Der Weg zum Glück - Teil 9

Lieferung 9

Karl May

25. September 1886

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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so eine Aufmunterung erhält, so kann man schon sicher sein, daß man nachhero auch ein Trinkgeld bekommt. Und so eins brauch ich halt schon nothwendig: Je mehr, desto besser. Also weiter!«

Er machte wieder eine tiefe Verbeugung und fuhr fort:

»Also, so auch der Thalmüller. Es hat nicht lange gedauert, nur eine halbe Stunden, so ist's schon fertig gewesen. Kein Mensch hat's geahnt, kein einziger.«

»Was?« fragte der Krikelanton.

»Schweig! Es ist nix für Dich! Reich ist er; das ist wahr und der Andere auch; das kann kein Mensch bestreiten, und im Wald haben sie sich kennen lernt, bei denen Eichkatzerln. Es soll keine Zeit verloren gehen, darum hat er sofort mich kommen lassen, um der Einladungen wegen, die nun geschehen müssen. Darum lauf ich schon jetzt im Dorf herum. Zwar ist's eine Traurigkeit, wann ein jungs Herzerl muß aufs Glück verzichten, und sterben thut man doch; aber sterben muß doch halt jedes Schwein, wann's verpökelt werden soll, und darum mein ich, daß wegen einer Verlobung noch grad nicht auch die Hochzeiten vor der Thüren ist. Der Schulmeister ist auch dabei und die ganzen Nachbarn. Ich hab gleich mein Gewandl schnell anzogen, um die meinige Pflicht zu thun. Musik wird auch gemacht und ein Gesangbuchvers

Wie sie so sanft ruhn,
Unten im Grabe nun,
Können uns nix mehr thun,
Laßts also weiter ruhn!

Und da ist der Herr Baron der Erst gewesen, zu dem ich sprungen bin, um ihm zu sagen, daß ich ihn einzuladen hab auf Sonntag Abends. Kleider kann er anziehen wie er will und die beiden Töchter auch. Vorschriften mach ich da nicht. Und wann einer nobel ist, so bindet er wenigstens sechs Mark ein, damit der Kindtaufsvatern auf seine Kosten kommt. Auch braucht Keiner allzusehr zu häulen und zu flennen; es hilft ja doch nix. Weg ist weg. Und wer einmal storben ist, der kommt doch nicht wieder, außer um Mitternacht als Gespenst, wann es nicht regnen thut. Und billig macht's der Fleischern auch, zwei Mark für die Sau und das Gedärm für die dünnen Würst bringt er auch mit, kostet fünfundzwanzig Pfennige mit denen Wurstspreilern. Und wann Einer dazu schießen will, ehebevor das Brautpaar aus dem Haus herauskommt, so hat er den Herrn Vorstand um Erlaubniß zu fragen. Getauft aber muß es einmal werden, außer der Vatern tritt aus der Kirch heraus, was man einen Disputenten nennt. Nachher giebts halt keine Kindtaufen, aber die Schand ist groß. Und wer halbwegs nicht gar zu arm ist, bringt doch einen Hausrath mit, einen Topf, ein halb Dutzend Tellern oder eine Bratpfannen. Einen Trost müssen die Hinterlassenen doch haben, wann der Todte voller Herzeleid heimgangen ist. Und es wird Abends um acht Uhr sein und Musik dazu. Ich schlag den Dreiangel beim Walzer. In der großen Stuben kommen Alle zusammen, und es wird nix gespart werden, soll ich sagen und All mit nander sind willkommen, bis sie wieder gehn. Amen! Ich bin fertig!«


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Er verbeugte sich dreimal gegen den Baron und dessen Töchter, setzte den Dreimaster auf, holte den Regenschirm und streckte nachher gegen den Baron die Hand aus in der sichern Erwartung, daß er Etwas erhalten werde. Dieser nahm auch wirklich seine Börse heraus, fragte aber lächelnd:

»Sind Sie wirklich fertig?«

»Ja.«

»Gewiß?«

»Ja doch!«

»Das glaub ich nicht.«

»Warum?«

»Es fehlt noch etwas.«

»Nein. Ich hab halt Alles gesagt.«

»Aber die Hauptsache noch nicht.«

»Das ist nicht wahr. Ich hab weiter nix gelernt.«

»Nun, so will ich Ihnen auf die Sprünge helfen. Also ich bin für Sonntag Abends acht Uhr zu dem Müller in die große Stube eingeladen?«

»Ja, ich hab's doch deutlich gesagt.«

»Wozu denn?«

»Himmelsakra! Das wissen's nicht? Soll ich etwa nochmals anfangen?«

Der Baron wehrte mit beiden Händen ab:

»Um Gotteswillen, ja nicht!«

»Aber wann Sie nicht wissen, was Sie dort sollen, so muß ich doch noch mal beginnen. Macht aber nachhero das doppelte Trinkgeld!«

»Sie sollen Ihre Rede nicht noch einmal halten. Aber sagen Sie mir: Ist vielleicht Jemand gestorben?«

»O Jegerl! Gestorben? Fallt keinem Menschen ein!«

»Oder ist Schweineschlachten?«

»Auch nicht.«

»Hochzeit?«

»So rasch geht das nicht.«

»Was sonst? Etwa Verlobung?«

»Freilich, freilich! Endlich kommens drauf auf das Richtige. Verlobung ist, natürlich Verlobung.«

»Nun, so weiß ich, woran ich bin.«

»Und Sie werden halt kommen?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht genau. Hier, mein Guter, haben Sie!«

Er gab ihm einen Thaler. Als der Leichenbitter dieses für ihn so bedeutende Geldstück sah, machte er einen Luftsprung, daß die Frackschöße beinahe über seinen Kopf zusammenflogen.

»Ein Thaler, ein Thaler! Juchhei, juchhei! Das ist mir noch nicht passirt! Das hab ich noch nicht erlebt. Da muß ich mir halt gleich einen Pommeranzen oder einen Magenbittern genehmigen. Ich dank auch schön, Herr Baron! Adieu und gute Nacht!«

Er wollte fort, aber Franza hielt ihn noch auf:


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»Halt, mein Lieber! Sie sind noch immer nicht fertig.«

»Was? Nicht fertig? Was noch?«

»Wir wissen, daß es eine Verlobung geben soll; aber wir wollen auch erfahren, wer die Verlobten sein werden.«

Er stand ganz starr vor Erstaunen.

»Was! Das wissens nicht?«

»Nein.«

»Wirklich noch nicht?«

»Nein, sonst würde ich Sie doch nicht fragen.«

Da ging er wieder in die Ecke, legte mit der ernsthaftesten Miene seinen Regenschirm hinein, nahm den Hut ab, zog das carrirte Tuch heraus, wischte sich die Stirn ab, verbeugte sich sehr tief und begann folgendermaßen:

»Damals als der Vater Abraham mit dem Apostel Paulus in Paris zusammenge - - -«

»Halt, halt, um aller Welt willen!« lachte Franza. »Was fällt Ihnen ein!«

»Was mir einfallt? Anfangen will ich wieder! Macht noch einen Thaler!«

»Nein, diesen Thaler werden Sie sich nicht verdienen. Von wieder anfangen kann keine Rede sein!«

»Aber wann Sie nicht mal wissen, wer die Verlobten sein werden - -«

»So werden wir es auch dann noch nicht wissen, wenn Sie Ihre Rede zum zweiten Male beendet haben. Sagen Sie lieber einfach: Wer ist der Bursche?«

»Wer? Himmelsakra! Das hab' ich doch bereits zehnmal gesagt!«

»Nicht einmal!«

»Oho!«

»Nicht ein allereinziges Mal!«

»Was? Daß der Fingerlfranz es ist, das soll ich nicht gesagt haben? Das wär gar noch schöner!«

»Nun, jetzt haben Sie es gesagt.«

»Na, also! Ich habs doch gewußt!«

»Also der Fingerlfranz! So, so! Und wer ist denn seine Verlobte?«

»Das fragens mich? Auch das? Jetzt aber hört mir nun bald Alles auf! Soll ich etwan das nicht gesagt haben?«

»Nein.«

»Da steht mir gleich all mein Verstand still! Wann ich einmal eine Reden halt, so werd ich doch all mein Lebtag nicht grad die Hauptsachen vergessen. Es ist halt sehr schön, daß ich einen Thalern bekommen hab, aber zum Narren brauchens mich doch deshalb nicht zu machen. Da muß ich denn doch ganz schön bitten. Ich bin ein Mann im Dorf, der größte Redner weit und breit. Alle Welt hält mich in Respect, und hier soll ich grad die Hauptsachen vergessen haben. Das ist mir grad zu bunt!«

»Nun,« lachte sie, »so verzeihen Sie mir, vielleicht habe ich nicht genau aufgemerkt.«


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»Wie? Was? Nicht aufgemerkt habens? Das ist noch viel besser! Das kann mir sehr gefallen! Ich halt meine schönste Reden und mach meine besten Visimatenten mit den Armen und denen Beinen dazu, und da wird nicht aufgepaßt! Ich will mich aber nicht aufregen! Wann ich einmal sag, daß der Fingerlfranz der Bräutigam sein wird, so werd ich doch nimmer vergessen, daß er die Paula heirathen wird.«

»Die Paula!« rief Franza erstaunt.

»Natürlich!«

»Also doch, doch!«

»Ja, nicht wahr, doch, doch!«

»Er hat es ihr im Wald gesagt!«

»Ja, das sagte mir der Müllern. Die Beiden haben sich im Wald kennen lernt, und der Fex, der Thunichtgut, hat den Franz derschlagen wollen.«

»Er hat sehr Recht gehabt.«

»Der? Recht? Da sinds halt schief gewickelt! Der Fex hat niemals Recht; das ist ein gottlosiger Bub, vor dem man sich hüten muß. Sie kennen ihn noch nicht. Nehmens sich vor den in Acht! Das rath ich Ihnen. Nun aber muß ich fort. Behüt Ihnen Gott! Und wanns mal Einen brauchen, der eine Einladung auszutragen oder eine große Reden zu sprechen hat, so kommens nur zu mir. Einen Zweiten findens nicht, zehn ganze Meilen um diese Gegend herum.«

Er ging.

Franza konnte nicht begreifen, wie diese Verlobung so schnell hatte beschlossen werden können. Sie erzählte dem Vater und der Schwester ihr Erlebniß, und der Krikelanton hörte mit zu. Als sie geendet hatte, meinte er:

»Das ist ein schöner Bursch, dieser Fingerlfranz! Der, wann er mir mal so zwischen die Fäust käm, den wollt ich kuranzen! Und der Fex, das ist etwan der Ueberfahrer?«

»Ja.«

»So hab ich ihn gesehen. Er macht kein klug Gesicht; aber er gefallt mir dennoch sehr. Und auch die Paula muß ich derblickt haben; sie ist mit mir übers Wasser herüber. Diese Geschickt verintressirt mich sehr. Wann ich in der Stadt fertig bin, werd ich doch mal heraus gehn, um mir den Müllern anzuschaun. Jetzt nun aber muß ich fort. Wann ich mal was recht Schöns hab, so was Saubers und auch Feins, so komme ich wieder. Nicht?«

»Ja, komm nur; ich kauf Dir es ab.«

Er machte sich auf den Weg nach der Stadt, sehr zufrieden mit dem Geschäft, welches er gemacht hatte. Im Dorfe und in der Mühle war er noch nicht gewesen, in der Stadt aber bereits einige Male. Er kehrte wieder in den Gasthof ein, in welchem er bereits vorher eingekehrt war.

Ueber der Thür desselben stand in großen Buchstaben zu lesen »Gast- und Einkehrhaus des Tobias Matthes«. Es war nicht etwa ein Hotel, sondern es war das allerälteste Gasthaus des Ortes, und noch heut verkehrten nur die einfachen, anspruchslosen Gäste da, für welche es vor langer Zeit errichtet worden war.


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Der Wirth war allbekannt. Er spielte leidenschaftlich Scat und ließ keine Gelegenheit vorübergehen, sich diesem Vergnügen hinzugeben. Selbst wenn ihn Jemand aus dem Bette geholt hätte, um einen Scat zu spielen, er hätte mitgemacht.

Als Anton in die Stube trat, befand sich kein Gast in derselben; aber der alte Scat-Matthes, wie er genannt wurde, saß mit seiner Frau und seinem Sohne an einem der Tische. Und diese Drei, was machten sie? Sie - spielten Scat.

»Grüß Gott!« meinte Anton, indem er seinen Kasten ab- und sich an einen Tisch setzte.

Beide, die Frau und der Sohn, blickten gar nicht von ihren Karten auf und dankten auch nicht auf den Gruß. Der Wirth warf ihm einen kurzen Blick zu und antwortete schnell hinter einander:

»Grüß Gott! Guten Tag - schönen Dank! Sei willkommen - dank auch sehr! Setz Dich nieder - bitt gar schön!«

Dann sah er wieder in seine Karten.

»Gieb mir ein Bier!« meinte Anton.

»Ich hab keine Zeit!«

»Aber Deine Frau oder der Sohn?«

»Auch nicht.«

»Aber ich hab Durst!«

»So nimm Dirs selber! Da ist das Faß und daneben stehn die Gläser. Ich kann Deinetwegen hier nicht viel Komplimenters machen. Ich spiel eben einen Solo mit drei Matadoren und wenn ich da nicht aufpaß, so verlier ich ihn. Also Grün ist Trumpf; Schellen hab ich stochen. Spiel aus, Alte!«

Das Spiel wurde fortgesetzt und der Anton schänkte sich selbst ein. Als der Solo von dem Wirth gewonnen worden war, fragte Anton:

»Kann ich heut bei Dir übernachten?«

»Ja, ganz gut. Willst jetzt mitspielen? Es fehlt der vierte Mann.«

»Nein. Ich muß noch hausiren gehn.«

»So red nicht und halts Maul. Mit Deinem Geschwatz machst Einen nur irr!«

Da Anton bereits hier gewesen war, so kannte er seinen Mann und nahm dessen Worte ruhig hin. Bald aber trat ein neuer Gast herein, welcher hier noch nicht verkehrt war - der Wurzelsepp, welcher den Krikelanton nicht sitzen sah, weil dessen Waarenkasten dazwischen stand.

»Grüß Gott!« meinte er und legte seinen Sack auf die Bank, sich daneben setzend.

Der Wirth hatte Karte gegeben, blickte in sein Spiel und antwortete, ohne her zu sehen:

»Grüß Gott! Guten Tag - schönen Dank! Sei willkommen - Dank auch sehr! Setz Dich nieder - bitt gar schön!«

Dann trieb er seinen Vordermann zum Spiel. Der Sepp machte ein ganz erstauntes Gesicht.


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»Sapperment, ist das ein Gruß!« sagte er. »Das habe ich noch nicht gehört.«

»Halts Maul!« rief der Wirth.

»Oho! Wann ich hier einkehr, werd ich doch wohl mit dem Wirthen reden dürfen.«

»Aber nicht, wann ich spiel.«

»Ists so nothwendig?

»Nothwendiger als Dein Schlabbern. Wart, bis dieses Spiel zu Ende ist.«

Das that der Sepp. Dann aber verlangte er einen Schnaps. Der Wirth antwortete:

»Weißt, wann Du etwan wiederkommst, so will ich Dir gleich heut sagen, daß ich mich im Spiel nicht stören laß. Lieber werf ich Dich hinaus. Darum sag ich, wann Einer kommt, gleich die ganzen Grüßen und Antworten hinter einander her; nachhero bin ich fertig. Also merk Dirs! Was willst für einen Schnaps?«

»Einen recht starken und bittern.«

»So geh selber her und nimm. In der zweiten Flasch findst den besten. Wann Du nachher noch einen willst, so schänk nur ein; aber red nicht dabei. Wirst wohl schon selber merken, wie viele Du nachher trunken hast. So, jetzt bin ich ganz aus dem Athem heraus. Nun weißt Alles und bist still!«

Der Wurzelsepp schüttelte den Kopf, brummte leise Etwas in den Bart und ging hin an den Wandschrank, um sich einzugießen. Da erblickte er den Anton und dieser ihn. Anton sprang sogleich auf und streckte ihm die Hand entgegen.

»Sepp, Du!« sagte er. »Willkommen! Darum kam mir also Deine Stimmen so bekannt vor, als ich Dich jetzt reden hörte. Nun - -!«

Nämlich der Wurzelsepp griff keineswegs nach der angebotenen Hand. Er that einen Schluck aus seinem Glase und antwortete:

»Setz Dich nur wieder hin, wohin Du gehörst! Hasts gehört, daß man hier nicht sprechen darf.«

»Mit den Spielern nicht. Wir aber können doch gern mit nander reden.«

»Gern? Wohl nicht! Mir liegt gar nix dran.«

»Nicht? Meinst etwan, daß ich Dir zuwider bin?«

»Ja, dasselbige mein ich halt!«

»So, schau, schau! Vielleicht bist so gut, mir zu sagen, weshalb Du mich nicht leiden magst.«

»Das ist meine Sachen und nicht die Deine!«

»O doch! Hast mir doch früher immer ein freundlich Gesicht gemacht.«

»Damals, ja.«

»Warum jetzt nicht?«

»Jetzt paßts mir nicht mehr. Laß mich in Ruh!«

Er ging an seinen Tisch, setzte sich neben seinen Sack und blickte zum Fenster hinaus. Anton blieb noch einen Augenblick lang stehen. Er kämpfte


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mit sich selbst. Dann aber ging er dem Sepp nach, legte ihm die Hand auf die Achsel und sagte:

»Sepp, wann ein Anderer so zu mir gesprochen hätt, so weißt, was geschehen wär. Dir aber will ich nicht bös sein. Du bist ein braver Kerl, und ich halt gar große Stucken auf Dich. Es thut mir weh, daß Du so zuwider thust; ich will Dich auch gar nicht weiter molestiren, denn aufdringen thu ich mich niemals keinem Menschen nicht; aber sagen mußt mir, was ich Dir than haben soll.«

»Mir? Nix, gar nicht,« antwortete der Alte gleichmüthig, ohne den Blick von der Gasse zu wenden.

»Also Dir nicht? Wen dann sonst?«

»Das brauchst gar nicht zu fragen.«

»Ich frag's aber doch. Du bist ein verständiges Mannen und wirst mir nicht die Antwort verweigern, um die ich Dich bitten thu.«

Da drehte sich der Wurzelsepp langsam zu ihm um.

»Soll ichs Dir wirklich sagen, Anton?«

»Ja.«

»Du weißts nicht selber?«

»Nein.«

»So denkst wohl gar nicht an die Leni?«

»Ah! Also wegen der Leni! Ah!«

»Ja, wegen ihr. Weshalb sonst?«

»Ich hab ihr aber doch nix than.«

»Nix? Wirklich nix?«

»Nein.«

»Schau, wast für Einer bist! Erst schamerirst mit ihr, daß sie Dir ihr ganzes Herzerl schenkt; nachher nennsts eine Huren und gehst fort von ihr, und nun sprichst auch noch, daßt ihr nix than hättst, gar nix! So Einer kann mir gestohlen werden!«

»Machsts wohl gar viel schlimmer, als es wirklich ist, Wurzelsepp?«

»Nein, ich sag, was wahr ist. Du hast ihr das Herz brochen, verstanden, Anton, das Herz!«

Da setzte sich der Tabuletkrämer zu ihm hin.

»Sepp,« meinte er, »weißt, was das heißt, wann Einem das Herz brochen ist?«

»Meinst, ich weiß es nicht?«

»Nein, Du nicht!«

»Aber Du?«

»Ja.«

»Woher denn, Du Gescheidtkopf?«

»Ich weiß von mir!«

»So ist wohl Deins entzwei?«

»Ja.«

»So, so! Das ist lustig!«


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»Höre, Sepp, das ist gar nicht lustig! Wann ich den Vatern und die Muttern nicht gehabt hätt, so hätt ich mir deromals eine Kugeln in den Kopf geschossen. Das sag ich Dir!«

»Einer Huren wegen? Bist nicht recht klug im Kopf. Geh, das machst mir nicht weiß.«

»Damals war sie noch gut.«

»Damals! Heut wohl nimmer?«

»Nein.«

»Woher weißt das?«

»Ich habs mir denkt.«

»Ach so! Und was Du Dir denkst, das freilich ist allemal richtig. Wann Du so ein Klugkopf bist, so solltst eigentlich gar nimmer mehr an das Dirndl denken. Sie ists ja nicht werth.«

Anton blickte vor sich nieder, finster, brütend. Dann sagte er, wie im Zorn:

»Ich denk auch nimmer mehr an sie.«

»Und doch ist Dir das Herz entzwei!«

»Jetzt nicht mehr.«

»So ists halt geheilt? Schau, das freut mich! Jetzt bist also wieder gesund, und so hast nun alleweil kein Ursachen mehr, auf das Dirndl zu zanken. Das ist recht von Dir. Sie hat Dich auch schon allbereits vergessen.«

»Meinst?«

»Ja.«

»Woher weißt das?«

»Sie hat mirs selber sagt.«

»So! Du warst also bei ihr?«

»Ich bin halt sehr oft bei ihr.«

»Wirklich? Hats Dich dann noch gern? Bist ihr dann willkommen, wannst sie besuchst?«

Er hatte den Stuhl näher gerückt. Seine Wangen waren röther geworden, und seine Augen leuchteten. Es war ihm anzusehen, daß er nur zu gern von der Geliebten etwas hören mochte. Sepp bemerkte das wohl, that aber nicht so. Er antwortete:

»Warum sollt ich ihr nimmer willkommen sein? Ich bin halt doch ihr Pathen!«

»Ich meint, sie wär stolz geworden!«

»Die? Stolz? Ja, sie könnt gar wohl stolz werden; aber das thut sie nicht.«

»Wann warst zuletzt dort?«

»In voriger Woch.«

»Hast auch - hast auch vielleicht von mir gesprochen?«

»Ich? Das ist mir nicht eingefallen!«

»Oder sie?«


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»Der Leni fallts noch viel weniger ein. Seit der Stund am Felsen unten, an der Ecken, wann man von der Almhütten herabkommt, weißt, und seit dem Wort, was Du damals sagt hast, seit dem spricht sie nimmer von Dir. Sie meint, Du bists gar nicht werth.«

»Wann sie das denkt, so ist auch sie nicht werth, daß ich von ihr sprech.«

»Hasts auch nicht nöthig.«

»Aber schau, wovon solln wir sonst sprechen, wann wir hier so beinander sitzen?«

»Ich bin nicht schuld daran, daß wir beisammen sind. Geh hinüber zu Deinem Kasten.«

»Das mag ich auch nicht. Ich halt gar große Stucken auf Dich, und es gefreut mich darum sehr, daß ich Dich hier troffen hab. Aber sag mir doch mal: Ist sie noch immer drin in München?«

»Wer?«

»Nun, die Leni.«

»Ah, von der sprichst noch! Bist doch ein sehr besonderbarer Mensch. Willst gar nix mehr von ihr wissen und fragst doch immer wieder nach ihr.«

»Nur so, weißt, damit man was zu reden hat.«

»Wir können doch auch von was Anderem reden. Vom Geschäft. Wie geht das Deinige?«

»Gut, ich bin zufrieden. Und Du?«

»Ich auch. Ich hab so meine feste Kundschaft, und wann ich diese befriedigen kann, nachher hats keine Noth mit mir.«

»Machst auch in München viel Geschäft?«

»Auch.«

»Ich hab denkt, Du gehst nur der Leni wegen hin.«

»Nein, ich hab da meine Apothekern und anderen Leut bereits seit langer Zeit.«

»Und wo wohnt sie denn?«

»Wer?«

»Nun, die Leni.«

»Ach, von der sprichst allbereits schon wieder! Brauchst keine Sorg zu haben. Sie hat ein Logement, mit dems sehr zufrieden sein kann.«

»Bei wem?«

»Bei einer Tragödistin.«

»Was ist das?«

»Das weißt nicht? So muß ich Dirs erklären. Weißt, es giebt verschiedene Stucken auf dem Theater, solche, wo sie einander bekommen, und solche, wo nicht, auch solche, wo sie leben bleiben, und solche, wo die Meisten umbracht werden. Ein Theaterstuck nun, wo sie einander nicht bekommen und wo sie zuletzt alle todt sind, das ist eine Tragöderei. Ein Mann, der da mitspielt, ist ein Tragödist und eine Frau eine Tragödistin.«

»So, also bei einer Schauspielerin wohnt sie?«


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»Ja.«

»Himmelsakra!«

Er schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Was hast?«

»Kann sie dann nicht wo anders wohnen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil die Frau Tragöderistin ihr Unterricht giebt im Theaterspielen, und nachher kommt die Musiklehrerin und der Musikprofessor. Da hat sie am ganzen Tag zu singen und zu deklamiren.«

»Wann sie sich doch zu Tode deklamiren thät!«

»Hör, da sagst nicht wieder, sonst ists gefehlt mit Dir! Ich bin ein alter Kerl, aber eine Hand hab ich auch noch, um Dir eine Watschen einzulangen, daß Du Dir die zweiunddreißig Zähne alle da unten in den Schuchen zusammenklauben mußt.«

»Na, so schlimm wars halt nicht gemeint. Aber daß sie beim Theatervolk bereits wohnt, daß sie nicht nur singt, sondern auch deklamirt, das hätt ich doch nicht dacht, Sepp.«

»Ja, am Besten ists halt, Du denkst gar nix. Du hast ja bereits gesagt, daß Du nimmer an sie denkst.«

»Nun, zuweilen kommt noch so ein kurzer Gedanke, weißt, wann ich es gar nicht merk.«

»So mußt halt besser aufpassen. Es ist nicht gut, wann Du Dinge nicht vergessen kannst, die nun doch vergessen sein müssen.«

»Müssen?«

»Ja. Mit Euch Beiden ists doch einmal aus.«

»Das ist schon richtig.«

»Also rath ich Dir, Dich nach einer Andern umzuschaun.«

»Gottsakra! Das fallt mir nimmer ein!«

»Warum?«

»Weil ich nicht mag.«

»Willst ledig bleiben?«

»Ja.«

»Das ist nicht gut. Weißt, das seh ich an mir. Wer kein Weib hat, der hat keine Heimath und keine bleibende Stätte, wo er sein Haupt zur Ruhe legen kann. Wann ich eine Frau genommen hätt, so braucht ich jetzt nicht herum zu wandern wie der ewige Jude, der den Herrgott geschumpfen hat. Ich sags halt noch einmal: Schau Dich bald nach einer Andern um!«

»Das meinst nicht im Ernst.«

»Es ist mein Ernst. Aber warum sprechen wir von dieser Sachen. Aus ist aus! Reden wir von andern Dingen. Bist mal in Wien gewesen?«

»Nein.«

»Nicht bei dem Musikprofessorn?«


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»Nein.«

»Ich denk, Du hast seiner Frauen damals das Leben gerettet!«

»Das ist schon wahr.«

»Hat er Dich nicht eingeladen?«

»Nein.«

»Schau, schau! Aber so ists halt stets. Diese vornehmen Leuteln sind undankbar.«

»Der Professorn nicht. Er hat mir viel Geldl angeboten, sehr viel.«

»Und hasts nicht genommen?«

»Nein. Das Geld macht auch nicht glücklich. Was ich brauche, das verdiene ich mir. Und das Andere, nun, das muß eben getragen werden. Aber sag, geht sie viel spazieren?«

»Wer?«

»Nun, die Leni.«

»Ach, von der sprichst schon wieder! Nein, sie kommt nicht viel aus. Aber das Theater sieht sie sich an.«

»Und das gefallt ihr sehr?«

»Freilich.«

»Oder kommen Leuteln zu ihr auf Besuch?«

»Ja.«

»Auch Bubn?«

»Hör mal, Anton, Bubn giebts da gar nicht. Die da kommen, die sind vornehme Herrn.«

»Alle Teufel!«

Er fuhr empor.

»Was hast?«

»Das will ich mir verbitten!«

»Was?«

»Daß solche Schnuderln zu ihr laufen«

»Was gehts Dich an? Du hast ihr ja doch den Abschied geben! Oder etwan nicht?«

»Ja, das ist freilich wahr,« meinte Anton kleinlaut.

»Nun, so gehts Dich also auch nix an, wann solche Herren zu ihr gehen.«

»Sinds etwan Kavalleristen?«

»Nein. Soldaten sinds nicht.«

»Das meine ich auch nicht.«

»Kavalleristen sind doch Soldaten!«

»Ach ja! Weißt, ich meine Kavalleriere.«

»Das kenne ich nicht. Du willst wohl sagen Cavaliere?«

»Ja, weißt, solche mit Handschuchern und Ziehharmoniehüten und einer Quetschbrillen auf der Nasen. Diese Sorten mein ich.«

»Ja, die kommen zu ihr.«

»Und was wollen die?«


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»Das sind ihre Lehrer, oder sie kommen vom König, um nach ihr zu fragen.«

»Kommt der nicht auch selber?«

»Nein.«

»Hm! Hat sie denn bereits was gelernt?«

»Das will ich meinen! Als ich am letzten Male bei ihr war, da hat sie mit mir eine Probirerei abgehalten. O, was für Liederln hat sie da sungen! Eins war dabei, besonders schön; da lauteten die letzten Worte allemal »Ihm hat ein goldner Stern gestrahlt«. Das war eine Pracht und eine Herrlichkeiten! Und nachher hat sie mir noch Anderes vorsungen, weißt, so la la la la la la hinauf und la la la la la la herunter. Auch hoch oben im höchsten Ton ein Trrrrrrrrr und ganz unten wieder ein Brrrrrrr. Es war ausgezeichnet schön. Sie hat trillert wie eine Lerchen. Und weißt, am Schönsten ists gewest, wann sie das Maul hat aufgesperrt, daß der Magen hat beinahe herausgeschaut und nachher hats gemacht Lrlrlrlrlrlrlr und nachher wiederum doppelt Llrrllrrllrrllrrllrrllrr. Und dabei hat sie geschnippst und gewippst wie ein Bachstelzen mit dem Schwanzerl. Ich sag Dir, das wird eine Künstlerin, wie noch gar keine da gewesen ist auf dera Welt.«

»So hat sie keine Lust, zu verzichten?«

»Auf was?«

»Aufs Theater.«

»Das fallt ihr gar nimmer ein. Sie wird ja in den nächsten Tagen bereits ein Conzert geben.«

»Ein Conzerten?«

»Jawohl!«

»Bist gescheidt!«

»Sehr.«

»Wo soll dieses Conzerten denn sein?«

»Das ist Dir ja gleich.«

»Warum?«

»Weilst so wie so nimmer an sie denkst.«

»Aber hören möcht ich sie doch mal.«

»So! Ach so! Das bringst nicht fertig.«

»Warum?«

»Das kostet Geld.«

»Nun, was das wohl kost, das hab ich.«

»Wie viel denkst?«

»Fünf Groschen. Das ist doch nobel.«

»Dank sehr für dera Nobleß! Fünfzehn Mark kostets im Stehn, und wer sitzen will, der muß gar zwanzig zahln.«

Der Krikelanton sperrte den Mund auf.

»Fünfzehn - zwanzig Markerln! Dafür kann ich mir daheim eine Stuben miethen fürs ganze Jahr! Du machst mir was weiß!«

»Fällt mir gar nicht ein. Weißt, das Conzertl ist nur für reiche Leutln,


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für Kenner, welche oft auch noch mehr zahlen. Und die Leni ist nicht allein dabei, sondern es kommt noch Einer, der schlägt das Clavier, ein berühmter Mann, der die ganze Brust voller Orden hat und den Buckel hinten auch. Er hat vor allen Potentaten bereits gespielt und heißt entweder Gescheidt oder Kluge oder Lißt, ich weiß es nimmer genau. Grad wegen dem ist's so theuer. Und der König kommt auch.«

»Wirklich?«

»Ja, es ist bestimmt. Die Leni sagte mirs.«

»So geh ich auch.«

»Mensch! Fünfzehn Markerln.«

»Ich zahl sie; ich zahl sie. Ich will sie hörn.«

»Du hörst sie nicht. Das Conzertl ist nicht für alle Leutln. Es bekommt nicht ein Jeder ein Billeten.«

»So! Wo ists denn?«

»Hier im Bad.«

»Hier, hier? Und wann?«

»Am Sonnabend Abend. Es spielt auch noch Einer mit, der die Vigelinen hat; das hab ich nicht gewußt, sondern erst heute erfahren. Bist denn am Sonnabend noch immer hier?«

Anton blickte sinnend nieder. Es schien ihm gerathener, dem Sepp gar nicht merken zu lassen, was er vorhabe. Darum antwortete er ihm:

»Nein. Am Sonnabend bin ich schon lang wieder fort.«

»Siehst, daßt sie also nicht sehen kannst.«

»Ja, leider! Aber sag, wie wird sie denn angezogen sein?«

»Meinst, was für ein Kleid sie hat?«

»Ja.«

»Das kann ich doch nicht wissen.«

»Hat sie denn ein schönes Gewandel zu so einem Conzerterl, Sepp?«

»Gewandeln hats schon genug.«

»Von wem?«

»Vom König. Der zahlt Alles.«

»O Jerum! Und in welchen Gewandeln singt sie daheim, wann sie Stund hat?«

»In einem Gewandel, das wird ein Hausrock geheißen.«

»Singt sie nicht auch manchmal in einem Kleiderl, wo - wo - - wo keine Aermel dran sind?«

Er war ganz roth im Gesicht geworden.

»Keine Aermel? Was bist für ein talketer Kerl!«

»Und - und auch vorn kein Kleid und kein Hemd?«

»Auch vorn nicht? Jetzt hör mal auf! Was denkst eigentlich von mir. Sie muß zwar manchmal ein ganz besonderbars Habiterl umthun, aber vorn ist doch allemal ein Gewand und das Hemden erst recht.«

»So, also ein besonderbares giebts doch manchmal? Wie dann, Sepp?«

Er war ganz Feuer und Flamme. Das, ja besonders das mußte er er-


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fahren. Grad der Umstand, daß eine Sängerin entblößt erscheinen muß, wenn die Rolle es mit sich bringt, war ja der Grund gewesen, daß er so zornig gewesen war.

»Nun,« antwortete der Sepp, »ich habs einmal gesehen, als ich am letzten Male bei ihr war. Weißt, es ist da ein Compernist, der heißt Wagner und Richard auch. Auf den hält der König sehr große Stucken. Er soll ein vielgescheidter Kerl sein und ein Musiken compernirn, wie noch niemals ein Anderer eine compernirt hat. Der verintressirt sich sehr für die Leni und kommt oft, um zu hören, was sie indeß wieder gelernt hat. Und am letzten Male war ich in der andern Stub und konnt durch die Glasthüren hineinblicken. Da mußt die Leni eine Saloppen umthun und dann band er sie mit dem Leib an den Thürknauf, daß sie nicht fallen konnt. Nachher mußt sie den Oberkörper weit vorwerfen und mit den Armen so hinausschlagen und battalgen, als ob sie schwimmen wollt.«

»Das ist doch verruckt!«

»Nein. Es giebt ein Theaterstucken, worinnen das vorkommt.«

»Wie heißt das?«

»Rheingold heißts. Und nachher, als sie so in der Stuben schwamm, aber freilich ohne Wasser, da setzt er sich ans Clavier und begann zu spielen. Nachher rief er laut: »Jetzunder, Woglinde, jetzt!« Und nun sang sie zum Schwimmen.«

»Leni hat er doch gesagt!«

»Nein. In diesem Stucken heißt sie alleweil Woglinde, und da hat sie gesungen:

»Weia! Waga!
Woge, du Welle,
Walle zur Wiege!
Wagalaweia!
Wallala weiala weia!«

»Himmelsakra! Das ist doch eine Dummheiten, wies gar keine zweite nimmer giebt.«

»Was?«

»Das kann doch nur ein ganz verruckter Kerl singen. Das sind doch gar keine richtigen Versen!«

»Na, behüt Dich Gott, Anton! Bist Du dumm! Wann Eine schwimmt, soll sie auch noch richtige Versen singen! Spring doch mal ins Wasser und sing ein Gestanzel mit einem Jodler, wann Dir dabei das Wasser ins Maul läuft und zur Nasen wieder heraus! Da verstehst Du halt gar nix von! Der Wagners Richard ist ganz toll gewesen vor Freuden, daß sies so schön gemacht hat. Er hat ihr auf die Wang klopft und dabei - -«

»Der Teuxel soll ihn holen!« rief Anton aus.

»So? Warum dann?«

»Was hat er ihr an die Wang zu klopfen!«

»Gehts Dich etwas an vielleicht?«


// 207 //

»Nein.«

»Und wann er sie auf den Buckel klopft oder noch tiefer drauf, so kanns Dir ganz egal sein! Verstehst mich! Und gelobt hat er sie. Und nachher mußt sie die Saloppen wieder anders umthun und ein Schnupftücherl in die Hand nehmen und damit wedeln und Etwas dazu singen. Das klang so mächtig und prächtig, daß die Fenstertafeln klirrt haben. Und als sie nachher fertig war, da hat er sie wieder auf die Wange klopft - - -«

»Donnerwetter!«

»Halts Maul! - - - und zu ihr sagt: das war richtig; das war gut; so ists recht! Das ist die richtige Isolden!«

»Isolden? Was ist das?«

»Isolde heißt Eine, die auch im Theater abgesungen wird. Ihr Liebster heißt entweder Tristan oder Christian; ich habs nicht ordentlich verstanden. Ja, dero Wagner ist ganz verschossen in die Leni, sag ich Dir und wann - -«

»Verschossen? Da soll doch gleich ein Donnerwetter dazwischen schlagen, daß Alles kracht!«

»Willst gleich ruhig sein, Einfaltspinsel! Was gehts Dich an! Uebrigens mußt mich richtig verstehen. Wann ein Compernist sich in eine Sängerin hinein verschießt, so ist das nicht etwan eine Liebelei, sondern es ist nur - nur - nur ein Kunstgenuß. Er ist nicht in das Maderl verliebt, sondern in die Noten, die sie trillert.«

»So mag er doch auf das Notenpapier klopfen und nicht auf ihre Wangen, der Haxerl, der!«

»Schweig Dich aus, sag ich Dir! Alles, was Du heut sprichst, das sind Dummheiten. Du thust ja grad ganz so, als ob Du der Leni ihr Schulmeister wärst und als ob sie Dir zu gehorchen hätt! Daraus wird nix! Wärst nicht so zuwider gewest, so wärt Ihr einig blieben und Du wärst nachher der Mann von der größten Sängerin worden; nix arbeiten, sondern die Händ in die Hosentaschen stecken und Caviar und Pumpernickel essen, das wär Deine Zukunft gewesen. Nun aber hasts nicht so haben wollen, bist fortgelaufen, und nun kannst Dir immer eine Andre suchen. Mit der gehst hausiren, und wann Ihr Hunger habt, so kocht Ihr Euch den Kragen von einem alten Reisepelzerl und trinkt ein gekochtes Gummiarabigummerl dazu. Das hält den Magen auch zusammen, daß er nimmer aus einander geht.«

»So schlimm wirds nicht werden!«

»Wie sonst? Die Leni kriegst nun nicht mehr!«

»Hab ich etwan gesagt, daß ich sie noch will?«

»Na, daßt sie noch willst, das sieht man Dir doch ganz deutlich an dera Nasenspitzen an!«

»Bekümmer Dich um Deine eigene Nasen, und wart, ob Ihr, nämlich Du und die Leni, einmal Cavuar und Pumpermichel zu essen habt. Du hast auch nur das große Mundwerk, weißt! Und wann das Singen gar so viel Geldl macht, so hab ich auch noch eine Stimme und kann ebensogut ein Künstler werden.«


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»Du? Das bild Dir nicht ein!«

»Warts ab! Jetzt aber hats mich schon gereut, daß ich so freundlich mit Dir gewesen bin. Wannst mir weiter nix erzählen kannst, als daß der Richardl, das Wagnerl, der Leni an die Wangen greift, so kannst mich nur blos dauern. Du als Path sollst darauf sehen, daß kein Mann ihr so im Gesicht herum tatschelt, verstanden? Das schickt sich nicht für ein Dirndl, und das schickt sich auch nicht für einen Pathen!«

Er war vom Stuhle aufgestanden und ganz zornig geworden.

»Oho!« meinte der Wurzelsepp. »Was begehrst dann auf einmal so auf! Du hast gar nix zu befehlen, gar nix! Verstanden!«

Da drehte sich der Wirth von seinen Karten ab und rief herüber:

»Jetzt, wann Ihr nicht endlich aufhört, nehm ich die Peitschen und prügel Euch alle Beid hinaus! Das wär mir eine Sachen, hier in meiner ruhigen Stuben einen solchen Scandöps aufzuführen! Ich rath Euch Guts! Schlängelt Euch zur Thür hinaus, sonst setzts was Gepfefferts! Ich spiel hier Scat, und da habt Ihr so still zu sein, als ob Ihr in der Kirchen wärt!«

»Na, beten wirst auch nicht dabei, Matthes!« antwortete Anton. »Aber weil Du mit dera Peitschen kommen willst, so kann ich halt schon gehn, sonst könnts kommen, daß Du Deine eigene Peitschen zu schmecken bekommst.«

»Du!« drohte der Wirth. »Mach mir kein Geschimpf, sonst werf ich Dir alls an den Kopf, was ich find!«

»Versuchs doch!«

»Was! Glaubst etwan, daß ich nicht Wort halt? Hier schau, da kommts bereits.«

Die drei Scatspieler hatten drei Blechbüchsen vor sich stehen, in denen sich das Geld befand. Der Wirth ergriff die seinige und warf sie mit sammt dem Gelde dem Anton an den Kopf.

»So! Hast genug?« fragte er zornig.

»Immer weiter!«

»Gut! Hier und hier auch! Gefallts Dir so?«

Er nahm auch die Büchse seines Sohnes und seiner Frau und warf beide nach Antons Kopf, so daß die Geldstücke in der Stube herumkollerten.

»Ja, das gefallt mir sehr gut!« lachte der Tabuletkrämer.

»So kannst auch noch die Karten haben.«

Er schleuderte ihm auch noch die Karten ins Gesicht, stand dann auf und griff zum ersten besten Gefäß, welches auf dem Büffet stand.

»Hast nun genug oder willst auch noch den Bierkrug haben und das Wasserschäffel dazu?«

»Nein, ich dank, Matthes! Jetzt hab ich genug!«

»So mach Dich hinaus, und zahl erst Dein Bier.«

»Was kosts?«

»Zehn Pfennige.«

»Hier hast! Wann ich wiederkehr, werd ich Zeit haben, Dir Dein Geldl mit aufzuheben. Bis dahin kannsts liegen lassen.«


// 209 //

Er ging lachend fort, und auch der Wirth lachte, daß er sich zu der Dummheit, Geld und Karten in der Stube herum zu schleudern, hatte verleiten lassen.

Jetzt nun begann Anton, zu hausiren. Da sich das Geschäft heut beim Baron von Stauffen so gut angelassen hatte, so hoffte er, daß es wohl auch nicht unbefriedigend endigen werde.

Er hatte sich nicht getäuscht. Er fand zahlreiche Käufer, so daß er noch nie einen so günstigen Tag gehabt hatte, wie heut. Als der Abend bereits herein zu dunkeln begann, kam er noch in ein sehr anständiges Haus, wo er in der Parterrewohnung nichts verkaufte. Er stieg zur Treppe empor. Da war an die Thür eine Visitenkarte befestigt, auf welcher zu lesen war »Professor Weinhold.«

Er beachtete den Namen gar nicht und klingelte. Ein Dienstmädchen öffnete. Als sie hörte, was er zu verkaufen habe, ließ sie ihn in die Küche treten, um sich seine Raritäten anzusehen. Beide waren bald in voller Thätigkeit und mochten dabei etwas lauter sein, als sich's gehörte, denn es wurde eine Thür geöffnet, eine feine Dame trat halb heraus und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Nicht so laut, Anna! Du weißt ja, daß mein Mann componirt!«

Anton hatte ihr den Rücken zugekehrt. Schon wollte sie sich wieder zurückziehen, da drehte er sich um. Ihr Blick fiel auf ihn. Da rief sie laut im Tone freudiger Ueberraschung:

»Was? Ists möglich? Der Krikelanton!«

Er sah sie forschend an. Sie sah viel anders aus als damals, wo er sie halb todt und verschmachtet oben auf dem Felsen gefunden hatte; dennoch aber erkannte er sie sofort auch.

»Du bists!« antwortete er, ihr die Hand entgegenstreckend. »Das hätt ich nicht gedacht. Grüß Gott auch!«

»Grüß Gott und willkommen, Anton! Wie geht es denn?«

»Immer gut. Schau, was ich geworden bin! Ein Tabuletkramer. Kannst mir auch was abkaufen!«

»Natürlich! Aber komm herein zu meinem Manne, der sich ebenso wie ich freuen wird.«

»Natürlich, natürlich!« erklang es hinter ihr. »Ich hörte den Namen Krikelanton und bin natürlich gleich auch heraus gekommen. Laß Deine Sachen da in der Küche, Anton, und komm herein!«

Bald saßen die Drei beisammen in der Wohnstube. Der Professor befand sich mit seiner Frau hier im Bade. Beide waren aufrichtig erfreut, den Retter wiederzusehen, und machten ihm die größten Vorwürfe, daß er nichts hatte von sich hören lassen.

»Und wie steht es mit der Anweisung?« fragte der Professor. »Hast Du sie benutzt?«

»Nein,« antwortete der Gefragte. »Ich hab halt glaubt, Du führst mich an der Nas herum.«


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»Dich? Den Retter meiner Frau? Was traust Du mir zu!«

»Ich hab den Zetterl noch einistecken.«

»Behalt ihn nur, und verlier ihn nicht. Wenn Du Geld brauchst, so gehst Du nach Salzburg; da bekommst Du es, sobald Du die Anweisung vorzeigst.«

»Das werd ich schon wohl nicht thun. Ich hab, was ich brauch. Lieber kannst mir einen andern Gefalln erweisen.«

»Gern. Was wünschest Du?«

»Wirsts aber auch thun?«

»Ganz sicher, wenn ich kann.«

»Ich möcht ein Billeterl zum Conzertl.«

»Ein Billet zum Concert? Wenns weiter nichts ist! Welches Concert aber meinst Du?«

»Am Sonnabend für fünfzehn Mark zum Stehen.«

»Sapperlot!« meinte der Professor erstaunt. »Woher weißt denn Du bereits von dem Concert? Ich denke, es ist noch Geheimniß. Ich selbst habe es erst vorhin von dem Capellmeister gehört.«

»Ich werds doch wissen! Weißt, ich mag das Geldl für das Billeterl nicht etwan von Dir!«

»Nicht?«

»Nein. Ich zahls selbst.«

»Warum soll ich Dir da das Billet besorgen?«

»Ich hab hört, daß nicht ein Jeder ein Billeterl bekommt, auch dann nicht, wann ers zahlen will. Darum sollst Du es mir versorgen.«

»Sehr gern. Aber wie kommt es denn, daß Du grad dieses Concert hören willst?«

»Weil die Leni singt.«

»Wer ist das?«

»Das ist die Sennerin, die mein Schatz war.«

»Ah. Ja, eine Sennerin singt. Auf dem Programm wird aber nicht Leni stehen. Wie ist ihr Zuname?«

»Sie heißt Leni Berghuber.«

»Sie singt unter dem Namen Mureni.«

»Mureni? Ah, das begreif ich schon. Sie ist bei uns die Muhrenleni genannt worden. Mureni klingt fast beinahe so.«

»Und die ist Deine Liebste?«

»Jetzund nicht mehr.«

»Warum nicht?«

»Eben weil sie zum Theater gangen ist. Das kann ich nicht dulden.«

»Aber ist das nicht vielleicht ein Irrthum, Anton? Die Mureni, welche singen wird, ist eine Schützlingin des Königs Ludwig von Bayern.«

»Ja, das ist grad die meinige auch.«

»Das wäre ja höchst interessant! Wie ist sie denn mit dem Könige bekannt geworden?«


// 211 //

»Das will ich Euch halt erzählen.«

Er erzählte, wie lange er bereits der Sennerin gut gewesen war und wie er nachher an jenem Abende das Glück gehabt hatte, den König aus den Krallen des Bären zu befreien; dann weiter, immer weiter, bis zum Augenblick, an welchem er sich unten an der Ecke des Felsens von Leni getrennt hatte.

Die Beiden hörten ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Als er geendet hatte, sagte der Professor:

»Das ist ja eine Novelle, ein Roman, ein wirklicher, erlebter Roman! Aber, Anton, ich begreife Dich nicht! Die Leni war also hübsch?«

»Hübscher als Alle.«

»Und gut?«

»Sie war die Bravste, die ich kannt hab.«

»Und Du hast sie von Dir gestoßen!«

»Ja. Ich mag keine Sängerin, keine Schauspielerin!«

»Das ist ein Vorurtheil. Es giebt unter den Künstlerinnen ganz brave Damen.«

»Aber eine Dame mag ich halt nicht!«

»So will ich sagen, es giebt ganz brave Mädchen unter ihnen.«

»Das glaub ich nicht.«

»Wenn ich es Dir sage, so kannst Du es glauben. Ich bin Professor der Musik. Ich habe bereits manchen Künstler und manche Künstlerin ausgebildet. Ich habe mich zwar zuweilen in diesen Leuten getäuscht, aber ich habe auch sehr oft die freudige Genugthuung gehabt, daß meine Schüler oder Schülerinnen nicht nur in Beziehung auf ihre künstlerischen Leistungen, sondern auch in Bezug auf ihre Moralität alle meine Hoffnungen erfüllt haben.«

»So sag mir einmal Eins: Muß eine Sängerin auch mit bloßen Armen gehen, wohl gar auch in einem ausgeschnittenen Gewand?«

»Zuweilen ja.«

»Das ists grad, was ich nicht dulden mag.«

»Auch das ist Vorurtheil!«

»Nein. Meine Frau soll nicht so gehn und sich nicht so den Leuten zeigen. Ich müßt mich schämen in meine und auch in ihre tiefste Seel hinein, wann fremde Leutel von ihr Das sehen dürften, was höchstens nur der Mann erschauen darf.«

»Aber in den Augenblicken, an welchen sie die Gestaltungen der Kunst zur Darstellung bringt, ist sie nicht Frau, sondern Künstlerin!«

»Grad eben das ist der Fehler! Meine Frau soll nix weiter sein als meine Frau. Was Du da sagst, das ist auch nicht unanfechtbar, Professor. Weißt, ebenso gut könntst auch sagen, eine Frau dürft sich mit andern Männerln abgeben, denn an dem Augenblick, an welchem sie dies thut, ist sie nicht Frau, sondern die Liebste des Andern. Auf diese Art und Weis würd es gar niemals eine Ehebrecherin geben und überhaupt gar kein Verbrechen. Nein, ich mach nicht mit.«


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»Also Du willst ganz auf die Leni verzichten?«

Diese Frage war in einem so eindringlichen Ton ausgesprochen, daß Anton vor sich niederblickte und mit der Antwort zögerte. Darum sagte die Professorin:

»Du hast uns von Deinem Mädchen erzählt, und ich hab aus Allem gehört, daß Du die Leni sehr lieb gehabt hast.«

»Lieber als mein Leben!«

»Und daß Du sie auch heut noch liebst?«

»Ja freilich leider!« antwortete er, ihr offen in die Augen blickend. »Ich wollt, es wär nimmer so.«

»Nun, so entsage noch nicht!«

»Das hab ich mir auch so denkt. Ich will sie eben erst mal singen hören. Wann sie dann ordentlich gekleidet kommt, so mags gehen. Wann sie aber etwan nackt im Conzertl herumläuft, so ists für immer ab mit uns. Also willst mir das Billeterl verschaffen?«

»Gern. Aber es hat doch eine kleine Schwierigkeit, Anton. Es ist wahr, daß zu so einem Concert nur sehr feine Herrschaften gehen. Dazu aber paßt Dein Anzug nicht.«

»Das ist bös!«

»Und soll die Leni Dich denn sehen?«

»Alleweil auf keinem Fall!«

»Aber in diesem Anzug würdest Du vom andern Publikum so abstechen, daß sie Dich sofort erblicken müßte. Abgesehen davon, daß sie Dich nicht bemerken soll, würde es auch möglich sein, daß Dein Anblick sie irre macht und sie aus Schreck umwirft.«

»Das wär eine Schand für sie, und das darf nicht sein.«

»So mußt Du also einen andern Anzug haben.«

»Ich werd wohl einen geborgt erhalten.«

»Ja, und zwar von mir. Wir sind gleicher Gestalt.«

»Der würd mir jedenfalls besser passen, als das Kleidungsstück damals vom Baron. Der ist schwächer, als ich bin, und ich hab drin steckt wie der Aliphant im Schneckenhäuserl. Aber es soll auch Niemand weiter erfahrn, daß ich das Conzertl mitmach. Du darfsts also Niemand sagen.«

Während hier diese für den Krikelanton so hochwichtige Angelegenheit berathen wurde, war auf dem Bahnhofe ein Zug angekommen. Unter den Aussteigenden befand sich ein Herr, welcher sofort nach dem Telegraphenamt ging und sich ein Depeschenformular geben ließ. Als er es ausgefüllt hatte und es dem Telegraphisten gab, warf dieser, nachdem er es gelesen hatte, einen erst forschenden und dann ehrerbietigen Blick auf den Herrn und fragte sehr höflich:

»Wohin soll ich die Antwort senden?«

»Ich warte in der Bahnrestauration.«

»Sehr wohl!«

Der Passagier entfernte sich. Zufälliger Weise trat soeben der Vorstand des Bahnhofes in die Telegraphenexpedition. Der Telegraphist sagte zu ihm:


// 213 //

»Wir haben hohen Besuch und werden heut wohl auch noch höheren bekommen.«

»Wen?«

»Lesen Sie!«

Er gab ihm die Depesche hin. Der Vorstand las:

    »An Siegfried, Bahnlagernd Rosenheim.
Bin soeben hier angekommen. Wann darf ich Sie erwarten?
Und soll ich auspacken?     Tristan.«

»Eine eigenthümliche Ueber- und auch Unterschrift!« bemerkte der Vorstand.

»Ahnen Sie, wer die beiden Correspondenten sind?«

» Nein.«

»Ja, Sie sind kein großer Verehrer der musikalischen Künste. Tristan und Siegfried sind zwei Heldengestalten aus Wagner'schen Opern - - -«

»So viel weiß ich freilich auch.«

»Andere wissen, daß der König und Wagner, wenn sie privatim mit einander verkehren, sich oft bei solchen Opernnamen nennen.«

»Alle Wetter! Sie meinen - - -?«

»Daß Wagner diese Depesche aufgegeben hat.«

»Wirklich?«

»Ja, gewiß.«

»Sie haben ihn erkannt?«

»Natürlich. Ich habe ihn schon einige Male gesehen, und wer dieses Gesicht erblickt hat, der kann es mit keinem andern verwechseln.«

»Und so meinen Sie, daß der Adressat seines Telegramms der König sei?«

»Ich vermuthe es.«

»Dann käme er hierher!«

»Bestimmt! Es ist schade, daß wir verschwiegen sein müssen. Diese Nachricht würde ungeheures Aufsehen erregen, zumal der König die Einsamkeit so liebt, daß es schwer ist, ihn einmal zu erblicken.«

»Ja, schweigen müssen wir; aber höchst begierig bin ich auf die Antwort. Geben Sie mir sofort Nachricht, wenn sie angekommen ist.«

Bereits nach einer Viertelstunde ließ der Telegraphist den Vorstand holen. Die Antwort war angekommen und lautete folgendermaßen:

    »An Tristan.
Ich komme nicht mit dem Zuge. Will nicht bemerkt werden. Gehe zu Fuß über den Berg. Packen Sie aus. Ankunft acht Uhr.
    Siegfried.«

Diese Depesche wurde nach dem Wartezimmer erster Classe getragen. Dort hing das Bild Wagners an der Wand. Wer dasselbe mit dem Passagier verglich, der mußte sich allerdings sagen, daß dieser Letztere kein Anderer als der berühmte Operncomponist sei.

Nachdem er die Depesche gelesen hatte, trat er hinaus auf den Perron. Er schien Jemand zu suchen, aber zweifelhaft zu sein, wen er wählen solle. Da kam die Gestalt des Wurzelsepp langsam und gemächlich um die Ecke des


// 214 //

Stationsgebäudes geschlendert. Er hatte sich im Gasthause des Spielmatthes gelangweilt und war nach dem Bahnhof spaziert, weil es für ihn ein großes Vergnügen war, Bahnzüge kommen und gehen zu sehen.

Als Wagner ihn erblickte, heiterte sich sein Gesicht auf. Er schritt auf ihn zu.

»Wurzelsepp, Du hier! Das ist schön!«

»Du auch hier, Herr Kompernist! Das ist auch schön! Hier hast meine Patsch! Willkommen auch! Kommst aus dem München?«

»Ja.«

»Hast die Leni gesehen?«

»Gestern noch.«

»Und was macht das Dirndl?«

»Sie befindet sich wohl und übt fleißig.«

»So bist mit ihr zufrieden?«

»In hohem Grade -«

»Schau, das gefreut mich; das gefreut mich sehr! Aber sag, was treibst denn da hier im Ort?«

»Ich will für einige Tage die Einsamkeit genießen.«

»So wohnst hier?«

»Ja.«

»Im Gasthofe?«

»Nein. Es war annoncirt, und da habe ich brieflich eingemiethet, nämlich ein Parterre bei einem Müller, welcher Kellermann heißt.«

»Kellermann? Das ist nicht in der Stadt, sondern draußen im Dorf in der Thalmühl.«

»Kennst Du sie und den Müller?«

»Ei wohl, sehr genau.«

»Ists weit hinaus?«

»Gar nicht. Eine Viertelstund den Fluß hinab. Der Müllern aber wird Dir nimmer gut gefallen. Er ist ein Grobsack und Zuwiderkopf.«

»Ich werde mit ihm nichts zu schaffen haben. Nun aber könntest Du mir einen Gefallen thun.«

»Drei oder vier, auch fünf oder zehn anstatt nur einen. Ich hab nix zu thun und kann Dir helfen.«

»Ich habe nämlich Gepäck hier. Niemand soll wissen, wo ich logire. Jedenfalls bin ich bereits erkannt worden, und darum sollst Du mir das Gepäck besorgen. Du nimmst einige Leute, die sich nicht ausfragen lassen, und bringst es mir hinaus.«

»Na, das ist auch nicht sehr klug.«

»Wieso?«

»Weil die Leut dann aufpassen, wohin wir gehn. Ich werd es also anders machen.«

»Wie denn?«

»Der Scatmattheswirth hat ein Pferd und Wagen; das borg ich mir


// 215 //

aus, lad Alls hinauf und brings Dir hinaus. Da bin ich allein und kann es so einrichten, daß gar Niemand merkt, wohin ich fahr.«

»So ist es recht. Und nun noch Eins. Dir kann ich es anvertrauen, denn ich weiß, daß Du verschwiegen bist. Der König kommt heut Abend acht Uhr hier an. Er will einige Tage unerkannt bei mir wohnen, und er telegraphirt mir, daß er über den Berg kommen will. Weißt Du, wo das ist?«

»Freilich. Ich komm auch allemal da herüber. Man steigt an der letzten Station aus und kommt nachher unten an der Thalmühl an den Fluß. Da ist die Fähr, mit der man hinüberrudert. Und wannst jetzund nach der Mühl willst, so gehst halt gar nicht durch die Stadt, sondern immer am Fluß hin. Nachher siehst die Gebäuden der Mühl dort stehen und gehst gleich ins erste hinein. Rechts von der Hausthür wohnt der Müllern. Kannst ihn gar nicht fehlen und brauchst nicht zu fragen.«

Sie trennten sich. Richard Wagner folgte der Weisung des Wurzelsepp und erreichte die Mühle, ohne sich geirrt zu haben. Im Gärtchen saßen einige Badegäste, welche er aber gar nicht beachtete. Er ging in die bezeichnete Stube, natürlich nachdem er vorher angeklopft hatte.

»Herein!« hatte der Müller von innen gerufen.

Wagner grüßte. Das Aeußere des Müllers wollte ihm gar nicht gefallen.

»Was willst?« fragte dieser.

»Ich heiße Wagner und habe Ihr Parterre gemiethet.«

»Sag Du zu mir; ich sags auch zu Dir. Willst jetzt hinein ziehen?«

»Ja.«

»Hast Geld mit?«

»Natürlich.«

»So zahl die Mieth! Alle Wochen wird vorher bezahlt. Wannst dann die Möbeln und Sachen gut hältst, so haben wir nix mit nander zu schaffen. Wannst aber unerzogen hanthierst, so werf ich Dich hinaus.«

Wagner ignorirte diese Grobheit, zahlte ihm den Betrag hin und fragte:

»Wo ist die Wohnung?«

»Drüben in der Villa. Hier ist der Schlüssel zum Eingang. Dia andern Schlüsserln stecken an den Thürn.«

»Wohne ich allein?«

»Nein.«

»Wer wohnt noch dort?«

»Schau sie Dir selber an! Und jetzund machst, daßt fortkommst! Ich hab keine Zeit zum Schwatzen.«

Wagner nahm den Schlüssel, welcher auf dem Tisch gelegen hatte, und ging. Er hatte die Villa bereits im Vorübergehen gesehen. Als er die Anhöhe erstiegen hatte, und eben eintreten wollte, kam der Italiener heraus. Beide stutzten.

»Was!« rief Wagner. »Sie hier, Herr Concertmeister!«

»Und Sie, Signor! Welch eine Ueberraschung! Che bell sorpresa!«

»Sie wohnen hier?«


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»Ja, ich hier wohnen, ßehr, ßehr!«

»Wer noch?«

»Einen Baron von Stauffen mit zwei Töchter.«

»Das geht. Ich ziehe nämlich ins Parterre.«

»Sie ßiehen ins Parterr? Ists möklik?«

»Ja. Ich freue mich, daß wir uns hier treffen und sogar in einem Hause wohnen. Aber ich möchte nicht von den Leuten belästigt werden und lieber unbekannt bleiben. Kommen Sie mit herein. Wir wollen sehen, was ich für eine Wohnung habe.«

Nach einiger Zeit kam der Wurzelsepp mit dem Fuhrwerk. Zwei Koffer und einige Kisten wurden abgeladen, und dann schaffte er das Geschirr wieder in die Stadt zurück. Gegen Abend ging er aber wieder hinaus nach der Mühle, lenkte aber hinüber nach der Fähre, wo der Fex am Ufer saß und ihn erwartet hatte. Sie unterhielten sich, obgleich Niemand zugegen war, leise mit einander, bis eine halbe Stunde vor acht Uhr Wagner und der Concertmeister kamen und übergesetzt zu werden begehrten. Der Fex gehorchte und kam sodann wieder herüber gerudert.

»Was mögen die Beiden noch im Wald zu suchen haben,« sagte er. »Der Fremde sah sehr vornehm aus.«

»Na, wann Du wüßtest, wer er ist, so würde es Dich sehr gefreuen, Fex.«

»Nun, wer?«

»Richard Wagner.«

»Der Wagner! Ah! Es ist wahr. Ich hab sein Bild gesehen; er ists; ja, er ists. Ist er im Bad?«

»Freilich. Und er wohnt seit vorhin beim Müllern, drüben im Parterre der Villa. Nachher kommt auch der König, den sie jetzt abholen. Du wirst ihn überzusetzen haben.«

Das Erstaunen des Fex war natürlich ein großes. Der berühmte Componist hier! Und gar der König auch! Er war ganz Feuer und Flamme und versprach es dem Sepp sehr gern, das Geheimniß zu bewahren. Dann meinte er:

»Jetzt werden wir wohl auch eine Musiken hören, eine sehr gute, und - - aber horch!«

Von flußaufwärts ließ sich ein eigenthümliches Geräusch vernehmen, wie ein unterdrücktes Brüllen. Der Fex lauschte noch einen Augenblick und sagte dann:

»Geh schnell weg! Das Wasser kommt!«

Er riß den Sepp weit vom Ufer zurück, sprang sodann in die Fähre und befestigte sie noch mit einer zweiten Kette. Das war das Werk kaum einer Sekunde. Dann sprang er wieder an das Land, zog den Sepp noch weiter zurück und sagte:

»Paßt auf! Gleich wirds da sein!«

»Welches Wasser?«


Ende der neunten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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