hund - ich - ich - ich zermalme - - Dich!«

Der Grimm benahm ihn noch immer die Sprache.

Anton aber meinte ruhig:

»Hör, ich kann die Schläg nicht leiden; das hab ich Dir bewiesen. Das Schimpfirn behagt mir auch nicht. Soll ich Dir das vielleicht auch beweisen?«

Die Brust des Müllers arbeitete heftig. Er bebte am ganzen Leib, und dicke Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. Er griff zur Clarinette.

»Ich werd um Hilfe blasen!« stieß er hervor. »Die Leut sollen kommen und Dich todtschlagen.«

Er hielt das alte Instrument an den Mund; aber er zitterte vor Aufregung so sehr, daß er das Mundstück nicht zwischen die Lippen brachte.

»Sapperlot, was bist für ein feiner Musikant!« lachte der Anton. »Du und das Clarinetterl, Ihr Beid paßt sehr hübsch zusammen. Aber thu es doch lieber wieder weg. Damit pfeifst keine Maus herein. Ich hab den Riegeln vorgeschoben.«

Der Müller ließ den Arm sinken. Er fragte ganz erschrocken:

»Den Riegeln? Willst mich etwan vermorden!«

»Nein. Ich komm in aller Freundschaft zu Dir. Aber als Du mich mit der Peitschen schlugst, da hab ich allsogleich merkt, wast für ein Menschenkind bist. Schau, Du bist ein Beelsebuben, der seine Leuteln vermalträterirt und mit der Peitschen vercommandirt. Sie lassens sich gefallen, weilst sie dafür zahlst und weil sie keinen Muth haben. Du meinst, daß Du der Herr bist und viel besser als Andere. Das aber ist nicht wahr. Du bist der größest Aff unter allen Afferln. So ein Orangbudang, so ein Plavian und Mehlaff, wie Du, kann auf der Welt gar nimmer sein. Das muß man Dir mal zeigen. Und weils Dir kein Andrer zeigt, so will ichs Dir zeigen, und darum hab ich die Thüren verriegelt, damit ich nicht dabei gestört werden kann.«

»Herrgott! Was willst mir thun?«

»Gar nix, wannst Verstand annimmst. Kopfnüssen hast nun bereits genug erhalten; bezahlt hab ich Dich also, und nun brauchst blos höflich zu sein, so geschieht Dir weiter nix. Wannst aber wieder mich promovirst, so regnets so viel Ohrwatscherln, daßt denkst, es graupelt in der Stuben!«


// 332 //

Was noch niemals vorgekommen war - der Müller fühlte Respect vor diesem resoluten Menschen.

»So sag, wast willst!« sprach er.

»Ich will wissen, wo die Mureni ist.«

»Da droben, grad über mir.«

»So, so! Schau, wast für ein Dummrian bist. Wannt das allsogleich gesagt hättst, so wär mirs gar nimmer beikommen, auf Deinem Gesicht Klavier zu spielen. Merks für spätem, und sei andermal gescheidter! Jetzt nun weiß ich, was ich wissen wollt, und werd gehn. Nachher wirst wohl Deine Dienstleut auf mich hetzen?«

Der Müller antwortete nicht; aber in seinem Gesicht stand die Bejahung dieser Frage geschrieben. Das merkte der Anton, und darum sagte er:

»Ich schau Dirs gleich an, daßt so was ausgesonnen hast. Aber denk nur ja nicht, daßt damit zu mir auf den Jahrmarkt kommst. Es hat kein Mensch gesehen, daß ich Dir im Gesicht spazieren gangen bin. Niemand kanns beweisen. Und nachhero, wann Dus selber denen Leuteln sagst, so wirst auslacht. Es wird kein Mensch den Andern verzähln, daß er Prügel erhalten hat. Nun mach also, wast willst. Ich hab gar nix dagegen. Du kannst Dir die Peitschen nachhero von Jemand aufheben lassen; ich hol sie Dir nicht herbei. Also nimm Dir die Lehr, die Du heut erhalten hast, fein zu Herzen, und bessre Dich, dann können wir wohl gar mal gut Freund mit nander werden. Jetzt aber leb wohl, und laß Dirs gut bekommen!«

Er stand auf, setzte den Stuhl wieder an seinen Ort, schob den Riegel zurück und ging. Kaum war er hinaus, so ertönte die Clarinette des Müllers. Ein Knecht hörte das Zeichen und kam herein.

»Hast den Kerl gesehn, der jetzt bei mir war?« lautete die Frage.

»Ja.«

»Von den Mägden hat ihn Eine zu mir herein gewiesen. Frag mal herum, welche!«

»Gut, sogleich.«

»Und gieb mir die Peitschen her!«

Der Knecht hob sie auf und gab sie ihm hin, fuhr aber dann schnell zur Thür hinaus, welche er fürsorglicher Weise offen gelassen hatte. Es war schon oft da gewesen, daß Jemand für das Aufheben der Peitsche, wenn diese der Hand des Müllers entfallen gewesen war, einen derben Hieb mit derselben erhalten hatte.

Anton war langsam die Treppe emporgestiegen. Droben stand Paula, beschäftigt, ein Rouleau am Vorplatzfenster aufzumachen.

»Guten Abend auch!« grüßte er. »Kannst mich wohl zu dera Sängrin bringen?«

Sie drehte sich um.

»Ach, Du bists?« sagte sie. »Warst nicht heut mit mir übers Wasser gefahren?«

»Ja, mit Dir und dem Fex.«


// 333 //

Und zur Sängrin willst? Zur Signora Mureni? Komm da herein!«

Sie öffnete eine Thür. Da drin stand die Leni, aber mit dem Rücken nach dem Eingange.

»Sag Ders! Die bringt Dich zu ihr,« meinte Paula.

Leni drehte sich um. Die beiden früheren Liebesleute standen einen Augenblick lang ganz bewegungslos. Leni bediente sich zuerst ihrer Sprache.

»Anton!«

»Leni!«

Sie hatte unwillkürlich ihre Arme erhoben und kam auf ihn zu. Ihr Gesicht glänzte vor Freude. Er aber blieb stehen, die Hände schlaff herabhängen lassend. Da hielt sie auch ihren Schritt an. Ihr Gesicht entfärbte sich.

»Was willst bei mir?« fragte sie.

»Von Dir? Gar nix!« antwortete er kalt.

»Und doch kommst zu mir?«

»Zu Dir? Nein. Zur Sängrin will ich, zur Mureni.«

Sein scharfes Auge stach förmlich in das ihrige hinein.

»Die bin ich ja!« sagte sie.

Er neigte den Kopf einige Male wie Einer, der seine Vermuthung bestätigt findet. Hinter ihm aber, wo Paula ganz ohne Absicht stehen geblieben war, fragte diese ganz erstaunt:

»Was sagst? Du bist die Mureni?«

»Freilich.«

»Nicht die Dicke?«

»Nein, sondern ich.«

»So bist nicht die Dienerin, sondern die Herrin?«

»Ich bin nicht Herrin und nicht Dienerin; aber ich bin Die, für welche dies Logis gemiethet worden ist.«

»Und das sagst erst jetzt! So hast ein Wenig Theatern gespielt mit mir?«

»Ja, das kann sie, das Theaterspielen,« meinte Anton in anzüglichem Tone.

»Das werd ich Dir schon bald erklären,« lächelte Leni, »erst aber muß ich nun erfahren, was der Anton von mir will.«

»Ich will nix von Dir, selbsten jetzt nicht, da ich weiß, daßt die Mureni bist. Ich komm als Bot zu Dir. Der Herr Ludewig sendet mich. Sollst gleich mal zu ihm hinüberkommen.«

»Warst etwan bei ihm?«

»Ja. Er hat mich rufen lassen.«

»Und was thust nun hier in der Gegend?«

»Ich bin Tabuletkramer worden und heut hier ankommen; morgen aber geh ich wieder fort. Jetzt hab ich meine Botschaft bestellt und kann nun wieder fort. Behüt Dich Gott!«

Er wendete sich um, ohne ihr die Hand zu bieten.

»So willst gehn?« fragte sie mit bebender Stimme.


// 334 //

»Wie anders?«

»Kannst mir nicht die Hand geben?«

»Wozu?«

»Das fragst auch noch!

»Ich hab mit Dir nix mehr zu schaffen. Du bist die Theatersängrin, und ich hab den Hausirschein auf meinen Kasten. Das paßt nicht zusammen. Adjeh!«

Er ging. Sie aber nahm schnell ihr Hütchen vom Nagel, setzte es auf und eilte ihm nach. Unten vor dem Hause holte sie ihn ein. Es war kein Mensch zu sehen, da der Knecht die Mägde zusammengeholt hatte, um die erwähnte Erkundigung einzuziehen, eine Bemühung, welche ganz vergeblich war, da die Käthe sich hütete, es einzugestehen.

Leni ergriff ihn am Arme. Er wollte sich losmachen, sie aber hielt ihn fest und zog ihn eine Strecke mit sich fort.

»Was willst doch nur von mir!« sagte er in zornigem Tone. »Wir Beid haben nix mehr mit nander zu schaffen. Dabei bleibts.«

»So, das ist Dein fester Will?«

»Ja.«

»Und ich mags noch nimmer glauben. Anton, willst mir einen Gefallen thun?«

»Sag, welchen!«

»Sag erst ja!«

»Das kann ich nicht. Ich muß wissen, wast willst.«

»So wart eine kleine Weil, bis ich zurückkomm!«

»Das ist unnöthig!«

»Nein. Wannst nicht ganz und gar schlecht sein willst, so wartst diese eine kurze Minuten!«

»Nun, für schlecht will ich grad nicht gelten. Ich werd also warten. Aber wo?«

»Es braucht uns Niemand zu sehen. Lauf also da hinüber nach dem Fluß. Dort ist ein Fels mit Sträuchern. Dort komm ich hin.«

»Gut! Aber nun mach schnell zum Herrn Ludewig. Ich sollt Dirs gleich sagen und bin doch erst lange Zeit beim Müllern gewesen. Und - eigentlich sollt ich nicht so gut mit Dir sein; aber ich wills Dir dennerst verrathen, obgleich Dus nicht werth bist.«

»Was?«

»Kennst den Ludewig?«

»Ja.«

»Was! Du weißt, daß es der König ist?«

»Das kann ich mir schon denken. Ich weiß, daß er da drüben wohnt bei dem Richard Wagner.«

»Was! Auch Der ist dabei?«

»Auch Der. Also will ich eilen. Du aber wartest ganz gewiß da drüben?«


// 335 //

»Was ich versprochen hab, das halt ich auch,« brummte er mürrisch und ging fort.

Sie wendete sich der Villa zu. Es dämmerte schon sehr, als sie dort eintrat und an die Thür klopfte.

»Herein!« sagte die ihr so bekannte Stimme Wagners.

Sie trat ein. Es war indessen eine dreiarmige Lampe angebrannt worden. Sie eilte sogleich auf den König zu, welcher auf einem Fauteuil saß, beugte die Knie und drückte ihre Lippen auf die Hand, welche er ihr unter einem wohlwollenden Lächeln entgegenstreckte. Als sie sich dann erhob, betrachtete er sie einen Augenblick, nickte wohlgefällig und sagte:

»Also als Sennerin? Ich hatte die Mureni in einem andern Gewande erwartet. Wollen wir also so thun, als ob wir uns nochmals auf der Alm befänden.«

»Ganz so?« fragte sie erröthend.

»Ja, ganz so!«

»Nun, wannts meinst, so ist mirs recht und auch noch lieber. Also willkommen auch!«

Sie knickste nach ihrer früheren Weise und that dies auch gegen Wagner, welcher ihr die Hand reichte und, auf den Concert- und Capellmeister deutend, sagte:

»Diese Herren wollen nicht glauben, daß Du die von ihnen erwartete Signora Mureni bist.«

»Weiß schon.«

»Wie? Du weißt es?«

»O, schon gar sehr gut. Wannst da dem kleinen Concertmeistern sagst, daß ich eine Sängrin bin und auch singen kann, so wird er Dirs nimmer glauben, sondern Dich alleweil gar tüchtig auslachen.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Warum auslachen?«

»Weil ich ihm was vorsungen hab, und das hat ihm gar so sehr schlecht gefallen.«

»Unmöglich!«

»Ja, da frag ihn nur gleich selber. Nicht?«

Bei dem letzten Worte nickte sie dem Italiener vertraulich ironisch zu.

»O ja!« sagte dieser. »Das ßein ein Ssängrin schauderhaft, orrido, orribile. Wenn ßie ßingen, so laufen davon die Mäußen und die Ratten.«

Wagner blickte Leni fragend in das Gesicht und meinte lächelnd:

»War das nicht wieder einer von Leni's Schalksstreichen? Darf ich erfahren, was Du dem Herrn Concertmeister vorgesungen hast?«

»Er hat sagt, daß ich jodeln soll, da draußen auf der Straßen. Der Wurzelsepp war auch dabei.«

»Ah der! So ist es leicht begreiflich, daß da irgend eine Lustigkeit ausgeführt worden ist. Und was hast Du da gejodelt?«


// 336 //

»Soll ichs etwa singen?«

»Wenn Majestät gestatten?«

Der König nickte lächelnd.

»Aber wanns nun den Herrn Concertmeistern ärgert?«

»Aergern? Mir?« sagte der Italiener. »Es kann mir nix ärgern. Nur immer ßing! Dann ßein auk ßokleik bewiesen, was ich kesakt hab, daß Du ein schauderhaft Ssängerin.«

»Nun, so will ich nur den einen Vers singen, der ihm noch am Besten gefallen hat.«

Sie stemmte den einen Arm in die Seite, setzte den linken Fuß vor und sang:

»Und da drüben und da draußen
   In das Welschland hinein,
Und da giebts so viele Flöh,
   Und da möcht ich nicht sein!«

Sie sang es womöglich noch mehr ohrzerreißend, als sie es draußen gesungen hatte. Die Wirkung blieb nicht aus: Alle fuhren sich mit den Händen nach den Ohren. Wagner sprang nach der Thür, um hinaus zu eilen. Glücklicher Weise aber war sie fertig, als er noch nicht ganz draußen stand. Er kam zurück und rief lachend:

»Das ist ja fürchterlich, entsetzlich!«

»Ja, fürchterlik, entsetzlik, schrecklik, schrecklik!« stimmte der Italiener bei. »Und da ßie saken, daß ßie können ßingen!«

»Nun,« meinte Wagner, noch immer lachend, »eigentlich sollte sie es auch können, da sie ja bei dem beabsichtigten Concerte mitwirken soll.«

»Die? Mitwirken? Schrecklik! Schrecklik!«

»Ja, denn sie ist ja unsere Mureni.«

»Unß - - Mur - -!« Die beiden Wörter blieben ihm eine Zeitlang im Munde stecken, bis nachher doch die beiden Sylben kamen - »reni!«

Er hatte den Mund weit offen und starrte Wagnern an.

»Gewiß!« sagte dieser. »Oder glauben Sie es nicht?«

»Ssie maken Spaßen!«

»Es ist mein Ernst. Ich werde Ihnen sogleich beweisen, daß sie singen kann.«

Er bat mit einer stummen Verbeugung den König um die Erlaubniß, und als dieser still lächelnd nickte, öffnete er das Pianino, setzte sich vor dasselbe und schlug einige leise Accorde an.

»Meine Herren, Signora Mureni wird die »Marterblume« von Heinrich Heine singen, wenn Sie es gütigst gestatten.«

»Componirt von - - -?« fragte der König.

»Von einem unbekannten Compernisten, wie der Wurzelsepp sagen würde.«

Diese Antwort genügte. Der König wußte nun, daß es eine jener Augenblickscompositionen Wagners sei, auf welche dieser keinen Werth zu legen pflegte, da er sie nur für gewisse Personen und Stimmen zu schreiben pflegte.


Ende der vierzehnten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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