Der Weg zum Glück - Teil 3

Lieferung 3

Karl May

14. August 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Wer hätt' das gedacht,« sagte er, »weißt, gestern, als wir mit einander jodelten, und der König kam dazu. Hast denn nicht gewußt, daß er es war?«

»Nein.«

»Ja, ich kanns mir denken, wie das gewesen ist. Erst hasts nicht gewußt, und nachher, als Du es merktest, hast keine Zeit gehabt, an den König zu denken. Jetzt gehts auch ihm zu nahe, denn er ist wohl ein Wenig mit schuld daran. Er denkt nicht an die Gamserln und sitzt beim Pfarr wie ein Einsiedlermönch. Aber Du darfst den Kopf nicht sinken lassen. Du bist halt nicht die Einzige, die so etwas erlebt. Andere können halt auch davon reden.«

»Du nicht, Path Sepp!«

»Ich nicht? Was?«

»Nein, Du nicht. Du bist ein alter Junggesell und hast keinen solchen Kummer gehabt.«

»So, also ich nicht! Sag doch einmal, was schlimmer ist, wenn der Liebste stirbt, oder wenn er Einem untreu wird.«

»Nun, die Untreu ist wohl noch schlimmer als der Tod.«

»Siehst! Warum bin ich denn Junggesell blieben, he? Ich hab nie nicht gemeint, daß ich ledig bleiben werd. Ich hab auch ein Mädchen gern gehabt, so sehr gern, daß ich glaubt hab, ohne sie gar nicht sein und leben zu können. Da bin ich eingezogen worden zum Militair und hab fort gemußt. Erst hat sie mir geschrieben, dann immer weniger und endlich gar nicht mehr. Und als ich nachher wieder heim kommen bin, ist sie mit einem Andern verheirathet gewesen.«

»Das war schlecht!«

»Meinst? Es hat da wohl einen Grund gegeben, daß sie mein nimmer hat denken wollen. Ich bin verleumdet worden. Weißt, wie der ihrige Mann nachher geheißen hat?«

»Nein. Wie?«

»Berghuber war sein Name.«

»Herrgott, das ist ja der meinige!«

»Ja, sie ist Deine Mutter gewesen.«

»Aber davon weiß ich doch gar nix!«

»Ist auch nicht nöthig. Heut aber, wo Du thust, als ob Du alls Elend der Welt allein zu tragen hast, da hab ich Dirs sagen wollen. Damals ist mirs auch gewesen, als ob ich vor Gram und Harm zerfließen soll; aber ich hab mich halt aufgerafft und bin sogar der Freund meines Nebenbuhlers geworden. Er hat mich zu Deinem Pathen gebeten, und dann, als Deine Muttern starb und nachher auch der Vater, da bin ich Dir Vater und Mutter gewesen und will es bleiben, bis der Herrgott mich von hinnen ruft. Je älter man wird, desto mehr sinkt die Erd mit all ihrem Jammer in das Nichts zusammen. Man kommt dem Himmel näher und hört bereits die lieben Englein die Cympeln und die Harfen stimmen. Willst mir einen Gefallen thun, so geh jetzt mit zum Kirchhof, wo draußen Deine Eltern liegen. Da wollen wir beten,


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und dann wird Dir Dein armes, junges Herz ruhig werden, so wie das meinige auch ruhig geworden ist durch das Gebet und in der Arbeit und Sorg des Lebens. Willst mit, Leni?«

»Ja, komm, lieber Path!

Sie gab ihm die Hand, und so gingen sie durch das Dorf nach dem Kirchhofe, in dessen Mitte die Kirche stand. Die Thür war offen.

»Horch!« sagte der Sepp. »Der Cantor probirt.«

Es waren soeben die getragenen Töne des Chorales zu vernehmen:

»Steig nieder, Gott, vom Himmelsthrone,
   Und schenk mir Deines Friedens Ruh.
Mich drückt des Schmerzes Dornenkrone;
   Mein einz'ger Trost, o Herr, bist Du.«

»Kennst das Lied?« fragte der Sepp. »Das paßt für Dich und auch für mich. Wollen wir einmal eintreten und uns hinsetzen. Wann ich die Orgel höre, so ist es mir stets, als ob der Herrgott herniederlange, um mir Balsam in das alte Herz zu träufeln. Den brauchst auch Du jetzund.«

Er führte sie hinein. Sie setzten sich auf eine der gleich voran stehenden Bänke und lauschten.

Der Cantor war ein guter Organist. Er verstand, mit den Registern umzugehen. Er spielte eine Melodie nach der andern, nicht blos Kirchenlieder, sondern auch andere. Zuletzt ging er zu dem ergreifenden Gebete über:

»Herr, ich trete im Gebete
   Vor Dein heilig Angesicht.
Laß Dir sagen meine Klagen;
   Höre, was mein Flehen spricht.
Meines Lebens kurze Stunden
   Neigen sich zum Abendroth;
Alles Hoffen ist verschwunden,
   Und mein Sein sinkt in den Tod.
Darum trete im Gebete
   Ich jetzt vor Dein Angesicht.
Laß Dir sagen meine Klagen;
   Höre, was mein Flehen spricht!«

Diese Melodie wirkt unwiderstehlich auf jedes empfängliche Gemüth. Leni saß da, mit gefalteten Händen, und in lauter Thränentropfen löste sich der Schmerz von ihrem Herzen. Auch der Wurzelsepp fuhr sich fleißig mit der Hand nach den Augen.

Beide hatten gar nicht bemerkt, daß sie nicht mehr allein seien, sondern daß hinter ihnen Einer stand, der sie theilnehmend beobachtete. Als dann der letzte Ton verklungen war, legte sich eine Hand auf Leni's Achsel.

»Kommt mit mir! Ich habe mit Euch zu sprechen.«

Sie drehten sich um.

»O Himmel! Der König!« sagte der Sepp.

»Erschrickst Du vor mir?«


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»Nein, Majestät. Mein Gewissen ist gut, wenn auch grad jetzt uns die Herzen schwer sind.«

»So geht mit mir! Vielleicht gelingt es mir, sie Euch zu erleichtern.« - - -

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Zweites Capitel.

Gebrochene Liebe.

Der Krikelanton hatte, seit er so glücklich gewesen war, den Kuß Leni's auf seinen Lippen zu fühlen, wirklich eine solche innere Leichtigkeit empfunden, als ob er nun fliegen könne. Er war ein berühmter Bergsteiger, hatte tausendmal zwischen Himmel und Erde, zwischen Leben und Tod gehangen und dem Verderben kühn in das grasse Angesicht geschaut. Ein Wagniß wie das, da über den Grat zu gelangen, hatte er freilich noch nicht unternommen; aber er sagte sich, was eine Mondsüchtige leiste, könne auch er vollbringen, und so hatte er in seiner Verwegenheit Leni zugerufen:

»Ich kann fliegen; weißts ja!«

Uebrigens gab es keinen Ausweg für ihn. Widerstand wollte er nicht leisten, um die Strafe nicht zu erhöhen; ohne ihn kam er aber nicht durch, und da er sich auch nicht ergreifen lassen wollte, so mußte er eben über die schmale, scharfe Felsenkante hinüber.

Er wußte zur Genüge, daß es darauf ankam, keinen Fehltritt zu thun und das Gleichgewicht zu erhalten. Seinen Alpenstock hatte er zurücklassen müssen, und darum bückte er sich, hart an der Kante angekommen, nieder und hob zwei schwere Steine auf, mit denen er, in jeder Hand einen, balanciren konnte.

So betrat er den mehr als gefährlichen Grat. Ueber sich den Vollmond, welcher ihn hell beleuchtete, unter den Füßen den scharfen Felsen, blickte er nur auf diesen Letzteren und hütete sich, einen Blick rechts und links hinunter in die gähnende Tiefe zu thun.

Es ging besser, als er gedacht hatte. Verlor er ja das Gleichgewicht, so konnte er sich niedersinken lassen, um sich auf den Felsengrat zu legen. Nur mußte er sich hüten, schwindelig zu werden. In diesem Falle war er unbedingt verloren. Uebrigens beruhigte ihn das Bewußtsein, daß er niemals auch nur die geringste Anwandlung eines Schwindels gefühlt hatte.

So schritt er weiter und weiter. Er hörte die Rufe hinter sich, konnte sie aber natürlich nicht beachten. Sorge machte ihm nur das Wölkchen, welches sich sehr schnell dem Monde näherte. Verdunkelte es diesen so sehr, daß er den Fels nicht mehr erkennen konnte, so konnte er seine Rechnung mit dem Leben schließen.


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Da ertönte das »Halt!« des Oberförsters hinter ihm.

Es wurde wiederholt.

»Wird er etwa gar schießen, wenn er zum dritten Male gerufen hat, und ich gehorche nicht?« fragte sich Anton.

Der Oberförster war als ein ausgezeichneter Schütze bekannt. Es stand nicht zu erwarten, daß seine Kugel fehl gehen werde, zumal bei der fast tageshellen Mondesbeleuchtung. Dennoch durchzuckte den Wilderer ein rascher Gedanke. Er konnte die Beamten täuschen, so daß sie glauben mußten, daß er hinabgestürzt sei. Grad dazu war ihm das Wölkchen höchst willkommen.

Der Ruf des Oberförsters ertönte zum dritten Male, dann krachte der Schuß. Anton fühlte Etwas, als ob er durch ein Rohr stark angeblasen worden sei; das war vom Luftdruck der hart an seinem Kopfe vorübergehenden Kugel. In demselben Augenblicke zog das Wölkchen vor den Mond, denselben ziemlich stark verdunkelnd, so daß Anton nicht von der Alm aus gesehen werden aber doch den unter seinen Füßen liegenden Felsengrat noch gut erkennen konnte. Schnell that er zehn - fünfzehn -zwanzig Schritte vorwärts; dann ließ er sich nieder und legte sich auf den Felsen.

Schüsse und Rufe ertönten auch von da herüber, wohin er wollte. Das waren jedenfalls Leute, die dorthin postirt waren, um ihm auch jenseits den Weg nach Oesterreich abzuschneiden. Dann trat eine augenblickliche Stille ein.

Er nahm an, daß Alle dahin blicken würden, wo er sich im Momente des Schusses befunden hatte, und da er zwanzig Schritte weiter vorgerückt war, so sah man ihn wohl nicht, obgleich das Wölkchen den Mond jetzt wieder freigegeben hatte. Er ließ die Steine in die Tiefe fallen. Das Geräusch, welches sie verursachten, mußte die Leute auf den Gedanken bringen, er selbst sei abgestürzt.

Laute Schreckensrufe waren hinter ihm erklungen, ein Beweis, daß seine Absicht, die Männer zu täuschen, gelungen sei. Nun kroch er vorwärts, den Körper in liegender Stellung haltend, nicht langsam, sondern möglichst schnell, wie ein Wiesel, so gewandt.

Das mußte er, denn er hörte eilige Schritte von der Höhe, nach welcher er seine Flucht richtete, herabkommen und laute aufmunternde Stimmen erschallen.

Er mußte eher als diese Leute an dem Rande des Abgrundes ankommen.

Jetzt erreichte er die Stelle, wo der Schatten des Berges sich auf den Felsengrat legte, doch war dieser Letztere noch immer zu erkennen. Er erhob sich und balancirte sich weiter.

»Ist er getroffen worden?« fragte eine athemlose Stimme von aufwärts herab.

»Weiß nicht,« antwortete eine andere, welche von weiter abwärts und viel näher ertönte.

»So schnell, schnell, damit wir ihn noch auf dem Grat überraschen!«


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Jetzt galt es! Wohl noch dreißig Ellen waren zwischen Abgründen zurückzulegen. Anton sprang mehr, als er ging. Da - da - noch ein kühner, weiter, tigerartiger Satz, und er hatte den Rand erreicht.

Zugleich aber tauchte die Gestalt des ersten, ihm entgegenkommenden Feindes auf. Anton sprang seitwärts weiter. Er war gesehen worden.

»Halt! Halt!« rief es.

Die Gefahr verlieh ihm doppelte Schnelligkeit. Er konnte unmöglich den steilen Berg empor, in den Abgrund, dem er soeben erst entgangen war, auch nicht; er mußte also grad vorwärts, seinen Verfolgern entgegen. Er schlug einen kleinen Bogen und warf sich dann platt zur Erde nieder. Der erste Verfolger rannte in kurzer Entfernung an ihm vorüber. Jetzt erhob er sich und schnellte vorwärts. Vor ihm tauchte das Alpengebäude auf, in welchem die Nachtwandlerin wohnte. Jenseits desselben erklangen die eiligen Schritte der ihm entgegenkommenden Verfolger, und hinter ihm hatte sich der erste derselben wieder umgedreht und kam auf ihn zu. Anton befand sich also grad in ihrer Mitte. Es gab keine andere Rettung als in dem Hause. Er zog blitzschnell die Bergschuh aus, um seinen Tritt unhörbar zu machen, und sprang auf das Gebäude zu. Dieses war nicht eine gewöhnliche kleine Almhütte, sondern es bestand aus einem Erdgeschoß mit mehreren Räumen und zwei darüber liegenden Giebelstübchen. Das Dach ragte nach der Sitte des Gebirges weit vor.

Eben wollte er um die Ecke des Hauses biegen, hielt aber den eiligen Schritt noch zur rechten Zeit an, um erst um dieselbe zu blicken. Er sah da zwei Gestalten stehen, eine männliche und eine weibliche, die er sofort als die Mondsüchtige erkannte.

Dahin konnte er also nicht. Wohin aber dann?

Die hintere Seite des Häuschens war an den Berg gebaut; er konnte also hinten nicht vorüber. Er erhob den Blick. Das Giebelfensterchen oben war erleuchtet. Unten im Erdgeschoß gab es auf dieser Giebelseite zwei Fenster, deren eins mit einem Laden verschlossen war; das andere stand offen, und es brannte da kein Licht.

Schnell stieg er hinein, die Schuh natürlich fest in der Hand haltend. Gegenüber dem Fenster mußte die Thür liegen. Er ging auf dieselbe zu. Sie war nur angelehnt. Draußen im engen Flur stand eine Lampe. Jedenfalls hatten die beiden vor dem Hause stehenden Personen sich hier in der Stube befunden, hatten die Schüsse und Rufe vernommen und waren hinaus geeilt, die Lampe mit sich nehmend und im Hausflur niedersetzend.

Hier unten durfte er nicht bleiben. Vielleicht gab es oben einen Versteck. Eine schmale Stiege führte empor. Er bemerkte, daß die Hausthür so wenig offen stand, daß er von den beiden draußen Stehenden nicht gesehen werden konnte, trat schnell in den Flur hinaus und stieg eiligst die Stiege hinauf. Oben war es dunkel. Er tappte mit den Händen umher; der Platz war sehr eng, rechts und links eine Thür, vor und hinter sich das Dach.

Die Thür zur rechten Hand war verschlossen, die zur Linken nicht. Aber


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er wußte ja, daß hinter der Letzteren eine Lampe brannte. Sollte er da hinein? War Jemand drin?

Während er überlegte, hörte er unten Stimmen und die deutlichen Worte:

»Ist er hier vorüber?«

»Nein.«

»So muß er ins Haus herein sein.«

»Unmöglich!« meinte eine andere Stimme, nämlich diejenige des Mannes, welcher mit der Nachtwandlerin vor dem Hause gestanden hatte.

»Wissen Sie das genau, gnädiger Herr?«

»Ja. Sobald der Schuß erschallte, bin ich mit meiner Cousine hier vor die Thür gegangen und habe bis jetzt den Platz nicht verlassen. Ich hätte es also sehen müssen, wenn eine Person eingetreten wäre. Uebrigens würde ich einem Flüchtigen jedenfalls den Eingang energisch verwehrt haben.«

»Einen zweiten Eingang giebt es nicht?«

»Nein.«

»Aber am Giebel steht das Fenster offen. Er könnte ohne Ihr Wissen da eingestiegen sein. Ich muß Ihnen leider beschwerlich fallen und Sie höflichst ersuchen, nachschauen zu dürfen.«

»Thun Sie es!«

Wie gut war es, daß Anton nicht in der Unterstube geblieben war. Es gab jetzt keine Wahl mehr, er mußte in die erleuchtete Oberstube treten.

Leise klinkte er die Thür auf. Es bot sich ihm ein überraschender Anblick dar. In dem kleinen, niedrigen Raume befand sich ein weiß überzogenes Bett, ein länglicher Tisch, zwei Stühle, ein Spiegel, eine Kommode und ein kleiner Hundeofen. Auf dem Tisch brannte die Lampe. Das wäre nun nichts Merkwürdiges gewesen; aber am Fenster stand, das Gesicht nach der Thür gerichtet, eine Dame im Alter von vielleicht achtundzwanzig bis dreißig Jahren. Sie war höchst üppig, ja stark gebaut. Man hätte ihren Anzug für ein Schlafnegligé halten können, wenn nicht einiges Fremdartige dabei gewesen wäre.

Sie trug nämlich ein langes, bis fast auf die Knöchel reichendes, weißes, hemdartiges Gewand, welches über den Hüften von einem Gürtel festgehalten wurde und die Formen des colossalen Busens deutlich sehen ließ. Um den entblößten Hals legte sich eine breite Goldkette. Das Gewand hatte keine Aermel; die fetten Arme waren nackt und über dem Ellenbogen und an den Handgelenken mit Spangen versehen. Auch die Füße waren nackt und trugen eine für das bayrische Oberland und die herbstliche Jahreszeit verwunderliche Bekleidung, nämlich Sandalen, welche mit um den Unterschenkel kreuzweise geschlungenen Riemen befestigt waren. Das Haar war in einen griechischen Knoten geschlungen, und über der Stirn glänzte ein breites, hohes Diadem.

Das Gesicht dieser Dame war sehr bleich und zeigte den Ausdruck größter Gutmüthigkeit, nur jetzt in diesem Augenblicke nicht, an welchem sie Anton eintreten und die Thür hinter sich zuziehen und verriegeln sah. Sie erschrak natürlich über sein Erscheinen.


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»Gott! Was woll - - -«

Sie rief das lauter, als ihm nöthig erschien. Er unterbrach sie schnell mit einer bittenden, beruhigenden Armbewegung, beugte sich vor, als ob er vor ihr niederknieen wolle, und sagte mit von der gehabten Lungenanstrengung zitternder Stimme:

"Rette mich!"

»Rette mich!«

Sofort nahm ihr Gesicht einen ganz anderen Ausdruck an, fast des Entzückens.

»Retten?« fragte sie. »Ists ein Abenteuer?«

»Ein lebensgefährliches sogar.«

»Ein Liebesabenteuer?«

»Ist auch dabei.«

»O wunderschön! Wunderschön!«

Sie nahm die Feder, welche hinter ihrem Ohre steckte, hervor und legte sie auf den Tisch zu den Schreibereien, welche sich dort befanden.

»Er nennt mich sogar gleich Du!« flüsterte sie entzückt. »Bist Du Der, welchen sie suchen?«

»Ja.«

»Sie wollten Dich erschießen?«

»Grad als ich auf der Felswand lief.«

»Herr, mein Gott! Dahin hast Du Dich gewagt! Mensch, kannst Du fliegen? Du bist ein Held! Warum verfolgt man Dich?«

»Weil ich ein Gamserl geschossen hab.«

»So bist Du ein Gemsenjäger? Wohl gar ein Wildschütz?«

»Es ist schon so.«

»Dann rette ich Dich! Du bist mir hoch willkommen, ein Sujet, wie ich es gar nicht interessanter finden konnte!«

»So mach halt schnell; sie werden gleich kommen!«

»Leg Dich ins Bett! Ich decke Dich zu!«

»Nein, das thue ich nicht. Ich will mich nicht aus dem Schlafkasten heben lassen. Ich steig zum Fenster hinaus - - -«

»Unten steht eine Wache!«

»Das thut nix. Ich will gar nicht hinab, sondern mich nur auf den Dachbalken setzen.«

»Auf den Sparren? Der Wächter wirds hören.«

»Nein, gar nicht. Ich weiß schon so leise zu machen, wie ein Mäusle. Thu mir das Licht einen Augenblick weg, damit man mich nicht hinaussteigen sieht und mach das Fenster dann zu. Nachher aber, wann sie fort sind, kannst mich wieder hereinschlupfen lassen.«

»Gut! Schnell! Ich glaub, sie kommen schon.«

Es ließen sich wirklich Schritte auf der Treppe vernehmen. Die sonderbare Dame stellte das Licht unter den Tisch. Anton hatte die Schuhe wieder angezogen und trat an das offene, jetzt dunkle Fenster. Als er hinunterblickte, zeigte ihm sein scharfes Auge, daß der Wächter für einen Augenblick um die


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Ecke gegangen war. Ueber dem Fenster ragte der Dachwinkel wohl gegen zwei Ellen über die Mauer hervor; die Sparren waren durch zwei Querbalken verbunden. Anton schwang sich auf diese Letzteren hinauf.

Da klopfte es auch schon an der Thür.

»Franza!« sagte eine Stimme.

Sie machte das Fenster zu, hob die Lampe wieder auf den Tisch und wendete sich dann in der stolzen Haltung eines Feldherrn nach der Thür.

»Was ist?« fragte sie.

»Bitte, mach auf!«

»Für wen?«

»Es ist Polizei da.«

»Kann nicht. Ich dichte und befinde mich also im Costüm.«

»So wirf Etwas über!«

»Warte!«

Die Garderobe befand sich wohl unten, denn in dem Stübchen war gar nichts zu sehen, was einem Mantel oder Umschlagetuch ähnlich gewesen wäre. Die Dichterin aber wußte sich zu helfen. Sie zog die weiße, gewaffelte Tagesdecke vom Bette, warf sie um sich und schloß dann auf.

»Tretet herein, Ihr Mandataren des allmächtigen Gesetzes!«

Sie sagte das in einer Haltung und einem Tone, als ob sie sich als Heldenspielerin auf der Bühne befinde. Ein junger Herr in Civil und zwei Jäger kamen herein.

»Verzeihung, Cousine!« bat der Erstere. »Diese Herren verfolgen einen Verbrecher und wollen sich überzeugen, daß er sich nicht hier bei Dir befindet.«

»Einen Verbrecher? Ich wollte, er wäre hier! Ich könnte ihn gebrauchen!«

»Du scherzest!«

»Nein. Es ist mein völliger Ernst. Ich brauche ein schreckliches Individuum als Sujet zu meinem neuen Romane. Meine Herren, wenn Sie den Kerl finden, so bringen Sie ihn für einige Stunden zu mir. Ich will sehen, welche Gräuel ich ihm entlocken kann. Mein Roman soll nämlich den Titel haben:

Der Schauder-, Schucker-, Schreckenskönig
oder
der Waldteufel in der Gebirgshölle.
Gedichtet und erlebt von
Gräfin Furchta Angstina von Entsetzensberg.«

Die beiden Fremden wußten nicht, woran sie waren.

Der Eine machte ein Gesicht, als ob er vor Mitleid schluchzen wolle, und der Andere sah aus, als ob er sich die größte Mühe gebe, das Lachen zu verbeißen.

»Also, meine Herren, suchen Sie!« sagte die Dichterin, mit einer wahrhaft königlichen Armbewegung in dem Stübchen umherzeigend.


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Die Jäger blickten unter den Tisch und unter das Bette, griffen auch in dasselbe hinein.

»Hier ist er nicht,« sagte der Eine. »Und das Fenster ist auch zu. Er kann also nicht hereingestiegen sein.«

»Nein. Dazu müßte er auch eine Gestalt haben wie der Wolkenschieber Ranunkulus. Wollen Sie vielleicht auch noch hier herein sehen, um sich zu überzeugen?«

Sie zog den Tischkasten auf.

Der Jäger hatte eine scharfe Zurechtweisung auf den Lippen, auf einen begütigenden Blick des Civilisten aber sagte er nur:

»Da müßte er nun desto kleiner sein. Verzeihung, daß wir gestört haben, Fräulein von Stauffen!«

Sie gingen. Als sie draußen die Thür hinter sich zugemacht hatten, sagte der Civilist:

»Sie dürfen meiner Cousine nicht zürnen. Sie leidet an Dichterithis.«

»Was ist das?«

»Sie will dichten und Romane schreiben und bringt nichts fertig; das hat ihr den Kopf verdreht, und darum ist sie zuweilen nicht so ganz zurechnungsfähig.«

Die Jäger verabschiedeten sich. Draußen an dem Giebel, wo die Wache stand, blieben sie noch einen Augenblick stehen. Einer sagte:

»Eine unglückliche Familie! Die eine Tochter ist mondsüchtig, und die andere hat den Dichterwahnsinn. Ich wäre grob geworden, wenn der Freiherr von Brenner mir nicht gewinkt hätte. Wo aber ist nun der Krikelanton!«

»Er ist uns also doch entkommen.«

»Das ist gradezu unmöglich. Vorüber hat er nicht gekonnt, und rückwärts in den Abgrund wird er doch auch nicht gesprungen sein. Hast Du ihn denn genau gesehen?«

»Hm! Ganz deutlich nicht. Hier hüben scheint der Mond ja nicht.«

»Es ist irgend ein Schatten gewesen, den Du für den Anton gehalten hast.«

»Ich hab aber doch seine Schritte gehört!«

»Das werden wohl die unserigen gewesen sein. Nein, er ist sicher erschossen worden und in die Tiefe gestürzt.«

»Wollen wir hinab?«

»Nein, das dürfen wir nicht. Wir können unsern Posten nur dann verlassen, wenn wir abgelöst werden, also zur Mittagszeit. Komm!«

Sie entfernten sich.

Anton hatte jedes Wort gehört. Er war nun seiner Rettung gewiß, wartete eine Weile und klopfte sodann an das Fenster. Franza von Stauffen öffnete und fragte:

»Sind sie fort?«

»Ja.«

»So komm herein!«


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Er stieg hinein. Als er nun vor ihr stand, machte sie das Fenster wieder zu und betrachtete ihn.

»Also so sieht ein Wilderer aus!« meinte sie, ihm mit wohlgefälligem Blicke in das kühn geschnittene Gesicht blickend.

»Gefall ich Dir nicht?«

»Oja, Du gefällst mir sehr gut, und ich freue mich, Dich gerettet zu haben.«

»Ich werd es Dir halt nimmer vergessen. Hab Dank auch tausendmal!«

Er streckte ihr die Hand entgegen, welche sie freudig ergriff. Ihr Gesicht nahm einen beinahe liebevollen Ausdruck an.

»Hast Du jetzt noch Zeit?« fragte sie.

»Ja. Ich kann halt noch nicht fort.«

»So setz Dich. Ich will mir mein Sujet auch nicht so schnell entgehen lassen.«

»Was ist das für ein Wort?«

»Süscheh wird es ausgesprochen und Sujet geschrieben. Es ist französisch und heißt so viel wie Gegenstand zu einem Gedichte oder Romane. Du sollst das Sujet für den Roman sein, den ich zu schreiben gedenke. Du scheinst ein sehr tüchtiger Kerl zu sein. Ich liebe die Alpenwelt. Kennst Du den Tell von Uhland?«

»Den Tell kenne ich; aber der meinige ist von Bürglen in Uri und nicht von Uhland. Den Ort kenne ich gar nicht.«

Da lachte sie auf und meinte:

»Kostbar, sehr kostbar! Eine richtige Gebirgsnaivität! Komm her; ich muß Dich küssen!«

Sie trat auf ihn zu und wollte ihn auf die Stirn küssen. Er wehrte ihr erschrocken ab.

»Laß sein! Ich mag kein Geschmatz. Ich kenn Dich ja gar nicht.«

»Aber Du wirst mich schon noch kennen lernen. Uhland ist gar kein Ort, sondern ein Dichter, der auch über die Alpen gedichtet hat. Da sagt er:

»Grün wird die Alpe werden,
   Stürzt die Lawin' einmal;
Zu Berge ziehn die Heerden,
   Fuhr erst der Schnee zu Thal.«

und ich, die ich auch Dichterin bin, würde hinzusetzen:

»Mit innigen Geberden
   Grüß ich Euch tausendmal!««

»Die Heerden?«

»Ja, die Heerden, die Lawinen, die Berge und auch Dich. Du bist gewandt, stark, schön und verwegen. Auf Dich paßt die Strophe:

»Wär ich ein Sohn der Berge,
   Ein Hirt am ewgen Schnee,
Wär ich ein kecker Ferge
   Auf Uri's grünem See,«


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und ich, die ich auch Dichterin bin, würde hinzusetzen:

»So thäten mir die Zwerge
In meinem Herzen weh.««

»Hast etwan Zwerge verschluckt?«

»O nein! Das ist nur eine dichterische Redeblume. Ich meine damit die vielen kleinen Gefühle, welche im Herzen wohnen.«

»Das ist ganz besonderbarlich. Ich pfleg das Ding beim richtigen Namen zu nennen. Du schaust doch sonst gar nicht aus, als ob Du verrückt seist!«

»Verrückt? Das ist kostbar, höchst kostbar. Ich muß Dich küssen.«

Er streckte sofort zur Abwehr die Arme vor.

»Nein, nein! Ich dank schön! Ich hab der Leni versprochen, nur sie allein zu busseln.«

»Du hast eine Leni?«

»Na, und was für eine! Die hat Augen wie Karfunkel und eine Stimm wie ein Nachtergall. So krähen wie die kann nicht mal der allerbeste Hahn im Dorf. S' ist eine Pracht!«

»Die möcht ich sehen!«

»Hast sie noch nicht geschaut, die Sennerin da drüben?«

»Die? Ja, die hab ich wohl gesehen. Sie ist ein bildsauberes Mädchen. Du hast sie wohl sehr lieb?«

»Lieb! So lieb, so ganz lieb, daß ich sie halt gleich fressen möcht, auch ohne daß sie ehebevor in der Pfann gebraten ist. Sie ist appetitlich wie Keine.«

»Auch appetitlicher als ich?«

Er kam in Verlegenheit, zog sich aber aus derselben durch die Antwort:

»Ja schau, das kommt halt auf den Geschmack an. Wer eine Sennerin haben will, so recht derb und kräftig, der muß sich eine Leni nehmen; wer aber eine Dichterin begehrt, weich und fett wie eine Martinsgans, der muß zu Dir kommen.«

Sie brach abermals in ein herzliches Lachen aus.

»Eine Martinsgans! Welch eine köstliche, glückselige Unbefangenheit! Du bezauberst mich ganz und gar. Komm her; ich muß Dich - - -«

»Bleib mir vom Leib!« fiel er schnell ein. »Ich darf mich halt nicht von einer Jeden im Gesicht bemaulen lassen. Wann ich schmutzig bin, wasch ich mich schon stets selber ab. Ich geb es ja zu, daß Du ein besonderlich hübsches Weibsbild bist, obgleich Du Dich in das Bettlaken eingewickelt hast wie ein Gespenst; aber deswegen brauchst mich doch nicht immer busseln zu wollen. Damit laß mich aus!«

»Prächtig, ausgezeichnet!« lachte sie noch immer. »Du bist der richtige Alpensohn, den ich mir nur wünschen kann. Du wirst mein bestes Sujet sein. Und wenn Dich die Decke stört, so will ich sie ablegen.«

Sie warf sie von sich und stand nun wieder in ihrer vorigen, fremdartigen Kleidung vor ihm. Er musterte sie mit eigenthümlichem Blicke. Er hatte das Gefühl, daß sie vielleicht an ihrem geistigen Zustande unschuldig sei, denn er


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wußte gar wohl, daß gewisse Krankheiten und Sünden der Eltern sich an den Kindern rächen. Darum fühlte er ein aufrichtiges Wohlwollen und ein mit Respect gepaartes Mitleid für sie.

»Aber sag, gehst Du denn in diesem Hemd auch auf die Gaß?« fragte er.

»Hemd? Das ist eine Tunika. Sieh mich doch an, was ich eigentlich vorstelle!«

»Wohl eine Seiltänzerin?«

»Welch eine Verwechslung! Weißt Du, wer Kalliope und Erato sind?«

»Nein. Sinds vielleicht fremde Thiere? Etwan Papageiern?«

»Ganz Alpenkind, ganz Alpenkind! Kalliope und Erato sind die Musen der Dichtkunst. Ich bin als Erato gekleidet. Nur in diesem Gewande kommt der Geist über mich.«

»Alle guten Geister loben ihren Meister!« rief er aus, drei Kreuze schlagend.

»Ich meine nicht ein Gespenst, sondern den Geist der Dichtkunst. Der hat jetzt Deine Gestalt angenommen. Dein Erscheinen begeistert mich zu einem Alpenroman oder zu Alpenliedern, durch welche ich großen Ruhm erlangen werde. Schon wenn ich Dich nur ansehe, möchte ich gleich singen:

Zu Dir zieht michs hin,
Wo ich geh und bin,
Hab nicht Rast und Ruh,
Bist ein netter Bu!

und dazu möcht ich in alle Welt hinausjodeln, daß man es von Island bis nach Sizilien hört.«

»Verschluck nur keine Noten dabei. Laß das Jodeln lieber mir und der Leni über.«

»Ja, die ist Meisterin im Jodeln; das habe ich sehr oft gehört. Erzähle mir doch von ihr, damit ich Euch kennen lerne und über Euch schreiben kann!«

Da traf sie den richtigen Punkt. Er sprach gar zu gern von der Leni. Doch meinte er:

»Erzählen will ich Dir wohl Alles, aber aus dem Schreiben wird nix. Wann wir einander einen Brief senden wollen, knaxen wir ihn selber zusammen. Wann auch die Buchstaben ausschaun wie Hühnertapfen, so wissen wir halt doch, was es zu bedeuten hat.

Und nun begann er, zu erzählen, von sich und seinen alten, armen Eltern, von der Leni, von ihren beiderseitigen Verhältnissen und Erlebnissen und endlich auch von dem Ereignisse der letzten Nacht. Das Interesse der Dichterin wuchs von Wort zu Wort. Die Liebe des Sohnes zu den Eltern that ihr wohl und nahm ihre ganze Sympathie in Anspruch. Und nun erst seine heutige Flucht!

»Anton, Du bist ja der reine Held!« sagte sie am Schlusse seiner Erzählung. »Also sogar einen Bär hast Du geschossen! Hast Du Dich nicht gefürchtet?«


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»Gefürchtet? Etwan vor ihm? Das fallt mir doch nimmer ein! Wann er sich muxt, so bekommt er die Kugel, und dann ists ab.«

»Du bist wirklich ein außerordentlicher Mensch, ein Bayard, ein Roland, ein - ein - - ich finde gar keine Worte; ich muß es Dir durch die That beweisen, wie ich Dich achte. Komm her, und laß Dich küssen!«

»Halt! Komm mir nicht zu nahe! Willst nun endlich Ruhe geben oder nicht! Was hast denn nur von dem Geküß und Geschnalz! Nimm den Löffel, und iß eine Hollundersuppen mit Knoblauch dran! Das schmeckt grad ganz genau so wie ein Busserl mit Schnurrbart. Oder kauf Dir einen Hampelmann vom Jahrmarkt! Mit dem kannst schamerirn und Honig kaun nach Noten!«

Sie schüttelte sich vor Lachen.

»Das wird besser und immer besser! Anton, Dein ganzes Leben ist ein Roman; ich will auch selbst eine Rolle in demselben spielen. Ich will mit thätig eingreifen in die Gestaltung Deiner Zukunft. Darf ich?«

»Meinswegen! Aber der Griff darf nicht wehe thun. Verstanden?«

»Hab keine Sorge! Zunächst gilt es, Dich aus der gegenwärtigen Verlegenheit zu reißen. Wohin willst Du fliehen?«

»Zunächst zu den Eltern.«

»Wo wohnen die?«

»Jenseits der Grenz im Salzburgischen, in der Gegend von Elsbethen.«

»Und Du kannst nicht hinüber?«

»Es wird halt schwer gehen. Allüberall sind die Wege besetzt, daß ich nicht hindurch kann.«

»Ich bringe Dich dennoch hinüber.«

»Du?« fragte er ungläubig.

»Ja, ich!«

»In wieso denn?«

»Wir verkleiden Dich.«

»Verkleiden? Meinst, daß ich etwan ein ander Gewandl anthu?«

»Ja. Dann kennen sie Dich nicht.«

»Als was soll ich da laufen?«

»Als Cavalier.«

»Cavalier? Das kenne ich nicht. Mußts richtig sagen! Du meinst doch wohl als Kavallerist?«

»Nein. Cavalier ist ein feiner Herr, der vornehme Kleider und Manieren hat.«

»Na, das kann ich schon!«

»Fein und vornehm sein?«

»Kannsts nur glauben! Ich kann die Beine spreizen und ein Gesicht machen, daß der Kalk vor lauter Angst und Demuth von den Wänden fällt. Wann ich den Schnurrwichs dreh und die Augen verzerr, mal nach rechts und dann mal nach links, so reißen alle Hunde aus, weil sie denken, ich bin tollwüthig und beiß sie an. Nicht wahr, das ist so wie ein Cavallerier?«


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»Ja, so ähnlich. Kannst Du reiten?«

»Und ob! Ich bring das Pferd weit eher auf mich, als daß es mich unter sich kriegt. Ich bin sogar schon mal auf einer Kuh geritten. Das war ein Gespaß! Kannst Dirs denken.«

»Und wann möchtest Du da von hier fort?«

»Noch während der Nacht.«

»Gut. Mein Vater ist verreist, und damit ich mit der Schwester indessen nicht allein bin, ist der Cousin Freiherr von Brenner einstweilen hier, derselbe der vorhin mit den Jägern bei mir war. Der Vater hat fast Deine Gestalt, und Niemand wird es merken, wenn ich Dir einen Anzug von ihm leihe. Soll ich ihn holen?«

»Ja, hole ihn. Ich will sehen, ob man aus so einem Gewand den Krikelanton herausfinden wird. Ich bin fast neubegierig darauf.«

Sie ging. Er mußte lange Zeit warten, bis sie mit einem Pack Kleider und Wäsche zurückkam.

»Wir haben zu laut gesprochen,« warnte sie. »Die Schwester schläft, aber der Cousin fragte mich, was ich für einen Lärm hier oben mache.«

»Was hast geantwortet?«

»Daß ich declamir.«

»In der Nacht?«

»Das sind sie von mir gewöhnt. Also hier hast Du Hose, Weste, Rock, Ueberrock, Hut, Stiefel, Hemde, Taschentuch, Cravatte und Manchetten.«

»Da schauts freilich schlimm aus. Ich hab noch niemals nicht keine Cravatten angezogen.«

»Die wird umgebunden aber nicht angezogen.«

»Und die Manchetten, die passen mir nicht.«

Er hielt sie kopfschüttelnd gegen das Licht.

»Warum nicht?«

»Meinst etwan, daß ich so einen langen, dünnen Hals hab! Und nun gar zwei! Ich bin doch wohl kein Doppeladler!«

»Die kommen ja an die Hände!«

»An die Händ? Diese Röhren? Ich denk an die Händ zieht man Fäustlinge oder feine Handschuchers. So ein Cavalier muß doch wohl eine Uhr ganz ohne Perpedenkel im Kopfe haben; anders kann ich es mir nicht denken, sonst würd er sich nicht seinen gesunden Körper mit solchen Sachen verschimpfirn. Wann zieh ich mich denn um?«

»Jetzt gleich.«

»Was wird da mit Dir? Soll ich etwan in das Hemd und in die Hosen schlupfen, wann Du dabei stehst und mir zuschaust?«

»Nein. Ich gehe fort und ziehe mich heimlich an.«

»Du Dich? Willst auch mit fort?«

»Natürlich! Ich bringe Dich heim. Wenn ich bei Dir bin, so wird Dich Jedermann für einen Verwandten von mir halten. Wir spazieren nach


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der Stadt hinein; dort bekommen wir Pferde und Wagen, damit fahren wir bis an Deine Hausthür.«

»Sehr gut! Auf diese Weis ists möglich, daß ich nicht abgefaßt werde.«

»Siehst Du, wie nützlich ich Dir werden kann! Aber dafür kannst Du mir dann einen Kuß geben!«

»Fangst schon wieder an!«

»Wenn ich Dich rette, ist es Undank von Dir, wenn Du nicht chevaleresk bist!«

»Chevaleresk? Sag das Wort doch nur richtig! Es heißt Arabeske! Ists denn gar so nothwendig, daß ich Dir zum Dank eine Arabeske in das Gesicht gebe! Kannst doch verzichten! Ich bin einmal kein Freund von der Küsserei.«

»Ich beanspruche diesen Kuß als ganz besondere Erkenntlichkeit.«

»Nun gut, sollst ihn haben. Und weißt, wie?«

»Wie denn?«

»Ich gebe ihn meinem Vatern, und der giebt ihn Dir. So ists ganz genau dasselbe, als ob Du ihn von mir selber bekommen hättst. Weißt, der Vatern kann halt noch ganz besondern Druck drauflegen. Dann ists ein Doppelbusserl.«

»Darüber werden wir noch anderweit einig. Jetzt ziehe Dich um. Ich gehe.«

Sie entfernte sich und schloß ihn ein. Er machte sich über die Kleider her, die ihm so fremd waren, weil er stets nur im Aelpleranzug gegangen war. Die natürliche Folge davon war, daß die Dichterin bei ihrer Rückkehr fast laut aufgeschrieen hätte vor Lachen. Der gute Anton gewährte einen Anblick, welcher gradezu einzig genannt werden mußte. Er war eben bemüht, den rechten Handschuh an die linke Hand zu ziehen und sagte in einem höchst ärgerlichen Tone:

»Das ist halt eine verdammt sakrische Geschicht. Ich weiß nicht, was ich mit die Handschucher anfangen soll. Wann ich die Finger dran zähl, so sinds fünf, und gradi fünf hab ich auch an der meinigen Hand; aber wann ich den Handschuh anzieh, so ist halt ein Finger dran zu viel. Da, schau mal her! Und der kleine Fingerl ist ganz viel zu weit abseits angesetzt. Da mag sich der Teufel reinfinden!«

Er hielt ihr die Hand hin; sie betrachtete dieselbe und lachte ihn natürlich aus.

»Erstens hast Du ihn an der verkehrten Hand, den rechten an der linken, und zweitens bist Du mit zwei Fingern in ein und dasselbe Fingerloch gefahren. Darum hat der Handschuh einen Finger zu viel, und Du kannst nicht hinein.«

»Sakermentski! Ist es so? Aber woran kann ichs denn schauen, welches der rechte und der linke ist?«

»An dem Daumen und der Oeffnung. Der von der rechten Hand sitzt links und der von der linken rechts, und die Oeffnung ist unten. Der Handschuh wird doch an der innern Handfläche zugemacht.«


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»Das ist mir viel zu gelehrt. Am Besten ists halt doch, man zieht gar keinen an.«

»Als Cavalier mußt Du doch Handschuhe anhaben. Und wie siehst Du denn sonst noch aus! Was ist das hier mit der Weste?«

»Die ist auch von einem dummen Schneider gemacht worden. Sie hat ein Knopfloch zu viel und aber dafür einen Knopf zu wenig.«

»Nein. Du hast hier oben den zweiten Knopf in das erste Loch gesteckt. Und nun gar das Oberhemde!«

»Ja, das ist auf dem Buckel hinten geplättet und vorn nicht!«

»Nein. Du hast es ja verkehrt an, die vordere Seite hinten und die hintere vorn.«

»Das ist nicht wahr. Schau, da hast den Schlitz. Der muß doch vorn sein, denn ein Hemde wird doch allemal vorn zugemacht.«

»Diese Art nicht. Das ist eine ganz neumodische Sorte; die ist vorn, wo geplättet wird, zu und hinten offen.«

»Na, wer sich das ausgesonnen hat, der kann sich halt auch einpöckeln lassen. Ein Hemde hinten zuzumachen! Das hab ich all mein Lebtage noch nimmer nicht gehört. Das ist ja grad ganz dasselbige, als ob ich den Stiefel auf den Kopf setzen und die Zipfelmützen an die Füß ziehen thät. Ihr Stadtleut habt doch auch weiter nix zu thun, als Euch Alfanzereien und Dummheiten auszusinnen. Da sind wir halt ganz andere Leutln!«

»Ja, das sieht man hier an Deinem Anzuge. Was hast Du denn da um den Hals gewürgt?«

»Das schöne weiße Tucherl.«

»Das kommt ja nicht an den Hals!«

»Wohin denn etwan sonst?«

»In die Tasche.«

»Himmelsakra! Ein Halstuchen in die Taschen! Wer hat das schon mal vernommen!«

»Es ist ja kein Halstuch sondern ein Taschentuch!«

»Was sagst? So ein blitzweiß' Tucherl soll ein Nastuch sein, ein Schnupftuch zum Schneuzen?«

»Ja.«

»Jetzt hör mir nun mal auf! Kein vernünftiger Mensch wird sich die Nasen mit so ein fein Servietten wischen! Wer sich da hinein schnaubt, der muß so viel Geldl haben, daß es ihm aus dem Sack herausfällt. Das kost doch wenigstens zwanzig Pfennige. Und denk Dir mal, wann ich halt ein Schnupfer wär, wie da das Tücherl ausschauen thät. Mein Mutterl gäb mir eine Watschen nach der andern ins Gesicht, wann sie es mir nachher waschen müßt. Und hier, da hast auch die Strumpf zurück.«

»Wie? Die hast Du nicht angezogen?«

»Nein. Ich bin barbst in die Stieferln geschlupft. Für so ein Paar saubere Strumpfen ists doch halt jammerschad, wann man sie dreckig machen oder gar zerreißen wollt. Wann ich so leben wollt wie Du, so müßt ich grad


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ein Rothschild sein. Wo denkst hin! Und nun sag, wozu ist denn das seidene Banden mit der breiten Schlupfen daran?«

»Das ist der Schlips.«

»Schlips? Was ist das? Etwan das Strumpfband?«

»Nein, sondern das Halsband.«

»Ach, es kommt um den Hals! Schau, schau! Da kannst mich nur gleich damit an den nächsten Nagel oder Baumast aufknüpfen. Um den Hals bring ich so ein Ding schon gar nimmer nicht.«

»Ich werde Dir helfen. Komm!«

Sie band ihm das Schnupftuch vom Halse ab; da zeigte es sich, daß er keinen Kragen angeknöpft hatte.

»Wo ist denn der Kragen?« fragte sie, sich umblickend.

»Der Kragen? Ja da ist ja gar keiner am Hemde dran gewesen.«

»Der wird angeknöpft. Ich habe Dir einen Stehkragen mitgebracht.«

»Ein Stehkragerl? Das kenn ich noch gar nicht. Ich hab keins gesehn. Meinst etwan das hier?«

Er zog den Kragen aus der Hosentasche hervor.

»Freilich ist er es. Warum steckst Du ihn denn ein?«

»Weil ich nicht gewußt hab, was es ist und wozu. Da hab ich halt gedacht: »Weg damit!« und das Kragerl in die Taschen einisteckt.«

»Und da! Was ist denn das nun gar? Mach einmal den Rock weiter auf! Du hast doch die Hosenträger über der Weste! Sie sind auch gar nicht angeknöpft!«

»Warum soll ich sie anknöpfen? Die Hose fallt gar nit herab, weil ich den Gürtel drum geschnallt hab. Und soll ich etwan die schöni gestickten Hosentragerl unter die Westen thun, wo man sie gar nicht sehen kann? Wozu sind sie so sakrisch fein und hübsch, wann sie Niemand nicht anschauen soll! Und wozu ist denn das Stöcken da, was Du auf den Tisch gelegt hast?«

»Das ist kein Stock, sondern eine Reitgerte.«

»Eine Reitpeitschen? Wozu denn?«

»Weil ein Cavalier gern so eine Gerte in der Hand trägt, auch wenn er nicht reitet.«

»Das ist nun auch wieder ganz besonderbar. Eine Peitschen in der Hand ohne zu reiten, das ist doch ebenso albern, als wenn ich nicht schlaf und trag das Bett mit mir herum! Geh mir weg! Eure Cavalleriere können mir gestohlen werden. Da ist doch ein jeder, der bei uns mit Schwammb handelt, gescheidter als sie.«

»Streiten wir uns nicht darüber! Du mußt jetzt den Cavalier spielen, und da ist es nöthig, ganz so zu thun, als ob Du wirklich einer seist. Vergiß nicht, daß Du ein Baron bist, wenn man Dich unterwegs fragen sollte.«

»Ein Baron? Ich? Hast wohl Schierling gefressen?«

»Nein. Du hast doch vorhin selbst gesagt, daß Du groß und vornehm thun kannst.«


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»Ja, das kann ich schon, wann es verlangt wird. Also ein Baron! Schön! Aber wie heiß ich denn?«

»Arthur von Höllendampf.«

»Himmelsakra! Ist das ein Nam! Der Arthur, der gefallt mir schon ganz gut; aber vor dem Höllendampf hab ich Respect. Giebts keinen hübscheren Namen für so einen vornehmen Kerl, wie ich zu spielen hab?«

»Nein. Höllendampf ist gut. Wer diesen Namen hört, dem wird gleich so höllisch zu Muthe, daß er es vergißt, weiter zu fragen. Und wenn Du dazu ein ernstes Gesicht machst, so fällt es vor Angst sicherlich keinem Menschen ein, sich weiter um Dich zu bekümmern.«

»Was das Gesicht betrifft, so brauchst halt keine Sorg zu haben. Ich werd so finster dreinschauen, daß ein Jeder, der mich anblickt, denken soll, die Cholera sei bei ihm ausgebrochen.«

»Recht so! Und nun ziehe Dich schnell wieder um. Das Hemd muß anders sein; das, was Du hinten hast, muß vor.«

»So geh halt hinaus!«

»Das kann ich nicht thun. Wenn ich immer heraus und herein gehe, so fällt es dem Cousin auf.«

»So drehe Dich wenigstens hinum, und reck mir den Buckel her, damit Du mich nicht schaust, wann ich das Hemd herunterthu!«

»Gut! Mach aber schnell!«

»Ja. Aber daß Du Dich nicht etwan schnell herumdrehst, wann ich nicht fertig bin, sonst werf ich Dir die ganzen Sachen an den Kopf!«

Sie drehte sich um, und er zog Rock und Weste aus und gab sodann dem Hemde den richtigen Sitz.

»So, jetzt kannst Dich wieder umiwenden,« sagte er. »Nun aber mach mir da einmal die Knöpfen zu; das bring ich nicht.«

Sie war ihm behilflich, bis er sich vollständig in dem ungewohnten Anzug befand.

»Nun der Hut. Hier. Es ist ein Chapeau Claque.«

»Ein Schaboh klack? Was ist denn das?«

»Man kann ihn zusammendrücken. Schau einmal her! So!«

»Donner und Doria! Was seid Ihr für Leut! Da kauft Ihr Euch Hüt', die man zusammenquetscht wie einen Kuchenteller. Wozu denn aber doch! Und warum soll ich grad diesen Cylinderhut aufsetzen, diese Angströhre, die grad so ausschaut, als ob ich einen Schornsteinerl auf dem Kopfe hätt! Laß mich doch mein Hüterl aufithun! Das schaut viel besser und manierlicher aus!«

»Nein; das geht nicht. Ein Cavalier muß unbedingt einen Cylinder tragen.«

»Na, einmal Cavallerier und nie nicht wieder; das sage ich Dir! Wann gehts fort?«

»Jetzt gleich. Ich will noch den Mantel umthun und den Hut aufsetzen.«

Sie trat an den Spiegel, um die beiden genannten Stücke anzulegen.


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Als sie das gethan hatte und sich umwendete, mußte sie sich Mühe geben, nicht überlaut aufzulachen. Er stand hinter ihr bereit, den Hut auf dem Kopfe und die Reitgerte in der Hand, zugleich aber noch - - den Rucksack auf dem Rücken.

»Was soll denn das bedeuten?« fragte sie.

»Was denn?«

»Der alte Leinwandsack.«

»Das ist mein Rucksack, weißt.«

»Was ist denn drin?«

»Meine Kleidagen und das Käs mit Brod, was mir die Leni geben hat.«

»Und das willst Du mitnehmen?«

»Freilich! Meinst etwan, ich hab zu Haus zehntausend Anzüg' hangen? Ich bin arm, und da heißt es halt immer:

Mein Herz und Dein Herz
   Ist ein Klumpen;
Mein Rock und Dein Rock
   Ist ein Lumpen.

Ich muß den Anzug haben, denn denselbigen hier, den Du mir aufizwungen hast, werd ich gar nicht lang auf den Achseln hangen haben. Ich steck in dem Stehkragen wie eine Ratten in dem Falleisen und kann fast gar keinen Athem herauf bekommen. Ich will froh sein, wann ich wieder in mein eigenes Zeug schlupfen darf.«

»Aber den Rucksack darfst Du doch nicht mitnehmen. Der paßt unmöglich zu dem feinen Anzuge.«

»Aber die Sachen kann ich doch auch nicht hier lassen, weil ich sie nothwendig brauchen thu. Wann Dir der Rucksack nicht nobel genug ist, so borg mir etwas Anderes, eine Truhen oder Laden, eine Kisten oder Kommoden, worin ich die Sachen thu.«

»Und die willst Du auch mitnehmen?«

»Natürlich!«

»Wie denn? Wie willst Du sie fortbringen?«

»Ich trag sie auf dem Buckel.«

»Eine Kiste oder Kommode?«

»Ja. Meinst wohl, ich hab nicht die Kraft dazu? Da kommst eben schön an! Kannst Dich selbst auch noch oben drauf setzen, so trag ichs doch!«

»Herrgott! Was bist Du für ein Mensch!«

»Doch wohl ein guter!«

»Ja, aber auch ein unüberlegsamer. Eine Kiste auf dem Rücken sieht ja noch viel schlechter aus als ein Rucksack, verstanden!«

»So gieb mir halt etwas Anderes, was nobler ist!«

»Gut; ich habe in der gegenüber liegenden Kammer eine Reisetasche, in welche wir die Sachen stecken können.«


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»So hole die Taschen, und mach schnell, damit wir endlich fortkommen. Aber schau, was ist das, was Du mir hierher gelegt hast?«

»Das ist ein Pincenez.«

»Ein Pengseneh? Habe in meinem ganzen Leben dies Wort noch niemals nicht gehört.«

»Gewöhnlich sagt man, ein Klemmer.«

»Ah, eine Klemmbrillen?«

»Ja.«

»Soll ich sie etwan auch aufsetzen?«

»Natürlich.«

»Was fallt Dir ein! Meine Augen sind so gut, daß ich durch zehn Thüren schauen kann.«

»Dieser Zwicker gehört für jeden Cavalier.«

»Hols der Teuxel! Ich seh nicht ein, warum ich so eine Nasenquetschen in mein Gesicht klemmen soll.«

»Probir es nur einmal! Sie gehört meinem Vater. Hier an der Schnur wird sie um den Hals gehängt.«

»Auch noch!«

»Ja. So! Jetzt setz sie auf! Du siehst prächtig aus!«

»Ja, wie ein dressirter Pudel, den man die Brillen auf die Nasen steckt und die Tabakspfeifen in die Schnautz. Will doch mal sehen, wie ich ausschau.«

Er trat an den Spiegel.

Kleidete ihn schon der elegante, enge Anzug ganz wunderlich, so sah er mit dem Klemmer in dem wettergebräunten Gesicht nur noch unbeschreiblicher aus. Er starrte eine Zeitlang in den Spiegel, trat hin und zurück, hielt den Kopf nahe an das Glas und dann wieder ferner, dann sagte er:

»Tausend Donner! Jetzt seh ich nun gar nix mehr, nicht einmal mich selbst.«

»Ja, die Brille ist sehr scharf.«

»Dann müßte ich doch auch scharf sehen!«

»Sie paßt nicht für Dein Auge.«

»Nun, so thu ich sie eben herunter!«

»Nein, laß sie drauf!«

»Aber ich sehe Dich nicht einmal!«

»Das schadet nichts. Wenn nur ich Dich sehe! Jetzt hole ich die Tasche. Uebe Dich einstweilen am Spiegel. Nach einiger Zeit wirst Du schon sehen können.«

Sie ging, und er trat wieder an den Spiegel. Er gab der Brille verschiedene Stellungen auf der Nase; er schob sie hin und her - vergebens. Wenn er Etwas sehen wollte, so mußte er über oder unter derselben hinwegblicken.

»Donnerstag! Was sind doch diese Kavalleriere für dämliche Kerls! Wozu eine Brillen auf der Nas, wann man nachher nicht mal diese Nas mehr sieht!«


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Da ging die Thür auf. Er glaubte, die Dame sei eingetreten und meinte:

»Höre, mit dera Nasenquetschen ists halt nix. Ich thu sie wieder herab.«

»Alle Teufel!« sagte eine männliche Stimme.

»Was meinst?«

»Wer sind Sie?«

»Wer - -? Mach kein Gespaß!«

»Ich frage, wer Sie sind!«

»Kennst mich ja! Warum verstellst nun auf einmal Deine Stimme?«

»Mein Herr, ich verstelle meine Stimme nicht und frage Sie allen Ernstes, wer Sie sind!«

Das klang so gebieterisch, ja drohend, daß Anton sofort die Brille von der Nase nahm. Ein junger Mann stand vor ihm, ganz derselbe, welcher vorhin mit den Jägern hier gewesen war.

»Himmelsakra!« rief Anton. »Da kommt Einer da herein, ohne anzuklopfen!«

»Ich werde anklopfen, damit Sie sich indessen verstecken können. Ich wiederhole meine Frage: Wer sind Sie?«

»Schau, wie neugierig Du bist! Wer bist denn Du?«

»Ich bin der Freiherr von Brenner, ein Cousin der Dame, bei welcher Sie sich befinden.«

»Cousin? Was ist das?«

»Ihrer Kleidung nach müßten Sie wissen, was das ist. Cousin heißt so viel wie Vetter, bekanntlich.«

»So, so! Also der Vetter bist? Schön, sehr schön! Kannst mir willkommen sein!«

»Die Hauptfrage ist ganz im Gegentheile, ob Sie uns willkommen sind. Ich verbitte mir das Dutzen; Sie haben mich Sie zu nennen!«

»Sie? Schön! Sehr gut! Ganz so, wie Sie willst. Ich kann auch höflich sein. So viel Contewitten haben wir auch gelernt. Also sagen Sie mir, weshalb Sie hier hereini kommst?«

»Donnerwetter! Stellen Sie meine Geduld nicht auf eine so harte Probe! Ich kann nicht dulden, daß hier in diesem Hause Strolche verkehren!«

»Strolche? Hören Sie, machen Sie Dich nicht etwan gar zu breit! Sonst fliegst Sie sofort zur Thür hinaus! Ich bin auch ein Vetter!«

»Ja, was für einer! Ich fordere endlich Ihren Namen!«

»Den kannst Sie haben. Ich heiße Arthur.«

»Wie noch?«

»Höllendampf. Ich bin Baron!«

»Ah!«

»Arthur von Höllendampf! Merk Dirs!«

»Mann, sind Sie verrückt!«

»Ja, wer Dich anschaut, kann leicht verrückt werden.«

Da trat der Freiherr näher und rief:

»Soll ich Sie arretiren lassen!«


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»Arretiren? Mich? Sie armes Wurm, Du! Dich freß ich doch auf und brauch nicht mal eine halbe Semmel dazu. Mich arretiren!«

»Nun, sind Sie etwa hier eingeladen worden?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von dem Dirndl, vom Fräulein.«

»Meinen Sie Fräulein Franza?«

»Ja.«

»Die soll Sie eingeladen haben? Jetzt, mitten in der Nacht!«

»Wann sonst! Ich bin doch ihr - ihr - ihr - Schatz.«

Da fuhr der Freiherr zurück.

»Wie? Sie wären ihr - ihr Geliebter?«

»Ja, der Deinigte natürlich nicht!«

»Das ist eine Lüge!«

»Höre, komm mir nicht mit dem Wort Lüge, sonst hau ich Dir eine Watschen in's Gesicht, daß Du die österreichischen Alpen für ein Zwiebel- oder Karteuffelbeet ansehen sollst. Du wärst mir der Kerl, mich einen Lügner zu schumpfen, wann ich von der meinigen Liebsten red!«

In diesem Augenblicke kehrte Franza zurück, mit der Reisetasche in der Hand. Sie hatte die Stimmen der Sprechenden bereits von draußen gehört.

»Was willst Du hier, Cousin?« fragte sie, ohne eine Spur von Schreck zu zeigen.

»Was ich will? Das fragst Du noch!«

»Jawohl!«

»Nun, so will ich Dir antworten. Ich hörte schon längst hier oben reden. Du sagtest mir, daß Du declamirtest, und ich wollte es glauben. Endlich aber unterschied ich deutlich eine männliche Stimme, und dann hörte ich die Thür gehen. Ich stieg also herauf, um mich zu überzeugen, ob Du wirklich keine Gesellschaft hier oben habest. Ich trat herein und fand diesen - diesen - - diesen Mann, der sich dummer Weise für einen Baron von Höllendampf ausgiebt.«

»Der ist er auch!«

»Unsinn! Diesen Namen giebt es gar nicht. Du wirst ihn in keinem Adelsverzeichnisse finden.«

»Kennst Du diese Verzeichnisse alle so gut auswendig, daß Du das behaupten kannst?«

»Ja. Ueberdies giebt er sich für Deinen Geliebten aus und behauptet, von Dir eingeladen worden zu sein.«

Es glitt ein übermüthiges Lächeln über ihr Gesicht.

»Er hat die Wahrheit gesagt. Er ist mein Bräutigam.«

»Franza!«

»Cousin!«

»Du spielst Comödie!«

»Nicht im Geringsten.«


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»Ich begreife Dich nicht. Man ist zwar an Deine romanhaften Schrullen gewöhnt, aber einen wildfremden Menschen zu solcher Stunde bei Dir zu empfangen, das geht doch über alle Begriffe!«

»Kann ich nicht thun, was mir beliebt?«

»Eigentlich ja; aber ich befinde mich an Stelle Deines Vaters hier, und wenn ich sehe, daß so ein zweifelhaftes Subject sich bei Dir befindet, so muß ich - - -«

Da unterbrach ihn Anton zornig:

»Was bin ich? Wie nennst Sie mich? Ein zweifelhaftes Subject? Kerl, wenn Du noch so ein Wort sagst, so pfeife ich Dir ein Ohrfeigen hinein, daß Sie denken sollst, der Hund hat eine Katz geheckt! Das könnt mir gefalln! Ein Subject, und noch dazu ein zweifelhaftes! Das laß Dir ja nimmer wieder einfallen, wann Dir Deine Knochen lieb sind!«

Der Freiherr retirirte vorsichtig, sagte aber doch:

»Welche Ausdrücke! Und das soll ein Baron sein!«

»Er ist ein Baron! Reize ihn nicht, so wird er höflich mit Dir sein!«

»Aber was thut er denn hier?«

»Was jeder Jüngling bei seiner Geliebten thut!«

»Wie? Was? Ich kann doch nicht annehmen, daß Du im Ernste sprichst. Und zum Scherz ist diese Angelegenheit doch auch nicht geeignet.«

»Nein; es ist Ernst.«

»Und wie ich sehe, bist Du zum Ausgehen angezogen. Darf ich fragen, wohin Du willst?«

»Nein.«

»Ah! So muß ich denn doch die Gewalt, welche Dein Vater mir gegeben hat, in Anwendung bringen. Ich verlange von Dir, daß Du den Mantel ablegst und zu Hause bleibst.«

»Du hast mir nichts zu befehlen!«

»In diesem Falle, ja. Und Ihnen, mein sogenannter Herr Baron, gebiete ich, dieses Haus sofort zu verlassen, wenn Sie nicht wollen, daß -«

Er trat wieder einen Schritt auf Anton zu. Dieser fragte rasch:

»Was soll ich wollen, he?«

»Daß ich Sie hinaus werfe!«

»Himmelsakra! Mich! Hinauswerfen willst Sie mich? Soll ich Dir eine Watschen geben, daß Du denkst, Dein Gesicht ist eine Getraidestoppel? Sie wärst mir derjenige Kerl, der mich hinauswerfen könnt, Du armes Schunkerl Du! Dich zerdruck ich da zwischen meinen Pratzen, daß der Syrup herunterläuft. Husch Dich hinaus! Das ist das Allerbest' für Dich!«

Der Freiherr zog sich wieder bis zur Thür zurück und fragte höhnisch:

»Willst Dich wohl von ihm entführen lassen?«

»Nein, nur spazieren gehen will ich mit ihm.«

»Das verbiete ich Dir!«

»Das hilft Dir nichts!«

»Ich werde es sehen. Wenn Du mich dazu zwingst, so wende ich


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nöthigenfalls Gewalt an. Und was sehe ich! Hier liegt ja ein Gebirgsanzug - Kniehosen, Wadenstrümpfe, Bergschuhe und so weiter. Was hat denn das zu bedeuten?«

Er musterte den Krikelanton mit scharfem Blicke und fuhr dann erstaunt fort:

»Ich glaube gar, das ist ein Anzug Deines Vaters! Dieser Mann hat sich wohl verkleidet? Alle Teufel, mir geht ein Licht auf! Mensch, bist Du etwa der Krikelanton?«

»Was gehts Dich an!« antwortete der Gefragte. »Jetzunder bin ich halt der Herr Baron von Höllendampf.«

»Das machst Du mir nicht weiß! Jetzt bin ich mir klar! Du bist der Wilddieb, den sie suchen. Warte, Bursche, ich werde sofort nach Hilfe rufen!«

Er wollte zur Thür hinaus, aber Anton ergriff ihn schnell bei der Hand und schleuderte ihn zurück.

»Hier bleibst!« gebot er. »Ich will Dir lernen, Lärm zu machen!«

»Was, Du vergreifst Dich an mir! Ich werde laut rufen, daß man es unten im Dorfe hört!«

Da legte ihm der Anton die Faust auf die Achsel und sagte in warnendem Tone:

»Das wirst unterlassen, denn sobald Du den ersten Ruf erschallen läßt, schlage ich Dir Eins auf den Kopf, daß Du meinst, Du habest sechs Fixstern' gefressen. So ein schukkeriges Leutl, wie Du bist, fallt ja gleich in tausend Stücke, wann ich ihn so angreif, wie ichs gewöhnt bin. Setz Dich hier hernieder auf den Stuhl, und nimm eine gute Lehr entgegen! Ich will Dir gar nix thun, aber wann Du mir etwan den Spaß verdirbst, so werf ich Dich in die Höhe, so daß Du oben in der Luft kleben bleibst!«

Der Freiherr fühlte die Faust des Aelplers so schwer auf sich ruhen, daß er es für das Beste hielt, einstweilen gehorsam zu sein. Er setzte sich also auf den Stuhl und stöhnte ganz verzweifelt:

»Also doch! Es ist der Krikelanton! Franza, hast Du die Stirn, es zu leugnen?«

»Nein,« antwortete sie. »Ich leugne es nicht. Er ist es.«

»Und Du hast ihn vor der Behörde versteckt?«

»Ja, ich habe ihn gerettet.«

»Wo stack er?«

»Draußen auf dem Dachbalken.«

»Weißt Du denn, was das heißt? Du bist dadurch seine Mitschuldige geworden.«

»Ich will es darauf ankommen lassen.«

»Aber, was hast Du davon!«

»Was? Es ist das herrlichste Sujet zu meinem neuen Romane, Cousin.«

»Dieses Sujet kann Dich in's Zuchthaus bringen!«

»Dann müßtest Du mich verrathen.«


Ende der dritten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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