Der Weg zum Glück - Teil 25

Lieferung 25

Karl May

15. Januar 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Um sie mal zu sehen!«

»So meine ich es nicht. Ist sie bekannt mit ihnen?«

»Ja freilich. Meine Herrin ist die Schwestern von der Martha ihre Muttern. Sie hat meine Herrschaft Onkel und Tante genannt.«

»Ach so - so! Wo befindet sie sich jetzt?«

»Daheim.«

»Und was thut sie da?«

»Was soll sie thun? Sie spielt Pianissimo und hat auch manchmal eine Häkelnadeln in der Hand.«

»Weiter nichts? Ist sie nicht in der Wirthschaft thätig?«

»Nein. Auch fährts zuweilen spazieren in der Kutschen.«

»So; so! Also spielt sie die Dame.«

»Ja, wanns so gemeint ist, nachhero ist sie freilich eine Dame. Gut hat sies freilich, besser als alle Andern im Dorf.«

Sie blickte dabei trüb vor sich nieder. Obgleich Walther sich in Folge dessen, was er soeben erfahren hatte, auch nicht in einer glänzenden Stimmung befand, that ihm das Bild der Entsagung, als welches dieses hübsche und brave Mädchen vor ihm stand, herzlich weh.

»Auch besser als Sie!« nickte er theilnehmend.

Sie hob den Blick ihrer guten Augen zu ihm auf und antwortete:

»Ich? Halten Sie mich für unglücklich?«

»Das nicht grad, aber für arm.«

»Ja, arm sind wir freilich; aberst unglücklich bin ich nicht. Mein Vatern hat mich lieb, und der Brudern hängt erst recht an mir mit seiner ganzen Seelen. Gesund bin ich auch, so daß ich herzhaft schaffen kann, und so könnt ich halt recht zufrieden sein, wann - wann - - wann nur Zweierlei nicht war.«

Sie hatte das nur zögernd ausgesprochen.

»Zweierlei?« fragte er. »Also zwei Veranlassungen zum Kummer haben Sie?«

»Ja.«

»Darf man nichts darüber erfahren?«

»Was hilfts, wann ich auch davon sprech!«

»Sie erleichtern Ihr Herz.«

»O, das bleibt dennerst fest drauf liegen. Und wanns Lehrern bei uns werden, so werdns ja Alles schon bald selber derfahren.«

»Am Liebsten erfahre ich es von Ihnen selbst.«

»So! Nun, das Eine wird mir schwer, wann ich davon sprechen soll, denn der Vatern ist in Noth gewest - - -«

»Ach, Sie meinen die Angelegenheit mit den Kartoffeln?«

»Ja,« antwortete sie, indem sie die Augen niederschlug.

»Darüber brauchen Sie sich nicht zu kränken. Das ist ja vorüber, und Ihr Vater befand sich in sehr großer Noth, wie Sie ja selbst sagten.«

»Was? Sie wissens schon bereits?«

»Ihr Vater hat es mir gesagt.«


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»Wann?«

»Vor eine Viertelstunde. Ich hatte mich verirrt und traf ihn im Walde. Er hat mich zurecht gewiesen, und wir sind recht gute Freunde geworden.«

»Das gefreut mich sehr, wann der Vatern freundlich zu Ihnen gewest ist. Er ist es sonst nimmer. Wann er mit Einem freundlich ist, das ist eine Ausnahme, auf die man stolz sein kann. Hat er Ihnen auch wohl Etwas von dem Brudern gesagt?«

»Daß er einen kränklichen Sohn hat?«

»Das ist eben meine zweite Sorg und Bangigkeiten.«

»Was hat er für eine Krankheit?«

»Kein Mensch weiß, wie mans nennen soll. Und weils halt Keiner weiß, so hat der Doctorn der Krankheiten einen gar langen und fremden Namen geben. Wer den Brudern so sitzen sieht, der sollt meinen, es sei die Verzehrungsschwindsuchten. Aberst sie ist es halt nicht, sondern etwas ganz andres.«

»Erhält er Medicin?«

»Der? Wer sollt dafür zahlen? Als es vor letzter Zeiten mit ihm zur Besserung war, bin ich als Magd nach Regensburg gangen. Für meinen Lohn hat der Vatern den Doctorn kommen lassen und die Medicinen zahlt. Da aberst ist es so schlimm worden, daß ich wiedern zuruck mußt hab. Weitern aberst giebts halt keinen Menschen, der den Arzt zahlen wollt für ihn.«

»Die Gemeinde, welche den Armenarzt honoriren muß?«

»Da dürft halt dera Silberbauern nicht der Schultheiß sein. Und nachhero will ich mir auch das Blut von denen Händen herabarbeiten, bevor ich mir sagen laß, daß ich mir von dera Gemeind ein Almosen erbitt!«

»Das ist brav, sehr brav! Was treibt denn der Bruder während der Krankheit?«

»Was soll er treiben! Zur Arbeit ist er halt viel zu schwach. So liest er, wann er ein Buch oder so was derwischen und geborgt erhalten kann. Am allerliebsten aberst thut er halt malen und zeichnen. Die allergrößt Freuden kann man ihm machen, wann man ihm ein Bleifedern schenkt und ein Bogen weiß Papieren. Da malt er in die Million.«

»Und was?«

»Ganz dummes und fremdes Zeug. Was es hier bei uns halt gar nimmer giebt. Affen, Elephanten, Tigern, Krokodilen und lauter solches Zeugs. Aberst auf jedem Bild, das er macht, ist wenigstens ein Elephant dabei, und daher wird er, weil sein Name Johann ist, also Hanns, im ganzen Dorf nur der Elephantenhanns geheißen.«

»Sonderbar! Woher hat er denn die Marotte, nur so fremde Thiere zu zeichnen?«

»Aus denen Büchern, die er lesen hat. Und Alles merkt er sich, Alles. Jeds Wort, was in diesen Büchern steht, weiß er auswendig. Es wird Einem halt ganz angst, wann man ihn von so gelehrten Dingen sprechen hört. Es will ihn hier gar nimmer leiden. Er will fort.«

»Wohin?«


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»Ich weiß den Namen nimmer. Es ist auch so ein fremds Wort, was Einer nimmer über die Zungen bringt. Wissens, der Doctoren hat sagt, der Hanns könnt leicht gesund werden, wann er in ein Land ging, was im Süden liegt, wo es warm ist. Da hat er nun meist nach solchen Büchern ausschaut, wos drinnen auch warm und südlich ist, voller Palmen und Löwen und Elephantern. Darum malt er lauter solche Sachen, und darum redet er nur davon, daß er dorthin möcht nach - nach - - -«

»Nach dem Orient?«

»Orient! Ja, ja, das ist das Wort, worauf ich nimmer kommen bin. Dahin will er.«

»Der Aermste! Dazu gehört Geld!«

»Wohl viel?« fragte sie naiv.

»Sehr viel!«

»Da derschreck ich fast. Ich hab im Stillen bei mir denkt, daß ichs doch vielleicht dermachen kann.«

»Was?«

»Das Geld zu verdienen. Schauns, in großen Städten, da erhält ein Dienstmädchen mehr Lohn als in kleinen. Da hab ich denkt, wann ich nach München geh und erhalt am Monat zehn Mark, so sinds hundertzwanzig im Jahr. Wann ich nachher zwei Jahren hindurch dienen thu und leg Alles zusammen, so sinds zweihundertundvierzig. Das ist doch ein ganz erstaunlich Geld, und ich sollt meinen, daß der Brudern dafür nach dem Orient gehen und gesund werden könnt.«

Sie rechnete ihm das mit einer Begeisterung her und in einem so vertraulichen Tone, daß es ihm so wohl und doch auch so weh im Herzen that. Dieses gute, schöne, aufopferungsfreudige Mädchen wollte Alles, Alles hergeben, um den Bruder gesund zu sehen. Durfte er ihre glückliche Illusion zerstören? Durfte er ihr sagen, daß selbst ein zehn Jahre langes Dienen und Sparen nicht zu der Summe führen könne, welche nöthig war, den Wunsch des kranken, wohl unheilbar kranken Bruders zu erfüllen? Nein, das wäre Grausamkeit gewesen! Er wollte die Familie und besonders den Bruder erst näher kennen lernen. Nachher konnte er eher ein Wort über diesen Plan des Mädchens sprechen. Darum antwortete er jetzt, ernst und nachdenklich nickend:

Ja, das ist freilich eine tüchtige Summe.«

»Man könnt sich gar eine Kuh dafür kaufen und nachhero mit Milchen, Butter und Käs handeln. Aberst noch besser ists, der Hanns wird gesund. Aberst wann ich von ihm fortgeh in den Dienst, nachhero wird es wieder schlimmern mit ihm, das weiß ich schon. Der Vatern kann mit seiner einen Hand nix verdienen, und wann ich fort bin, ists gar ganz aus.«

»Was arbeiten Sie daheim?«

»Allerlei. Ich halt unsere kleine Wirthschaften in Ordnung, geh zu denen Bauern, wanns eine Arbeiten im Feld oder im Garten giebt, und mach sodann auch heimlich für die Frauen und Töchtern, was sie nicht können.«

»Was wäre das?«


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»Nun, ich hab in Regensburg meiner Herrin das Häkeln und das Sticken ablauscht und mich in dera Nacht übt, wanns denkt hat, ich schlaf. Hier in Hohenwald nun giebts Keine, die das kann, und so mach ichs für sie.«

»Aber die Martha kann es doch?«

»Ja, sie hats wohl lernt, aberst sie ist zu faul dazu. Da muß ichs arbeiten, und nachhero sagt sie, daß sie's macht hat. Das bringt mir gar manchen Groschen ein. Sie könnens glauben. Wann dies nicht wär, so müßten wir halt doch verhungern.«

»Bitte, wo wohnen Sie?«

»Beim Feuerbalzer.«

»Wer ist denn das?«

»Der war ein reicher Bauer; aberst er ist schnell arm worden, weil er mit dem Silberbauern ganze Nächte lang spielt hat um die Thalers und Gulden und wohl oft auch um die Dukaterln. Nachhero ist sein Gut eines Nachts wegbrannt, und darüberst ist er gar verruckt worden. Jetzt geht er umher, und weiß nimmer, was er thut. Aber ich möcht nun fast verschrecken, daß ich so dasteh und mit Ihnen schwatz. Ich muß ja noch nach dera Stadt hinein!«

»Haben Sie dort nothwendig zu thun?«

»Ja. Ich will diese Schwammerln hineinschaffen. Da erhalt ich grad so viel, daß ich mir eine kleine Duten mit Kaffee kaufen kann. Wissens, dera Vatern trinkt gern den Kaffee. Das ist sein Leben, wann er so eine altbackene Brotrinden hineinbrocken kann. Und nachhero bleiben mir auch noch ein paar Pfennige über für einen Bogen Zeichenpapier für den Brudern. Jetzt also muß ich fort.«

»Ich geh noch ein Stuck mit Ihnen.«

»Ich hab denkt, Sie wollen ins Dorf hinein?«

»Ja.«

»So geht mein Weg anderst als der Ihrige.«

»Ich denk, Sie müssen durch das Dorf?«

»Eigentlich ja. Aberst weil ich so lang hier standen bin und die schöne Zeiten versäumt hab, so muß ich das jetzund wieder einholen und werd nun gleich grad durch den Wald hineinlaufen.«

»Sie werden doch nicht etwa wieder auf den Silberfritz stoßen!«

»O nein. Vor dem hab ich nun alleweil Ruhe.«

»War es das erste Mal, daß er Sie in dieser Weise belästigt hat?«

»O, was denkens? Der hat auf mich lauert auf Schritt und Tritt: aberst so arg wie heut ist er doch noch nie gewest. Ich weiß halt gar nicht, wie ichs Ihnen danken soll. Sie sind mir grad wie ein Rettern in dera größten Noth derschienen.«

»Das bedarf keines Dankes.«

»O doch! Ein Andrer hätt sich gar nimmer an den Silberfritz wagt, denn der ist als der stärkste Bursch in der ganzen Umgegend bekannt. Wer


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Sie so anschaut, der kann halt gar nicht denken, daß Sie so eine gar besondere Körperkräften besitzen.«

»So? Ich seh also nach gar nichts aus?«

Er sagte das im Tone scherzhafter Beleidigung. Sie glaubte, es sei Ernst, und so antwortete sie schnell:

»So wars halt nicht gemeint, bei Leibe nicht! Sie sehen schon nach was aus! Das versteht sich!«

Dabei glitt ihr Blick in unbewußtem Wohlgefallen über seine zwar nicht auffallende aber doch sehr stattliche Gestalt.

»Nun, nach was denn?« fragte er.

»Nach - nach - ja, wer kann das sagen! Dazu bin halt ich gar viel zu dumm. Hübsch sehens aus und reputirlich, gut und brav und wie Einer, der was lernt hat und sich vor Niemand nicht zu fürchten hat.«

»So gefalle ich Ihnen?«

Bei dieser Frage wurde sie glühend roth. Dennoch aber antwortete sie sogleich:

»Freilich wohl. Ich hab schon damals gern nach Ihnen geschaut, als ich in Regensburg dient hab. Wissens, das ist grad so, wie wann die Gans sich das Roß anblickt. Sie wird gerupft und kostet zwei Mark; das Roß aber ist das vornehmste Thier auf dem Gut und kostet wohl gar über tausend Mark. Jetzt nun muß ich schönen Dank sagen für die Hilf, die Sie mir bracht haben. Wann ich Ihnen einen Gefallen thun könnt, einen recht gar großen, so wollt ichs von Herzen gern thun.«

»Das freut mich sehr. Menschen haben einander nöthig, und so ist es möglich, daß ich mir recht bald von Ihnen einen kleinen Dienst erbitten muß. Aber da am Ende fällt mir ein, daß wir so viel von dem Silberbauer gesprochen haben, und ich hab aber noch gar nicht nach seinem Namen gefragt.«

»Claus heißt er. Aber wanns mit ihm sprechen, so sagens ja nicht so blos weg Claus, sondern Herr Claus.«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Aberst dieses Herr muß bei ihm ganz besonders betont werden. Am allerliebsten aberst läßt er sich Herr Silberbauern nennen. Merkens wohl!«

»Ich ahne bereits, daß ich nicht allzu höflich mit ihm verkehren werde. Doch haben Sie Dank für Ihren guten Rath. Ich will Sie nun nicht länger aufhalten. Behüt Sie Gott, Liesbeth.«

Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie legte die ihrige hinein und sagte, beinahe verschämt:

»Sie wissen, daß ich Liesbeth heiß?«

»Ihr Vater hat den Namen genannt, und auch bereits in Regensburg kam es vor, daß ich ihn hörte - wenn Sie zum Beispiel einen Gang zu thun hatten und sich bereits auf der Straße befanden, und Ihre Madame rief Ihnen noch Etwas aus dem Fenster nach. Sie müssen nämlich wissen, daß ich Sie immer gern so von Weitem beobachtet und angeschaut hab.«

»Jetzt spottens über mich!«


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»Davor sollte mich Gott behüten! Ich habe Freude gehabt, daß Sie immer so nett und blitzsauber gingen.«

Er hielt ihr Händchen noch immer in der seinen. Sie senkte den Blick und meinte:

»Nett und blitzsauber? Herrgottle, wanns halt auch so wär! Aber wann man gar so arm ist und kaum Etwas hat zum Anziehen, so ists halt gar schwer, so zu sein, wie ein accurat Weibsbild sein muß. Wann Unsereins sich ein Röckerl oder eine Schürzen kaufen will, da muß man sichs vorher am eignen Mund absparen, wann man nicht gar den Vatern und den Brudern darben lassen will.«

»Ich glaubs, ich glaubs!« sagte er ernst. »Aber es wird Ihnen wohl auch einmal besser gehen als jetzt. Ich habe mich herzlich gefreut, Sie wiederzusehen und will Sie nun ja nicht länger hindern, Ihrem Verdienste nachzugehen. Leben Sie wohl, Liesbeth!«

»Behüts Gott, Herr Lehrern!«

Sie schüttelten sich herzhaft die Hände und trennten sich. Sie ging grad in den Wald hinein, und er folgte dem Wege, welchen der Finkenheiner ihm beschrieben hatte, und welchen vor ihm auch der Silberfritz gegangen war, um sich nach dem Dorfe zu begeben.

Dieser Weg folgte den Erhöhungen und Senkungen des Bodens, war bald breiter und bald enger, je nachdem das Terrain es gestattete, und schien sehr fleißig betreten zu sein.

Bei einer solchen Bodensenkung wurde er zum engen Hohlwege, welcher steil abwärts und dann ebenso steil aufwärts führte. Da erblickte Walther eine alte Frau, welche an der Seite des Weges stand und sich schier über ihre schwachen Kräfte mit einem Tragkorb abmühte, den sie nicht auf ihren Rücken bringen konnte. Der Korb war hochauf mit dürrem Lesholz gefüllt, wie arme Leute es ja im Walde zusammensuchen dürfen. Um ihn auf den Rücken nehmen zu können, hatte die Alte ihn auf die Böschung gestellt; sie selbst stand unten auf dem Wege und bemühte sich, die beiden Tragbänder über ihre Achseln zu ziehen und unten wieder am Korbe zu befestigen. Aber so oft sie diesen Versuch machte, merkte sie, daß der zu sehr beladene Korb für sie viel zu schwer sei.

Sie mußte arm sein, sehr arm. Sie war barfuß und hatte jedenfalls nur einen einzigen Rock an. Dieser, aus roth und schwarz gestreiftem Flanell gemacht, war vielfach zerrissen gewesen und sorgsam wieder geflickt worden. Aber leider hatten die Flickflecke nicht nach der Farbe des ursprünglichen Zeuges gewählt werden können, und so waren an diesem Kleidungsstücke fast alle Farben des Regenbogens zu sehen. Oberhalb dieses Rockes trug die Alte ein schwarzes, bis hoch an den Hals gehendes Leibchen. Eine blaue, auch sehr geflickte Schürze war über den Rock gebunden, jetzt aber aufgerafft worden, weil die Frau irgend Etwas darinnen verwahrt trug. Eine Jacke oder einen Spencer gab es nicht, und so ragten die dürren, runzeligen Arme nackt aus dem Leibchen hervor, eben nur von den kurzen Aermeln eines groben, auch ausge-


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besserten Hemdes bedeckt. Ein Kopftuch oder eine sonstige Kopfbedeckung war auch nicht vorhanden und das graue Haar ganz kurz abgeschnitten, grad wie bei einem Manne. Das gab der Alten ein nicht eben sympathisches Aussehen. Und doch zeigte das runzelvolle, von der Sorge der Noth abgemagerte Gesicht noch Spuren, welche darauf schließen ließen, daß es einst sehr hübsch, vielleicht sogar schön gewesen sei.

Als diese Greisin den Lehrer kommen sah, schmiegte sie sich so eng an die Wegböschung, daß er ja ganz bequem vorüber könne, ohne sie zu berühren. Dabei machte sie einen ehrerbietigen Knix und grüßte:

»Gelobt sei Jesus Christus.«

»In Ewigkeit!« antwortete er.

Als er dabei sein Auge auf sie richtete, blickte sie ihn so stumm flehend an, daß es ihn innerlich erbarmte. Diese Frau mußte viel ausgestanden, viel innerliche und äußere Noth erfahren haben.

»Haben Sie Hunger?« entfuhr es ihm.

Sie sah aber auch wirklich ganz so aus, als ob seit langer Zeit kein Bissen über ihre Lippen gekommen sei. Sie öffnete den Mund, als ob sie antworten wolle, gab aber ihre Antwort dennoch stumm. Sie schüttelte die Kopf und öffnete ihre Schürze, um ihm eine kleine Anzahl Pilze sehen zu lassen, welche sich in derselben befanden. Er verstand nicht, was sie meinte, und erkundigte sich also:

»Warum soll ich diese Pilze sehen?«

»Weils mich fragen, ob ich Hunger hab.«

»Ach so! Was meinten Sie also damit?«

»Daß ich keinen hab, weil ich Pilze gessen hab.«

»Gleich so roh, wie sie hier sind?«

»Ja.«

»Mein Gott! Wer kann solche Schwämme essen, bevor sie zubereitet sind!«

»Wer kein Geld - aberst dafür Hunger hat.«

»Haben Sie kein Brod daheim?«

"Haben Sie kein Brod daheim?"

Sie schüttelte traurig den Kopf.

»Und auch nichts Anderes?«

»Ein paar Stoppelrüben noch vom vorigen Jahr.«

»Aber da können Sie doch gar nicht existiren!«

»O wir existiren schon bereits eine lange Zeit so. Jetzt haben wir freilich Hunger. Aberst wann ich mit dem Holz nach Haus komm, nachhero können wir Feuern machen und die Rüben kochen und auch die Schwammpilzen dazu.«

»Und nachher?«

»Ja, nachhero - - dann gehn wir zu Bett.«

»Und morgen?«

»Da wirds halt wieder so wie heut.«

»Habt Ihr kein Feld?«

»Keinen Teller voll Land.«


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»Aber ein Handwerk, ein Geschäft?«

»Auch nimmer. Ich bin an die sechsundsiebzig Jahre; mein Sohn ist nimmer richtig im Kopf und kann nix verdienen, und meine Schwiegertochtern liegt krank auf der Streu und jammert den ganzen Tag über weiter nix, als daß sie Hungern hat und Schmerz dazu.«

»Mein Gott! Erbarmt sich denn Niemand über Euch!«

»Wer denn? Etwan der Silberbauern? Der spuckt uns höchstens an, wann er uns derblickt. Oder die Andern, die auch nix haben, weil er ihnen Alles nommen hat, grad wie uns? Nein! Wann nicht die Liesbeth zuweilen kommt und mir ein Stück Brod heimlich zusteckt, so hab ich nix als Rüben und Pilzen jetzunder.«

»Meinen Sie die Tochter des Finkenheiner?«

»Ja.«

»Die hat doch selber nichts!«

»Die? Ja die ist grad so arm wie wir; aber sie hat doch immerst Etwas für uns, einen Happen Brod, ein warms Kartoffel, eine Spinatensuppen, dies aberst aus Brennesseln macht hat; auch ein kleines Backobsten bringts zuweilen, und in voriger Woch hats gar ein Stuckerl Fleisch bracht. Wohers das gehabt hat, das weiß halt auch nur der liebe Herrgott. Sagen aberst thuts nix davon. Das Dirndl ist der wahre Engel für uns und auch für andre Leutln.«

»Wie lange sind Sie heut bereits im Walde?«

»Seit fruh Morgens drei.«

»So lange haben Sie Holz gesammelt?«

»Ja, und Pilzen gessen.«

»Da müssen Sie aber doch todmüde sein!«

»Freilich wohl.«

»Und da wollen Sie den schweren Korb noch tragen?«

»Muß ich nicht?«

»Aber Sie können ihn ja nicht einmal heben!«

»Wann ich ihn nur erst mal auf dem Rucken hab, nachhero wank ich schon auch mit demselbigen fort.«

»So lassen Sie doch einen Theil des Holzes zurück! Dann bringen Sie das Uebrige leichter fort.«

»Ja, mein gutes Herrle, das thät ich schon, wann nicht morgen der heilige Sonntag wär. Da kann ich doch nicht in den Wald, und bis zum Montag reicht doch das Holz nachher nimmer aus. Am Sonntag geh ich nicht in den Wald. Da will ich meine Kirchen haben, meine Predigt und ein Liedl dazu. Das ist das Einzge, was man auf dera Erden noch hat, bevor man stirbt. Wann ich den Trost nimmer hätt, so wär ich schon längst vergangen vor Gram und Herzeleid.«

»Wo wohnen Sie denn?

 »In dera Flachsdörre.«

»Was! In einer Flachsdörre wohnen Sie?«


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»Ja freilich. Und wir sind gar noch froh, daß wir es so gut derwischt haben. Sie müssens nämlich wissen, daß die Flachsdörre ein gar großes Gebäuden ist. Unten ist dera Ofen west, wo dera Flachsen geröstet worden ist, und oben drüberst hat ein alter Bauersmann wohnt, der die Dörre baut hat und sich dabei ausbedungen, daß er bis an sein End frei da oben wohnen kann. Jetzt nun aberst wird in unsera Gegend kein Flachs mehr baut, seit der Silberbauern die ganzen Felder für sich zusammenworfen hat. Das, was die Andern haben behalten dürfen, brauchens jetzund, um ein Bisle Kartoffel, Roggen, Gerst und Hopfern darauf zu thun. Für dera Flachsen aberst giebts halt keinen Platz mehr. Darum wird die Dörre nimmer braucht, und nun wohnen wir darinnen, unten wir und oben über uns dera Finkenheiner.«

»Wie? Dann seid Ihr wohl die Mutter des Feuerbalzer?«

»Ja, die bin ich schon. Sie kennen mich also?«

»Gehört hab ich von Ihnen.«

»Freilich, mir ists an meiner Wiegen auch nicht sungen worden, daß ich mal in den Wald muß, Holz zu lesen und dabei Schwammerln essen. Ich hab gar andre Zeiten durchgemacht; das könnens mir gut glauben. Ich bin im seidnen Kleid gangen, mit dem Mieder von Sammet und goldene Spangerln daran; aber - -«

Es waren ihr die Thränen in die Augen getreten. Sie hielt inne, sich dieselben abzuwischen.

»Ich bedaure Sie!« sagte der junge Lehrer mitleidig. »Es ist dabei ein großes Glück, daß Sie Ihren Glauben und Ihr Gottvertrauen nicht verloren haben.«

»O, meinen Gott, den geb ich nicht her; den halt ich fest bis zum letzten Athemzuge! Der ist ja mein einziger Trost im Leben und im Sterben. Sie habens wohl nimmer die Noth kennen lernt und - -«

»Ich?« lächelte er wehmüthig. »Da irren Sie sich. Ich bin ein armes Waisenkind. Ich weiß, wie trocknes Brod schmeckt und der Stock dazu, wenn man einen brutalen Pflegevater hat. Ich hab arg gehungert und gekummert, um Das zu werden, was ich bin. Aber der liebe Herrgott hat auch mir geholfen. Und grad weil ich meine Hunger- und Kummerzeit nie vergessen werde, fühle ich mich als Bruder Aller, die mühselig und beladen sind.«

»Schauns, das ist ja recht schön von Ihnen! Solche Leutln findet man jetzt selten, und bei uns im Dorf alleweile fast gar nimmer. Darf ich dennerst fragen, was der Herr noch worden ist, nachdem er ein arms Waisenkind wesen war?«

»Schullehrer.«

»Ein Schulmeistern sinds? Hab mir doch gleich so was denkt! Das gefreut mich sehr. Da habens einen schönen Beruf, aberst auch einen gar schweren. Seins nur froh, daß nicht Lehrer hier in Hohenwald sind!«

»Warum?«

»Mit dem ists halt gefehlt.«

»Weils eine Strafstelle ist?«


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»Deshalb auch. Es war keine Strafstellen gewest vorher; aberst seit der Silberbauern das Heft in die Hand nommen hat, ist alles anderst worden, viel schlimmer als vorher. Da mag Niemand die Lehrerschaft hier haben, und darum wird halt immer Einer herschickt, mit dems irgendwie und irgendwo einen Haken hat. Das ging wohl an. Aberst das Allerschlimmst ist, daß der Lehrern hier nicht geachtet wird, sondern vielmehr grad verspottet.«

»Warum?«

»Weiß ichs? Niemand weiß, wie das so nach und nach kommen ist. Die Stellen bringt nicht viel ein, und so hat der Lehrern stets mit denen Bauern scharwenzeln mußt, um eine Wursten, eine Buttern, ein Brod zu erhalten, damit er auskommen kann. Das hat dera Reputationen Schaden than, und jetzund ists nun so gestellt, daß der Lehrern gar dena Hanswurstl machen muß für den Silberbauern. Wann er das nicht thut, so hält ers gar nimmer aus.«

»Ists gar so schlimm?«

»Jawohl! Der jetzige hats gar nicht lange Zeit trieben. Er ist vom Bauern verführt worden und hat im Wirthshaus sessen, anstatt in dera Schulen. Da habens ihn halt fortgejagt. Gestern ist er weg, weit fort. Man sagt, er sei Schreiber worden bei einem Adverkaten. Heut nun soll dera Neue kommen. Wann er nicht käm, so könnt morgen gar nicht mal Kirch gehalten werden von wegen der Orgel.«

»So ist man wohl neugierig, was für ein Mann er sein wird?«

»Freilich wohl. Am Neugierigsten ist der Silberbauern. Er hat den Dorfwächtern ausgesandt auf dera Straßen nach der Stadt. Der soll ausschaun, ob Einer kommt, der wie ein Schulmeistern ausschaut, und ihn sogleich ins Wirthshaus bringen.«

»Ach so!«

»Ja, so schauts aus! So beginnts, und so ähnlich muß es nachhero auch enden.«

»Weiß man denn nichts Bestimmtes über ihn?«

»Nein. Freilich ein gar sehr braver wirds wohl auch nicht sein, eben weil er zu uns gesandt wird, und der Herr Pfarrern hat sich auch bereits wegen ihm mit dem Silberbauern zankt.«

»Wieso und warum?«

»Der Lehrern hat stets beim Silberbauern wohnt, droben überm Pferdestall. Er hat ihm die Schreiberei versorgen müßt, die in der Gemeind vorkommen, denn der Bauern ist der Schultheißen und schreibt nicht gern. Dafür hat dera Lehrern die Stub erhalten, und dera Bauern hat ihn gleich gut bei der Hand gehabt, zur Bedienung, zum Trinken und gar auch zum Allodria. Dera Neue aberst hat das vielleichten nicht wußt und darum seine Büchern und andre Sachen, als er sie voraufschickt hat, an den Herrn Pfarrern veradressirt. Das hat dera Silberbauern nicht leiden wollen. Er hat die Sachen heraus verlangt. Der geistliche Herr aber hat sagt, was an seine Adressen kommt,


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das hab er auch zu verwahren. Nun soll der Lehrer auf dera Straßen auffangt und gegen den Pfarrern hetzt werden. So geht halt gleich dera Teufel los.«

»Wann dies so ist, so ist der neue Lehrer nicht sehr zu beneiden.«

»Gar nimmer. Wann nur mal Einer käm, der sich vor dem Bauern nicht fürchten, sondern ihn gehörig anknurren thät wie ein Kettenhund. Das thut gar Manchen freuen, und nachhero könnts vielleicht im Ort auch besser werden.«

»Dafür sollte doch eigentlich der geistliche Herr sorgen. Nicht?«

»Vielleicht wohl. Aberst er ist bereits sehr alt, und sein Gemüth paßt nicht zum Streit. Er ist eine Seel und ein Herz. Er kann kein Wässerlein trüben. Doch sich mit dem Silberbauern balgen, dazu ist er dera Mann nicht. Nein, ein Schullehrer muß kommen, der noch jung ist und voller Muth und sich nimmer fürchtet, vor dem Teuxel nicht und auch vor dem Silberbauern nicht. Ich, wann ich derjenige wär! Herrgottsakra, wollt ich dreinfahren!«

Sie ballte die Hand und hob sie drohend empor.

»Sind Sie denn gar so schlimm auf den Claus zu sprechen?«

»Hab ich etwan nicht Ursach dazu?«

»Ich bin fremd und weiß es nicht.«

»Und ich red gar nimmer gern davon. Aberst Sie sind freundlich gewest mit mir, und da geht mir halt das Herz über. Drum will ich sagen, daß ich all mein Unglück nur ihm allein zu danken hab.«

Sie blickte düster vor sich nieder. Er störte sie nicht. Dann erhob sie den Kopf und fragte:

»Kennens halt die Karten?«

»Ja.«

»O Jerum! So spielens vielleicht auch selber?«

»Zuweilen.«

»Da hat dera Teufel seine Krall auch bereits nach Ihnen ausstreckt.«

»Meinen Sie?« fragte er, indem es leise um seine Lippen zuckte.

»Ja. Wer dem Spielteufel mal den kleinen Fingern geben hat, den zieht er nachhero an der Hand und am Arm hinein in die Höllen. Lassens sich verwarnen. Ich hab das kennen lernt. Mein Sohn war ein braver Kerl. Er hat sein Weib lieb gehabt und mich dazu. Da hat ihm der Silberbauern die Karten zeigt, und von diesem Augenblick an ists aus gewest mit dem Glück. Da, hier steh ich halt. Schauns mich an! Das ist die reiche Balzerbäurin, die ihre Gulden und Thalern mit dem Maß gezählt hat. Wie schauts jetzunder aus? Kein Strumpf und kein Schuh und keinen Spencer! Und in der Kirch kriecht sie hinter den Balken, damits nur nicht gesehen und verspottet wird. Und wer ist schuld? Der Eine, Der, Der!«

Sie drohte abermals mit der gehobenen Faust nach dem Dorfe zu. Dann fuhr sie fort:

»Und noch wärs halt nicht gar so schlimm worden, wenn das Feuer nicht


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ausbrochen wär grad in dera Nacht, in welcher das gar viele Geld bei uns gelegen hat.«

»Das ist wohl mit verbrannt?«

»Ja, Alles, Alles!«

»Das ist freilich schlimm!«

»Schlimm? O, das sagt gar nix, das Wort schlimm. Es giebt halt gar kein Wort, um auszusagen, was nachher gefolgt ist, und was wir haben erleiden müssen. Mein Sohn hat sichs so zu Herzen nommen, daß er überschnappt ist und verrückt worden. Jetzunder läuft er umher, gar nimmer wie ein Mensch. Du lieber Herrgott! Und dazu die Schwiegertochtern krank! Und ich so alt, daß ich nix mehr verdienen kann als die paar Pfennige, die ich erhalt, wann ich mal so einen Korb voll Lesholz verkauf!«

»Wie viel bekommen Sie da?«

»Einen Groschen.«

»Das ist unmöglich.«

»Meinens, daß mehr zahlt wird, hier mitten im Wald, wo ein Jeder ins Holz gehen darf? Ich sag Ihnen halt, daß drei Wochen vergangen sind, und ich hab keinen Pfennig in meiner Hand gefühlt.«

»Sie arme, arme Frau!«

»Arm? O, wanns nur das wär! Das wollt ich schon mit Geduld vertragen. Ich bin einst hochmüthig gewest, und der Fetzen, den ich mir kauft hab, hat nicht gut und theuer genug sein können. Dafür hat mich der Herrgott gestraft, und ich sag halt, daß ichs verdient hab. Aberst es ist ja noch viel schlimmer. Nicht arm allein bin ich, sondern alt, elend und jämmerlich. Meine Schwiegertochtern liegt daheim und kann nimmer auf vor Schwachheit. Sie hat ein Nervenfiebern habt, und es ist halt zum Verwundern, daß sie's ausstanden hat. Wann die Liesbeth nicht wesen wär, so hätts sterben mußt. Nun aberst soll sie eine kräftige Suppen haben. Wer aber giebt mir das Geld dazu?«

»Ich.«

Sie fuhr förmlich vor ihm zurück, als er dieses kleine Wörtchen sprach.

»Sie? Das glaub ich nimmer!« 

Warum wollen Sie es nicht glauben?«

»Weil ich in so langer Zeit keinen Menschen funden hab, der mir in meinem Elend hat beistehen wollt.«

»Auch die Liesbeth nicht?«

»Die allein!«

»Ihr Vater, der Heiner?«

»Auch Der. Diese Beiden. Nun aberst ists auch gleich aus mit der ganzen Zahl von denen Leutln, die ich hier nennen könnt.«

»So nennen Sie auch mich mit ihnen. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen einstweilen so viel zu geben, daß Sie Fleisch zu einer Krankensuppe kaufen können?«

Er zog sein Portemonnaie aus der Tasche.


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»Herrgott! Er macht wirklich Ernst!« sagte sie in einem Tone, als ob sie darüber erschrecke.

»Natürlich! Oder halten Sie es für möglich, daß Jemand über Ihr Elend scherzen könne?«

»Viele, Viele habens than!«

»Nun, so giebts auch Andre, welche dies für die größte Sünde halten würden. Hier haben Sie.«

Er hielt ihr die Hand entgegen. Sie aber streckte die ihrige nicht aus, sondern sie versteckte dieselbe unter ihre Schürze.

»Wollen Sie es nicht nehmen?« fragte er bittend.

Sie sah ihn wie geistesabwesend an.

»Soll ich - soll ich?« flüsterte sie leise.

»Sie sollen! Sie müssen sogar!«

»Nein. Ich darf nicht!«

»Warum nicht?«

»Ein armer Waisenjunge - gehungert und gekummert - trockenes Brod und den Stock!« wiederholte sie die Worte, welche er ihr vorhin von seiner Vergangenheit gesagt hatte.

»Das ist ja längst vorüber!« warf er ein. »Nein. Sie sind selber arm!«

»Ich hab so viel übrig, daß ich Ihnen diese Kleinigkeit ganz gut geben kann. Sie müssen es nehmen. Sie müssen gehorchen! Ich befehle es Ihnen!«

Er hatte mit erhobener Stimme gesprochen. Sie zuckte zusammen und streckte ihre Hand aus, doch in einer Weise, als ob sie es nur aus Furcht thue. Er legte ihr die Gabe hinein. Als ihr Blick auf dieselbe fiel, wurden ihre Augen groß und starr.

»Herrgott im Himmel! Zwei Thalern! Zwei ganze, ganze Thalern! Hier, hier, hier!«

Sie streckte ihm die beiden Silberstücke wieder hin.

»Was wollen Sie denn?« fragte er.

»Ich kanns nicht nehmen, nein, nein, nein!«

Es klang fast, als ob sie Angst vor dem Gelde hätte.

»Warum denn nicht?«

»So viel giebt Keiner!«

»Aber ich doch!«

»Weshalb? Wozu? Was soll ich dafür thun?«

»Nichts, gar nichts. Sie sollen zum Fleischer gehen und Fleisch kaufen für sich und für die Schwiegertochter. Etwas Anderes sollen Sie nicht.«

»Es ist keine Versuchung dabei, keine Verführung, wie beim Silberbauern?«

»Nein.«

»Schwörens darauf.«


// 590 //

»Ich versichere, daß ich von Ihnen für dieses Geld nichts und aber auch gar nichts verlange. Hier haben Sie meine Hand darauf.«

Er streckte sie ihr entgegen. Sie aber griff nicht nach ihr. Sie sank langsam, langsam auf ihre Kniee, drückte die zitternden Hände, in denen sie die zwei Thaler hielt, gegen ihre Brust, ihre Stirn, an ihre Lippen, küßte das harte, gefühllose Metall und sagte:

»Mein lieber Herrgott droben, jetzt hast mir Deinen Engel gesandt, grad jetzt in der schwersten Stund, die ich derlebt hab. Was ich hab thun wollt, das hast mir nicht angerechnet, sonst hättst mir die Hilf nicht gesandt. Es war zu End mit meiner Kraft und zu End mit meinem Muth. Und nun ists doch noch nicht zu End. Es giebt noch Menschen und noch Engel! O Gott, o Gott, o Gott!«

Sie begann laut und bitterlich zu weinen.

Walther lehnte sich an die Böschung des Weges, um zu warten, bis sie ruhig geworden sei. Das geschah erst nach längerer Zeit. Es wurde ihr zu schwer, ihre Aufregung zu bemeistern. Dann erhob sie sich und ergriff seine Hand, um sie an ihr Herz und an ihren Mund zu drücken. Er zog sie aber rasch zurück.

»Nein, lassens mir die Hand!« bat sie. »Ich muß sie haben, ich muß!«

Sie griff wieder darnach, hielt sie fest und drückte ihre Lippen darauf.

»Wissens, was diese Hand than hat?« fragte sie.

»Nichts Großes!«

»O, gar das Größt, das Allergrößt, was nur eine Hand thun kann auf dera Welt.«

»Ihnen eine kleine Gabe gereicht hat sie. Was ist das weiter! Sprechen wir nicht davon.«

»O nein, nicht nur das hats than, sondern viel, viel mehr. Das Leben gerettet hats mir!«

»Was - was - -!«

Er blickte sie erschrocken an.

»Ja,« nickte sie ernst.

»Sie - hätten - sich - das - Leben - nehmen - wollen -?« fragte er in Absätzen.

»Ja. Der Herrgott wirds mir nicht anrechnen. Ich hab dacht, daß ichs halt nimmer aushalten könnt. Heut Abend hab ich in das Wassern gehen wollt.«

»Mein Himmel!«

»Ja, ganz gewiß wär ich hineingegangen, wann Sie nicht kommen wären. Ich weiß, daß ein lieber Herrgott im Himmel ist; aber meine Kraft war vorbei für Das, was ich zu tragen hab. Mehr, als man Kraft hat, kann man ja nimmer thun oder dulden.«

»Das ist wahr, aber Gott der Herr, der allweise, allliebend und allwissend ist, legt Keinem mehr auf, als er zu tragen vermag.«

»Mir wards doch zu viel.«


// 591 //

»Nein. Sie haben es nur gedacht, daß es zu viel würde. Der Herrgott hat wohl gewußt, wie weit Ihre Kräfte reichen würden. Als es mit denselben auf die Neige ging, hat er Ihnen Hilfe gesandt.«

»Durch Sie.«

»Ja, durch mich; deß bin ich froh und glücklich. Aber stand es denn wirklich so bös in Ihrem Hause, daß Sie auf einen so schlimmen Gedanken kamen?«

»Es war schlimm, so schlimm, daß ich gar keinen klaren Gedanken mehr gehabt hab. Nur weg hab ich wollt, weg, ganz weg.«

»Und daran haben Sie nicht gedacht, daß es eine Todsünde sei, was Sie thun wollten?«

»Ich hab halt schon sagt, daß ich gar nix mehr dacht hab. Die Schwiegertochtern hat gewimmert und geweint vor Hunger, und der Heiner und die Liesbeth haben auch nix mehr geben konnt. Das gute Dirndl hat selber seit gestern hungert und heut in der Früh ihrem Vatern das letzte Stuckerl Brod mit in den Wald geben - -«

»Und das hab ich ihm weggegessen!«

»Sie? Wie ist das kommen?«

»Hätt ich das gewußt! Hätt ichs gewußt! Ich hatte zwar auch wirklich Hunger, mehr aber als aus Hunger that ich es in der Absicht, ihm zu zeigen, daß ich eine Gabe von ihm hoch schätze.«

»So habens ihn im Wald troffen?«

»Ja. Und auch seine Tochter Liesbeth.«

»Hat sie Pilzschwammerln funden?«

»Ja.«

»Sie hats in die Stadt tragen wolln, damit der Vatern heut am Abend was zu essen hat.«

»Die gute, gute Tochter! Also auch mit Ihnen hat sie ihr Brod getheilt?«

»Ihr allerletztes. Nachhero hatten wir nix weitern. Die Schwiegertochtern hat geweint, und der Sohn hat auf der Streu gesessen und sich immer gekrümmt und um Gnad gebettelt, daß es zum Derbarmen gewest ist und ich hab glaubt, daß ichs nimmermehr aushalten kann. Da hab ich denkt, noch einen Korb voll Holz zu holen und hernach ins Wassern zu gehen.«

»O, Ihr Kleingläubigen! Warum zweifelt Ihr!«

»Wanns Einer wären, der die Noth nicht kennt, so thät ich anderst antworten. So aberst kann ich nur sagen, daß die Trübsalen mir wirklich bis herauf an die Kehlen gangen ist. Es war zum Dersticken.«

»Ich glaube es wohl. Nun aber können Sie wieder athmen, und wenn ich es vermag, sollen Sie nicht wieder in so schwere Sorge fallen.«

»Ja, ich glaubs, daß Sie's thäten, wanns könnten. Aberst das ist doch nicht möglich.«

»O, ein Stück Brot hab ich immer übrig.«

»Aber bei uns sinds nicht.«

»Nicht? Freilich werd ich in Ihrer Nähe sein.«


// 592 //

»Wo? Wohl in der Stadt?«

»Nein, sondern in Hohenwald selbst.«

»Wie? Da werdens wohnen?«

»Ja. Ich will es Ihnen sagen: Ich bin der neue Lehrer.«

Sie öffnete den Mund, machte große Augen und blickte ihn an, ohne zunächst ein Wort zu sagen. Sodann stieß sie langsam hervor:

»Sie - der - neue - Lehrern?«

»Ja.«

»Wann - dies - wahr - wär!«

»Freilich ists wahr. Warum sollte ichs sagen, wanns unwahr wäre!«

Da streckte sie ihm beide Hände zugleich entgegen und rief in fast jauchzendem Tone:

»So mag der Herrgott Ihren Eingang segnen! Und ich will die Allererste sein, die Sie willkommen heißt!«

»Der Finkenheiner hats auch schon gethan,« sagte er, ihre Hände schüttelnd.

»Der? Dem gönn ichs gern. Jedem Andern aberst wär ich gram drüber gewest. Gott sei Dank! Endlich kommt da mal der Mann, den wir bei uns im Dorf brauchen können!«

»Jubeln Sie nicht zu früh!« sagte er. »Sie können ja gar nicht wissen, ob ich auch der richtige bin.«

»Sie sinds! Darauf möcht ich wohl schwören! Ich seh es, ich hör es, und ich fühls hier in meinem Herzen. Weiß auch die Liesbeth es bereits?«

»Ja.«

»Na, das wird eine Freuden sein! Aber warum kommens nicht auf dera Straßen?«

»Ich liebe den Wald und wollte durch denselben meinen Einzug halten.«

»Und wo werdens wohnen? Etwan beim Claus?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Nur nimmer bei diesem!«

»Es könnte für ihn und die Gemeinde grad gut sein, wenn ich bei ihm wohnte.«

»Das glaube ich nimmermehr.«

»Giebt es denn auch andre Wohnungen?«

»Es muß Rath geschafft werden.«

»Im Schulhause ist wohl keine Wohnung?«

»Wo denkens hin? Die Kirchen ist so klein, daß man dera Decken mit dem Kopf einistoßen kann. Beim Pfarrhaus kann man mit der Hand grad aufs Dach langen, wann man vor dera Hausthüren steht, und ein richtigs Schulhaus haben wir gar nicht.«

»Wo wird denn da die Schule gehalten?«

»Nun ja, im Schulhaus; so wirds ja genannt. Aberst eigentlich ists Spritzenhaus. Daran ist eine kleine Stuben baut worden, worinnen die Kindern zusammen kommen und den Unterricht erhalten.«

»O weh!«


// 593 //

»Ja, wanns aus einer großen Stadt herkommen, so werdens halt bald wiederum fortgehen wollen. Und nun gar zur Straf hier sein! Aberst das kann ich mir bei Ihnen schon gar nicht denken.«

»Das ist auch nicht der Fall. Ich hab mich ganz freiwillig nach Hohenwald gemeldet.«

»Das hat Ihnen dera Herrgott eingeben! Jetzt nun wartet der Dorfwächter auf dera Straßen, und Sie kommen von der ganz andren Seiten. Da werden sich die Leuteln schier wundern. Schauns nur, daß Sie bald hinkommen. Ich hab Sie bereits allzu lang aufihalten. Aberst mit dena zwei Thalern weiß ich wirklich nicht, ob ich sie behalten darf!«

»Sie gehören Minen.«

»So will ichs nehmen und dera Herrgott wirds Ihnen hundertfach wieder schenken. Jetzt, wanns immer gradaus gehen, sinds in einer Viertelstunden am Dorf, da, wo der Gasthof steht.«

»Wollen Sie mich denn so gern los sein?«

»Ja, mit mir könnens doch nicht laufen!«

»Warum nicht?«

»Mit -«

Sie sprach es nicht aus; aber sie sah ihm in das Gesicht, als hätte er etwas ganz Unbegreifliches gesagt.

»Freilich möcht ich grad mit Ihnen gehen,« sagte er.

»Wollens im Dorf verspottet werden?«

»Auf die Stimme Derer, welche darüber spotten möchten, gebe ich gar nichts.«

»Aberst schauens halt mich an!«

»Grad so, wie Sie sind, sind Sie mir recht.«

Ihre Augen wurden wieder feucht. Man sah es ihr an, daß sie sich bemühte, ihre Rührung zu verbergen. Sie ergriff seine Hand und sagte mit beinahe schluchzender Stimme:

»Sie sind ein wahrer Mann Gottes! Daß Sie mit Einer gehen wollen, das ist mir fast noch liebern, als die zwei Thalern, mit denens mich gerettet. Wanns so weitern wirken im Dorf, wies heut anfangt haben, dann wirds bald ganz anderst aussehen bei uns. Das könnens glauben.«

»Ich werde meine Pflicht thun, so weit es in meinen noch jungen und bescheidenen Kräften steht. Aber da fällt mir ein, daß Sie vorhin von Ihrem Sohne sagten, daß er um Gnade gefleht habe.«

»Das thut er immer.«

»Wann?«

»Immerfort, bei Tag und Nacht.«

»Wen fleht er an? Gott?«

»Ja, wann wir das wüßten!«

»Hm! Sonderbar! Wie spricht er denn?«

»Er sagt nur immer ganz dieselbigen Worte: >Nimms hin, nimms hin!


// 594 //

Ich sag halt nix! Gnade, Gnade!< Diese Worte bringt er stets, kein anderes, kein einziges.«

»Das ist nicht nur sonderbar, sondern sogar auffällig.«

»Meinens?«

»Ja, sogar sehr bedenklich. Was mag er meinen mit den beiden Worten: Nimms hin! Etwa das Geld?«

»Das haben wir auch schon denkt.«

»Dann müßte es Einen geben, der ihm das Geld abgenommen hat.«

»Das, was bei uns lag?«

»Vielleicht.«

»Herrgott! Was das für ein Gedank ist!«

»Freilich ein sehr schwerer.«

»Vielleicht meint er auch mehrere Personern?«

»Nein. In diesem Falle würde er sagen: Nehmts hin! Er aber sagt: Nimms hin! Das deutet darauf, daß er es nur mit einer einzelnen Person zu thun zu haben glaubt. Macht er vielleicht Gesticulationen dabei?«

»Ja freilich, und immer auch ganz dieselbigen. Er kniet dabei und hält beide Händen vor den Kopf, als wann jemand ihm einen Hieb geben wollt.

»Das ist doch höchst bedenklich. War er denn vor dem Feuer seiner Sinne vollständig mächtig?«

»Ganz und gar.«

»Und nach dem Feuer war er sogleich geisteskrank?«

»Erst war der Körpern krank.«

»Was fehlte ihm?«

»Es war ihm ein Balken auf den Kopf stürzt.«

»Ach so!« dehnte der Lehrer in bedächtigem Tone. »Sah man die Spur davon?«

»Freilich. Er hatte eine lange Wunde im Kopf. Die Hirnschale war entzwei.«

»Und da hatte er natürlich keine Besinnung.«

»Nein.«

»Sie ist ihm auch nicht wiederkommen?«

»Er ist so blieben, wie er nach dem Feuer war. Er kennt seinen Namen und er kennt mich und seine Frau, aberst weiter keinen Menschen. Er macht Alles wie im Schlaf und wie im Traum und sagt nix als die Worte, die ich erwähnt hab.«

»Hm. War die Wunde offen?«

»Nein. Die Haut war ganz. Wir mußten Eis auflegen, und nachhero ist der Kopf selber heil worden.«

Der Lehrer blickte still vor sich nieder. Dann fragte er weiter:

»Also der Silberbauer ist Euer Feind?«

»Unser bösester.«

»Bekümmert er sich zuweilen um Ihren Sohn?«

»Jetzt nimmer.«


// 595 //

»Aber vorher?«

»Als derselbige noch krank lag, kam er alle Tage.«

»Was that er da?«

»Er saß stundenlang und hörte zu, wann mein Sohn in der Irre sprach.«

»Können Sie sich auf den Tag, an welchem Ihr Gut wegbrannte, genau besinnen?«

»Wie auf gestern und heut, denn einen solchen Tag vergißt man niemals nicht im Leben.«

»Zu welcher Tageszeit brach das Feuer aus?«

»Des Nachts.«

»War der Claus vorher bei Euch gewesen?«

»Nein.«

»Wie ist das Feuer ausgebrochen?«

»Kein Mensch weiß es. Alle Leuteln sagen, daß es anlegt worden sein müsse.«

»Wo war Ihr Sohn zur Zeit als es ausbrach?«

»Wir wußtens nicht. Als wir aufweckt wurden durch den Feuernlärm, war er nicht im Bett. Aberst nachher, als ich an das Geld denkt hab und gute Worten geben hab, zu versuchen, obs noch zu retten sei, da sind die Feuernleut hinauf in die guten Stuben sprungen. Da hat er auf dera Dielen gelegen. Sie haben ihn retten wollen vor dem Geld und sind mit ihm herab. Da aber ist ein Theil dera Decken einistürzt, auf sie und auf ihn. Ihnen hats nix than; er aber hat den zerbrochenen Kopf erhalten.«

»War der Kopf nicht vielleicht schon verletzt, als er in der guten Stube lag?«

»Wer kann das wissen.«

»Hm! Hm!«

Er brummte so nachdenklich vor sich hin, daß sie endlich aufmerksam wurde und ihn fragte:

»Warum forschens so nach diesen Sachen?«

»Ich hab einen Grund dazu, welcher vielleicht aus der Luft gegriffen ist. Wir sprechen jedenfalls noch später darüber. Ich bin neugierig, Ihren Sohn zu sehen.«

»Wanns ihn anschaun wollen, so könnens zu aller Zeit kommen. Es wird eine Freuden sein, wann ich Sie bei mir seh. Nun aberst wollens aufbrechen und weiter gehen?«

»Ja. Es wird Zeit, daß ich meinen Einzug halte.«

»Aber nimmer mit der alten Frau!«

»Sie werden sich wohl in meinen Willen fügen müssen. Was würde sonst mit Ihrem Korbe werden, wenn Sie nicht mit mir gehen wollten.«

»Den trag ich heim.«

»O nein. Ich würde gar nicht wissen, wo ich ihn absetzen sollte.«

»Sie?«


// 596 //

Bei dieser Frage blickte sie ihn erstaunt an.

»Ja, ich,« lachte er vergnügt.

»Das klingt ja allbereits grad so, als ob Sie ihn gar heimtragen wollten.«

»Natürlich will ich das.«

»Jetzt aberst machns großen Spaß!«

»Nein, sondern großen Ernst!«

»O nein. Es müßt doch gar zu gespaßig sein, wann der neue Herr Schullehrern seinen Einzug halten thät mit einem Tragkorb voll Reißigholz auf dem Rucken und ein altes Weib auf seiner Seiten!«

»Genau so soll es werden.«

»Na, meinswegen auch!« lachte sie.

»So geben Sie den Korb her!«

Bald hatte er ihn auf dem Rücken.

»So, das geht ja ganz gut!« sagte er heiter.

»Ja, wann man eine solche Körperkraften hat wie Sie, dann mags gehen. Aberst jetzunder wissens nun gut, wie es ist, wann man einen Holzkorb auf dem Rucken trägt. Nun thuns ihn fein wieder herab, damit ich ihn weiter trag!«

»Werde mich hüten! Ich bin froh, daß ich ihn hab.«

»Aber ich bitt gar schön! Sie werden doch nicht etwan aus dem kleinen Gespaß einen Ernst machen!«

»Freilich ists Ernst!« antwortete er, indem er, mit dem Korbe auf dem Rücken, wacker auf dem Wege voranschritt.

»Um Gotteswillen, so wartens doch!« rief sie.

»So kommens doch!« rief er lustig zurück.

»Sie reißen mir ja aus!«

»Nein. Sie brauchen blos an meine Seite zu kommen, so sind wir schön beisammen.«

Sie lief, so schnell sie konnte, bis sie ihn eingeholt hatte; dann sagte sie, ihn am Arme fassend:

»Da bin ich schon.«

»Das ist recht.«

»Aberst nun gebens auch den Korb herab!«

»Aberst nun lassens auch den Korb oben!«

»Sie dürfen sich nimmermehr damit schleppen!«

»Nein, Sie nicht!«

»Und gar noch dazu lächerlich machen!«

»Pah! Wer mich auslacht, der ist ein großer Esel!«

»Im Dorfe giebts ja nur lauter Eseln! Die werden halt alle lachen. Das weiß ich gewiß.«

»So lache ich mit, und zwar länger als sie, und wer zuletzt lacht, der hat gewonnen.«

»Aberst der Respect ist fort!«


// 597 //

»Ich hab ganz großen Respect vor mich.«

»Das hilft Ihnen nix.«

»Von den Andern werde ich ihn mir schon verschaffen.«

»Aberst ich kanns nimmermehr zugeben!«

Sie hielt ihn noch immer am Arme und strengte jetzt ihre ganze Gewalt an, ihn zum Stehen zu bringen. Er blieb auch stehen.

»Endlich!« sagte sie, tief aufathmend. »Nun seiens gut und geben ihn herab!«

»Nein, das werde ich nicht thun.«

»Dann bin ich gar bös auf Sie!«

»Und ich würde gar bös auf mich sein müssen, wenn ich mich von Ihnen verleiten ließe, Ihnen Ihren Willen zu thun.«

»Jetzt weiß ich nimmer, was ich machen soll!«

»Ich weiß es desto besser.«

»Mir ihn geben.«

»Nein,« sagte er jetzt sehr ernst. »Sie sind alt und schwach und haben zu viel aufgeladen. Sie brechen unter dieser Last zusammen. Ich aber bin jung und stark und trage sie mit Leichtigkeit auf meinen Schultern. Da versteht es sich ganz von selbst, daß der Starke die Arbeit des Schwachen thut.«

Sie sah, daß er fest entschlossen war, bei seinem Vorsatze zu bleiben. Es gab nur einen rettenden Gedanken; diesem folgte sie, indem sie sagte:

»Ich werd Ihnen auch ganz schön gehorchen und nach dem Rathe thun, dens mir geben haben.«

»Welchen?«

»Ich werf so viel von dem Holz herab, daß ich hernach den Korb leicht tragen kann.«

»Dann können Sie morgen nicht in die Kirche gehen.«

»Einmal schadet nix.«

»O doch. Der liebe Gott soll wegen einer Wenigkeit Holzes nicht verkürzt werden. Vorwärts!«

Er setzte sich wieder in Bewegung. Sie gab gute Worte über gute Worte. Am liebsten hätte sie weinen mögen vor Sorge, daß dieser gute Mann um ihretwillen sich von den Dorfleuten auslachen lassen müsse, und doch fühlte sie sich auch stolz und hoch beglückt, daß er sich nicht zu vornehm fühlte, ihr diesen so außerordentlichen Dienst zu erweisen.

Er wollte ihren Einreden entgehen und machte große Schritte. So kam er eine kurze Stecke voran. Sie rief und bat hinter ihm her - vergeblich.

Ein schmaler Seitenpfad mündete von rechts her in den Weg. Als er vorüber ging, sah er etwas Helles von da her schimmern. Er achtete nicht darauf und schritt weiter; aber nur drei oder vier Schritte hatte er gethan, so hörte er hinter sich eine tiefe, sonore Frauenstimme:

»Ja, was ist denn das für ein Spectakel hier im Wald? Wer schreit denn da, ganz als ob er gebraten werden sollt? Ah, die Feuerbalzern!«

»Ja, ich bin's,« antwortete die Alte.


// 598 //

»Warum schreist denn so?«

»Von wegen meinem Korb, denn der -«

Sie hielt mitten in ihrer Rede inne, als sie die erstaunten Gesichter erblickte, mit denen die beiden Anderen einander betrachteten.

Als der Lehrer die Stimme hinter sich hörte, war er stehen geblieben und hatte sich umgedreht, um zu sehen, wer die Sprecherin sei.

Diese war ein Mädchen im ungefähren Alter von neunzehn Jahren. Ihre Gestalt war voller, als es in diesem Alter eigentlich erwartet werden darf, hoch und stark. Sie trug einen hellen, kurzen Rock, welcher deutlich sehen ließ, daß der feine Schnürstiefel eine starke Wade unterstützte. Die blaue Jacke war tief ausgeschnitten und mit mehreren Reihen eng an einander gesetzter, silberner Markstücken ausgeputzt. Der Ausschnitt umschloß die üppige Form eines ausgebildeten Busens, welchen ein fein gefälteltes Hemd bedeckte. Um den Hals hing eine aus lauter fremdländischen Silberstücken bestehende dreireihige Kette. Um die Handgelenke legten sich breite, massive, silberne Armspangen. Den Hut zierte eine Silberschnur, an welcher mehrere Thaler hingen. Und in die weit herabhängenden Zöpfe, aus tiefschwarzen Haaren bestehend, waren schillernde Silberschnuren eingeflochten.

Die ganze Erscheinung war gebieterisch, in die Augen fallend, herausfordernd. Augen wie die Nacht, lange, dunkle Wimpern, volle, rothe Wangen, die vor Gesundheit strotzten, ein kleiner, wie nur zum Küssen geschaffener Mund, ein niedliches, rundes Kinn, unter welchem der allerliebste Ansatz zu einer frühzeitigen Unterkehle hervorlugte, das gab eine Gesammtheit, welche auch einem sonst kalt denkenden Manne das Blut schneller durch die Adern rollen lassen konnte.

Sie blickte den Lehrer an, als ob sie vor einer überirdischen Erscheinung stehe. Er aber erwiderte diesen Blick lächelnden Auges.

»Sehe ich recht!« sagte sie.

»Jedenfalls,« antwortete er.

»Ein Regensburger!«

»Mich vorzustellen!«

Dabei machte er trotz des Holzkorbes eine Verbeugung.

»Eigenthümlich! Wenn wir uns sehen, ists immer nur zur Fastnachtszeit!«

»Ausgenommen heute.«

»Aber auch Maskerade!«

»Schwerlich.«

»Sie geben doch zu, daß Sie hier in einer ganz anderen, als Ihrer bisherigen Eigenschaft erscheinen!«

»Ich bin ein Mann!«

Er sagte das in so würdevollem Tone, daß sie, auf den Korb deutend, lachend antwortete:

»Und was für einer!«


// 599 //

»Gleichviel! Ein Mann hat die Verpflichtung, der Ritter jeder Dame zu sein, welche seiner Dienste bedarf.«

»Zum Beispiel der meinige?«

»Ja, aber nicht jetzt.«

»Warum nicht?«

»Weil ich jetzt engagirt bin.«

»Von wem?«

»Ich bin der Ritter dieser Dame.«

Er deutete auf die Alte. Das Mädchen machte Miene, in ein lautes, höhnisches Gelächter auszubrechen; aber aus seinem Auge strahlte ein solcher Blitz auf sie herüber, daß sie sich sofort beherrschte und nur ironisch sagte:

»Ich gratulire!«

»Danke! Es ist mir allerdings zu gratuliren, denn die Dame, der ich diene, ist eine Frau, der ich meinen Dienst von ganzem Herzen gern widme.«

»Ich beneide Sie nicht,« erklang es kalt.

»Ich begehre auch wirklich den Neid gar nicht.«

Er machte eine Bewegung, als ob er sich abwenden wolle. Da trat sie nahe an ihn heran und fragte in leiserem Tone:

»Wie kommen Sie zu diesem Korbe?«

»Auf die einfachste Weise. Ich habe ihn mir auf den Rücken gebunden.«

Da stampfte sie mit dem Fuße ungeduldig die Erde und sagte:

»Geben Sie Antwort!«

»Er war der Frau zu schwer, und da habe ich ihr ihn natürlich abgenommen.«

»Soll das so viel heißen, wie selbstverständlich?«

»Allerdings.«

»Für einen Mann wie Sie ist es keineswegs selbstverständlich, einer Bettlerin Handlangerdienste zu leisten.«

»Nicht eine Jede kann eine Silbermartha sein!«

»Sie wissen meinen Namen?«

»Ich erfuhr, daß die Martha des Silberbauers eine Tante in Regensburg hat, bei welcher sie zu Fastnacht auf Besuch gewesen ist.«

Wieder stampfte sie mit dem Fuße.

»Ich hatte mir unser Wiedersehen ganz anders gedacht. Sie sollten nach mir suchen müssen.«

»Und zwar vergebens?«

»Nein. Finden lassen wollte ich mich, aber nicht sogleich. Der Lohn folgt nur der Anstrengung.«

»Nun, die habe ich ehrlich hinter mir. Sie sehen ja den schweren Korb.«

»Schwatzen Sie nicht! Ich nehme an, daß Sie meiner Einladung gefolgt sind?

Er machte seine unbefangenste Miene.

»Welcher Einladung?«

Ihr Auge blitzte zornig auf.


// 600 //

»Sie wissen das nicht mehr?«

»Nein - wenn ich es überhaupt gewußt habe.«

»Ich flüsterte sie Ihnen noch zuletzt zu!«

»Ah, das kommt davon, wenn man nur flüstert!«

Wieder stampfte sie mit dem Fuße.

»Zum Donnerwetter! Bleiben Sie doch bei der Stange und sprechen Sie nicht querfeldein!«

Um seine Augenwinkel legte sich momentan ein kleines Fältchen. Er sagte lächelnd:

»In Regensburg führten Sie eine so kräftige Sprache nicht!«

»Weil ich es dort mit gebildeten Leuten zu thun hatte. Hier aber giebt es nur Affen und Hornochsen.«

»Schöne Zoologie!«

Ja, ich bin nicht zu beneiden. Darum hatte ich mich auf Sie gefreut. Also Sie haben wirklich meine Einladung vergessen?«

»Ganz und gar!« gestand er mit größter Aufrichtigkeit.

»Warum sind Sie aber hier?«

»Ich fliege, wie der Vogel fliegt.«

»Ja, mit einem Korb auf dem Buckel. Sind Sie jetzt vielleicht Tourist?«

»So ähnlich. Tourist für lange Zeit mit kurzen Pausen.«

»Sie sprechen heute in ganz verteufelten Räthseln für mich!«

»Sie sind geistreich genug, diese Räthsel alle schnell zu lösen.«

»Oder kommen Sie als Dichter?«

»Mit dem Pegasus auf dem Rücken, anstatt ich auf ihm? Nein.«

Die Alte war natürlich auch stehen geblieben. Sie mochte der Tochter des Silberbauers lästig sein, denn diese fuhr sie jetzt an:

»Was stehst Du da! Mach Dich fort von hier!«

»Mein Korb -« antwortete die Frau.

»Gehen Sie langsam weiter,« meinte der Lehrer in freundlichem Tone. »Ich komme gleich nach.«

Als sie sich entfernt hatte, sagte Martha:

»Und nun endlich die Wahrheit! Was wollen Sie hier in Hohenwald?«

»Mein Licht leuchten lassen.«

»In welcher Eigenschaft? Sie sind Lehrer, aber zugleich auch Dichter.«

»In beiden Eigenschaften.«

»Sakkerment! Sind Sie von Regensburg fort?«

»Sehr!«

»So sind Sie doch nicht etwa - das heute erwartete Opferlamm?«

»Hm! Leider bin ich dieses Lamm.«

»Ists wahr? Sie sind um die hiesige Stelle eingekommen?«

»Sie mir anzubieten, hätte wohl Niemand gewagt.«

Sie blickte in die Weite. Es lag ein eigenthümlicher Ausdruck auf ihrem Gesicht. War es Aerger, oder war es Triumph? Wer konnte das wissen! Vielleicht sie selbst nicht. Dann wendete sie sich wieder zu ihm:


Ende der fünfundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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