Der Weg zum Glück - Teil 28

Lieferung 28

Karl May

5. Februar 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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Das war für den braven Alten eine außerordentlich trübe Erinnerung gewesen, und er wurde auch nicht wieder so fröhlich wie er vor derselben gewesen war. Als Walther sich sodann verabschiedete, sollte er unbedingt mitnehmen, was übrig geblieben war. Natürlich that er es nicht. Nun sollte er wenigstens das Geld zurücknehmen, was von den fünf Mark nicht ausgegeben worden war, doch auch dies wies er energisch von sich. Nach seiner Entfernung wurde sein Lob von allen sechs Lippen gesprochen.

Am nächsten Morgen ging der Finkenheiner bei Zeiten in seinen lieben Wald hinaus und hinterließ der Liesbeth die Weisung, in die Mühle zu gehen und für fünfzehn Groschen Grobmehl zum Brodbacken zu holen. Das war ganz dieselbe Schneidemühle, von welcher er gestern Abend dem Lehrer erzählt und die ihm früher gehört hatte. Nach ihm war sie in die Hände des Silberbauern übergegangen, welcher sie auch zu einer Mahlmühle eingerichtet und nachher verpachtet hatte. Der jetzige Pächter war ein junger, überall gern gesehener und beliebter Mann, welcher noch keine Frau hatte und mit einer alten Magd eine einsame Wirthschaft führte.

Als Liesbeth die Mühle erreichte, ging sie nicht sofort hinein, sondern sie schritt hinter derselben nach dem Wasser, welches die Räder trieb. Dort, am Radlager blieb sie stehen. Sie dachte an die gestrige Erzählung ihres Vaters. Hier, grad wo sie stand, hatte er mit dem Nebenbuhler gekämpft, war von demselben hinabgestürzt worden und war da um den Arm gekommen.

Und ihre Mutter? Warum sprach der Vater so wenig und beinahe ungern von ihr? Warum hatte er gestern dem Lehrer einen Wink gegeben, als dieser etwas Näheres hatte erfahren wollen? Auch sonst war es Liesbeth vorgekommen, daß Leute, mit denen sie von ihrer Mutter gesprochen hatte, plötzlich still geworden waren und ihr keine weitere Auskunft gegeben hatten. War da irgend ein Geheimniß vorhanden?

»Grüß Gott, Liesbetherl!« hörte sie sich jetzt rufen. »Bist auch schon munter und wach?«

Der junge Müller stand drüben an der Ecke und hatte sie gesehen. Sie ging zu ihm hinüber und gab ihm die Hand. Sie waren Vertraute schon seit langer, langer Zeit und hatten mit einander gespielt, bereits als sein Vater noch Pächter der Mühle war. Es war von jeher ihr Ideal gewesen, Müllerin zu sein. Und gerade an diese Mühle hatte sie dabei allemal denken müssen. Aber der Müller, so hübsch und gut und herzig er war, schien seine alte Magd höher zu halten als alle jungen Dirndln der Welt. Das war immer ihr Herzeleid gewesen.

»Stehst schon wieder drüben am Rad!« sagte er. »Wirst schon mal hineinfallen!«

»So kannst mich herausholen.«

»Warum ich?«

»Weilst der Nächste bist, der dabei steht.«

»Ach so! Dann mußt aberst auch richtig schreien, daß ichs sogleich gut hör.«


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»Wie beim Vatern.«

»Denk nicht daran.«

»Ich muß halt doch stets daran denken, daß er dort den Arm verloren hat. Seitdem ists ihm stets unglücklich gangen.«

»Ich denk, er hat erst hernachers heirathet?«

»Das wohl.«

»So kann er doch nicht sogleich unglücklich gewest sein.«

Sie blickte ihn forschend an. Auch er machte jetzt eine Bemerkung, die ihr zu denken gab.

»Was meinst damit?« fragte sie.

»Nix,« antwortete er kurz.

»Und doch wars was!«

»Na, ich hab denkt, Dein Vatern ist erst dann elend worden, als dera Silberbauern wiederkommen ist aus der Türkeien.«

»In dera Türkeien ist er gewest?«

»So sagt man zuweilen.«

»Aber wie hat es ihm gelingen konnt, den Vatern unglücklich zu machen?«

»Ja, wer weiß das!« antwortete er gedehnt. »Ich denke, Du willst ein Mehlen holen?«

»Ei freilich! Recht grobes, billiges.«

»Ja, Ihr seid die Feinen, die nur das Delicatste backen wollen. Hast aberst auch ein Geld?«

»O, viel! Eine ganze Mark und eine halbe.«

»Sapperloten, seid Ihr heut reich! Hast doch stets nur für eine Mark kauft?«

»Ja, gestern zu meinem Namenstag war der Rothschilden bei uns.«

»Oh wai, o weh! Der Namenstag war gestern? Schlipperment, das ist dumm!«

»Was? Es ist dumm, daß ich einen Namenstag hab?«

»Nein, sondern aber daß ichs nicht wußt hab.«

»Wär auch weiter nix gewest!«

»Oho!«

»Nun, was?«

»Ich wär in die Restaurationen gangen und hätt mir ein Bier kauft.«

»So! Das ist schön! Was thätst aberst dazu sagen, wann ich zu Deinem Namenstag mir auch was kauf?«

»Das thät mich freilich ärgern!«

»So! Und ich soll mich nicht ärgern?«

»Wannt Dich wirklich ärgerst, so muß ichs halt wiederst gut machen.«

»Das bringst schon gar nicht fertig.«

»Oho!«

»Nein. Hast mir allemalen gratulirt, nur gestern nicht. Du bist schon der Richtige!«


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»Dann bin ich sehr zufrieden, wann ich für Dich der Richtige bin.«

»Geh!« antwortete sie erröthend. »Wannt Einem das Wort im Mund herumdrehst, so bist eben der Richtige nicht, sondern grad der Falsche!«

»Weißt, ich war gestern nicht daheim. Ich war verreist, Getreid einzukaufen. Nachher also konnt ich nicht zu Dir kommen. Und sodann hab ich wußt, daßt heut doch selberst kommst.«

»O, wie willst das wissen?«

»Weil Euer Brod alle gewest ist. Als ich in der Fruh fort ging, traf ich Deinen Vatern im Wald, und der hat mir sagt, daß in seinem Sack der letzte Bissen stecken that.«

»Und da denkst halt, daß wir gleich zu Dir kommen müssen?«

»Ei freilich.«

»Nein, nein! Wann der neue Lehrern nicht am Abend bei uns gewest wär, so hätt ich doch nicht kommen können. Er hat uns fünf Mark schenkt.«

»Und dera Feuerbalzern gar sechs?«

»Das weißt schon?«

»Die hats ja schon im ganzen Dorf herumitragen. Der Neue muß ein Sakrafixi sein. Nicht?«

»Ja, ein Wackerer und Guter.«

»Ist er jung?«

»Sehr.«

»Und auch hübsch?«

»Viel mehr als Du.«

»Und den Namenstag hat er auch schon mit Euch feiert? So kannst Frau Lehrerin werden.«

»Geh fort! Mit Dir sprech ich halt gar nimmer!«

»So bekommst auch kein Mehlen.«

»Ach so. Dann gieb mirs halt schnell.«

»So schnell geht das schon nicht. Erst mußt mit in die Stub kommen und den Kaffee trinken. Die Barbara wird ihn wohl bereits fertig haben. Sodann werd ich Dir das Mehl einithun.«

»Aber mußt besser messen!«

»Meß ich schlecht?«

»Nein, zu gut. Allemalen bring ich grad noch mal so viel heim, als ich zahlt hab.«

»So wirds halt unterwegs mehr. Ich gab Dir das richtge Gewicht.«

»Wers glaubt!«

»Nun, ich glaubs halt selber. Also komm hereini!«

Er führte sie in die Wohnstube, in welcher die alte Barbara wirklich grad beschäftigt war, die Tassen auf den Tisch zu setzen. Sie begrüßte das Mädchen mit herzlicher Freundlichkeit und holte unaufgefordert die dritte Tasse, denn sie kannte die Herzensneigung ihres jungen Herrn. Solche alte, treue Seelen pflegen instinctiv stets das Richtige zu treffen. Auch ein Weißbrod wurde hingelegt und goldgelbe Butter dazu. Eben schenkte die Barbara den


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Kaffee ein, da wurde die Thür um eine Lücke geöffnet, und eine helle Stimme rief herein:

»Grüß Gott zum guten Morgen! Der ehrenwerthe Herr Meistern mag erlauben, daß ein wandernder Gesell der achtbaren Müllerzunften die edle Kunst begrüßen thut. Ich hab keinen Beutel, aber viel Hungern, kein Geldl, aber viel Dursten, und ein Kaffee mit Zuckern wär mir eben recht.«

Als die Drei hinblickten, sahen sie einen alten, zerrissenen Hut, dessen Löcher mit allerlei Blüthen und Pflanzen durchwebt waren. Darunter blickte eine Nasenspitze und ein gewaltiger, grauer Schnurrbart hervor.

»Was!« rief der Müller, indem er von seinem Stuhle aufsprang. »Bists wirklich?«

»Nein, ich bin ein Anderer.«

»Oho! Dich kennt man allsogleich an Deinem Hut und an dem Gespaß, wast allemalen machst.«

»Wer? Was?« rief nun auch die Barbara. »Ists die Möglichkeiten! Diese Stimmen sollt man kennen. Das ist kein Anderer als dera Wurzelsepp!«

»Weiß Jux, sie hats derrathen!« sagte der Sepp, indem er die Thür vollends aufmachte und hereinkam. »Ja, so eine alte Liebsten vergißt den Schatz niemalen.«

Er warf den Sack und den Hut zu Boden, lehnte den Bergstock an die Wand und sprang auf die Alte ein.

»Komm heran, Bärbel! Dich muß ich gleich zuerst begrüßen, sonst schaffst Dir gar einen Anderen an!«

Er faßte sie um die Taille, drückte sie herzhaft an sich und gab ihr einen schallenden Kuß. Sie stieß ihn von sich, wischte sich mit dem Topflappen, den sie in der Hand hatte, den Mund schnell ab und zeterte:

»Mach Dich fort, Du Sausewind! Ich will nur auch sehen, wannst mal zu Verstand kommen und ein gesetzter Mensch werden wirst! Bei allen denen hübschen, jungen Dirndln muß er seinen Schnautzi am Mund abwischen!«

»Ja, Du bist halt die richtige Junge und Hübsche! Wann bist hundertfünfzig gewest? Vor sechzig Jahren, nichtwahr?«

»Hundertfünfzig! Hört, Ihr Leutln, hundertfünfzig! Und da will der Lodrian gar einen Kaffee haben, und noch dazu mit Zuckern!«

»Ists etwan nicht wahr? Bei Dir heißts auch:

Jetzt bin ich hundertneunzig Jahr,
   Hab nur noch einen Zahn;
Obgleich ich nicht mehr beißen kann,
   Krieg ich doch keinen Mann!«

»Schweig!« raisonnirte sie. »Sonst werf ich Dich zur Thüren hinaus! Wir Beid sind nicht allein in dera Stuben! Kannst die Andern nicht auch grüßen?«


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»Ja, eben jetzt kommen sie dran.«

Und Beiden die Hände entgegenstreckend, sagte er:

»Herr Müller und Frau Müllerin,
   Ich bin froh, daß ich da nun bin.
Schenkt gleich dem Sepp den Kaffee ein;
   Er hofft, willkommen Euch zu sein.«

Liesbeth erröthete am ganzen Gesicht. Der Müller aber wehrte ab:

»Weißt, Sepp, hier giebts halt keine Müllerin.«

»So? Steht sie nicht allhier?«

»Da bist falsch berichtet. Die heirathet den neuen Schulmeistern.«

»Was? Die Liesbetherl, eine Müllerstochter und das Kind von meinem Spezial, dem Finkenheiner? Die gehört in eine Mühlen. Und wann sie keine hat, so kauf ich ihr eine.«

»Hast wohl gar sehr viel Geldl?«

»So viel, daß mirs zu denen Strumpfen heraußifallt. Drum hab ich keines mehr im Sack. Aberst wie ists nun halt mit dem Kaffe?«

»Siehsts nicht, daß die Barbara bereits einigießt?«

»Ja, was Die thut, das sieht man niemalen. Ich glaub, sie thut überhaupt gar nix. Die ist auch die richtige Faullenzerin und Schlaraffenheimerin!«

Die Alte schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und rief

»Was soll ich sein? Eine Faullenzerin? Und hier stehe ich schon seit stundenlang und hab nur immer den Kaffee herzugießen. Jetzt, wanns nicht anderst wird, kehr ich das ganze Volk gleich mit dem Besen hinaus!«

»Na, nimm Dir Zeit, liebste Braut! Den Sepp mußt hinne lassen! So, jetzt haben wir uns gezankt, und nun wollen wir zur Hauptsach kommen. Wie gehts, und wie stehts?«

Nachdem er Auskunft erhalten hatte, sollte auch er berichten. Der Müller meinte:

»Hör, Sepp, ich hab hört, daßt ein gar großer Künstlern worden bist?«

»Was für einer?«

»Ein Sängern.«

»Weißts auch schon?«

»Es hat ja in dera Zeitungen standen, daßt sogar vor dem König sungen hast!«

»Ja, ich und der König, wir sein halt zwei Spezi. Er sitzt auf dem Thron und ich drunter.«

»Da hasts halt bessern als er.«

»Das mein ich auch; drum bin ich halt immer lustig und kreuzfidel. Gut gehn thut mirs auch. Was will ich mehr haben auf dera Welt. Nur Eins thut mir fehlen, ein Einzigs und das ist a Stubn.«

»Eine Stuben?! Und für wen denn?«

»Für ein Jägern und sucht hier eine in Hohenwald.«

»Da liegt ja das Jägerhaus im Wald.«


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»Dahin mag er halt nicht. Weißt er sucht denen Bombyx.«

»Wie? Der Jäger sucht denen Bombyx? Wer ist das, dera Bombyx? Wohl gar ein Wildschütz?«

»Nein, sondern ein Viehzeug.«

»Das kenn ich noch gar nimmer.«

»Wirsts auch sehen haben.«

»Glaubs nicht. Von einem Bombyx hab ich noch gar niemals was hört. Ists groß?«

»Hm! Es frißt ganze große Bäumen auf, besonders Kiefern und Fichten.«

»Bist toll? Welch ein Thier kann eine Kiefern oder Fichten fressen!«

»Eben dera Bombyx. Er frißt sogar ganze Wäldern aufi.«

»Schneidst wohl mit dem großen Messer?«

»Nein. Ich wills Dir sagen. Dera Bombyx ist halt ein Schmetterlingen, dessen Raupe im Wald gar großen Schaden macht. Wann man nicht bald schnell ein Mittel dergreift, so ists gefährlich. Und weil nun in dera Gegend der Bombyxen sein soll, so wird dera Jägern kommen, um nach zu schaun, ob er ihn auch wirklich findet. Er hat mir Auftrag geben, mich nach einer Stuben umzuschaun, in welcher er während dera Zeiten wohnen kann.«

»Ach so ists! Ja, was ists denn für Einer?«

»Nun, ein Feiner.«

»O weh! Ich hätt wohl eine Stuben, aberst wanns ein so gar feiner ist, so ists ihm halt nicht gut genug.«

»Ja, und essen und trinken will er auch. Das macht schon eine große Arbeit und Wirthschaften. Und Du hast nur die Barbara. Die ist zwar eine gar Fleißige und Emsige, aberst allein dermachen kanns doch halt so Etwas nicht. Du solltst also doch eine Müllerin haben.«

»Damit ists gefehlt.«

»Etwan weil Dich Keine mag?«

»Ja.«

»Oder weilst Dich nach Keiner umschaust. Du wirst auch warten und warten, grad so wie ich, bis es zu spät worden ist und Du kommst ins uralte Registern.«

»Dann geh ich auf den Wurzelhandel.«

»Gut, so heirath ich die Barbara und übergeb Dir meine Kundschaft. Machst mit, Bärbel?«

»Mit Dir sogleich!« antwortete sie.

»So? Wirklich? Na, da wollen wir bald losmachen. Hast auch bereits was gespart?«

»Sechsundachtzig Pfennige.«

»Und ich zweiundneunzig. Das soll eine Hochzeiten werden, wies halt noch keine geben hat! Ich zieh den Kartoffelsack an, und Du nimmst den Regenschirm um. Gegessen und trunken wird auch, was das Zeug hält, Sauernkraut und Zwetzschchenkerne und zwei Flaschen Röhrenbrunner dazu.


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Sodann haben wir uns und können wiederum auseinander gehn, grad so wie jetzunder.«

Er stand auf.

»Willst schon fort?« fragte der Müller.

»Ja. Was will der Sepp auch noch länger hier?«

»Wohin willst gehn?«

»Wohin der Sepp überhaupt geht, überall und nirgends. Ich hab in aller Welten meine guten Freunden, die ich besuchen muß. Jetzund will ich zuerst zu meinem guten Spezi, dem Finkenheiner. Ist er draußen im Wald auf seinem Platz, bei denen Finken und Bachstelzern, Liesbetherl?«

»Ja, wie immer.«

»So will ich alleweilen mich für den Kaffee bedanken. Wann ich wiederum komm, gebt Ihr mir einen andern. Nachhero sind wir quitt. Behüts Gott!«

Er nahm Hut, Rucksack und Stock wieder auf, gab den Dreien die Hand und ging. Sie versuchten nicht, ihn aufzuhalten; sie kannten seine Art und Weise und wußten, daß es erfolglos gewesen wäre. Die Barbara begleitete ihn hinaus.

»Jetzt nun kannst mir mein Mehl geben,« bat das Mädchen den Müller.

»Hasts so eilig?«

»Ja. Ich will heut noch backen.«

»Wannst noch eine Viertelstund hier bleibst, wirds drum doch auch noch fertig.«

»Der Brudern ist allein daheim.«

»Da hast Recht. Also komm.«

Er führte sie hinaus, aber nicht hinüber in die Mühle, wo er, wie sie wußte, das Mehl hatte, sondern nach der Treppe.

»Da hinauf?« fragte sie.

»Ja. Komm.«

»Hast jetzt das Mehl da oben?«

»Die Nummern, die Du brauchst, die ist da hier oben. Oder willst nicht mit?«

»Mit Dir geh ich halt schon aufi.«

Sie kannte das Haus von ihrer frühen Jugend her. Sie wußte, daß es allerdings oben eine Mehlkammer gebe, aber er schlug eine andere Richtung ein. Dann blieb er vor einer Thür stehen und zog den Schlüssel aus der Tasche, sie zu öffnen.

»Da drin ist doch kein Mehl!« sagte sie.

»Das weißt noch?«

»Ja. Das ist meiner Muttern ihre gute Stuben gewest. Oder nicht?«

»Ja, und der meinigen Muttern ihre auch. Komm hereini. Brauchst Dich nicht zu fürchten.«

Als er die Stube öffnete, war es dunkel in derselben, denn der Fenster-


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laden war verschlossen. Er machte das Fenster auf und öffnete ihn, und nun drang das Morgenlicht hell und freundlich in den Raum, der demselben Jahre lang verschlossen gewesen war.

Die Mühle lag an einem Damme, nach welchem dieses Fenster führte. Obgleich man, um in diese Stube zu gelangen, eine Treppe hoch steigen mußte, konnte man doch von dem Damme aus, welcher höher lag als die Hausthür, ganz leicht in dieses Fenster steigen.

Der Raum war sehr altmodisch ausgestattet. Ein einziges Bild hing an der Wand, das Bild einer Frau, deren Gesichtszüge auf große Herzensgüte schließen ließen. Der Müller deutete auf das Kanapee und sagte:

»Setz Dich nieder, Liesbetherl. Ich will Dir Etwas suchen.«

»Was denn?«

»Das, was ich Dir heut zum Namenstag geben will, weil ich gestern nicht zu Dir konnt hab.«

»Das ist nicht nöthig, Wilhelm. Brauchst mir nix zu schenken. Ich weiß dennerst, daßt mich nicht vergessen hast.«

»Nein. Ich muß thun, was mir die Muttern sagt hat, bevor sie storben ist.«

Er öffnete eine Truhe und nahm ein kleines Kästchen aus derselben. Mit dem Letzteren setzte er sich neben Liesbeth auf das Kanapee und öffnete es.

»Schau Dir mal an, was da drinnen ist,« sagte er. »Hier, nimms in die Hand; da hasts nähern.«

Es waren zwei einfache Goldringe und sodann eine goldene Kette, an welcher zwei Doppellouisd'ors und drei Henkelducaten hingen.

»Ein Schmuck!« sagte sie. »Wohl von der Deinigen Muttern?«

»Ja.«

»Das ist ein heilig Andenken, Wilhelm. So was muß man gut und sauber verwahren. Da hängt ein großer Segen daran.«

»Meinst?«

»Ja. Von der meinigen Muttern hab ich gar nix erhalten. Es ist nix übrig blieben, weil die Eltern arm worden sind.«

Es war ein fast mitleidiger Blick, welchen er auf ihr hübsches, ernstes Gesicht warf.

»Ja, Du hast nix geerbt von dera Muttern. Nicht mal ein Ringerl oder ein Kreuzerl. Und doch sollst gern was haben, woran ein Muttersegen hängt. Ich schenk Dir die Ketten und auch die Ringerln!«

»Wilhelm!« rief sie wie erschrocken.

»Willsts wohl nicht?«

»O, so was nimmt man schon gern; aberst Du darfsts nicht verschenken.«

»Warum nicht?«

»Eben weils von Deiner Muttern ist.«

»Nun, sie hat mirs erlaubt, dies zu geben.«

»Mir?«

»Ja, grad Dir.«


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»Wie könnt ich das glauben!«

»Wann ichs Dir sag, so ists halt wahr. Schau, diese Ketten hat die Muttern tragen, als sie Braut gewest ist, einen Ring auch und den andern aberst der Vatern. Ich schenks Dir, doch mußt auch mir den einen Ring tragen lassen.«

Sie blickte ihn forschend an; dann plötzlich flog eine tiefe, glühende Röthe über ihr Gesicht. Fast hätten ihre zitternden Händchen das Kästchen fallen lassen. Er wartete eine Weile. Sie hielt das Kästchen in der einen Hand und hatte die andre in holder Scham an das Gesicht gelegt. Er zog diese Hand von ihrem Gesichtchen sanft fort und fragte:

»Willsts haben, Liesbetherl?«

»Nein,« hauchte sie.

Er senkte den Blick seiner treuen, blauen Augen in die ihrigen. Sie wendete sich ab.

»Magsts wirklich nicht haben, Liesbetherl?« wiederholte er, leiser als vorhin.

»Nein, Wilhelm.«

»Gar nicht?«

»Nie!«

Da nahm er das Kästchen wieder aus ihrer Hand, that es in die Truhe und verschloß dieselbe. Dann trat er zu dem Bilde heran und sagte:

»Hasts gehört, meine gute Muttern? Ich hab sie so sehr lieb. Du hasts wußt. Sie aberst mag nicht. Nun wird keine Andre Dein Ketterl erhalten und die Hochzeitsringerln dazu. Es kommt keine Müllerin in diese Mühlen, und Dein armer Wilhelm wird allein mahlen, bis er nachher zu Dir kommt. Grüß mir den Vatern!«

Er zog den Laden wieder zu und schloß auch das Fenster. Es war wieder dunkel in der Stube geworden. Er ging nach der Thür und öffnete dieselbe. Draußen fiel das Licht in sein Gesicht. Sie sah, daß ihm die Thränen in den Augen standen.

»Liesbetherl, komm! Ich will Dir das Mehl einimessen.«

Sie antwortete nicht, und sie bewegte sich auch nicht.

»Liesbeth!«

Auch jetzt blieb sie still.

Da trat er wieder zurück und auf sie zu. Sie fuhr vom Kanapee empor, schlang die Arme um ihn und sagte unter ausbrechendem Weinen:

»Wilhelm, ich darf nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich weiß nicht.«

»Wann Du weißt, daßt nicht darfst, so mußt auch wissen, warum nicht.«

»Nein, ich weiß es nicht.«

»Wohl weilt mich nicht lieb hast?«

»Ich Dich nicht lieb? O, wie so sehr, wie so sehr! Ich hab Dich


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schon als kleines Dirndl lieb habt, und noch jetzund träum ich davon, daß ich Deine Müllerin bin. Aberst ich bin nicht so wie Du.«

»Das versteh ich halt nicht. Wie meinst das?«

»Ich find die richtgen Worten auch nicht, es Dir zu sagen. Es ist was zwischen Dir und mir, was uns nicht zusammenkommen laßt. Weißt, von dem meinigen Vatern.«

»Du, da thust Deinem Vatern ein großes Unrecht und Herzeleid an. Er ist der bravste Mann, den es nur geben kann.«

»Und doch liegt was auf uns - - -«

So ists von meiner Muttern! Du weißts, und auch Andre wissens, aberst Niemand wills mir sagen. Wilhelm, wannt mir das Kästerl schenken willst, so soll ich Deine Müllerin werden. Ich bin ein arms Dirndl, aberst ich weiß, daß ich eine brave Frau sein werd und auch fleißig und ordentlich. Das ist fast auch wie ein Geld. Also wegen dera Armuthen sag ich nimmer nein. Aberst wannt mir so ein großmächtiges Vertrauen schenkst, daß ich Deine Frau werden soll, warum schenkst mir da nicht auch das Vertrauen, mir zu sagen, wast von meiner Muttern weißt?«

»Weils Dir nix nützen kann.«

»Dir aber auch nicht. Ich hab Dich lieb, Wilhelm, und ich mag niemals keinen Andern; aber erst wann ich weiß, woran ich mit der Muttern und dem Vatern bin, nachhero kann ichs Dir sagen, ob ich das Kästle annehmen darf.«

»Darauf bleibst bestehen?«

»Fest und sichern!«

»Nun wohl, so will ichs Dir sagen.«

Er zog sie neben sich auf das Kanapee nieder. Obgleich er sie nicht umarmt hielt und ganz wie ein Fremder an ihrer Seite saß, bat sie dennoch:

»Magst den Laden nicht wiedern aufimachen?«

»Jetzund noch nicht. Das, was ich Dir verzählen will, laßt sich am Besten in dera Dunkelheit sagen.«

»Ists so schlimm?«

»Schlimm? Nein, wohl nimmer, aber traurig ists, sehr traurig. Liesbetherl, Du denkst, Deine Muttern sei storben; aberst sie ist nicht todt.«

»Herrgott! Ists wahr?«

»Ja.«

»Wo ist sie, wo?«

»Das weiß kein Mensch.«

»Auch dera Vatern nicht?«

»Nein.«

»Warum forscht er nicht nach ihr?«

»Sie ist ihm untreu worden und auf und davongangen, in die weite Welt.«

»O Jesus!«

»Sie hat das ganze Vermögen mitnommen und ihm nur viel Schulden hinterlassen.«


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»Mein Vatern! Mein armer Vatern!«

»Und dera Silberbauern hat sie verführt.«

»Der? Der und immer wieder Der!«

»Soll ichs Dir verzählen?«

»Ja, thu es! Ich muß es wissen.«

»Schau, das ist so: Meine Muttern ist Deinem Vatern so sehr gut gewest, aberst er hat nur Augen für Deine Muttern gehabt, die sehr schön gewest ist, aber lüderlich und leicht, meine Muttern aber nicht hübsch. Sie hat dann später meinen Vatern genommen und sich mit ihm ganz gut zusammenfunden und bis an sein End glücklich mit ihm gelebt. Dann hat sie sehen müssen, wie es Deinem Vatern ergangen ist, und ihre alte Lieb ist wieder erwacht. Die hat Dich so lieb gehabt und mir noch auf dem Sterbebett geboten, Dich zur Müllerin zu machen, wannt mich nur haben willst.«

»Und Du mich aberst nicht?«

»Was denkst! Sie hat ja wußt, wie lieb ich Dich hab. Doch ich wollt ja von Deiner Muttern reden. Hier in diesem Haus war sie geboren, und hier hat Dein Vatern sie kennen lernt. Er war ein hübscher Kerlen, und sie war ihm gut, wie eben ein leichtes Dirndl einem Burschen gut ist. Daß sie ihn nicht nehmen sollt, das hat sie nur in dieser Lieb bestärkt. Freilich bessern für ihn wärs gewest, sie hätt ihn nehmen dürfen; dann hätt sie ihn wohl nicht genommen, und es wär ihm alles spätere Herzeleid erspart geblieben. Der Silberbauern war in dera unteren Mühlen und stellte ihr nach. Ihr Vatern wollte, daß sie diesen nehmen solle, aber grad darum hat sie ihn nicht mocht. Da ists zum Kampf kommen zwischen denen beiden Nebenbuhlern, und das hat Deinem Vatern den Arm kostet. Der Claus ist zwar einisperrt worden, doch hat die Magd in dera unteren Mühlen sagt, daß er grad um dieselbige Zeit daheim gewest sei, und das hat ihn wieder frei gemacht.«

»Bis hierher weiß ichs auch.«

»Aberst weitern nicht?«

»Daß der Vatern die Muttern heirathet hat.«

»Das hat sie nur than, weil sie den obstinaten Charactern gehabt hat. Ihr Vatern hat ja sagen müssen und Amen zu dieser Heirath; aberst er hat auch dafür sorgt, daß nachhero die Mühlen und Alles Deiner Muttern gehört hat und nicht Deinem Vatern. Der Claus ist in die Fremde gangen und für eine lange Zeit verschwunden gewest. Aberst plötzlich ist er wieder kommen und wieder Knappe worden in dera unteren Mühlen. Von jetzunder nun beginnt das eigentliche Unglück Deines Vaters. Der hatte nur den einen Arm noch. Damals, als er unter das Rad kam, das hat ihn gar arg mitgenommen gehabt. Er ist nimmer so frisch und gesund gewest wie vorher. Der Claus aberst, der spätern Silberbauern, hat sich in deren Fremde eine hübsche Gesichtsfarben geholt und einen festen, kräftigen Körpern. Er ist immer um die obern Mühlen herumischlichen, bis er sie troffen hat, und als sie nun so mit nander sprochen haben, da hat er ihr wohl viel bessern gefallen als ihr Mann, der um sie zum Krüppeln worden ist.«


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»Der arme Vatern!« klagte sie.

»Hast Recht. Und Du kannst Dir halt denken, daß es nicht bei diesem ersten Zusammentreffen blieben ist, sondern sie sind nachhero oft wiedern zusammenkommen, erst draußen im Wald und nachhero sogar in dera Mühlen, hier da, wo wir sitzen.«

»Das - das ist ja eine Sünde!«

»Was fragen solche Leut darnach, obs eine Sünden ist oder nicht? Sie thuns eben.«

»Und habens die Nachbarn gemerkt?«

»Erst nicht, aberst nachhero, als die Beiden nicht mehr so vorsichtig gewest sind, da hat man erst leis gesprochen, dann lauter und immer lauter, bis es öffentlich worden und vor die Ohren Deines Vaters kommen ist. Na, da kannst denken, was er dacht und than hat. Am Abend, als der Claus wiederum hier durchs Fenstern einistiegen war, da ist Dein Vatern dazu kommen.«

»Herrgott! Was wirds da geben haben!«

»Ja, was es da geben hat, davon weiß halt kein Mensch was. Aberst am andern Morgen hat Dein Vatern im Fiebern gelegen und ganz irr sprochen. Denn weißt, er hat Deine Muttern so sehr lieb gehabt, und Ihr beiden Kindern seid so kleine, arme Wurmerln gewest. Deine Muttern hat sich nicht um ihn und nicht um Euch kümmert.«

»Davon hab ich ja gar niemals was wußt.«

»Da schaust eben, was Dein Vatern für ein edler Charactern ist, trotzdem er verachtet wird, und daß er Deine Muttern so lieb habt hat, daß er nicht mal jetzt ihr bei Dir einen Schaden hat machen wollt.«

»Und wie ists nachhero worden?«

»Noch viel schlimmern.«

»Du lieber Herrgott!«

»Ja. Als Dein Vatern so todtkrank dagelegen hat, da ist plötzlich Einer kommen, der hat zeigt, daß er die Mühlen kauft hat mit Allem, wie es steht und liegt, und der kranke Müllern mußt augenblicklich heraus und fort.«

»Das ist doch gar nicht möglich!«

»O doch!«

»Ein Weib kann doch nix verkaufen ohne den Mann!«

»Gewöhnlich, ja. Aber der alte Müllern hats so gemacht, daß sie hat machen konnt, was sie wollt hat. An Stelle des Mannes ist ein andrer Vormund gewest, und der hat halt den Kauf gebilligt. Dein Vatern hat heraus gemußt.«

»Und die Muttern?«

»War verschwunden.«

»Du großer Himmel!«

»Und der Claus auch, mit ihr.«

»Wohin?«


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»Kein Mensch weiß es. Aberst vom Claus redet man heut, daß er in der Türkeien gewest ist.«

»Was hat denn da der Vatern anfangt?«

»Der ist viel kränkern worden und ins Bezirkshaus kommen. Der Arzt hat sagt, er muß einen Schlag auf den Kopf erhalten haben. Erst viel spätern ist er wieder so worden, wie er heut noch ist.«

»Und wir Kindern?«

»Nun, Euch hat meine Muttern zu sich genommen, bis Dein Vatern Euch zurückgefordert hat.«

»Die Gute!«

»Ja, darum hat sie Dich so lieb habt wie ihr eigenes Kind. Dein Vatern hat seitdem eine ganz eigene Vorliebe zu der Waldblößen da draußen, wo er immer sitzt; Niemand weiß, warum; aber es muß doch mit jener Zeit zusammenhängen. Spätern ist dera Claus wiederkommen mit seinen zwei Kindern. Er ist indessen verheirathet gewest und sehr reich worden. Jetzt ist er der Silberbauern. So, Liesbetherl, jetzund weißt Alles.«

»Ist das wirklich Alles?«

»Alles, was ich weiß, ja.«

»Und Niemand weiß mehr?«

»Kein Mensch. Zwei wissen wohl mehr. Dein Vatern und dera Silberbauern; aberst die sagen nix.«

»So muß ichs doch derfahren.«

»Niemand wird Dir was sagen.«

»O, ich werd keine Ruhen finden, als bis ich Alles weiß.«

»Und doch mein ich, daßt nix derfahren wirst.«

»Und ich weiß Einen, der mir helfen wird.«

»Wer ists?«

»Dera Wurzelsepp.«

»Was will der derfahren haben?! Dera Silberbauern weiß das Allermeist, und der wird sich hüten, was zu sagen. Er hat stets sagt, daß er gar nicht weiß, wo Deine Muttern hinkommen ist. Er hat gar nicht wußt, daß sie fort ist; so sagt er.«

»Aberst dem Sepp sagt ers.«

»Nein, nein!«

»Da kennst den Sepp schlecht. Der lockts aus ihm heraus.«

»Ich kenn den Sepp schon lang und gut, aberst ich glaub halt nicht, daß er klüger ist, als dera Silberbauern.«

»Dennerst werd ich ihn um seine Hilfen bitten. Und nachhero weiß ich noch Einen, auf dem ich mich wohl gar verlassen kann.«

»Wer möcht das sein? Etwan ich?«

»Nein. Auf Dich kann ich mich auf Alles verlassen im Leben und im Sterben; das weiß ich wohl. Hier aberst bist viel zu gut und ehrlich dazu. Nein, ich mein den neuen Lehrern.«


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»Den, ah den! Ja, ich hab gar wohl merkt, daßt auf den gar große Stucken hältst.«

»Er hats auch gar verdient.«

»Von wegen gestern?«

»Ja.«

»Wie ist denn das gewest?«

»Weißts wohl noch nicht?«

»Nein. Munkeln hab ich davon hören, aberst was Sicheres konnt ich nicht derfahren.«

»Der Silberfritz hat mich im Wald überfallen.«

»Der Hallunk! Ich derschlag ihn!« rief er zornig.

»Ich sollt ihn - küssen.«

»Der Hund! Ich derstech ihn!«

»Ich hab mich wehrt, und er wollt mich zwingen.«

»So ein verfluchtger Kerl! Ich derschieß ihn!«

»Er hat mich beim Leib gehabt und fast wärs so weit kommen, daß er mich geküßt hätt.«

»So ein infamer Galgenstrick! Ich verwürg ihn, und nachhero vergift und versäuf ich ihn noch obendrein!«

»Da aberst ist der Herr Lehrern kommen.«

»Ah! Jetzt kommt die Hilf!«

»Ja. Der hat ihn hergenommen und zur Erd geworfen viele Male, als obs eine Puppen wär, und nachhero hat er ihn sogar mit dem Stock zwungen, mir die Schwammpilzerln wieder aufzuheben, die er mir ausgeschüttet hatte.«

»Was that dera Silberfritz nachher?«

»Er ist ausgerissen.«

»Und der Lehrern?«

»Er ging nach dem Dorf.«

»Mit Dir?«

»O nein. Ich bin gleich durch den Wald nach dera Stadt gangen, ganz allein, und hab die Schwammerln verkauft.«

»Ists wahr?«

»Werd ich Dir eine Lügen machen?«

»Du, den neuen Lehrern könnt ich bereits lieb haben!«

»Ich auch.«

»Oho, das geht ja bei Dir so außerordentlich rasch!«

»Bei Dir noch viel schneller! Hast ihn ja noch gar nicht sehen und bist ihm bereits schon gut.«

»Du hast ihn wohl schon oft sehen?«

»Gestern Abend wiedern. Er war bei uns.«

»Verzähl mirs doch!«

Sie erzählte ihm von dem gestrigen Besuche des Lehrers und schloß daran


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die Bemerkung, daß sie ihm zur Dankbarkeit verpflichtet sei und ein großes Vertrauen zu ihm habe.

»Und darum willst ihn auf den Silberbauern hetzen?«

»Dessen bedarfs gar nicht. Er ist schon selberst auf ihn gehetzt.«

»Nun wohl, ich hab nix dagegen; aber wart jetzt noch ein Weilchen. Man muß den Mann doch erst kennen lernen.«

»O, den kenn ich schon bereits ganz gut!«

»Ich stimm Dir ganz bei, daß er ein braver und ganz tüchtiger Kerlen sein mag; aberst er ist noch neu. Laß ihn vorerst noch ein Wenig älter werden.«

»Aberst dem Sepp darf ichs verzählen, das vom Vatern?«

»Vielleicht weiß ers schon.«

»Glaubs nicht.«

»Er ist ja der Spezi Deines Vaters.«

»Das wohl. Na, ich werd ja sehen; aber derfahren muß ich, was mit dera Muttern worden ist.«

»Wann ich kann, will ich Dir gern auch dazu behilflich sein. Jetzt aberst sind wir nun fertig. Nun sag, ob ich die Truhen wiederum aufschließen soll.«

Sie schwieg.

»Liesbetherl, ich bitt! Antworte mir!«

»Mach den Laden wiedern auf!«

Er ging hin und that es. Als das Tageslicht nun wieder in die Stube fiel, trat er zur Truhe.

»Soll ich?«

Sie nickte.

Er schloß auf, nahm das Kästchen heraus, öffnete es und hielt es ihr hin.

»Da, nimm!«

Sie erhob das kleine Händchen, zögerte aber doch noch.

»Ists auch Dein Ernst?«

»Gar sehr!« antwortete er.

»Und wirsts nie bereuen?«

»Niemals!«

»So will ichs mit dem Herrgott wagen!«

Sie nahm die Kette heraus, legte sie sich über den Busen, warf einen Blick auf die funkelnden Goldstücke herab und legte sie dann wieder hinein.

»Wie? Willst sie etwan nicht behalten?« fragte er.

»O ja; aberst Du sollst sie aufheben.«

»Bis Du sie am Altar trägst. Nicht, Liesbetherl?«

»Ja.«

»So hat meine gute Muttern nun doch ihr Recht. Ich dank Dir gar sehr, Liesbetherl. Du wirst halt sehen, daß ich ein guter Mann sein werd.«

»O, das weiß ich schon!«

»Ich bin ein stiller, ruhiger Bub und stell mich nicht überall vornhin


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und obenan; aber was ich zu thun hab, das weiß ich zu thun, und so denk ich, daßt mit mir wohl gar zufrieden sein wirst.«

Er hatte ihre Hände ergriffen.

Er hatte ihre beiden Hände ergriffen und hielt dieselben in den seinigen.

»O, ich werd nicht nur zufrieden, sondern sogar glücklich sein!« sagte sie. »Grad daßt ein so Ruhiger und Bescheidentlicher bist, das gefallt mir so sehr wohl.«

»Du weißt nicht, wie glücklich mich dies Wort macht, Liesbetherl. Aberst manchmal sehens die Dirndln gar nicht gern, wann man bescheiden ist.«

»Ich immer!«

»Was meinst? Ob ich auch jetzt bescheiden sein soll?«

Sie blickte ihm ganz hell und unbefangen in das Gesicht. Aber plötzlich mochte sie errathen, was er meinte, denn sie wurde glühend roth und antwortete schnell:

»Jetzt grad gar sehr!«

»Aberst grad jetzt wär ich gern mal kühn gewest!«

»Das ist nicht gut!«

»Aberst es schmeckt so gut.«

»Weißt das schon bereits?«

»Ich habs hört.«

»Von wem?«

»Drunten von dera Barbara.«

Da lachte sie hell auf, und er stimmte fröhlich ein.

»Hat die denn auch mal einen Schatz habt?«

»Ei freilich. Sie verzählt sogar zuweilen von ihm.«

»Wer ists gewest?«

»Ein Fleischerngesell. Der hat ihr ihren Lohn immer abgeborgt. Für jeden Gulden hat er einen Kuß geben. Daher weiß sie, wie es schmeckt.«

»Das ist theuer! Ich thät viel weniger geben.«

»Und ich viel, viel mehr.«

»Wie viel?«

»Für einen Kuß von Dir thät ich Dir geben - - na, was denn? Zehntausend andern!«

»O Jerum! Wann thätst da fertig werden!«

»Das könnt nicht lange dauern, denn ich thät da gar fleißig sein.«

»Aberst wie lange ungefähr?«

»Ja, wer kann das sagen, wann man es noch nicht probirt hat. Wann ich nur wüßt, obst mitmachen thätst.«

»Das hat noch Zeit.«

»Aberst, wann man sich liebt, muß man sich doch auch einen Kuß geben dürfen!«

»Sogleich nicht.«

»Der Anfang muß doch mal gemacht werden.«

»In elf Wochen.«

»Du mein Himmel! Da sterb ich vor lautern Appetit!«


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»So geh ich mit zu Grabe.«

»Geh, Du hast kein Herz!«

»Und Du keinen Muth!«

»Was! Ich keinen Muth? Das hast nicht umisonst sagt. Jetzt wirst geküßt, und wannst eine alte Fischthranflaschen wärst!«

Er hielt sie fest und küßte sie auf Stirn, Wange und Mund. Sie wehrte sich zwar, aber nicht allzusehr. Aber als er die Lippen gar nicht wieder von den ihrigen lassen wollte, schob sie ihn von sich und sagte:

»Jetzt gehst nun halt! So ein gar Ungestümer brauchst derowegen nicht zu sein. Aus einer alten Fischthranflaschen trinkt man nicht so lange.«

»O, noch länger, wanns so gut schmeckt.«

»Dazu hab ich keine Zeiten. Ich will jetzt endlich mal mein Mehl haben!«

»Ach so!« lachte er. »Das feinste?«

»Nein, das billigste.«

»Für zehn Thalern?«

»Nein, für einen halben Thalern.«

»Und backen willst heut auch?«

»Freilich. Wann uns dera Lehrern gestern Abend nicht das Geld schenkt hätt, so thäten wir heut gar hungern.«

»O Jegerl! So schlimm solls nicht wieder werden. Komm, Liesbetherl. Ich will Dir Dein Grobmehl einmessen.«

Er machte das Fenster gar nicht zu. Es war ja das Glück hier eingezogen; darum durfte auch der Sonnenschein wieder herein. Er ergriff sie bei der Hand und führte sie hinab in die Stube, wo die alte Magd beschäftigt war.

»Du, Bärbel,« sagte er. »Schau Dir doch gleich mal dieses Dirndl an!«

Die Alte stemmte beide Arme in die Hüften, stellte sich vor das Mädchen hin und machte die Augen weit auf.

»Siehst sie?«

»Ja. Blind bin ich nicht.«

»Wer ist sie?«

Wenn er erwartet hatte, die Barbara in Verlegenheit zu bringen, so hatte er sich geirrt, denn sie antwortete:

»Das sieht man ihr sogleich an.«

»Nun, wer?«

»Die junge Müllerin.«

»Hurrah! Sie hats wahrhaftig derrathen!«

»Na, daderzu gehört keine große Klugheit. Gut seid Ihr einander immer gewest, und wann Ihr volle drei Stunden droben in dera Stuben sitzt, so weiß man ganz genau, daß die Maus nun endlich mal in die Fallen schlüpft ist.«

»Wer ist die Maus? Sie oder ich?«

»Sie. Du aberst bist der Esel!«

»Warum?«


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»Weilst nicht schon längst zugriffen hast. Eine Müllerin wie das Liesbetherl kannst gar nirgends bekommen. Aber wann ich nicht hier und da hätt ein Wort fallen lassen, so wärs auch heut noch nix. Der junge Hund muß eben mit dera Schnauzen hineindrückt werden in die Milch, bevor er sauft. Na, ich gratulir von ganzem Herzen und wünsch viel Glück, Gesundheit und gedeihlichen Kinder. Und nun kann dera Herren getrost kommen, der hier wohnen soll. Die junge Müllerin ist da. Kannsts dem Wurzelseppen sagen, daß hier Alles in Schuß und Ordnung ist.«

»Das werd ich thun. Du aberst bekommst auch gleich Deine Arbeiten. Das Liesbetherl will nämlich backen.«

»Backen?« fragte sie in sehr energischem Tone. »Damit hats einstweilen ein End.«

»Meinst?«

»Ja. Für die Braut backen wir hier, und wanns nachhero die Frauen ist, backts selber.«

»Aberst sie braucht jetzt Brod.«

»Das werd ich schonst Alles besorgen. Setzt Euch nur her, und nehmt Euch hübsch beim Kummt. Ich werd hinausgehn und das Brod besorgen.«

Als sie nach einer halben Stunde hereinkam, um zu melden, daß die Liesbeth nach Hause gehen könne, und ihr die Beiden folgten, stand draußen vor der Thür der alte Esel, fast hoch bepackt.

»Herrgottl!« rief Liesbeth, die Hände zusammenschlagend. »Was ists mit dem alten Peter?«

»Den führst fort. Tragen kannsts doch nicht. Bringst ihn nachhero hübsch wiedern.«

»Aber was hast denn aufgesackt?«

»Willsts etwan auch noch wissen?«

»Ja freilich.«

»So horch! Vier Brode zu acht Pfund eins. Fünf Pfund Mehl. Sechs Pfund Backobsten. Drei Flaschen Milchen. Eine Flaschen Eingemachts. Zwei Pfunden Strickgarn. Ein Paar neue Pantofferln und zwanzig Ellen Hemdenzeug. Da habt Ihr für diese Woche nun genug zu essen, und wanns alle ist, so kommst wieder!«

Liesbeth wollte Einspruch erheben, mußte aber mit dem alten Peter abziehen. - - -

An diesem Morgen nun hatte Walther sein Amt angetreten. Der Pfarrer hatte ihn eingeführt; das heißt, er hatte ihn in die Schule begleitet und den Kindern gesagt, daß dieser Herr der neue Lehrer sei. Dann war er wieder gegangen. Walther hatte dies so gewünscht.

Als sich der geistliche Herr entfernt hatte, forderte Walther die Schüler auf, ihre Gesangbücher zur Hand zu nehmen. Er fragte den Jungen, welcher der Erste in der Classe war, welches Lied gewöhnlich bei Beginn der Schule gesungen worden sei, und der Gefragte antwortete mit ernster Miene:


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»Auf d' Alma geh i aufi,
   Es brummelt schon der Stier,
Und wann er mit den Hörnern stößt,
   Ists ein verfluchtges Thier.«

Ein anderer Lehrer hätte über diese Frechheit den Gleichmuth verloren. Walther aber sah in die Liste, um den Namen des Jungen zu erfahren, und sagte:

»Du kannst nach Hause gehen. Heut brauch ich Dich hier nicht.«

Daß Einer für ein Vergehen eine solche Belohnung empfing, war noch gar nie da gewesen. Der Junge wußte gar nicht, ob er seinen Ohren trauen solle.

»Geh!« wiederholte der Lehrer kurz, indem er nach der Thür zeigte.

Der Bube nahm seine sieben Sachen und trollte sich schleunigst von dannen.

»Na, der Neue, der ist aberst freilich ein Dummer!« erklang es von einer der letzten Bänke.

»Wer sprach da?« fragte Walther.

»Des Hornfriedern sein Christjörgen.«

»Der kann auch für heut gehen.«

Der betreffende Junge stampfte höchst beglückt ab.

Dieses Strafverfahren fand den Beifall der lieben Schuljugend in solchem Grade, daß nach Verlauf der zweiten Unterrichtsstunde über die Hälfte der Kinder wegen Ungezogenheiten für heut Urlaub erhalten hatten. So war es auch am folgenden Tage.

Die Kunde von diesem wunderbaren Strafverfahren des neuen Lehrers verbreitete sich schnell im Orte. Diejenigen, welche ihm wegen seines tapfern Verhaltens gegen den Silberbauer gewogen waren, schüttelten die Köpfe, die Andern aber lachten ihn aus.

Am Abende des dritten Tages ging er zum ersten Male in den Gasthof, um ein Glas Bier zu trinken. Er that dies in einer ganz bestimmten Absicht, und auch, daß er zu einer Stunde ging, an welcher die meisten Gäste da waren, war eine Berechnung.

Als er eintrat, richteten sich Aller Blicke auf ihn. Die früheren Lehrer hatten hier das große Wort geführt. Walther aber setzte sich, nachdem er höflich gegrüßt hatte, an die Ecke des entferntesten Tisches.

Der Silberbauer war vorhanden. Er saß am großen Stammtische. Die Kratzwunden in seinem Gesicht sahen heut nicht mehr so auffällig aus.

Wie es in solchen Fällen herzugehen pflegt, waren einige Minuten lang alle Anwesenden still. Als Walther sein Bier erhalten hatte und von demselben trank, sagte der Silberbauer zu einem dicken, untersetzten, stierköpfigen Gast, der ihm gegenüber saß:

»Also, Hornfrieder, wie war das mit Deinem Buben, dem Christjörgen?«

Alle wußten es, daß es mit dieser Frage auf den Lehrer gemünzt sei.


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Walther aber freute sich innerlich, daß es gerade so kam, wie er es sich gewünscht hatte.

»Hasts noch nicht hört?« meinte der Gefragte.

»Ja, hört hab ichs wohl, aberst glauben thu ichs nicht. Es ist auch gar so dumm!«

»Ich hätts auch nicht glaubt, wanns nicht grad mein eigner Bub gewest wär. Also am Abend vorher wird ansagt, daß dera neue Lehrern am nächsten Morgen die Schul anfängt. Ich schick also den meinigen Buben hin. Er ist der Erst und Klügst in der ganzen Classen und darf also nicht fehlen. Als nun das Ding beginnt, so fragt der Lehrer den Meinigen, was für ein Lied immer in der Fruh sungen wird, und der Bub wird da vom Teuxeln geritten, daßt er ein Schnadahüpfl sagt, anstatt ein Gesangbuchsliedl.«

»Welches?« fragte der Silberbauer in der Absicht, die Scene recht lustig zu machen.

»Nun, Ihr kennts halt Alle. Es lautet:

»Auf d' Alma geh i aufi,
   Es brummelt schon der Stier,
Und wann er mit den Hörnern stößt,
   Ists ein verfluchtges Thier.«

Es erscholl ein allgemeines Gelächter durch die Gaststube. Die Blicke richteten sich verstohlen nach dem Lehrer. Dieser spitzte mit so gleichgiltiger Miene, als ob ihm die Sache gar nicht gelte, an einem Bleistift herum.

»Und was hat da der Herr Lehrern dazu sagt?« fragte der Vorsteher.

»Was meinst wohl?«

»Dem Buben eine Watschen geben?«

»O nein.«

»Hiebe mit dem Stock?«

»Auch nicht.«

»Vortreten lassen zur Schand?«

»O nein.«

So hat er ihn wohl ein paar Stunden länger in der Schul behalten?«

»Fallt ihm gar nimmer ein.«

»Was sonst?«

»Das grade Gegentheil hat er than. Er hat ihn fortschickt aus der Schulen.«

»Oho! Denkst, ich bin albern!«

»Es ist wahr.«

»Aberst mir machsts doch nicht weiß.«

Da schlug der Andere mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, und fluchte:

»Donnerwettern! Wannsts nicht glauben willst, so läßts halt bleiben!«


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»Ja, es ist wahr!« rief ein Anderer. »Den Meinigen hat er auch heimschickt.«

»Was hat denn der than?«

»Den hat er fragt, wo Frankreich liegt, und dera Bub ist so kitzlich west und hat sagt, bei uns hinterm Mist.«

»Na, den muß er doch durchhauen!«

»Er hat ihm aber grad frei geben.«

»Sollt man so was glauben!«

»Ja, ich hab denkt, mein Bub macht mir was weiß, als er nach Haus kommt und sagt: Vatern, der neue Lehrern ist verruckt. Wer von dera Schul loskommen will, der muß eine Dummheiten machen.«

»Das ist freilich wahnsinnig; das heißt halt grad heraus, das Vergehen belohnen.«

»Die Buben und Madels merken sichs auch bereits. Heut sind nicht der Drittheil Schülern dagewest.«

»Und da bekommt dera Lehrern den Gehalt!« rief der Silberbauer. »Keinen Pfennig soll er erhalten, nicht einen einzigen! Habt Ihr ihn schon auch Alle bereits einmal sehen?«

Er saß nämlich mit dem Rücken nach Walthern gerichtet und that so, als ob er ihn gar nicht bemerkt habe. Rundum wurde geantwortet:

»Ich nicht, ich auch nicht!«

Nur einige Verständige schwiegen.

»Ich möcht ihn doch mal sehen!« rief Einer. »Wer solche Dummheiten macht, der muß doch ein ganz besonderes Gesicht haben. Ja, ich thät allsogleich einen Schnaps geben, wann ich ihn sehen könnt!«

»So blicken Sie gefälligst hierher zu mir!« ertönte es laut von der Ecke her. »Ich bin der Mann, von dem Sie sprechen.«

Es trat eine augenblickliche Stille ein. Der Silberbauer drehte sich leicht um, that, als ob er ihn erst jetzt sehe und sagte halblaut:

»Ah! Ja, das ist er freilich.«

Der stierköpfige Bauer, dessen Junge den Vers gesagt hatte, lachte vor sich hin und sagte:

»So! Also so schaut er aus! Hm, hm!«

»Ja, so schau ich aus,« antwortete Walther. »Und ich selbst will nicht unterscheiden, ob ich dümmer aussehe als Sie. Aber das will ich fragen, ob Sie wissen, was Psychologie ist?«

Alle schwiegen.

»Und verstehen Sie vielleicht von der Erziehung mehr als ein Lehrer?«

Da fiel der Silberbauer ein:

»Ein Vatern, der Kindern hat, wird mehr davon verstehen als ein Lehrern, der keine hat.«

»Leider ist dies nicht der Fall; das bemerkt man an den Kindern. Wenn die Eltern Etwas von Erziehung verständen, so würde ein Lehrer von ihren Kindern nicht solche Antworten erhalten. Ich habe meine Schüler zu lehren


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und zu erziehen. Wenn die Zucht bei den Eltern fehlt, hätte ich vergebliche Mühe, und dazu bin ich nicht da, und dazu werde ich auch nicht besoldet. Ich werde also die Eltern zwingen, ja zwingen, ihre Kinder anders zu erziehen, anders zu behandeln.«

»Oho!« erscholl es fast allgemein.

»Zwingen?« rief der Stierköpfige. »Ich wollt wohl sehen, ob ein junger Schulmeistern, der zum ersten Male in die Welt kiekt, mich zu was zwingen kann!«

»Ja, gewiß! Sie, grad Sie sind wohl der Allererste, den ich zwingen werde.«

»Donnerwettern!«

»Ganz sicher. Kinder, welche gut erzogen sind, werden sich zu meiner Zufriedenheit verhalten; die bleiben bei mir und werden Etwas lernen. Buben aber, deren Väter Freude an den Ungezogenheiten derselben haben, jage ich fort, denn sie stören den Unterricht und stecken mir gar die Andern an. Solche Buben lernen also nichts.«

»Brauchts auch nicht!« rief Einer.

»Das sagen Sie jetzt aus Oppositionsgelüste. Aber wenn das Jahr herum ist und das Examen kommt, so entlasse ich Diejenigen, welche artig waren und Etwas gelernt haben; die Andern aber bleiben zu ihrer und ihrer Eltern Schande noch als Schulbuben sitzen, und wenn sie meinswegen unterdessen zwanzig Jahre alt werden sollten. Auf diese Weise zwinge ich die Eltern, darauf zu sehen, daß ihre Kinder sich zu meiner Zufriedenheit betragen.«

Wieder trat eine Stille ein. Man überlegte. Der Silberbauer ergriff als der Erste das Wort:

»Laßt Euch nix weiß machen, Ihr Leutln! Wann der Bub oder das Madl das Alter hat, so wirds aus dera Schulen entlassen.«

»Nein, sondern wenn es Das gelernt hat, was es gelernt haben muß!« fiel Walther ein.

»Oho! Ich bin der Vorstehern und werd es nie nicht dulden, daß ein Kind länger in dera Schulen gehalten wird.«

»Sie werden das ebenso gut dulden, wie Sie bereits schon Anderes sich haben gefallen lassen müssen. Ich dächte, Sie wüßten nun so ziemlich, woran Sie mit mir sind. Ich befolge meine Grundsätze und weiche nicht von ihnen ab. Ein Ortsvorsteher hat mir auf diesem Felde nicht das Mindeste zu befehlen. In der Schule bin ich Herr, und wenn die Schule zu Hohenwald noch so verwahrlost ist, so werde ich doch Herr werden über alle diese räudigen Schafe. Wer von Ihnen also darüber lacht, daß ich sein Kind fortschicke, der wird später nicht mehr lachen, wenn es mit sechszehn und noch mehr Jahren noch schulpflichtig bleiben muß. Wer also sein Kind lieb hat und auf Ehre hält, der mag dafür sorgen, daß ich ihm dasselbe nicht wieder nach Hause sende. Das ists, was ich Ihnen sagen wollte. Deshalb bin ich gekommen. Wer mich nun noch auslachen und für dumm halten will, der mag es thun. Später kommen wir zusammen. Die Verständigen unter Ihnen aber bitte ich, sich ja


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nicht verführen zu lassen; ihre Kinder würden es unschuldig zu entgelten haben. Jetzt gute Nacht, meine Herren!«

Er trank sein Bier aus, legte das Geld dafür auf den Tisch und ging, ganz unbekümmert um Das, was man nun über ihn sagen werde. Er begab sich zum Finkenheiner, um mit dessen Sohne die begonnene Zeichnenstudien fortzusetzen. Dort fand er den Müller, welcher nach seinem abgekürzten Vornamen Wilhelm in der ganzen Gegend nur der Müllerhelm genannt wurde. Beide junge Männer fanden Wohlgefallen an einander, und als der Lehrer erfuhr, daß der Müller seit heute der Verlobte der Liesbeth sei, freute er sich von ganzem Herzen über das Glück der Liebenden, durch welches ja auch der armseligen Lage des Heiners ein Ende gemacht wurde.

Als er die Schänkstube verlassen hatte, wurde von den Zurückbleibenden lebhaft auf ihn geschimpft. Der Allerschlimmste unter ihnen war der stiernackige Hornfrieder.

»Was!« sagte er. »Ich soll der Erste sein, den er zwingen will? Der Letzt werd ich sein, der Allerletzt. Ich erziehe meinen Buben ganz so, wie es mir gefallt, und laß mir von keinem Schulmeistern darüber Vorschriften machen.«

Die Debatte spann sich lange hin. Daher kam es, daß der Hornfrieder erst spät nach Hause kam und auch spät am Morgen aufstand, und zwar nicht in der allerbesten Stimmung, eine Folge des Rausches, den er mit nach Hause gebracht hatte. Als er in die Stube trat, stand sein lieber Christjörg am Tische und machte sich einen großen Papierdrachen. Die Mutter schimpfte eben darüber, daß ihr der Bube dazu einen großen Knäuel Strickgarn entwendet hatte.

Der Hornfrieder sah an die Uhr. Es war grad halb Neun.

»Nun, wird heut keine Schulen gehalten?« fragte er.

Der Junge antwortete nicht.

»Halts gehört, Christjörgen?«

»Ja.«

»So thu halt das Maul auf, wann ichs wissen will!«

»Schulen wird gehalten.«

»Aberst ohne Dich?«

»Ja. Ich hab wiedern frei.«

»Warum?«

»Weil der Lehrern ein Eseln ist.«

Da zuckte es eigenthümlich über das Gesicht des Bauern.

»So! Also ein Esel ist er? Woher weißt das?«

»Weil er nicht rechnen kann. Er hat sagt, mein Exempel sei falsch, und ich hab mich mit ihm stritten, daß es richtig ist.«

»So! Und da hat er Dich wiedern gehen heißen?«

»Ja.«

»Freust Dich wohl drübern?«

»Alleweil ja!«


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»So freu Dich auch mal darüber! Da hast!«

Er holte aus und gab ihm zwei gesalzene Ohrfeigen. Der Getroffene fuhr sich mit den Händen nach den beiden Backen und rief:

»Donnerwettern! Das ist mir auch noch nicht passirt!«

»Nein, das ist Dir auch noch nicht passirt; aberst von heut an kanns Dir alle Tage passiren, wannst wiedern nicht in dera Schulen bleibst!«

»Hast Dich ja selberst freut darüber!«

»Was? Gefreut hab ich mich? Sehr schön! Darum hast vor lauter Freuden noch zwei Watschen.«

Der Christjörgen nahm die zweite Portion mit lautem Gebrüll in Empfang und schrie:

»Ich bin noch nie gehaut worden und laß mich nicht versohlen! Verstanden!«

»Ja, habs wohl verstanden. Sollst auch gleich die Quittung erhalten!«

Er riß die Elle von der Wand, legte sich den Buben über das Knie herüber und maß ihm einige Kilometer von dem Theile ab, welcher für solche Messungen am geeignetsten ist.

»Um Gotteswillen! Du haust ihn ja todt!« schrie seine Frau voller Angst.

»Halts Maul! Es brauchts Niemand zu hören, daß ich den Buben verwalk. Das thät meinem Renommee schaden. So, Lausbub, da hast den letzten Hieb! Und wannst wiederum aus dera Schulen kommst, so erhältst noch viel mehr!«

»Warum aber?« fragte die Frau.

»Das verstehst halt nicht. Der neue Lehrern ist ein Kerlen wie dera Moltke. Wo der durch will, da geht er durch und haut den Feind. Wann der Bub ihm nicht parirt, so schickt er ihn heim, daß er nix lernen soll und nachhero nicht aus der Schulen kommt. Jetzt ist er der Erst in dera Classen. Das klingt gut und fein. Aber wie wirds dann nachher klingen, wanns heißen thut: Schaut doch mal den Hornfriedern seinen Christjörgen an! Der stellt sich im nächsten Jahr zum Militär und sitzt in der Schulen noch unter denen elfjährigen Buben!«

»Na, so was wird doch nicht geschehen!«

»Schweig! Sonst kriegst selberst auch Prügel! Ich laß mir den meinigen Buben nicht von Dir falsch verziehen! Hiebe muß er kriegen, Hiebe, daß die Schwarte knackt. Folgen und gehorchen muß er dem Lehrer; das verlange ich partutemang von ihm, aberst zu wissen braucht das Niemand, sonst werd ich halt ausgelacht!«

Leider aber wurde er bereits ausgelacht, ehe noch der Mittag herangekommen war. Sein Christjörg hatte einem andern Buben im Vertrauen mitgetheilt, daß er heut wegen der Schule die ersten Prügel bekommen habe und zwar so, daß ihm die Lederhosen hinten angeklebt seien. Er ging mit demselben also hinter das Haus, wo die Wasserpumpe stand, knöpfte die Lederhosen oben ab und ließ sie sich voll Wasser pumpen, damit sie sich von der


Ende der achtundzwanzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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