Der Weg zum Glück - Teil 97

Lieferung 97

Karl May

2. Juni 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Nein. Um so ein Thier zu füttern, dazu ist der Alte viel zu geizig.«

»Das ist gut. Aber wo befinden Sie sich des Nachts? Kann man zu Ihnen?«

»Ja, aber ich kann nicht heraus. Ich bin fest angehängt.«

»Alle Teufel! Einen Menschen anhängen! Wo ist der Ort?«

»Diese Hofseite hat drei Fenster und eine Thür, welche hier vom Söller in's Innere führt. Rechts von der Thür sind zwei Fenster; da schlafen die Anderen. Links ist nur eins; da befinde ich mich. Ich bin angehängt und noch dazu extra eingeschlossen.«

»Durch einen Schlüssel?«

»Nein, sondern einen Riegel.«

»Und wo schläft der Jude?«

»Er schläft mit seinem Weibe vorn über dem Laden.«

»Geht er des Nachts revidiren?«

»Ja, mehrere Male.«

»Hm! Das mahnt zur Vorsicht!«

»Mein Gott! Wenn Sie doch den Muth hätten!«

»Pah, den habe ich.«

»Und wenn Sie wüßten, wie ich in die Hände dieses Mannes gekommen bin, würden Sie Mitleid mit mir haben.«

»Ich werde es erfahren, aber nicht jetzt; da ist nicht Zeit dazu.«

»Sie haben so ein liebes, gutes Gesicht, ganz so, als ob ich mich Ihnen anvertrauen könne.«

»Sehen Sie mich denn?«

»Ja, durch die Ritzen des Fußbodens. Haben Sie auch mich gesehen?«

»Wir erblickten Sie in dem Augenblicke, als er Sie schlug. Das hat uns erzürnt und wehe gethan. Ich werde mit meinem Freunde sprechen und hoffe ganz bestimmt, daß er meinen Entschluß billigen wird.«

»Welchen Entschluß? Bitte, bitte!«

»Sie zu befreien.«

»Gott sei Dank! Mein Leben würde ich Ihnen dafür geben! Aber es müßt heut geschehen, denn morgen bin ich nicht mehr da.«

»Wo sollen Sie hin?«

»Nach der Höhle.«

»Nach welcher? Kennen Sie dieselbe?«

»Nein. Ich weiß nur, daß wir in nächster Nacht nach einer Höhle geschafft werden sollen.«

»Hat Ihnen das der Jude gesagt?«

»Nein. Ich habe es erlauscht, als er mit den Anderen davon redete.«

»Wissen Sie, was Sie in der Höhle sollen?«

»Nein. Ich habe nur vernommen, daß sich noch mehrere junge Mädchen dort befinden.«

»Sie Aermste! Ich beginne zu ahnen, um was es sich handelt.«

»Ist's etwas sehr Böses?«


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»So sehr, daß es für ein junges, braves Mädchen gar nichts Schlimmeres geben kann.«

»Mein Herr und Gott! Wie soll das enden!«

»Mit Ihrer Rettung. Wir kommen heut.«

»Wirklich, wirklich?«

»Ja, gewiß.«

»O, nehmen Sie meinen heißesten Dank! Aber wird es Ihnen auch gelingen?«

»Es muß gelingen, und wenn wir die Mauer einreißen sollen. Verlassen Sie sich darauf.«

»Und wann kommen Sie, zu welcher Zeit?«

»Wenn Alles schläft und ruhig ist, vielleicht eine Stunde nach Mitternacht.«

»So werde ich Sie mit Ungeduld, mit heißer Sehnsucht erwarten.«

»Und ich brenne bereits vor Ungeduld, das Abenteuer zu unternehmen.«

»Ich darf mich also darauf verlassen?«

»Ganz gewiß, gewiß!«

»So werde ich bis dahin zur heiligen Mutter Gottes bitten, daß es gelingen möge.«

»Thun Sie das. Jetzt aber wollen wir abbrechen. Der Jude könnte ungeduldig werden und Verdacht schöpfen. Mein Freund hat ihn schon fünfmal hineingerufen, damit ich Zeit finden soll, mit Ihnen zu reden!«

»Weiß denn Ihr Freund, daß ich hier bin?«

»Nein, aber er ahnt, daß ich mit Ihnen spreche.«

»Sagen Sie auch ihm meinen Dank, meinen innigsten Dank!«

»Gern. Und nun leben Sie wohl!«

»Noch nicht. Erst muß ich wissen, wie Ihr Name ist; ohne dies gehe ich nicht von hier fort.«

»Mein Name ist Johannes, und mein Freund heißt Max. Und Ihr Name?«

»Anita.«

»Ach, so sind Sie die Italienerin, welcher die beiden Alten nicht trauen!«

»Haben sie das gesagt?«

»Die Jüdin sagte es.«

»Weil ich ihnen nicht gehorche, sondern mich gegen das Schicksal wehre, für welches sie mich bestimmt haben. Die Alte ist fortgegangen. Das ist Gottes Schickung; denn wäre sie hier geblieben, so wäre es mir unmöglich gewesen, mit Ihnen zu sprechen.«

»Haben Sie denn bereits mit Anderen gesprochen?«

»Nein, mit Keinem.«

»Warum nicht?«

»Ich traute ihnen nicht.«

»Aber mir haben Sie getraut?«


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»Sofort. Ich sah Sie im Hausflur stehen, als der Alte die Hinterthür öffnete, um mir anstatt des Wassers die Peitsche zu geben! Es war nur ein blitzschneller Moment, daß ich Ihre Augen sah, aber ich sagte mir, daß ich zu Ihnen Vertrauen haben könne.«

»Ich danke Ihnen. Ihre Worte thun mir wohl. Wie aber ist es Ihnen möglich geworden, auf den Söller zu kommen?«

»Durch die Eilfertigkeit des Juden. Er nahm sich nicht Zeit, mich ganz bis in meine Kammer zu bringen und dort einzuriegeln. Er schickte mich nur hinauf und befahl mir, in der Kammer zu bleiben, bis er mir erlauben werde, dieselbe zu verlassen. Da habe ich mich herausgeschlichen und auf dem Boden des Söllers niedergelegt, durch dessen Ritzen ich Sie sehen kann.«

»So ahnten Sie wohl, daß ich kommen werde?«

»Mein Herz sagte es mir.«

Das klang so rührend, so aufrichtig. Ihr Ton war dabei so herzlich und doch so mädchenhaft zagend. Er wußte selbst nicht, wie ihm geschah. Es ging in seinem Innern Etwas vor, wofür er keine Worte fand.

»Ihr Herz soll Sie nicht getäuscht haben,« sagte er. »Sie sollen frei sein. Nun aber müssen wir scheiden. Leben Sie wohl, Anita!«

»Leben Sie wohl, Johannes,« erklang es von oben. »Auf Wiedersehen, mein Retter!«

Das Gespräch war beendet, so daß der Maler seine Aufmerksamkeit nun ungetheilt auf das Gemälde richten konnte. Er war kein Meister, sondern erst ein angehender Schüler der Kunst, aber wenn er auch noch keine kritische Schärfe des Blickes besaß, so hatte er doch genug künstlerischen Instinct, zu sehen, daß er nur alte, werthlose Schmierereien vor sich sah.

Eine Landschaft war das einzige, für welche er Etwas bieten zu dürfen glaubte. Er fragte nach dem Preise.

»Das ist ein Murillo!« erklärte der Jude. »Der ist freilich theuer.«

»Ein Murillo?« lachte Johannes. »Sie sind wohl nicht bei Troste!«

»Ich? O, Baruch Abraham ist stets bei Troste. Er ist der erste Kunstkenner, den es giebt!«

»So! Also Murillo hat eine norwegische Schneelandschaft gemalt!«

»Mehrere sogar!«

»Wie kommt denn Murillo zu Schneelandschaften?«

»Er war ja in Norwegen, ja, er wohnt sogar noch jetzt in diesem Lande.«

»Ah! Murillo ein Norweger! Das ist gut, das ist einzig! Wissen Sie, Murillo war ein Spanier!«

Aber Baruch Abraham war nicht aus der Fassung zu bringen; er hatte selbst in der allerschlimmsten Klemme eine Ausrede.

»Zuweilen war er ein Spanier, nur zuweilen,« antwortete er. »Spanien und Norwegen liegen bekanntlich als Nachbarländer neben einander. Murillo ist bald hüben und bald drüben gewesen, darum war er heut ein Norweger und morgen ein Spanier.«


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»Auch gut! Darüber wollen wir nicht streiten.«

»Der Streit würde den gnädigen Herrn auch zu nichts führen. Ich bin ein ebenso guter Geograph wie Kunstkenner; was ich weiß, das weiß ich sehr genau. Also, wollen Sie das Bild kaufen?«

»Als einen Murillo nicht.«

»So kaufen Sie es als etwas Anderes!«

»Nennen Sie den Preis!«

»Dreihundert Gulden.«

Johannes antwortete nicht. Er schaute dem Alten still lächelnd in das runzelige Gesicht. Dieser glaubte, er sei nicht verstanden worden und wiederholte:

»Dreihundert Gulden.«

»Ich habe es gehört. Ich schaute Sie nur an, um zu sehen, ob Sie nicht vielleicht dreihundert Mal verrückt sind.«

»Verrückt? Baruch Abraham verrückt! Gott der Gerechte, und noch dazu dreihundert Mal!«

Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Ja, so denke ich,« nickte Johannes. »Wer für diese Schmiererei dreihundert Gulden verlangen kann, bei dem rappelt es im Kopfe.«

»Rappeln, rappeln! O Ihr Erzväter und heiligen Propheten! In meinem Kopfe soll es rappeln. Hat man schon so etwas gehört!«

Da trat Max herbei, warf einen Blick auf das Bild und meinte:

»Sprechen wir dann darüber. Jetzt möchte ich wissen, was Sie für die Bücher verlangen, die ich mir ausgesucht habe.«

»Sogleich, sogleich. Ich werde nachschauen, was ich gegeben habe dafür und wieviel ich muß fordern, wenn ich sie will verkaufen gegen fünf Prozent Verlust, was ich aber nur thue, weil sie mir werden bezahlt mit baarem Gelde.«

Der alte, schlaue Fuchs und Lügner suchte ein altes Geschäftsbuch hervor und verglich die Bemerkungen, mit denen jedes antiquarische Werk versehen war, mit den dortigen Aufzeichnungen.

Das dauerte ziemlich lange. Während dem standen Johannes und Max entfernt von ihm bei einander, und der Erstere erzählte dem Letzteren in der Eile Alles, was er gesehen, gehört und dem Mädchen versprochen hatte.

»Hab ich es recht gemacht?« fragte er dann.

»Ja.«

»Du entführst sie mit?«

»Versteht sich. Das giebt doch einmal eine kleine Abwechslung in das Reiseleben, welches Einen durch seine Einförmigkeit endlich ermüden muß. Man wird nach und nach blasirt.«

»Max!«

»Ja, ja. Du glaubst es gar nicht. Ich bin es herzlich müde und sehne mich aufrichtig nach der Heimath zurück.«

»Um vielleicht doch noch eine Spur von der Silbermartha zu finden!«


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»Still, wenn Du mich nicht erzürnen willst! Bleiben wir bei der Sache. Ich bin ein Wenig älter und vielleicht auch ein Wenig erfahrener als Du. Ueberlaß es mir, den Juden zu behandeln. Wir müssen es so einrichten, daß wir wiederkommen können, ohne seinen Verdacht zu erwecken.«

Baruch Abraham war mit seiner Berechnung zu Ende und that die Forderung. Max bot ihm schlank weg halb so viel. Der Jude schrie zwar, daß er keinen Kreuzer ablassen könne, erklärte sich aber doch endlich einverstanden mit dem Gebote und packte die Bücher zusammen.

Nun sollte von Neuem über das Bild gehandelt werden, aber Max erklärte, daß sein Freund es nicht kaufen werde, weil der Preis ganz und gar nicht im Verhältniß zu dem Werthe stehe.

»So mag er doch bieten!« meinte Baruch.

»Auch das thun wir nicht. Sie haben so viel vorgeschlagen, daß es geradezu lächerlich wäre, zu sagen, wie viel wir geben wollen.«

»Was sagt der Herr? Zu viel vorgeschlagen soll ich haben? Ist zweihundert Gulden zu viel vorgeschlagen?«

»Dreihundert verlangten Sie!«

»Da haben mich die Herren falsch verstanden. Ich hab gesprochen nur von zweihundert.«

»Auch das ist uns viel, viel zu theuer. Wir wollen es uns überlegen. Meine Bücher trage ich natürlich nicht selbst fort. Ich werde sie abholen lassen. Hier ist das Geld.«

Er bezahlte den Betrag. Als dann die Freunde Ernst machten, sich zu entfernen, gerieth der Jude förmlich in Ekstase. Er schwor hoch und theuer, daß er selbst volle zweihundert Gulden für das Bild bezahlt habe, ging aber doch endlich auf hundert und gar auf fünfzig herab.

Max blieb fest. Er schüttelte den Kopf und meinte:

»Ich will Ihnen etwas sagen. Wir werden wiederkommen. Wir gehen jetzt hinauf auf das Kastell und werden uns während dieser Promenade überlegen, wie viel wir bieten. Auf dem Rückwege kommen wir wieder her.«

»Ist das wahr?«

»Ich halte Wort.«

»So mögen die Herren sich überlegen den Stand des Handels, und ich werd indessen nachsuchen, ob ich noch kann herablassen eine Kleinigkeit vom Preise. Und damit die Herren nicht brauchen zu machen einen großen Umweg hinauf zum Kastel, werde ich ihnen öffnen die Thür meiner Hofmauer und ihnen zeigen, wie sie haben zu gehen, um recht schnell wieder können zurückkommen zu mir.«

Ihm war es darum zu thun, das alte Bild zu verkaufen. Die Habsucht trieb ihn, etwas zu thun, was er sonst wohl nicht gethan hätte. Er hatte noch nie einen unbekannten Menschen durch die Mauerpforte ein- oder austreten lassen.

Er trat an die Thür, welche aus dem Lagerraum in den Hof führte.


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Dort hing an einem Nagel ein Schlüssel, welchen er herabnahm. Max nickte dem Freunde bedeutungsvoll zu, als ob er ihm sagen wollte:

»Paß' auf! Das ist der Ort, an welchem der Pfortenschlüssel hängt, den wir vielleicht brauchen werden!«

Dann führte der Alte sie über den Hof hinüber nach dem Pförtchen. Während er sich bückte, um den Schlüssel in das Schloß zu stecken, drehte sich Johannes schnell um, um noch einen Blick nach dem Söller zu werfen; dort oben stand Anita, hoch aufgerichtet und ihm wenig zulächelnd.

Das Hemd war ihr von der einen Schulter geglitten, und das schöne, lebenswarme Colorit derselben bildete in Verein mit dem vollen, schön modellirten Arme einen Anblick, der einem auch sonst kaltblütigen Manne das Herz höher schlagen lassen konnte.

Aber Johannes sah das nicht. Er sah nur das schöne, lieblich erglühende Gesichtchen und die Hand, welche sie an den Mund legte, um ihm einen keuschen Kuß zuzuwerfen.

Dann plötzlich senkte sie sich nieder. Der Alte hatte die Thür aufgeschlagen und drehte sich um. Er durfte sie natürlich nicht sehen.

»Also die jungen Herren werden kommen recht bald wieder?« fragte er.

»Ja, wir haben es versprochen und halten Wort. Aber die Zeit können wir nicht genau bestimmen,« antwortete Max. »Wie lange haben Sie den Laden geöffnet?«

»Bis acht Uhr. Und wenn die Herren wirklich wollen kommen, so werde ich auch warten bis um neun Uhr.«

»Schön! Wir kommen gewiß, und wenn Sie den Preis mäßig machen, so daß wir handelseinig werden, trinken wir dann eine gute Flasche Wein zusammen und rauchen dazu eine Cigarre, welche nicht oft den Weg über Ihre Schwelle finden wird.«

Für einen Maler oder Physiognomiker war es höchst interessant, das Gesicht zu sehen, welches der Alte machte. Es sprach sich auf demselben das maßloseste Erstaunen über eine so unerhörte Freigiebigkeit oder gar Verschwendung aus. Dann aber verwandelte sich dieser Ausdruck des Erstaunens in denjenigen der Enttäuschung.

»Was machen Sie für ein Gesicht?« fragte Max lachend. »Ist Jemand gestorben?«

»O nein. Das wolle Gott verhüten, denn wer da ist gewesen so dumm, zu sterben, der kann nicht wieder kommen zurück und retour. Aber nun weiß ich ganz gewiß, daß die Herren nicht wieder werden kommen zu mir.«

»Warum nicht?«

»Weil Sie mir haben versprochen guten Wein und dazu feine Cigarren.«

»Und das glauben Sie nicht?«

»Wie soll ich das können glauben?«

»Ist Ihnen das noch nie passirt?«

»Noch nie in meinem ganzen Leben. Sind die Herren denn gar so grausam reich, daß sie können verschenken eine solche Summe?«


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»Nein, reich sind wir nicht, aber nobel. Den Wein und die Cigarren werden wir übrigens nur dann geben, wenn wir mit Ihrem Preise zufrieden sind. Jetzt ade!«

»Ja, ade sagen wir; aber ich werde hoffen auf Ihr Kommen, bis es ist geworden neun Uhr.«

Er schloß hinter ihnen zu.

Sie gingen eine Weile schweigend neben einander hin. Dann sagte Johannes:

»Wollen wir wirklich hinauf nach dem Kastell?«

»Nein. Ich sagte das nur, um den Kerl später bitten zu können, daß er uns zum Hof hinauslasse. Glücklicher Weise kam er selbst auf diesen Gedanken.«

»So war also schon das Berechnung von Dir?«

»Ja. Komm, ich habe Lust, etwas Gutes zu essen. Da ist die Villa Ferdinandeo der richtige Ort dazu. Dort hat sich das Restaurant zum Jäger etablirt, wo man ebenso gut wie billig speist.«

»Wie Du das Alles weißt!«

»Ich erkundigte mich. Der Mensch soll für seinen Geist sorgen, indem er den Leib nicht verderben läßt, sonst wird aus dem Leibe eine Leiche, aus dem Geiste ein Gespenst, und alle Glückseeligkeit ist vorüber. Das habe ich den armen, frommen italienischen Klosterbrüdern abgesehen, welche sich so fleißig kasteien und doch so wohlgenährt sind.«

Sie kamen durch die hübschen Anlagen des Boschetto (Eisenhügels) hinauf nach dem genannten Restaurant und setzten sich da unter den Bäumen nieder.

Wie auf Verabredung sprach von den Beiden Keiner ein Wort über das Erlebniß und das noch zu erwartende Abenteuer, bis sie gegessen hatten. Dann aber sagte Johannes, der seine Ungeduld nicht länger zu bemeistern vermochte:

»Du redest doch gar nichts, Max. Hast Du Dich vielleicht anders besonnen?«

»Ja,« antwortete der Gefragte in ernstem Tone.

Johannes erschrack.

»O weh!« rief er aus. »Arme Anita!«

»Ach was Anita! Was geht uns dieses fremde Mädchen an!«

»Sie ist unglücklich, sehr unglücklich!«

Max steckte sich eine Virginia an, that einige Züge und sagte dann bedächtig:

»Freund, der Mensch muß Philosoph sein. Dazu gehört vor allen Dingen, daß man sich so wenig Arbeit wie möglich macht.«

»Seit wann hast Du solche Grundsätze?«

»Schon seit einiger Zeit. Ich erkenne, daß es die bequemsten Grundsätze sind, die man haben kann.«

»Ja, bequem, aber nicht ehrenhaft.«

»Du, das mit der Ehre ist auch ein sehr streitiger Punkt. Was ist die


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Ehre? Die Summa von verschiedenen unbequemen Rücksichten, welche man auf sich und Andere zu nehmen hat.«

»Das mißbilligest Du?«

»Jawohl.«

»Max!«

»Schweig! Du bist noch so ein blutiger Mensch, daß Du erfahrenere Leute, wie ich ja bin, reden lassen mußt.«

»Also Deine Philosophie ist sowohl dem Mitleide als auch der Ehre abhold?«

»Gewiß! Denke Dir, wir haben ein Mädchen gesehen, welches dem Juden echappiren will. Gut, dagegen habe ich gar nichts. Sie mag es thun. Uns aber soll sie dabei in Ruhe lassen. Denn was haben wir davon? Arbeit, Plage, Aerger, Geldausgaben und Anderes, lauter nicht sehr wünschenswerthe Dinge.«

»Ich begreife Dich nicht. Ich kenne Dich gar nicht wieder. Du bist mir fremd geworden.«

Sein Gesicht hatte sich vor Unmuth geröthet. Max aber meinte in gelassenem Tone:

»Mein Sohn, so mußt Du mich von Neuem kennen lernen. Weiter bleibt Dir gar nichts übrig.«

Johannes hielt noch immer zurück. Sein sanftes Naturell sträubte sich gegen jeden Krafterguß.

»Also Du willst wirklich nicht?« fragte er.

»Nein.«

»So werde ich es allein unternehmen.«

»Unsinn!«

»Ja, ich habe es ihr versprochen, und ich halte Wort. Weißt Du? Ich halte Wort!«

»Gefällt sie Dir denn gar so sehr?«

Johannes erröthete bis hinter die Ohren. Dennoch antwortete er in seiner aufrichtigen Weise:

»Ja, sie hat mir außerordentlich gefallen. Sie ist ein gutes Mädchen, und ich hole sie heraus!«

»Wenn Du Dich jedem Mädchen widmen willst, welches Du für gut hältst, so hast Du bald für Dich selbst keine Zeit mehr übrig.«

»Davon ist keine Rede. Sie hat geweint. Sie wird geschlagen. Das muß aufhören!«

Max lachte. Das erboste Johannes so sehr, daß er auf den Tisch schlug und ausrief:

»Ja, aufhören muß es! Ich will es, ich!«

»Du bist ja der reine Bayard!«

»Spotte nur! Zu Bayards Zeit zogen die Ritter aus, um Frauen zu schützen. Die Zeiten sind anders geworden. Jetzt ziehen die Ritter aus, um Frauen zu verführen. Die echte Ritterlichkeit findet ihr Heim nur noch in den


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Künstlerkreisen. Und wie ich leider an Dir sehe, soll sie auch diese ihre letzte Heimath verlieren. Wo wendet sie sich dann hin? Sie hüllt ihr trauerndes Haupt in Flor und stirbt.«

»In Krepp, lieber Johannes, nicht in Flor. Krepp ist jetzt nobel, nicht mehr Flor. Merke Dir das, wenn Du wieder einmal zu einer ähnlichen Redewendung greifst!«

»Du bist unausstehlich!«

»Aber dennoch ein guter Kerl. Liegt Dir denn wirklich so viel an der kleinen Anita?«

»Außerordentlich viel. Ich gestehe es Dir offen. Es war mir, als ob ich meine gute Schwester Liesbeth leiden sehe.«

»Das ist etwas Anderes. Wenn Du es Dir so zu Herzen nimmst, so müssen wir auf ein gut Gelingen anstoßen.«

Er goß die Gläser voll, erhob das seinige und sagte:

»Also Anita frei, sei heute die Parole!«

»Wie? Verstehe ich Dich recht? Du wolltest dennoch?« fragte Johannes, sein Glas nun auch erhebend.

»Mensch, Maler, Freund, Bruderherz, konntest Du wirklich denken, daß ich Dich im Stiche lassen würde? Kennst Du den Max Walther gar so wenig?«

»Gott sei Dank! Jetzt bin ich vom Alp erlöst! Ja, komm, laß uns zusammenstoßen. Anita sei frei!«

»Pst! Schrei nicht so! Was wir da vorhaben, ist nur für unsere Ohren. Das darf kein anderer Mensch hören.«

»Ach,« antwortete Johannes, »ich möchte es in alle Welt hinausschreien, daß Du mir doch noch behilflich sein willst. Das ist so lieb und so gut von Dir!«

»Und erst konntest Du Dich nicht in mich finden. So bist Du nun, der reine Gefühlsmensch.«

»Aber wie fangen wir es an?«

»Beim ersten Flecke. Wir gehen durch die kleine Mauerpforte.«

»Da fehlt der Schlüssel. Der hängt ja an dem betreffenden Nagel an der Thür.«

»Ach, was geht mich das an! Wir stehlen ihn.«

»Stehlen?« fragte Johannes erschrocken.

»Natürlich!«

»Sollen wir zu Dieben werden?«

»Ja, sehr gern sogar.«

»Können wir das denn nicht umgehen?«

»Nein. Du willst es ja partout.«

»Ich?«

»Ja doch. Du willst dem Juden das Mädchen stehlen. Oder hältst Du das für keinen Diebstahl?«

»Hm! Stehlen, das klingt so gemein!«

»Ist es auch. Aber wenn es Dir keine Schmerzen macht, ihm das


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Mädchen zu nehmen, warum nimmst Du es Dir denn so zu Herzen, daß Du ihm nebenbei auch noch den Schlüssel entwenden sollst?«

»Recht hast Du.«

»Uebrigens stehlen wir den Schlüssel nicht, sondern wir hängen ihn wieder hin.«

»Das geht ja nicht!«

»Ganz prächtig sogar.«

»Auch wegnehmen können wir ihn nicht.«

»O, Du fromme Seele! Durch Diebstahl könntest Du Dich wohl niemals ernähren. Deshalb habe ich ja gesagt, daß wir wiederkommen werden. Während ich dann mit ihm schachere und seine Aufmerksamkeit ganz auf mich ziehe, mausest Du den Schlüssel.«

»Ich?« fragte Johannes erschrocken.

»Ja. Wer sonst?«

»Doch Du!«

»Wie Du denkst! Auch das will ich thun. Auch diese Sünde will ich auf mein Gewissen nehmen. Aber wie steht es dann mit Dir? Hast Du das nöthige Geschick, die Aufmerksamkeit des Alten von mir abzulenken?«

»Ich werde es versuchen.«

»O weh! Wenn Du das in einem solchen Tone sagst, so weiß ich schon im Voraus, daß ich erwischt werde. Ich werde wohl Beides auf mich nehmen müssen, die Ablenkung der jüdischen Aufmerksamkeit und auch den Diebstahl. Das Leben wird Einem schon bereits in der Jugend sauer gemacht.«

»Aber wenn er den Schlüssel zufällig braucht und ihn dann nicht findet!«

»Er darf ihn eben nicht brauchen. Dafür haben wir zu sorgen.«

»Wie denn?«

»Wir nehmen ihn gleich mit fort. Ueberhaupt läßt sich nicht jedes Einzelne genau vorher bestimmen. Das kommt von selbst. Es giebt da eine viel wichtigere Frage, mit welcher wir uns beschäftigen müssen.«

»Welche?«

»Was thun wir mit dem Mädchen?«

»Hm! Das weiß ich auch nicht.«

»Das ist die geistreichste Antwort, welche Du nur geben kannst. Will ein Mädchen entführen und weiß nicht, wohin mit ihr!«

»Ich glaube, Du weißt es selbst nicht.«

»Nein, ist auch nicht nöthig. Du bist der eigentliche Hahn im Korbe, während ich nur die aushelfende Kraft bin. Also hast Du nachzudenken, nicht aber ich.«

»Ja, ja, wohin.«

»Willst Du sie am nächsten Morgen dem Juden wiederbringen?«

»Um keinen Preis.«

»Nun, so giebt es nur zwei Fragen: Willst Du sie laufen lassen, oder willst Du sie - heirathen?«

Johannes erglühte über und über.


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»Max!« rief er aus.

»Pfui! Ich glaube gar, Du willst Dich schämen! Dafür könnte ich Dir meinen Knotenstock verehren, aber nur für kurze Pausen, und zwar über den Rücken! Wie alt bist Du?«

»Zwanzig.«

»Und schämst Dich, wenn vom Heirathen die Rede ist?«

»Max, hast Du zu dieser Zeit daran gedacht?«

»Ich habe schon viel früher davon gesprochen.«

»Unmöglich!«

»Ich habe schon als Schulbube gelesen: Und er ging in ein anderes Land und nahm sich ein Weib. Ist das nicht geheirathet?«

»Du wirst frivol!«

»Vielleicht! Wird aber kein großer Fehler sein. Also entscheide Dich! Willst Du sie heirathen?«

Es war ein eigenthümlicher Zug, welcher jetzt über Johannes' Gesicht glitt. Trotz, Scham und Entschlossenheit stritten mit einander um die Oberhand. Aber er antwortete nicht.

»Freundchen,« meinte Max, »ich will Dir Etwas mittheilen, etwas ganz Nagelneues.«

»Das wird nicht viel Kluges sein.«

»O doch. Willst Du es hören?«

»Ja. Wenn ich mich weigere, bekomme ich es dennoch zu hören. Ich kenne Dich ja.«

»Schön! Neige Dein Ohr zu mir. Ich will es Dir leise sagen. Es ist Geheimniß.«

Johannes hielt ihm in seiner Treuherzigkeit das Ohr hin, und Max rief ihm hinein:

»Du bist - - verliebt!«

»Max!«

»Was Du nur mit meinem Namen hast! Stets, wenn Du nichts Anderes zu sagen weißt, muß er herhalten. Weißt Du nichts Besseres?«

»Du - Du bist - bist - -«

»Stottere nicht, alter Schwede! Ich habe Dir die reine Wahrheit gesagt. Du bist dieser Anita herzlich gut. Sie hat es Dir angethan.«

»Störe nicht in dieses Heiligthum!«

»Ah, ein Heiligthum ist es sogar! Schön, das ist ein offeneres Geständniß, als ich erwarten konnte. Also steht es nun fest, daß Du sie heirathest.«

»Max, laß das! Wenn Du so fortfährst, so stehe ich auf und gehe fort!«

»Du bleibst ganz ruhig sitzen. Du wirst Dich hüten, fortzugehen und mich allein zu lassen. Wer würde Dir dann helfen, Dein 'Heiligthum' aus dem Hause des Juden herauszuschleppen!«

»Ja, Du hast mich leider fest wie immer. Ich bin ein unbeholfener Mensch, der noch immer einen Beschützer nöthig hat.«

»Edle Selbsterkenntniß! Darum breite ich stets meine Flügel über Dir


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und lasse Deinen Schnabel nicht unter meinem Schirme hervorpiepen. Und das will ich auch heute Abend thun. Weißt Du, wir wollen uns die Köpfe nicht zerbrechen darüber, was mit unserm schönen Schützling geschehen soll. Die Stunde wird es lehren. Noch wissen wir ja gar nicht, welche Pläne und Absichten Anita selbst hat. Wir müssen also vor allen Dingen mit ihr reden.«

»Aber zunächst müssen wir doch ein sofortiges Obdach für sie haben, wohin wir sie aus dem Hause ihres Peinigers führen.«

»Natürlich. Könnten wir sie denn nicht für die eine Nacht mit nach unserm Gasthofe nehmen?«

»Das ginge an.«

»Ich träte ihr mein Zimmer ab, und wir Beide, Du und ich, schliefen zusammen.«

»Ganz recht. Aber am Morgen würde die Bedienung den Braten riechen.«

»So reisen wir ab.«

»Und nehmen sie mit?«

»Wenn es nothwendig ist, ja.«

»Hm! Bist Du noch gut bei Kasse?«

»Ausgezeichnet. Ich habe noch über tausend Franken.«

»Ich ebenso viel. Weißt Du, wir sind sehr sparsam gewesen. Wenn Anita Niemanden hat, auf den sie sich verlassen kann, so nehmen wir sie als Waisentochter an und handeln als brave Eltern an ihr. Nicht?«

»Scherz bei Seite! Ich mache mit.«

»Ich auch. Eine kleine Ausgabe können wir uns erlauben. In Wien liegt neues Geld für uns. Was wollen wir mehr. Du, schau Dir doch einmal die beiden Kerls an! Sind das nicht die reinen Banditen?«

Es waren nämlich zwei männliche Gäste in den Garten getreten, welche sich in demselben umschauten. Auch sie trugen den Künstlerhabitus, Sammetröcke und ungeheuer breitkrämpige Calabreserhüte. Aber ihre Wäsche war unsauber, und sie sahen überhaupt nicht salonfähig aus.

Der Eine war alt, eine lange, hagere Gestalt mit abgelebtem Gesichte, eingefallenen Wangen und entsetzlicher Habichtsnase.

Der Andere war ebenso lang und womöglich noch dürrer. Aus seinem breiten, schmutzigen Hemdenkragen stieg ein himmelhoher Hals empor, auf welchem der Kopf schaukelte wie eine brandige Aehre auf ihrem Halme. Er schielte ein Wenig. Man wußte nur nicht, wohin. Er hatte die beiden Daumen im Knopfloche stecken, und die andern herabhängenden acht Finger waren in beständiger zuckender Bewegung, als ob sie Harfe spielten.

Da es noch im Frühjahr war und es noch keinen eigentlich warmen Tag gegeben hatte, standen außer demjenigen, an welchem die beiden Freunde saßen, noch keine Tische im Garten.

Die Ankömmlinge schienen es aber auf den Letzteren abgesehen zu haben, und so kamen sie langsam näher geschlängelt, bis sie vor den Beiden standen.

Der Alte lüftete den Hut und fragte:

»Wohl Collegen?«


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Er sprach das Deutsche wie ein Italiener aus.

»Was sind Sie denn?« erkundigte sich Max.

»Maler von der Kunst.«

»So sind wir allerdings Collegen.«

»Ist es erlaubt?«

Er deutete dabei auf die beiden leeren Stühle, welche noch am Tische standen.

»Sehr gern,« antwortete Max.

Der Alte setzte sich nieder.

Der Junge hatte still da gestanden, die beiden Freunde mit offenem Munde anstierend und dabei mit acht Fingern spielend. Es konnte kein dümmeres und doch verschlageneres, tückischeres Gesicht geben als das seinige. Er hatte auch nicht gegrüßt.

Jetzt, als der Alte sich setzte, drehte der Junge sich herum, Max seinen Rücken zudrehend; er wollte sich setzen, ohne den Stuhl berühren zu müssen. Jedenfalls war es ihm unerträglich, die Daumen aus dem Knopfloche nehmen zu müssen.

Das war so im höchsten Grade rücksichtslos und beleidigend, daß Max die Lehne des betreffenden Stuhles an sich zog, als ob er sich stützen wolle. Der Harfespielende sah das nicht, weil er sich umgedreht hatte. Er glaubte, daß der Stuhl noch in seiner vorigen Lage sei, setzte sich und - - plumpste natürlich mit aller Gewalt auf die Erde nieder.

Der Alte sprang zornig auf und ballte die Fäuste.

»Signor,« rief er, »was haben Sie gethan! Welch eine Beleidigung für Petro, meinen Lieblingsschüler, den begabtesten Jüngling von ganz Italien.«

Dieser begabteste Jüngling von ganz Italien hatte sich wieder aufgerafft. Er setzte den verlorenen Hut auf, steckte die Daumen wieder in das Knopfloch und starrte Max tückisch an.

Der Letztere antwortete dem zornigen Maler in ruhigem Erstaunen:

»Mein Herr, was fällt Ihnen ein! Inwiefern soll ich denn Jemand beleidigt haben?«

»Sie haben dem Signor den Stuhl weggezogen!«

»Den Stuhl habe ich an mich genommen, um es mir bequem zu machen; daß ich ihn aber Jemandem weggezogen haben soll, das bestreite ich entschieden.«

»Wie, Sie bestreiten das?«

»Allerdings.«

»Ich aber behaupte es.«

»So begreife ich Sie nicht. Ich habe keinen Menschen gesehen, der Etwas gethan hätte, was mich hätte vermuthen lassen, daß er hier Platz nehmen wolle.«

»So behaupten Sie, Signor Petro nicht gesehen zu haben?«

»Einen jungen Menschen habe ich allerdings gesehen; ich sehe ihn sogar noch; ob er Petro heißt, das weiß ich nicht. Aber daß er sich hat zu uns setzen wollen, davon habe ich keine Ahnung. Er hat nicht gegrüßt, er hat seinen Hut nicht berührt, er hat kein Wort gesprochen, sondern die Hände in


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dem Knopfloche behalten. Wie soll ich ahnen, daß er sich uns anschließen will. Man pflegt doch wenigstens zu grüßen, wenn man anständigen Leuten Gesellschaft leisten will.«

»Signor Petro braucht Niemanden zu grüßen, denn er ist mein Lieblingsschüler.«

»Ach so! Und wer sind Sie denn?«

»Ich bin Signore Antonio Ventevaglio, der berühmte Maler von Latisana.«

»So, so! Ich kenne Sie nicht. Was malen Sie denn?«

»Alles!«

»Nun, so malen Sie Ihrem Lieblingsschüler gefälligst etwas Verstand in das Gesicht; der fehlt ihm außerordentlich.«

»Signor, wollen Sie nun auch mich beleidigen!«

»Nein; aber ich will Ihnen sagen, daß ich Sie nicht hergerufen habe und daß ich keineswegs die Absicht besitze, mir meine gute Laune verderben zu lassen. Scheeren Sie sich ganz gefälligst fort, sonst werfe ich Ihnen Ihren Lieblingsschüler an den Kopf, daß Euch Beiden Sehen und Hören vergeht.«

Zunächst war der berühmte Maler fassungslos. Dann aber sprang er auf, um eine Strafrede loszulassen; da aber stand auch Max auf, trat hart an ihn heran und donnerte ihm zu:

»Herrrrr! Wollen Sie vielleicht schweigen!«

Der Alte fuhr zurück. Er bekam einen Schreck und stammelte:

»Ja, Signor!«

»Das will ich Ihnen auch gerathen haben. Und wenn dieses Urbild eines Dummkopfes sich noch länger hier verweilen will, so mag er seinen Hut abnehmen, wie es sich für so einen Esel geziemt.«

Er schlug dem Lieblingsschüler den Hut vom Kopfe.

Der Alte war kurirt. Er setzte sich still wieder auf den Stuhl nieder. Der Junge hatte keine Miene gemacht, seinen Hut wieder aufzuheben. Er starrte Max noch immer wie ein Wunderthier an.

»Setz Dich endlich, Rhinozeros!« schrie Max ihm ins Gesicht.

Sofort fuhr er auf den Sessel nieder.

Da konnte Max sich nicht länger halten. Er schlug eine helle Lache auf, und Johannes stimmte herzhaft ein. Der große Kunstmaler sah die Beiden betroffen an, was diese zu erneutem Lachen reizte, welches so ansteckend wurde, daß der Alte nach und nach mit einstimmte. Endlich verzog auch Signor Petro sein Gesicht und zeigte ein vergnügtes Grinsen.

Die von Max erhaltene Lehre schien Beiden ein großes Vergnügen bereitet zu haben.

»Hören Sie, College, Sie sind ein sonderbarer Kauz,« rief Max, noch immer lachend. »Kommen Sie öfters herüber nach Triest?«

»Nein. Ich bin zum ersten Male da.«

»Und wohnen in solcher Nähe!«

»Nennen Sie das nahe? Latisana liegt drüben im Italienischen am Wasser des Tagliamento. Das ist doch weit!«


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»Für Künstler nicht; die haben stets lange Beine, wie auch die Eurigen beweisen.«

»Ich danke! Ich liebe mein Vaterland. Ich hasse Oesterreich und komme nie über die Grenze.«

»Aber jetzt sind Sie doch da.«

»Weil ich muß.«

»In Geschäften?«

»Nein. In Familienangelegenheiten.«

»Ah! Wollen Sie sich verheirathen?« scherzte Max.

»Um Gotteswillen! Nicht ich, sondern dieser Signor Petro will heirathen.«

Als jetzt die beiden Deutschen den 'Lieblingsschüler' daraufhin ansahen, daß er heirathen wollte, brachen sie von Neuem in ein lautes Gelächter aus.

»Was lachen Sie?« fragte Signor Antonio.

»Aus Freude darüber, daß Signor Petro sich eine Frau nehmen will.«

»Ganz recht! Freuen Sie sich immerhin, denn sie ist das schönste Mädchen von ganz Italien.«

»Ah! So passen sie zusammen. Das schönste Mädchen und der begabteste Jüngling von ganz Italien.«

»Richtig. Sie sind für einander geschaffen.«

»Wann wird die Hochzeit sein?«

»Sobald wir sie haben.«

»Wen?«

»Die Braut.«

»Ah, Sie haben die Braut noch gar nicht?«

»Wir hatten sie, aber sie ist wieder fort.«

»Etwa geflohen?«

»Ja, mir, ihrem Oheim und Vormund! Ist das nicht schändlich?«

»Hm, da kann ich nicht urtheilen.«

»Sie sollen sofort urtheilen können, Signor. Ich bin der Kunstmaler Signore Antonio Ventevaglio aus Latisana. Mein Bruder war der Goldschmied Carlo Ventevaglio. Er starb und bald darauf seine Frau. Sie hinterließen eine kleine Tochter und ein noch kleineres Vermögen. Wir nahmen das Kind zu uns, nämlich meine Gattin und ich, und erzogen es. Es wuchs heran, aber das Vermögen nahm ab.«

»Weshalb nahm es ab?«

»Weil es Gottes Wille war. Später kam mein Lieblingsschüler hier in mein Haus. Er wuchs mit Anita heran und gewann sie lieb. Sie sollten ein Paar werden; aber Anita wollte nicht. Wir versuchten in elterlicher Liebe, ihre Hartnäckigkeit erst durch gute Worte, dann durch ernste Ermahnungen, endlich aber durch Hunger, Durst, Kälte und Schläge zu besiegen, vergeblich. Vor einiger Zeit ist sie uns entflohen, und wir haben sie bisher vergeblich gesucht.«

»Ach!« rief Johannes. »Wie hieß sie?«

»Anita!«

»Ist sie blond, braun oder schwarz?«


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»Schwarz.«

»So, so!«

»Habt Ihr sie denn gesehen, Signor?«

»Ist sie hier in Triest, daß Sie fragen können, ob wir sie gesehen haben?«

»Ihre Spur, welche wir weit verfolgt haben, führte uns endlich hierher.«

»Und nun sucht Ihr hier?«

»Ja, bereits mehrere Tage.«

»Habt Ihr Etwas gefunden?«

»Nichts, gar nichts.«

»Und wie lange wollt Ihr noch suchen?«

»Bis wir sie haben.«

»Dazu gehört Zeit und Geld.«

»Wir haben Beides. Der Rest von Anita's Vermögen wird dazu ausreichen.«

»Und denkt Ihr dann, daß Ihr sie finden werdet?«

»Ja. Wir halten ja nicht eher auf, als bis wir sie gefunden haben.«

»Vielleicht müßt Ihr da weit reisen. Habt Ihr Legitimationen?«

»Ja.«

»Könnt Ihr denn auch, wenn Ihr Anita findet, beweisen, daß sie es ist?«

»Ja. Wir haben alle ihre Papiere mit, ihren Geburtsschein, Taufschein und alles Andere.«

»Das möchte ich einmal sehen.«

»Nichts ist leichter als das.«

Er zog ein rothes Schnupftuch aus der Tasche, in welches alle diese Documente eingeschlagen waren und zeigte sie ihnen. Die Papiere von Anita Ventevaglio stimmten.

Max und Johannes blickten sich an. Sie hatten Beide ganz denselben Gedanken.

»Was werdet Ihr dann mit ihr thun, wenn Ihr sie wiederfindet?« fragte der Erstere.

»Zunächst wird sie ihre Strafe erhalten, und dann wird sie die Frau dieses meines Lieblingsschülers, dessen Modell sie bisher immer war.«

»Donnerwetter!« fuhr Max empor. »Sie hat diesem Menschen Modell sitzen müssen?«

»Warum nicht?«

»So ein Engel einem solchen Pavian!«

»Signor, wollt Ihr uns abermals beleidigen!«

»Unsinn! Habe ich denn Sie einen Pavian genannt?«

»Nein, aber Signore Petro.«

»Der ist auch einer! Worin wird denn die Strafe bestehen, wenn Ihr sie findet?«

»In Hunger und Schlägen.«

»Gott sei es geklagt! Meint Ihr denn nicht, daß dies eine Sünde ist?«


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»Eine Sünde? Ganz das Gegentheil. Die Eltern haben ihre Kinder zu erziehen in der Furcht zum Herrn.«

»Wo wohnt Ihr denn hier in Triest?«

Der Alte nannte eine obscure Herberge. Dann aber hielten es die beiden Deutschen nicht länger aus. Sie gingen. So dumm diese beiden Menschen waren, so schlecht und feige waren sie auch. Es ekelte ihnen förmlich, bei denselben zu bleiben.

»Ob das vielleicht dieselbe Anita ist?« meinte Johannes zaghaft.

»Vermuthest Du es?«

»Ja.«

»Ich auch. Sie ist diesen Peinigern entflohen und als unerfahrenes Wesen in die Hände eines noch viel größeren Schurken gerathen.«

»Wenn sie es ist, nehmen wir sie mit uns.«

»Wolltest Du wirklich?«

»Gewiß!«

»Ich habe nichts dagegen. Dazu müßten wir aber ihre Papiere haben.«

»Wären die nicht zu bekommen?«

»Sehr leicht.«

»Aber wie?«

»Wir stehlen sie.«

»Max!«

»Was denn?«

»Schon wieder stehlen!«

»Wenn es nicht anders geht! Uebrigens ist dies ja gar kein Diebstahl zu nennen.«

»O doch! Auf jeden Fall!«

»Wenn Du damit ein Menschenkind aus so tiefer Noth errettest, ist von einem Diebstahl keine Rede. Uebrigens gehören die Papiere Anita und nicht diesem Tölpel von Farbenklekser. Streiten wir uns aber nicht, mein lieber Johannes. Wir wollen still spazieren gehen, bis es Abend ist, und dabei warten, ob uns ein guter Gedanke kommt. Gehen wir ein wenig hinab nach der Piazza Caserma und dem Bahnhofe. Andere Gesichter, andere Gedanken!«

Sie schlugen die angegebene Richtung ein.

Es pflegt im Leben eines jeden Menschen eine thatenlose Zeit auf eine thatenreiche zu folgen. Es giebt ganze Monate, welche keinen Inhalt zu haben scheinen, während dann gleich an einem Tage so viel auf einmal geschieht, daß man damit für längere Zeit ausreichen könnte. So auch heute mit den beiden Freunden.

Kaum waren sie auf dem Bahnhofe angekommen, so dampfte ein Zug herein, welchem eine große Menschenmenge entquoll.

Sie standen da und ließen dieselbe an sich vorüberfluthen. Unter den sich Herbeidrängenden befand sich auch ein alter, hoher Herr von martialischem Gesichtsschnitte. Er trug einen feinen dunklen Reiseanzug, einen grauen Cylinderhut und einen goldenen Klemmer auf der Nase. Den Ueberrock am Arme und


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einen feinen Elfenbeinstock in der Hand, kam er langsam daher, mehr sich schieben lassend als selbst schiebend. Er war jedenfalls auch ausgestiegen und schien sein Gepäck irgend einem dienstbaren Geist anvertraut zu haben.

Der starke, graue Schnurrbart verrieth einen Militär, wie überhaupt seine ganze Haltung etwas Strammes, Disciplinirtes zeigte.

Indem er so daherkam, fiel sein Auge ganz zufällig auf die beiden Freunde. Es zuckte wie frohe Ueberraschung über sein Gesicht, dann glitt ein Zug von Schalkheit über dasselbe, und er trat langsam an sie heran.

Den Hut höflich lüftend, fragte er:

»Entschuldigung, auf welcher Seite stehen hier die Fiaker?«

Beide blickten zu ihm auf, und keiner antwortete, so geradezu verblüfft waren sie.

»Bitte,« wiederholte er, »können Sie mir sagen, auf welcher Seite die Fiaker sich befinden?«

Da zog auch Max den Hut, antwortete aber lachend:

»So eine Maskerade! Sepp, meinst halt etwan, man erkennt Dich nicht mehr?«

Da warf der noble, offiziersmäßig ausgestattete Herr seinen Cylinderhut vor Freude in die Luft, fing ihn wieder auf und rief, unbekümmert um die Menschenmenge, welche ihn staunend betrachtete:

»Weiß Gott, dera Schulmeistern derkennt mich sofort! Nein, wie mich das gefreut! Meine Visagen muß doch eine wunderbar gute und jungbleibige sein. Grüß Gott auch, Elephantenhanns! Was thut Ihr denn hier in Triest?«

»Wir kommen aus Egypten.«

»Das trifft sich fein! Wie lang bleibt Ihr hier?«

»So lange es uns gefällt.«

»Ich auch für einige Tagen. Das ist schön! Das ist fein! Habt Ihr denn hier auch schon was trunken?«

»Und ob!«

»So seid Ihr allbereits bekannt. Zeigt mir doch gleich mal, wo ein Bier zu finden ist, aber nicht so ein wässeriges österreichisches, sondern ein kerniges aus dem lieben Bayernlandl daheim. Mir ists, seit ich daheim fortbin, als ob ich lauter Hausschwamm im Magen hätt. Das echte Bierl hat mir fehlt.«

»Da komm nur mit,« meinte Johannes. »Gar nicht weit von hier haben wir gestern eins trunken; das ist gar brav gewest.«

»Ja, kommt! Jetzund wirds dem Sepp erst wieder wohl in dera noblen Hofmontur!«

Nun, da sie den Menschenstrom hinter sich hatten, konnten sie den Alten erst recht betrachten.

»Donnerwetter!« sagte Max. »Fein siehst aus! Grad wie ein Kammerherr oder Ceremonienmeistern.«

»Bin auch so was!«

»Wirklich?«


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»Ja. Ich solls nicht verrathen, und kein Mensch darf es wissen. Aberst Ihr thätet ihn doch sogleich derkennen, und darum will ich es Euch gern sagen.«

Und in gedämpfterem Tone fügte er hinzu:

»Unser König kommt.«

»Was!« riefen Beide. »Der König!«

»Haltet die Mäulern, Ihr Brüllaffen! Es kann ja ein Jedes vernehmen, was Ihr da schreit. Freilich kommt er.«

»Was will er denn hier?«

»Was Gutes.«

»Ja, was denn?«

»Das geht Euch gar nix an. Verstanden!«

»Oho! Wir werdens doch derfahren.«

»Von ihm selbst wohl?«

»Nein, sondern von Dir.«

»Fallt mir gar nicht eini!«

»O, Dir thäts das Herz abdrucken, wannsts Deinen guten Freunden nicht anvertrauen dürftest. Dich kennt man schon!«

»So! Kennt Ihr mich?«

»Ja, schon sehr gut. Aber, Sepp, wie gehts denn grad jetzt daheim?«

»Das sollt Ihr hören, aberst nicht eher, als bis ich einen Schluck than hab, von dem der Inn sammt dera ganzen Isar leer wird. Herrgottsakra, hab ich heut einen Durst. Macht schnell!«

»Hast gar nimmer weit zu gehen. Dort um die Eck; dann steht es da.«

»Wanns nur nicht indessen fortlaufen thut. Das könnt mich sehr gereun. Wo wohnt Ihr denn hier?«

»In der Locanda grande.«

»Ein italienischer Name. Ists da gut?«

»Wir sind zufrieden. Willst mit?«

»Nein; ich darf nicht. Ich muß im Hotel Europa wohnen, da an der Piazza Caserma, weil dort dera Herr Ludwigen abisteigen will. Da hab ich die Zimmern zu bestellen. Na, hier ist die Eck. Und nun wird wohl auch bald die Bierschänk zu sehen sein.«

Sie traten, hocherfreut über dieses unerwartete Zusammentreffen und in bester Laune in die Restauration.

Dort gab es zur größten Freude des Sepp ein wirklich echtes und gutes bayrisches Bier, wovon der durstige Alte gleich zwei Gläser austrank. Erst als er das dritte erhielt, begann er, langsam und gemächlich zu trinken.

Das Local war groß, und die Tische standen so weit auseinander, daß man sich ganz ungenirt unterhalten konnte, ohne befürchten zu müssen, an anderen Plätzen gehört zu werden.

»So!« meinte der Sepp, indem er das Glas wohlgefällig absetzte. »Das war doch wieder mal ein guter Trunk. Nun wird mirs besser im Leib und auch in dera Seelen. Nun geht das Plaudern gut, und wir können uns verzählen, was wir inzwischen derlebt haben.«


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»Da wirst Du wohl beginnen müssen,« antwortete Max. »Für uns ist es natürlich interessanter, zu erfahren, was in dera Heimath geschehen ist, als für Dich, zu wissen, was wir draußen gethan haben.«

»Ja, da giebts halt so viel zu berichten, daß ich fast gar nicht weiß, wo ich beginnen soll. Am Besten ists, Du sagst mir, was Du wissen willst.«

»Nun, zunächst möcht ich hören, wie es denen guten Freunden ergeht, vor allen Dingen dem Fex.«

»Du, dem ergeht es halt sehr gut; ich glaub, der ist schon jetzund fast ein gemachter Mann.«

»Wann hast mit ihm zum letzten Male sprochen?«

»Vorgestern, bevor ich von Wien abgereist bin.«

»So warst also in dera Kaiserstadt?«

»Ja. Ich hab dort Einiges thun müssen, was ich wohl später verzählen werd und mußt dort auch auf den König warten.«

»Und was hat dera Fex dort than?«

»Verschiedenes. Er war von wegen seiner Erbschaft dort und auch aus Anlaß seiner Oper, die er componirt hat.«

»Die Oper Götterliebe? Weißt, daß ich das Libretto dazu dichtet hab, Sepp?«

»Den Text? Ja. Und die Dekorationen dazu hat dera Hanns hier gemalt. Ihr Beid seid doch recht berühmte Kerls worden!«

»Noch nicht; aber wir möchtens gern noch werden. Nun verzähl aberst nur weiter!«

Der Sepp gab einen Bericht über alle Bekannten der beiden jungen Männer; nur von der Silbermartha erwähnte er nichts, obgleich er recht wohl wußte, daß Max gerade am Liebsten von dieser Etwas gehört hätte. Da gab es denn sowohl Gutes als auch Trübes zu hören. Das Gute bezog sich meist auf die Anverwandten des Elephantenhannes. Seine Mutter hatte ihn bis nach Egypten begleitet gehabt, um ihn dort zu pflegen, war aber, als diese Pflege sich als nicht mehr nöthig herausgestellt hatte, wieder in die Heimath zurückgekehrt. Da lebte sie bei ihrem Manne, dem Heiner, welcher jetzt die Thalmühle besaß und sich in recht guten Verhältnissen befand.

Johannes' Schwester Lisbeth war längst mit dem Müllerhelm verheirathet. Sie bewirthschafteten die beiden Hohenwalder Mühlen, welche vorher dem Silberbauer gehört hatten, und lebten ungemein glücklich mit einander.

Der Feuerbalzer war Besitzer des Silberhofes geworden. Seine Heilung hatte sich als eine so vollständige erwiesen, daß der Wahnsinn als für immer beseitigt zu betrachten war.

Als sodann Max sich nach den Verhältnissen von Schloß Steinegg erkundigte, erfuhr er, daß die Besitzerin Milda von Alberg dasselbe noch immer allein bewohne. Sie hatte Frau Bertha Holberg, die Mutter Maxens, bei sich, welche sehnlichst die Rückkehr ihres Sohnes erwartete.

Rudolph von Sandau, der sie liebte, und dessen Liebe sie so innig erwiderte, hatte noch immer keine ernstliche Anfrage an sie gerichtet. Er wollte


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dem Vermögen der Geliebten nichts zu verdanken haben und lieber beweisen, daß er die Kraft besitze, sich aus eigener Anstrengung eine gesicherte Existenz zu erwerben. Das war ihm Ehrensache. Er war durch den Bau der Eichenfelder Kirche berühmt geworden und hatte in Folge dessen so viele, so ehrenvolle und lukrative Aufträge erhalten, daß er jetzt nun seine Zukunft als gesichert betrachten konnte.

Der einstige arme Dienstknecht Ludwig Held aus Oberdorf hatte Gisela, die Tochter seines Brodherrn Kery in Slowitz geheirathet, und seine Schwester Hanna war die Frau von Höhlenbauers Stephan geworden. Beide Paare lebten, wie der alte Sepp sich ausdrückte, wie die Tauben zusammen.

Das war das Gute, was der Alte mittheilen konnte. Nicht so schön klang das, was er über die anderen Bekannten erzählte.

Das Schicksal, welches den Silberbauer und den Thalmüller erreicht hatte, war ein wohlverdientes, aber es war um der Töchter dieser Beiden willen doch zu beklagen. Diese zwei braven Mädchen waren verschwunden, und es schien, als ob man keine Spur von ihnen entdeckt habe, denn der Sepp sagte nichts davon, daß er die Silbermartha in Wien gefunden habe. Er hegte die Absicht, Max Walther durch ein plötzliches Wiedersehen zu überraschen.

Vielleicht glaubte er, daß der einstige Lehrer und Dichter sich nach Martha erkundigen werde. War dies der Fall, so hatte er sich geirrt, denn Max verhielt sich schweigsam und sagte kein Wort über sie. Aber sein ernstes, trübsinniges Gesicht verrieth, daß er die frühere Geliebte noch nicht vergessen habe und wohl auch niemals vergessen werde.

Nun hatte Sepp seine Schuldigkeit gethan und die an ihn gerichteten Fragen so gut wie möglich beantwortet. Jetzt verlangte er seinerseits, zu erfahren, wie es den beiden Freunden bisher gegangen sei.

»Das wirst wohl bereits gehört haben,« antwortete Max. »Oder hast die Briefen nicht gelesen, welche wir heimgeschrieben haben?«

»Ja, so oft ich Einen troffen hab, an den Ihr einen Briefen schickt hattet, hab ich denselbigen zu lesen bekommen. Aberst Ihr habt doch wohl noch viel mehr derlebt, als in denen Briefen stand. Das will ich wissen. Ihr müßt da ein Wenig schnell machen, denn ich hab nicht viel Zeit übrig, weil ich nach dem Hotel Europa muß, um die Zimmern für den König zu bestellen.«

»So wird es besser sein, wir schieben den Bericht auf, bis Du damit fertig bist. Dann hast ja mehr Zeit für uns. Für jetzt möcht ich Dir was sagen, was viel nothwendiger ist. Wir könnens halt nicht aufschieben. Es ist ein Glück, daß wir Dich troffen haben. Vielleicht kannst uns mit Rath und That beistehen.«

»So! Was ist das denn?«

Max blickte Johannes fragend an. Dieser sagte in nicht zustimmendem Tone:

»Ueberlegs halt erst, obsts ihm sagen darfst!«

»Warum?«

»Vielleicht ist er dagegen.«

»So können wir trotzdem thun, was wir wollen.«


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»Dann nicht mehr. Er wird uns hindern.«

»Nein. So ist dera Sepp nicht. Wenn er auch nicht mit thut, so wird er doch nicht so feindselig sein, uns was in den Weg zu legen.«

»Meinst? So sag es ihm! Seinen Rath werden wir doch wohl gut brauchen können.«

Sepp hatte während dieser kurzen Zwiesprache die Beiden verwundert angeschaut. Jetzt sagte er in halb verdrießlichem Tone:

»Ja, was ist denn das? Das klingt ja grad so, als ob Ihr gar kein Vertrauen zu mir hättet und als ob ich ein Kerlen sei, der seinen besten Freunden Schaden macht!«

»Nein, das hat dera Johannes nicht gemeint,« antwortete Max.

»Aberst es hat ganz so klungen.«

»Das mag sein, doch kannst Dir denken, daß wir grad zu Dir ein Vertrauen haben wie zu keinem Andern.«

»So! Also ists was, wozu ein großes Vertrauen gehört?«

»Ja, es ist was, was nicht oft vorkommen thut und was man eigentlich nicht machen darf.«

»Also etwas Verbotenes?«

»Freilich, Sepp.«

»So laßt es lieber sein!«

»Das geht nicht. Wir müssen es thun, denn wir haben es uns und auch ihr versprochen.«

»Ihr habt es 'ihr' versprochen? Wer ist denn diese 'Ihr' oder diese 'Sie'? Ein Frauenzimmer?«

»Ja, ein junges Mädchen.«

Der Sepp zog ein langes, lustiges Gesicht und meinte:

»Ah, ein junges Mädchen! Das ist ja sehr interessant. Ihr habt hier also bereits so eine Bekanntschaften macht?«

»Zufällig.«

»Weiß schon! Denn solche Bekanntschaften macht man ja nur zufällig. Ist sie denn hübsch?«

Bevor Max antworten konnte, fiel Johannes ein:

»Sehr hübsch, Sepp, sehr!«

Er sagte das in einem so begeisterten Tone, daß der Alte lachend ausrief:

»So! Also Du bists, dem sie gefallen hat, Du? Schaust Dich auch allbereits nach Weibern um?«

»So ist's nicht gemeint. Sie bedarf unserer Hilfe und wir haben ihr dieselbige zugesagt.«

»Eurer Hilfe? Jetzund wird die Sach erst richtig hübsch. Seid Ihr denn gar so tüchtige Kerlen, daß die jungen Madeln bereits Eure Hilf erbitten?«

»Sepp, es ist ja nicht so was, wie Du denkst!«

»So! Was denk ich denn?«

Johannes erröthete und antwortete in ungewissem Tone:

»Vielleicht meinst, daß es eine Liebschaft ist.«


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»Ja, das mein' ich allerdings.«

»So irrst Dich gewaltig.«

»Wirklich? Aberst Du machst gar nicht so ein Gesicht, als ob ich mich irren thät.«

»Was für ein Gesicht mach ich denn?«

»So eins, wie ein Verliebter macht, der bei seinem Dirndl im Heimgarten derwischt worden ist.«

»Schweig, Sepp! Das mag ich nicht hören!«

»Ja, wann man Einem die Wahrheit sagt, so will er sie nicht hören, das weiß ich schon.«

»Wir werden Dir verzählen, wie die Sach ist.«

»Ja, laßts doch mal hören!«

Er nahm einen gewaltigen Schluck Bier und setzte sich zurecht, als ob er im Begriffe stehe, eine sehr wichtige Kunde zu vernehmen.

Johannes machte erst ein Gesicht, als ob er reden wolle, schluckte aber den Anfang wieder hinab und blickte Max hilfesuchend an. Dieser erklärte:

»Weißt, Sepp, von einer Liebschaften kann gar keine Reden sein, weil wir sie erst einmal sehen haben.«

»Das ist genug,« meinte der Alte. »Zuweilen ist die Lieb gleich beim ersten Male da.«

»Hier aber nicht, denn wir haben sie nicht mal richtig sehen können, nur einen halben Augenblick.«

»Auch das genügt, denn die Lieb braucht nicht mal einen halben Augenblick. Also Ihr habt sie nur so einen Moment sehen und wißt doch bereits, daß sie Eurer Hilf bedarf? Hm!«

»Sie hat's dem Johannes heimlich sagt, daß sie entfliehen will.«

»Sapperment! Entfliehen!«

»Ja, sie kann es nicht aushalten!«

»Und dabei sollt Ihr ihr helfen?«

»Sie hat uns drum gebeten.«

»Ist sie denn eine Gefangene?«

»Nicht ganz.«

»Wie soll ich das verstehen? Wann sie keine Gefangene ist, braucht sie doch nicht auszureißen.«

»Sie wird gefangen gehalten, aberst nicht von dera Behörden, sondern von einem Juden.«

»Das darf er doch nicht!«

»Er muß doch ein gewisses Recht dazu haben.«

»So? Ein Recht? Hat sie das etwa sagt?«

»Sie hat sagt, daß er ihre Unterschrift in denen Händen hab; also muß ers wohl dürfen.«

Der Alte sah erst den Einen, dann den Anderen erstaunt an, schüttelte den Kopf und meinte:

»Das könnt nur in einem einzigen Fall gelten.«


// 2328 //

»In welchem?«

»Um das Euch zu sagen, dazu seid Ihr noch zu jung.«

»So! Leute, die bereits in Egypten gewesen sind, die sind gewiß für nix mehr zu jung.«

»Für solche Sachen doch. Ich glaub, Ihr seid an eine Dirn gerathen, die keine Ehr im Leibe hat.«

»Oho! Grad weil sie ein Ehr hat, will sie fort.«

»So! Verzählt mir doch mal die ganze Geschicht!«

»Ja, ich will es Dir beweisen, Sepp. Das wird wohl das Allerbeste sein.«

»Natürlich. Ich muß Alles wissen, wann ich Euch gut rathen soll. Also darfst nix auslassen. Verstanden?«

Max begann nun zu erzählen, und zwar that er das auf das Ausführlichste. Er berichtete auch von dem Zusammentreffen mit den beiden Malern.

Sepp hörte sehr aufmerksam zu und sagte nichts, selbst dann, als Max geendet hatte. Er zeigte ein sehr nachdenkliches Gesicht. Erst nach einer Weile brummte er:

»Das ist eine fatale Geschichten. Besser wärs, sie wär gar nimmer passirt. Das ist meine Meinung.«

»Aber Du meinst doch auch, daß wir Wort halten müssen?« fragte Johannes angelegentlich.

»Hm! Vielleicht, und vielleichten auch nicht. Ihr könnt dabei in gar große Unannehmlichkeiten gerathen.«

»Das wissen wir auch. Aber wir werden uns natürlich so viel wie möglich in Acht nehmen.«

»Laßt es lieber ganz sein!«

»Nein, das geht nicht! Ich halte mein Wort.«

»Das hast Du wohl zu leichtsinnig gegeben.«

»O nein, lieber Sepp. Wie ich Dich kenne, hättest Du es ihr auch gegeben; das ist gewiß und sicher.«

»Ich glaub es nicht.«

»Aber ich bin es überzeugt. Sie hat so lieb und gut ausgeschaut, und es hat mich so derbarmt.«

»Und daraus kann werden, daß Du mich derbarmst. Ihr junges Volk seid mit Eurem Mitgefühl allsogleich bei der Hand.«

»Schau sie Dir nur an, so wirst mir Recht geben.«

»Ja, das kannst wohl gut sagen. Aber wann soll ich sie mir denn eigentlich anschauen?«

»Hast Recht. Das geht ja nicht.«

»Heut wollt Ihr sie wohl schon befreien, und bis dahin kann ich sie doch nicht zu sehen bekommen.«

»Allerdings nicht; aberst wannst sie dann später siehst, wirst sagen, daß ich mich nicht in ihr irre.«

»Hm! Bist halt so ein Menschenkenner worden?«


Ende der siebenundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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