Der Weg zum Glück - Teil 57

Lieferung 57

Karl May

27. August 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Nichts weiter, als daß ich Dich genau kenne.«

»So! Nun, als was kennst Du mich denn?«

»Als einen Herrn, dem ich lange Jahre treu gedient habe und für den es keine Schande ist, wenn ich einmal mit seiner Tochter tanze. Ich bin Unterofficier gewesen und habe mir das eiserne Kreuz verdient. Da kann von einer Schande keine Rede sein. Du tanzest ja selbst auch gern, und zwar mit Leuten, mit denen zu verkehren ich mich schämen würde.«

»Wie! Was! Hallunke, was war das!«

»Höre, Bauer, treibe es nicht zu weit! Ein Hallunke bin ich nicht. Ein solches Wort lasse ich mir von keinem Menschen gefallen, er mag sein oder heißen, wie er will!«

»Und ich will aber hören, wer diese Leute sind, mit denen ich verkehre!«

»Topfstricker sinds, Kesselflicker und Mausefallenhändler!«

Jetzt wich der Bauer wieder zurück. Er machte ein beinahe erschrockenes Gesicht und sagte:

»Bist Du bei Sinnen! Ich, der Kerybauer, soll mit solchem Gesindel verkehren?«

»Hast Du nicht heut mit diesem Usko, dem Slowaken gesprochen?«

»Willst Du mir etwa verbieten, mit einem Kerl zu reden, zu dem ich nur gesprochen habe, um ihn fort zu weisen!«

»Ja, zum Scheine weisest Du ihn fort. Sehen lassen willst Du Dich nicht mit ihm, aber Geschäfte machst Du dennoch mit ihm, freilich wenn es Niemand sieht, im Dunkeln, des Nachts.«

»Lässest Du Dir das gefallen, von Deinem eigenen Dienstboten, Kery?« fragte der alte Osec.

»Schweig nur Du!« antwortete ihm der Knecht. »Grad Du bist Derjenige, welcher auch mit in dem Kesselflickerbunde ist. Du hättest am wenigsten Ursache, hier groß und stolz zu thun. Ich bin zwar kein reicher Bauer, sondern nur ein armer Knecht, aber meinen Lohn verdiene ich mir ehrlich und nicht auf heimlichen Schleichwegen. Verstanden, was ich meine? Und darum bleibt es dabei: Wenn die Gisela gezwungen wird, jetzt anstatt mit mir mit einem Andern zu tanzen, gebrauche ich mein Recht. Nun macht, was Ihr wollt.«

Er wendete sich halb ab.

»Und nun grad tanzest Du mit ihr!« gebot der alte Osec seinem Sohne.

Da drehte sich Ludwig wieder herum und erklärte in drohendem Tone:

»Wer sie, so lange diese Tour dauert, ohne meine Erlaubniß anrührt, der fliegt zum Fenster hinaus. Pasta! Abgemacht!«

Er ging fort, ohne sich umzublicken.

»Und nun verlange ich grad erst recht, daß Du mit ihr tanzest!« gebot der Kerybauer seinem zukünftigen Schwiegersohne.

Dieser kam dadurch in eine nicht geringe Verlegenheit. Er kratzte sich hinter dem Ohre und ging nicht von der Stelle.

»Nun, hast Du es gehört? Greif zu!«


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»Ich - ich - ich möchte es doch lieber jetzt noch lassen.«

»Warum?«

»Wenn ich zugreife, so greift der Ludwig auch zu, und der hat andere Arme und andere Muskeln als ich.«

»So bin ich auch noch da!«

»Willst Du Dich mit Deinem Knechte prügeln? Das würde sich für den reichen Kerybauer schlecht schicken.«

»Was sich für mich schickt oder nicht, das ist meine Sache. Ich werde mich nicht mit ihm prügeln, aber ihn vom Saale weisen lassen, das werde ich!«

»Es würde Dir Niemand gehorchen.«

»Du fürchtest Dich also?«

»Nein; aber von Schlägereien bin ich kein Freund, weil da selbst der Sieger nichts gewinnen kann.«

»Mein Junge hat Recht,« nahm der Alte sich jetzt seines Sohnes an. »Mit solchen Menschen, wie hier im Saale sind, mag ich mich nicht abgeben. Ich bin nicht nach Slowitz gekommen, um in eine Prügelei verwickelt zu werden, Dein Knecht macht Ernst; das habe ich ihm angesehen.«

»Ja, das weiß ich auch, daß er keinen Spaß gemacht hat. Er hat es sogar gewagt, mir zu drohen. Dafür werde ich ihm kündigen. Er muß fort.«

»So will ich Dir wünschen, daß Du im Guten auseinander kommst mit ihm.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Du hast doch gehört, was er sagte. Darüber muß ich ein Wort mit Dir reden. Das klang ja grad so, als ob er uns gefährlich werden wolle.«

»Und grad darum zeige ich ihm, daß ich mich nicht vor ihm fürchte. Soll ich mich etwa seinetwegen gar mit Euch entzweien? Ich will jetzt nachgeben. Dein Sohn mag noch jetzt eine oder zwei Touren warten. Dann aber tanzt er mit Gisela, und ich will Den sehen, der Etwas dagegen hat!«

Er setzte sich nieder, schob einen Stuhl so zwischen den Tisch und die Wand, daß der auf demselben Sitzende von keinem Unberufenen erreicht werden konnte, und befahl seiner Tochter:

»Hierher setzest Du Dich, da kann Niemand zu Dir, um Dich zu engagiren. Und überhaupt darfst Du mit keinem Andern tanzen als mit Deinem Bräutigam. Darnach hast Du Dich zu richten.«

Sie gehorchte mit einer Miene, als ob sie gegen den Willen ihres Vater gar nichts einzuwenden habe. Sie wußte ja, daß seine Absicht doch vereitelt werden würde.

Ludwig war zu seiner Mutter zurückgekehrt, welche sich in großer Sorge befand. Sie freute sich im Stillen ungemein darüber, daß Gisela sich unter seinen Schutz gestellt hatte, und doch bangte sie vor einem Zerwürfnisse mit ihrem Vater. Ludwig suchte seine Mutter zu beruhigen.

Es gingen einige Tänze vorüber, an denen Osec sich nicht betheiligte. Dann verkündigte der Schmied einen Walzer.

»Der wird getanzt,« gebot Kery. »Macht vorwärts!«


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Der unerwünschte Bräutigam erhob sich. Auch Gisela stand auf, aber langsam. Sie brauchte lange Zeit, sich hinter dem Tische hervor zu schieben, und so kam es, daß der Walzer bereits im Gange war, als sie ihrem Tänzer den Arm reichte.

Er trat mit ihr vor, ohne sich der Ordnung gemäß erst in die Reihe zu stellen. Um in den Takt zu kommen, schwippte er den linken Fuß erst hin, dann her, und nun wollte er - - -

»Droh - droh - droh - fum - fum!« erklang die Posaune, und die Musik verfiel in plötzliches Schweigen.

Die Paare standen, und Alle blickten nach dem Orchester.

»Das hätte bald ein Unglück gegeben,« hörte man die Stimme des Posaunenwenzels.

Er hatte nämlich sein Instrument ganz aus einander gezogen, hielt in jeder Hand eine der Hälften, holte tief Athem, wie nach einer gewaltigen Anstrengung und schüttelte den Kopf.

»Ists wiederum mal alle?« rief der Herr Musikdirector zornig. »Was ist denn mit dera Posaunen geschehen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Nicht? Ein Dummkopfen bist. Ausnander zogen hasts! Ists da ein Wundern, wanns keinen Ton mehr giebt!«

»Aus einander gezogen habe ich sie nicht!«

»Was? Das willst mir weiß machen? Du stehst ja da und hast die Stucken in denen Händen!«

»Ja, aber doch habe ich sie nicht aus einander gezogen sondern aus einander geblasen.«

»Das kann doch gar nicht möglich sein!«

»Und doch ists so! Es wollte kein Ton mehr kommen, und als ich nun mit aller Gewalt hinein bließ, so schob die Luft die untere Hälfte heraus. Die Lunge konnte mir dabei zerplatzen.«

»Ja, wanns so ist, so kannst freilich froh sein, daßt mit dem Leben davonkommen bist. Konntest gar leicht einen Blutsturz bekommen, und dann hätt ich meinen besten Posaunisten verloren.«

»Ich zittre noch an allen Gliedern!«

»Das sieht man wohl. Nun giebts schon wiederum eine Unterbrechung. Heut scheint dera Teuxel losgelassen worden zu sein. Am Schlechtesten kommt da wiederum der Osec weg. Er hat schon das Bein hin und her schwenkt, um sich auch mal eine Güten zu thun, und da muß nun grad auch noch die Posaunen obstinat werden. Was ist denn mit ihr?«

»Ich weiß es nicht; ich kann es mir nicht erklären. So Etwas ist mir in meiner ganzen musikalischen Praxis noch nicht passirt.«

»Aberst Du mußt doch Deine Posaunen kennen!«

»Das hab ich freilich gedacht, aber nun sehe ich, daß es mit der Posaune ist wie mit den Weibern: Man lernt sie nicht auskennen.«


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»O, die wollen wir schon gleich auskennen lernen. Stecks mal wiederum zusammen, und blas hinein!«

Der Wenzel gehorchte. Er blies, daß er krebsroth wurde. Es war nichts zu hören, bis endlich ein Ton heraus kam, welcher grad so klang, wie wenn ein Bahnzug in dem Perron einfährt und alle Räder unter den Bremsen dröhnen, knarren und kreischen.

Natürlich waren die Blicke aller Anwesenden nach dem Orchester gerichtet. Als dieser Mißton erscholl, konnte sich Niemand halten: es brach ein stürmisches Gelächter los.

»Was giebts da auch noch zu lachen!« schrie der Schmied. »So eine Posaunen ist ein gar schweres Instrumenten. Es hat seine großen Mucken, und wer darunter zu leiden hat, der hat keine Lust zum Lachen. Zeigs mal her! Ich wills selberst mal probiren.«

Er blies hinein, und was sich nun hören ließ, das war noch schrecklicher als vorher.

»Das ist schlimm!« meinte er. »Bei dera Posaunen ist drinnen in denen inneren Eingeweiden Etwas nicht in Ordnung. Es wird doch nicht etwa eine Verhärtung sein! Die wäre gar schwer zu heilen. Das muß noch genauer untersucht werden.«

Er zog das Instrument aus einander und blies in die eine Hälfte.

»Die hat Luft!« meinte er. »Es muß also auf der anderen Seite liegen.«

Er blies nun auch in die andere Hälfte, bis sich sein Gesicht fast blauroth färbte. Dann setzte er ab, schüttelte bedenklich den Kopf und erklärte:

»Jetzund hab ichs entdeckt. Es sitzt auf einer gar gefährlichen Stellen. Das kann so schlimm werden, daß wir mit dera Musiken ganz und gar aufihören müssen. Wer hätte das dacht von einer Posaunen, mit der man so lange Jahren ganz zufrieden gewest ist!«

»Machst mir wohl nur Angst?« fragte der Schuster.

»Nein. Ich muß Dirs ehrlich sagen, weil ich halt Dein Directorn bin.«

»Was ists denn eigentlich?«

»Das Allerschlimmst, was bei einer Posaunen nur passiren kann: Sie ist verstopft.«

»Das ist doch gar nicht möglich!«

»Warum sollt es nicht möglich sein? Sie ist alt genug, und im Alter giebts allerlei Zufällen und Calamertäten, von denen man in dera Jugend keine Ahnung hat.«

»So müssen wir zu helfen suchen!«

»Ja freilich! Die Burschen und Dirndln wollen doch weiter tanzen. Schau, dort steht auch dera Osec noch mit seiner heißgeliebten Braut! Was er für eine Sehnsuchten hat, zu zeigen, daß er noch Sohlen auf denen Stiefeln hat. Mach schnell, damit wir fertig werden. Blas mal da hinein; ich will auf dera andern Seiten helfen.«


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Der Schuster blies, und der Schmied that, als ob er ihn unterstützte. Er drückte, quetschte und schob aus allen Kräften.

»Blas, blas!« rief er dabei. »Es wird schon Luft. Es gukt schon was heraus. Blas mehr! Jetzt kommts! Da ists! Ah, Sapperment!«

Er hielt einen Gegenstand in der Hand, den er aber vorher in seinem Aermel verborgen gehalten hatte.

»Heraus ists endlich! Das hat tief drinnen steckt. Aberst schau her! Was ist das?«

»Himmeldoria!« meinte der Wenzel. »Das hab ich ganz vergessen gehabt. Mein Tabaksbeutel!«

Die beiden Musici hatten ihre Sache so täuschend gemacht, daß es wirklich ganz den Anschein hatte, als hätte der Director den Tabaksbeutel aus dem engen Rohre gezogen.

»Ja, ein Tabaksbeuteln ists,« sagte er, sehr ernst den Kopf schüttelnd. »Da kann die Posaunen freilich keinen guten Ton geben, wann so was drinnen steckt.«

»Ich habe vergessen, ihn heraus zu nehmen.«

»Also hasts wußt, daß er drinnen war?«

»Natürlich. Ich habe ihn ja selbst hineingesteckt.«

»Was fallt Dir ein, den Tabaksbeuteln in die Posaunen zu stecken!«

»Da ist mein Ignaz schuld, der Kerl.«

»Wieso?«

»Der Hallunke raucht mir immer meinen Tabak weg. Ich kann ihn verstecken, wohin ich will, der Bube findet ihn allemal. Und nun seit einiger Zeit verberge ich ihn in die Posaune. Da hat er ihn noch nicht gefunden.«

»Das glaube ich, daß er ihn nicht in dera Posaunen sucht. Aberst er wird ihn wohl bald finden, denn nun ist das Geheimnissen ganz öffentlich verrathen worden. Mußt Dir also von jetzund an wiederum einen andern Ort suchen. Steck den Beuteln ein, und blas mal los, ob die Posaunen nun ihre Stimmen wiederbekommen hat!«

Der Wenzel schob die beiden Theile zusammen und blies, daß Alles dröhnte.

»Es geht. Sie ist kurirt. Und nun kann der Tanz von Neuem beginnen.«

Es läßt sich denken, welche Wirkung dieses lustige Intermezzo hervorbrachte. Es erscholl ein brausendes Gelächter, welches gar nicht enden wollte. Die Komik war eine gradezu überwältigende in Folge des hohen Ernstes, mit welchem der Musikdirector sich dabei verhalten hatte. Daß er die Anwesenden zweimal ganz besonders auf Osec aufmerksam gemacht hatte, steigerte das Vergnügen.

Der Genannte war wirklich mit Gisela lange stehen geblieben, während die Andern sich längst gesetzt hatten. Als aber die Aufmerksamkeit Aller in dieser Weise auf ihn gelenkt wurde, beeilte er sich, nach seinem Tische zu kommen.


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»Da hast Du es!« sagte sein Vater zu Kery. »Es ist auf ihn abgesehen. Ich habe ganz richtig vermuthet.«

»Jetzt glaube ich es auch, denn es ist so deutlich, daß man gar nicht zweifeln kann.«

»Was ist da zu thun? Soll ich es stillschweigend dulden? Können wir uns so Etwas gefallen lassen?«

»Nein. Aber wie sollen wir es anfangen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Ja, die Sache liegt so, daß man sie nicht anfassen kann, ohne sich lächerlich zu machen. Die Kerls haben sich gegen uns verschworen. Wer mag der Urheber sein?«

»Der Ludwig wohl!«

»Mir scheint das auch. Er hat unten bei den Musikanten gesessen, als wir kamen. Er soll das nicht umsonst gethan haben. Er muß fort. Es bleibt dabei, ich kündige ihm.«

»Wollen wir noch länger da bleiben? Es ist am Allerbesten, wir gehen fort.«

»Nein, das wäre ein Fehler. Man soll nicht sagen, daß man uns fortgetrieben hat. Wir bleiben; wir thun ganz so, als ob die Sache uns gar nichts angehe. Da ärgern sie sich.«

»Das wird ihnen nicht einfallen. Tanzen kann mein Junge nun nicht mehr. Es ist klar, daß die Musikanten abermals aufhören würden, wenn er es wieder versuchte. Wir sind besiegt von diesen Hallunken.«

»Donnerwetter! Das laß ich nicht auf mir sitzen! Soll meine Tochter nicht tanzen dürfen wie jede Andre auch!«

»Das darf sie doch. Man verwehrt es ihr ja gar nicht, wenn sie mit ihm nicht tanzt. Das ist ja eben - Du, da fällt mir Etwas ein. Ich werde diesen Kerls einen Streich spielen. Du erlaubst mir doch, Deine Frau einmal zu engagiren?«

»Was, Du willst selbst auch tanzen?«

»Ja. Ich bestelle eine Extratour. Die bezahle ich, und da darf nur Der mit tanzen, dem ich es erlaube. Da werden sie Alle gezwungen, zu pausiren, während ich mit Deiner Frau tanze und mein Junge mit der Gisela.«

»Hast Recht, hast Recht! Wie dumm, daß ich nicht daran gedacht habe. Das ist der beste Weg, ihnen zu zeigen, daß wir unsern Willen doch durchsetzen.«

»Aber nicht gleich. Wir warten noch einige Zeit, ehe wir es thun.«

Da sagte die Bäuerin in bittendem Tone:

»Wollen es lieber unterlassen. Wir machen uns doch nur Feinde.«

Sie scheute sich außerordentlich, mit dem alten Osec zu tanzen. Sie fühlte, daß dies gradezu eine Herausforderung war, auf welche ganz gewiß eine kräftige Antwort erfolgte.

»Was geht das mich an!« antwortete der Bauer. »Die Kerl sind ja


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jetzt schon alle meine Feinde. Aber ich will es ihnen vergelten. Weder der Schmied noch der Schuster noch der Schneider bekommen jemals für einen Kreuzer Arbeit von mir. Sie sollen sich alle Finger nach mir lecken. Es ist ausgemacht, Ihr Viere tanzt eine Extratour. Dabei bleibt es. Wenn es mir einfällt, engagire ich die Wirthin und tanze auch mit.«

Die Bäuerin wußte, daß Widerspruch jetzt nur geschadet hätte. Sie ergab sich in das Unvermeidliche.

Während dieses Gespräches hatten die Paare sich lustig im Kreise gedreht. Auch die folgenden Touren wurden fröhlich abgetanzt, als ob es gar keine Entzweiung geben könne. Und doch fühlten Alle, daß ein Gewitter in der Luft liege. Kery und die Osecs waren nicht die Leute, nach einem verlorenen Scharmützel friedlich nach Hause zu gehen. Irgend Etwas unternahmen sie ganz gewiß; daran war kein Zweifel. Aber was das sein werde, das wußte man nicht; man erwartete es mit Neugierde.

Es ließ nicht allzu lange auf sich warten. Während einer Pause stand der alte Osec auf, stellte sich mitten in den Saal und sagte:

»Menzel, was für ein Tanz kommt nun?«

Der Schmied that, als habe er die Frage gar nicht gehört.

»Menzel! Schmied!«

Er schmauchte ruhig an seinem Zigarrenstummel, an welchem er sich eben abquälte, weiter. Da ging Osec hin, so daß gar kein Zweifel darüber sein konnte, mit wem er reden wolle, und sagte in zornigem Tone:

»Bist Du taub, oder willst Du blos nicht hören?«

»Ich? Taub? Das bin ich nie gewest und werds hoffentlich auch nicht werden.«

»Warum antwortest Du mir nicht?«

»Ich Dir? Dazu ist doch gar kein Veranlassung gewest. Wann man eine Antworten geben soll, muß man vorher doch eine Fragen erhalten haben!«

»Ich habe laut genug gesprochen, daß Du mich verstehen konntest.«

»Ja, reden habe ich Dich wohl hört, und verstanden hab ich auch ganz gut, wast sagt hast. Ich hab mich auch sehr wundert, daß dera Menzel Dir keine Antworten geben hat. Wo ist er denn eigentlich?«

Er blickte suchend im Saale umher.

»Mach keine Dummheiten! Das weißt Du, daß ich Dich gemeint habe!«

»Mich? Wie soll ich das wissen?«

»Ist etwa noch ein anderer Menzel hier?«

»Ich kenn keinen anderen; aberst es muß doch wohl einer da sein, weilt mit ihm sprochen hast. Denn wann ich gemeint wesen wär, so hättest mich wohl jedenfalls anderst genannt.«

»Hast Du denn mehrere Namen?«

»Nein, aberst einen Titel hab ich. Hier, wo ich mit meiner Kapellen bin, hat man mich Musikdirectorn zu rufen.«

»Mach Dich nicht lächerlich! Von wem willst Du diesen Titel erhalten haben?«


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»Von mir! Verstanden!«

»Einen Titel muß man von Dem bekommen, der ihn zu verleihen hat.«

»Da hast ganz Recht. Wer ist das wohl, der am Allerbesten weiß, ob ich einen Titel verdien oder nicht? Das bin ich. Ich muß am Besten wissen, ob ich Musikdirectorn bin. Darum hab ich mir den Titeln auch geben, und ich verlang, daß ich dabei rufen werd. Wer das nicht thut, der kann es ja unterlassen; aberst er braucht sich dann auch nicht zu wundern, wann ich nicht antworten thu. So, nun weißt, wast wissen mußt!«

»Alle Wetter!« höhnte Osec. »Du nimmst mich ja ins Gebet wie einen Schulbuben!«

»Wer nix lernt hat, der muß eben noch lernen. Was willst von mir?«

»Ich wollte wissen, was für ein Tanz nun kommt.«

»Das weiß ich noch nicht. Ich muß stets mit dera Baßgeigen und Posaunen Converenz halten, bevor ich sag, was weiter tanzt werden soll. Willst wohl auch mal Einen versuchen?«

»Ja, eine Extratour.«

»Willst sie zahlen?«

»Ja. Aber es darf dann nur Derjenige mit tanzen, dem ich es erlaube.«

Diese Unterredung wurde von allen Anwesenden gehört. Der bereits erwähnte reiche Bursche nahm sich jetzt der Sache feindlich an, denn er rief laut:

»Wollen wir uns das gefallen lassen? Soll ein Fremder uns unser Vergnügen stören, weil er einige Kreuzer bezahlt?«

»Nein, nein!« ertönte es rundum als Antwort.

»Er weiß gar wohl, daß er nur auf diese Weise seinen Sohn auf die Beine bringen kann. Aber das soll ihm doch nicht glücken!«

Da wendete Osec sich gegen ihn:

»Wer will es mir verwehren, eine Extratour zu tanzen?«

»Wir Alle.«

»Das könnt Ihr nicht. Es ist im ganzen Lande Brauch, daß man Extratouren tanzen kann, und Ihr werdet es auch nicht so weit bringen, daß es anders wird.«

»Wir bringen es so weit; darauf kannst Du Dich verlassen. Wir tanzen eben, und ich möchte wohl wissen, wie man uns daran verhindern wird.«

Der Schmied gab ihm einen verstohlenen, beruhigenden Wink und sagte in scheinbar zornigem Tone:

»Was hast Du drein zu reden? Bist Du's etwan, der hier zu befehlen hat? Bist Du dera Herr Musikdirectorn, oder bin ich es? Ob eine Extratour tanzt werden darf oder nicht, darüber hab nur ich ganz allein zu bestimmen.«

»Nun, so bestimme schnell!« sagte Osec.

»Das kann gar kein Zweifel sein, daß man Extratouren tanzt.«

»Nun gut, ich will eine haben, und zwar sogleich.«

»Was für einen Tanz?«

»Das ist mir gleich; aber ein feiner muß es sein, den Ihr nicht alle Tage und einem Jeden vorspielt.«


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»Also soll ich selberst einen wählen?«

»Ja.«

»Da mußt auch zahlen.«

»Das versteht sich ja allein. Wie viel kostet es?«

»Zehn Gulden.«

Da fuhr Osec zurück.

»Bist Du toll! Zehn Gulden für eine Tour!«

»Meinst, daß ichs billiger machen kann?«

»So viel kostet es nirgends. Ich weiß, daß Du von Andern nur im höchsten Falle einen einzigen Gulden nimmst.«

»Da hast Recht. Aberst Du bist ein Fremder und sodann ist heut mein nobler Tag. Wer nicht zahlen kann, der braucht auch nicht zu tanzen. Mit Extratouren groß thun und dabei doch kein Geld im Beuteln haben, das kann ein jeder Lump. Willst Dich mit einem solchen vergleichen lassen? Du, dera reiche Osecbauer?«

»Fünf Gulden will ich dranwenden!«

»Handeln hilft nix! Ich hab auch gar keine Zeit, mich mit Einem abzuquälen, der da tanzen will, Geld ausgeben aberst nicht. Geh aus dem Wege hier! Jetzund wird getanzt.«

Er legte seinen Stummel weg und griff nach der Clarinette. Was blieb Osec übrig? Er wollte durchsetzen, daß sein Sohn mit Gisela tanzen könne; das konnte nur durch eine Extratour geschehen. Zehn Gulden war freilich eine unerhörte Forderung; sein Geiz wand sich in ihm wie ein zertretener Wurm; aber er wollte seinen Willen haben und durfte auch nicht zurücktreten, weil er sich sonst gradezu unerhört blamirt hätte. Darum sagte er jetzt:

»Nur nicht so rasch! Ja, getanzt wird, aber nicht ohne meine Erlaubniß. Ich bezahle die Tour.«

»Schön! Aberst sogleich!«

»Natürlich! Oder meinst Du etwa, daß der Osec nicht zehn Gulden einstecken hat?«

Er zog den Beutel und gab die verlangte Summe hin. Dann schritt er erhobenen Hauptes nach seinem Platze zurück. Er hatte gesiegt und seinen Zweck erreicht.

Der erwähnte Bursche ärgerte sich gewaltig. Er kam zum Schmied herbei und warf ihm vor:

»Das ist Verrath an uns! Nun wird sein Sohn mit Gisela tanzen.«

Der Schmied versenkte die zehn Gulden schmunzelnd in die Tasche und antwortete, listig mit den Augen blinzelnd:

»Hältst Du mich wirklich für einen Verräthern? Da wärst dumm genug!«

»Aber nun tanzt er doch!«

»Das wirst erst abwarten müssen! Hast denn nicht hört, daß er einen Feinen verlangt hat?«


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»Das ist eben das Aergerlichste. Er will einen Bessern aufspielt haben als wir.«

»Den soll er auch bekommen.«

»Ich begreife Dich nicht. Ich habe sehr große Lust, es so weit zu bringen, daß alle Bursche und Mädchens fortgehen. Dann bist Du allein hier mit Deiner Capelle und kannst spielen was und für wen Du willst.«

»Das ist eine schlimme Execution!« lachte der Schmied. »Aberst es ist mir gar nicht bange. Wirst schon anderst denken, wannst nur ein paar Minuten wartest. Ich hätte den Osec gleich ganz abgewiesen. Aberst es ist besser, ich hab ihm die zehn Gulden abnommen. Ich kann sie brauchen, und er wird nix davon haben.«

»Nichts? Aufspielen mußt Du ihm doch, denn er hat bezahlt.«

»Ja, aufspielt soll werden, und wie! Nun mach Dich von dannen! Ich hab keine Zeit mehr, da mit Dir herum zu schwatzen. Die große und berühmte Extratouren wird beginnen.«

Der Bursche zog sich zurück.

»Verdammter Kerl,« hatte Osec gesagt, als er an seinen Tisch kam. »Nimmt mir da volle zehn Gulden ab.«

»Hättest sie ihm wohl lieber nicht gegeben?« fragte Kery ärgerlich.

»Nun, ists etwa nicht zu viel?«

»Theuer ist es, über den Spahn theuer. Aber Du kannst es geben, und es ist ein Sieg für uns.«

»Das ist freilich richtig. Ich will diese Kerls ärgern, daß sie platzen. Paß einmal auf!«

Da ertönte die laute Stimme des Schmiedes:

»Meine Herrschaften, es kommt eine Extratouren, die dera Herr Osec allein tanzen darf, außer wenn ers derlaubt, mit zu thun. Zehn Gulden hat er zahlt, wofür meine Capellen ihm unsern Dank sagt. Jetzunder kommt die Einleitungen. Da haben sich die Tänzern aufzustellen. Dann, wanns parat dastehen, geht es los. Ein nobler Tanz soll es sein, hat er sagt, und so wird es einer sein, den Ihr noch gar nie tanzt habt. Für zehn Gulden kann man schon was leisten. Also aufipaßt!«

Aber ehe er beginnen konnte, trat der alte Osec vor und verkündigte:

»Wer meine Extratour gern mittanzen will, der mag sich jetzt an mich wenden!«

Niemand regte sich.

»Ist keiner?«

Er erhielt keine Antwort. Und das ärgerte ihn gewaltig. Er hatte sich vorgenommen, es einem Jeden abzuschlagen, und sich bereits darüber gefreut, die Gesichter der Bittsteller, wenn sie unverrichteter Sache gehen mußten, zu sehen. Und nun kam Niemand.

»Das konntest Du Dir denken!« zürnte Kery. »Hast eine Dummheit begangen!«


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»Wenn es erst losgegangen ist, bekommen sie schon Lust. Dann werden sich welche melden.«

»Das glaube ich nicht.«

Jetzt begann das, was der Schmied die Einleitung genannt hatte. Niemand hörte eigentlich darauf, denn die ganze Aufmerksamkeit aller Anwesenden war nur auf den einen Tisch gerichtet.

Der alte Osec wollte den Leuten zeigen, was für ein feiner Kerl er sei. Er machte vor der Bäuerin eine tiefe Reverenz, küßte ihre Hand und führte sie nach der Mitte des Saales. Sein Sohn folgte ihm mit Gisela. Dort warteten die beiden Paare auf den Schluß der Einleitung.

Jetzt war sie zu Ende. Und nun verkündete der Schmied:

»Dera Tanz kann beginnen. Es ist ein gar seltener.«

Er gab seiner Capelle das bekannte Zeichen und die Musik begann. Aber anstatt, daß die beiden Paare sich in Bewegung setzten, blieben sie stehen. Der Alte drehte sich verlegen nach seinem Sohne um und fragte:

»Was ists denn eigentlich für einer, den sie da aufspielen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Dummkopf! Du wirsts doch wissen!«

»Ich habe ihn noch nie getanzt.«

»Du bist jünger als ich. Du mußt doch mehr wissen als ich!«

»Was ich nicht gehört habe, kann ich nicht kennen.«

»Ists denn nicht ein Galopp?«

»Nein.«

»Oder ein Walzer oder Rutscher oder vielleicht Tyroler?«

»Keins von diesen allen.«

Da wandte sich der Alte an die Bäuerin. Auch sie konnte keine Auskunft geben. Er fragte Gisela. Sie lächelte still vor sich hin und schüttelte den Kopf.

Da brach die Musik plötzlich ab, dann gab der Schmied das Zeichen, und sie begann wieder, und zwar in einer ganz anderen Tactart. Aber das war den Osecs auch unbekannt. Es begann sich ihrer eine große Verlegenheit zu bemächtigen.

Die anwesenden Hiesigen hatten dem Schmied gezürnt, daß er wegen den zehn Gulden von der heimlichen Vereinbarung abgewichen war. Jetzt aber fingen sie an, ihn zu begreifen. Der Schlaukopf hatte zwei Fliegen mit einer Klappe treffen wollen. Er blamirte beide Osecs ganz gewaltig und steckte dafür das schöne Geld in die Tasche.

Es wurde zwar nicht gelacht, aber auf den Gesichtern lag ein Ausdruck, über welchen die Osecs sich noch mehr ärgerten als sie sich über ein wirkliches Gelächter geärgert hätten. Was war zu thun? Wie konnten sie sich am besten und leichtesten aus dieser verzweifelten Lage ziehen? Noch ehe sie zu einem Entschlusse kommen konnten, wechselte die Musik abermals, und auch diese dritte Abtheilung war unmöglich zu tanzen.

»Kreuzmillionendonnerwetter!« fluchte der Alte. »Wir können doch nicht


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hier stehen bleiben und warten, bis er einen Walzer bringt! Er sieht es ja, daß wir warten. Ich gehe hin und sag es ihm!«

Er ließ die Tänzerin stehen und ging nach dem Podium.

»Was fällt Euch denn ein! Das ist ja gar kein Tanz!« rief er hinauf.

Der Schmied bog sich herab, hielt ihm die Clarinettenöffnung an das Ohr und blies weiter.

»Bibibibibiteltitelti!« schrillte es ihm scharf in das Gehör, und er fuhr erschrocken zurück.

»Gieb eine Antwort, Kerl!« schrie er. »Wer soll das Zeug tanzen!«

Da hielt der Wenzel ihm die Posaunenstürze entgegen.

»Trahrararara!« krachte es heraus, und er trat noch weiter zurück. Da begann er zu raisonniren und mit den Händen zu fechten - vergebens! Die Drei arbeiteten, daß der Saal erbebte. Der lange Schneider strich seinen Baß, als ob er ihn mit aller Gewalt zu Grunde richten wolle. So ging es noch eine Weile. Osec schimpfte, und die Capelle machte einen Heidenspectakel.

Das sah so urkomisch aus, daß es nun nicht mehr bei einem Lächeln blieb. Man lachte laut, immer lauter und endlich so laut, daß kaum die Musik mehr zu hören war.

Erst jetzt nun erkannte Osec, wie die Sache stand. Er rannte zu der Bäuerin zurück und zog sie von dannen. Man sah, daß er entsetzlich raisonnirte, aber was er sagte, das war ja nicht zu vernehmen. Sein Sohn folgte ihm mit seiner Tänzerin nach dem Tische zurück, wo sie sich niedersetzten und mit Kery in einen sehr erregten Wortwechsel zu gerathen schienen. Das war an ihren eifrigen Gestikulationen zu erkennen.

Die Capelle spielte wacker weiter, bis das Stück zu Ende war. Der Schmied setzte seine Clarinette ab und rief:

»Jetzund ists vorüber. Ich hab gar nicht denkt, daß das Stuck so sehr gut gelingen wird, denn wir habens nur erst ein paar mal probirt. Freilich, bei einem guten Directorn ist das eine Leichtigkeit.«

Da brach der alte Osec los. Er schrie von seinem Platz herüber:

»Jetzt verlange ich augenblicklich einen Walzer. Aber schnell!«

»Einen Walzer? Für wen denn?«

»Für uns.«

»Willst wohl noch eine Extratouren?«

»Das fällt mir nicht ein! Ich habe die bezahlte noch abzutanzen.«

»Oho! Denkst etwan, wir blasen in alle Ewigkeiten weiter, bis Dir endlich mal die Musiken und dera Tact in die Beinen fährt? Da kannst Dich sehr irren!«

»Aber wenn wir bezahlt haben, wollen wir auch tanzen!«

»Natürlich! Das nehm ich auch gar nicht übel. Und darum hab ich mich sehr darüber wundert, daß Ihr gar nicht tanzt habt.«

»Jetzt, jetzt haben wir tanzen sollen?«

»Freilich! Ihr aber seid dastanden und habt Maulaffen feil halten. Nun verlangst gar auch noch einen Walzern!«


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»Ich will einen Tanz haben, den ich auch wirklich tanzen kann!«

»Hast den denn nicht kennt?«

»Nein.«

»Ja, dann ists freilich gefehlt. Das hättst halt sagen sollen!«

»Ich hab Dir es ja gesagt. Ich habe mir die Lunge fast aus dem Leib herausgebrüllt.«

»Meinst, als wir spielten? Ja, da war es zu spät. Wann ich einmal im Spielen bin, so hör ich nicht eher aufi, als bis das ganze Stuckerl zu End ist. Das wär ein schöner und sauberer Musikdirectorn, der in dera Mitten aufhalten wollt! Die Leut müßten doch denken, daß er nix kann. Nein, das muß gehen wie bei einer Uhren. Wann die mal aufigezogen ist, so hörts nicht eher auf, als bis sie wieder abilaufen ist.«

»Aber so einen Tanz wollt ich nicht, so einen habe ich mir gar nicht bestellt!«

»Red keine Dummheiten! Einen nobeln hast Dir bestellt, und das ist der feinste und nobelste, den ich hab.«

»Was war es denn?«

»Ja, weißt das wirklich nicht?«

»Woher sollt ichs wissen?«

»Ein Cotilljong wars, ein französischer Cotilljong, wie er in Paris tanzt wird.«

»Ich aber will keinen französischen! Ich bin kein Franzose! Ich bin nicht in Paris, sondern in Slowitz in Böhmen.«

»Nein, nicht in Slowitz bist, sondern im Irrthum bist. Ich hab meine Schuldigkeiten than. Wir haben spielt, wast verlangt hast, einen Noblen, und wir sind mit nander fertig. Wannst ihn nicht tanzt hast, so bist selber schuld daran!«

»So verlange ich mein Geld wieder!«

»Das kannst, nämlich, es verlangen. Dagegen habe ich nix, aberst wiederbekommen thusts nicht. Was ein Musikus mal in dera Taschen hat, das giebt er nicht wieder heraus.«

»Es muß zurückgezahlt werden!«

»Nein, es bleibt. Für diese zehn Gulden haben wir uns rechtschaffen plagt und schunden.«

»So ists ein Betrug!«

»Du, nimm Dich in Acht! Beleidigen laß ich mich nicht. Merks Dir.«

»Ein Betrug ists; ich sage es noch einmal! Das heißt, Einem gradezu das Geld aus der Tasche stehlen.«

Da stieg der Schmied vom Podium herab, kam herbei, stellte sich breitspurig vor ihm hin und sagte:

»Einen Betrüger hast mich nannt. Willsts gleich wiederrufen?«

»Das fällt mir nicht ein. Verklagen werde ich Dich extra!«

»Also um Verzeihung bitten willst mich nicht, he?«

»Nein. Was ich gesagt habe, das ist wahr!«


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»Nun, so mach ich wahr, was ich vorhin sagt hab: Wer Lärm macht, der wird hinausworfen.«

»Wag es einmal!«

Dennoch aber wich er ängstlich zurück.

»Was ist da zu wagen! So einen schmalen Federkiel, wie Du bist, setz ich an die Luft, ohne daß ich es merk, daß ich ihn in denen Händen hab. Paß aufi!«

Er packte ihn mit eisernen Fäusten und schaffte ihn nach der Thür.

»Halt!« schrie der Kerybauer. »Das laß ich mir nicht gefallen!«

»Brauchst keine Sorg zu haben,« antwortete der Schmied zurück. »Wanns Dir nicht recht ist, daß Der da eher nausworfen wird als Du, so kannst Dich trösten. Wirst gleich auch drankommen. Wart nur noch einen einzigen kleinen Augenblick!«

Der alte Osec hing in den Armen des starken Mannes wie ein schwacher Knabe. Er bewegte kein Glied. Er kannte die Körperkraft des Schmiedes und wußte, daß Widerstand ganz vergebens sein werde.

Sein Sohn, sonst keineswegs ein Held und muthvoller Character, wagte es dennoch, seinem Vater zu Hilfe zu kommen. Er eilte dem Schmiede nach, zur Thür hinaus, und erreichte ihn, als derselbe grad die Treppe betreten wollte.

»Willst Du gleich meinen Vater frei geben!« schrie er ihn an. »Ich mach Dich todt!«

»Du? Mich?« lachte der Schmied. »Gut, daßt kommst! So kannst ihn gleich begleiten.«

Er gab dem Alten einen Stoß, daß dieser zur Treppe hinab - zwar nicht stürzte, aber in der Weise hinabtaumelte, daß er sich nicht eher zu erhalten vermochte, als bis er unten angekommen war. Inzwischen faßte der Schmied den Jungen, drückte ihm die Arme so fest an den Leib, daß er vor Schmerz laut aufschrie, und spedirte ihn dem Vater nach. Das ging so schnell und exact, daß Beide unten zusammenstießen und mit einander an die Wand stürzten.

Da trat der Kerybauer unter die Thür.

»Willst auch nachfolgen?« fragte ihn der Schmied. »Ich bin einmal bei dera Arbeit und da gehts aus einer Schüssel. Ihr könnt gleich Alle so gespeist werden, daß Ihr satt bekommt.«

Da war auch die Bäuerin nachgeeilt. Sie ergriff den Arm ihres Mannes und bat ihn:

»Keine Prügelei! Das schickt sich für Dich nicht!«

»Ich weiß selbst, was sich für mich schickt, und Du brauchsts mir nicht erst zu sagen,« antwortete er. »Mit einem Schmied raufe ich mich nicht. Das ist mir viel zu despectirlich. Ich wollte nur sehen, was die Osecs mit ihm beginnen.«

»Sie haben gar nix mit mir beginnen können, sondern ich mit ihnen,« lachte der Schmied. »Und wann Du zu vornehm bist, mit einem Schmied zu raufen, so rath ich Dir, Dich von dannen zu heben. Es könnt sonst sein,


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daß ich mich nicht für zu vornehm halte, Dich tüchtig durchzuwalken. Ein Schmied ist auch ein Mensch, und vielleicht ein besserer noch als Du!«

Die beiden Osecs machten Miene, wieder die Treppe empor zu steigen.

»Bleibt unten!« rief ihnen Kery zu. »Ich komme auch gleich nach. Will nur erst unsere Zeche bezahlen.«

Er ging zum Wirthe und bezahlte; dann gebot er seiner Frau und Tochter, ihm zu folgen, und verließ mit ihnen die Schänke. Das war das Ende des Wirthshausgehens, welches unter ganz anderen Voraussetzungen begonnen hatte.

Die fünf Personen befanden sich keineswegs in einer guten Stimmung. Die drei Männer fühlten, daß sie sich außerordentlich blamirt hatten. Sie waren anfangs aufgetreten, als ob kein Anderer mit ihnen zu vergleichen sei, und nun waren sie mit Gewalt gezwungen worden, das Local zu verlassen. Eine solche Demüthigung fühlten sie, welche sich für die Besten und Vornehmsten der ganzen Umgegend hielten, doppelt peinlich. Darum schritten sie zunächst schweigsam neben einander her. Jeder von ihnen scheute sich, merken zu lassen, daß er in ganz wohl verdienter Weise bestraft worden sei.

Mutter und Tochter gingen eine Strecke voraus. Sie beeilten sich mehr, als sie eigentlich nöthig gehabt hätten. Sie wollten aus der Nähe der Männer kommen.

»Ich habe es mir gleich gedacht,« sagte die Bäuerin. »Wenn die Osecs mit dem Vater sind, so giebt es stets so einen Auftritt.«

»Ja, er ist so schon stolz und herrisch und wird doppelt gebieterisch, wenn er diese Uebermüthigen neben sich hat. Und da sollen wir den Jungen nun gar noch in das Haus bekommen!«

»Als Schwiegersohn! Man möchte beten, daß die Heiligen es abwenden; aber das würde doch vergeblich sein, denn was der Vater sich einmal in den Kopf gesetzt hat, das führt er auch hinaus. Und wenn man ihm Widerstand leistet, so wird es nicht besser, sondern doppelt so arg. Du armes, liebes Kind! Ich möcht mein Leben hingeben, wenn ich Dich dadurch glücklich machen könnte, und nun muß ich ruhig mit zusehen, daß Du an so einen Menschen verschachert werden sollst.«

»Gräme Dich nicht um mich, Mutter,« sagte Gisela in munterem Tone. »Es wird wohl zu ertragen sein.«

»Das sagst Du so lustig.«

»Würde mir das Weinen Hilfe bringen? Unglücklich werde ich nicht. Das weiß ich sehr genau.«

»So kann ich Dich nicht begreifen. Oder könntest Du Dich so leicht darein finden, die Frau eines solchen Mannes zu werden?«

»Ich kann mich gar nicht hineinfinden, und grad deshalb fällt es mir nicht ein, zu jammern und zu klagen. Du hast gesagt, was der Vater einmal will, das führt er auch hinaus. Nun, ich habe auch meinen Kopf, welcher dem seinigen sehr ähnlich ist, nur daß ich es noch nicht bewiesen habe. Was


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ich nicht will, das führt man mit mir nicht aus. Ich weiß ein treffliches Mittel, von dem Osec loszukommen.«

»Wenn es wahr wäre!«

»Es ist wahr, und leicht und probat ist es auch.«

»Welches meinst Du?«

»Ich nehme ihn einfach nicht; so komme ich von ihm los.«

»Kind, treib keinen Scherz. Du thust so leicht und sicher; aber Du kennst den Vater noch nicht genau.«

»Und er mich auch nicht!«

»So willst Du Dich also weigern?«

»Ja.«

»Und gleich heut schon?«

»Natürlich! Oder soll ich etwa warten, bis ich seine Frau bin, bevor ich dem Osec sage, daß ich ihn nicht mag? Dann wäre es gar freilich zu spät.«

»Du bringst es nicht fertig.«

»Warte es ab!«

»Wenn Du nicht willst, so wird der Vater Dich zwingen.«

Gisela ergriff die Hand ihrer Mutter.

Da ergriff Gisela die Hand ihrer Mutter und sagte in herzlicher Weise:

»Gräme Dich nicht, Mutter! Ich habe mich stets vor dem Vater gefürchtet. Jetzt aber handelt es sich um ein Großes, um das Glück meines ganzen Lebens; da ist alle meine Furcht verschwunden. Ich fühle mich stark und fest genug, ihm zu widerstehen.«

»Ich würde ganz glücklich sein, wenn Du vor dem Dir drohenden Unheile bewahrt bliebst; aber ich kenne den Vater nur zu gut. Er giebt einen Entschluß, den er einmal gefaßt hat, niemals wieder auf. Er ist ohne alle Rücksicht. Es ist ihm ganz gleich, ob Du zu Grunde gehest oder nicht, wenn er nur seinen Willen durchsetzen kann. Das habe ich tausendmal in meiner Ehe erfahren.«

»Nimm es mir nicht übel, liebe Mutter! An dieser Erfahrung bist Du selbst auch viel mit schuld.«

»Ich? Wieso?«

»Du hättest fester sein und ihm nicht immer seinen Willen lassen sollen.«

»Wo denkst Du hin! Wenn ich nicht stets und willig nachgegeben hätte, so wäre wohl gar Mord und Todtschlag entstanden.«

»Nein. Du hast mir ja selbst gesagt, daß Du stolz gewesen bist auf ihn. Sein gebieterisches Wesen hat Dir imponirt. Du hast ihn wohl gar auch in diesem Auftreten unterstützt.«

»Da magst Du freilich nicht ganz Unrecht haben.«

»Schau, das hättest Du nicht thun sollen, denn er hat dann dieses Wesen auch gegen Dich selbst gerichtet. Und weil Du es zuvor gutgeheißen hast, hast Du es nachher nicht tadeln können. Er hat Dich doch lieb gehabt? Nicht?«

»Ganz gewiß. Freilich ist seine Liebe eine ganz andere gewesen als die Liebe anderer Burschen. Er war eben immer obenauf, auch mir gegenüber.«


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»Das hättest Du nicht dulden sollen. Du hättest ihm zeigen müssen, daß Dir das zuwider ist, und liebte er Dich wirklich, so hätte er sich geändert. Und selbst wenn es zu bösen Scenen dabei gekommen wäre, Du hättest sie nicht scheuen sollen. So aber hast Du stets nachgegeben, selbst wenn Du im größten Rechte warst, und das ist ein Fehler gewesen, unter dem wir Alle nun zu leiden haben.«

In dieser Weise hatte die Tochter noch nicht mit der Mutter gesprochen. Diese fühlte, daß die Tochter wohl Recht habe. Darum entgegnete sie nichts. Gisela aber fuhr fort:

»Auch ich habe es bisher stets so gemacht wie Du; ich bin ihm unterthan gewesen fast wie eine Sclavin. Ich bin seine Tochter und muß ihm gehorchen, weil er mein Vater und mein Herr ist. Aber Herr meines Glückes, meines Lebens, meiner Seele ist er nicht. Wenn es sich um Eins von diesen Dreien handelt, so brauche ich ihm nicht zu gehorchen.«

»Darnach fragt er nicht!«

»So frage ich auch nicht nach ihm, und wir sind dann fertig!«

Sie sagte das so kurz und entschlossen, daß ihre Mutter erschrak.

»Um Gotteswillen, Kind, was hast Du vor?« fragte dieselbe.

»Was ich thun werde, das weiß ich noch nicht. Aber das weiß ich, daß ich nicht die Frau dieses Osec werde. Du hast jetzt auf dem Saale wieder gesehen, was für ein Kerl er ist. Eigentlich müßte ich mich schämen, daß ich in seiner Nähe gewesen bin; aber ich weiß, daß die Leute bald erfahren werden, woran sie mit mir sind.«

»Aber heut schon soll der Verspruch sein!«

»Ich thue nicht mit!«

»So giebt es einen Auftritt, wie es noch keinen gegeben hat!«

»Das ist Deine gewöhnliche Angst. Du bist blos besorgt, solche Auftritte zu verhüten, und dadurch hast Du dem Vater alle Macht überlassen. Ich würde mich an den Osec niemals verhandeln lassen, selbst dann, wenn ich - wenn ich - wenn ich nicht schon einen Andern wüßte, den ich lieb habe.«

»Den Ludwig! Gisela, das giebt ein Unglück!«

»Nein. Wir werden ganz im Gegentheile sehr, sehr glücklich sein!«

»Jawohl, wenn Ihr Euch heirathen dürftet. Aber dazu kommt es im ganzen Leben nicht.«

»Vielleicht kann es schon recht bald dazu gekommen sein!«

»Denke wie arm er ist!«

»Desto braver ist er.«

»Ein Knecht!«

»Er kann ein reicher Bauer werden. Er hat das Zeug dazu.«

»Wenn ich daran denke, so wird mirs wirklich himmelangst.«

»Und mir himmelswohl!«

»Habt Ihr jetzt mit einander gesprochen?«

»Nein. Ich weiß auch ohne dem, woran ich mit ihm bin. Und grad das benimmt mir alle Sorge und giebt mir den Muth, dem Vater zu wider-


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stehen. Vielleicht bedarf es gar nicht eines offenen Widerstandes. Vielleicht genügt es, mir den Osec durch List oder Aehnliches fern zu halten. Wir werden ja sehen. Nun sind wir daheim. Wir müssen das Nachtmahl bereiten.«

Sie waren am Keryhofe angekommen und begaben sich nach der Küche, nachdem sie ihre Anzüge gewechselt hatten.

Die drei Männer kamen später. Sie waren, wie bereits erwähnt, langsamer gegangen, erst schweigend neben einander her, dann in einzelnen Ausrufen ihrer zornigen Stimmung Luft machend, bis der Kerybauer endlich zum alten Osec sagte:

»Du brauchst eigentlich gar nicht so grimmig zu sein, denn Du bist an Allem schuld!«

»Ich? Das möchte ich doch wissen!«

»Ja, Du ganz allein.«

»Das wirst Du wohl nicht gleich beweisen können!«

»Sogleich. Hättest Du nicht angefangen, so hätten sich die Slowitzer nicht so beleidigt gefühlt.«

»Meinst Du, wegen dem Biere?«

»Ja.«

»Nun, das ist lächerlich! Die mögen doch froh sein, wenn Jemand für sie bezahlt.«

»Aber das muß in anderer Weise geschehen!«

»Ich gebe nach meiner Weise und nicht nach einer anderen!«

»Wenn ein Bettler Dich anspricht, so magst Du geben, wie es Dir beliebt, und er wird sich sogar auch noch bedanken. Die Burschen aber hatten nichts von Dir verlangt.«

»Sie sind aber lauter Hungerleider, die sich sonst gar nicht weigern, Etwas anzunehmen.«

»So hättest Du wenigstens bis zu einer passenden Gelegenheit warten sollen. Du bist aber gleich mit der Thür ins Haus gefallen. Du hast sofort, nachdem wir kaum fünf Minuten da waren, vom Freibier angefangen.«

»Das grad war nobel von mir. Ich habe zeigen wollen, daß ich nicht lange warte, ehe ich etwas gebe.«

»Und sechs Biere für so Viele!«

»War das etwa nicht genug?«

»Nein. Es wäre auf die Person kaum ein Schluck gekommen. Grad darin lag ja eben die Beleidigung! Das war knickerig.«

»Oho! Willst Du mich beschimpfen?«

»Nein. Wir sind gute Bekannte und wollen uns nicht zanken. Wir werden ja bald sogar Schwäger sein. Aber wenn Du bei mir bist, so mußt Du anders auftreten. Wenn man ein Freibier giebt, so giebt man es ordentlich, sonst ist es besser, man giebt es gar nicht.«

»Nun ja; ich weiß schon; das ist gewöhnlich so. Ich bin stets der


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Sündenbock. Du sagst, daß ich schuld bin. Aber ein ganz Anderer hat die Sache auf dem Gewissen.«

»So! Wer denn?«

»Der Ludewig, Dein Knecht. Hätte er die Gisela nicht engagirt, so hätte mein Junge mit ihr getanzt, und es wäre nicht der geringste Streit entstanden.«

»Weiß der Teufel, wie er auf den Gedanken gekommen ist!«

»Du hast ihn verzogen; Du bist viel zu gut mit ihm gewesen.«

»Fast glaube ich, daß Du Recht hast.«

»Und wie ist er gegen Dich aufgetreten! Und nachher auch noch gegen mich!«

»Dafür werde ich ihm kündigen.«

»Was kündigen! Ich würde ihn sofort aus dem Hause jagen.«

»Das geht nicht; das ist gegen das Gesetz.«

»Pah! Was mache ich mir aus dem Gesetz! Eine offene Widersetzlichkeit ist der beste Grund, einen Knecht augenblicklich fortzujagen.«

»Das weiß ich wohl. Aber die Widersetzlichkeit fand nicht bei der Arbeit sondern auf dem Tanzsaale statt.«

»Ganz egal. Du bist sein Herr, welchem er zu gehorchen hat!«

»Und so einen bekomme ich nie wiedern.«

»Das brauchst Du nicht zu glauben. Es giebt Andre, die ebenso gut und wohl auch noch besser sind. Er ist doch nicht etwa gar ein richtiger Engel! Das hat er vorhin bewiesen. Er hat doch mit Dir und auch gegen mich gesprochen, als ob er ein Polizist wäre. Das klang ja ganz so, als ob er uns anzeigen wolle!«

»Wird ihm nicht einfallen!«

»Vielleicht doch, wenn er von Dir fort ist. Dann wird er sich rächen wollen. Ich bin gradezu erschrocken. Ich habe stets gedacht, daß kein Mensch eine Ahnung hat, was für ein Geschäft wir betreiben, und da sagt Dein Knecht es uns auf öffentlichem Tanzboden gradezu in das Gesicht.«

»Er weiß nichts.«

»So könnte er nichts sagen!«

»Er ahnt es blos.«

»Das ist schon genug. Wenn er es ahnt, so muß er doch irgend Etwas gemerkt haben.«

»Das wohl.«

»Was denn? Weißt Du es?«

»Ja. Wir brauchen uns nicht zu fürchten.«

»So sage doch, was und wie viel er weiß!«

»Viel ist es nicht. Kannst Du Dich besinnen, als wir im Februar erwischt wurden und draußen vor dem Dorfe umkehren mußten?«

»Das weiß ich noch sehr gut. Wir verloren alle unsere Güter, und die Grenzer waren hart hinter uns her.«

»Damals warst Du schneller als ich. Du flüchtetest nach meinem Gute


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zu, und ich kam einige Minuten später. Da stand der Ludwig vor der Thür. Weiß der liebe Himmel, was er zu so später Stunde da noch zu treiben hatte. Wir fürchteten schon, von den Grenzern erkannt worden zu sein; aber es kam keiner. Du schliefst bei mir und gingst erst am nächsten Morgen fort. Ich glaubte, die Sache sei nun gut. Aber am Mittag fuhr ich mit dem Ludwig nach der Stadt, und unterwegs sagte er pfiffig:

»>Das war gestern gefährlich.<

»>Was?< antwortete ich.

»>Das mit den Grenzern.<

»>Mit welchen Grenzern?<

»>Nun, mit denen, welche hinter Euch herkamen.<

»>Hinter uns her? Was meinst Du denn eigentlich?<

»Er that einen Zug aus seiner kurzen Pfeife; dann sagte er:

»>Erst kam der Osec und versteckte sich; dann kamst Du ebenso eilig herbei gelaufen. Ihr hattet Beide keinen Athem mehr. Sodann kamen drei Grenzer gesprungen. Sie sahen mich stehen und fragten mich, ob ich nicht zwei Kerls hätte laufen sehen. Natürlich antwortete ich, daß sie vor fünf Minuten hier vorüber seien, das Dorf hinab, und so eilten sie weiter. Die beiden Kerls aber, welche ich gesehen hatte, waren gar nicht zum Dorfe hinab. Ich kannte sie gar wohl und wußte, wer sie waren.<«

Nachdem Kery dies berichtet hatte, blieb es für einige Augenblicke still; dann sagte der alte Osec:

»Warum hast Du nicht gegen mich davon gesprochen?«

»Was hätte es genützt?«

»Vielleicht sehr viel!«

»Ich möchte es wissen! Ich bin vollständig überzeugt, daß der Ludwig uns niemals verrathen wird.«

»Diese Ueberzeugung habe ich nicht.«

»Nun gut, wenn er auf das Amt ginge und uns anzeigte, was könnte er da sagen, und was könnte er beweisen? Nichts, gar nichts. Er hat Dich und mich kommen sehen. Das ist Alles!«

»Weißt Du wirklich, ob das Alles ist?«

»Ja.«

»Ich denke anders.«

»Er hat ja niemals wieder Etwas gesehen.«

»Das darfst Du nicht behaupten. Du, Du hast ihn nicht gesehen, er aber Dich vielleicht um so besser. Er hat uns damals beobachtet und sogleich Verdacht geschöpft. Natürlich ist er neugierig geworden und hat Dich heimlich beobachtet. Weißt Du da, was er Alles erfahren haben kann?«

»Donnerwetter!«

»Ja, fluche nur!«

»Daran habe ich gar nicht gedacht!«

»Daß er mehr weiß, als Du denkst, das ist erwiesen aus der Art und Weise, wie er uns heut antwortete.«


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»Jetzt geht mir freilich ein Licht auf!«

»Wenn es Dir eher aufgegangen wäre, so wäre es besser für uns. Er weiß, daß Du ein Schmuggler bist. Nur das hat ihm den Muth gegeben, mit Deiner Tochter zu tanzen. Darauf kannst Du Dich verlassen. Er hat keinen Respect mehr vor Dir.«

»So soll er ihn recht bald wieder bekommen.«

»Keine Unvorsichtigkeit! Wenn Du ihn falsch behandelst, kann er uns gefährlich werden. Das mußt Du bedenken.«

»Er ist nicht rachsüchtig.«

»Pah! Ein jeder Mensch ist rachsüchtig. Ich möchte einmal Einen sehen, welcher es vergißt, wenn er beleidigt worden ist.«

»Ein solcher ist der Ludwig. Er ist gradezu das, was man edel nennt.«

»Mache Dich nicht lächerlich! Ein Bauernknecht, und edel! Darüber könnte man sich todt lachen! Uebrigens glaube ich nicht, daß Du von dem sogenannten Edelmuthe sehr viel verstehest.«

»So viel wie Du, gewiß!«

»Das ist kein großer Ruhm für Dich, denn ich kann Dir offen sagen, daß ich kein Freund vom Edelmuthe bin. Man kommt dabei zu nichts. Diese Erfahrung habe ich gemacht.«

»Was! Wärest Du etwa einmal edel gewesen, Osec?«

»Nein, ich nicht; das kannst Du mir aufs Wort glauben. Ich habe diese Erfahrung vielmehr an Anderen gemacht. Sie sind dabei zu Grunde gegangen.«

»Während Du dabei reich geworden bist. Nicht wahr?«

»Das geht Dich nichts an. Jetzt reden wir von dem Ludwig. Ich warne Dich allen Ernstes vor ihm. Denke einmal, was er uns für einen Streich spielen könnte, wenn er wüßte wo sich bei Dir die heimliche Niederlage befindet!«

»O, von der hat er keine Ahnung!«

»Das kannst Du nicht behaupten.«

»Beschwören sogar kann ich es!«

»Vielleicht schwörtest Du einen Meineid. Er ist so lange Jahre bei Dir. Wenn er sich den Schuppen richtig angesehen hat, muß er doch unbedingt auf den Gedanken kommen, daß er von Außen viel, viel breiter ist als von Innen, und daß also wohl eine Doppelwand da sein müsse, hinter welcher sich ein verborgener Raum befindet.«

»Diesen Gedanken hat er niemals gehabt. Ich hätte Etwas davon gemerkt. Er hätte sich verrathen.«

»Vielleicht ists so, wie Du denkst, und das wäre gut für uns. Ich rathe Dir allen Ernstes, ihn fest im Auge zu behalten, so lange er noch bei Dir ist.«

»Das ist nicht mehr lange, nur noch ein Monat und ein paar Tage.«

»Wie leicht kann er heut merken, daß die Waaren kommen!«


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»Da schläft er längst. So ein Knecht, der von früh vier Uhr bis Abends zehn Uhr stark arbeiten muß, hat keine Lust, seiner Neugierde den kostbaren Schlaf zu opfern. Nein, in dieser Beziehung habe ich keine Angst. Und selbst wenn er Alles wüßte, würde er mich doch nicht verrathen. Da kenne ich ihn doch zu genau.«

»Wollen es wünschen! Aber daß er mehr weiß, als Du denkst und als er damals gesehen hat, das ist gewiß. Er sprach doch vorhin von dem Slowaken Usko. Woher kennt er diesen?«

»Der Kerl kommt manchmal zu mir und strickt meiner Frau die Töpfe ein.«

»Sapperment! Sollte er bei so einer Gelegenheit mit dem Knechte geschwatzt und uns verrathen haben?«

»Das ist ihm nicht eingefallen. Dieser Usko ist der Gescheidteste und Verschlagenste von Allen. Eher geht die Welt unter, als daß es Jemandem gelingen könnte, ihm ein Wort zu entlocken.«

»So hat er doch wohl irgend Etwas gethan, wobei er von dem Knechte beobachtet worden ist. Anders ist es nicht möglich.«

»Das will ich eher glauben. Uebrigens macht auch das mir keine Sorge. Wenn ich von keinem Andern beobachtet werde, als von dem Ludwig, so kann ich sehr zufrieden sein.«

»Du bist ein ganz unbegreiflicher Kerl! Er hat Dich beleidigt; Du willst ihm kündigen, und doch lobst Du ihn auch in dieser Weise!«

»Weil er in seiner Arbeit wirklich ein tüchtiger Kerl ist. Das muß ich am Besten wissen, und ich erkenne es an, weil es mir Schaden macht, wenn er fortgeht.«

»Nun, so behalte ihn!«

Er sagte das in kurzem, zurechtweisendem, fast beleidigtem Tone.

»Nein; das kann mir nicht einfallen. Nach dem, was heut geschehen ist, kann ich ihn unmöglich behalten.«

»Wenn Du klug bist! Er ist ja doch der Kukuk in Deinem Neste.«

»Oho!«

»Oder vielmehr der Sperling im Staarkasten. Dieser Vergleich ist noch richtiger als der vorhergehende.«

»Wie meinst Du das?«

»Nun, Du weißt doch, daß der Sperling sich gar gern im Staarkasten häuslich niederläßt?«

»Das weiß ich ebenso gut wie Du.«

»Der Sperling ist der Ludwig, und der Staarkasten, das ist Dein Gut.«

»In dem er sich niederlassen will?«

»Ja.«

»Nennst Du das ein häusliches Niederlassen, wenn man Knecht ist?«

»Knecht!« lachte Osec. »Ja, Knecht ist er jetzt noch; aber er denkt wohl, daß er es nicht lange mehr bleiben wird.«

»Weil er fort muß?«


// 1367 //

»Davon weiß er ja noch gar nichts. Nein, ich meine es anders. Schwiegersohn ist doch besser als Knecht.«

Da blieb der Kerybauer stehen, schlug ein lautes Gelächter auf und sagte:

»Schwiegersohn! Der Knecht! Du bist toll!«

»Nein; ich bin nicht toll, aber Du bist blind.«

»Donnerwetter! Ich habe bisher gedacht, daß ich sehr gute Augen habe!«

»Für die Ferne, ja; aber in der Nähe scheinst Du nicht so gut zu sehen.«

»Mensch, sage mir nicht solche Sachen. Von dergleichen Späßen bin ich kein Freund.«

»Das kann ich mir sehr wohl denken. Drum mache ich auch keinen Spaß, sondern es ist mein völliger Ernst.«

»Unmöglich!«

»Mach die Augen auf!«

»Die habe ich stets offen!«

»Ja, wie die Hasen! Die schlafen dabei, indem sie die Augen offen haben.«

»Wenn Du gerechte Sache hast, so rede offen. Hast Du vielleicht Etwas gesehen?«

»Ja, und zwar genug.«

»Was?«

»Viel weniger, als Du gesehen hast. Für mich aber ist es mehr als genug. Saßen sie nicht heut im Garten neben einander auf der Bank?«

»Wenn es weiter nichts ist!«

»Und hatten einander bei den Händen!«

»Nein. Sie hielten sich nicht bei den Händen, sondern sie hatten sich nur den Handschlag gegeben. Die Gisela hatte ihm versprechen müssen, Deinen Sohn zu heirathen.«

»Und das glaubst Du wirklich?«

»Warum nicht?«

»Ich habe wirklich nicht gedacht, daß Du ein so großer Dummkopf bist!«

»Halts Maul! Wenn Du nur schimpfen willst, so brauchst Du lieber gar nichts zu sagen!«

»Gut! Ich kann ja schweigen. Aber wenn die Gisela so sehr viel auf den Knecht giebt, daß sie auf seinen Wunsch hin einen Mann nimmt, den sie vorher nicht hat haben wollen, so kommt mir das natürlich außerordentlich verdächtig vor.«

Das leuchtete dem Kerybauer ein. Er stand noch immer auf derselben Stelle und hielt den Osec beim Arme gefaßt.

»Alle Teufel!« rief er aus. »Das kann auch mir jetzt auffallen!«

»Gehen Dir jetzt die Augen auf?«

»Beinahe!«

»Und sagte sie nicht, sie hätte ihn gebeten, hier im Dienst zu bleiben? Das hast Du doch auch gehört?«


// 1368 //

»Natürlich.«

»Nun, weißt Du nun, woran Du bist?«

»Noch nicht.«

»So weiß ich es desto besser. Mein Junge ist der Bauer hier; der Ludwig aber soll der Mann sein, der eigentliche Mann! Verstanden!«

»Kerl, das ist ja ganz unsinnig!«

»Papperlapapp! Sie ist dem Ludwig gut und er ihr auch. Heirathen können sie sich aber nicht, denn das würdest Du ja nicht zugeben - - -«

»Im ganzen Leben nicht!« fiel der Kerybauer schnell ein. »Also haben sie sich so verabredet, daß sie doch meinen Sohn nimmt, obgleich sie ihn nicht leiden kann. Der Ludwig aber bleibt hier, und was weiter geschieht, das brauche ich Dir doch wohl nicht zu sagen.«

»Das wäre ja schön und nett und außerordentlich sauber! Himmelbataillon! Und Du meinst, meine Tochter, die Gisela, wäre ein Weibsbild, dem so Etwas zuzutrauen ist?«

»Ich habe sie bisher nicht für eine solche gehalten, gewiß nicht.«

»Sie ists auch nicht! Wer das von ihr sagt, der hat es mit mir zu thun. Sie ist mein einziges Kind. Den Ehebruch versprechen, noch ehe sie verheirathet ist sogar, dazu ist sie nicht fähig!«

»Ich möchte freilich, daß Du Recht hättest. Das sollte mir lieb sein. Ich will Dir auch gar nicht wehe thun, denn wir sind ja gute Freunde. Aber denke nachher an den Tanz, von dem wir kommen! Was ist da geschehen? Wer hat sie engagirt? Und mit wem hat sie getanzt? Mit ihrem Bräutigam oder mit dem Ludwig?«

»Osec, ich sage Dir, wenn Du in dieser Weise redest, so machst Du mich ganz irr!«

»Und weiter! Bin ich nicht mit meinem Sohne ihretwegen und des Ludwigs wegen zur Treppe hinunter geworfen worden? Wer ist schuld, daß auch Du fort gemußt hast und daß wir nun von allen den dummen Jungs, welche zugegen waren, ausgelacht werden?«

»Da schlage doch der Teufel drein!«

»Denke ja darüber nach!«

»Das thue ich eben, und - ich glaube, es gehen mir die Augen auf!«

»Recht so! Recht so!«

»Dann aber Gnade ihr Gott, wenn Du Recht haben solltest! Ich schlage sie todt.«

»Nur ruhiges Blut! Bis zum Todtschlagen sind wir noch nicht. Wir sind ja noch nicht einmal bis zur Verlobung.«

»Die wird sein; die wird sein! Natürlich noch heut! Sogleich, wenn wir nach Hause gekommen sind, beim Abendessen.«

»Nun hast Du es auf einmal weit eiliger noch als vorher. Aber meinst Du, daß wir es auch so eilig haben?«

»Was fällt Dir ein? Willst Du etwa zurück treten?«

»Fast möchte ich!«


Ende der siebenundfünfzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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