Der Weg zum Glück - Teil 8

Lieferung 8

Karl May

18. September 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Nun, dann bin ich gangen.«

»Wieso! Was fallt Dir ein!«

»Nein, Dir, was fallt Dir ein! Meinst vielleicht, wann man so unterbrochen und weggestört wird, daß man nachher noch weiter fortmacht? Mit dem Dirndl muß man bei vier Augen sein, mehr nicht. So denk ich, und so ists richtig.«

»Meinswegen. Aber Du konntst ihn fortjagen!«

»Das sagst halt Du, Müller. Du bist immer Einer, der sich grad nix aus den Leuteln macht; aber der Bräutigam muß anders sein; die Braut muß ihn für zart halten, für gnädig und vergeberisch. Wann man Großmuth übt, das rührt die Weiber in der Seel und im Gewissen; darum hab ich mich nicht weiter an dem Fex vergreifen wollen, weil die Paula dabei gewesen ist.«

»Das ist mir zu fein; das hätt ich nicht gethan. Aber Du magst nicht Unrecht haben, denn heut zu Tag ist die Welt nur auf Fixfaxen und Complimentern eingerichtet. Aber von den zwei Buffen, die er Dir geben hat, kann Dir doch die Visag nicht in der Weis zersprungen und zerdunsen sein!«

»Nein. Das Schönste kommt ja noch. Also ich geh fort und will übersetzen - - -«

»Uebersetzen? Wo warst dann mit Paula?«

»Drüben am Platz, wo sie vorjährig die Eichkatzerle freigelassen hat, die nun mit ihrem Nachwuchs kommen, wann sie sie lockt. Also dann will ich überfahren, aber es war die Fähre nicht da. Ich pfiff nach ihr. Da plötzlich kam der Fex aus dem Busch, mit dem Ruder in der Hand und schlug es mir an den Arm, daß ich ihn gleich nimmer rühren konnt - - -«

»Alltausendhimmelsturm! Hast ihn doch gleich niedergeschmettert und zertreten?«

»Konnt ichs mit dem Arm hier?«

Er ergriff mit der linken Hand den rechten Arm und bewegte ihn hin und her.

»Kannst ihn wirklich nicht bewegen?«

»Freiwillig nicht.«

Der Müller wollte vor Wuth aufspringen, fiel aber mit einem lauten Schmerzensruf wieder in den Sitz zurück. Er preßte die Zähne zusammen, daß sie knirrschten, und sagte dann:

»Na, wart, Bursch! Dir werd ich die Psalmen lesen, daß Du die Cherubimerl und Seraphimerl singen und pfeifen hören sollst! Da ist wohl gar der Knochen entzwei geschlagen?«

»Das wohl nicht. Vielleicht ist nur ein Gelenk ausgekettelt, oder es hat sich ein Nagerl gebogen. Der Bader mags untersuchen, bevor ich zum Arzt geh, der so viel theurer ist. Aber weiter! Nach diesem ersten Hieb schlug er mir das Ruder noch ins Gesicht, daß gleich die Nasen aufsprang wie bei einem Boxerhund mit Doppelschnauz, und aus dem Mund lief auch das Blut. Unterwegs hab ich nachher auch gemerkt, daß einige Zähne locker sind. Wann ich


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auch diesen einen Arm nicht rühren kann, so hätt ich den Himmelsakra doch mit dem andern überrungen und niedergeschlagen; aber er ist mir gleich schnell exschappirt in den Busch hinein, wo ich ihn nicht habe finden konnt.«

»Wie aber bist dann über das Wasser herüber?«

»Die Fähr ist verschwunden und ist wohl auch jetzund noch nicht wieder da. Er hat sie versteckt gehabt, um mich ganz sicher zu derwischen. So hab ich also dort gestanden, bis zufälliger Weis der Fischpachter kommen ist mit seinem Kahn. Der hat mich herüberbracht.«

»Da sollen doch alle tausend Teufel fluchen! Versteckt der Hallunk die Fähr, um Dich anzufallen wie ein Räuberhäuptling. Aber hab nur keine Sorg! Er soll sein Zahlaus bekommen, und zwar nicht für die Langeweile. Ich werd ihn nachher rufen lassen. Jetzt aber, wann Du wirklich keine großen Schmerzen hast am Arm, wollen wir erst darüber klar werden, worüber ich gestern mit Deinem Vater sprochen hab.«

»Der Schmerz ist auszuhalten. Gar schlimm wirds vielleicht doch nicht werden.«

»Mag sein, und wollens hoffen; die Straf aber bleibt ganz dieselbige. Der Fex soll mir den Schwiegersohn nicht vermaltraterirn. Das will ich mir ein für alle Mal sehr verbitten!«

Unterdessen hatte der Fex die Fähre gefunden und stromaufgerudert und die drei Passagiere an das diesseitige Ufer gesetzt. Wenn er auch gesagt hatte, daß er mit dem Wurzelsepp bekannt sei, so hatte er mit demselben doch kein Wort und keinen Blick gewechselt, woraus auf irgend ein Einverständniß zu schließen gewesen wäre.

Der Sepp warf seinen Rucksack auf den Rücken und schritt voran, der Mühle zu, wo er sich in dem Blumengärtchen an einem Tische niederließ, in der Nähe desjenigen, an welchem der Capellmeister des Bades saß. Franza von Stauffen ging nicht nach der Mühle, sondern nach der bereits erwähnten Villa, wo ihr Vater mit der Schwester jedenfalls bereits angekommen war.

Der italienische Concertmeister folgte dem Sepp gemächlich nach; als er aber in die Nähe der Mühle kam und den Capellmeister im Gärtchen erblickte, beschleunigte er seine Schritte, um diesen Letzteren auf das Freundlichste zu begrüßen. Seit er hier als Badegast wohnte, hatten die Beiden eine nähere Bekanntschaft geschlossen.

Beide waren weit bekannte Musiker, der eine als Dirigent und der Andere als berühmter Violinist. Der Capellmeister hatte den Italiener bereits mehrere Male gebeten, sich in einem Concert hören zu lassen, war aber abschläglich beschieden worden. Einestheils war Rialti hier im Bade seiner Gesundheit wegen, nicht aber, um zu concertiren. Sodann waren die eigentlichen Badehabitues bis jetzt noch nicht eingetroffen, die Lions der Saison; erst in den letzten Tagen hatten sich zahlreiche Familien aus der Aristokratie des Geistes, des Geldes und der Geburt eingefunden. Und endlich wollte der Virtuos nur dann auftreten, wenn er es mit anderen berühmten Größen in Gemeinschaft


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thun konnte. Sich allein mit der Badecapelle durch ein ganzes Concert zu quälen, das war nicht nach seinem Geschmacke.

Jetzt nun zeigte die verheißungsvolle Miene des Capellmeisters und die Eile, mit welcher er von seinem Stuhle aufsprang und dem Italiener entgegentrat, daß er irgend eine wichtige und auch erfreuliche Neuigkeit zu verkünden habe.

»Endlich, endlich kommen Sie, Signor!« sagte er, ihm die Hand gebend. »Ich habe bereits stundenlang mit Schmerzen auf Sie gewartet.«

»Auf mir kewarten!« antwortete der Italiener in seiner gebrochenen Weise. »Mit Schmerzen? E' egli possibile. Ist es möklik?«

»Ja. Ich bringe heut gleich eine ganze Anzahl von Neuigkeiten, über welche Sie staunen werden.«

»Staunen! Bravissimo! Vortrefflik! Ich sein neubegier, ßu hören das Neuigkeit!«

»Zunächst: Sie sind da.«

»Wer, wer? Chi? Chi va là?«

»Die hohen Herrschaften. Wir haben in letzter Woche diejenige Einquartirung bekommen, vor welcher Sie sich mit gutem Gewissen hören lassen können - Generale, Minister, Fürstlichkeiten. Und, Ihnen will ich es unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit vertrauen: Nächster Tage werden wir sogar einen König begrüßen.«

»Ein Gönik? O che incatare! Welk Entzücken! Was für ein Gönik wird er ßein?«

»Der unserige, Ludwig von Bayern.«

»Unmöklik! Gönik Luigi kommen nie in Bad, sondern ßein ßehr einsam, ßehr, ßehr.«

»Er kommt, und zwar aus einem ganz besonderen Grunde, welchen ich Ihnen natürlich mittheilen muß.«

»Ich höre, mit allem Ohr, mit Allem!«

»Denken Sie, es wird mir aus der Hauptstadt die vertrauliche Mittheilung, daß der König in vorigem Herbst auf irgend einer Alp eine wunderschöne Sennerin entdeckt hat, welche eine ebenso wunderbare Stimme besitzen soll.«

»Ein Sennerin? Una vaccara? Reizend!«

»Er hat sie nach der Hauptstadt beordert und sie einem unserer ersten Meister zur Ausbildung anvertraut. Das Mädchen soll eine geradezu phänomenale Begabung besitzen und ebenso für den Gesang wie für das Spiel talentirt sein. Jetzt aber kommt die Hauptsache: Nächster Tage soll sie sich öffentlich hören lassen, zum ersten Male.«

»Ah! Dann reißen wir nach der Hauptstadt.«

»Nach München? Nein, dort tritt sie nicht auf.«

»Nicht Münken? Wo denn?«

»Rathen Sie! Oder lieber will ich es Ihnen gleich sagen. Hier tritt sie auf, bei uns!«


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»Che occorrenza! Welch Ereikniß!«

»Ja, gewiß. Sie singt unter Begleitung meiner Capelle. Und der König will sie hören.«

»Er kommt kewiß?«

»Ganz gewiß. Das ist eigentlich ein Wunder und sodann ein Beweis, daß diese angehende Sängerin ein Lumen, ein Licht zu werden verspricht, sonst würde die Majestät sich nicht bewogen fühlen, nach hier zu kommen.«

»Sicker kanz und kar sickerlick!«

»Also was sagen Sie dazu?«

»Ik freuen mir, ßehr, ßehr!«

»Aber ich bin mit meinen Neuigkeiten noch nicht fertig. Sie werden sich noch viel, viel mehr freuen, wenn Sie das Weitere hören. Ja, ich behaupte gradezu, daß Sie entzückt sein werden.«

»Sprecken Sie, sprecken Sie!«

Da neigte sich der Capellmeister ihm zu, hob die Brauen hoch empor und fragte im wichtigsten Tone:

»Kennen Sie einen gewissen Liszt?«

Da fuhr der Italiener von seinem Sessel hoch empor.

»Liszt! Der Abbé?«

»Ja.«

»Der Virtuos auf Piano?«

»Derselbe.«

»Was ßein mit ihm? Was? Schnell, schnell!«

»Er kommt auch.«

»Nak hier?«

»Ja, ja!« klang es beinahe jauchzend.

»Als Gast in Bad, aber nicht um ßu spiel!«

»Nicht als Gast, sondern um zu spielen.«

»Er dock nicht mehr spiel! Er kiebt kein Concert mehr jetzt!«

»Aber auf ganz besondere Einladung des Königs hat er zugesagt, eine Nummer des betreffenden Concertes zu übernehmen, eben weil der König sich selbst unter den Hörern befindet.«

»Das ßein freilik viel, ßehr viel, ßehr! Es ßein kaum ßu klauben, kaum!«

»Ich gebe mein Ehrenwort.«

»Ich muß, muß ihn hören, muß, diesen Fürsten des Piano und dieses junge Licht, die Sennerin und auk Sängerin. Es wird ßein großartik!«

»Natürlich. Wir werden Furore machen. Aber nun befinde ich mich in einer außerordentlichen Verlegenheit, bester Signor.«

»In welken?«

»Ich habe den ersten Pianisten der Welt und eine Sängerin, welche bereits den Fuß auf die Stufenleiter des höchsten Ruhmes setzt; aber das Hauptinstrument ist noch verwaist - die Violine.«

Der Concertmeister lachte fröhlich auf.


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»Die Violin! Weiß Sie, wer schön spielen die Violin? Wer?«

»Nun?«

»Ich, Concertmeister, maestro di musica Signor Antonio Rialti.«

»Ah! Wollen Sie?«

»Si, si, ja, ich wollen! Ssehr, ßehr!«

Er nickte dabei so oft und freudig mit dem Kopfe, daß es dem Capellmeister angst wurde.

»Schön! Herrlich, herrlich! So bleibt mir nichts zu wünschen übrig! Liszt, der Concertmeister Antonio Rialti und die Sängerin.«

»Wie sein ihr Name?«

»Sie heißt Mureni.«

»Ich nicht kennen dieser Name.«

»Höchst wahrscheinlich ist es nur ein Künstlername, und sie heißt eigentlich anders. Also Sie haben zugesagt. Könnte ich baldigst erfahren, welche Stücke Sie wählen werden?«

»Sofort, gleik, all' istante. Kommen Sie!

Er stand auf und eilte fort, nach der Villa zu, und der Capellmeister hinter ihm her. Bald hörte man aus den geöffneten Fenstern der dort befindlichen Wohnung des Concertmeisters Töne erklingen, wie man sie hier noch niemals gehört hatte, Töne, so süß klagend wie heimliches Liebesflehen, Töne, welche sich neckisch haschten, und fingen, wie spielende Libellen und Schmetterlinge, Töne, herzzerreißend, klagend wie singende Thränen auf eingesunkenen Grabeshügeln, Töne, berauschend und bestrickend wie wogender Frauenbusen und berückende Sirenenschultern, Töne, zum Tod begeisternd wie Schlachtgesang und Rosseswiehern, Töne, dumpf rollend wie Erdbeben, grollend und zürnend wie hohler Donnerschall, Töne, zitternd und bebend wie Hunger und Frost im Menschengebein, Töne, aufjauchzend und jubilirend wie Lerchentriller und Finkenschlag. Ja, der Concertmeister Antonio Rialti war ein Beherrscher der Violine von Gottes Gnaden!

Aber, wie war es? Töne, welche man hier noch niemals gehört hatte? Wirklich niemals? Lag nicht da drüben am Flusse, da wo die Felsen an das Wasser stießen, oben auf den Steinen ein kleiner Hügel, auf welchem jetzt noch die letzten Märzviolen und die ersten Maiblumen blühten? Dort, an dieser Stelle war die Zigeunerin gestorben, welche den Fex mit ins Land gebracht hatte. Dort hatte man sie eines Morgens, nachdem sie mehrere Tage lang vermißt worden war, als Leiche gefunden, und Niemand konnte sagen, ob die Ursache ihres Todes der Frost oder der Hunger gewesen sei. War sie vielleicht an Beiden gestorben und - - auch vor Gram?

Sie war an derselben Stelle eingescharrt worden. Sie, die Zigeunerin, war doch keine Christin, sondern eine Heidin. Man durfte sich nicht an der geweihten Erde versündigen. Und als nachher der Fex, ihr Bube, einst von Weidenruthen ein armseliges Kreuz geflochten und auf den Hügel gesteckt hatte, da war man schnell gewesen, es heraus zu reißen und in das Wasser zu


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werfen. Das Zeichen des Kreuzes auf ihrem Grabe hätte ja wohl die Qualen ihrer Verdammniß lindern können, und das war die Heidin nicht werth.

Jahrelang wurde dieses Grab gemieden. Kein Mensch kam in seine Nähe. Es war ein verfluchter Ort. Nur der Fex, der sich nicht von seiner Mutter lossagen wollte, schleppte in seinen Händen fruchtbare Erde hinauf, welche er heimlich im Garten der Mühle gestohlen hatte, und pflanzte Blumen hinein, Hahnenfuß und Löwenzahn, weißen Klee und rothblühende Taubnesseln. Etwas Besseres konnte der arme Knabe nicht beschaffen. Dann aber erbarmte die kleine Paula sich seiner. Sie bettelte im Dorfe sich Saamen und Senker zusammen, für sich, wie sie sagte, aber sie gab Alles dem Fex, welcher damit das Grab der - Verdammten schmückte. Und eines Tages, als der neue Herr Caplan einst am Flusse entlang ging und, den Fex droben erblickend, hinaufgestiegen kam und dem Knaben mit milden Worten das Geständniß entlockte, daß hier seine Mutter schlafe, die Heidin, die er aber von der Verdammniß losbeten wolle, da nahm er den Verachteten bei der Hand, führte ihn mit sich in den Pfarrgarten, gab ihm Stecklinge von seinen prächtigen Ayrshirerosen, und als das die Leute hörten und nachher die gefüllten Blüten das steinigte Grab bedeckten, da stieg doch zuweilen Jemand auch hinauf, um die Düfte einzuathmen und dabei zu denken, daß, wenn der liebe Gott die Rosen hier blühen lasse, er der Heidin vielleicht wohl einen kleinen, ganz kleinen Theil der ewigen Verdammniß schenken werde.

Ja, selbst am Abende, wenn der helle Schimmer des Mondes an den Fluß lockte, kam es wohl vor, daß Einer oder der Andere sich in die Nähe des Grabes wagte; aber das hörte sehr bald wieder auf, denn - die Zigeunerin hatte keine Ruhe gefunden; sie ging um, drin im Felsen unter ihrem Grabe. Von da heraus klangen geheimnißvolle Töne, fremdartige, herzzerreißende Weisen. Das klagte und wimmerte; das schluchzte und jammerte, als ob da drin Ströme von Thränen flössen. Und dann plötzlich erhob sich ein gottloses Kreischen und Klingen, ein Jauchzen und jubiliren, ein trunkenes Gewirr von Tönen, Accorden, Trillern, Läufern und Cadenzen; es war zum Rasendwerden. Kein Mensch kam mehr hin. Die Zigeunerin hatte eine Geige mitgebracht gehabt, eine alte Fiedel, nicht zehn Kreuzer werth, die hatte man bei ihrer Leiche nicht gefunden. Natürlich hatte sie sie ins Grab nachgeholt und mußte nun ruhelos spielen alle, alle Nächte, bis in die Ewigkeit.

Und wieder nach längerer Zeit war ein neuer Cantor in das Dorf gekommen, ein Herr, welcher glaubte, daß auch ein Heide selig werden könne, wenn die Zeit des Fegefeuers vorüber sei. Der hatte von der unterirdischen Musik gehört und war so muthig gewesen, zur Mitternachtszeit nach dem Grabe zu gehen. Dort hatte er fast bis zum Anbruche des Morgens gesessen, und am Abende, als er mit den Bauern unter der Linde saß, erzählte er, daß die Musik wirklich zu hören sei, etwas Gotteslästerliches aber sei nicht daran. Ein Geist spiele nicht Violine, meinte er; es walte hier ein Geheimniß ob, welchem man schon noch auf die Spur kommen werde. Er gab sich Mühe, Andere nun auch, aber das Räthsel konnte nicht gelöst werden; es war eben ganz


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gewiß, daß die Zigeunerin spiele. Aber es war doch nun wenigstens so weit gekommen, daß das Grauen vor dem Orte verschwunden war und daß des Abends zuweilen ein Neugieriger stehen blieb, den geheimnißvollen Tönen eine kleine Weile lauschte und nachher, den Kopf schüttelnd und drei Kreuze schlagend, wieder weiter ging. So stand es noch heute.

Also die Töne, welche jetzt aus der Wohnung des maestro di musica Signor Antonio Rialti klangen, waren nicht die einzigen derart bestrickenden, welche hier gehört worden waren. Die ruhelose Seele der Zigeunerin spielte auch jetzt noch ihre schluchzenden Klagen und ihre jauchzenden Jubilosos.

Während also der Italiener dem Capellmeister seine Bravourstücke hören ließ, um eine Auswahl treffen zu können, war die Unterredung des Müllers mit dem Fingerlfranz beendet worden, und der Erstere sagte:

»Jetzt nun sind wir einig worden, und es wird Zeit, den Hallunken kommen zu lassen, den Fex.«

»Vielleicht kommts ihm in den Sinn, Alles zu leugnen. Was wirst da thun?«

»Er soll nur leugnen; da macht ers nur noch schlimmer. Uebrigens ist doch zuerst auch die Paula dabei gewesen; die kann bezeugen, daß er Dich von hinten angefallen hat.«

»Ja, weißt, die hat auch so ein weiches Herz wie Butter. Der ihr Gemüth läuft halt auseinander wie Schnee in der Sonne. Wann sie bemerkt, daßt den Fex strafen willst, wird sie ein gutes Wort für ihn einlegen, und, wenn dies nix hilft, die Sach wohl gar ganz anders darstellen, als sie sich ereignet hat.«

»Das kenn ich auch schon bereits, aber damit lockt sie mir den Hund nicht vom Ofen fort. Ich werd auch nicht so kopfüber ins Zeug springen. Er soll seine Straf empfangen, aber nicht auf einmal, daß er sie bald los ist, sondern so nach und nach, damit er recht lang daran zu tragen hat.«

Er ergriff die alte Clarinette, welche an seinem Stuhle hing, und blies hinein. Es war ein kurzes, aus drei Tönen bestehendes Signal, welches er gab, fast so wie beim Militär.

Es wurde draußen nicht sofort vernommen, so daß er es zweimal wiederholen mußte; dann trat ein Knecht herein.

»Was ist denn das?« donnerte er diesen an, indem er mit der Peitsche drohend hin und her schwippte. »Habt Ihr keine Ohren mehr! Ich will Euch welche machen! Lauf schnell hinüber zum Wasser und sag dem Fex, daß er herbei zu mir kommen soll! Ich hab mit ihm zu reden.«

Und als der Knecht sich umdrehte, um hinaus zu gehen, holte der Müller aus und schlug ihn mit der Peitsche so sicher und so kräftig in die nackten Knieekehlen, daß er laut aufschrie und mit einem raschen Sprunge draußen stand. Dann lief er, so schnell es ging, hinüber zur Fähre. Dort saß der Fex am Ufer. Er lauerte auf Paula, welche er ja überfahren mußte, wenn sie nach Hause wollte.


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Als er hörte, daß er zum Müller solle, stand er auf, ohne eine Miene zu verziehen, obgleich er ziemlich wohl wußte, weshalb er geholt wurde.

»Aber nimm Dich fein zusammen, Fex!« warnte der Knecht. »Der Alte hat schlechte Laune.«

Auch hierauf sagte er kein Wort. Während der Knecht schnell zurückkehrte, ging der Fex langsamen Schrittes auf die Mühle zu. Da plötzlich blieb er stehen. Er hatte die Violine des Concertmeisters gehört. Er lauschte einige Augenblicke. Sein Gesicht nahm einen ganz andern Ausdruck an. Es war, als ob mitten durch finstere Wetterwolken ein heller, goldener Sonnenstrahl blitze oder als wenn ein Kind mitten im Weinen aufhört, um, noch thränendem Auge, die Mutter jubelnd anzulachen.

Er ging weiter, langsam, wie von einem Magnet angezogen, nicht nach der Mühle hin, sondern auf die Villa zu. Dort am Fuße der Höhe, auf welcher diese stand, hielt er an.

Das Gesicht, welches er jetzt machte, war gar nicht zu beschreiben. Er schien vor Entzücken trunken zu sein. Er streckte den linken Arm grad aus, als ob er eine Geige in demselben halte, und fuhr mit der rechten darüber hinweg, als ob er auch Violine spiele.

Jetzt machte der Concertmeister eine Pause.

Der Fex seufzte tief auf, drehte sich energisch um, als ob es ihm große Ueberwindung koste, diesen Ort zu verlassen, und ging nach der Mühle.

»Wo steckst denn so ewig?« brüllte der Müller ihn an, als er in die Stube trat. »Der Knecht hat Dich doch getroffen! Warum kommst nicht gleich?«

Er zog die Thür hinter sich zu, blieb stehen und gab keine Antwort.

»Nun, kannst etwan nicht reden?«

Und als er auch jetzt noch schwieg, klatschte ihm die scharfe Schmitze der Peitsche um die nackten Füße. Er zuckte nicht mit der Wimper.

»Komm näher!« gebot der Müller.

Der Fex ging einige Schritte auf den Polsterstuhl zu und blieb dann wieder stehen.

»Was hast mit dem Franz gehabt?«

Der Fex sah weder den Franz an noch gab er eine Antwort.

»Willst reden!«

Und als diesem Befehle nicht Folge geleistet wurde, knallte die Peitsche wiederum die Füße. Ein Anderer wär vor Schmerz in die Höhe gesprungen; der Fex aber rührte kein Glied. Es war, als ob er gar kein Gefühl besitze.

»Hast ihn angefallen!«

»Nein.«

Das war das erste Wort, welches er hören ließ.

»Lüg nicht!«

Der Alte gab ihm einen dritten Hieb.

»Er lügt, nicht ich!«


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»Weiß schon! Dich kenne ich! Da, sieh mal sein Gesicht an! So hasts ihm mit dem Ruder geschlagen.«

Der Delinquent sah weder den Müller noch den Franz an; aber er spuckte verächtlich aus.

»Was! Ausspucken thust! Das will ich mir doch verbitten, Du Lodrian und Taugenichts! Und den Arm hast ihm auch entzwei geschlagen! Wann er aufs Amt geht und zeigt Dich an, kannst wegen Mordversuchs oder der Verletzung eines lebendigen Körpers zehn Jahr lang eingesperrt werden! Bist wohl nicht bei Sinnen gewest? Was gehts Dich an, wann er mit der Paula eine Zärtlichkeiten absolviren will. Gleich gehst her, und bittsts ihm ab!«

Der Fex bewegte sich nicht.

»Gehst oder nicht?«

Der Fex zuckte ganz leise mit der Achsel.

»Nicht? Gut, hier hasts!«

Er holte aus. Die aus einem dreifachen Riemen zusammengeflochtene Peitschenschnur schlang sich für einen Augenblick laut klatschend um das Gesicht des Fex, und dennoch zuckte der Getroffene nicht mit der Wimper. Er sagte nur die Worte:

»Frag die Paula!«

»Meinst, daß sie Dich in Schutz nimmt?«

»Sie wird die Wahrheit sagen.«

»Hast ihr wohl schon ein gutes Wort geben, und sie hat versprochen, aus dummer Barmherzigkeit ihren Vater zu belügen? Da habt Ihr wohl kein Glück damit. Schäm Dich, die Tochter zu verführen, den Vater zu belügen! Aber so ein Beest wie Du hat keine Schaam und kein Gewissen!«

Der Fex zeigte auf den Franz und sagte:

»Hier sitzt das Beest!«

»Wie? Was?«

Sofort knallte die Peitsche wieder um das Gesicht des Blödsinnigen.

»So! Und wannt noch nicht genug hast, brauchst nur noch ein Wort zu sagen, so bekommst noch mehr! Jetzt will ich Dir Deine erste Straf geben.«

Er blies in die Clarinette, und sofort kam eine Magd herein geeilt.

»Kathrin, daß Ihrs wißt, der Fex erhält drei Tage lang nix zu essen und zu trinken. Wasser kann er im Fluß bekommen!«

Sie grinste wohlgefällig mit dem breiten Gesicht und machte schleunigst, daß sie hinauskam, denn das Wetter war ihr hier nicht geheuer.

»Und,« fuhr der Müller fragend fort, »Du bist ja ganz naß. Kauf ich Dir deshalb die Kleider, daßt Dich damit im Wasser herumwälzen sollst? Wo hast denn die Fähr gehabt? Sie war doch weg!«

»Dieser hat sie losgebunden und fortschwimmen lassen.«

Sofort klatschte ihm die Peitsche wieder um den Leib, und der Alte schrie ergrimmt:

»Lügen über Lügen! Willst mir die Unwahrheit ins Gesicht hinein


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streiten! Ueber Dich muß ich mich noch zu Tod verärgern. Mach Dich hinaus, daß Du mir aus den Augen kommst, Du Galgenstrang! Und wann Du Deine drei Tage gehungert hast, nachher wird die zweite, dritt und vierte Straf kommen. Hinaus!«

Der Fex ging so ruhig und unbewegt, wie er gekommen war. Draußen saß der Wurzelsepp noch auf seinem Platz. Er gab dem Fex einen heimlichen Wink und brach dann auf, um hin nach der Fähre zu schlendern. Der Fex aber ging zunächst wieder nach der Villa zu, wo die Violine des Concertmeisters von Neuem erklang. Wie bezaubert lauschte er eine Zeit lang den Tönen, dann riß er sich mit Gewalt los und ging zur Fähre. Dort fand er den Sepp zwischen Sträuchern stecken.

»Kommst nun?« sagte derselbe. »Jetzt sieht uns Niemand, und ich will Dir die Hand geben, Fex. Bist ein braver Kerl und auch ein starker Bursch worden. Hab mich über Deiner gefreut und auch gewundert, wie Du den Fingerlfranz so abgemuckt hast. Der kann sichs merken! Aber schau, was hast da im Gesicht? Das sind ja zwei Streifen, blau und roth und gelb!«

»Das ist von der Peitsch des Müllers.«

»Wann?«

»Soeben jetzt.«

»Warum?«

»Weil ich den Franz getroffen hab. Der hat Alls herumdreht und den Müllern anders erzählt.«

»Und da schlägt der Dich mit der Peitschen?«

»Wie immer.«

»Und das leidst? Das läßst Dir gefalln!«

»Ja.«

»So bist wirklich so schiefsinnig, wie Dich die Leut ausrufen. Mir sollt das geschehn! Mit Deiner Körperstärk klopft ich den Müller zu Mehl und den Franz zu Gries!«

»Das wird auch noch. Jetzt ist nur die richtige Zeit dazu nicht kommen.«

»Auf was wartest denn noch?«

»Wirsts auch dann erfahren.«

»Und warum erduldest so ruhig das Hundeleben? Was geht der Müller Dich an? Was hast mit ihm zu schaffen? Geh doch fort!«

»Du weißt nicht, was ich weiß, sollst es aber hören. Jetzt mag das ruhen. Kommst heut am Abend zu mir?«

»Ja, freilich.«

»Das ist gut! Da sollst eine Musiken hören, eine Musiken, wie Du noch nicht gehört hast.«

»Hast sie kauft?«

»O nein. Wo soll ich das Geld dazu finden? Aber da drüben geigt Einer, und was der geigt, das werd auch ich geigen.«

»Hast die Noten?«


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»Noch nicht.«

»Ob er sie Dir giebt?«

»Frag nicht! Ich frag auch nicht.«

»Gut! Das geht mich auch nix an. Aber ich hab Dir die Noten mitbracht, die Du mir aufgeschrieben hattst. Sie stecken da im Rucksack. Ich mag sie nicht mit in die Stadt schleppen. Kann ich sie Dir jetzt gleich geben?«

»Ja,« antwortete der Fex, nachdem er vorsichtig durch die Zweige gelauscht hatte.

Und nun hielt er die Augen wie mit gierigem Heißhunger auf den Rucksack gerichtet. Der Wurzelsepp öffnete denselben und sagte dabei:

»Aber weißt, die Kompernisten, welche die Musik machen, sind die richtigen Hallodri's.«

»Warum?«

»Von wegen dem Titel und der Ueberschriften, die sie den Stucken geben. Der Musikhändler hat sie mir wohl zehnmal vorlesen müssen, und ich hab sie mir nachher im Stillen aufgesagt, bis ich sie auswendig konnt hab. Solch kuriose Aufschriften sollt man nicht für die Möglichkeit halten.«

Er zog eine Papierrolle heraus und fuhr fort, indem er sie öffnete:

»Das sind lauter Noten für Deine Vigoline. Da ist das erste Stuck. Das hat die dumme Ueberschrift: Ein runder Blechofen!«

Der Fex griff darnach. Seine Augen leuchteten. Er las den Titel. Wunderbar! Er sah ganz anders aus und sprach jetzt das schönste Hochdeutsch.

»Ein runder Blechofen? Das ist freilig lustig. Hier steht: Rondeau von Beethoven.«

»So klingts? Da hab ichs falsch versetzt. Aber hier, das weiß ich gewiß. Da steht geschrieben oder gar gedruckt: Ein Rock vorne und ein halbes Vieh.«

»Unsinn! Ein Nocturne von Halevy.«

»Himmelsakra! Bei Dir klingts freilich viel anders. Nun aber jetzund. Das kannst mir nicht bestreiten. Das heißt: Ein Fizzlifazzlo von Hühnerwurst. Das ist doch so ein schnackischer Titel, daß man ihn gar nimmer für möglich halten sollt! Ein Fizzlifazzlo! Was ist das für ein Ding! Und von Hühnerwurst hab ich auch noch nie nicht was gehört!«

»Sprich es nur richtig aus, lieber Sepp! Es heißt: Ein Pizzicato von Hühnerfürst; Hühnerfürst ist nämlich ein Dresdener Componist. Und ein Pizzicato ist ein Stück, welches nicht mit dem Violinbogen gestrichen, sondern mit dem Finger geklimpert wird.«

»Wann zehnmal! Warum setzens diese fremden Worte her! Sie könnten doch drucken: Eine Klimperei anstatt ein Fizzlifazzli. Jetzt weiter! Das weiß ich ganz genau. Es steht da: Ein Kuriosum von Mückenschwanz.«

Er blickte den Fex forschend und neugierig an. Dieser aber erklärte lachend:

»Es heißt: Ein Furioso von Schicketantz. Schicketantz ist ein Componist, und Furioso ist ein Stück, welches feurig, rasch oder gar recht wild gespielt werden muß.«


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»Das ist dem Schicketantzrich zuzutraun; schon der Name ist ganz wild. Aber nun das allerletzte Stuck. Wann ich auch dieses falsch gelernt hab, so will ich den allen Compernisten Abbitt thun im Sack und in der Aschen. Da steht ganz groß und deutlich - oder wart einmal! Sag, trinken Die auf der Post etwan viel Lindenblüthenthee?«

»Warum fragst Du das?«

»Weil hier steht, daß sie davon so dumm werden.«

»Das steht nicht da.«

»Willst etwan mit mir streiten?«

»Du irrst Dich, Sepp. So Etwas kann doch gar nicht da stehen!«

»Nicht? So schau doch mal selbst her! Ist da nicht zu lesen: Die Post ist dumm von Lindenblättern?«

»Nein. Das heißt: Postludium von Lindpaintner. Ein Postludium ist ein Nachspiel, und der Componist heißt Lindpaintner, der auch am Theater in München Kapellmeister gewesen ist und nachher in Stuttgart.«

»So, so! Jetzt ists mir im ganzen Kopfe dumm, aber nicht von Lindenblättern, sondern von Deinen Compernisten und ihren Noten und Ueberschriften. Das halt doch der Teuxel aus! Da lob ich mir meine Zithern; die hab ich auswendig gelernt ohne Noten und Compernisten, und was ich drauf spiel, das compernir ich mir selber. Jetzt aber muß ich zur Stadt, in die Apothek, wo ich meine Wurzeln verkauf. Heut Abend dann komm ich wieder. Weißt schon, um welche Zeit.«

Er gab die Hand zum Abschied und ging. Der Fex rollte seinen Notenschatz zusammen und sprang in die Fähre. Mit dieser steuerte er abwärts und hing die Kette an dem Felsen an, welcher senkrecht aus dem Wasser emporstieg. Sodann zog er unter dem Sitze ein Stück Wachsleinen hervor, in welches er die Noten so sorgfältig einschlug, daß kein Tropfen Wassers hineindringen konnte. Dann sprang er in das Wasser, tauchte unter und kam nicht wieder.

Hätte noch eine Person außer dem Wurzelsepp mit in der Fähre gesessen, so wär es ihr himmelangst um den Fex geworden; sie hätte unbedingt glauben müssen, daß er ertrunken sei.

Drin aber, im Felsen, auf welchem oben das Grab der Zigeunerin lag, ertönten einige dumpfe Schläge, welche sich nach kurzer Zeit wiederholten. Dann tauchte der Fex wieder an die Oberfläche empor und stieg, vom Wasser triefend, wieder in die Fähre, welche er loskettete und aufwärts nach dem Landeplatze ruderte.

Er strich die Kleider fest an den Leib, damit das Wasser ablaufen solle. Und kaum war er damit fertig, so hörte er drüben den Ruf:

»Fex, lieber Fex!«

Das war Paula's Stimme. Er ruderte hinüber. Da stand sie am jenseitigen Ufer, ein Eichhörnchen in den Händen.

»Das ist wieder ein Patienterl,« sagte sie, »den ich mit nach Haus nehmen muß, um ihn zu pflegen. Aber, Herrgottle, wie siehst aus?«


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Sie machte ein ganz und gar erschrockenes Gesicht, indem sie ihm in das Gesicht blickte. Die beiden Schwielen waren stark angeschwollen.

»Woher hast das?«

»Vom Müller.«

»Er hat Dich mit der Peitschen geschlagen?«

»Ja.«

»Wegen was?«

»Wegen dem Fingerlfranz.«

Da sprang sie eiligst in die Fähre und rief:

»So mach schnell über. Ich werd gleich ein Wort mit dem Vatern reden. Du rettest mich von dem Ueberfall dieses Schubiak und erhältst als Dank dafür die Peitschen! Das darf ich nicht dulden; das kann ich nicht zugeben!«

»Wart noch, Paula! Der Franz hat dem Müllern Alles falsch erzählt. Er hat gesagt, ich hätt ihn hinterrucks angefallen. Darum war der Müller so zornig. Und wann Du ihm nun auch sagen wirst, wie es eigentlich war, so wird er Dirs doch nicht glauben. Darum ists besser, Du sagst gar nix. Ich will nicht haben, daß Du für eine Lügnerin gehalten wirst.«

»Aber ich will nicht haben, daß Du geschlagen wirst. Und ich will auch sehen, ob der Vatern dem Franz mehr glaubt als mir. Also fahr über!«

»Ja. Aber, da kommt noch Einer.«

Den Bergweg herab kam ein junger, kräftiger Mann, welcher einen länglichen Kasten auf dem Rücken trug.

»Grüß Gott!« sagte er. »Kann ich mit hinüber?«

»Ja, steig ein!«

Der Fex hatte längst seine stupide Miene wieder vorgelegt. Er fragte den Fremden:

»Bist wohl ein Tabuletkramer?«

»Ja. Ich will ins Bad. Da wohnen die Geldleuteln, die gern was kaufen können.«

Drüben angekommen, bezahlte er ein Fünfpfennigstück und schritt dann, unbekümmert um die beiden Andern, auf die Mühle zu und lenkte dann links in den Weg ein, welcher nach der Stadt führte. Als er an der Villa vorüber wollte, stand Franza von Stauffen vor derselben. Als sie ihn erblickte, rief sie erstaunt aus:

»Ists möglich! Bist Dus wirklich?«

Er blieb stehen und betrachtete sie. Dann fragte er:

»So kennst mich halt noch?«

»Freilich! Ich werde doch den Krikelanton kennen, mit dem ich damals einen ganzen Roman erlebt habe und der mir entwischte, ohne sich zu verabschieden. Was treibst Du denn jetzt?«

»Ich bin halt Tabuletkramer worden von den dreihundert Mark, die der König mir damals geschenkt hat. Weißts wohl nicht?«

Sie kam näher heran.


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»Von dem Geschenk des Königs weiß ich,« sagte sie. »Du hast mir damals ja davon erzählt. Aber daß Du Tabuletkrämer geworden bist, davon hab ich nichts erfahren. Du warst, wie man mir sagte, nach der Stadt gegangen, um Dich dem Gericht zu stellen. Ich blieb bis am Abende bei der Frau Professorin aus Wien, welche Du gerettet hattest, und da ich Dich nachher nicht mehr vorfand, mußte ich allein zurückfahren. Der Herr Professor war bös auf Dich, daß Du fortgegangen warst, ohne seinen Dank abzuwarten.«

»Ja, und ich war halt wieder bös auf ihn, weil er mir die damalige Sach hat mit Geld zahlen wohn. Das hat mich wohl sehr gekränkt, natürlich. Als ich nachhero wieder frei gewesen bin, gleich denselbigen Tag, kam ich des Abends zurück zum Vatern und zur Muttern, und da ist er dagewest, um nach mir zu fragen und Abschied zu nehmen, weil er zuruck nach Salzburg gemußt hat. Da hat er dem Vatern einen Zettel in die Hand geben, auf welchem die Ueberschriften gestanden hat >Anweisung<. Und weißt, was das gewesen ist?«

»Nun, jedenfalls eine Belohnung.«

»Ich dank für eine derartig Belohnung! Ja, sehr dank ich dafür! Erst hab ich halt auch geglaubt, daß er mir was geben will, und derowegen bin ich ja zornig gewest, denn mein Leben spendir ich doch nicht daran, um ein paar Gulden oder ein paar Markerln zu bekommen. Aber als ich nachher den Zettel richtig gelesen hab, dann, ja freilich hab ich ihn nicht selber gelesen, sondern dem Nachbarn sein Schulbub hat ihn mir vorlesen müssen, nachher hab ich gewußt, daß der schöne Herr Professor mich nur hat mit einer Nasen heimschicken wollen.«

»Das glaub ich nicht!«

»Nicht glauben willsts? Nicht? Da bist ebenso dumm wie er. Ich aber bin halt gescheidter als Ihr und hab mich gehütet, auf dena Leim zu springen.«

»Du irrst, Anton. Die Professors sind Beide so sehr dankbar gewesen!«

»Ich auch; ich bins sogar noch, denn ich bedank mich noch heut für den ihrigen Dank.«

»Nun, was hat denn auf dem Zettel gestanden?«

»Das will ich Dir gleich sagen. Zuerst hats so gut und schön klungen, daß ich wirklich eine große Freuden gehabt hab. Ich soll nämlich, wann ich einmal in Noth bin und ein Geldl brauch, hinein ins Salzburg gehn, nämlich nicht ins Ländl Salzburg, sondern in die Stadt, und mir so viel geben lassen, wie ich brauch.«

»Nun, das ist doch sehr, sehr gut. Nicht einmal eine bestimmte Summe hat er angegeben.«

»Ich hab auch glaubt, daß es sehr gut ist; aber nachhero sind mir die Augen aufgangen; nachhero hats halt ganz anders gelautet. Da hat gestanden, ich soll auf die Bank gehn, zum Gottlob Beck; da soll ichs erhalten.«

»Also eine Anweisung an einen Bankier.«

»Bankier? Was das ist, das weiß ich nicht. Es wird wohl so ein


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welsches Wörtl sein, oder ists gar lateinisch oder hebräisch. Aber der Gottlob Beck ist selber so arm, daß er keinen Pfennig geben kann.«

»So? Wunderbar! Was ist er denn?«

»Nun, Tischler ist er natürlich. Was soll er denn anders sein, wann ich wegen der Bank zu ihm soll.«

»Ah, jetzt ahne ich es. Das ist ein Mißverständniß.«

»Nein, das ist keins. Ich kenn den Gottlob bereits seit vielen Jahren, und als ich zum Spaß zu ihm gangen bin und ihn fragt hab nach dem Professorn, da hat er ihn gar nicht kennt.«

»Hast Du ihm Etwas von der Anweisung gesagt?«

»Werd mich hüten. Auslachen laß ich mich noch lange nicht.«

»O weh, da hast Du eine Dummheit gemacht!«

»Ich? Fallt mir nimmer ein!«

»Doch! Giebt es denn nicht noch einen Gottlob Beck in der Stadt Salzburg?«

»Wohl. Es giebt schon noch einen.«

»Und was ist der?«

»Nun, der ist Kaufmann. Er handelt mit Geld und mit Kassenbilleterls. Weißt, man sagt Wechsler.«

»Nun, so ist der gemeint gewesen.«

»Der? O weh! Wo denkst hin! Der hat keine Bank. Der sitzt auf Sammtstühlen und auf einem seidenen Kanapee. Eine Bank findst bei ihm gar nimmer.«

»Nun, so ists erwiesen, daß es ein Mißverständniß ist. Weißt Du, ein Geschäft, in welchem mit Geld gehandelt wird, das nennt man ja eben ein Bankgeschäft oder eine Bank.«

»Willst mir wohl auch nur was weiß machen?«

»Gar nicht.«

»Freilich! Aber zupf Dich nur an Deiner Nas. Du schaust auch nicht grad so aus, als hättst die Klugheit mit Löfferln gefressen. Und von Dir, Franza, hätt ichs schon erst gar nicht glaubt, daß Du mir so ein X hermachen willst.«

»Ich schwöre aber darauf, daß ich die Wahrheit sag!«

»Schwör ja nicht! Denn das wär ein meineidiger Schwur! Ein Bankgeschäft ist halt ein Geschäft, wo man sich eine Bank kaufen kann, weißt, eine Holzbank, wodrauf man sich setzen kann.«

»Du verwechselst Tischlerei und Bankgeschäft, Anton. Was hast Du denn mit der Anweisung gemacht?«

»Mit dem Zettel? Den hab ich mir aufgehoben. Ich denk, daß ich dem Professorn wohl einmal begegnen kann, und da will ich den Wischen bei mir haben, damit ich ihm dera Anweisung fein um den Kopf schlagen kann.«

»Ah, Du hast sie einstecken?«

»Ja, da in meiner Brieftaschen.«

»Darf ich sie mir einmal ansehen?«


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»Gern! Da wirst aber alleweil gleich sehen, daß ich sehr Recht hab. Hier, schau her!«

Er zog eine sehr einfache Brieftasche heraus, in welcher er außer seinem Hausirschein und andern Dingen auch die Anweisung stecken hatte. Sie nahm dieselbe und las sie. Dann sagte sie:

»Ich habe doch Recht. Es ist eine richtige Anweisung an den Bankier Gottlob Beck in Salzburg, und noch dazu auf eine unbestimmte Summe. Es ist nicht der Tischler, sondern der Wechsler Beck gemeint.«

Da machte er nun freilich ein ganz anderes Gesicht.

»Ists auch wahr?« fragte er.

»Ja.«

»Du weißts gewiß?«

»Ich kann tausend Eide darauf schwören.«

»Himmelsakra! So war ich der Dumme?«

»Ja freilich! Du hättest Dir viel Geld geben lassen können, Anton.«

»Wie viel denn?«

»Das steht nicht da. Hier steht, daß er Dir zahlen soll, so viel Du verlangst.«

»Herrgottl! Wann ich nun hundert Marken begehrt hätt?«

»So hättest Du sie erhalten.«

»Vielleicht gar auch noch mehr?«

»Freilich! Auch tausend, fünftausend oder zehntausend. Der Professor ist ja reich, wie ich damals merkte.«

»Sakramentsky! So ist er am End gar ein braver Kerl und kein solcher Scherwenzerl, wie ich dacht hab!«

»Natürlich ist er brav. Er hat es nicht verdient, daß Du ihm die Anweisung um den Kopf schlägst.«

»Na, das werd ich nun auch bleiben lassen. Jetzt wollt ich, er ständ gleich hier, daß ich ihm sagen könnt, wie so dumm ich gewesen bin.«

»Ja, hier hast Du die Anweisung wieder; heb sie Dir gut auf. Du kannst jederzeit Gebrauch davon machen. Wenn Du sie bei dem Wechsler Beck vorzeigst, so bekommst Du so viel Geld, daß Du Dein gegenwärtiges Geschäft vergrößern kannst.«

»Das brauchts nicht; ich bin zufrieden.«

»So geht Dirs gut?«

»Ja; ich mach kein übel Geschäften. Weißt, ein Tabuletkramer verdient immer sein Geldl, wann er thätig ist und lustig und höflich und ehrlich, so daß er die Leutln nicht betrügt. Hier in meinem Kasten hab ich Sacherln, die mir hundert Prozenterln einbringen. Eine Marken hab ich dafür geben und zwei Mark bekomm ich dafür. Magst mir nix abkaufen?«

»Was hast Du denn Alles?«

»Alls, was der Mensch halt brauchen kann, um sich schön zu machen: Ringerln, Ketterln, Hefterln, Knöpferln, Brocherln, Schlippserln - -«

»Ah, so hast Du jetzt ja Sachen, die Du damals noch gar nicht kanntest!«


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»Ja, jetzund hab ich sie freilich kennen lernt. Auch Uhrschlüsserl hab ich, Federhalterl, Bleistifterl, Stahlfederln, Haarnaderln, Staubkämme, Heftpflasterln, spanische Fliegen, Schuhwichsen, Schnürsenkerln, Schnupfdoserln, Elastigummerln, Steck- und Nähnaderln, Zwirn, Notizbücherln, Einrahmerln zum Photographienerln, Streichhölzerln, Portmonnaierls, Nägel, Pinserln und noch gar Vielerlei.«

»So will ich sehen, ob ich Etwas brauchen kann. Vorher aber mußt Du mir sagen, wie es Deinen Eltern geht.«

»Schlecht und recht gehts ihnen halt. Jeden Monat lauf ich auf den Handel, und nachhero komm ich auf ein paar Tag nach Haus. Da giebts allemal eine Lust und Freuden, denn weißt, in dero Zeit hab ich mir allemal so ein Hundert Markerl verdient und auch noch ein halbes Hundert dazu. Da wird fein flott gelebt. Da giebts auch einmal Speck an die Kartofferln und Syrupen aufs Brod. Und dem Vatern bring ich ein paar Packetle Tabak mit. Herrgottle, ist das allemal ein Fest!«

»Ihr bescheidenen, glücklichen Leute!«

»Ja, glücklich sind wir. Freilich - - hm!«

Es zog trübe über sein männliches, gebräuntes Gesicht.

»Was ists? Hast Du ein Herzeleid?«

»Ja, freilich!«

»Darf ichs erfahren?«

»Wirst Dir auch nix draus machen!«

»Meinst Du? Du weißt ja doch, daß ich sehr viel Antheil an Dir nehme.«

»Ja, damals hast mir hübsch durchgeholfen, und wem man einmal was Guts gethan hat, den vergißt man halt nicht wieder; das ist wahr. Aber besser wärs am End doch gewest, ich wär damals in den Abgrund gefallen.«

»Nicht doch! Warum?«

»Nun, die Leni, weißt!«

»Was ists mit ihr?«

»So hast nix gehört?«

»Was sollte ich gehört haben?«

»Sie ist doch nicht mehr auf der Alm.«

»Nein. Sie war plötzlich fort.«

»Und weißt, wohin?«

»Nein.«

»Ans Theater.«

»Unmöglich!«

»Ja doch!«

»Wie ist denn das gekommen?«

»Der König hats so gewollt. Mir aber hats das Herz brochen; das kannst glauben.«

Er machte dabei so ein trübseliges Gesicht, daß sie sogleich das innigste Mitleid mit ihm fühlte.

»Das Herz gebrochen! Du Aermster!«


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»Ja, es ist ein rechtes Kreuz und Elend.«

»So leidest Du an einer unglücklichen Liebe?«

»Freilich wohl. Weißt, wie das ist?«

»Nein. Aber es ist mir lieb, daß es so ist.«

»Was, lieb ists Dir, daß ich eine unglückliche Lieben hab?

 »Natürlich!«

»Na, da dank ich schön! Da bist freilich ein sehr guts Weibsbild, wann Du Dich aber darüber freust, daß andere Leuteln unglücklich sind, so -«

»Nein, darüber freue ich mich nicht.«

»Worüber dann?«

»Versteh mich nur richtig! Du weißt doch, daß ich einen Roman schreiben will?«

»Ja, das weiß ich schon bereits lange Zeit. Ist er denn noch nicht fertig?«

»Nein. Ich habe ihn noch gar nicht angefangen.«

»O weh! Hast wohl keine guten Tinten?«

»Die Tinte habe ich schon; aber der Stoff fehlt mir.«

»Ich denk, ich hatt Dir Stoff gebracht?«

»Ja; aber der reichte noch nicht aus. Ich brauche auch eine unglückliche Liebe. Die finde ich jetzt bei Dir, und darum freue ich mich, darum.«

»Ach so!«

»Ja, und weil Du mir wieder so ein gutes Sujet bringst, so bist Du mir hoch willkommen. Sage mir einmal, wie ists denn eigentlich, wenn man eine unglückliche Liebe im Herzen trägt?«

»Meinst wohl, daß man das beschreiben kann?«

»Natürlich.«

»Nein, das geht nicht.«

»Pah! Was man fühlt, kann man auch sagen.«

»Nicht so leicht.«

»Versuchs nur einmal!«

»Wann ich Dir damit einen Gefallen thun kann, will ichs schon versuchen. Schau, wann man sich ein Schweinerl kauft und in den Stall thut und futterts recht gut und hälts recht lieb und giebt ihm Kartoffelschaalen und faule Apferln und Maisschroot und Gerstenkleie und Alles, was man hat, und zu Weihnachten will mans schlachten, und in der Nacht vorher kommt der Spitzbub und stiehlt Einem die Sau, so daß man nun keinen Schinken und keine Wursterln und kein Garnix hat - so thut die unglückliche Lieb im Herzen drin.«

»Welch ein Gleichniß! Das ist der reine Materialismus der Dichtkunst. Du bist einzig! Komm her, Anton; dafür muß ich Dich küssen!«

Sie trat auf ihn zu.

»Was? Busserln willst? Hasts noch nicht verlernt? Kommst heut schon wieder damit!«

»Du hasts verdient!«


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»Ich mag keinen Schmatz!«

»Aber Dein Vergleich ist doch einzig!«

»Nein, der ist nicht einzig. Ich kann Dir ganz sehr gut noch mehrere bringen.«

»So bring noch einen.«

»Nun, wann Einer zur Liebsten will und steigt auf den Zaun, und sie schaut zum Fensterl heraus und winkt und wirft ihm Handkusserln zu und sagt, er soll recht schnell machen, weil sie so große Sehnsuchten hat, und er springt vom Zaun herab und springt in seinem Sonntagshabiterl hinein ins Jauchenfasserl, daß die Hallunkenbrüh über ihn zusammenschlägt, und er stinkt so sehr, daß er sich einen Monat lang nicht sehen lassen kann, und wann er dann zum ersten Mal wieder vor seine Thür heraustritt, so läuft sie mit einem Andern vorüber nach der Kirchen, um sich dort trauen zu lassen - das ist unglückliche Lieb, nicht!«

»Ja freilich!«

»Oder wann Einer einen guten Schluck thun will und macht das Wandschränkerl auf und nimmt die Flaschen heraus, in der der Kirschengeist ist und trinkt und trinkt, bis sie leer ist, und dann merkt er, daß es die Fischthranflaschen gewesen ist, und er giebt Alles wieder von sich, seiner künftigen Schwiegermuttern auf die weißseidene Schürzen, so daß sie aufspringt und davon läuft und ein Hallodria macht zehn Dörfer weit - so ist die unglückliche Lieben; so ist's Einem zu Muth, wann man Eine haben will und kann sie doch nicht haben.«

»Deine Beispiele sind außerordentlich kräftig.«

»Das brauchts auch, denn eine unglückliche Lieb ist nix Sanftes und Zuckeriges. Das darfst mir glauben.«

»Ists denn wirklich aus mit der Leni?«

»Ja.«

»Nur weil sie zum Theater gegangen ist?«

»Ist das nicht genug?«

»Sie kann ja eine große Künstlerin werden!«

»Eine brave Frau, welche Scham und Ehr besitzt, ist tausendmal mehr werth als die größeste Künstlerin; halb nackt auf der Bühn herum laufen, das ist keine Kunst, sondern eine Schand und eine Sünd!«

»Das verstehst Du nicht!«

»Schön! Und dem Herrgottle sei Dank, ich mags auch gar nicht verstehn.«

»Wenn Sie eine Griechin oder eine Römerin geben soll, so muß sie sich doch so kleiden, wie die damaligen Frauen gegangen sind.«

»Warum muß sie eine Griechin oder eine Römerin geben? Sie mag dem Krikelanton seine Frau geben; dann kann sie sich so kleiden, wies Sitt und Brauch ist. Verstanden?«

»Sieh, ich kleide mich ja auch anders, wenn ich dichte. Dann ziehe ich mich als Muse an.«

»Nein, dann ziehst Du Dich nur halb an; das hab ich ja gesehen.


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Aber Du kannsts; Du bist Deine eigene Herrin und eine Dichterin dazu. Vielleicht brauchen sich die nicht zu schämen, und wann sie nackt auf dem Jahrmarkt herumlaufen. Aber wir wollen uns nicht streiten. Lieber wollen wir ein Geschäft machen. Also, kaufst mir was ab?«

»Ich will sehen, ob Du Etwas hast, was ich brauchen kann.«

»Das ist nicht nothwendig. Kauf nur immer zu! Wann Dus nicht selber brauchst, so kannsts ja verschenken. Es giebt genug arme Schacherln, die Du ganz glücklich machen kannst, wann Du ihnen ein Schnürsenkerl, ein Ringerl oder ein hübsch Lauskammerl giebst.«

»So komm mit herauf zum Vater und zur Schwester. Die mögen sich Etwas auswählen.«

Er folgte ihr mit in die Wohnung, welche der Baron von Stauffen heut mit seinen Töchtern bezogen hatte. Der alte Herr hatte ein sehr vornehmes und ehrwürdiges Aussehen. Bei einem schärferen Blick aber sah man es ihm an, daß ein stiller Kummer an seinem Innern nagte - der Kummer über seine Töchter. Die Eine war mondsüchtig und die Andere litt an dichterischer Ueberspanntheit.

Der Baron war zum Ausgehen angekleidet. Als der Krikelanton bei ihm eintrat und ihn stehen sah, lachte er fröhlich auf und sagte:

»Himmelsakra! Schau, das kenne ich. Das ist hübsch!«

»Wer ist dieser Mann?« fragte der Baron streng.

»Wer ich bin? Das weißt nicht? Nun, ich bin der Krikelanton, und die Hosen und Westen, der Gottfried, den Du anhast, die Manchetterln und der Ziehharmoniehut da auf Deinem Kopf, in all diesen Sachen hab ich auch schon einmal steckt. Weißts halt nicht?«

»Ah, das ist also der Gemsjäger, der damals unter Deinem Schutz geflohen ist, Franza?«

»Ja, lieber Vater.«

»Nun, das war ein Streich, welchen ich mildestens einen unüberlegten nennen muß. Da er aber keine unangenehmen Folgen nach sich gezogen hat, so will ich ihn nicht fernerhin erwähnen. Also dieser Mann ist der Held jener Thatsache. Was will er hier?«

»Was ich will?« meinte der Anton. »Schau, ich komm zu Dir, damit Du mir etwas abkaufst.«

»Was hast Du denn?«

»Sollsts gleich sehen.«

Er setzte seinen Kasten ab, öffnete ihn und legte vor.

»Nun,« sagte der Baron lächelnd, »das sind lauter Sachen, die wir eigentlich nicht gebrauchen können.«

»Was schadet das? Bist ja ein Baron und auch reich. Wer wills Dir verwehren, wann Du kaufst?«

»Ja, wir müssen den braven Menschen unterstützen, lieber Vater!« bat Franza.

Ihre Schwester Elise, die Mondsüchtige, stand dabei und schaute mit


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mildem Blick auf den Tabuletkrämer. Sie war eine Schönheit; das mußte Jeder zugeben, der sie sah. Nichts, als nur die Blässe und Feinheit ihres Gesichts, hätte verrathen, daß sie Nachtwandlerin sei. Sie begann ein Gespräch mit Anton, und als er in seiner kräftigen, treuherzigen Weise antwortete, erwarb er sich sogar das Wohlgefallen des Barons in dem Maße, daß dieser ihn zum Sitzen einlud. Dann suchten sich die beiden Damen Verschiedenes aus, Kleinigkeiten, die sie vielleicht auch selbst gebrauchen konnten, und Anderes, was gelegentlich zu einem Geschenk für untergeordnete Personen taugte. Und als dann zusammengerechnet wurde, machte der Betrag an die fünfzig Mark.

»Himmelsakra!« rief der Krikelanton. »Das ist halt ein Geschäft! So eins hab ich halt gar noch nimmer gemacht. Wann das all Tag so wär, so fragt ich den Herrgottl, was der Montag bis zum Sonnabend kost, und den Sonntag müßt er mir dreingeben; sodann wär die Welt mein Eigenthum, und ich - - -«

»Nun, was würdest Du da machen?« lächelte der Baron.

»Ich gäb Alls dem Vatern und der Muttern, denn das ist halt meine größte Freuden, wann auch die sich über was gefreun können.«

»Das ist brav von Dir, und ich meine - - -«

Er konnte nicht sagen, was er meinte, denn es klopfte an die Thür, und zwar so stark und kräftig, wie der Baron es wohl nicht gewohnt war.

»Herein!« sagte er, indem er die Brauen zusammenzog und ganz so aussah, als ob der unhöfliche Klopfer sich auf eine bedeutende Rüge gefaßt machen könne.

Aber sein Gesicht heiterte sich sofort auf, als er einen Blick auf den Eintretenden warf.

Dieser war ein sehr langer und pfahldürrer Kerl, hager zum Zerbrechen und mit einer Nase, welche eigentlich bestimmt gewesen schien, als Zeiger einer Sonnenuhr zu dienen. Sein Anzug war ein sonderbarer.

Er trug lange Stiefeln, von deren oberen Rand breite, bunte Schleifen herabhingen. In den Schäften dieser Stiefel steckte eine kurze Hose, deren rechte Hälfte roth, die Linke aber gelb aussah. Die Weste war grasgrün, und der Frack, dessen Schöße bis an den Boden reichten, war, ganz entgegengesetzt der Hose, rechts gelb und links roth. Zwei Vatermörder stachen aus einem himmelblauen Halstuche hervor. In der linken Hand hielt der Mann einen riesigen Regenschirm mit einem karmoisinfarbenen Ueberzug und in der rechten einen Dreispitz mit einem gelben Federbusch. An der Brust, dem Gürtel, den Achseln und Ellbogen waren bunte Bänder und Schleifen befestigt.

Das Allerbeste an dem Manne aber war unbedingt sein Gesicht. Etwas Dümmeres konnte es nicht geben. Die reichste Phantasie eines Malers hätte es nicht vermocht, dümmere Züge auf das Papier zu bringen, als diejenigen waren, welche dieser Mann hatte. Und zwar sah man auf dem ersten Blick, daß er sich nicht etwa verstellte, sondern daß diese Dummheit sein wirkliches, unbestrittenes Eigenthum sei.

Das war der Hochzeitsbitter des Dorfes, von welchem bereits im Walde


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erwähnt worden war, daß man, wenn er gesprochen habe, nicht wisse, ob er zu einer Hochzeit, einer Kindtaufe, einem Begräbnisse oder einem Schweinschlachten eingeladen habe. Er hatte das Amt, welches er bekleidete, wohl aus reiner Ironie, höchstens aus Mitleid erhalten, um sich zuweilen eine Kleinigkeit verdienen zu können, da er zu einem einträglichen und geordneten Geschäft oder Handwerk die Gabe nicht besaß.

Dennoch hielt er sich keineswegs für so albern, wie er war. Er meinte, ein verkanntes und verfolgtes Genie zu sein. Seine größte Leidenschaft war es, eine Rede zu halten, und das war ein Unglück für ihn und eine ewige Quelle der Heiterkeit für Diejenigen, welche ihm zuhörten.

Als er die Thür hinter sich zugezogen hatte, trat er drei kleine, zierliche Tanzmeisterschritte vor, verbeugte sich mit der Grandezza des vorigen Jahrhunderts, schwenkte Hut und Regenschirm leise einmal hin und her und fragte:

"Hab ich die Ehr?"

»Hab ich die Ehr, meine Herrschaften?«

»Welche Ehre meinen Sie?« fragte der Baron.

»Die große Ehr.«

»Nur weiter! Welche?«

»Sie zu sehen?«

»Ja, diese Ehre haben Sie.«

»Nämlich den Herrn Baron zu sehn?«

»Gewiß.«

»Ich mein halt den Herrn Baron von Stauffen?«

»Der bin ich.«

»Mit den zwei lieblichen Kindern der Schönheit?«

Er machte jeder der jungen Damen eine Verbeugung, wie er übrigens bei jeder Frage eine solche gemacht hatte.

»Diese Damen sind meine Töchter.«

»Die natürlichen aber!«

Der Baron blickte fast zornig auf, machte aber sofort wieder ein lächelndes Gesicht, als er das Schafsgesicht des Mannes sah.

»Ja, meine natürlichen Töchter.«

»Freut mich! Sie wohnen hier?«

»Wie Sie sehen.«

»Schön! Weil Sie hier wohnen, komme ich hierher.«

»Sehr angenehm.«

»Im Auftrage des Müllers.«

»Ah!«

»Ja! Sie sind zwar heut erst eingezogen, aber doch ist es seine Pflicht, Sie mit einzuladen, da Sie eben bei ihm wohnen.«

»Einladen? Wozu?«

»Warten Sie! Das geht nicht so rasch, wie Sie denken. Das will richtig oratorisch und rhetorisch behandelt sein.«

»Gut! Thun Sie das!«

Der Baron lehnte sich an den Tisch und kreuzte erwartungsvoll die Arme


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über die Brust. Seine Töchter standen neben ihm und der Krikelanton saß auf dem Stuhle, von welchem aufzustehen er wegen dieses Mannes sich nicht verpflichtet hielt. Die Bänder und Schleifen am Anzuge des Hochzeitsbitters ließen ahnen, weshalb er gekommen sei.

Er lehnte den Regenschirm in die Ecke, zog ein roth- und blaugewürfeltes Taschentuch aus dem langen Frackschooß - es hatte beinahe die Größe eines Tischtuches - trocknete sich damit die Stirn, schwenkte den Hut, hustete, räusperte sich, schlug die Augen andachtsvoll auf, hustete wieder - - -

»Himmelsakra!« rief der Anton. »Mach jetzt, daßt anfangst, sonst klopf ich Dir aufs Gesäß, dann wirds schon kommen!«

Der Bunte warf ihm einen vernichtenden Blick zu, verbeugte sich vor den Andern und sagte:

»O anta sombolia! Verzeihn Sie ihm halt! Er weiß nicht, was er thut. Schon der Dichter sagt: Es liebt die Welt, das Niedrige zu schwärzen und das Gemeinste in den Staub zu fliehn oder ziehn oder blühn oder grün. Jetzt kann ich nun seinetwegen wieder von vorn anfangen. Also, passens halt auf!«

Er strich sich wieder mit dem gewürfelten Riesentuche über die Stirn, hustete, räusperte sich, schwenkte den Hut, verbeugte sich tief und begann:

»Damals, als der Vater Abraham mit dem Apostel Paulus in Paris zusammentroffen ist und der Apostel hat noch nicht heirathet gehabt, hat der Erzvater Abraham zu ihm sagt: Es ist nicht gut, daß zwei Menschen allein seien; ich geb Dir eine Frauen und Du giebst mir eine; nachhero ist uns allen Beiden geholfen.«

Er wischte sich die Stirn ab und fuhr fort:

»>Da hat der Apostel Paulus die Sarah genommen, und der Vater Abraham hat die Judith geheirath, nicht auf dem Standesamt, wies jetzund Mod ist, sondern in der Kirchen allein, wie sichs schickt und gehört und wies auch schon allbereits damals war. Und nachhero drei Jahr später, als der Kaiser Rothbart in Bethlehem den Kindermord hat tödten lassen, ist eins davon ins Wasser fallen und der Moses hats heraus zogen und gerettet; darum ist die Wassertaufen eingerichtet worden bei den Kindern Israel, alsgleich der Pharao nicht hat dulden wollen. Aber grad ihm zum Trotz taufen wir noch heut zu Tags die Jungs und die Mäderls, damit die Hebamm Etwas verdienen kann und ich auch.

Er trocknete sich wieder den Schweiß ab.

»Kannst Deine Sache sehr fein!« lachte der Anton.

Der Bunte zuckte mitleidig die Achsel und sagte:

»>Kinder und Narren reden die Wahrheit. Das hat schon allbereits der erste Napolium gesagt. Jetzt nun weiter! Und nachher, als einst der Hiob nach Rom kommen ist und der arme Lazarus storben war, da trat er an den Eingang der Gruft und spuckte dreimal aus und rief hinunter: >Perlikkum, perlokkum; komm heraus!< Nachher kam der arme Lazarus wieder heraus und war lebendig und hat noch lange gelebt, und von ihm stammen noch ab die


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Kananiter, die Moabiter, die Ammoniter, die Hethiter, die Raubritter und auch wir Leichenbitter, Alles, was hinten hinaus mit >iter< zu Ende geht. Darum wird von jener Zeit das Begräbniß eines jeden Menschen mit einer Festlichkeit begangen, Kuchen, Schnaps, Glockengeläut, Leichenred und Enterbungsprozeß.«

Der Baron wußte nicht, was er aus diesem Manne machen solle. Er hatte noch nichts von ihm gehört. Verrückt konnte der Kerl doch nicht sein! In Wahrheit hatte er bereits drei Einleitungen gebracht, zu einer Hochzehs-, Kindtaufs- und Leichenfestlichkeit. Und jetzt brachte er die vierte, nachdem er sich die Stirn abermals getrocknet hatte:

»>Und wann nachher der Mann geheirathet hat und die Kinder allzusammen getauft worden sind und Keiner mehr sterben thut, nachhero kommt der Herbst, wos nothwendig wird, für den Winter zu sorgen, wo draußen nix mehr wächst und Alles derfrieren thut. Darum wird nachhero die Sau aus dem Stall gezogen und todt geschlagen, Salz dazu und Salpeter, daß hübsch roth wird, Pfeffer, Majoran und Thymian hinein, auch Zwiebeln oder Knoblauchen, drei Mark Schlachtsteuer, und die Sach ist fertig, das schönst Familienfest im ganzen Jahr.«<

Jetzt endlich hatte er auch diese Einleitung herunter. Nun konnte er auf des Pudels Kern kommen. Er schwenkte also den Hut, wehte mit dem Schnupftuch, verbeugte sich und begann wieder:

»So auch der Thalmüller!«

Er sagte das mit außerordentlichem Nachdruck und nickte dazu.

»Ah! Jetzt endlich kommts!« meinte der Anton.

»Was?« fragte der Bunte in strengem Tone.

»Nun, die Hauptsachen.«

»Was weißt denn davon?«

»Nix. Ich werds aber nun hören.«

»Du brauchst gar nix zu hören. Dich kenn ich nicht; Dich hab ich halt noch nimmer gesehn, und zu Dir bin ich ja auch gar nicht gesandt. Halt also Dein Maul und schweig still, sonst geb ich Dir Eins drauf. Oder bist etwan ein Schnupfer?«

»Warum?«

»So hätt ich Dich um ein Priesen beten. Die Nas ist mir trocken worden von der Red, die ich halten hab.«

»Steck sie in die Wurst, von der Du jetzund eben sprochen hast, die wird Deine Nasen couriren. Ein Schnupfer bin ich nicht.«

»So brauchst überhaupt gar nimmer hier zu bleiben und meine schöne Reden mit anzuhören. Von Deinetwegen hab ich sie mir nicht vom Schneidern einstudiren lassen!«

Jetzt wurde es offenkundig. Der lustige Schneider hatte ihm eine Rede einstudirt, in welcher eben Alles vorkam. Der Baron wußte, woran er war und wen er vor sich hatte. Er nickte dem Manne ermunternd zu und sagte:

»Bitte, fahren Sie fort!«

»Ja, das ist ein Wort! Das laß ich mir schon gefalln. Wenn man


Ende der achten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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