Der Weg zum Glück - Teil 53

Lieferung 53

Karl May

30. Juli 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Und wofür wird es morgen sein? Denn es wird gar nicht lange dauern, so ist Sie schon wieder da. Sie ist der Blutegel, der sich an Ihren Sohn hängt und ihn aussaugt, so lange es Etwas zu saugen giebt. Und er ist auch so dumm, Ihr Alles zu geben, jeden Kreuzer seines sauer erworbenen Lohnes. Das ist die eine Mucke von ihm, die ich nicht leiden kann. Wozu soll das führen! Bei mir muß ein Knecht tüchtig arbeiten, aber er bekommt auch einen tüchtigen Lohn. Da verlange ich Sparsamkeit, daß es die Kerls zu Etwas bringen. Schau Sie dorthin an den Tisch. Sie alle, die dort sitzen, haben ihren Lohn bei mir stehen. Ihr Sohn aber hat kein Guthaben. Er hat sich Alles geben lassen, und Sie trägt es heim. Wozu? Für Zins und Abgaben? Das mache Sie mir nicht weiß. Sie lebt wohl gern ein Bischen gut. Und da Sie nicht viel verdient, so muß der Sohn herhalten. So wird es sein!«

Der Frau traten die Thränen in die Augen. Sie konnte oder mochte auf diese Anklage keine Antwort geben.

»Vater!« sagte Gisela leise in bittendem Tone.

»Was?« fuhr er auf.

»Was willst Du?«

»Sei nicht so hart.«

»Hart? Ich? Was verstehst Du! Schweig! Ueberhaupt verbitte ich mir jede Einrede! Ich leide es nicht, daß ein Knecht von mir einen solchen Anhang hat, durch den er zur Liederlichkeit verführt wird. Und was treibt dieser Ludwig außerdem? Bücher liest er, Bücher! Es ist zum Todtlachen oder zum Todtärgern. Er borgt sie sich. Bücher über die Landwirthschaft. Als ob er Verwalter oder Inspector werden oder gar sich selber ein Rittergut kaufen wolle. Er mag die Mistgabel in die Hand nehmen, aber kein Buch! Hat er denn daheim auch gelesen?«

»Sehr viel,« antwortete die Frau. »Es ist das immer sein größtes Vergnügen gewesen.«

»Vergnügen? Ich danke! Für einen jeden verständigen Mann ist das Lesen eine Anstrengung. Das muß man den geistlichen Herren und den Schulmeistern überlassen.«

»Er wollte gern einer werden; aber ich war ja eine arme Wittfrau. Da mußte er dienen, bis er zum Militär kam.«

»Nun, er hat es doch bis zum Unteroffizier gebracht. Warum ist er nicht bei der Uniform geblieben?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe mich auch darüber gewundert. Er hätte später eine schöne Anstellung haben können. Aber er sagt es mir nicht, warum er wieder zu Ihnen hierher gegangen ist.«

»Nun, ein tüchtiger Knecht ist ein eben solcher Kerl wie ein Steueraufseher oder ein Gensdarm. Nur sparen muß er, sparen. Ihr Sohn aber bringt es zu nichts, wenn das so fort geht. Ich werde ihn einmal gehörig in's Gebet nehmen. Und dazu kommen noch andere Unzuträglichkeiten. Er wird saumselig. Heut hab ich ihn mit dem Wagen nach der Stadt geschickt. Er konnte schon um Elf hier sein, und nun hat er beim Essen gefehlt.


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Ich glaube gar, er hat ein Buch mitgenommen und unterwegs gelesen, wobei die Pferde eingeschlafen sind.«

Er hätte vielleicht fortgefahren, aber da trat der Knecht endlich herein.

Er war von hoher, kräftiger Gestalt und hatte ein ausgesprochen militärisches Aussehen. Der dunkle Bart und die schwarzen Augen standen ihm recht gut zu den gesunden, rothen Wangen. Zu verwundern war es, daß er den ziemlich schmutzigen Werktagsanzug anhatte, während die anderen Dienstpersonen ihre Sonntagshabits trugen.

»Gesegnete Mahlzeit!« grüßte er, indem er nach dem Tisch hinschreiten wollte.

Seine Mutter hatte sich vor Verlegenheit vorn bei der Thür eng an die Wand gedrückt, und darum hatte er sie noch nicht gesehen.

»Nun!« rief ihm der Bauer in lang gezogenem Tone zu. Der Knecht blieb stehen und blickte ihn fragend an.

»Woher?«

»Aus der Stadt.«

»Das weiß ich! Warum so spät?«

»Es ging nicht rascher.«

»Und im Alltagshabit!«

»Ich habe das gute angehabt.«

»Warum hasts sogleich wieder ausgezogen?«

»Weil es schmutzig geworden war.«

»Das hier ist aber noch dreckiger!«

»Kann nicht dafür!«

Er hatte schnell und exact geantwortet, wie er es vom Militär her gewohnt war. Jetzt wendete er sich wieder nach dem Tische, wo man ihm seine Portion übrig gelassen hatte.

»Alle Teufel, bist Du kurz angebunden!« rief der Bauer. »Das ist auch eine Mucke, die ich mir verbitten muß. Schau Dich doch einmal um! Siehst Du denn nicht, daß Du Besuch hast?«

Da drehte Ludwig sich um. Als er seine Mutter erblickte, heiterte sich sein ernstes Gesicht schnell auf. Er eilte auf sie zu, ergriff sie bei der Hand und rief:

»Das ist recht, daßt kommst, meine liebe Mutter. Ich hab dort mein Essen stehen. Wannst einen Appetiten hast, so setz Dich herbei und iß!«

Jetzt sprach er seinen Dialect, welcher bewies, daß er von jenseits der bayrischen Grenze herstamme.

»Ich dank Dir schön, Ludwig,« antwortete sie. »Es ist doch das Deinige Essen.«

»Aberst ich hab gar keinen Appetiten und Hungern! Und Du hast an die drei Stunden laufen mußt. Komm nur herbei, und laß es Dir wohl schmecken!«

Der Bauer hatte nicht einmal der Frau erlaubt, sich zu setzen, und jetzt wurde sie von dem Knechte gar zum Tisch geführt!


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»Du, hör mal, Ludwig, wer ist denn eigentlich hier Herr im Hause?« fragte Kery. »Du oder ich?«

»Natürlich Sie!«

»Dann bin ich es auch allein, der zu bestimmen hat, wer sich hier niedersetzen und essen soll.«

»Nun ja, im Hause sind Sie der Herr, aber über meine Portion bin ich der Herr. Mit ihr kann ich machen, was ich will.«

»So! Das ist Deine Ansicht aber nicht die meinige. Wenn mein Knecht nicht ißt, gehört sein Essen mir. Und wenn Du es verschenken willst, so giebt Dir das noch kein Recht, eine Person, die nicht hier herein gehört, am Tische niedersetzen zu lassen.«

Ueber das Gesicht des Knechtes zuckte ein ganz kurzes, ironisches Lächeln. Er war der Einzige, der sich vor dem Bauer nicht fürchtete. Er wußte auch ganz genau, daß dieser ihn nicht gern verlieren würde, denn er arbeitete für Zwei und that auch außerdem mehr, als man eigentlich von ihm verlangen konnte. Weshalb, das wußte nur er allein. Er antwortete:

»Eine Person? Wen meinen Sie?«

»Deine Mutter natürlich!«

»Ach so! Nun, für mich ist sie keine Person, sondern meine Mutter. Und wenn ich meiner Mutter, der ich seit meiner Geburt Alles verdanke, nicht einmal mein Essen geben darf, dann suche ich mir einen andern Herrn, der das vierte Gebot genauer kennt als Sie! Komm Mutter, setz Dich her!«

»Ludwig!« flüsterte sie voller Liebe und zugleich auch voller Bangigkeit.

»Komm nur! Setz Dich!« antwortete er ihr, indem er sie zum Tische schob und sie liebreich auf den Stuhl niederdrückte.

Alle die Andern waren erschrocken. Sie waren überzeugt, daß der Bauer jetzt ganz gewaltig losdonnern werde. Dieser war auch allerdings von seinem Sitze empor gefahren.

»Was! Das sagst Du mir!« rief er. »Weißt Du nicht, daß ich Dein Herr bin!«

»Aber bevor Sie mein Herr wurden, war diese Frau meine Mutter!«

»Ich werde Dir kündigen!«

»Mir recht. Ich kann gleich heut noch gehen. Meines Bleibens ist so wie so nicht länger hier!«

»Ah! Fort willst Du?«

»Ja.«

»Warum?«

»Ich hab auch meinen Grund.«

»Was fällt Dir ein! Bekommst Du etwa nicht genug Lohn?«

»Das ists nicht, was ich meine.«

»Was denn?«

»Reden wir nicht davon!«

»Reden wir grad davon! Ich bin der Herr und will wissen, warum Du nicht länger hier bleiben willst.«


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»Zu was soll die Rederei nützen! Sie wollen mir doch kündigen, und da ist es ja ganz gleichgiltig, warum auch ich fort will.«

»Nein, mir ist das nicht gleichgiltig. Ich verlange, daß Du es mir sagst.«

»Nun gut. Ich kann den Stephan nicht leiden.«

Die Andern alle hatten mit größter Spannung zugehört. Aus dem Verhalten des Bauers war zu ersehen, daß es ihm mit der Kündigung keineswegs Ernst sei. Er bekam in seinem ganzen Leben keinen so pflichttreuen Knecht wieder. Das wußte er gar wohl. Jetzt, bei der Antwort Ludwigs hätte ein aufmerksamer Beobachter sehen können, daß Gisela die Farbe wechselte. Der Bauer machte eine Bewegung des Erstaunens und fragte schnell:

»Was geht Dich der Stephan an?«

»Mich? Nun freilich, mich gar nichts.«

»Warum erwähnst Du ihn da?«

»Das werden Sie wohl wissen.«

Jetzt hustete der Bauer verlegen. Er räusperte sich einige Male und erkundigte sich sodann:

»Von wem hast Du es erfahren?«

»Von ihm selbst.«

»Wann?«

»Vorhin. Unterwegs, auf der Straße.«

»Kann der sein Maul nicht halten. Ich werde ihm den Kopf zurecht setzen. Ob Du bleibst oder nicht, darüber reden wir noch. Deine Mutter mag essen. Wir Andern aber sind fertig und wollen beten.«

Niemand außer Ludwig hätte ihm zugetraut, daß er in dieser Weise über ein solches Zerwürfniß hinweggehen werde. Sie hatten eher geglaubt, daß er den Knecht sofort fortschicken werde. Er aber faltete seine Hände und betete grad wie vorhin:

»Wir danken Gott für seine Gaben,
Die wir von ihm empfangen haben,
Und bitten unsern lieben Herrn,
Er wolle uns hinfort mehr bescheer'n.
     Amen.«

Es kümmerte den Kery-Bauer nicht, daß dieses Gebet sich nur nach beendigtem Essen eigne. Er betete es auch beim Beginne desselben. Und weshalb? Die Zeile, daß Gott noch mehr bescheeren möge, gefiel ihm ausnehmend, und darum betete er es lieber zwei- anstatt nur einmal.

Nun entfernten sie sich Alle, und nur Ludwig blieb mit seiner Mutter zurück.

»Daran bin ich schuld!« seufzte sie.

»Laß es Dich nicht anfechten,« tröstete er. »Es ist nicht so schlimm, wie Du denkst.«

»O doch! Er sprach, ehe Du kamst, von mehreren Mucken, die Du hast.«

»So? Und welche sind denn das?«


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»Das Bücherlesen.«

»Das kann er freilich nicht leiden, mir aberst ists halt das liebste Vergnügen. Wann ich da was lern, so ists mir lieber, als wann ich mich ins Wirthshaus setzen und Schnaps trinken und Karten spielen soll. Und die andera Mucken? Welche ists?«

»Daßt mir immer Geld giebst.«

»Ja, auch das sieht er nicht gern. Ich soll meinen Lohn bei ihm stehen lassen; der weiß es nicht, was es heißt, arm zu sein. Aberst iß nun jetzund vorerst, sonsten wird es kalt!«

»Nein, das ist das Deinige. Ich nehm es nicht!« wehrte sie ab.

»Ich hab aberst wirklich keinen Hungern!«

»Geh, das sagst blos mir zu lieb. In den Deinigen Jahren und bei dera Deinigen schweren Arbeiten kann man an jedem Augenblicken essen. Im Alter braucht man nimmer so viel, und ich hab mir ja eine Brodrinden einisteckt.«

Sie klopfte lächelnd an ihre Tasche, konnte es aber doch nicht verhüten, daß ihr Blick sehnsüchtig nach dem Teller und der Schüssel schweifte.

»Eine Brodrinden von daheim etwan?« fragte Ludwig. »Von dem Selbstbackenen?«

»Ja.«

»Zeig mirs doch mal!«

Sie zog wirklich eine harte, trockene, schwarze Brodrinde hervor. Er griff schnell darnach, nahm sie ihr aus der Hand und sagte:

»Schau, wie schön das ist! Ich hab mich schon bereits lang sehnt nach einem Stückle Brod, wast selberst backen hast. Das mußt mir schenken, und ich thu mir eine gar große Güten und Deliciositäten daran. Hier liegt von unserem Brod. Das ist auch weicher und weißer und besser für Dich. Da kannst Dir ein Stuck abschneiden und mitnehmen.«

»Mitnehmen? Was denkst von mir!«

»Meinst, daß es ein Diebstahl sei? O nein! Von diesem Brod kann ich essen, so viel wie mir beliebt. Dazu liegts da. Und wann ich nix davon esse, so kann ichs Dir schenken. Und nun hier das Essen. Dera Bauer ist ein sehr Geiziger, doch auf ein kräftig Essen fürs Gesind, da hält er. Das muß man sagen. Das ist ein Rauchfleisch, ein Geselchtes mit dicken Maccaroninudeln. Das hast daheim nicht so oft. Also lang zu und iß. Ich nehm mir Deine Brodrind dafür.«

»Meinst wirklich, daß ich soll?«

»Natürlich! Also greif zu!«

»Aberst wann dera Bauer wiederum kommt! Ich fürcht mich so gar vor ihm.«

»Ich nicht. Auch kommt er nicht wieder. Es kommt jetzund gar Niemand hereini. Die Knecht und Mägd sind im Stall; die Gisela wird hinaufi nach ihrer Stuben sein und die Bäurin schaut sich in dera Milchkammer um.


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Sie wissen, daß Du hier sitzest und issest, und darum kommens nicht. Sie wollen Dich nicht stören.«

Wußte er wirklich so genau, wo sie Alle sich befanden? In Beziehung auf Gisela hatte er sich freilich geirrt. Er saß mit seiner Mutter an der Wand und dachte gar nicht an das kleine Fensterchen, welches grad über seinem Kopfe hinaus in die Küche führte.

Dieses Fensterchen war offen, und draußen stand Gisela und konnte jedes Wort hören. Die Beiden sprachen nicht gar zu leise, da sie glaubten, ganz allein und unbeobachtet zu sein.

Die arme, alte Frau begann zu essen. Man sah es ihr an, wie gut es ihr schmeckte, und ihr Sohn wußte es am Besten, daß so ein Gericht eine große Seltenheit für sie sei. Er schien überhaupt gewußt zu haben, daß und weshalb sie heut kommen werde, denn er sagte:

»Ich hab mir schon denkt, daßt auf mich hast warten mußt, doch konnt ich wirklich nicht ehern kommen. Ich hatt eine Abhaltung unterwegs.«

»Eine schlimme oder ein gute?«

»Es war eine gute. Ich hab überhaupten erst heut früh derfahren, daß ich nach dera Stadt mußt. Sonst wär ich daheim gewest, alst kommen bist.«

»Das wär gut gewest, denn da hätte der Bauern mich nicht so anschnauzen konnt.«

»Wars denn gar so schlimm?«

»Freilich wohl. Ich bin erst in den Hof gangen und hab nach Dir sucht. Und als ich Dich da nicht sehen hab, bin ich hereini in die Stub gangen. Da hat er mir eine Predigt macht, daß ich mich hab schämen müssen vor allen Leuten.«

»Das soll er bleiben lassen. Was ich mir verdien, das gehört mir. Mit diesem Geldl kann ich machen, was mir beliebt. Und auch an dera Thüren hast stehen müssen! Hat denn Niemand sagt, daßt Dich setzen sollst?«

»Nein. Die Frauen oder auch die Tochtern hätts mir wohl gern derlaubt; das hab ich ihnen gar gut anschauen konnt. Sie haben sichs aber nicht traut. Er hat schon sehr darüber schimpft, daß sie mir dankten, als ich grüßt hab.«

»So ist er. Aberst es ist dennoch mit ihm auszukommen. Man muß nur auch beißen, wann er die Zähnen zeigt. So ein reicher Bauer hat gar keine Ahnung davon, wie es uns armen Leutln zu Muth ist, wann die Noth vor dera Thür steht, und es ist kein Geldl da. Also den Briefen hab ich erhalten. Die Schwestern hat ihn schrieben.«

»Hast ihn auch lesen? Weißt, was drinnen steht?«

»Natürlich werd ich ihn lesen haben. Ich werd doch einen Briefen, den Ihr mir sendet, nicht verschlossen liegen lassen.«

»Du weißt gar nicht, wie schwer mir das Herz gewest ist unterwegs. Vor vierzehn Tagen hast mir acht Gulden geben, damit ich die Steuern zahlen kann, und nun hab ich Dir abermals schreiben mußt, weil dera Jud mir keine Ruhen läßt. Er will mir die Kuh nehmen, wann ich den Zins nicht zahlen kann.«


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»Ich bin freilich gar sehr verschrocken, als ichs lesen hab. Ich hab doch nicht wußt, daß ihr die Kuh borgt habt. Ich hab immer denkt, daß sie umtauscht ist gegen die vorige.«

»So hab ich Dir sagt, aber es ist nicht wahr gewest. Die Vorige ist uns storben. Ich hab es Dir verschwiegen, um Dir die Sorg zu ersparen. Nun aberst mußts doch derfahren. Und ich weiß gar nicht mal, obst noch ein paar Gulden hast!«

Er nickte einige Male sehr ernst mit dem Kopfe vor sich hin und antwortete dann:

»Ein Schweres ists für mich, freilich, aberst was ich thun kann, das thu ich gern. Schau, wir sind Drei, Du, die Schwestern und ich. Du versorgst mit dera Schwestern das kleine Heimwesen, was Euch grad so dernährt, daß Ihr nicht verhungern könnt. Ich aberst kann mich satt essen hier im Dienst. Das Häusle und das Kühle soll mal dera Schwestern gehören, wann sie einen Mann nimmt. Ich mag nix davon. Ich hab meine kräftigen Händen und kann schon was für mich schaffen. Und weil Ihr das Unglück hattet, daß die Kuh storben ist und Ihr seid dem Juden in die Händ fallen, so muß ich schon sehen, wie ich Euch heraus helfen kann.«

»Das kannst leider nimmer. In seinen Händen bleiben wir doch. Denn die Kuh können wir nicht bezahlen. Wann wir nur die Zinsen zusammenbrächten.«

»Was hat sie denn kostet?«

»Es ist ein kleins Kühle. Fünfzig Thalern, hundertfünfzig Mark. Für uns ists ein großes Capital.«

»Und wie viel Zinsen zahlt Ihr da?«

»Dreißig Mark sind wir schon schuldig.«

»So schnell! Der Kerl sollt eigentlich anzeigt werden. Er ist ein Wucherer und Gurgelabschneider!«

»Ich wollt gar gern nix sagen, wann ich nur die Zinsen zusammenbrächt, sonst muß ich Zinseszinsen geben. Aberst dreißig Mark, die zusammenzubringen, das ist gar nimmer möglich.«

»Geholfen aber muß doch werden.«

»Das sagst? Du? Das klingt ja grad, als obt bereits wüßtest, woher die Hilf kommen wird!«

»Freilich weiß ichs,« lächelte er.

»So sags schnell! Gott, jetzund will mir das Herz leicht werden.«

»Ja, meine liebe, gute Muttern, laß es Dir leicht werden. Ein Geldl hab ich schon.«

»Wirklich? Wirklich?«

»Ja, und zwar ein großes Geldl.«

»O Himmel! Doch nicht etwan gar gleich die ganzen dreißig Mark!«

»Nein, dreißig sinds nicht.«

»Siehst, habs mir denkt!«

»Meinst weniger? O nein, es ist mehr.«


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»Mehr?« fragte sie, indem sie schnell das Messer und die Gabel aus der Hand legte.

»Ja, es ist mehr.«

»Wie viel, wie viel?« fragte sie in fast jauchzendem Tone.

»Rath es mal!«

»Das kann ich nicht. Aberst woher willsts denn eigentlich haben?«

»Weißts nicht, was meine Uhr kostet, die ich mir damals als Preis erschossen hab?«

»Fünfzig Mark hast sagt. Aberst Ludwig, ich bitt Dich! Du hast sie doch nicht gar etwan verkauft?«

»Nein, jedoch versetzt hab ich sie heut in dera Stadt. Zum Sonntag macht dera Pfandleiher eigentlich keine Geschäften, doch als ich ihm sagt hab, daß es für meine Muttern ist, so hat ers mir zu Gefallen than. Auch ein Pfandleihern kann ein Herz haben.«

»Versetzt, versetzt! Die Uhr hast versetzt!« klagte sie, die Hände zusammenschlagend. »Die Uhr, auf welche Du so stolz gewest bist.«

»Ich bekomm sie ja wieder!«

»Nie, nie! So was ist schwer wieder zu bekommen. Versetzt ists gar bald, doch das Einlösen geht langsam.«

»O, der Mann ist sehr freundlich gewest. Ich kann langsam abzahlen und brauch nur ganz wenig Zinsen zu geben.«

»Aberst die Schand, die Schand! Wer da weiß, daßt eine Uhr hast, und nun ist sie fort, was wird der denken?«

»Was der denkt, das ist mir gleichgiltiger als das, was dera Jud macht, wannst ihn nicht bezahlen kannst.«

»Wieviel hast denn erhalten?«

»Vierzig Mark.«

»Vierzig - vierzig Mark! Und ich brauch gar nur dreißig!«

»Nein, Du brauchst mehr.«

»Dreißig, keinen Pfennig mehr.«

»O doch. Willst denn dem Juden seine Zinsen noch weiter zahlen? Du mußt die Kuh kaufen, Du mußt sie bezahlen!«

»Ja, das kannst leicht sagen. Aberst mit denen Zinsen sinds zusammen hundertachtzig Mark. Wo sollen die herzunehmen sein?«

»Wo? Hm! Wann man ein Wenig gut nachdenken thät, so wär vielleichten gar ein Weg zu finden.«

»Welcher denn? Hör mal, Ludwig, Dich kenn ich. Ich bin Deine Muttern und hab Dein Gesicht studirt. Wannst so lächelst wie grad jetzund in diesem Augenblick, so hast allemal einen großen Schelmen im Nacken sitzen. Herrgottl! Am End weißt gar bereits einen solchen Weg!«

»Meinst wirklich?«

»Wann wir nicht blos die Zinsen, sondern gleich das ganze Capitalen zahlen könnten, was für eine Sorgen wär ich da los! Ich lebt gleich noch mal so lang!«


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»Ja, meine arme Muttern, es ist Dir freilich anzuschaun, daßt Dich in letzter Zeit sehr absorgt hast. Da muß Hilf und Rath schafft werden.«

»Meinst, daß es möglich ist?«

»Ja, ich weiß bereits Einen, der ein Geldl für Dich hat.«

»Wirklich, wirklich? Wer ists? Sags schnell, wers ist, und ob er viele Zinsen nimmt!«

»Gar keine.«

»So ists wohl ein sehr guter Freund von Dir?«

»Nein, sondern von Dir. Er mag nicht nur keine Zinsen haben, sondern er schenkt Dir gleich das ganze Capitalen.«

»Wast sagst!« rief sie im höchsten Erstaunen.

»Ja, so ists.«

»So sags doch endlich, wie er heißt!«

»Ludwig heißt er.«

»Lud - - so heißt doch Du!«

»Ja, und ich bins doch auch.«

»Du! Du! Du selberst hättst so ein gar großes Geldl?«

»Ja, freilich!« nickte er.

»Das sagst doch nur im Spaß!«

»Nein, sondern im Ernst. Weißt, ich wills Dir verzählen. Kennst doch denen alten Wurzelseppen?«

»Natürlich kenn ich den.«

»Der hat mich zuweilen aufsucht, als ich in München beim Militär stand. Ich bin nicht gern in die Restaurationen und Tanzsälen laufen und hab lieber daheim sessen und ein gutes Buch lesen. Auch hab ich zuweilen für denen Hauptmann was schrieben, um mir ein Geldl zu verdienen. Das hat dera Sepp merkt und sich darüber freut. Er hat fragt, ob ich auch wohl Noten schreiben könnt, und ich hab sagt, noch nicht, aberst ich möchts wohl bald lernen. Da hat er mir Violinennoten bracht. Die hab ich erst abmalt, langsam, dann aberst ists immer schneller gangen. Die sind für Einen gewest, der hat einen gar wunderbaren Namen gehabt. Fex hat er geheißen. Der Sepp hat mir das Geldl bracht, und es war stets viel mehr, als ich denkt hab. Sodann hat er mir auch andere Sachen bracht, Manuscripten von einem Schriftstellern. Dadurch hab ich mir was verdient und es mir zurücklegt. Jetzunder wollt ich mir ein neues Gewandl kaufen und Wäsch und noch mehr; aberst da die Kuh bezahlt werden muß, so ist das nothwendiger. Soll ichs holen?«

»Ludwig, Ludwig,« jubelte die Mutter, »was bist für ein guter, braver Bub!«

»Schweig, Muttern! Ich bin gar nicht braver, als ich sein muß.«

»Und das willst wirklich hergeben?«

»Ja, ganz gern.«

»Und wie viel ists?«

»Grad, als ob ichs wußt hätt, wie vielst brauchst. Hundertundvierzig


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Mark hab ich mir derschrieben, und vierzig Mark hab ich für die Uhr. Das macht grad hundertachtzig.«

»Aberst nachhero hast gar nix mehr!«

»Ich brauch jetzt nix. Und bald ist das Vierteljahr um; da bekomm ich wieder Lohn. Soll ichs holen?«

»Obsts holen sollst! Ja, ja, und doch auch wiederum nein, nein! Mir ist damit geholfen, aber es thut mir doch in der Seelen weh, wannst das schöne Geldl so hergeben sollst, nachdemsts so schwer verdient hast und Dichs freut, daßt Dir was dafür kaufen kannst.«

»Wann Du damit die Sorg los wirst, hab ich eine noch viel größere Freuden. Also ich lauf, ich hols!«

Er stand von seinem Stuhle auf.

»Hasts denn hier im Haus?«

»Natürlich. In meiner Stuben ists, in dera Truhen, im Nebenkästchen in einem ledernen Beutel - hm, da fallt mir ein, daß ich vorhin den Schlüssel hab stecken lassen. Das schadet aberst nix. Es giebt keinen Spitzbuben hier im Haus. Ich geh also und bin gleich wieder hier, liebs Mutterle.«

»Ja, geh, mein Sohn! Ich wills annehmen, und dera Herrgott wird Dirs lohnen. Jetzund ist das Leid zu End, und nun erst schmeckt mir auch dies Essen. Komm her, Bub, ich muß Dir einen Kuß geben! Verdient hast ihn sehr.«

Während sie sich umarmten, huschte Gisela vom Fenster weg und zur Küche hinaus. Als dann Ludwig hinauskam und zur Treppe hinauf wollte, kam sie scheinbar von oben herab.

»Du bist es, Ludwig,« sagte sie. »Ist Deine Mutter noch da?«

»Ja, drinnen in der Stube.«

»So hast Du leider keine Zeit.«

»Hast Du eine Arbeit für mich?«

»Eine Arbeit nicht, aber einen kleinen Weg, nur eine Minute.«

»Das kann ich ja thun.«

»Wirklich? Aber Du wirst dann Deiner Mutter fehlen!«

»Die hat Zeit. Wohin soll ich gehen?«

»Nur hinunter zum Sternbauer. Da sollst Du fragen, ob die Fredi schnell einmal zu mir kommen kann. Es ist sehr nothwendig, sonst würde ich Dich nicht von Deiner Mutter wegnehmen. Und Dich schicke ich doch am liebsten. Das weißt Du ja.«

Er erröthete unter dem freundlichen Blicke, welcher ihn aus dem Auge des schönen Mädchens traf.

»Ich gehe schon!« sagte er. »Ich wills nur erst der Mutter mittheilen.«

Er öffnete die Stubenthür und rief hinein:

»Ich werd gleich erst mal einen Weg schickt, bin aberst in zwei Minuten wieder da!«

Dann eilte er fort, ganz glücklich darüber, Gisela einen Privatgefallen thun zu können. Kaum aber war er fort, so huschte sie nach ihrem Stübchen,


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schloß die Kommode auf, machte ihr darin befindliches Portemonnaie auf und nahm aus demselben so viel, wie sie gerade erwischte. Dann eilte sie weiter nach der Kammer Ludwigs.

Er bewohnte dieselbe ganz allein, ein Vorzug, welchen der Bauer ihm eingeräumt hatte als Beweis, daß er mit ihm zufrieden sei. Der Schlüssel steckte an. Die Truhe stand neben dem Bette. Auch sie war unverschlossen, wie Gisela ja unten erlauscht hatte.

Sie öffnete und sah das sogenannte Bei- oder Nebenkästchen, welches er erwähnt hatte. Als sie den Deckel desselben aufschlug, erblickte sie den Lederbeutel. Schnell prakticirte sie ihr Geld zu dem seinigen und machte Kästchen und Truhe wieder zu.

»Das ist er werth, und noch viel mehr als das!« sagte sie zu sich, froh aufathmend, daß ihr der Streich gelungen war. »Wenn er wüßte, daß ich ihn belauscht habe! Ich mußte ihn fortschicken, um hier herein zu können, bevor er das Geld holte. Ich weiß ganz genau, daß Sternbauers Fredi heut gar nicht zu Hause ist. Und nun schnell wieder fort und hinab in die Küche! Ich muß wissen, was er dazu sagt, daß sein Spargeld so gewachsen ist.«

Da sie so eilig gewesen war, hatte sie sich in seiner Kammer nicht umgesehen. Erst jetzt fiel ihr Blick auf seinen Sonntagsanzug, welchen er heute in der Stadt angehabt hatte. Die einzelnen Stücke desselben waren breit aufgehängt, und sie fühlte, daß der Anzug durch und durch, von oben bis unten naß war.

»Was ist da geschehen?« fragte sie sich, beinahe erschrocken. »Ist er etwa gar in's Wasser gestürzt? Das muß ich erfahren. Er ist sonst so pünktlich, und daß er heute so spät zurückkam, das muß einen ganz besonderen Grund haben. Vielleicht erwähnt er gegen seine Mutter Etwas davon.«

Sie ging hinab, und als sie ihn kommen sah, that sie, als ob sie eben aus der Hausthür treten wolle.

»Die Fredi ist gar nicht da,« berichtete er. »Sie kommt erst am Abend nach Hause. Dann aber will ihre Mutter sie sofort hersenden!«

»Dann ists zu spät. Aber ich danke Dir, Ludwig.«

Sie that, als ob sie fortgehe, nach dem Garten zu, und er eilte hinauf nach seiner Kammer. Das benutzte sie, um sofort unbemerkt in die Küche zurückzukehren.

Er kam so schnell von oben herab, daß anzunehmen war, er habe oben den Beutel gar nicht geöffnet.

»Da bin ich wieder,« sagte er im Eintreten. »Ist Dir die Zeit lang worden?«

»Nein. Wo bist west?«

»Für die Gisela hab ich fortgehen mußt. Dann aberst hab ich gleich den Beutel holt. Hier ist er. Und nun wollen wir mal aufzählen.«

Hier ist er.

Er streifte den Beutel auf den Tisch, daß es klang und klirrte.

»Horch!« sagte er. »Hasts hört? Es ist auch Gold darinnen.«


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»Das hör ich nicht. Unsereins lernt gar nicht kennen, wie das Gold klingen thut. Das wissen nur so reiche Leutln, wie Du eins bist.«

»Ja, heut bin ich reich!«

»Und morgen bist wieder arm! Das ist wahr, mein armer Bub. Wollen doch nachdenken, ob die Hilf nicht auch auf andera Weisen möglich ist!«

»Nein. Nix wird nachdacht! Aufzählt wird. Und dann laufst, wast laufen kannst, zum Juden. Aber niemalen wieder darfst was kaufen, ohne es mir vorher zu sagen!«

»Ja, das will ich Dir gern versprechen!«

»Schön. Jetzund ist der Beutel offen, und nun wirds ausgeschüttet. Horch mal, wie das klingen wird!«

Sie saßen wie zwei Kinder an dem Tische. Sie ganz glücklich, so schnell und unerwartet Hilfe gefunden zu haben, und doch auch betrübt darüber, ihren Sohn seiner Ersparnisse berauben zu müssen. Er aber schüttete den Inhalt des Beutels mit jenem selbstbefriedigten Gesichtsausdrucke aus, den man bei Leuten zu beobachten pflegt, welche das Bewußtsein hegen, tüchtige Kerls zu sein.

»Hörsts, hörsts?« fragte er, als die Geldstücke auf den Tisch rollten.

»Ja. Es klingt gar schön.«

»Schöner noch als eine Geigen oder eine Ziehharmonika. Und wie viel!«

»Hundertachtzig Markeln!«

»Ja, hundertundacht - - - -«

Er hielt inne. Sein Blick war ungefähr abschätzend über das Geld geflogen und blieb nun befremdet auf demselben haften.

»Was hast?« fragte seine Mutter. »Fehlt etwan was?«

»Fehlen? Nein, fehlen thut nix, gar nix. Ich weiß gar nicht, was ich denken soll.«

»Wast denken sollst? Ja, was sollst denn denken? Du machst ja ein Gesicht wie - wie - wie - hör, da wirds mir ganz angst und bang dabei.«

»Mir auch fast! Hm - hm - - hm!«

»Was hast denn zu brummen? Was ist denn geschehen?«

»Was geschehen ist? Das begreif ich nicht. Meine Zwanzigmarkstuckerln haben Junge bekommen.«

»Wast sagst!«

»Ja, wirklich. Ich hab noch gar nicht zählt, und doch seh ich es genau. Hundertundvierzig Mark waren darinnen. Dabei waren fünf Zwanzigmarkerln, zwei Zehnmarkerln, und das Andere war Papieren und Silber. Jetzund aber seh ich hier sieben Zwanzigmarkerln und fünf Zehnmarkerln, ohne das Silber, was auch geheckt worden. Wer kann das begreifen?«

»Ich nicht.«

»Ich auch nicht.«

»Ja, wer soll es dann begreifen, wann Du selbst es nicht begreifst.«

»Das weiß ich nicht.«


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»Ich weiß es noch viel weniger. Vielleicht hast mehr gehabt als nur hundertvierzig Mark.«

»Mehr? O nein! Das kommt bei mir gar nie vor, daß ich mehr hab, als ich denk.«

»Aberst wie soll es hineinkommen sein!«

»Wenn ich das wüßt, da wär ich ein gescheidter Kerlen. Es ist ein Wunder. Ich muß doch mal zählen.«

Als er nun genau nachzählte, stellte es sich heraus, daß er gegen neunzig Mark mehr hatte. Er schüttelte den Kopf und blickte seine Mutter an, und sie schüttelte den Kopf und schaute ihn an. So sahen sie sich eine ganze Weile kopfschüttelnd an und machten dabei keineswegs sehr geistreiche Gesichter.

»Ludwig!« seufzte sie.

»Mutter!« antwortete er.

»Ists denn wirklich wahr, daßt nicht so viel habt hast?«

»Gewiß und wahrhaftig.«

»Kannst Dich aber doch irren!«

»Nein. Wann man eine gewisse Summe so lange Zeit besitzt, so ist kein Irrthum möglich. Und als ich Euern Brief bekam, hab ichs wieder zählt, obgleich es nicht nöthig war, und mir sagt, daß dies für eine Kuh nicht ausreichen werde. Darum hab ich dann die Uhr in dera Stadt versetzt. Und bevor ich fortfuhr von hier, hab ich nochmal nach dem Gelde sehen. Es ist indessen mehr worden.«

»Am hellen, lichten Tag?«

»Ja.«

»Wunderbar!«

»Warum soll es grad am Tag wunderbar sein?«

»Wanns des Nachts wär, so könnt man sichs derklären.«

»So? Inwiefern denn wohl?«

»Eine gute Fee könnts bracht haben. Die kommen nur des Nachts, niemals aberst am Tage.«

»Weißt das so genau?«

»Ja, ganz genau.«

»Hast etwan eine sehen, die zu Dir kommen ist?«

»Nein. Zu mir ist noch keine kommen. Aberst hört hab ich sehr viel davon.«

»Das sind Märchen. Es giebt gar keine Feen.«

Die Mutter machte ein sehr erschrockenes Gesicht, hob warnend den Finger empor und sagte:

»Du, wast da redest, das ist eine Sünden! Das darf man nicht; das ist verboten!«

»Meinst? Wo ists denn verboten!«

»Das weiß ich freilich nicht. Aber dennoch ists eine Sünden, wenn man nicht glaubt, daß es so gute Wesen giebt, die denen Menschen zuweilen eine Lieb erweisen und ihm ein Glück bringen.«


// 1262 //

»Ja, solche Wesen giebts. Das sind die heiligen Engel. Aberst von denen Feen steht in dera heiligen Schrift nix schrieben.«

»Das ist auch nicht nothwendig. Weißt, als ich mal hier war und auch des Abends hier blieben bin, da hat die Gisela aus einem schönen Buch mehrere Gedichten vorgelesen. Das war des Abends, als dera Bauer ins Wirthshaus gangen ist. Und da war auch eins dabei, in dem von den Feen die Red gewest ist. Also muß es doch welche geben, wann die Dichter solcherlei Gedichten über sie machen.«

»Das ist das Buch, welches da oben über dera Thür liegt. Ich kenn das Gedichten auch noch. Aberst da steht gar nicht darinnen, daß es wirkliche Feen giebt.«

»O doch. Ich habs mir ganz gut merkt.«

»So werd ichs Dir gleich mal bringen.«

»Aberst wann dera Bauer dazu kommt!«

»Was könnt der dagegen sagen? Er kommt auch gar nicht. Wann er zu Mittag gessen hat, so schlaft er allemal bis dahin, wann dera Kaffee trunken wird. Der wird uns also gar nicht stören.«

Er ging zur Thür, nahm das betreffende Buch von dem über derselben befindlichen Bret herab, kam mit ihm zurück und schlug das Gedicht auf.

»Hier ists,« sagte er. »Die Bäurin liests auch gern, besonders wann mal was passirt ist, was Frohes, was sie sich nicht anders derklären kann als dadurch, daß es gute Geistern giebt, die an denen braven Menschen ein Wohlgefallen haben. Sollsts gleich hören.«

Er las vor:

»Es giebt so wunderliebliche Geschichten,
Die bald von Engeln, bald von Feen berichten,
   In deren Schutz wir Menschenkinder steh'n.
Man möchte gern den Worten Glauben schenken
Und tief in ihren Zauber sich versenken,
   Denn Gottes Odem fühlt man daraus weh'n.

So ists in meiner Kindheit mir ergangen,
In welcher oft ich mit erregten Wangen
   Auf derlei Erzählungen gelauscht.
Dann hat der Traum die magischen Gestalten
In stiller Nacht mir lebend vorgehalten,
   Und ihre Flügel haben mich umrauscht.

Fragt auch der Zweifler, obs im Erdenleben
Wohl könne körperlose Wesen geben,
   Die für die Sinne unerreichbar sind,
Ich will die Jugendbilder frisch erhalten
Und glaub an Gottes unerforschlich Walten
   Wie ichs vertrauensvoll geglaubt als Kind.«

Als er nun das Buch schloß, um es an seinen Platz zurückzustellen, sagte seine Mutter:

»Siehsts, daß auch dera Dichter glauben will, daß es welche giebt! Wer


// 1263 //

soll Dir das Geldl bracht haben, wannsts wirklich nicht vorher schon habt hast? Ein Mensch nicht.«

»Hm, ja! Ein Mensch am End nicht. Es giebt genug Menschen, die Einem das Geld stehlen, aberst so im Stillen und in aller Heimlichkeiten es hineinlegen, das thut wohl sehr selten Einer.«

»Also ists eine Fee. Oder hast gar vielleichten einen Heckepfennig dabei!«

»Die giebts nicht.«

»Gar wohl giebts welche!«

»Nein. Das ist Aberglauben.«

»Das ist kein Aberglauben. Ich hab mal bei einem Bauern dient, der hat einen Heckethalern habt. Alle Morgen hat dieser Thalern einen andern heckt, den dera Bauer herausnommen hat, um ihn auszugeben. Mal aber hat er den falschen ergriffen, nämlich den Heckethalern, und ihn einem Fremden auszahlt. Dann ists freilich zu End gewest.«

»Wer hat Dir das weiß macht?«

»Niemand. Dera Bauern hats uns von selbst derzählt.«

»So hat er sich einen Spaßen macht.«

»Der? O, der ist gar kein so gespaßiger Kerlen gewest.«

»Nun, so wollt ich, daß ich auch mal so einen Heckethalern finden thät. Ich würd mich gar sehr in Acht nehmen, ihn wegzugeben.«

»Vielleicht hast einen drinnen.«

»Glaubs nicht. Weißt, es muß hier irgend ein Irrthum vorhanden sein, auf den ich mich schon besinnen werd. Die Hauptsach ist, daß ich Dir das Geldl, was Du brauchst, geben kann und dennoch neunzig Markerln im Beutel behalt. Hier, nimms!«

Er schob ihr das Geld hin.

»Ja, ists denn nun wirklich Dein Ernst, daßts mir geben willst?«

Sie wußte gar wohl, daß er nicht scherzte, aber es dünkte ihr doch noch immer fremd, von ihm eine solche Summe anzunehmen.

»Freilich ists mein vollständiger Ernsten,« antwortete er.

»Und ich soll zugreifen?«

»Schnell, sonst nehm ichs wieder fort!«

Da griff sie freilich zu. Strahlenden Gesichtes nahm sie die Goldstücke und Papiere und band sie fest in die Ecke ihres Schnupftuches ein, welches Letztere sie tief hinter ihr Mieder versenkte.

»Nun brauchsts blos nur zu verlieren; sodann ists weg,« warnte er.

»Ja, werde ichs verlieren!« nickte sie lachend. »Für Unsereinen ist so ein Geldl doch ein wahrer Reichthumen. Da paßt man schon gut auf, daß es Einem nicht abhanden kommt.«

»Jammerschad ists, daß ichs nicht selberst auszahlen kann.«

»Warum?«

»Ich thät dem Juden auch noch was dazu geben.«

»Was?«


// 1264 //

»Nun, eine schöne Ermahnungen und nachhero vielleichten auch einige tüchtige Ohrwatscheln, wenn er grob werden wollt.«

»Das kann uns nix nutzen. Zahlt muß es doch werden, und das Uebrige ist überflüssig. Ich werd ihn gleich auf dem Ruckweg aufisuchen, damit er es noch heut bekommt, und ich werd die Sorgen los.«

»So willst etwan schon heut fort?«

»Freilich. Wann sonsten?«

»Es ist heut ein Festtagen. Könntest doch hier bleiben.«

»Nein; das thu ich nicht. Hasts ja sehen, daß dera Bauern mir nicht mal derlaubt hat, mich niederzusetzen, nachdem ich altes Weib so einen langen Weg laufen war.«

»Ja, es ist so. Man muß sich aberst nur nix draus machen.«

»Das bring ich nicht fertig. Und wo sollt ich denn bleiben?«

»Wo? Das brauchst gar nicht zu fragen. Erst gehen wir ein Wenig hinaus aufs Feld und auf die Wies spazieren, und dann gehen wir ins Wirthshaus, wo ein Tanz abgehalten wird.«

»Tanz? Willst wohl auch tanzen?«

»Nein. Aberst, obgleich ich hier noch nie auf denen Tanzboden kommen bin, so würd ich heut gern einmal hin gehen, weil meine Muttern da ist und weil ich heut ein Glas Bier zahlen kann.«

»Ja, das kannst freilich zahlen, weilst neunzig Markeln funden hast. Das ist wahr. Und doch kann ich nicht mitthun.«

»Warum?«

»Ich kann doch nicht so spät am Abend heimkehren.«

»Das sollst auch gar nicht. Du bleibst vielmehr in der Nacht auch hier.«

»Da möcht ich denen Bauern hören, wann ers derfährt!«

»Der darf gar nix sagen. Wast issest und auch trinkst, das zahl ja ich, und schlafen wirst in meiner Kammern.«

»Und Du?«

»Ich steig hinaufi aufs Heustadel. Da werd ich schlafen wie ein Baronen oder gar wie ein Prinz und König.«

»Und wird er nicht zanken, wann er hört, daß ich in Deiner Kammer schlaf?«

»Verdorium! Ich würd ihm schon antworten! Wann meine Muttern bei mir auf Besuch ist, kann sie sich in mein Bett legen, und wer das nicht dulden will, der mag sich nach einem andern Knecht umischaun. Ich bin ein armer Kerlen, aberst meine Muttern laß ich mir nicht schimpfiren und beleidigen. Das kannst mir glauben!«

»So fürchtest Dich wohl gar nicht vor ihm?«

»Nein.«

»Aberst alle Andern fürchten sich.«

»Das sind mir auch die rechten Kerls! Und wann ich mich nicht vor ihm fürchten thu, so hab ich meinen Grund dazu.«

»Was ist das für einer?«


// 1265 //

»Das kann ich nicht sagen.«

»Nicht? Warum nicht?«

»Weil es ein Geheimnissen ist.«

»Was, Du hast ein Geheimnissen vor Deiner Muttern? Ich hab meint, daßt stets ganz aufrichtig gegen mich gewest bist.«

»Das war ich und bins auch noch. Aberst es giebt Sachen, die man selbst dem nächsten Menschen nicht anvertrauen darf.«

»Ists denn so gar was Wichtigs?«

»Freilich.«

»Wohl gar was Verbotenes?«

»Ja.«

»Herrgottle! Wer sollt das denken!«

»Ich hab mirs auch nicht dacht und es gar nicht glauben wollt, als ichs derfahren hab. Aberst wahr ists dennoch. Und wann ich reden wollt, so könnt ich dem Bauern einen gar großen Schaden machen.«

»Das weiß er wohl auch?«

»Freilich weiß er es, und daher laßt er sich von mir eher ein Wort gefallen, als von einem Andern. Das hast ja vorhin hört.«

»So behalt das Geheimnissen ja für Dich!«

»Natürlich! Es fallt mir gar nicht ein, ihn in Schaden zu bringen. Da thät mir die brave Bäurin viel zu leid.«

»Ja, die ist brav und gut, und die Tochtern wohl auch?«

»Die Gisela? O, wann ich die anschau, so möcht ich gleich glauben, was ich vorhin nicht hab glauben wollt.«

»Daß es Feen giebt?«

»Ja. Weißt, die ist ein Engel.«

Als er das sagte, glänzte sein Gesicht. Die Mutter bemerkte es und fragte:

»Sie ist wohl auch gegen Dich gar gut?«

»Gegen Alle.«

»Ach so! Wann ich Dein Gesicht anschau, so ist mirs jetzt ganz so gewest, als ob sie ganz besonders gegen Dich ein Engel sei. Und das sollt mir um Dich leid thun.«

»Warum?« fragte er im Tone der Verwunderung.

»Um Dich und auch um - - -«

Sie schwieg und blickte ihn dabei verstohlen forschend an.

»Warum redest nicht weiter?« fragte er.

»Weil ich nicht weiß, ob ich darf.«

»Wer soll Dirs verbieten?«

»Du.«

»Ich? Das fallt mir gar nicht ein. Also, um wen wär Dirs noch leid? Um mich und auch noch um - - -?«

»Um die Theres.«

»Ach so! Habs mir doch beinahe denkt, daßt die bringen wirst!«


// 1266 //

»Und ich habs wußt, daß ich sie nicht bringen soll!«

»Freilich wohl. Es kann nix nutzen.«

»O, es könnt schon was nutzen, wannst nur wollst!«

»Nein. Sie mag thun was sie will, aberst an mich braucht sie nicht zu denken.«

»Da kann ich Dich weder verstehen noch begreifen. Was hast gegen sie?«

»Gar nix, o gar nix.«

»So eine junge Wittwen!«

»Jung ist sie freilich,« nickte er.

»Und auch ganz hübsch!«

»Man könnt sie wohl gar schön nennen.«

»Und reich.«

»Ja, sie hat das größte Gut daheim in unserm Dorf.«

»Und Dich will sie haben, partoutemang nur Dich!«

»Das ists eben, was sie sich aus dem Kopf schlagen soll.«

»Ludwig, was bist doch für ein unbegreiflicher Kerlen! Tausend Andere thäten zugreifen! Wer die Theres kennt, der leckt alle Fingern nach ihr.«

»Nicht ein Jeder.«

»O, doch Alle!«

»Nein, denn ich kenn sie auch, und es fallt mir doch nicht ein, nur einen einzigen Finger nach ihr zu 1ecken.«

»Könntest aberst doch ein großes Glück mit ihr machen!«

»Meinst?«

»Ja. Oder ist sie etwan nicht brav?«

»Brav ist sie auch. Ich weiß ganz gut, daß Derjenige, der sie zur Frauen bekommt, dem Himmel danken kann.«

»Nun, warum magst sie also nicht?«

»Weil ich sie nicht lieb haben kann.«

Seine Mutter machte ein außerordentlich erstauntes Gesicht.

»Nicht lieb haben kannst sie? Ist denn so was möglich, Ludwig?«

»Ich sags ja, folglich ists möglich.«

»Das kann ich gar nicht glauben. So ein Dirndl oder so eine Wittwen muß ein Jeder lieb haben, der sie anschaut.«

»Dagegen mag ich nicht streiten. Vielleichten hätt ich sie auch lieb gewonnen, wann - wann - - wann - -«

Jetzt war er es, welcher stockte.

»Warum redest nicht weiter?« fragte sie.

»Weils auch nix nutzen thät.«

»So hast also wohl noch ein anderes Geheimnissen vor mir?«

»Hm! Ja, vielleicht ists auch ein Geheimnissen.«

»Und ich darfs nicht derfahren?«

»Sagen könnt ichs Dir schon, denn Du bist ja meine Muttern. Aberst anderst kannsts doch auch nicht machen.«


// 1267 //

»Wer weiß das! Ich bin eine arme und einfache Frauen, doch einen guten Rath könnt ich doch vielleicht finden.«

»Ein Rath kann da gar nix ändern.«

»Vielleichten doch. Oder ist die Sach gar eine so schlimme?«

Er schüttelte den Kopf, strich sich mit der Hand über die Stirn und antwortete:

»Schlimm? O nein. Wem thuts was, wenn ein armer Bauernknechten einen Wunsch hat, der ihm niemals erfüllt werden kann! Keinem Menschen!«

Sein Gesicht war dabei so trüb geworden, daß sie in besorgtem Tone fragte:

»Was hast? Einen Wunsch, der Dir nicht derfüllt werden kann? Geh her! Jetzunder sagst mir gleich, welch ein Wunsch dies ist!«

»Warum und wozu? Du brauchsts doch nicht auch mit zu tragen!«

»Nicht? Was denkst von mir! Du sagst, ich sei Deine Muttern. Nun, weißt etwan nicht, daß eine Muttern Alles gern mit ihren Kindern theilt, Freud und Leid, Glück und Unglück? Du thust, als obst mich so sehr als Muttern achtest, und nun Du eine Sorg oder so was auf dem Herzen hast, willsts mir nicht sagen. Ist das recht von Dir? Denkst etwan, daß ich mich darüber freuen kann?«

Er schwieg eine kleine Weile. Dann sagte er:

»Recht hast, und weils blos mich betrifft, so kann ichs Dir schon sagen. Ich hab vorhin meint, daß ich dera Theres wohl schon gut sein könnt, wann - - wann es nicht bereits eine Andere gäb, die ich lieb hab.«

Diese Worte kamen nur langsam und zögernd hervor. Seine Mutter blickte ihm einige Secunden lang erstaunt in das Gesicht, schlug dann die Hände zusammen und rief:

»Was? Ists wahr?«

»Freilich.«

»Einer Andern bist bereits gut?«

»Schrei doch nicht so! Wannsts so laut rufst, so kann mans im ganzen Dorf hören.«

»Das ist vor lauter Verstaunen, daß ich so schrei. Wer hätt das denkt! Ich nicht.«

»Ja,« lächelte er. »Wer Dich jetzund anschaut, der sieht Dirs auch ganz deutlich an, daßt Dirs gar nicht dacht hast.«

»Nicht wahr! Ich mach da wohl ein sehr dummes Gesichten?«

»Klug siehst jetzund allerdings nicht aus.«

»Hab auch Grund dazu! Also gut bist Einer! Ists ein Dirndl oder eine Wittwen?«

»Ein Dirndl natürlich.«

»Und wer?«

»Das willst auch nun gleich wissen?«

»Kannst Dirs doch denken!«


// 1268 //

»Freilich hab ichs mir denkt, daßt nachher Alles derfahren willst, wann ich Dir nur erst ein Wort davon sagt hab.«

»Ludwig, was bist für ein Bub! Eine Muttern wird doch fragen dürfen, wer es ist, wann sie hört, daß ihr Sohn eine Liebsten hat!«

»Da irrst Dich freilich. Eine Liebsten hab ich nicht.«

»Und bist doch Einer gut? Wer soll das begreifen? Ich freilich nicht!«

»Weißt denn, ob sie mich auch leiden mag?«

Bei dieser Frage hob sie den Blick so voller Verwunderung zu ihm empor, daß er beinahe in ein lautes Lachen ausgebrochen wäre.

»Dich leiden?« fragte sie. »Nun möcht ich doch mal das Dirndl sehen, welches Dich nicht leiden könnt, wannst ihm gut bist! So ein Kerlen wie Du! Ein Unteroffizieren gewesen und eine Figuren wie ein General! Dazu gut und arbeitsam und auch Einer, der seine Arbeit kennen thut wie kein Andrer! Nein, wast da redest, darüber muß ich mich schier verwundern! Ein Dirndl, welches meinem Ludwig nicht gut ist, wanns ihn derblickt, die hat gar kein Herz im Leib und keine Augen im Kopf!«

Bei diesen Worten streichelte sie ihm die Wange und blickte in stolzer Mutterliebe zu ihm empor.

»Ja,« lachte er, »das sagst Du, und ich weiß auch gar wohl, warum.«

»Nun, warum?«

»Weil halt eine jede Muttern in ihren Buben verliebt ist und nachhero denkt, daß auch jedes Dirndl sich sogleich in ihn verschameriren muß.«

»Nein, das denk ich schon nicht.«

»Hasts aber doch sagt!«

»Habs aber nicht ganz so meint, wie ichs sagt hab. Ich hab nur denkt, weilst sagst, ob sie Dich auch leiden mag, daßt schon ein Kerlen bist, den man leiden kann.«

»Wollen uns nicht darum zanken. Aberst ein Dirndl, wanns reich ist, nimmt sich schon in Acht, sich in so einen armen Teuxel, wie ich bin, zu verlieben. Weißt!«

»Ach so! Sie ist reich?«

»Leider!«

»Wohl sehr?«

»Gar sehr.«

»O weh!«

»Ja, hörst, daßt nun gleich Ach und auch Wehe schreist!«

»Nun, so schlimm wirds doch wohl nicht sein. Es hat schon gar mancher Bub ein reiches Dirndl gefreit.«

»Aberst nicht ein Jeder bekommt eine Reiche.«

»Du könntest eine bekommen, wannt nur wolltst - die Theres. Und wer weiß, ob die Deinige so reich ist wie sie.«

»Viel, viel reicher.«

»Und so hübsch!«

»Viel, viel schöner!«


// 1269 //

»Aber auch brav und gut?«

»Wie keine Zweite.«

»Du, da ist sie doch gar ein Engel!«

»Fast möcht ichs sagen.«

»Kennst sie wohl bereits seit einer Zeit?«

»Seit lange schon. Bereits noch bevor ich zum Militair mußt, hab ich sie kannt.«

»Und sie auch lieb habt?«

»Ja.«

»Und ich hab nix davon wußt, gar nix!«

»Weißt, solche Sachen hängt man nicht an die große Glocken und thut sie auch nicht mit Kanonen in die Welt hinein schießen.«

»Aberst dera Muttern kann mans sagen. Und nun weiß ich auch, was mir ahnt.«

»So! Was ahnt Dir denn?«

»Daß ich nun weiß, warumt nicht beim Militair blieben bist.«

»Ja, das kannst nun leicht derrathen.«

»Du hättest eine gar schöne Anstellungen haben konnt; aberst das Dirndl hat Dir im Sinn legen, und da bist lieberst vom Militair fortgangen und wiederum Knecht worden. Ists so oder nicht?«

»Es ist schon so.«

»Was bist da für ein dummes Kraxerl gewest! Hast Deine Zukunft aufgeben wegen eines Maderls, von dert nicht mal wußt hast, obs Dich auch leiden kann.«

»Magst Recht haben; doch weißt, wann man Einer so recht von Herzen gut ist, so fragt man nicht nach so einem Opfer. Man ist nur glücklich, wann man bei ihr sein kann.«

Da blickte sie ganz verwundert zu ihm auf.

»Bei ihr sein kann? Wast sagst! So bist wohl jetzund bei ihr?«

»Ja.«

»Ist sie hier im Dorf?«

»Das kannst Dir denken.«

»O Jerum! Eine Hiesige ists, eine Böhmin, eine Oesterreichsche!«

»Da derschrickst wohl gar?«

»Freilich! Ich habs mir nie anderst denken konnt, als daßt mal eine ächte Bayerin heirathen wirst!«

»So hast wohl meint, daß die in Oesterreich nix taugen?«

»Das hab ich nicht denkt, ich hab überhaupt noch gar keinen Vergleich macht. Ich bin eine Bayerin und hab mir auch nur eine Bayerin als Schwiegertochter denken konnt.«

»So kannst Dich wohl gar nicht an den andern Gedanken gewöhnen?«

»Warum nicht, wann sie brav und gut und lieb ist.«

»Nun, brauchst Dich gar nicht an ihr zu gewöhnen, denn bekommen werd ich sie doch auf keinen Fall.«


// 1270 //

»So weißts wohl genau, daß sie Dich nicht mag?«

»Ja.«

»Hast sie fragt?«

»Nein.«

»So bist ein gar talketer Bub! Hast noch gar nicht mit ihr sprochen und weißt doch, daß sie nix von Dir wissen will!«

»Um das zu wissen, braucht man sie doch nicht zu fragen. Das sieht man ohnedies.«

»So ist sie wohl gar verächtlich gegen Dich?«

»Nein. Sie geht mir aus dem Weg. Wann sie zu mir wär wie zu denen anderen Knechten, so wollt ich meinen, daß ich ihr nicht grad zuwider wär, sondern nur gleichgiltig; aberst sie geht mir aus dem Weg.«

»Das denkst vielleicht blos.«

»O nein. Wann ein anderer Knecht mit ihr redet, so schaut sie ihn ruhig an und hört ihm zu. Und wann ich ihr was zu sagen hab, so blickt sie an dera Schürzen nieder und schaut, so bald wie möglich von mir fortzukommen. Da hasts: Sie kann mich nicht dersehen.«

Seine Mutter schüttelte den Kopf, lächelte ein Wenig und fragte dann:

»Bist wohl ein großer Menschenkenner?«

»Ich? Ich bin kein Gelehrter.«

»Das merk ich bald!«

»So! Was redest da? Was hast für einen Ton? Was lachst mich an?«

»Weilst so ein ganz besonderbar gescheidter Kerlen bist. Verstanden?«

»Jetzund willst mich wohl gar vexiren?«

»Nein. Weißt, das Dirndl hat Dich lieb!«

»Mach nur Deinen Spott!«

»Fallt mir gar nicht ein!«

»Woher willst wissen, daß sie mich lieb hat?«

»Weil ich selberst ein Dirndl gewest bin, und ein bildsauberes dazu. Das kannst an Dir merken. Die Buben und Jungburschen haben mich auch anschaut und sind hinter mir nachlaufen. Wann Einer mit mir sprochen hat, so hab ich ihm grad ins Auge blickt und da meine ruhige Antwort geben. Aberst nachhero, als der Rechte kommen ist, Dein Vatern nämlich, den hab ich nicht grad anschauen konnt.«

»Warum nicht?«

»Das weiß ich nicht; ich hab die Augen nicht zu ihm emporbringen konnt. Das Blut ist mir in die Wangen stiegen; das Herz hat mir klopft, und wann ich ihm eine Antworten geben hab, so ist meine Stimmen so leise und zittrig gewest, als ob ich mich gar sehr vor ihm fürchten thät.«

»Was! Ist das wahr? Wirklich wahr?«

»Ja. Und so ists fast bei einem jeden Dirndl, wanns in dera Still Einen lieb hat.«

»Wann ich das so glauben könnt!«


// 1271 //

»Glaubst etwan, daß Deine alte Muttern Dich belügen werd?«

»Nein. Grad so, wie Dus beschreibst, so ists mit dem Dirndl, das ich meinen thu. Sie schaut nicht zu mir auf, und ihre Wangen bekommen eine andera Farben, und wanns mir ja antworten muß, so klingts so ganz anderst als gewöhnlich.«

»Da hasts! Sie hat Dich lieb!«

»Und das kann aberst doch nicht sein. Ich bin so lange Jahren mit ihr beisammen, daß ich es doch wohl ein einziges Mal hätt merken müssen, daß sie mir gut ist.«

»Was? So lange Zeit bist mit ihr beisammen? Wirklich beisammen? Ludwig, soll ichs etwan derrathen, wer das Dirndl ist?«

»Das ist nun leicht.«

»Ja. Beim Kery-Bauer hast von Jugend auf dient, bist zum Militair kommen bist. Und alst von München zuruckkamst, bist sofort wieder zu ihm gangen. Ich hab mir den Grund gar nicht denken konnt. Jetzund aber weiß ich ihn: Die Gisela hat Dirs anthan. Wegen ihr bist vom Militair fortgangen, und wegen ihr hast auf das schöne Fortkommen verzichtet. Hab ichs derrathen oder nicht?«

»Wirst schon Recht haben,« gestand er.

»Also doch, doch, doch! Wer hätt das denken konnt!«

»Wars denn so was ganz Unmögliches?«

»Ja! Daßt Deine Augen zu Der, grad zu ihr aufschlagen könntst!«

»Meine Augen? O, die nicht! Ich weiß, daß meine Liebe eine vergebliche ist. Aberst kann ich gegen mein Herz?«

»Nein, dagegen kann kein Mensch. Das weiß ich am Allerbesten. Ich konnt als blutarmes Dirndl auch eine reiche Heirath machen und habs doch nicht than, weil ich Deinen Vatern lieb gehabt hab, trotzdem er ein armer Schluckerl war. Ich kanns gar gut begreifen, daßt die Gisela lieb hast, denn sie ist ein Dirndl, wies kein zweites giebt. Wann sie arm wär, so sollts mich von Herzen gefreun, und ich wollt gar stolz sein auf so eine Schwiegertochtern. Nun sie aberst so eine gar Reiche ist, so kannst mir leid thun, Du und auch die Theres, die es so gar ehrlich mit Dir meint.«

»Sie thut mir auch leid, doch kann ich nicht dafür, daß ich bereits eine Andre lieb hab.«

»Kannst Dir diese Andere denn nicht aus dem Sinn schlagen?«

»Nein; das ist ganz unmöglich. Und wann ichs könnt, so thät ichs doch nicht. Schau, Muttern, die Lieb ist halt ein gar wundersames Ding. Ich weiß, daß die Gisela nun und nimmer mein Weib werden kann, und doch mag ich nicht von ihr fort, und doch bleib ich hier, obgleich ichs bei einem andern Bauern weit besser hätt. Wann ich sie sehen und ihre Stimm hören kann, so bin ich zufrieden und glücklich.«

»Meinst wohl, daß es auch so bleibt?«

»Warum nicht?«


// 1272 //

»Jetzund ist sie ledig. Wann nun aberst ein Freier kommt und nimmt sie fort von hier?«

»Das geschieht nicht.«

»Da wirst Dich sehr täuschen, denn so ein Mäderl wie sie bleibt nicht ledig.«

»Ja, sie wird heirathen, aber fortgehen kann sie nicht. Sie ist das einzige Kind und muß also hier bleiben. Ihr Mann wird das Gut übernehmen, und ich bleib auch da bei ihr.«

»So willst gar niemals heirathen?«

»Niemals!«

»Ludewig! Das wirst mir doch nicht anthun!«

»Mutter, ich mag keine Andere!«

»Ja, ja, so ist die Lieb, wanns nämlich die richtige ist! Die opfert sich auf und fragt nix nach sich selbst. Doch sag mir mal, obst auch hier bleiben wirst, wann Dir ihr Mann nicht gefällt?«

»Ich denke, daß sie Einen nehmen wird, mit dem ich es aushalten kann.«

»Hör, ich möcht fast weinen, und doch ists mir ganz so, als ob ich auch lachen muß. Wannt nämlich dabei stehst und zuschauen mußt, daß ihr Mann sie beim Kopf nimmt und in seine Arme und ihr ein Busserl nach dem andern giebt, so wirsts wohl - - -«

»Donnerwettern!« unterbrach er sie. »Den Kerlen möcht ich zerreißen!«

»Schau, schau! Jetzund gehst gleich in die Luft vor Grimm!«

»Ja, weißt, daran hab ich noch gar nicht denkt!«

»Woran denn? Wann sie einen Mann hat, nachhero muß sie doch gut und zärtlich mit ihm sein!«

»Das thät ich nicht dulden!«

»Was wolltst dagegen machen?«

»Ich thät - - - ja, was thät ich denn da nur gleich!«

»Nix, gar nix könntst machen. Eine Faust in dera Taschen thätst machen, und das wär Alles, wast Dir derlauben könntst. Wannt etwan etwas sagen wolltst, so würdst auslacht und aus dem Haus jagt.«

»Recht hast, Mutter, ganz Recht. Alle tausend Teuxeln. Wann ich mir vorstell, daß ein Anderer die Gisela herzen und küssen darf, so möcht ich zerspringen und zerplatzen vor Zorn!«

»Nun, so ists doch am Besten, wannst so bald wie möglich fortgehst von hier.«

»Das fallt mir zu schwer.«

»Aber mal mußt doch fort. Wie leicht und schnell kanns geschehen, daß ein Freier kommt!«

»Meinst? Es kommt ja bereits heut einer.«

»Ists wahr?«

»Ja.«

»So redst wohl nur im Scherz?«

»O nein. Er hats mir selber sagt.«


Ende der dreiundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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