Der Weg zum Glück - Teil 88

Lieferung 88

Karl May

31. März 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Nicht wahr! Das hab ich wußt.«

»Sie können ihn also zur Strafe ziehen.«

»Das werd ich thun, wann er nicht aufhört.«

Sie griff in die Tasche, um ihm ein Geldgeschenk zu machen; er aber wies es zurück und entfernte sich.

Auch der Förster ging, um den Seinigen mitzutheilen, daß sein Geld glücklich gerettet sei.

Von da an verlief der Tag in der altgewohnten, ruhigen Weise. Die beiden einlogirten Herren gingen spazieren. Fritz versorgte seine Arbeit, und der Sepp war nicht zu sehen. Er lag hinter einem Busch auf der halben Bergeshöhe, von wo aus er den Kronenhof übersehen konnte. Er hatte sich vorgenommen, genau aufzupassen, ob der Bastian denselben verlassen werde.

Sepp bearbeitet zwei Kürbisse.

Dabei gab er sich einer eigenthümlichen Beschäftigung hin. Er hatte nämlich zwei Kürbisse, welche er eifrig mit dem Messer bearbeitete, um sie in eine kopfähnliche Form zu bringen. Dieser Versuch schien ihm auch wirklich recht gut zu gelingen.

So wurde es Abend. Das Tagewerk war vollbracht und auf dem Kronenhofe saßen Herrschaft und Dienstboten beim Nachtmahle. Nur der Sepp fehlte. Das fiel aber Niemand auf, auch der Bäuerin nicht, da er sich selten an die Ordnung des Hauses, in welchem er sich zufälligerweise aufhielt, gebunden fühlte.

Er stand allein zwischen Dorf und Hof an der Straße und lauschte nach der Richtung des Dorfes hin. Da hörte er Schritte. Mehrere Leute kamen. Das war zu hören. Als sie nahe waren, erkannte er Uniformen und trat ihnen entgegen.

»Gut, daß Sie pünktlich kommen!« sagte er. »Drin im Hof wird gessen. Ich werd Sie führen.«

Es waren zehn Gensdarmen. Sie wurden von Demjenigen angeführt, welcher heut am Nachmittage hier gewesen war.

»Weißt Du auch gewiß, daß wir nicht bemerkt werden, Sepp?« fragte er.

»Ganz sicher! Soeben erst hab ich wieder nachschaut und will auch nochmal voranlaufen. Kommens langsam nach!«

Er eilte fort. Als sie am Hofe anlangten, stand er wartend da und meldete:

»Sie sind noch Alle beisammen. Nicht wahr, Sie theilen sich?«

»Ja. Fünf werden die Bäuerin fassen, dabei bin ich, und die anderen Fünf sollen sich so verstecken, daß sie den Bastian bei offener That fassen können.«

»Habens Laternen mit? Ich kann hier keine verschaffen, ohne daß es auffallen thät.«

»Wir haben alles Nöthige mit.«

»So gehen Sie mit Ihren vier Leuten nur getrost in das neue Gebäude. Wanns die Treppe hinaufkommen und anklopfen, wird dera Herr Ludwigen aufimachen; er wartet schon. Und die anderen Fünf werd ich durch das Thor führen.«

»Aber daß ihnen kein Mensch begegnet!«


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»Das ist nicht möglich. Kommens nur, Ihr Herren!«

Er ging ihnen voran in den Hof, am Stalle vorüber und die Treppe hinauf, welche nach Fritzens Kammer führte. Wenn man an der Thür der Letzteren vorüber ging, so gelangte man in eine alte Rumpelkammer, in welche fast während des ganzen Jahres kein Mensch kam. Dorthin versteckten sich die Polizisten in der Dunkelheit.

»Wartens, ich werd aufischließen,« sagte er. »Ich hab mir den Schlüssel vom Fritz geben lassen und auch das Schloß eingeölt, damit es nicht schreit. Da machens von innen zu, damit kein Mensch hinein und Sie sehen kann. Nachhero werd ich schon kommen und Ihnen sagen, wanns losgehen wird und wann Sie ihre Laternen anbrennen können. Verhaltens sich nur still!«

»Der Kerl wird Ihnen doch keinen Schaden thun können?« fragte Einer.

»O nein! Wir bleiben gar nicht in dera Kammer.«

»Ach so! Aber da findet er Sie doch nicht.«

»Er findet uns schon, wenigstens wird er es denken. Wir machen zwei Puppen mit Kürbisköpfen; die legen wir hinein. Licht hat er sicherlich nicht mit, und der Mond läßt nur so viel Helligkeiten durch das Fenster, daß dera Bastian die Puppen für uns halten wird. Sobald er in die Kammer ist, schleichens hin, und wann er die Kürbissen dermordet hat, da nehmens ihn fest. Dann hat er keine Ausred, und es ist bewiesen, daß er wirklich hat morden wollt.«

Nun ging er und stellte sich wieder auf die Lauer. Nach kurzer Zeit sah er den Bastian aus dem noch offenen Thore kommen und verstohlen nach dem Dorfe gehen. Er zog seine schweren Schuhe aus und folgte ihm. Da konnte er sich sehr bald überzeugen, daß er sich nicht geirrt hatte. Der Knecht stahl sich in die offene Schmiede.

Nun kehrte der Sepp zurück und wartete wieder in der Nähe des Gutes, bis der Bastian zurückkehrte. Er hatte sich in den Straßengraben gelegt und sah, daß der hart an ihm Vorübergehende ein Beil in der Hand trug. Ihm wieder folgend, überzeugte er sich, daß der Knecht das Mordwerkzeug in die Bohnen versteckte und dann über den Zaun ins Freie sprang. Jedenfalls wollte er nun die beiden Samielsanzüge herbeiholen.

Jetzt begab sich der Alte nach der Kammer Fritzens. Dieser saß seiner wartend da.

»Nun, wie ists gangen?« fragte der Letztere.

»Alles in Ordnung. Er ist eben fort, um die Anzüg zu holen. Wo befindet sich die Bäuerin?«

»Die hat sagt, sie hätt Kopfschmerzen und ist zu Bett gangen.«

»Heuchlerin! Der Bastian hat aus dera Schmiede das Beil holt und im Bohnenbeet versteckt, damit will er uns kalt machen.«

»Wollen wir die Puppen schon hineinlegen?«

»Noch nicht. Erst legen wir uns hinein.«

»Was? Wozu?«

»Nun, heut kannst versichert sein, daß dera Bastian vorher kommen wird, um nachzuschauen, ob wir auch wirklich zu Bett sind. Also komm!«


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Sie legten sich gleich in den Kleidern nieder und ließen die Thür unverschlossen. Es verging über eine halbe Stunde, da stellte es sich heraus, daß der Alte ganz richtig vermuthet habe. Ein lauter Schritt kam zur Treppe herauf und dann klopfte es draußen an die Thür.

»Sepp!« rief es.

Sie erkannten die Stimme des Bastian.

»Was?« fragte der Alte.

Da machte der Knecht die Thür ein Stück auf, natürlich um sich zu überzeugen, ob sie verschlossen sei oder nicht.

»Ist dera Fritz auch da?«

»Ja.«

»Schläft er?«

»Nein. Was willst?« antwortete Fritz.

»Die Bäuerin schickt mich noch. Sie will in der Früh nach dera Kreisstadt fahren, und Du sollst anspannen.«

»Welche Zeit?«

»Vier Uhr.«

»Sapperment! So zeitig! Da kann ich nur schnell schlafen. Ich hab noch nicht ausschlafen von gestern.«

»Glaubs!« bemerkte der Bastian höhnisch.

»Am End verschlaf ichs gar!«

»Soll ich Dich etwa wecken?«

»Ja, wannst aufiwachst.«

»So riegel aber nicht zu, damit ich herein kann, um Dich aus dem Bett zu ziehen, wannst etwan schlaftrunken bist.«

»Gut! Die Thür bleibt auf.«

»So schlaf wohl!«

»Gute Nacht! Bist ja heut recht höflich!«

»Weil man bei den jetzigen Zeitläuften gar nicht wissen kann, wie oft man noch eine gute Nacht wünschen darf.«

Er ging.

»Verfluchter Kerl!« flüsterte Fritz. »Welch ein Hohn auch noch!«

Der Sepp sagte gar nichts. Er sprang aus dem Bett und huschte barfuß hinaus und zur Treppe hinab. Es dauerte eine ziemliche Weile, ehe er wiederkam. Da meldete er:

»Jetzt ist der Bastian bei dera Bäuerin.«

»Durch die Thür?«

»Nein, durchs Fenster. Sie hat ihm die Strickleiter herunter lassen.«

»Sie werden sich besprechen.«

»Ja. Und er hat ihr den Anzug mit heraufibracht. Nun wollen wir die Puppen hereinlegen. Komm!«

Die aus Stroh gedrehten Figuren lagen unter dem Bette. Sie wurden in dasselbe gelegt und die Köpfe daran befestigt. Dann deckte der Sepp sie recht hübsch zu.


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»So!« lachte er. »Die haben am Längsten gelebt. Das schaut wirklich ganz so aus, als ob wir Beid recht hübsch mit nander schlafen thäten.«

»Ja. Der eine Kürbis hat noch die dunkle Schale auf dem Kopfe; das bin ich, weil ich schwarzes Haar hab. Den anderen hast abgeschält; das bist Du mit dem grauen Kopf. Aberst wann er nun herfühlen thut, da merkt er sofort die Täuschung.«

»Er wird sich hüten, uns erst so gemüthlich zu betasten, bevor er uns derschlägt. Nein. Der kommt herein, schaut die beiden Köpfe an, hält sie für die unserigen und haut zu. So wird es sein. Nun komm! Du mußt den Bauer holen. Aberst nimm Dich in Acht, daß sie es nicht bemerkt!«

Sie gingen. Bevor sie aber die Treppe hinabstiegen, ging der Sepp nach der Rumpelkammer, klopfte an und nannte seinen Namen. Die Gensdarmen machten auf.

»Jetzt gehn wir fort,« sagte er. »Habt Ihrs hört, was dera Kerl vorhin wollte?«

»Ja, der Fritz soll anspannen.«

»O, das war nur zum Schein. Er wollt sehen, ob wir da sind und sich auch versichern, daß wir die Thür offen lassen. Also jetzt gehen wir fort. Wer nun kommt, der ist dera Mörder; den nehmt fest. Es kann zwar wohl noch ein Stündchen dauern oder auch noch länger; aberst es ist besser, daß Ihr schon jetzt die Laternen anbrennt, damit Ihr sie bereit habt. Aber laßt das Licht nicht zu früh sehen.«

Er ging zu Fritz, welcher unten an der Treppe stand. Dort schieden sie für wenige Minuten von einander. Der Sepp ging zum König, und Fritz suchte den Bauer auf, zu welchem Zwecke er sich ein Küchenfenster fürsorglicher Weise von innen aufgewirbelt hatte, um einsteigen und so in das Haus kommen zu können.

Wie der Sepp ganz richtig gesehen hatte, war der Bastian zur Bäuerin gegangen. Sie hatte ihm die Strickleiter herunter gelassen, und er stieg hinauf, um ihr den Anzug zu bringen.

»Darf ich nicht mit hinein?« fragte er, außen am Fenster hangend.

»Komm und mach rasch! Aber stoß nicht an das Fenster, sonst klirrt es!«

Er sprang hinein. Es war dunkel drin, und er drückte sie mit beiden Armen fast übermäßig fest an sich.

»Kätherl!« flüsterte er. »Heut leben unsere Feinde noch; morgen aberst sind sie todt. Dann muß nur noch dera Bauer sterben; nachhero bist mein.«

»Ja, dann bin ich Dein; aber zerdrück mich nur nicht. Wir haben noch Zeit. Es ist noch nicht Mitternacht. Zwischen Zwölf und Eins schläft man am Festesten. Hast Alles besorgt?«

»Ja, es fehlt an nix. Auch das Beil ist da.«

»Woher?«

»Aus dera Schmiede.«

»Das hast klug macht. Ueberhaupt haben wir unsere Sach so geschickt eingerichtet, daß sie gut gelingen muß. Wir haben seit Mittag kein Wörtle


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mit nander sprochen, darum weißt auch noch nicht, was dera Schangdarm wollt hat.«

»Als ich ihn sah, hab ich fast Angst bekommen.«

»Ich auch; aberst wir können uns im Gegentheil freuen über das, was er wollt hat. Das könntest niemals errathen, Bastian!«

»So? Was ists denn?«

»Denk Dir nur! Sie haben heut Vormittags den Samiel arretirt.«

»Wa-a-a-as! Wen denn?«

»Einen Thierhändler.«

»O, das ist herrlich! Das ist gut für uns! Dem werden sie Alles aufiladen.«

»Hm! Nur bis morgen; denn wann es morgen heißt, daß dera Samiel bei uns einstiegen ist und den Herrn Ludwigen beraubt und die beiden Andern dermordet hat, so kommts ja heraus, daß sie den Falschen arretirt haben.«

»Wie kommts denn, daß er einsteckt worden ist? Er ist unschuldig!«

Sie erzählte es ihm, und längere Zeit hatten sie ihren Spaß darüber. Dann aber trat ihr gegenwärtiges Vorhaben mit seinen ernsten Forderungen an sie heran. Sie besprachen Alles noch einmal genau, besonders, daß Bastian eher anfangen und auch eher fertig sein müsse als sie, weil er ja im Garten zu warten hatte, um ihren Anzug in Empfang zu nehmen. Dann trennten sie sich, nachdem sie nochmals sehr zärtlich mit ihm gewesen war, um ihm Muth zur Ausführung seines Vorhabens zu machen.

Sie kroch durch den Schrank, um sich in dem geheimen Cabinette anzuziehen. Sie steckte auch die beiden Doppelpistolen zu sich. Vier Schüsse! Damit konnte sie sich jedenfalls Luft schaffen, wenn Etwas schief gehen sollte.

Nun wartete sie noch eine Weile und trat dann in die Ecke, in welcher der Ofen stand.

Man konnte von dieser Seite eine Kachel fortnehmen und durch die so entstandene Oeffnung in die Schlafstube des Herrn Ludwig sehen. Sie entfernte die Kachel vorsichtig, so daß kein Geräusch entstand, und sah, daß kein Licht brannte. Als sie horchte, hörte sie die regelmäßigen, tiefen Athemzüge eines Schlafenden.

Um zu probiren, wie tief sein Schlaf sei, hustete sie halblaut. Selbst wenn er es hörte, war das nicht gefährlich. Sie konnte ja weder gesehen noch irgendwie anders entdeckt werden, wenn sie die Kachel wieder an ihre Stelle brachte.

Nicht das mindeste Geräusch antwortete auf ihr Husten. Der Schläfer athmete ruhig weiter. Sein Schlaf war also sehr gesund und tief. Sie hatte nichts zu befürchten. Darum griff sie nach der Mechanik und schob den Ofen in das Schlafzimmer hinein. Durch die so entstandene Oeffnung trat sie ein und schob dann den Ofen wieder zurück.

Jetzt blieb sie abermals lauschend stehen. Dann, als Nichts sich regte, huschte sie an das Bett. Sie beugte sich über den Schlafenden. Sie konnte


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seinen Kopf ziemlich deutlich erkennen. Er lag mit dem Gesicht gegen die Wand gerichtet.

Vor dem Bette stand der Schlaftisch. Auf demselben tikte die kostbare Uhr. Die abgezogenen Ringe und andere Kostbarkeiten lagen da. Sie steckte das Alles schnell zu sich. Dann nahm sie sogar die Hose vom Stuhle, um zu untersuchen, was sich in den Taschen derselben befinde. Sie fand ein gut gefülltes Portemonnaie und steckte es auch ein.

Jetzt war sie hier fertig. Nun mußte sie den Schläfer wecken, um sich ihm zu zeigen, damit er morgen sagen könne, daß der Samiel ihn beraubt habe.

Da aber zu erwarten war, daß er sofort Lärm machen werde, mußte sie auf eine schleunige, ungehinderte Flucht bedacht sein. Dazu war es nöthig, daß sie sich vorher alle Thüren öffnete, um sie während der Flucht schnell hinter sich zu verschließen. Das wollte sie jetzt thun.

Sie wendete sich also zur Thür, welche aus dem Schlaf- in das Wohnzimmer führte und öffnete dieselbe, nicht langsam, sondern schnell und energisch, indem man sie dabei fest in die Angeln drückt, so geht selbst eine schlecht geölte Thür leise auf.

Also das that sie. Sie zog die Thür mit einem kräftigen Rucke auf und - - stieß einen lauten Schrei aus. Das Zimmer war erleuchtet. In Mitten desselben, auf einem Polsterstuhle, saß eine einzige Person - ihr Mann, der Bauer, die jetzt unverbundenen, scheinbar lichtlosen Augen starr auf sie gerichtet.

Warum hatte sie geschrieen? Der Blinde konnte ihr doch nichts schaden, da er sie nicht zu sehen vermochte. Sie brauchte sich nur an ihm vorüber zu schleichen. Also gefährlich war er ihr gar nicht. Ganz einfach nur die Ueberraschung hatte ihr den Schrei entrissen. Was hatte ihr Mann hier zu suchen, während der Bewohner des Gemaches schlafend im Bette lag? Das konnte sie sich nicht erklären.

Sie nahm an, daß ihr Mann sie nicht gesehen habe; aber gehört hatte er sie, denn er erhob sich langsam vom Stuhle, hielt den Blick noch starr auf sie gerichtet und fragte ernst:

»Was willst dahier?«

Was willst dahier?

Sie fragte sich, ob es besser sei, sich von dem Schläfer auch noch sehen zu lassen oder lieber gleich flüchtig an ihrem Manne vorüber zu huschen. Sie wählte das Letztere, denn es war besser, der Gefahr schnell zu entgehen, als dieselbe herauszufordern.

Sie antwortete also gar nicht auf die an sie gerichtete Frage und ging leisen Schrittes nach der Thür, welche nach dem Vorzimmer führte. Dabei blickte sie nicht von ihrem Manne weg, und, eigenthümlich, auch er drehte sich so, wie sie ging, und wendete den Blick nicht von ihr, grad, als ob er sie sehen könne.

Jetzt hatte sie die Thür erreicht und wollte sie aufmachen.

»Gieb Dir keine Mühe, Samiel!« sagte der Bauer. »Die Thür ist von außen verschlossen. Du kannst nicht hinaus.«


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Sie erschrak. Was war zu thun? Sprechen durfte sie trotz der Maske nicht, denn ihre Stimme konnte erkannt werden. Der einzige Weg zur Rettung war jetzt der durch den Ofen zurück. Verrathen war da doch nichts, denn der Blinde konnte ja nicht sehen. Sie eilte also nach der Schlafstubenthür zurück und - erstarrte fast vor Schreck, denn da trat Fritz, der Knecht unter die Thür.

»Wo willst hin, Samiel?« fragte er. »Hier kannst auch nicht durch!«

Das Entsetzen raubte ihr die Sprache. Also Fritz, welchen sie jetzt schon todt meinte, stand vor ihr! Grad Derjenige, welcher Alles wußte.

Aber wenn Alles fehlschlug, so war er der Sohn ihres Mannes. Selbst wenn ihr die Flucht nicht gelang, konnte er sie nicht dem Strafgericht übergeben. Und vorher hatte sie ja ihre Pistolen.

Dieser letztere Gedanke gab ihr die Fassung zurück. Sie riß die eine Pistole aus der Tasche und rief mit dumpfer, verstellter Stimme:

»Zurück, Unglücklicher!«

Es war ihr Ernst, ihn niederzuschießen. Wenn er todt war, konnte er nichts verrathen, und ihr Mann war ja blind. Aber Fritz war schneller als sie. Er entriß ihr die Waffe, warf sie fort und sagte:

»Unsinn! Ein Weibsbild hat kein Geschick zum Schießen! Mach Dich nicht lächerlich!«

Da zog sie die zweite Pistole, aber dieser erging es nicht anders als der ersteren, auch sie wurde fortgeschleudert.

Und da legte sich eine Hand auf ihre Achsel. Ihr Mann war hinter ihr herangekommen und erklärte drohend:

»Samiel, Du bist unser Gefangener!«

Sie wendete sich um zu ihm. Seine Augen glühten ihr voller Haß entgegen. Waren das blinde Augen? Konnten diese Augen nichts mehr sehen?

Da ging es wie ein Blitz durch ihr Hirn. Der Arzt hatte ihn operirt; die Operation war gelungen, er konnte sehen. Das überwältigte sie so, daß sie fast zusammensank. Aber sie raffte sich zusammen, zeigte nach der vorderen Thür und gebot, noch immer mit verstellter Stimme:

»Macht auf! Ich will fort!«

»Nachdem Du mich bestohlen hast?« lachte Fritz. »Du hältst mich für einen sehr dummen Kerl!«

»Dich!« rief sie.

»Ja, ich wars, der im Bette lag. Dera Herr Ludwig hat keine Lust habt, sich von Dir besuchen zu lassen. Thu nur die Larve herab. Wir kennen Dich längst!«

Er faßte sie mit der linken Hand ohne alle Rücksicht kräftig bei der Gurgel, schlug ihr mit der Rechten den Hut herab und riß ihr dann die Maske vom Gesicht. Sie mußte erfahren, daß selbst das kräftigste Weib einem Manne nicht gewachsen ist.

Als nun ihr Gesicht nicht mehr verhüllt war, hätte man denken sollen, daß eine große Scham sie überkommen müsse; aber dem war nicht so. Sie


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ballte vielmehr die Fäuste, drang auf Fritz ein, faßte ihn bei der Brust und schrie:

»Hund! Verräther! Was hast hier zu thun! Fort mit Dir ins Bett! Was ich in meinem Haus mach, das geht Dich nix und gar nix an!«

»In Deinem Hause?« fragte da der Bauer. »Welcher Stein dieses Hauses gehört Dir? Du bist als Bettlerin zu mir gekommen und wirst noch viel ärmer von mir gehen. Die Liebe hat Dich bei mir aufgenommen, aber die Rache wird Dich von mir entfernen. Die Schande, welche Du auf mein Haupt geladen hast, werden mir die Menschen vergeben, denn ich habe sie im Voraus abgebüßt. Dein Schicksal aber wird sein - -«

»Was wird mein Schicksal sein?« rief sie, ihn unterbrechend. »Nehmt erst Euer Schicksal hin - den Tod!«

Sie schnellte sich zwischen den Beiden hindurch, riß die eine der Pistolen von der Diele auf, spannte blitzschnell die beiden Hähne und drückte erst auf ihren Mann und dann auch auf Fritz ab.

Die beiden Schüsse krachten.

Sie hatte ganz genau nach den Köpfen gezielt. Die beiden Männer standen ihr so nahe, daß sie treffen mußte. Sie erwartete, daß sie umsinken würden. Statt dessen aber lachte Fritz:

»Spiel nicht mit dera Schlüsselbüchsen, Bäuerin. Dazu bist zu dumm und kannst nur Dir selbst schaden.«

Ohne zu bemerken, daß die beiden Männer sich gar keine Mühe gaben, sie daran zu hindern, hob sie auch die zweite Pistole auf und spannte die Hähne.

»Schieß nicht!« sagte Fritz. »Es hilft Dir doch nix. Da schau mal hin!«

Er deutete nach der Thür.

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Unterdessen hatte auch der Bastian sich an die Lösung seiner schrecklichen Aufgabe gemacht. Er war in den Garten gegangen, hatte dort den Anzug angelegt und die Maske vorgebunden, dann das Beil ergriffen und sich nach der zu Fritzens Kammer führenden Treppe geschlichen.

Er stieg sie möglichst leise hinauf; aber eine der hölzernen Stufen knarrte doch.

»Hört Ihr es?« flüsterte droben einer der Gensdarmen. »Es knarrte eine Stufe. Ich glaube, er kommt.«

Die Beamten lauschten. Sie hörten deutlich, daß Jemand leise geschlichen kam. Dann kreischte die Kammerthür kaum hörbar.

»Sepp!« wurde halblaut gerufen.

»Ah! Der Kerl geht sicher. Er will sich zuvor überzeugen, daß sie fest schlafen.«

»Fritz!« rief er wieder.

Natürlich kam keine Antwort. Darum trat er ein, die Thür hinter sich weit offen lassend.


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»Kommt!« commandirte der Gensdarm. »Zwei leuchten und Drei werfen sich auf ihn!«

Der Bastian huschte, das Beil in der Hand, an das Bett. Dort bückte er sich nieder. Er sah die Köpfe, einen scheinbar mit weißen und den anderen mit schwarzen Haaren. Der Letztere, Fritz war es, den er am Meisten haßte.

»Den nehme ich eher!« flüsterte er.

Er erhob das Beil, holte aus und der Hieb sauste nieder. Er hörte und fühlte, daß der Kopf zerschmettert sei. Sofort führte er den zweiten, ebenso kräftigen Hieb gegen den anderen Kopf. Auch dieser war vollständig zerschmettert.

»Gott sei Dank! Die sind dahin!« sagte er laut. »Nun könnens uns anzeigen! Das Beil laß ich hier!«

»Nein, das nimmst Du hübsch!« erklang es hinter ihm.

Er fuhr herum. Er sah nichts; aber dann wurde es plötzlich Licht um ihn her. Er sah Uniformknöpfe schimmern. Starke Arme erfaßten ihn, und ehe er nur Widerstand zu leisten vermochte, war er mit eisernen Schellen und Ketten gefesselt.

Jetzt erst kam ihm die Sprache.

»Was - was - was -« fragte er lallend, wie Einer, den der Schlag getroffen hat, wobei die Sprachwerkzeuge in Mitleidenschaft gezogen sind.

»Was meinst Du, Kerl?« fuhr ihn einer der Polizisten an.

»Was - was - was wollt Ihr von mir?«

»Das fragst Du auch noch?«

»Was - was - was -«

Er brachte nichts Anderes hervor und starrte ganz wirr und fassungslos um sich.

»Schön, schön!« meinte lachend der Beamte. »Ich verstehe Dich! Du bist ein verflucht geistesgegenwärtiger Kerl. Du hast augenblicklich eingesehen, daß es nur eine einzige Rettung für Dich giebt, nämlich die, daß Du den Blödsinnigen spielst. Versuche es immerhin! Du wirst bald merken, daß man Dir in die Karten guckt. Vorwärts mit Dir! Diese Kammer wird verschlossen und so gelassen, wie sie ist.«

Er wurde abgeführt, hinüber in das neue Nebengebäude. Der Flur desselben war erleuchtet, die Treppe ebenso. Oben mit dem Gefangenen angekommen, klopften sie an und traten in die Vorstube.

Dort standen ihre fünf Collegen lauschend an der nach der Wohnstube führenden Thür. Der alte Sepp befand sich bei ihnen.

Der Anführer kam herbei, ließ sich flüsternd einen kurzen Bericht erstatten und winkte dann, den Gefangenen in die Nähe der Thür zu stellen.

Das Gesicht desselben war ganz dasjenige eines vollständig Blöd- und Stumpfsinnigen. Aber wenn man genauer hingesehen hätte, so wäre zu erkennen gewesen, daß er mit wahrer Herzensangst nach der Thür horchte, hinter welcher man laute Stimmen hörte.

Er wußte das Weib, das er über Alles liebte, dort, um welcher willen


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er Verbrecher geworden war. Hier sah er die Gensdarmen, und nun war es ihm fast gewiß, daß man auch sie gefangen nehmen werde.

Da erdröhnten drinnen die zwei Schüsse.

»Vorwärts, hinein!« gebot der Anführer.

Die Polizisten schlossen schnell auf und drangen in das Zimmer, ihren Gefangenen mit sich hineinzerrend. Die Schüsse hatten zwar Pulverdampf verursacht, aber man konnte trotzdem Alles deutlich erkennen. Soeben deutete Fritz mit der Hand nach der Thür und rief der Bäuerin entgegen:

»Da, schau mal hier!«

Sie ließ die Hand mit der bereits zum Schusse erhobenen Pistole sinken und starrte die zehn Polizisten an. Sie war steif und unbeweglich, wie eine Statue. Der Anführer trat zu ihr und sagte:

»Kronenbäuerin, Sie sind meine Gefangene!«

»Weshalb?« fragte sie, jedenfalls nur ganz mechanisch, ohne alle bedachte Absicht.

»Weil Sie der Samiel sind!«

Da ging ein plötzliches Zucken durch ihren Körper.

»Dera Samiel?« rief sie. »Den wollt Ihr arretiren? Nein, den bekommt Ihr noch lange nicht. Lebendig läßt er sich von Euch nicht anrühren!«

Sie erhob, ehe man sie zu hindern vermochte, die Hand mit der Pistole, hielt sich die Mündung vor den Kopf und schoß beide Läufe zugleich auf sich ab.

Alles eilte herbei - sie war nicht umgestürzt. Die Pistole fallen lassend, schlug sie mit den Armen um sich und stieß einen schrillen, entsetzlichen Schrei aus. Dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und sank stöhnend zu Boden.

»Herrgott!« rief der Bauer. »Was hat sie than! Sie hat sich nicht tödtet, denn dera Fritz hat die Kugeln herausmacht gehabt, sondern sie hat sich nur die Augen zerschossen!«

Sie hörte das. Den Kopf erhebend, fragte sie:

»Was ists? Was sagst? Leb ich, oder bin ich todt? Hab ich nicht zwei Kugeln im Kopf?«

»Nein,« antwortete ihr Mann. »Der Fritz hat die Kugeln heimlich mit dem Krätzer entfernt.«

»Wann?«

»Gestern Nachts, als die Pistolen draußen auf dem Beet im Garten lagen.«

»Das ist nicht wahr. Ich bin todt. Es ist ja finster um mich her; ich sehe nix!«

»Weilst Dir das Pulver in die Augen schossen hast!«

»Das - Pulver - in - die Augen - schossen -« wiederholte sie wie mechanisch, als ob sie sich jedes Wort einzeln überlegen müsse, was es zu bedeuten habe.


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Der Anführer der Gensdarmen bückte sich zu ihr nieder und sah ihr Gesicht an.

»Ja,« erklärte er, »es ist so. Wir brauchen sie nicht zu fesseln; sie wird uns willig folgen müssen.«

Da erklang ein Geheul, wie von einem wilden Thiere. Der Bastian stieß es aus. Er riß sich von Denen, die ihn hielten, mit aller Kraft los und stürzte sich zu den Füßen seiner Herrin nieder.

»Kätherl, mein Kätherl!« schrie er. »Lebst oder lebst nicht? Wach aufi! Ich bin da, dera Bastian, denst so lieb hast. Wach auf, denn ich mag ohne Dich auch nicht leben. Ich will sterben mit Dir!«

Er mußte mit Gewalt von dem Weibe gerissen und in das Vorstübchen geschafft werden. Er schrie und heulte aber immer in einem Athem fort und hörte auch nicht auf, als der König mit dem Geheimrath kam und an ihm vorüberschritt.

Der hohe Herr hatte sich, als sich die Catastrophe vorzubereiten begann, in die Zimmer des Arztes zurückgezogen, um den Ausgang zu erwarten. Als erst die zwei Schüsse fielen und dann die nächsten zwei, welche aber wie einer klangen, konnten sich die Beiden sagen, daß die Entscheidung, die überhaupt gar nicht zweifelhaft sein konnte, jetzt erfolgt sei. Sie begaben sich darum hinüber an den Ort der Arretur. Dort standen alle im Kreise um den weiblichen Samiel. Die Bäuerin war vor Schreck darüber, daß sie nicht todt, sondern blind sei, in Ohnmacht gefallen.

Der Geheimrath übersah mit einem einzigen Blicke das Geschehene; einige Worte reichten hin, ihn zu informiren. Er kniete nieder und untersuchte das Gesicht der Ohnmächtigen. Als er sich erhob, erklärte er:

»Jedenfalls für immer blind!«

Dieses Wort wirkte wie ein Gerichtswort. Es trat eine tiefe Stille ein. Dann sagte der Gensdarmerieführer ergriffen:

»Gott läßt sich nicht spotten. Sie hats gewollt!«

Der Bauer aber faltete die Hände und stöhnte:

»Wanns eine göttliche Gerechtigkeit gäb, so müßt dera Samiel so blind werden wie Du! So hat sie sagt! O mein Herr und mein Gott, sei gnädig und barmherzig mit ihr, so wie ich ihr auch vergeb!«

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Zehntes Capitel.

Herzenskrämpfe.

 
Die in Wien so wohlbekannte Equipage des Grafen Senftenberg rollte, von zwei prachtvollen Goldfüchsen gezogen, über den Kolowrat-Ring am Stadtpark vorüber, durch den Stubenring über die Aspernbrücke, bog dann links in die untere Donaustraße und lenkte rechts in die große Mohrengasse ein, wo sie


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vor einem sehr ansehnlichen Hause hielt, welchem es anzusehen war, daß es nur von feinen, wohlsituirten Leuten bewohnt werde.

In dem Wagen saßen drei junge Herren, welche sich während der Fahrt in einer mehr als lebhaften Unterhaltung befunden hatten. Obgleich es noch nicht die Zeit des Diners war, schienen sie sich doch bereits in eine sehr animirte Stimmung getrunken zu haben. Sie lachten überlaut und machten sich ganz und gar nichts aus dem Lächeln, mit welchem die Passanten ihnen nachblickten.

Nur der Eine von ihnen, der Graf selbst, verrieth die glückliche Gabe, trotz des kleinen Rausches, den er besaß, die Würde seines Standes leidlich zu bewahren. Die beiden Anderen aber waren so ausgelassen, daß er sie öfters durch ein wohlgemeintes »Na, na, pst, pst« in engere Schranken verweisen mußte.

Sie kamen aus einem jener Frühstückslocale, in denen die gut situirte Jugend ihre Guldennoten anlegt, um dafür im Alter ein mehr oder weniger ausgiebiges Podagra einzuheimsen. Dort hatten sie einige Dutzend Austern verzehrt, mehrere Flaschen Sect dazu ausgestochen, dann ein kleines Spielchen gemacht, zu welchem natürlich nur ein schwerer aber 'süffiger' Burgunder getrunken werden konnte, und dann hatte es sich herausgestellt, daß Champagner und Burgunder eigentlich nicht gut harmoniren. Die beiden so verschiedenen Gaben des Bacchus waren in den Köpfen der Zecher mit einander in Conflict gerathen und darüber war den Letzteren der sowohl jungen als auch alten Leuten so wohlstehende Ernst verloren gegangen.

Jetzt nun hielt die Equipage vor jenem Hause der Mohrengasse. Der Diener sprang von dem hinteren Tritte herab und öffnete den Wagenschlag. Er ließ dabei jenes ergeben-pfiffige Gesicht sehen, welches vertraute Domestiken zu zeigen pflegen, wenn sie die Ehre haben, Zeugen einer kleinen, liebenswürdigen Schwachheit ihrer Herren zu sein.

»Hier scheiden wir also, meine Herren,« sagte der Graf. »Steigen Sie mit aus, Baron, oder fahre ich Sie auch nach Ihrer Wohnung?«

Derjenige der beiden Anderen, an welchen die Frage gerichtet war, trug einen sehr eleganten, ja 'feschen' Wiener Anzug nach dem allerneuesten Schnitt und Muster. Die Linke war behandschuht, die Rechte nicht. An den Fingern dieser Letzteren glänzten mehrere Ringe, deren Steine nur ein ganz besonderer Kenner für werthlose Nachbildungen hätte erklären können. Er war, das sah man auf den ersten Blick, ein ausgesprochener Dandy und hatte, wenn auch jetzt nicht, doch gewöhnlich die nachlässige, gelangweilte Haltung jener Flaneurs, welche sich in ihren müssigen Stunden - und jede Stunde ist bei ihnen müssig - auf den eleganteren Straßen herumtreiben und dem Leben keinen besonderen Reiz mehr abgewinnen können, weil sie die liebenswürdigen Seiten desselben bereits im Uebermaße kennen gelernt und genossen haben.

Sein Gesicht war glatt rasirt und stark gepudert, vielleicht um gewisse Spuren, welche eine ausverkaufte Jugend zurückzulassen pflegt, weniger bemerkbar zu machen. Seine Brauen und Wimpern waren schwarz gefärbt, um dem


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Blicke des matten Auges mehr Intensivität zu ertheilen. Die perlenweißen Zähne waren viel zu schön, als daß man sie für echt hätte halten können, und der Mund schien durch Anwendung einer Lippenpomade künstlich aufgefrischt worden zu sein. Dies Alles gab dem Gesicht etwas Unechtes, Wachsfiguren-Aehnliches und verdeckte trotzdem nicht den Ausdruck scheuer Unsicherheit, welcher über diesem Gesichte ausgebreitet lag und sich in dem ganzen Wesen und Gebahren des jungen Mannes aussprach. Wenn man überhaupt die Erlaubniß hat, einen Menschen mit irgend einem Thiere zu vergleichen, so glich der Baron einer schön gezeichneten und wohlgenährten Katze, welche jeden Augenblick bereit ist, irgend einem ihr feindseligen Wesen zu entwischen.

»Danke, Graf,« antwortete er. »Ich werde mir die Ehre geben, unseren Künstler zunächst in sein Heim zu geleiten, denn -«

Ein bezeichnender Blick sagte das, was auszusprechen er unterlassen hatte. Der dritte der jungen Herren, von kräftiger Gestalt, dessen kühn geschnittenes Gesicht etwas verlebt aussah, hatte sich jedenfalls den bedeutendsten Rausch angetrunken. Seine Lider waren müd auf die Augen gesenkt; dennoch bemerkte er den Blick des Barons und sagte lachend:

»Lieber Freund, denke nicht, daß Du das nöthig hast. Ich erreiche meine Bude auch ohne fremde Hilfe.«

»Darüber giebt es ja gar keinen Zweifel, mein Bester. Du wohnst ja im Parterre, aber ohne ein kleines Straucheln wird es nicht abgehen. Darum ist es besser, ich begleite Dich. Komm!«

Der Künstler stieg mit Hilfe des Dieners aus dem Wagen. Seine Bewegungen waren schwer und unsicher. Der Baron nickte dem Diener vertraulich zu, ergriff den Künstler beim Arme und wendete sich zum Grafen:

»Sehen wir uns heut Abend wieder?«

»Schwerlich. Ich bin engagirt.«

»Ah! In interessanter Weise?«

»Nicht so, wie Sie denken, mein lieber Baron. Ich bin zum Commerzienrath Hamberger geladen.«

»Puh! Und da gehen Sie?«

»Warum nicht?«

»Zu einem Juden und Parvenu!«

»Pah! Man sieht dort feine Leute; ihretwegen gehe ich hin, nicht seinetwegen!«

»Dann viel Vergnügen! Und morgen natürlich wieder zum Frühstück?«

»Werde eintreffen! Vorwärts, Jean!«

Der Diener war wieder hinten aufgestiegen und die Equipage rollte auf dem hart gefrorenen Boden weiter.

Der Baron geleitete den Künstler die Stufen zum Parterre empor. Ein Livréediener, der Beide hatte kommen sehen, öffnete eine Thüre, an welcher schwarz auf weißem Porzellan zu lesen war: »Guiseppe Criquolini«. Die Beiden traten ein und begaben sich durch das Vorzimmer nach einem kleinen, sehr hübsch ausgestatteten Herrensalon.


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Dort fiel der Besitzer des Logis auf die Ottomane, streckte sich lang auf dieselbe aus, die Stiefel ungenirt auf das seidene Sophakissen legend, und sagte:

»Habe doch des Guten zu viel gethan! Der Burgunder war vom Teufel gekeltert.«

»Und der Sect vom Erzengel Michael. Darum wirbelt Einem nun Höllisches und Himmlisches im Kopfe herum und es ist kein Wunder, wenn der schwache Mensch in diesem Kampfe unterliegen muß. Auch mir geht es so ziemlich wie Dir. Soll ich vielleicht nach einem Selters klingeln?«

»Thue es! Aber ich mag jetzt vom Wasser nichts wissen. Ersäufe Dich also allein darin. Ich werde, wenn Du fort bist, ein Schläfchen machen.«

»Vielleicht thue ich das zu Hause auch.«

Er drückte an der silbernen Glocke, welche auf dem Tische stand. Der Livréediener erschien und erhielt den Befehl, eine Flasche Selters zu bringen. Er trat, die Thür gleich offen lassend, in das Vorzimmer zurück und brachte das Verlangte herein. Dabei lächelte er auf eine Weise, als ob er sagen wollte:

»Habe sie bereit gehalten, denn ich ahnte, was den Herren dienlich sein werde.«

Als er hinaus war, lachte der Baron:

»Hast einen vortrefflichen dienstbaren Geist. Er scheint ein guter Gedankenleser zu sein.«

»Ist kein Wunder! Die drei Wochen, seit denen er bei mir ist, bin ich täglich frühstücken gegangen und ebenso täglich so heiter nach Hause gekommen. Da hat er gelernt, das Selters- oder Sodawasser bereit zu halten. Ich muß offen gestehen, daß man hier in Wien zu leben versteht.«

»Besonders wenn man sich an Cavaliere, wie Graf Senftenberg ist, anschließen darf.«

»Ja. Ein vortrefflicher Kerl! Nicht?«

»Ausgezeichnet! Ich kenne keinen Zweiten.«

»Er muß ungeheuer reich sein!«

»Das hört man allgemein. Er soll bedeutende Besitzungen in Ungarn und Siebenbürgen haben und außerdem auch noch in Preußen und Bayern begütert sein. Er fährt mit den besten Pferden, führt ein brillantes Haus, obgleich er unverheirathet ist, hat die besten Weine und verzieht keine Miene, wenn er einen Tausendguldenschein im Spiele verliert.«

»Wie heut wieder! Mensch, Du bist ein Glückskind! Gestern gewonnen, heute gewonnen, alle Tage gewonnen! Du hast mir seit einer Woche sicher dreitausend Gulden abgenommen.«

»Das Spiel ist wetterwendisch. Du wirst wohl bald Revanche nehmen.«

»Pah! Ich gehe nicht darauf aus. Ich will mich amusiren. Wird dieser Wunsch mir erfüllt, so zähle ich den Mammon nicht.«

»Hasts auch nicht nöthig. Deine Kehle bringt Dir genug ein. Heut zu Tage fragt ein Sänger Deiner Distinction nicht nach einer Hand voll Goldstücken.«


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»Ja, die Zeiten haben sich geändert. Während Mozart für seine ganze Don Juan-Oper lumpige dreißig Ducaten bekam, verlange ich, um in dieser Oper einmal aufzutreten, das Dreifache. Meine Reise durch die Vereinigten Staaten hat mir ein schönes Sümmchen eingebracht.«

»Das glaube ich! Wenn Du so fortfährst, wirst Du bald Millionen zählen.«

»So schnell geht das freilich nicht. Mit unserem Grafen Senftenberg werde ich mich in dieser Beziehung niemals messen können. Uebrigens, unter uns gesagt, giebt es bei all seiner Liebenswürdigkeit doch Einiges, was mir nicht von ihm gefällt.«

»Ist er Dir unsympathisch?«

»Das nicht, o nein. Aber er ist und bleibt doch stets Aristokrat.«

»Ja, er ist Vollblut!«

»Ich hätte gar nichts dagegen, wenn er das besser zu maskiren verstände.«

»Ich habe noch nicht die Erfahrung gemacht, daß er es uns merken läßt. Oder Du vielleicht?«

»Hm. Er ist freundlich, zuvorkommend und liebenswürdig, wie man es gar nicht besser verlangen kann; aber doch giebt es zuweilen ein Wort, eine Bewegung, kurz, ein undefinirbares Etwas, durch welches er absichtlich oder unabsichtlich auf die Schranke deutet, über welche wir nicht zu ihm kommen können.«

»Wir?«

Der Baron betonte dieses Wort in eigenartiger Weise und warf dabei dem Sänger einen schnellen, lauernden Blick zu.

»Pardon!« antwortete dieser. »Du bist Baron, also auch vom Adel, also mag das Dir nicht so gelten wie mir. Aber hast Du denn noch nicht bemerkt, daß er trotzdem gegen Dich zurückhaltender ist als gegen mich?«

»Nein, niemals.«

»So sei einmal aufmerksamer! Es giebt Momente, in denen er Dich, ohne daß Du es siehst, scharf betrachtet. Erst vorhin, als fünfhundert Gulden auf einer einzigen Karte standen, sah er Dir so scharf auf die Finger, als ob er den colossalen Gedanken hegte, daß Du ein Falschspieler seist.«

»Donnerwetter!« brauste der Baron auf. »Das will ich mir verbitten!«

»Ich nehme an, daß Du mir diese freundschaftliche Bemerkung nicht übel nimmst. Oder doch?«

»Nein, obgleich ich sie auch verstehen würde, wenn es Dir beliebte, sie in weniger beleidigende Ausdrücke zu kleiden.«

»Unsinn! Ich bin aufrichtig und nenne das Ding beim richtigen Namen. Gestern Abend kam im Casino die Rede auf Dich. Du warst nicht da. Dein Name Stubbenau sollte, nach der Meinung einiger Herren, nicht im Adelskalender zu finden sein -«

»O bitte!« fiel der Baron eifrig ein. »Die Herren von der Stubbenau bilden ein sehr altes Geschlecht. Unsere Ahnen stammen aus Lievland. Später gingen sie nach Rußland, und zwar bereits vor Peter dem Großen. Darum


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wird unser Name nicht im Gothaer Adelskalender zu finden sein, wohl aber in den Cavalierregistern Rußlands. In diese mögen die Herren blicken, welche es wagen, an der Aechtheit meines Adelsbriefes zu zweifeln. Uebrigens bin ich in jedem Augenblicke bereit, ihnen meinen Stammbaum mit dem Degen ins Gesicht zu zeichnen. Wer waren denn die Betreffenden?«

Der Sänger hatte die Auslassung des Barons ruhig angehört, indem er dabei mechanisch einen seiner Ringe am Finger auf und ab drehte. Er antwortete gleichmüthig:

»Das habe ich mir freilich nicht gemerkt. Weißt Du, das Gespräch war ein sehr lebhaftes. Da kann man nicht im Gedächtnisse behalten, wer der Autor gewisser, bestimmter Worte ist.«

»Aber Du sprachst ja vom Grafen!«

»Den habe ich nicht gemeint.«

»Er verhielt sich still?«

»Ja. Nur als die Rede auf Deine Güter kam, da machte er eine kleine Bemerkung.«

»Welche?«

»Kann mich auch nicht genau besinnen.«

»Das thut mir leid. Es wäre mir wirklich sehr lieb, wenn Du Dich genau erinnern könntest.«

»So! Hm! Wie war es doch nur? Ich glaube, daß er meinte, daß - ah, mein Ring!«

Der Ring, mit welchem er gespielt hatte, war seiner Hand entfallen und herunter auf den Boden gerollt. Der Baron stand dienstfertig von seinem Stuhle auf. Er sah den Ring liegen, that aber so, als ob er ihn vergeblich suche.

Der Sänger blieb ruhig auf der Ottomane liegen. Der Wein hatte ihn schwerfällig gemacht.

»Laß ihn!« sagte er. »Er muß sich ja finden.«

»Ist er kostbar?«

»Ja. Ein Diamant von fünfzehn Karat.«

»So darf man nicht so sorglos sein.«

»Pah! Er liegt in meiner Stube. Er kann also nicht verschwinden.«

»Dennoch wollen wir nachsehen, ob er vielleicht unter den Divan gerollt ist.«

Er bückte sich, um unter das erwähnte Möbel zu blicken, und legte dabei seine Hand genau auf die Stelle, an welcher der Ring lag. Er ergriff ihn, ohne daß der Sänger es bemerkte, hielt ihn zwischen den Fingern fest, erhob sich nach kurzer Zeit wieder und sagte:

»Ich sehe ihn wirklich nicht.«

»So laß doch nur! Mein Diener muß ihn ja finden. Du bist doch nicht etwa da, um ihm Handlangerdienste zu leisten.«

Der Baron begab sich auf seinen Stuhl zurück und ließ dann gelegentlich den Ring heimlich in seiner Tasche verschwinden.


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»Nun also, besinnst Du Dich?« fragte er, das unterbrochene Gespräch wieder aufnehmend.

»Will sehen. Wenn ich es mir recht überlege, so war die Rede davon, daß Du behauptet hast, bedeutende Güter in der Ukraine zu besitzen.«

»Hat man etwa daran gezweifelt?«

»Hm! Man schien allerdings Zweifel zu hegen.«

»Donnerwetter! Man mag das mich ja nicht etwa hören lassen!«

Er that sehr zornig, doch hätte der Sänger, wenn er aufmerksamer gewesen wäre, bemerken müssen, daß dieser Zorn mit einem guten Theile von Verlegenheit gemischt war.

»Nun, mir ist es ja ganz gleich, wo Deine Güter liegen. Aber Graf Senftenberg bemerkte, daß in der Ukraine der Name Stubbenau vollständig unbekannt sei.«

»Wie kann er das wissen?«

»Weil er auch dort ebenso wie in der Krim begütert ist.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Aber ich weiß es genau.«

»Kann er nicht ebenso gut flunkern, wie ich geflunkert haben soll?«

»O nein. Ich war bei ihm, als er eben mit einem der dortigen Inspectoren verhandelte, und habe Alles mit angehört. Er muß wirklich steinreich sein.«

»So mag er sich um seine Liegenschaften bekümmern, aber ja nicht um die meinigen!«

»Wenn seine Bemerkung Dich beleidigt, so will ich ihm sagen, daß Du wünschest, er solle sie zurücknehmen.«

»Wie meinst Du das?«

»Nun, Du hast ja vorhin von Deinem Degen gesprochen, wenn ich mich recht erinnere.«

»Du sprichst, wie es scheint, von einem Duell?«

»Natürlich!«

»Fällt mir nicht ein!«

»So! Dann hast Du kälteres Blut als ich. Wenn ich gesagt hätte, daß ich Besitzungen in der Ukraine hätte, und irgend einer behauptete, daß mein Name dort nicht bekannt sei, den wollte ich coramiren!«

»Ich bin ein Edelmann, aber kein Raufbold. Uebrigens bin ich kein Anhänger der Lehre von der absoluten Nothwendigkeit des Zweikampfes. Ich kann beleidigt worden sein und dann sogar auch noch in dem Duell den Kürzeren ziehen. Ich bin also doppelt bestraft, muß mich auch noch zu längerer Festungshaft verurtheilen lassen und - was habe ich davon?«

»Du denkst sehr praktisch!«

»Ja. Uebrigens will ich annehmen, daß der Graf seine Worte nicht so scharf gemeint hat, wie es den Anschein hat haben können. Er ist ein famoser Gesellschafter, und ich will mich nicht mit ihm verfeinden.«


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Daß er sich nicht mit ihm verfeinden wolle, um die Gelegenheit, ihm im Spiele auch fernerhin durch falsche Karten das Geld abzunehmen, das verschwieg er natürlich.

»Ganz wie Du willst,« nickte der Sänger.

»Uebrigens habe ich auch auf Dich Rücksicht zu nehmen, lieber Criquolini!«

»Auf mich? Nicht daß ich wüßte.«

»Ist es Dir so gleichgiltig, ob der Graf es erfährt oder nicht, daß Du mir seine Aeußerung mitgetheilt hast?«

»Das ist mir wirklich sehr egal.«

»So liegt Dir an seiner Freundschaft nichts?«

»O doch! Aber ich denke, daß er vertreten soll, was er sagt; darum halte ich es keineswegs für eine Indiscretion, daß ich Dir gesagt habe, was er geäußert hat. Uebrigens ist er wohl nicht der Mann, welcher aus Feigheit einem Duelle aus dem Wege gehen würde.«

»Lassen wir das! Ich weiß nun, woran ich bin, und im übrigen ist mir die ganze Geschichte lächerlich! Wie weit bist Du mit Deiner Tänzerin?«

»Mit Valeska?«

»Ja. Oder interessirst Du Dich für mehrere Tänzerinnen? Es wäre Dir zuzutrauen.«

»Da irrst Du. Ich kenne nur diese Eine.«

»Allerdings auch die Interessanteste!«

»Das ist sie. Sie ist ein Engel.«

»Das sagt ein Jeder von seiner Angebeteten.«

»Sapperment! Bist Du anderer Meinung?«

Der Sänger setzte sich aufrecht. Er hatte seine Frage in einem beinahe drohenden Tone ausgesprochen und blickte dem Andern herausfordernd entgegen.

»Bringe mich nicht gleich um!« lachte dieser. »Ich glaube, Du könntest für dieses Mädchen irgend eine große Dummheit begehen!«

»Welche meinst Du?«

»Dich mit mir verfeinden.«

»Das könnte ich allerdings. Ich könnte mich ihretwegen sogar sofort mit aller Welt verfeinden. Ich liebe sie! Hörst Du es, ich liebe sie!«

Der Baron ließ ein kurzes Lachen hören und antwortete, leicht mit dem Kopfe nickend:

»Gut! Ich glaube es Dir! Man liebt. Das heißt, man liebt die Eine, nachdem man die Vorige geliebt hat und wird, wenn man ihrer überdrüssig ist, die Nächste lieben.«

»Da täuschest Du Dich in mir. Ich liebe sie wirklich. Ich werde sie heirathen!«

»Criquolini!«

»Was? Hast Du Etwas dagegen?«

»Mensch, blitze mich nicht mit solchen Augen an! Ich habe es ja gar


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nicht bös gemeint. Ich bin aber nur der Ueberzeugung, daß man recht herzhaft lieben kann, ohne grad an das Heirathen zu denken. Es ist nicht nothwendig, daß aus jedem Liebhaber schleunigst ein Ehemann und Familienvater wird.«

»Das habe ich auch gar nicht behaupten wollen. Auch ich habe das Leben genossen und wohl Manche kennen gelernt, welche mir gefiel. Wenn aber dann die richtige Liebe eintritt, dann, dann - nun dann heirathet man eben.«

»Eine Tänzerin?«

»Warum nicht? Ist eine Tänzerin ein verächtliches Geschöpf? Muß sie etwa weniger werth sein als jede Andere?«

»Das behaupte ich nicht. Aber sie gehört einem Stande, sagen wir, einem Handwerke an, dessen Genossen nicht in dem frömmsten Rufe stehen.«

»Das mag sein. Aber es giebt Ausnahmen, und meine Valeska ist eine solche!«

»Ich wünsche, daß Du Dich nicht irrest.«

»Ich weiß es gewiß und bin bereit, eine jede Wette mit einzugehen.«

»Nun, bei mir findest Du keine Gelegenheit, diese Wette anzubringen. Ich will es Dir gern gönnen, wenn Du glücklich mit ihr wirst.«

»Das hoffe ich. Uebrigens gehöre ich nicht zu den Dummköpfen, welche sich in ein hübsches Gesicht vergaffen und sich dann mit aller Gewalt ins Elend stürzen. Ich prüfe.«

»Und sie hat die Prüfung bestanden?«

»Bisher, ja!«

»Aber weiter?«

»Die Hauptprüfung soll noch erfolgen.«

Da legte der Baron die Beine bequem über einander, nahm jene Haltung an, in welcher man eine interessante Mittheilung gern entgegenzunehmen pflegt, und sagte:

»Da bin ich doch begierig, zu erfahren, worin diese Hauptprüfung bestehen soll.«

»Dir gegenüber brauche ich wohl kein Geheimniß daraus zu machen.«

»Gewiß nicht. Meiner Discretion kannst Du auf alle Fälle versichert sein.«

»Das setz' ich voraus. Du kennst zwar meine Angebetete nicht, aber - - -«

Der Baron machte bei diesen Worten des Sängers ein Gesicht, welches dem Letzteren so auffiel, daß er, sich unterbrechend, fragte:

»Oder solltest Du sie doch kennen?«

»Natürlich!« antwortete der Gefragte, sein Gesicht schnell in bessere Beherrschung nehmend.

»Genau?«

»Ich habe sie im Theater tanzen sehen.«


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»Ach so! Also eine nähere Bekanntschaft ist es nicht?«

»Nein!«

»Ich glaubte, aus Deiner Miene entnehmen zu sollen, daß - - na, gut! Also die Damen vom Balette sind Titeln und Geschenken zugänglich. Valeska soll einen Grafen kennen lernen, welcher sie mit Geschenken reich bedenkt. Zieht sie mich trotzdem ihm vor, nun, so hat sie die Probe bestanden.«

»Gar nicht übel, falls sich nämlich so ein Graf bereit finden läßt, die Probe vorzunehmen.«

»Habe schon einen.«

»Ach! Doch nicht Senftenberg?«

»Was fällt Dir ein! Diesem würde es nie einfallen, sich zu so einer Komödie herzugeben. Schon der blose Antrag, den ich ihm da machte, würde ihn so beleidigen, daß er blutige Genugthuung forderte.«

»Also einen andern!«

»Ja.«

»Der sich nicht beleidigt fühlt von Deinem Wunsche, daß er Dir hier dienen möge.«

»Freundchen,« lachte der Sänger, »verstehe mich wohl! Ein wirklicher Graf würde sich nicht dazu hergeben.«

»Ach! Also ein falscher?«

»Ja, ein Talmigraf. Ich kenne einen Schauspieler, einen sehr hübschen und gewandten Kerl, der mit ihr anknüpfen soll.«

»Und ihr große Geschenke machen?«

»Was hast Du?«

»Ein Schauspieler, der sich zu so einer Maskerade hergiebt, hat sicherlich nicht die Mittel, solche Geschenke zu machen.«

»Ist gar nicht nöthig, denn ich habe sie ja.«

»Ach, jetzt verstehe ich Dich!«

»Ich bezahle ihn.«

»So wird der Handel für Dich nicht sehr vortheilhaft sein!«

»Wieso?«

»Aus einem sehr einfachen Grunde. Giebt er sich wirklich Mühe, sie Dir abspenstig zu machen, und es gelingt ihm, so hat er von Dir kein großes Honorar zu erwarten. Darum wird er sich nicht allzusehr anstrengen, und sie wird Dir treu bleiben können. Eine solche Probe hat keinen Werth!«

»Du kennst mich schlecht, ich habe mit ihm ausgemacht, daß er gar nichts bekommt, wenn sie mir treu bleibt. Gelingt es ihm aber, sie binnen einer Woche zu erobern, so erhält er fünfzehnhundert Gulden. Für mich ist diese Summe eine Kleinigkeit, für ihn aber ein Kapital.«

»Wann wird er beginnen?«

»Vielleicht bereits heut.«

»Darf ich erfahren, wie dieser unternehmende Mann heißt?«

»Ich habe ihm versprechen müssen, das zu verschweigen.«


// 2109 //

»Auch welchen Grafennamen er tragen wird?«

»Auch das. Uebrigens geht mich das gar nichts an. Er mag einen Namen wählen, welchen er will. Ich bin aber überzeugt, daß ich gezwungen sein werde, ihm die Fünfzehnhundert auszuzahlen.«

»So sicher bist Du also der Balletteuse! Ihr habt Euch also, so zu sagen, bereits heimlich verlobt?«

»O nein. Es ist bis jetzt noch nicht einmal zu einem perfecten Liebesgeständniß gekommen; aber wir stehen in einem stillen aber so festem Einverständnisse, daß ich gar keine Sorge zu haben brauche.«

»Männchen, Du scheinst Dich für einen sehr guten Menschenkenner zu halten!«

»Was die Frauen anbelangt, ja. Ich habe zwar erst seit zwei Jahren mir da eine Abwechslung gegönnt; diese ist aber eine so reichhaltige gewesen, daß ich mir wohl schmeicheln darf, ein Kenner zu sein.«

»Jedenfalls hast Du auf Deiner amerikanischen Tournée interessante Bekanntschaften gemacht?«

»Natürlich! Vorher wäre ich beinahe in das Netz einer Sirene gerathen, welche alle neunundneunzig Teufel im Leibe hatte. Ich befand mich so fest in ihrer Angel, daß sie mich hinziehen konnte, wohin es ihr beliebte. Es hat Mühe gekostet, wieder frei zu werden. Sie war eine wirkliche Liebeskünstlerin!«

»Also wohl eine Schauspielerin?«

»Nein, sondern ganz im Gegentheile eine Dame der Aristokratie. Hast Du nicht einmal den Namen Asta, Baronesse von Zelba gehört?«

»Ach! Meinst Du die junge, außerordentlich interessante Dame, welche damals so viel im Hause des Barons von Alberg verkehrte?«

»Ganz dieselbe.«

»Die habe ich sogar genau gekannt, vielleicht genauer, als Du ahnen wirst!«

»Ach! Ists möglich? War sie eine Liaison von Dir?«

»Beinahe wäre ich in ihre Netze gegangen.«

»Wirklich nur beinahe?«

»Ja, in Wahrheit. Ich interessire mich allerdings außerordentlich für sie, denn sie war wirklich begehrenswerth, wenn man sie nicht näher kannte. Als ich aber die Bemerkung machte, daß sie sich nicht schwer erobern ließ, erkundigte ich mich nach ihr und erfuhr, daß sie sich der Herrenwelt gegenüber sehr entgegenkommend zeige. Da ließ ich sie natürlich fallen.«

»Ganz so wie ich. Auch ich machte die Erfahrung, daß ich nicht der Einzige war, der sie liebte.«

»Man hat nichts mehr von ihr gehört. Sie soll mit dem Baron von Alberg nach Amerika gegangen sein.«

»Wirklich? Ich entsinne mich nicht genau. Sagte man nicht, daß er aus gewissen Gründen zu dieser Reise gezwungen worden sei?«


// 2110 //

»Ja. Seine eigene Tochter, die Schloßherrin auf Steinegg, soll ihn gezwungen haben. Drüben ist er bald gestorben. Sein Todtenschein wurde herübergeschickt. Baronesse Asta ist seitdem verschollen.«

Da trat der Diener herein und brachte auf einem Teller einen Brief, welcher soeben vom Briefträger abgegeben worden war.

»Gieb ihn dem Herrn Baron,« befahl der Sänger. »Er mag ihn öffnen!«

Der Diener that dies und entfernte sich dann wieder. Der Baron hatte den Brief genommen, drehte ihn in den Händen hin und her und fragte verwundert:

»Wie kommt es, daß Du mir das Amt Deines Privatsekretärs übergiebst?«

»Aus dem sehr einfachen Grunde, daß ich jetzt nicht lesen kann. Dieser verteufelte Burgunder treibt mir das Blut so nach dem Kopfe, daß es mir vor den Augen in allen Farben schillert. Die Buchstaben würden vor meinem Blicke tanzen. Ich kann nicht lesen. Bitte, unterziehe Dich der kleinen Mühe!«

»Es könnte aber etwas Discretes sein.«

»Vor Dir habe ich kein Geheimniß.«

»Vielleicht eine Rechnung?«

»Die dürftest Du erst recht lesen. Aber ich bin ja erst drei Wochen hier, in Wien habe ich nichts dergleichen zu erwarten. Wie ist die Adresse?«

»Herrn Guiseppe Criquolini, Sänger. Auch die Straße und Hausnummer ist ganz richtig angegeben.«

»So! Und die Handschrift?«

»Eine sehr geübte Männerhand.«

»Dann bin ich wirklich neugierig - ah, welch ein Poststempel?«

»Salzburg.«

»Wüßte wirklich nicht, wer mir von dort her zu schreiben hätte! Brich auf und sei so gut, ihn mir vorzulesen!«

Der Baron folgte dieser Aufforderung. Er nahm den Bogen aus dem Couvert und las, ohne die Zeilen vorher zu überfliegen:

»Elsbethen, den 20. März 18 .

Lieber Sohn! - - -«

»Halt!« rief da der Sänger. »Ich glaube gar, der Brief ist - ist - ist - -«

Er sprach den Satz nicht aus, und erst als der Baron ihn fragend anblickte, fuhr er fort:

»Von meinen Eltern.«

»Du hast Deine Eltern noch?«

»Ja.«

»Aber davon hast Du mir ja noch gar nichts gesagt!«

Der Sänger wurde verlegen. Er antwortete:

»Weil wir zufälliger Weise noch nicht von meinen Familienverhältnissen gesprochen haben.«


// 2111 //

»So! Nun, wenn der Brief von Deinen Eltern ist, was sich allerdings aus der Anrede als ganz gewiß ergiebt, so mußt Du ihn selbst lesen. Hier ist er.«

Er reichte ihm den Brief hin. Der Sänger streckte bereits die Hand nach dem Schreiben aus, zog sie aber wieder zurück und sagte:

»Lies immerhin! Was die alten Leute mir zu schreiben haben, das sind ganz gewiß keine Staatsgeheimnisse.«

»Ganz wie Du willst!«

Er begann abermals:

»Lieber Sohn!
Weil wir nicht schreiben können, haben wir den Herrn Pfarrer gebeten, diesen Brief an Dich zu verfassen. Wir haben gehört, daß Du in Amerika gewesen bist und da viel Geld verdient hast. Indessen ist es uns traurig ergangen. Du warst fort, und wir waren zum Arbeiten zu alt. Da hat uns die Gemeinde ernähren müssen.
     Dann kam einmal die Muhren-Leni zu uns, die eine Sängerin geworden ist. Sie sah unsere Noth und hat viel mit uns geweint. Von dieser Zeit an haben wir alle Wochen fünfzehn Mark von ihr erhalten, wovon wir leben und uns sogar noch Etwas sparen können. Gestern erfuhren wir, daß Du wieder aus Amerika zurück bist und in Wien auf der Mohrengasse wohnst. Da haben wir es für unsere Pflicht gehalten, Dir zu schreiben.
     Der Vater ist immer krank gewesen, und der Mutter geht es nicht gut mit ihren Augen. Sie kann beinahe gar nichts mehr sehen. Wenn es so bleibt, wie es jetzt ist, so wird sie Dich wohl nicht mehr erblicken. Denn wenn es die Kunst einmal erlauben wird, an uns alte Leute zu denken, und zu uns zu kommen, dann wird sie entweder blind sein oder auch bereits lange nicht mehr leben.
     Der liebe Herrgott mag Dir Glück und Segen geben. Wir sind zufrieden, wenn er uns bald ein ruhiges und seliges Ende bescheert.
          Deine
                      alten, alten Eltern.«

Als der Baron den Brief vorgelesen hatte, legte er ihn aus der Hand und blickte Criquolini fragend und erwartungsvoll an.

»Verdammte Geschichte!« brummte dieser. »Hm! Es ist eben so gekommen.«

»Was?«

»Daß ich mich nicht habe um meine Eltern kümmern können. Ich habe sie ganz vergessen!«

»Wie ist das möglich?«

»Nimm es mir nicht übel! Aber diese Frage ist fast überflüssig. Wenn Du meine früheren Verhältnisse - - pah! Schweigen wir lieber! Es kommt nichts heraus dabei.«

»Ganz wie Du willst. Aber hast Du Ihnen denn nicht einmal Etwas geschickt?«


// 2112 //

»Nein. Ich sagte Dir ja bereits, daß ich mich auf sie ganz vergessen hatte!«

»Nach dem, was ich gelesen habe, müssen sie sehr arm sein?«

»Freilich sind sie das. Aber zu hungern haben sie doch nicht gebraucht. Du hast es ja gelesen, daß die Gemeinde sich ihrer angenommen hat. Und nun werden sie von der Muhren-Leni unterstützt. Sie leiden also keine Noth.«

»Wer ist dieses Frauenzimmer, welches eine Sängerin geworden ist und Deinen Eltern wöchentlich fünfzehn Mark giebt?«

»Das ist - das ist - meine erste Geliebte.«

»Deine erste Geliebte? Mann, welch ein Glück hast Du!«

»Wieso?«

»Eine Geliebte, die Du also verlassen hast und die trotzdem Deine Eltern ernährt! Sapperment! Das ist aller Ehren werth! So wohl wird es nicht gleich einem Andern!«

»Grad ein Glück ists nicht für mich. Wenn ich daran gedacht hätte, hätte ich meinen Alten selbst was schicken können. Sie hat sich eigentlich gar nicht in unsere Angelegenheit zu mengen. Sie mag für sich selbst sorgen. Sie will mich damit nur ärgern. Was gehen sie meine Eltern an? Nichts, gar nichts. Ich bekümmere mich doch auch nicht um ihre Angelegenheiten!«

»Aber, lieber Freund, wenn Deine Eltern sich in Verhältnissen befunden haben, welche die Unterstützung seitens der Armenbehörde nothwendig machten, so müssen sie doch sehr arm gewesen sein.«

»Nun freilich, Millionen hatten sie nicht besessen.«

»Was ist denn Dein Vater?«

Der Sänger blickte eine Weile still vor sich hin. Seine Brauen zogen sich zusammen. Seine Mienen drückten den Widerwillen, sich über dieses Thema zu äußern, deutlich aus, er antwortete:

»Du kannst Dir denken, daß ich über diese Verhältnisse nicht gern spreche.«

»Warum nicht? Nach Deinem Auftreten muß man denken, daß Du aus einem guten Hause stammst. Du hast Dir in Amerika ein Vermögen ersungen. Du bist also ein Kavalier, und es kränkt Dich nicht, ansehnliche Summen im Spiele zu verlieren. Deine Tänzerin kostet Dich viel Geld. Du hast als Künstler Zutritt in ausgewählte Kreise erlangt, und doch sind Deine Eltern auf die Unterstützung ihrer Gemeinde angewiesen. Ich begreife das nicht!«

Es war keineswegs die sittliche Entrüstung, welche dem Baron diese Worte dictirte. Er sprach so, weil er sich rächen wollte. Er hatte anhören müssen, daß man an seinem Adel, an seinen Besitzthümern zweifele, daß man sogar ihn für einen Falschspieler halte. Das Alles hatte der Sänger ihm mit der größten Gemüthlichkeit in das Gesicht gesagt. Nun fand er Gelegenheit, ihm den Hieb zurückzugeben. Es fiel ihm gar nicht ein, das zu versäumen. Es war ihm natürlich ganz und gar egal, ob die Eltern seines Freundes ein gutes Auskommen hatten oder ob sie hungern und darben mußten, aber er fühlte sich


Ende der achtundachtzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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