Der Weg zum Glück - Teil 69

Lieferung 69

Karl May

19. November 1887

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Aus den Mitteln - der Privatschatulle - ganz und vollständig - zu erbauen! Das wäre echt königlich, ja mehr als königlich! Das wäre eine Gnadengabe, für welche kein Dank, kein Dank erfunden werden könnte!«

»Der König bittet nur um den Dank, daß Sie in Ihrem Gebete zuweilen auch seiner gedenken. Thun Sie das, so ist die Gabe, die Sie empfangen, reichlich vergütet.«

»Ob ich das thun will, ob ich! Mein gütiger Herr im Himmel! Täglich und stündlich soll mein Gebet emporsteigen für den Herrscher, welcher meine arme Gemeinde mit so reicher Gabe segnet. Es ist uns Gnade widerfahren über alles Erwarten! Es wird hier ein Jauchzen und Jubiliren sein, daß es in allen Himmeln wiederschallt, und Gott der Herr wird die That im Buche des Lebens verzeichnen! Noch heut - ah, was sage ich, gleich, gleich werde ich es der ganzen Stadt kundgeben, was ihr für ein Heil widerfahren ist!«

Er war so außer sich vor Freude, daß er wirklich nach dem Hute griff. Der König aber fragte lächelnd:

»So wollen Sie mich also hier sitzen lassen?«

»Sie - - oh, entschuldigen Sie, verehrtester Herr! Ich bin wirklich ganz confus vor Entzücken! Beinahe wäre ich unhöflich gegen Sie gewesen, gegen Sie, den Ueberbringer dieser Freudenbotschaft.«

»Ihre Gemeinde wird es zeitig genug erfahren. Sie können es ihr verkündigen, nachdem wir unser Gespräch hier zu Ende geführt haben.«

»Natürlich, natürlich! Ich stehe Ihnen ja mit Leib und Leben zur Verfügung!«

»Bitte, bitte! Behalten Sie Ihren Leib und auch Ihr Leben. Sie können Beides im Dienste des Herrn viel besser verwenden als in dem meinigen. Aber fragen möchte ich Sie doch, wer der junge Mann ist, von welchem wir sprachen.«

»Sie wissen das nicht?«

»Nein.«

»So hat er seinen Namen nicht genannt?«

»Er hat ihn verschwiegen, aber die Bemerkung gemacht, daß er im Pfarramte von Eichenfeld zu erfragen sei.«

»Warum diese Heimlichkeit?«

»Wohl aus Bescheidenheit. Er hat nicht geglaubt, daß der erste Preis und auch die Wahl auf ihn fallen könne.«

»Ganz recht! So ist er. Und direct aus Italien hat er seine Sendung nicht machen wollen, weil er befürchtet hat, daß man da errathen möge, wer der Absender sei. Also, er hat den ersten Preis?«

»Tausend Mark.«

»Gott sei gelobt! Die kann er sehr gut gebrauchen! Sie kommen ihm ebenso gelegen wie zu statten.«

»So ist er arm?«


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»Blutarm, wenigstens jetzt. Und was wollen Sie damit sagen, daß die Wahl auf ihn gefallen sei?«

»Die Kirche wird nach seiner Zeichnung gebaut und unter seiner persönlichen Oberleitung.«

»Wie - ist - das - möglich!« stotterte der alte Pfarrer.

»Seine Einsendung ist die beste von Allen.«

»Wer - hätte - das gedacht! So ein junger Mann!«

»Wie alt ist er?«

»Wenig über zwanzig.«

»Unmöglich!«

»Ja, wirklich.«

»Das ist ja fast unglaublich.«

»Auch ich bin auf's Höchste überrascht.«

»Bei solcher Jugend, solche Kenntnisse! Da muß der junge Mann ein Genie sein!«

»Begabt ist er freilich, reich begabt.«

»Und wie heißt er?«

»Sandau, Rudolf Sandau.«

»Wie? Etwa Rudolf von Sandau?« fragte Ludwig schnell.

»Nein.«

»Von Adel ist er nicht?«

»Nein, lieber Herr.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ganz gewiß.«

»Wo ist er geboren?«

»In Amerika. Seine Mutter kam aus den Vereinigten-Staaten und bezog von dort eine kleine Pension, welche sie aber vor Kurzem verloren hat. Aus Schreck darüber rührte sie der Schlag. Ihr Sohn hatte nun keine Mittel mehr, die Schule weiter zu besuchen und sieht sich nun nach einer für ihn passenden Beschäftigung um.«

»So ists, also so! Beschäftigung soll er haben - zunächst durch den hiesigen Kirchenbau. Das Weitere wird sich dann schon finden. Ich werde für ihn sorgen. Solche Talente muß man unterstützen.«

»Herr, durch eine solche Hochherzigkeit verdienen Sie sich Gottes Lohn.«

»Es ist meine Pflicht, es zu thun, weiter nichts. Ich sehe es keineswegs für eine Gnade an, die ich ihm erweise. Ich möchte ihn gern kennen lernen. Wo wohnt er?«

»Gleich um die Ecke das dritte Häuschen, eine Treppe hoch.«

»So werde ich jetzt zu ihm gehen.«

»Doch nicht sofort! Sie werden mir vielleicht die Ehre erweisen, ein kleines Mahl mit mir einzunehmen.«

»Danke sehr! Ich darf Sie nicht länger belästigen, und außerdem ist meine Zeit so in Anspruch genommen, daß ich sehr sparsam mit ihr sein muß.«

»Ich lasse Sie aber nicht fort. Ich weiß freilich noch nicht, wie Sie


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heißen und was Sie sind, aber da Majestät Sie sendet, so sind Sie jedenfalls ein sehr hochgestellter Herr, dem es in meiner einfachen Häuslichkeit kaum behagen mag. Aber hat der König uns mit einer solchen Gnade überschüttet, so hoffe ich, daß auch Sie eine kleine Nachsicht üben und meine Einladung nicht von sich weisen werden.«

Er bat in so dringlichem, aufrichtigem Tone, daß der König, um ihn nicht zu betrüben, antwortete:

»Nun, wenn Sie an den König appelliren, so darf ich Ihnen Ihre Liebe nicht abschlagen. Sie sei Ihnen also gewährt.«

»Danke, danke von ganzem Herzen! Und nun entschuldigen Sie für einen Augenblick. Meine alte Wirthschafterin ist nicht sehr gut auf den Beinen. Wenn ich Sie nicht eine halbe Ewigkeit warten lassen will, so muß ich schon selber mit zugreifen.«

Die Wirthschafterin hatte sich nämlich, als das Gespräch begann, rücksichtsvoll entfernt. Als nun jetzt der Pfarrer zu ihr in die Küche trat und ihr mittheilte, was der fremde Herr für eine Neuigkeit gebracht habe, erfaßte sie ganz dasselbe Entzücken, welches auch er empfunden hatte und noch jetzt fühlte. Bei der Bemerkung, daß diesem Herrn nun ein Imbiß aufgetragen werden solle, kam sie ganz außer sich, und sie begann zu wirthschaften, daß es den Anschein hatte, als sollten einige Dutzend Gäste bedient werden.

Das beschleunigte natürlich das Serviren keineswegs. Endlich aber war doch der Tisch gedeckt, und das Mahl begann.

Nach den armen Verhältnissen des kleinen Städtchens und des pfarramtlichen Einkommens ging es hoch her. Es gab zweierlei Wurst, zweierlei Käse und zweierlei Wein, rothen und weißen. Und als der König darauf bestand, daß die würdige Wirthschafterin sich zu ihnen setzen und an dem Mahle theilnehmen solle, da war die Freude groß. Das war ihr noch nicht passirt, neben einem Herrn zu sitzen, welcher die ungeheure Ehre hatte, den König von Angesicht zu Angesicht zu sehen und von ihm zum Boten, zum Ueberbringer der allerhöchsten Wohlthaten ausersehen zu sein.

Diese Gelegenheit, da den beiden Alten das Herz aufgegangen und in Folge dessen die Zunge beweglich geworden war, benutzte Ludwig, sich noch näher nach den Personen und Verhältnissen der Familie Sandau zu erkundigen. Er vernahm nur Empfehlendes. Besonders ließ die Wirthschafterin es sich angelegen sein, die Frau Sandau nach ihrem Charakter und ihrer stillen, aber erfolgreichen Wirksamkeit auf das Beste zu loben.

Als sodann der Imbiß eingenommen war, zog Ludwig ein zweites Couvert aus der Tasche und sagte:

»Sie werden gern sehen wollen, wie die neue Kirche sich präsentiren wird. Ich bin in der Lage, es Ihnen zeigen zu können.«

»Prächtig! Sie haben die Pläne mit?«

»Ja. Ich werde sie Ihnen jetzt vorlegen, wenn es Ihnen recht ist.«

»O, ich bitte herzlichst darum! Aber - aber - entschuldigen Sie! Ein Anderes ist mir ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger!«


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»Was?«

»Majestät haben Ihnen jedenfalls etwas Schriftliches an mich mitgegeben? Diese gnädige Zuschrift meines allerbesten Königs würde mich mit Glück und Stolz erfüllen.«

»Eigentlich, ja, hätten Sie einen Erlaß des allerhöchsten Privatamtes zu erhalten; aber da ich zu Ihnen komme, so hat man das unterlassen. Was ich sage, das hat dieselbe Geltung, als ob der König es selbst gesagt hätte.«

»So, so! Ja, das glaube ich schon. Sie müssen ja eine Stellung bekleiden, welche Sie in die nächste Nähe des Königs bringt.«

»Ja, ich bin stets bei ihm. Und nun sehen Sie!«

Er schob die Teller zur Seite und legte ihm die Pläne vor. Er war aufgestanden und stellte sich hinter den Pfarrer, um ihm die einzelnen Zeichnungen zu erklären. Der kurzsichtige, hochwürdige Herr setzte seine Brille auf und folgte dem auf den Zeichnungen hin und her gehenden Finger des Monarchen mit großer Aufmerksamkeit.

Zuletzt legte der Letztere die Totalansicht der Kirche vor.

»So wird sie aussehen, wenn sie fertig ist,« sagte er.

»Gefällt sie Ihnen?«

»Unvergleichlich, herrlich! Das Aeußere ist einfach, aber würdevoll und erhaben. Der Thurm ist ein architectonischer Finger, welcher mahnend empor zum Himmel zeigt. So soll und muß es sein. Aber Geld, Geld kostet dieser Bau, verehrter Herr!«

»Nicht allzu viel.«

»Darf ich da eine wißbegierige Frage aussprechen?«

»Warum nicht? Im Preisausschreiben war angegeben, daß die Kosten bis sechzigtausend Mark betragen dürfen. Vielleicht wird es etwas mehr, da der König für ein gutes Altargemälde und sonstigen kirchlichen Schmuck besorgt sein will.«

»Sech - zig - tausend - Mark!« rief der Pfarrer, indem er vom Stuhle aufsprang. »Das ist ja eine Summe, welche wir nun und nimmermehr - -«

Er kam nicht weiter. Da er vorhin beim Eintritte seines Gastes aus Höflichkeit die Brille abgenommen hatte, so war ihm bei seiner Kurzsichtigkeit das Gesicht des Monarchen nur undeutlich erschienen. Jetzt aber hatte er die Brille auf und stand nun so nahe vor Ludwig, daß er dessen Züge auf das Deutlichste sehen konnte. Er hatte zwar den König noch nie, desto öfters aber dessen Bild gesehen. Einem gebildeten, studirten Manne konnte da kein Zweifel überkommen, zumal an der Wand ein wohl getroffenes Bild Ludwigs hing.

Er starrte, auf das Höchste erschrocken den König an. Seine Lippen bebten. Er wollte sprechen, brachte aber nichts hervor.

»Was ist Ihnen?« fragte der König lächelnd. »Was haben Sie?«

»Dieses - dieses - jenes - o mein Gott, ich weiß ja gar nicht, was ich sagen soll!« stotterte der Pfarrer.

»Sprechen Sie getrost!«


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»Dieses - dieses Bild dort!« sagte er, indem er den Arm erhob, um nach dem Bilde zu zeigen.

»Ich kenne es. Es ist dasjenige des Königs.«

»Ja - aber - aber - das Original, das Original!«

»Nun, was ist's denn mit dem Originale?«

»Es steht - es steht hier, hier vor mir! O Majestät, Majestät!«

Er wollte seine zitternden Kniee beugen, doch Ludwig hielt ihn sogleich an den Armen fest.

»Nicht doch! Wer wird knieen wollen!«

»Vor meinem Könige muß ich in die Kniee sinken, erfüllt von Ehrfurcht und tiefster, tiefster Dankbarkeit!«

»Nein, stehen Sie, und lassen Sie mich Ihnen die Hand drücken. Sie sind, wie ich aus dem Resultate meiner Erkundigungen weiß, ein sorgsamer und treuer Arbeiter im Weinberge des Herrn. Ich drücke Ihnen mit Freuden die Hand und halte es für meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß Sie an den Lasten des materiellen Lebens nicht mehr so schwer wie bisher zu tragen haben. Ich werde veranlassen, daß Sie nach einer besser dotirten Stelle versetzt werden.«

»O nein, nein, nein!« fiel da der Pfarrer erschrocken ein. »Das nicht, das nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil mir diese arme Gemeinde so lieb, so theuer geworden ist, daß ich nicht von ihr scheiden möchte, außer der Herr holt mich durch den Tod von hinnen. An einem anderen Orte, und wäre er noch so reich bezahlt, würde ich eingehen.«

»Das glaube ich Ihnen gern. Und so will ich besorgt sein, daß Sie hier keine Noth zu leiden haben. Ihr Gehalt soll verdoppelt werden.«

»Majestät!«

»Still. Ich kann mir freilich denken, daß Ihre Bedürfnisse nicht in demselben Maße steigen werden. Sie haben einfach gelebt und werden diese Einfachheit wohl beibehalten; aber wenn Sie von jetzt an besser situirt sind, werden Sie mehr Gutes thun können. Was ich Ihnen gebe, das erhalten also eigentlich nicht Sie, sondern die Hilfsbedürftigen Ihrer armen Pfarrgemeinde.«

»Königliche Majestät haben mich nicht verkannt. Und wenn Ihre Gnade sich über mich ergießt, so dürfen Hoheit überzeugt sein, daß ich mich nur als den Almosenier meines allergütigsten Herrschers betrachten werde.«

»Gut, das ist es, was ich mir dachte und wovon ich auch fest überzeugt bin. Und nun will ich von Ihnen scheiden, um diesen jungen Baumeister aufzusuchen. Ich verweile jetzt in der Nähe und werde Sie wahrscheinlich recht bald wieder besuchen.«

Ein lautes Schluchzen ließ sich hören. In der Ecke hinter dem Ofen saß die Haushälterin auf einem Schemel und weinte Freudenthränen. Der König trat zu ihr hin und sagte in mildem Tone:


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»Beruhigen Sie sich, meine Liebe. Sie dürfen sich von mir nicht erschrecken lassen.«

»Ach Gott,« stöhnte sie, »ich bin ganz, ganz außer mir!«

»Sie haben keinen Grund dazu.«

»O doch, doch, Majestät.«

»Ich kenne keinen.«

»Aber ich weiß ihn. Nein, nein, das werde ich nicht verwinden können.«

»Was denn?«

»Daß unser König bei uns - bei uns gegessen hat, und die Wurst - die Wurst - die Wurst war zu wenig gesalzen!«

»Davon lassen Sie sich ja nicht anfechten!«

»Ja, das ginge - das ginge wohl noch, aber im - im - im Käse dort waren - waren Maden.«

»Davon weiß ich gar nichts!« lächelte der Monarch.

»Aber ich - ich habs gesehen. Ich hatte ihn so gut ausgeputzt, und als Sie nachher davon nahmen, da waren sie, waren sie - -«

Sie konnte vor Erregung nicht weitersprechen.

»Nun, was waren sie denn?«

»Inwendig, inwendig waren sie. Und Sie haben - haben sie mit gegessen!«

Der Pfarrer stand in höchster Verlegenheit hinter dem König. Er winkte ihr, zu schweigen, sie aber sah es gar nicht. Ludwig hatte ein Gefühl, als ob jetzt der genossene Käse lebendig werden wolle; er überwand dasselbe und sagte:

»Sie werden sich geirrt haben.«

»Nein. Ich habe es ganz deutlich gesehen. Ich wollte Sie aufmerksam machen, aber es war zu spät. Sie hatten den Käse schon in den Mund gesteckt.«

»Lassen wir das! Machen Sie sich keine Vorwürfe!«

»Ja, wenn ein Anderer die Maden erwischt hätte, ich oder vielleicht der hochwürdige Herr, so wär das leicht zu verschmerzen; aber Sie! Unser guter König - und Maden, Käsemaden!«

»Schweigen Sie doch!« rief ihr jetzt der Pfarrer zornig zu. »Sie sind ja noch viel blöder auf den Augen als ich und werden sich geirrt haben. Ich weiß ganz genau, daß sich hier in diesem Käse - -«

Er ergriff den Käseteller und hielt denselben dem Könige hin, um ihn zu überzeugen; dabei fuhr er fort:

»Daß sich hier in diesem Käse keine Maden befinden, keine einzige, denn -«

Er brach erschrocken mitten in der Rede ab, denn gerade in diesem Augenblicke schnellte sich eine höchst kräftige Made vom Teller empor und auf die Diele herab. Der Pfarrer setzte den Teller schleunigst wieder hin. Er war trotz seines Alters feuerroth geworden und befand sich in einer Verlegenheit wie noch nie in seinem Leben.


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»Glaubs gern, daß der Käse gut ist,« meinte Ludwig, um ihn zu besänftigen. »Er hat mir gut gemundet, und ich sage Ihnen herzlichen Dank für Ihre Gastfreundschaft, Hochwürden. Doch hoffe ich, daß Sie sich, falls ich wiederkomme, keine solche Mühe machen. Ich würde sonst dadurch veranlaßt werden, auf den Besuch zu verzichten.«

Er nahm die Pläne zusammen, steckte sie ein und verabschiedete sich.

Der Pfarrer zeigte ihm das Haus.

Der Pfarrer begleitete ihn bis an die Ecke und zeigte ihm das betreffende Haus. Er nahm dabei eine so ehrfurchtsvolle Haltung an, daß der König ihn darauf aufmerksam machen mußte, daß er incognito hier sei, und ihm streng anbefahl, auch seiner Wirthschafterin anzudeuten, daß von diesem Besuche vorläufig nicht gesprochen werden solle.

Als er dann in seine Stube zurückkehrte, saß die Alte noch immer auf ihrem Schemel.

»Alte Plaudertasche!« rief er ihr zu.

»Maden, Maden!« antwortete sie.

»Konnten Sie denn nicht schweigen!«

»Der König, der König! Das überleb ich nicht! Das ist mein Letztes, mein Allerletztes! Das ist mein Tod!«

»Immer fort mit Ihnen! Mich in dieser Weise zu blamiren!«

Er stieg zornig in der Stube auf und ab. Sie aber jammerte:

»Und wie habe ich ihn ausgeputzt! Freilich, inwendig hinein konnte ich nicht!«

»Sie brauchten doch gar nichts zu sagen! Mußte er es denn wissen!«

»Ja! Oder soll ich etwa so Etwas verschweigen?«

»Natürlich!«

»Das bring ich nicht übers Herze!«

»Aber über die Lippen muß es! Gehen Sie hinaus in Ihre Küche! Ich mag Sie gar nicht sehen. Am Liebsten möchte ich Sie gleich fortjagen. Sie sind der bittere Wermuthstropfen, welcher mir in den Freudenbecher gefallen ist.«

»Ich - ich - ein Wermuthstropfen! Es wird immer schlimmer! Ich gehe, ich gehe! Ich halte es nicht aus! Morgen um diese Zeit bin ich eine Leiche!«

Sie entfernte sich nach der Küche. Der Pfarrer hätte am Liebsten geflucht und gedonnerwettert; aber das wäre gegen sein Amt und seine Gewohnheiten gewesen. Er würgte den riesigen Aerger mit Gewalt hinab; aber es verging eine lange Zeit, ehe sein Blut wieder ruhiger durch die Adern pulsirte.

Der König war indessen in der Wohnung der Frau Sandau eingetreten. Er fand sie allein. Sie lag im Bette, aber angekleidet, denn zu gehen vermochte sie noch nicht.

Als sie einen fremden Herrn eintreten sah, wurde sie einigermaßen verlegen, doch verschwand diese Anwandlung sofort, als Ludwig sich in höflichem Tone entschuldigte:


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»Verzeihen Sie gütigst. Ich suche einen Herrn, Namens Rudolf Sandau.«

»Er ist mein Sohn.«

»Er ist wohl nicht daheim?«

»Nein, er ist ausgegangen. Können Sie vielleicht mir an seiner Stelle sagen, welcher Grund Sie zu mir führt?«

»Ja, ich kann auch Ihnen die betreffende Mittheilung machen. Jedenfalls wird er es aus Ihrem Munde ebenso gern hören, wie aus dem meinigen. Besitzen Sie das vollständige Vertrauen Ihres Sohnes?«

»Gewiß. Er thut nichts ohne mich.«

»So hat er Ihnen wohl auch mitgetheilt, daß er sich an einer Preisconcurrenz betheiligt hat?«

»Ja, ich weiß es. Ich habe ihn beinahe ausgezankt. Es ist das eine Kühnheit von ihm gewesen, zu welcher er keine Berechtigung besitzt. Leider ist sie nicht ungeschehen zu machen.«

»Leider? Sagen Sie lieber glücklicher Weise. Er hat gar wohl das Recht, eine solche Kühnheit zu begehen, denn es hat sich herausgestellt, daß es gar keine Kühnheit ist.«

Sie richtete sich ein Wenig im Bette auf, blickte ihn forschend an und fragte:

»Sie meinen -«

»Die Arbeit, welche er eingesandt hat, besitzt Vorzüge, welche ihre wohlverdiente Anerkennung gefunden haben.«

Da sank sie wieder in's Kissen zurück, faltete die Hände, holte tief Athem und hauchte:

»Gott sei gelobt! Jetzt bin ich dieser Sorge ledig!«

»Sie hatten keine Veranlassung zur Besorgniß. Ihr Sohn besitzt Gaben, welche, wenn sie ausgebildet sind, ihm einen Platz in der Reihe derjenigen Männer sichern, auf welche das Volk stolz sein kann. Erlauben Sie, daß ich mich setze!«

Sie nickte. Sie konnte jetzt nicht sprechen. Die Worte, welche sie gehört hatte, bewegten ihr Mutterherz in der Weise, daß sie vergebens nach einem passenden Ausdruck gesucht hätte, ihr Entzücken zu beschreiben. Sie hing mit ihrem Blicke an dem Angesicht des Königs und wartete, was er weiter sagen würde. Er fragte:

»Haben Sie gewußt, um was es sich handelt?«

Sie nickte und flüsterte dann:

»Um einen Kirchenbau.«

»Wußten Sie auch, welche Kirche gemeint war?«

»Nein. Rudolf wußte es selbst auch nicht.«

»Nun, es handelt sich um die hiesige.«

»Hier in Eichenfeld?«

»Ja. Der König will sie bauen lassen und hat jenen Preis, welchen Ihr Sohn gewonnen hat, ausschreiben lassen.«

Sie schloß die Augen. Ihre Züge schienen erstarren zu wollen vor


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freudigem Schreck, doch bald wich das, und es breitete sich ein seliges Lächeln über ihr blasses Angesicht, das Lächeln einer Mutter, welche das Glück ihres Kindes doppelt empfindet.

Ludwig schwieg. Er betrachtete sich das Gesicht dieser Frau. Trotz des wonnevollen Lächelns, welches sich an diesem Augenblicke über dasselbe verbreitete, war ihm doch Noth, Sorge, Entbehrung und Ergebung eingeprägt. Sie mußte viel, viel gelitten haben.

»Gewonnen - gewonnen!« flüsterte sie.

»Rudolf hat den Preis erhalten!«

»Ja. Und ich bin beauftragt, ihm denselben auszuzahlen.«

»Auszahlen! Mein Gott! Und es war so sehr viel!«

»Tausend Mark.«

»Tausend Mark! Da können wir den Wurzelsepp bezahlen.«

Sie hatte noch immer die Augen geschlossen. Sie sagte das in einer Art von Verzückung. Der König aber fragte schnell:

»Den Wurzelsepp? Kennen Sie ihn?«

Jetzt öffnete sie die Lider und blickte ihn an.

»Sehr gut,« antwortete sie. »So oft er in Eichenfeld ist, kommt er auch zu uns.«

»Und er hat Ihnen Geld geborgt?«

»Ja. Nicht eigentlich er selbst. Er hatte es von einem reichen Herrn erhalten, welcher ihm den Auftrag gegeben hat, es an arme, würdige Leute zu schenken. Rudolf aber hat es geborgt; er wollte es nicht geschenkt haben.«

»Sepp, Sepp!« lachte der König.

»Sie kennen ihn auch?«

»Ebenso gut wie Sie. Ich kenne auch den reichen Herrn, von welchem er gesprochen hat.«

»Wer ist dieser? Sepp wollte es uns nicht sagen.«

»Das glaube ich. Er selbst ist es.«

»Er! Ah, er selbst! Ist er denn reich?«

»Er verdient so viel, wie er braucht und mag sich wohl auch Einiges zurücklegen,« antwortete Ludwig zurückhaltend.

»Jetzt können wir ihn bezahlen, da mein Sohn den Preis bekommt.«

»Ja. Darf ich Ihnen das Geld aushändigen?«

Sie nickte. Er zog einen Tausendmarkschein aus der Tasche und gab ihr denselben in die Hand.

»Tausend Mark, tausend Mark!« flüsterte sie. »O Rudolf, Rudolf, wie glücklich machst Du mich! Wie wirst Du Dich freuen.«

»Er wird sich noch mehr freuen, wenn er erfährt, welche Folgen mit der Erlangung des Preises in Verbindung stehen. Sein Entwurf ist angenommen. Die Kirche wird nach demselben gebaut, und Ihr Sohn hat die Leitung des Baues zu übernehmen.«

»Himmel! Ist das möglich?«

»Es ist so Beschluß.«

»Rudolf, Rudolf! Wenn das Dein armer Vater wüßte.«


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Es standen ihr die hellen Thränen in den Augen.

»Ist derselbe bereits lange todt?« erkundigte sich Ludwig.

»Ja. Er hat viel, viel erdulden müssen.«

»Darf ich fragen, was er war?«

»Er war österreichischer Offiz - - -«

Sie verschluckte die zweite Hälfte des Wortes und fügte schnell hinzu:

»Er war in einem kaufmännischen Geschäft thätig.«

»In den Vereinigten Staaten?« fragte Ludwig, dessen Gesicht einen Ausdruck hoher Spannung angenommen hatte.

»Ja.«

»Aber er war kein geborener Amerikaner?«

»Nein, sondern ein Deutscher.«

»Ein Offizier in österreichischen Diensten, wie Sie soeben sagten?«

»Das wollte ich nicht sagen.«

»Hm! War er adelig?«

»Nein« - stieß sie hervor.

»Und auch Sie stammen aus einer bürgerlichen Familie?«

Sie erröthete tief. Es fiel ihr schwer, die Unwahrheit zu sagen:

»Ja.«

»So! Sind Sie nicht eine geborene Sendingen?«

Da fuhr sie mit dem Kopfe empor. Ihr Auge richtete sich mit starrem, erschrockenem Blicke auf Ludwig. Dieser fuhr unbeirrt fort:

»Wollte sagen, eine geborene von Sendingen?«

»Gott! Woher wissen Sie das?« kam es leise aus ihrem Munde.

»Ich habe davon gehört.«

»So wissen Sie - -?«

»Daß Ihr verstorbener Mann ein Herr von Sandau war.«

»Und auch das Uebrige wissen Sie?«

»Alles! Ich weiß noch mehr als Sie.«

Da wendete sie das Gesicht ab und begann zu weinen. Er trat an ihr Bette, ergriff ihre Hand und sagte:

»Weinen Sie nicht. Sie haben keine Ursache, Ihren Namen zu verschweigen. Es ist der Name eines Ehrenmannes.«

Da wendete sie ihm blitzschnell das Gesicht zu und wiederholte:

»Eines - Ehren - - mannes! Herr, mein Gott, was höre ich da!«

»Ich weiß, daß er unschuldig bestraft worden ist.«

»Sie - Sie - wissen das?!«

»Ja. Und ich hoffe, es beweisen zu können.«

»Beweisen - beweis - - bewei - - -!«

Ihr Gesicht wurde glühend roth; ihre Brust begann, zu arbeiten; sie wogte auf und ab. Ein schweres Aechzen erklang aus ihrem Munde, und dicke Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn.

»Gott! Was ist Ihnen, liebe Frau?« rief der König. »Fassen Sie sich, fassen Sie sich doch!«


// 1643 //

Sie stöhnte noch lauter auf; ihr ganzer Körper lag in Zuckungen. Der König fühlte ihr den Puls und sagte:

»Beherrschen Sie sich doch. Ich gehe, um Hilfe herbei zu holen.«

Er wollte fort; aber sie hatte sein Handgelenk ergriffen und umklammerte dasselbe so fest, daß er nicht loskommen konnte.

»Bleiben! Nicht gehen!« stammelte sie.

Es war, als ob sie mit einer unbekannten Macht, gegen irgend einen unsichtbaren Einfluß kämpfe. Sie wand sich hin und her. Sie preßte die Zähne auf einander. Ihre Augen traten weit heraus, und ihre Finger legten sich wie eiserne Klammern um die Hand des Königs.

Dieser betrachtete das mit äußerster Besorgniß. Es kam ihm der Gedanke, daß die frohe Botschaft von der Unschuld ihres Mannes von Einfluß auf ihre gelähmten Glieder sein könne. Vielleicht entwickelte sich eine Krise.

Und diese Vermuthung bestätigte sich sogleich. Plötzlich, mitten in den Zuckungen, fuhr sie mit dem Oberkörper empor. Sie blieb in sitzender Stellung, prüfte Arme und Beine, indem sie dieselben bewegte, und stieß dann einen markerschütternden Schrei aus.

»Was haben Sie? Was ists mit Ihnen? Sagen Sie es doch!« fragte Ludwig in heller Angst um sie.

»Ich - ich - ich bin nicht - nicht - nicht mehr gelähmt!« jubelte sie auf.

»Wirklich? Wirklich?«

»Ja, sehen Sie! Ich kann Alles bewegen, jedes Glied, jedes! O mein Herr Jesus, wer hätte das gedacht!«

»Fassen Sie sich! Auch die Freude ist gefährlich!«

»Nein, jetzt nicht, mir nicht! Ich bin vor Schreck gelähmt worden, und die Freude hat mich geheilt. Ich kann mich bewegen. Ich kann auf. Ich könnte gleich gehen! O, ich möchte es probiren, wenn nicht - - -«

Sie blickte ihn bittend an. Er verstand sie gar wohl, warnte sie aber:

»Es sollte mich herzlich freuen, wenn die Nachricht, welche ich Ihnen gebracht habe, zu einem solchen Heile für Sie geworden wäre. Aber seien Sie ja nicht zu sanguinisch! Die Täuschung würde Sie mit doppelter Bitterkeit treffen.«

»Es ist ja gar keine Täuschung! Ich konnte nur die Hände mühsam bewegen. Und jetzt, sehen Sie nur, bin ich wieder Herrin jedes einzelnen meiner Glieder.«

Sie bemühte sich, es ihm dadurch zu beweisen, daß sie alle Glieder einzeln bewegte. Daß sie eine Dame sei und er ein Herr, daß sie im Bette lag, den Oberkörper nur bekleidet, daran dachte sie gar nicht. Er sah an der sich bewegenden Bettdecke, daß sie sich allerdings im Besitze auch ihrer Beine befand, doch mahnte er:

»Schonen Sie sich! Beherrschen Sie sich! Wie leicht kann ein Rückfall eintreten!«

»O nein, den befürchte ich nicht, nun nicht! Sie sagen, mein Mann


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sei unschuldig. Das hat mich gesund gemacht. Sie sagen, daß Sie es vielleicht beweisen können, und das ist mir eine Medizin, welche meinem Körper die verlorene Spannkraft und Elastizität zurück giebt. In muß herab vom Lager, heraus aus dem Bette. Ich muß meinen Sohn überraschen. Wenn er kommt so muß ich gesund im Zimmer stehen. Gott, wie wird er entzückt sein!«

»Wann kommt er?«

»Leider erst am Abende.«

»So haben Sie ja noch vollständig Zeit, ihm diese Ueberraschung zu bereiten.«

»Es dämmert ja bereits!«

»Nur Geduld, Geduld! Ich begreife überhaupt nicht, daß er Sie verlassen kann. Sie sind gelähmt und liegen so allein.«

»Er mußte ja gehen. Und die Wirthin, welche unten im Parterre wohnt, kommt alle Viertelstunden, um nach mir zu sehen. Ach, wenn Sie die Güte haben wollten, sie zu rufen!«

»Wozu?«

»Sie soll helfen, mich ankleiden.«

»Da werde ich mich hüten, sie zu rufen. Bleiben Sie jetzt liegen! Wenn ich fort bin, können Sie thun, was Ihnen beliebt!«

»Sie könnten ja einstweilen ins Nebenzimmer treten!«

Er zog die Stirn in Falten.

»Bezähmen Sie doch Ihre Ungeduld! Ich kann mir denken, wie entzückt Sie sein müssen, so plötzlich den vollen Gebrauch der Glieder wieder erhalten zu haben. Aber ich fordere von Ihnen, daß Sie sich zur Ruhe zwingen, wenigstens so lang ich hier bei Ihnen bin.«

»Können Sie denn nicht wiederkommen?«

»Nein. Ich werde mich hüten, Personen zu besuchen, bei denen meine Weisungen derart in den Wind gesprochen sind!«

Er hatte das in strengem Tone gesagt. Sie blickte ihn forschend an und sagte dann:

»Sie haben Recht. Ihnen schulde ich ja Alles. Ich bin Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet und werde Ihnen gehorchen. Aber Eins erbitte ich mir von Ihnen!«

»Ich werde es gewähren, wenn ich es vermag. Sprechen Sie!«

»Ganz leicht können Sie es gewähren. Darf ich erfahren, wem ich eine so glückbringende Botschaft zu danken habe?«

»Dem Könige. Er ist es, welcher den Preis ausschreiben ließ.«

»Jawohl, aber wer ist der Herr, den er mir in Ihnen sendet?«

»Ich? Ich bin - - nun, haben Sie mich noch nicht gesehen?«

»Ich muß Sie gesehen haben, vielleicht schon öfters, aber wo und wann, das ist mir nicht gegenwärtig.«

»Sie werden mich im Bilde gesehen haben.«

»Ihr Bild? Wo könnte das gewesen sein?«

»Mein Bild ist in vielen tausend Exemplaren verbreitet.«


// 1645 //

»In vielen tau - - -!«

Sie schwieg. Sie richtete einen fast angstvoll forschenden Blick auf ihn und warf sich dann plötzlich aus ihrer sitzenden in die liegende Stellung zurück, die Decke bis an das Kinn emporziehend.

»Mein Himmel!« hauchte sie. »Pardon, Pardon, Majestät!«

»So erkennen Sie mich jetzt?«

»Ja. Gnade, Gnade!«

»Seien Sie unbesorgt. Ich zürne Ihnen nicht. Ihr Verhalten hat seine volle, psychologische Berechtigung. Aber behalten wir unsere Ruhe!«

Er setzte sich wieder auf den Stuhl, welchen er in die Nähe des Bettes zog, und fuhr fort:

»Also Ihr Sohn wird die hiesige Kirche bauen. Ich werde mich mit ihm ins Vernehmen setzen und ihn auch später im Auge behalten. So viel jetzt, was ihn betrifft. Wichtiger aber ist mir jetzt das Andere - die Ehrenrettung Ihres Mannes. Haben Sie ihn jemals für schuldig gehalten?«

»Nie, keinen Augenblick.«

»Das war brav! Aber wenn Sie gewußt haben, daß er unschuldig war, so müssen Sie doch wenigstens in Gedanken nach dem Schuldigen geforscht haben.«

»Das haben wir freilich, er sowohl wie auch ich.«

»Und fiel Ihr Verdacht auf irgend wen?«

»Gewiß. Auf zwei Personen, denen aber nichts zu beweisen war.«

»Wer waren diese Zwei?«

»Ein Compagnieschreiber. Er war der Einzige, welcher durch List zu den Papieren gelangen konnte, welche mein Mann angeblich hatte verkaufen wollen.«

»Wissen Sie den Namen dieses Mannes?«

»Ich werde ihn nie vergessen. Er hieß Keilberg.«

»Hermann Arthur Willibold Keilberg!«

»Oh! Majestät kennen sogar den vollständigen Vornamen!«

»Ja. Aber der Andre, auf welchen Ihr Verdacht fiel?«

»Das war ein Baron von Alberg.«

»Sie kannten ihn?«

»Ja.«

»Näher?«

»Eigentlich nicht!«

»Sie meinen, Sie kannten ihn nur so, wie man einen Bewerber kennt, den man abgewiesen hat?«

»Wie! Auch das wissen Majestät!«

»Ich sagte Ihnen bereits, daß ich mehr weiß als Sie. Ich habe mit jenem Keilberg gesprochen.«

»Ach! Lebt er noch?«

»Ja. Ich traf ihn draußen auf der Straße, und er bettelte mich an, vor kaum einer Stunde. Er hat mir Alles gestanden, auch daß Ihr Mann unschuldig war.«


// 1646 //

»Welch ein Glück! Welch ein Glück! Und wo ist dieser Mensch? Er befindet sich doch in Gewahrsam?«

»Nein, er entfloh mir.«

»So muß man ihn wieder erlangen! Die Gensdarmerie muß aufgeboten werden!«

Sie hatte sich in plötzlicher Erregung wieder aufgerichtet und in befehlendem Tone gesprochen, ohne zu berücksichtigen, wen sie vor sich hatte. Dann aber fuhr sie in demüthig bittendem Tone fort:

»Verzeihung, Majestät! Die gegenwärtigen Augenblicke sind solche, daß meine Lage mich vielleicht entschuldigt. Ich befinde mich in einer Erregung, welche es mir unmöglich macht, der hohen Gnade Ihrer Anwesenheit die richtige Würdigung entgegen zu bringen. Ich fühle mich darüber so unglücklich, aber ich kann nicht - - -«

»Pst! Still!« unterbrach er sie in mildem Tone. »Ich trage den Umständen volle Rechnung. Ich bin als Privatmann hier und nicht als Monarch. Ich wünsche überhaupt, daß zunächst kein Mensch erfährt, wer heut bei Ihnen war, Ihr Sohn natürlich ausgenommen. Es kann mir nicht einfallen, von einer Patientin mit Kratzfüßen verehrt zu werden. Ich heiße hier einfach Herr Ludwig. Unterlassen Sie also alle Redensarten und Entschuldigungen und theilen Sie mir statt dessen lieber mit, in wiefern Ihr Verdacht auf jenen Baron von Alberg fallen konnte.«

»Er hatte mir einen Antrag gemacht und war von mir zurückgewiesen worden. Er hatte dann sich meinem Manne öfters in feindseliger Absicht zu nähern gesucht, war aber von demselben mit stolzer Ignoration abgewiesen worden. Als sodann mein Mann sich unschuldiger Weise im Gefängnisse befand, hungerte ich bei trockenem Brode, um einen Privatpolizisten zu bezahlen, der den Baron beobachten mußte. Ach das war resultatlos.«

»Sie erfuhren gar nichts?«

»Gar nichts als nur das, daß der Baron einige Male von dem Compagnieschreiber vergebens aufgesucht worden war.«

»Hm! Das war freilich zu wenig, um diese Beiden fassen zu können. Und doch hatte Keilberg den Baron aufgesucht, um sich den Sündenlohn auszahlen zu lassen.«

»So ist mein Verdacht also gerechtfertigt gewesen?«

»Vollständig! Diese Beiden waren die Thäter. Keilberg hatte die secreten Papiere entwendet. Das Uebrige übernahm Alberg.«

»Ich dachte es, ich dachte es! Auch mein armer, unglücklicher Mann war überzeugt davon. Mein Gott, was haben wir gelitten, innerlich und äußerlich!«

»Das glaube ich Ihnen. Aber Ihre Ehre soll vollständig hergestellt werden!«

»Nun mein Mann längst todt ist! Wer macht ihn mir wieder lebend? Wer macht all das Herzeleid ungeschehen, welches mit Bergeslast auf uns gelegen hat?«


// 1647 //

»Das ist leider nicht möglich; aber so viel gesühnt werden kann, soll gesühnt werden. Und Ihre Leiden sollen der Boden sein, aus welchem Ihrem Sohne eine schöne Zukunft erwächst. Das mag der Trost sein, welcher Sie mit der Vergangenheit aussöhnt.«

»Mein Mutterherz hat den heißen Wunsch, daß Euer Majestät Prophezeiung in Erfüllung gehen möge. Aber sollen diese Beiden, die Schuldigen, ihrer Strafe entgehen?«

»Es ist leider die gesetzliche Verjährung eingetreten. Den Paragraphen des geschriebenen Gesetzes brauchen sie nicht mehr zu fürchten. Aber es giebt ein anderes, höheres, unerbittliches Gesetz, welchem sie verfallen sind, und es giebt einen Mann, der sie im Nacken packen wird, obgleich sie glauben, daß keine Strafe sie treffen kann. Dieser Mann bin ich. Ich werde mich dieses Keilberg versichern. Er entkommt mir nicht. Und sodann werde ich erfahren, wo der Baron Alberg zu finden ist.«

»In Wien, Majestät.«

»Das vermuthete auch ich.«

»Er war sogar vor Kurzem ganz in der Nähe von hier.«

»Wo?«

»In Steinegg. Er hat das dortige Schloß gekauft, und noch jetzt befindet sich seine Tochter Milda dort, um - - - Gott, an sie habe ich gar nicht gedacht! Welch eine Herzeleid und Unglück für sie, wenn sie erfährt, was ihr Vater auf seinem Gewissen trägt! Majestät, um ihretwillen möchte ich ihrem Vater verzeihen!«

»Kennen Sie sie?«

»Ja. Mein Sohn ist heut bei ihr.«

»Ah! Sonderbar! Was will er dort?«

»Sie hat ihm den Ausbau des Schlosses übertragen.«

»Wie! Ihm! Kennt sie ihn denn so genau? Weiß sie, daß er der Mann ist, ein so schwieriges und verantwortungsreiches Werk durchzuführen?«

»Sie scheint davon überzeugt zu sein. Rudolf freilich ist nicht sofort auf ihre Offerte eingegangen. Er hat sich Bedenkzeit erbeten. Er behauptet noch heut, daß er eine große Kühnheit begehe, wenn er das Werk übernehme. Aber wir sind arm; wir müssen und wollen leben. Das Anerbieten der Baronesse befreit uns nicht nur von Nahrungssorgen, sondern stellt ihm auch die Mittel reichlich in Aussicht, an seiner Ausbildung fort zu arbeiten. Darum ist er heut zu ihr, um ihr mitzutheilen, daß er gesonnen sei, zu acceptiren.«

»Hm! Weiß sie, wer er eigentlich ist?«

»Keine Sylbe!«

»Von wem ist er ihr vorgestellt worden?«

»Von Niemandem. Sie sind einander ganz zufällig begegnet, mitten im Walde, während eines Gewitters; da hat sich die Bekanntschaft angeknüpft.«

Ueber Ludwigs Gesicht glitt ein undefinirbares Lächeln. Er sagte:

»Hm! Sie müssen während dieses Gewitters sehr viel über Architectur gesprochen haben, da die Dame so schnell die Ueberzeugung gewonnen hat, in


// 1648 //

ihm den Künstler gefunden zu haben, dem sie die Lösung einer solchen Aufgabe anvertrauen kann. Hegen Sie irgendwelche außergeschäftliche Theilnahme für sie?«

»Sogar eine ganz außergewöhnliche und innige. Sie ist ein Engel. Sie ist sogar hier bei mir gewesen, um mir Trost in meiner Krankheit zu bringen.«

»Wie weit liegt Steinegg von hier?«

»Man kann es in drei Viertelstunden erreichen. Der Weg führt durch den Wald hinab auf die Hohenwalder Straße, welcher man nach rechts zu folgen hat.«

»Ah, ists so! Wart, Bursche, jetzt habe ich Dich!«

Die Frau blickte ihn fragend an. Darum erklärte er ihr:

»Ich bin nämlich jetzt überzeugt, daß dieser Hermann Arthur Willibold Keilberg hinab nach Schloß Steinegg ist. Er ließ sich verlauten, daß er den Baron von Alberg aufsuchen wolle, jedenfalls um ihm eine Summe Geldes zu erpressen. Er wird nicht wissen, daß der Baron bereits wieder abgereist ist. Nun wird er sich an dessen Tochter wenden - - -«

»Das darf er nicht; das darf er nicht!« rief Frau von Sandau. »Das liebe, herzige Kind darf nicht erfahren, welch einen Vater es hat. Man muß sofort einen Boten nach Schloß Steinegg senden, welcher es verhindert, daß dieser Mensch zu ihr kann!«

»Ich glaube, Sie haben diese Baronesse lieb gewonnen?«

»Von ganzem Herzen. Aber, wen kann man zu ihr senden?«

»Niemand. Man müßte sich dem Boten anvertrauen, und das geht nicht. Darum ist es gerathen, man macht sich selbst auf den Weg.«

Er erhob sich von seinem Stuhle.

»Wie?« fragte sie, beinahe erschrocken. »Majestät wollten - - -?«

»Selbst nach Steinegg gehen? Ja.«

»Das ist ja unmöglich!«

»Warum?«

»Erstens ist es beinahe Nacht, und zweitens kann ich mir ganz unmöglich denken, daß Euer Majestät sich persönlich mit dieser Angelegenheit befassen und sich in derselben einer solchen Mühe unterziehen werden.«

Er lächelte ihr gütig entgegen und antwortete:

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich heut Privatmann bin. Als solcher bin ich Herr meiner Zeit und kann thun, was mir behagt und Vergnügen macht. Ich fühle ein sehr lebhaftes Interesse für Ihre Person und Ihre Schicksale, und so werden Sie mir wohl erlauben müssen, meinen heutigen Spaziergang bis Schloß Steinegg auszudehnen. Vielleicht ist Ihr Sohn noch dort anwesend oder er begegnet mir unterwegs. Jedenfalls aber werde ich dafür sorgen, daß Sie von dem Erfolge, den ich habe, benachrichtigt werden.«

»Ich kann Majestät nicht hinderlich sein. Sind Sie aber wirklich entschlossen, nach Steinegg zu gehen, so gestatte ich mir die unterthänigste Bitte, dort nicht merken zu lassen, daß ich eigentlich von Adel bin.«

»Gern. Ihr Sohn aber ist von diesem Umstande unterrichtet?«


// 1649 //

»Auch erst seit kürzester Zeit. Er hat stets die Ueberzeugung gehabt, von bürgerlichen Eltern zu stammen.«

Es versteht sich ganz von selbst, daß damit die Unterredung noch nicht vollständig beendet war. Es gab noch Fragen und Antworten, Bemerkungen und Erkundigungen. Daran schlossen sich die Danksagungen der glücklichen Frau, und so kam es, daß es bereits dunkel war, als der König Eichenfeld verließ, um nach Schloß Steinegg zu gehen.

Die Folge wird zeigen, wie leicht verhängnißvoll ihm das werden konnte.

Rudolf Sandau begegnete ihm nicht. Dieser hatte durch die Nachricht, daß er die Renovirung des Schlosses übernehmen wolle, Milda von Alberg herzlich erfreut. Er war eine Weile bei ihr geblieben und hatte sich dann verabschiedet, um nach Hohenwald zu gehen und seinen Freund, den Lehrer Walther, aufzusuchen.

Sie sah einen Kerl stehen.

Milda war eine Strecke weit mit ihm gegangen und kehrte dann nach dem Schlosse zurück. Kurz vor demselben sah sie einen Kerl stehen, der die Gebäude forschend betrachtete und auch sie einer eingehenden Okularinspection unterwarf.

Es war Keilberg. Er schritt langsam hinter ihr her und kam einige Minuten später als sie unter dem Portale an. Dort stand der Hausmeister, jener Beamte, mit welchem der Wurzelsepp ein Intermezzo erlebt hatte.

»Ist das hier Schloß Steinegg?« fragte ihn Keilberg.

»Ja,« antwortete der Hausmeister, ihn mit stolzem Blicke begutachtend.

»Gehört es dem Herrn Baron von Alberg?«

»Ja.«

»Ist der Herr zu sprechen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Geht Ihm das was an?«

»Ja.«

»Inwiefern?«

»Weil ich mit ihm zu reden habe.«

»Was?«

Der verachtungsvolle Ton, in welchem der Hausmeister zu ihm sprach, ärgerte Keilberg. Er antwortete:

»Ist Er etwa der Herr Baron?«

»Nein.«

»So braucht Er also auch nicht zu wissen, was ich mit diesem zu sprechen habe. Melde Er mich also nur an.«

»So! Er scheint das Befehlen gewohnt zu sein!«

»Grad so, wie Er das Gehorchen.«

»Rede er keinen Unsinn! Was Er mit dem gnädigen Herrn zu reden hat, das kann man sich denken.«

»Ach! Ist Er wirklich so gescheidt? Das sieht man Ihm gar nicht an. Nun, was habe ich denn mit ihm zu reden?«


// 1650 //

»Er will ihn anbetteln.«

»So! Da ist Er freilich mit seinem Scharfsinne nicht weit gekommen. Ich brauche keinen Menschen anzubetteln. Ich bin vielmehr gekommen, dem Herrn Baron einen Gefallen zu thun. Ich bringe ihm eine Nachricht, auf welche er jedenfalls seit Langem gewartet hat.«

»Er sieht aber nicht darnach aus, als ob Er ein von dem gnädigen Herrn so sehnlichst erwarteter Bote sei!«

»Es giebt der Boten verschiedene. Er weiß wohl, daß Sein Herr Diplomat ist. Nicht jeder Mensch ist das, was er zu sein scheint. Verstanden! Also melde Er mich, sonst kann Er sich von Seinem Herrn eine Nase zuziehen, die zehnmal weiter reicht, als Sein kurzer Verstand.«

Dieses rücksichtslose, selbstbewußte Auftreten brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Der Hausmeister wußte aus langjähriger Erfahrung, daß der Baron zuweilen auch heimlich mit Leuten verkehrte, mit denen öffentlich sich sehen zu lassen, er sich gehütet haben würde. Vielleicht war das so ein Mann. Darum sagte er in einem weniger unhöflichen Tone:

»Ich habe Ihnen bereits mitgetheilt, daß der gnädige Herr nicht zu sprechen ist.«

»Und ich habe bereits gefragt, warum er nicht zu sprechen ist.«

»Weil er sich nicht mehr hier befindet.«

»Wo denn?«

»In Wien.«

»Das ist nicht wahr!«

»Oho! Wollen Sie mich Lügen strafen?«

»Das nicht; aber nach ganz sorgfältig eingegangenen Erkundigungen habe ich die Gewißheit erhalten, daß er sich auf Schloß Steinegg befindet.«

»Man hat Ihnen die Wahrheit gesagt, doch ist er indessen wieder abgereist.«

»Sie sagen die Wahrheit?«

»Erkundigen Sie sich weiter.«

»Verdammt! Das ist höchst unangenehm und kann auch für den Herrn Baron verhängnißvoll werden.«

»Wieso?«

»Da Sie der Herr Baron nicht sind, kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten. Es handelt sich um ein Geheimniß, eine für den gnädigen Herrn hochwichtige Angelegenheit, welche keinen Aufschub verträgt.«

Er sagte das, weil er noch immer glaubte, daß der Baron doch wohl anwesend sei. Der Hausmeister aber wurde durch diese Worte in Besorgniß um seine Herrschaft versetzt. Er fragte:

»Ist es denn wirklich so wichtig?«

»Mehr als Sie denken. Es liegt Gefahr im Verzuge.«

»Dann ist es vielleicht gerathen, sich an das gnädige Fräulein zu wenden.«

»Seine Tochter, also die Baronesse?«


// 1651 //

»Ja.«

»Ist das vielleicht die Dame, welche vor einer Minute durch das Portal ging?«

»Ja.«

»Hm! Ich weiß nicht, ob ich von solchen Dingen zu ihr sprechen kann. Lieber wäre es mir auf alle Fälle, er wäre selbst da.«

»Da dies aber nicht der Fall ist, so haben Sie die Wahl, nach Wien zu reisen, um mit ihm zu sprechen, oder der Baronesse Ihre Mittheilungen zu machen.«

Keilberg dachte einige Augenblicke nach, dann entschied er sich:

»Ich sehe ein, daß es besser ist, mich an die Dame zu wenden.

»Melden Sie mich also!«

»Welchen Namen soll ich nennen?«

»Privatsekretär Keilberg.«

»Kommen Sie.«

Er führte ihn eine Treppe empor, hieß ihm im Vorzimmer warten und entfernte sich. Als er wiederkam, brachte er die Nachricht, daß die Dame ihn empfangen wolle, und führte ihn in ihr Zimmer.

Als Keilberg dort eintrat, stand Milda am Tische, die Rechte auf die Platte desselben stützend. Sie überflog seine schäbige Gestalt mit kaltem, stolzem Blicke und fragte:

»Was wollen Sie?«

Einem Manne gegenüber wäre er wohl grob geworden. Die hohe, reine Weiblichkeit der Baronesse aber imponirte ihm. Er wurde verlegen und antwortete beinahe stotternd:

»Ich - ich wollte eigentlich zum - zum gnädigen Herrn Baron.«

»Es ist Ihnen bereits angedeutet worden, daß Sie ihn in Wien finden werden.«

»So weit kann ich nicht gehen.«

»So fahren Sie.«

»Dazu fehlen mir die Mittel.«

»Ach! Sie kommen, sich dieselben bei mir auszahlen zu lassen?«

»Nein. Sie würden mir doch nichts geben, denn Sie kennen mich nicht!«

»Ich würde sie Ihnen doch vielleicht geben, wenn Sie sich legitimirt hätten.«

»In welcher Weise müßte das geschehen?«

»In der Weise, daß Sie mir beweisen, daß Sie wirklich etwas so Wichtiges mit dem Baron zu sprechen haben.«

»Das habe ich.«

»Was?«

»Ich glaube nicht, daß ich es Ihnen mittheilen darf.«

»So sind wir fertig und Sie können gehen.«

Sie drehte ihm den Rücken zu und ging nach dem Fenster.


// 1652 //

Seine Verlegenheit wuchs. Aber er überwand sie. Geld brauchte er, Geld. Er konnte das Schloß nicht ohne Geld verlassen; darum sagte er, allerdings mit unsicherer Stimme:

»Gnädiges Fräulein, ich will Ihnen den Beweis bringen.«

Sie wendete sich ihm wieder zu.

»Wie Sie wollen. Können Sie sich aber überhaupt als denjenigen legitimiren, für den Sie sich ausgeben, Privatsekretär Keilberg?«

»Ja.«

»So thun Sie es!«

Sie streckte ihm die Hand entgegen, um die Legitimation in Empfang zu nehmen. Er zog sie nur langsam und zögernd aus der Tasche. Es war ihm dieser Dame gegenüber doch nicht ganz gleichgiltig, von ihr als ein Zuchthäusler erkannt zu werden. Er streckte ihr das Papier hin.

Sie trat für einen Augenblick zurück, zog Handschuhe an und griff erst nun nach der Legitimation. Das ärgerte ihn. War er denn ein räudiger Hund, daß sie sich scheute, etwas anzugreifen, was er in der Hand gehabt hatte! Er erhielt mit einem Male seine ganze freche Sicherheit zurück und hielt seinen Blick fest und herausfordernd auf sie gerichtet, als sie die wenigen Zeilen las. Sie legte dieselben sodann, statt sie ihm wieder zu geben, auf den Tisch, zuckte die Achseln und sagte:

»Aus dem Zuchthause! Direct zum Baron von Alberg! Was wollen Sie von ihm?«

»Bitte, mein Fräulein, es giebt auch brave Leute im Zuchthause -«

»Schön! Weiter!«

»Und Spitzbuben unter den freien Leuten! Mancher gehört hinein, der auf die Gefangenen schimpft und sie verachtet!«

»Mir gleichgiltig. Kommen Sie zur Sache!«

»Ich bin bei der Sache, die Ihnen nicht so sehr gleichgiltig sein kann. Ich meine nämlich, daß Ihr Vater in das Zuchthaus gehört.«

Sie erschrak nicht, sie erröthete und erbleichte auch nicht. Aber ihre schlanke Gestalt richtete sich höher auf, und die Züge ihres schönen Antlitzes nahmen einen starren, unberührbaren Ausdruck an.

»Weiter!« befahl sie.

Er hatte erwartet, daß sie ihn einen frechen Menschen nennen, vom Hinauswerfen reden, überhaupt in heftigen Zorn gerathen werde. Daß nichts von alledem geschah, brachte ihn aus dem Concepte. Er blickte sie betroffen, beinahe ängstlich an; dann antwortete er:

»Sie glauben es natürlich nicht. Aber es kommt nur auf mich an. Wenn ich aus der Schule plaudere, so ist es aus mit ihm!«

»Weiter!« erklang es wieder wie vorher.

»Soll ich es Ihnen erzählen?«

Sie nickte nur.

Da stattete er ihr denselben Bericht ab, den er bereits vorher dem Könige gegeben hatte. Sie hörte ihm ruhig bis zum Schlusse zu, unbeweglich.


// 1653 //

Wäre nicht der Blick ihres Auges gewesen, so hätte man sie für eine leblose Statue halten können. Diesem Verhalten gegenüber war ihm der Schweiß auf die Stirn getreten. Als er geendet hatte, fragte sie kalt und in ruhigem Tone:

»Warum sind Sie gekommen, dies hier zu erzählen?«

»Weil - weil - weil ich mich in Noth befinde.«

»Sie brauchen Geld?«

»Ja.«

»Wieviel?«

»So viel er mir damals versprochen hat. Für weniger verkauf ich mein Schweigen nicht. Ich will meinen Lohn haben.«

»Sie sollen ihn haben. Doch paßt es mir erst morgen Vormittags.«

»Das schadet nichts, wenn ich nur einstweilen so viel bekomme, daß ich im Gasthofe logiren kann.«

»Das ist nicht nöthig. Sie werden hier im Schlosse ein Zimmer und alles Nöthige erhalten. Ist Ihnen das recht?«

»Vollkommen, vollkommen!« rief er erfreut.

Sie klingelte und befahl dem eintretenden Diener das Nöthige. Dieser nahm Keilberg mit sich fort; auf ein abermaliges Klingeln erschien ein anderer Diener, dem sie befahl den Fremden als Gefangenen zu betrachten und ihn so zu bewachen, daß er das Schloß ohne ihre Erlaubniß nicht verlassen könne.

Dann blieb sie lange, lange Zeit einsam in ihrem Zimmer. Sie klingelte nicht nach Licht, sie befahl nicht, zum Abendmahle zu decken. Die Dienerschaft wurde besorgt um die von allen geliebte Herrin.

Es war dieser fremde Kerl gekommen. Er hatte gegen alle Voraussicht ein Zimmer angewiesen erhalten, und das gnädige Fräulein hatte den Befehl ertheilt, ihn wie einen Gefangenen zu bewachen. Das war eine Außerordentlichkeit, welche sich Niemand erklären konnte.

Der Hausmeister erzählte, was er mit diesem Fremden gesprochen hatte. Das Auftreten desselben war ein so selbstbewußtes, ja sogar drohendes gewesen. Was hatte er gewollt? Was war geschehen oder was sollte noch geschehen? Die Herrin ließ sich nicht sehen. Man bekam Angst, und es wurde beschlossen, daß die Zofe es wagen solle, ungerufen bei dem gnädigen Fräulein einzutreten.

Sie klopfte an deren Thür, aber es erfolgte von innen keine Antwort. Da trat sie ein.

Es war dunkel in dem Zimmer. Nur der Schein der draußen vor dem Schlosse brennenden Laternen warf einen leisen, ungewissen Schimmer herein.

»Gnädiges Fräulein!« sagte sie in bittendem Tone.

Sie erhielt keine Antwort.

»Mein liebes, gnädiges Fräulein!«

Da erklang es leise aus der Gegend, in welcher das Sopha stand:

»Was willst Du?«

»Ich wollte fragen, ob Sie nichts zu befehlen haben.«


// 1654 //

»Nein.«

»Wollen Sie nicht speisen? Die Zeit ist ja längst vorüber.«

»Ich danke!«

»Oder soll ich Licht bringen?«

»Nein. Das Dunkel thut mir wohl. Laß mich jetzt so hier bleiben.«

Das klang wie aus gewaltsam unterdrücktem Schluchzen heraus. Die Zofe entfernte sich wieder. Draußen standen die Andern und fragten, wie sie die Gnädige gefunden habe.

»Sie weint. Sie will ungestört sein. Sie muß etwas sehr Schlimmes gehört haben. Wer weiß, was für eine Botschaft dieser Mensch gebracht hat. Jedenfalls betrifft dieselbe ihren Vater. O dieser Baron, dieser Baron!«

Die Dienerschaft ging aus einander. Die Leute verhielten sich ruhig und traten ganz leise auf, um die liebe Herrin nicht zu stören. Aber so ganz allein bleiben sollte diese Letztere doch nicht, denn nach einiger Zeit kam die Frau Bürgermeisterin Holberg, die Mutter des Lehrers Walther in Hohenwald. Es war um diese Stunde ihre gewöhnliche Besuchszeit.

Es wurde ihr gar nicht gesagt, daß das Fräulein allein zu sein wünsche. Bei der vertrauten herzlichen Art und Weise, in welcher beide mit einander verkehrten, verstand es sich ganz von selbst, daß sie angemeldet wurde, und bei dieser Gelegenheit trug die Zofe die Lampe in das Gemach des Fräuleins.

Frau Holberg wurde auch empfangen. Als sie eintrat erhob Milda sich vom Sopha. Ihr Gesicht war bleich und zeigte die Spuren vergossener Thränen.

Frau Holberg bemerkte dies und erschrak. Das ihr entgegengestreckte Händchen ergreifend, fragte sie besorgt:

»Liebes Kind, Du hast geweint, wie ich sehe! Darf ich erfahren, was Dein Herz in dieser Weise betrübt?«

Milda schlang die Arme um sie und brach in neue Thränen aus. Sie konnte vor Schluchzen keine Antwort geben.

»Um Gotteswillen, was ist geschehen! - Es muß etwas sehr Trauriges sein.«

»Unendlich traurig! So traurig, daß es kaum zu ertragen ist.«

»Laß michs erfahren! Oeffne mir Dein Herz! Mittheilung erleichtert ja immer die beschwerte Seele. Wer trägt die Schuld, mein Kind?«

»Er, immer nur er!«

»Wer? Etwa Dein Vater?«

»Ja. Wer sollte es sonst sein! Er allein ist es, von welchem mir alles Herzeleid kommt, er ganz allein.«

»Er, nur immer er! Welch ein Mann! Was er früher gethan hat, das mag immerhin vergessen sein; aber daß er heut noch derselbe ist wie früher, das kann ihm nicht vergeben werden. Komm, meine Milda, setze Dich und erzähle mir.«

Sie zog sie auf das Sopha nieder und setzte sich neben sie. Die Anwesenheit der mütterlichen Freundin verfehlte ihre Wirkung auf das tiefbetrübte


// 1655 //

Mädchen nicht. Milda fand die Kraft ihren schweren Kummer niederzukämpfen. Sie sagte:

»Von heut und gestern ist das freilich nicht, was mich so traurig gemacht hat. Es ist das vielmehr aus derselben Zeit, in welcher er Dich kennen gelernt hat. Vielleicht stammte es sogar noch von früher her. Die Veranlassung ist auch eine Damenbekanntschaft, eine Liebe, welche von der Betreffenden zurück gewiesen wurde. Dies hat ihn zu einem Verbrechen getrieben, für welches mir jede Bezeichnung entgeht. Ich finde kein passendes Wort, meinen Abscheu auszudrücken.«

»Ein Verbrechen? Ist es ein schlimmes?«

»Es kann kein verabscheuungswürdigeres geben. Es ist schlimmer als ein Mord.«

»Kind, Du erschreckst mich sehr.«

»O, wie bin ich erst erschrocken, als ich es vorhin erfuhr! Er hat eine brave Familie unglücklich gemacht, indem er ihr ihre Ehre raubte. Der Mörder schlägt sein Opfer todt; dasselbe kann dann nichts mehr fühlen. Hier aber ist eine Familie moralisch todt gemacht worden; sie hat äußerlich fortgelebt und also allen Jammer empfinden müssen. Ihr ist gewesen wie bei der Vivisection einem Hunde, welchen man lebendig auf das Bret spannt und ihm das Maul verschließt, damit er nicht heulen und seine entsetzlichen Schmerzen laut werden lassen kann.«

»Wie ist das zugegangen?«

»Mit einem teuflischen Raffinement. Höre mich an. Du bist mir eine liebe, traute Mutter geworden. Dir kann ich alles mittheilen.«

Sie erzählte, was sie von Keilberg erfahren hatte. Auch Frau Holberg war entsetzt über das, was sie hörte; aber sie nahm es auch mit dem kritisirenden Verstande auf. Sie fragte:

»Glaubst Du, daß er das gethan hat?«

»Gewiß.«

»Du hältst ihn also einer solchen That fähig?«

»Leider ja. Es ist traurig, wenn ein Kind ein solches Urtheil über seinen Vater fällen muß; aber ich kann mir nicht helfen; ich muß es thun. Er hat gegen mich gezeigt, daß er aller Ehre und alles Gefühls bar sei. Ich traue ihm nun auch diese That zu.«

»Aber dieser Vagabund kann Dich betrogen haben.«

»Das nehme ich nicht an.«

»Um Dich zu einer Geldzahlung zu bestimmen.«

»Geld will er allerdings haben; das ist ja seine offen ausgesprochene Absicht; aber belogen hat er mich nicht. Er hat nicht mit mir, sondern mit dem Vater reden wollen, von welchem er glaubte, daß er sich hier auf Schloß Steinegg befinde. Ihm hat er ganz dasselbe sagen wollen. Es ist keine Erfindung, was ich habe anhören müssen. Freilich hat er sich in mir getäuscht. Er erhält nichts, keinen Pfennig.«


// 1656 //

»So wird er die Sache ausplaudern.«

»Mag er! Ich fürchte ihn nicht.«

»Aber die Rücksicht auf Deinen Vater -«

»Auf ihn? Er geht mich nichts an. Er ist mein Vater nicht mehr. Nicht auf ihn, sondern auf jenen bedauernswerthen von Sandau und dessen Familie habe ich Rücksicht zu nehmen. Ihre Ehre muß wieder hergestellt werden.«

»Das kann aber nur dadurch geschehen, daß Dein Vater an den Pranger gestellt wird!«

»Ich kann ihm nicht helfen. Es giebt für mich gar keinen Zweifel, wie ich zu handeln habe. Wäre mein Verhältniß zu meinem Vater ein kindlich innigeres, so würde ich nicht schweigen. Ich würde mich tief unglücklich fühlen, ihn aber doch veranlassen, die böse That nach Kräften zu sühnen. Nun er aber meine Liebe getödtet und die Achtung und Ehrerbietung, welche das Kind den Eltern zollt, mir aus dem Herzen gerissen hat, werde ich nicht ihn bitten, sondern ihn gradezu zwingen, seine Pflicht zu thun.«

»Er wird sich nicht zwingen lassen.«

»O doch! Meinst Du, daß ich ihn aufsuche, um mit ihm zu reden?«

»Willst Du das nicht?«

»Nein. Von mir würde er sich doch nicht zu der gebotenen Handlung bestimmen lassen. Nein, ich zwinge ihn durch die Polizei.«

»Milda!« rief Frau Holberg erschrocken.

»Ja,« wiederholte das Mädchen, »durch die Polizei!«

»So willst Du die Anzeige machen?«

»Ja. Ich lasse diesen Keilberg arretiren.«

»Ach! Darum hast Du ihn hier behalten?«

»Ja.«

»Warum hast Du da nicht bereits nach der Polizei gesandt?«

»Weil ich erwarte, daß Max heute noch kommt. Er ist mein Bruder, und ich will ihn um Rath fragen. Ich möchte in dieser Angelegenheit nichts ohne ihn thun.«

»Vielleicht wird er Dir abreden.«

»Das glaube ich nicht.«

»Es ist ja möglich, daß der Polizei die Macht über diesen Keilberg entgangen ist. Ich verstehe mich auf die Gesetze nicht; aber es ist seit jener That eine solche Zeit vergangen, daß ich annehmen möchte die Sache sei verjährt.«

»Mag sein, daß er nicht bestraft werden kann, aber seine Person ist unbedingt nöthig zum Beweise gegen meinen Vater. Und da er ein Zuchthäusler und wahrscheinlicher Landstreicher ist, so wird es auf alle Fälle gerathen sein, ihn festzunehmen und auch festzuhalten.«

Sie sagte das mit solcher Energie, daß Frau Holberg sie mit fast erstauntem Blicke ansah und dann in mildem Tone sagte:


Ende der neunundsechzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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