Der Weg zum Glück - Teil 99

Lieferung 99

Karl May

16. Juni 1888

Der Weg zum Glück.

Vom Verfasser des »Waldröschen«, »Verlorner Sohn«, »Deutsche Helden« etc.


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»Aber Sie verlassen mich nicht? Sie kommen gewiß zurück, ganz gewiß?«

»Ganz gewiß. In fünf oder höchstens zehn Minuten sind wir wieder da. Indessen nehmen Sie hier das Bündel. Es enthält einige Kleidungsstücke, die Sie gleich hier anlegen müssen, damit Sie nach dem Hotel können. Legen Sie auch den Schleier an, daß man Ihr Gesicht nicht deutlich sieht. Also nun gehen wir. Aber wir kommen gleich wieder. Besorgen Sie nichts!«

Ihre Angst war noch nicht beschwichtigt. Sie ergriff Hannsens Hand und sagte:

»Wenn man mich nun hier sucht und findet?«

»O, es kommt kein Mensch hierher.«

»Das kann man doch nicht wissen.«

»Ich bin vollständig überzeugt, daß Sie hier ganz sicher sind. Wir sind schnell, sehr schnell wieder da. Bis dahin können Sie auf alle Fälle diesen Platz behaupten.«

Sie sah, daß sie sich trotz ihrer Bangigkeit fügen mußte, und ergab sich drein. Die Beiden aber eilten nach der Restauration zurück.

Dort hatte indessen Sepp sich mit dem Juden unterhalten. Trotz seiner Betrunkenheit verhielt der Letztere sich so vorsichtig wie möglich. Wer heimlich gegen die Gesetze handelt, der hat alle Veranlassung, vorsichtig zu sein. Als Max und Johannes sich entfernt hatten, fragte er den Alten:

»Jetzt sind wir allein. Wer sind Sie?«

»Müssen Sie das wissen?«

»Ja.«

»Lieber ist mirs, wenn ich es Ihnen nicht zu sagen brauche. Solche Geschäfte macht man gern incognito.«

»So ist Ihre Mühe vergebens. Ich verkehre nicht mit Ihnen. Sie kennen mich, und so muß auch ich Sie kennen.«

»Ist das Ihr fester Grundsatz?«

»Geschäftsprincip!«

»So! Nun, da will ich Ihnen sagen, daß ich pensionirter Officier bin, Hauptmann.«

»Wo?«

»Ich diente in Bayern, befand mich aber in letzter Zeit in Wien.«

»Können Sie mir das beweisen?«

»Donnerwetter! Glauben Sie mir nicht?«

»Ich glaube Ihnen. Aber was thue ich mit dem Glauben? Bei dieser Art Geschäft muß man haben eine vollständige Sicherheit.«

»Nun, die kann ich Ihnen bieten. Hier!«

Er zog seine Legitimation hervor und gab sie ihm. Der Jude las sie aufmerksam durch, gab sie ihm zurück und sagte:

»Jetzt habe ich den Beweis, daß Sie mir die Wahrheit gesagt haben. Nun können wir vom Geschäft sprechen. Was bringen Sie mir?«


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»Ich möchte von diesen Sachen grad hier lieber nicht reden, Baruch Abraham.«

»Warum nicht?«

»Es ist hier Restauration.«

»Was thut das?«

»Sehr viel. Es ist ein öffentlicher Ort.«

»Aber es hört uns Niemand.«

»Das denken Sie. Wie leicht aber kann es anders sein. Gegen meine Person waren Sie so vorsichtig, und gegen Andere hegen Sie keine Befürchtungen. Nein, hier nicht.«

»Wo denn?«

»Bei Ihnen.«

»Ah, Sie wollen gehen mit mir in mein Haus?«

»Ja. Ist das nicht möglich?«

»Möglich ist es, und vielleicht ists das Beste, was wir thun können. Aber ich kann jetzt nicht fort.«

»Warum?«

»Weil die beiden Herren sind hinausgegangen. Ich habe gemacht mit ihnen einen sehr guten Handel; sie bezahlen die Zeche für mich, und ich bin ihr Gast.«

»Sie wollen nicht gehen, ohne sich von ihnen zu verabschieden?«

»Ja.«

»Nun, das können Sie ja thun. Wir warten, bis sie wieder hereinkommen.«

»Auch habe ich noch auszutrinken meine Flasche.«

»Das können Sie bereits jetzt besorgen, damit wir gleich gehen können, wenn sie kommen. Ich habe keine Zeit, so lange zu warten, bis Sie die Flasche langsam geleert haben.«

Er setzte sich durch seinen entschiedenen Ton so in Respect, daß der Jude sein Glas schleunigst füllte und wieder leerte. Dabei erkundigte er sich:

»Wo logiren Sie?«

»Noch gar nicht. Ich kam mit dem letzten Zuge und habe Sie sofort aufgesucht. Haben Sie vielleicht einen Platz für mich bei sich?«

Der Jude streckte ihm beide Arme entgegen, spreizte alle zehn Finger aus und rief:

»Au weih! Wie kann ich haben Platz für fremde Leute! Habe ich doch ein Ein- und Verkaufsgeschäft für alte Sachen aber nicht eine Herberge!«

»Nun gut, so muß ich mir einen anderen Ort suchen. Erschrecken Sie nicht!«

»Warum sollt ich nicht erschrecken? Weiß ich doch noch gar nicht, ob ich werde machen ein gutes Geschäft mit Ihnen.«

»Sie werden es machen.«

»Wie so?«


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»Ich bringe etwas zu verkaufen und will auch etwas abkaufen. Und bei Beidem werden Sie verdienen.«

»So sagen Sie, was Sie wollen kaufen!«

»Hier nicht, sondern später. Reden wir jetzt lieber von anderen Dingen.«

Er gab sich nun Mühe, den Juden über das erste beste gewöhnliche Thema so gut wie möglich zu unterhalten, so daß diesem die Zeit nicht zu lang wurde. Dies gelang ihm auch so gut, daß es Baruch Abraham gar nicht auffiel, wie lange Hanns und Max abwesend waren.

Als die Beiden dann zurückkehrten, sagte der Sepp zu ihnen:

»Meine Herren, ich muß um Verzeihung bitten, daß ich Ihnen diesen Herrn entführe. Ich habe noch Geschäfte mit ihm.«

»Ja,« fügte der Jude hinzu, »so gern ich noch länger blieb, ich muß doch gehen fort mit ihm. Er will mir noch zeigen ein schönes Gemälde. Sie haben sich betragen sehr nobel gegen mich, und ich sage meinen Dank dafür.«

Indem Max schnell Sepps Hut herbei holte, scheinbar aus bloßer Höflichkeit, gab er ihm mit demselben zugleich den Pfortenschlüssel heimlich in die Hand.

»Gelungen?« fragte der Alte dabei leise.

»Ja. Sei nicht lange!«

Sepp entfernte sich mit dem Juden.

Als dieser auf die Gasse trat und die kühle Nachtluft einathmete, wurde ihm der Kopf schwer. Der Rausch kam zur Geltung.

»Gott Abrahams,« sagte er, »was ist denn das? Wo bin ich denn hingerathen?«

»Das sehen Sie doch!«

»Ich kenne doch gar nicht mehr die Gegend. Alle Häuser tanzen Polka rundum!«

»Das thut der Wein. Es wird bald nachlassen.«

»Führen Sie mich! Ich kann nicht mehr stehen auf meinen eigenen Beinen!«

»Auf fremden würde es Ihnen wohl noch viel schwerer werden. Geben Sie mir Ihren Arm!«

Er faßte ihn unter und führte ihn nach seinem Hause. Dort dauerte es eine halbe Ewigkeit, bevor Baruch Abraham den Hausschlüssel hervor brachte, und sodann konnte er das Loch nicht treffen.

»Wir sind an einer falschen Thür,« behauptete er.

»O nein. Es ist die richtige.«

»Es ist die falsche. Die meinige hat ein Schlüsselloch, diese aber keins.«

»Zeigen Sie den Schlüssel her! Ich will versuchen, ob mir das Oeffnen gelingt.«

Es gelang.

»Wo nehmen wir nun Licht her?« fragte er, als sie sich dann im Flur befanden.


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»Da in der Wand ist eine Nische, in welcher sich die Lampe befindet.«

Sepp fühlte die Nische und auch die Lampe, welche er mittelst der dabei liegenden Zündhölzer anbrannte.

Dann fand der Jude den Schlüssel zu dem Gewölbe nicht. Sepp suchte ihn auch und fand ihn endlich. Er schloß auf und schleppte den Menschen hinein. Dort setzte sich Baruch Abraham auf einen Stoß Makulaturpapier nieder und ließ den Kopf sinken.

»Wo bin ich, wo?« fragte er.

»Daheim.«

»Nein. Das ist eine Höhle. Das ist, das ist - -«

Er sprach nicht weiter. Er schloß die Augen. Die Müdigkeit wollte ihn übermannen.

Diesen Augenblick benutzte der kluge Sepp. Im Nu war er an der Hofthür. Er gewahrte beim Scheine der Lampe, welche er in der Hand hatte, den Nagel und hing den Schlüssel daran. Im nächsten Moment stand er wieder bei dem Juden.

»Baruch Abraham,« sagte er. »Schlafen Sie?«

Der Gefragte machte eine Armbewegung und brummte etwas Unverstehbares.

»Wir wollen doch von Geschäften reden!«

»Geschäft, Geschäft,« nickte er, aber ohne die Augen zu öffnen.

Das Wort Geschäft übte doch einige Wirkung auf ihn aus. Der Sepp fuhr fort:

»Erwachen Sie doch! Seien Sie munter!«

»Munter - oh - - ah!«

»Wenn Sie so sitzen bleiben, kann ich Ihnen ja den ganzen Laden ausstehlen!«

»Stehlen!«

Sofort stand der Jude hoch aufgerichtet da. Das einzige Wort stehlen hatte alle seine Müdigkeit verscheucht.

»Stehlen!« rief er. »Stehlen wollen Sie?«

»Nein, bewahre!«

»Sie sagten es doch!«

»Ich sagte nur, daß man Sie leicht bestehlen könnte, wenn Sie da sitzen bleiben.«

»Nein, nein. Bestehlen läßt sich Baruch Abraham nicht. Der Wein, der Wein! Aber es giebt ein Mittel. Dort steht Essig.«

Auf dem Fenster stand eine dickbäugige, staubige Flasche. Der Jude that einige tüchtige Schlucke daraus, zog ein schreckliches Gesicht, hustete darauf und wusch sich dann auch das Gesicht damit. Mit dem langen Schooße seines Rockes trocknete er sich ab.

»So,« sagte er, »so! Jetzt ists besser. Bestehlen lasse ich mich eben nicht!«

»Ich beabsichtige das ja auch nicht.«

»Nicht? Hm! Man kann es nicht wissen.«

»Ich habe Sie ja grad im Gegentheile gewarnt.«

»Gewarnt? So? Ich will es glauben. Also jetzt bin ich geworden wieder gesund, und meine Augen sind hell. Nun wollen wir reden vom Geschäft.«

Er setzte sich wieder auf den Papierstoß und lud Sepp ein, neben ihm Platz zu nehmen. Dieser aber lehnte ab und sagte, stehen bleibend:

»Ist denn die Wirkung des Weines so weit gehoben, daß wir von wichtigen Dingen reden können?«

»Sie ist weg, ganz weg.«

Er blinzelte mit den Augen. Es wurde ihm doch schwer, sie ganz zu öffnen.

»Gut,« meinte Sepp. »So können wir also beginnen. Ueberwinden Sie die noch zurückgebliebene Müdigkeit!«

»Ich bin nicht müde. Ich bin munter. Ich kann reden. Ich will nun wissen, wer Sie sind.«

»Das haben Sie ja schon gehört.«

»Gehört? So?«

»Und auch gesehen. Ich habe Ihnen ja doch meine Legitimation gezeigt.«

»Ah, ja, Legitimation! Es ist wahr, sehr wahr. Sie sind pensionirter Hauptmann. Nicht?«

»Ja. Josef von Brendel.«

»Brendel, so war es. Sie kommen von Wien?«

»Das sagte ich Ihnen bereits.«

»Schön! Und von wem haben Sie denn eigentlich das Wort Salek erfahren?«

»Von ihm selber.«

»Wer ist das?«

»Der Baron von Stubbenau.«

»Stimmt, stimmt. Ist denn er es, der Sie zu mir gesendet hat?«

»Ja, er selbst.«

»Warum kommt oder schreibt er nicht? Er soll mir keinen Fremden schicken.«

»Er kann weder kommen noch schreiben.«

»So? Hat er keine Zeit? Zu so einem Briefe muß er haben zu jeder Minute Zeit.«

»Zeit hätte er; aber er darf nicht.«

»Darf - - - ah, wer hindert ihn?«

»Die Behörde.«

»Die Behörde? Was sagen Sie? Die Behörde?«

Seine Augen öffneten sich jetzt weit.

»Ja, das Gericht - wenn das deutlicher ist.«

»Das Gericht? Wieso?«

»Er ist gefangen.«


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»Gef - - -«

Er brachte das Wort nicht ganz hervor; aber es übte eine ungemeine Wirkung auf ihn aus. Er fuhr empor und starrte Sepp mit erschrockenen Augen an. In diesem Momente war keine Spur des Rausches mehr an ihm zu bemerken.

»Wa - wa - was sagten Sie?« stotterte er.

»Daß der Baron gefangen ist.«

»Ist das wa - wa - - wahr?«

»Ja.«

»Das glaube ich nicht.«

»Ich versichere es Ihnen.«

»Aber ich glaube es nicht!«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.«

»Und dennoch kann ich es nicht glauben, denn so ein gewandter, kluger, vorsichtiger und kühner Mensch läßt sich nicht erwischen.«

»So muß ich es Ihnen beweisen.«

»Ich bitte darum.«

»Können Sie lesen?«

»Gott der Gerechte, was für eine Frage! Wird Baruch Abraham doch können lesen!«

»Ich meine nur, ob der Wein Ihnen nicht noch in den Augen liegt.«

»Der Wein ist fort, weg, ganz weg! Das Wort, daß der Baron von Stubbenau soll sein gefangen, hat den Rausch besiegt.«

Das war auch wirklich so. Der Jude sah aus, als ob in seinem ganzen Leben kein Tropfen Wein über seine Lippen gekommen sei.

»So sehen Sie her, und lesen Sie.«

Sepp zog ein Blatt einer Wiener Zeitung aus der Tasche, gab es ihm und deutete auf die betreffende Stelle. Der Jude las und ließ dann das Blatt und die beiden Arme sinken.

Er starrte dem Sepp mit einem Blicke unendlichen Schreckes in das Gesicht.

»Nun, glauben Sie es?« fragte dieser.

»Ob ich es glaube? Fast doch nicht!«

»Es steht ja gedruckt, schwarz auf weiß!«

»Ja, ja, schwarz auf weiß. Das ist wahr. Aber oft ist grad das Schwarze auf dem Weißen die größte Lüge.«

»Pah! Sie sind unverständig!«

»Ich kann und kann und kann es nicht glauben. Es wäre zu schrecklich für mich.«

»Ah! Also gab er mir noch im letzten Augenblicke den Auftrag, nach Triest zu eilen, um Sie zu warnen.«

»That er das? Hat er es wirklich gethan?«

»Ja.«

»Der Gute, der Brave! Ja, er hat viel, sehr viel auf mich gehalten; aber er hat auch bei mir verdient ein schweres Geld.«


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»Drum war er dankbar.«

»Also wegen Einbruch wurde er verhaftet?«

»Ja, wegen Einbruch.«

»Wird man ihn nicht geben müssen frei? Kann man ihm beweisen den Einbruch?«

»Er ist während desselben gesehen worden, und man hat auch den ganzen Raub bei ihm gefunden.«

»Gefunden! Den ganzen Raub! Gott meiner Väter! Wie kann passiren diese Dummheit so einem gewandten Einbrecher!«

»Er ist eben nach und nach zu sicher geworden.«

»Ja, er hat es fehlen lassen an der nöthigen Vorsichtigkeit. Was hatte er denn geraubt?«

»Ein große Summe baaren Geldes und dann den großen Diamantenschatz einer berühmten Sängerin.«

»Dia - Dia - Abraham, Isaak und Jacob! Diamanten sind es gewesen, Dia - Dia - -!«

Er schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, rannte einige Male zwischen seinem Gerümpel auf und ab, blieb dann vor Sepp stehen und jammerte:

»Diamanten! Den ganzen Schatz?«

»Den ganzen!«

»Einer berühmten Sängerin! O weih, weih! Was werden da zusammen gewesen sein für Brillanten, Rubinen, Smaragden!«

»Fast für eine Million!« log der Sepp mit dem ernsthaftesten Gesichte.

»Eine Million! Herr Zebaoth! Und wissen Sie, wer bekommen hätte diesen Schatz?«

»Nun, wer?«

»Ich!«

»Ja, richtig.«

Sepp sagte das, obgleich er keine Ahnung hatte, wie weit die geschäftliche Verbindung zwischen dem Einbrecher und dem Juden gehe.

»Ja, ich, Baruch Abraham! Ich habe ihm stets abgekauft alle Brillanten, ich, ich!«

»Das weiß ich.«

»Von wem?«

»Er selbst hat es mir gesagt.«

»Welch eine Unvorsichtigkeit!«

»Das war kein Mangel an Vorsicht. Er wußte, daß er es mir anvertrauen konnte.«

»War er denn Ihr Freund?«

»Mein bester.«

»Haben Sie sich betheiligt an, an, an - - Sie wissen wohl, was ich will sagen?«


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»Ich verstehe Sie und will Ihnen aufrichtig sagen, daß ich mich betheiligt habe.«

»Direct beim Einbruch? Ein alter Offizier?«

»Nicht direct. Und was meinen Sie mit dem Offizier? Ich kann von meiner Pension nicht leben und nicht sterben. Aber ich bewege mich in feinen Kreisen. Ich sehe, wo die Leute ihre Reichthümer aufbewahren. Verstehen Sie?«

»Ja, ja. Sie haben gemacht den stillen Kundschafter für den Baron von Stubbenau.«

»So ist es.«

»Daraus erkenne ich, daß ich kann haben Vertrauen zu Ihnen.«

»Das können Sie. Deshalb sendet er mich. Er scheint Ursache zu haben, zu glauben, daß man erfährt, daß Sie sein Hehler sind.«

Der Jude machte vor Schreck einen Luftsprung.

»Donnerwetter, das soll man nicht!« schrie er.

»Ist wohl nicht zu verhüten!«

»Warum? Wieso? Hat der Baron denn etwa verrathen meinen Namen?«

»Nein. Aber man hat seine Papiere confiscirt, in welchen Ihr Name zu finden ist.«

»O weih, o weih! Muß er denn schreiben meinen Namen auf solche Papiere!«

»Und außerdem ist er gegen seine Tänzerin zu vertrauensvoll gewesen.«

»Auch das wissen Sie? Auch die kennen Sie? Sie wissen, wie sie heißt?«

»Valeska.«

»Ja, Sie wissen es!«

»Natürlich! Ich bin fast täglich mit ihm bei ihr gewesen. Sie brach mit ein.«

»Auch das haben Sie erfahren? Ja, ja, Sie sind Einer von den Unserigen. Ich kann haben Vertrauen zu Ihnen.«

»Natürlich! Leider nun ist diese Valeska auch mit arretirt worden.«

»Auch mit! Davon steht ja nichts da im Blatte!«

»Man verschweigt es mit Absicht, damit die Complicen nicht gewarnt werden.«

»Alle Teufel! Das ist schlimm!«

»Freilich. Man hat bei der Valeska außerordentlich viel Gravirendes gefunden, und es steht zu erwarten, daß sie ein ganz umfassendes Geständniß ablegt.«

Dem Juden stand der Schweiß auf der Stirn. Fast schien es, als ob die Zähne ihm zusammen klapperten. Fast wimmernd rief er:

»O Unglück, o Elend! Was soll daraus werden! Was soll ich beginnen!«

»Das ist Ihre Sache.«

»Ja, meine Sache! Ich kann mir schießen sogleich eine Kugel in den Kopf!«

»Das lassen Sie bleiben!«


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»Bleiben lassen? Soll ich warten, bis man nimmt meinen Hals, legt darum rund herum einen Strick und hängt diesen Strick an einen Galgen?«

»Ja, so lange würde ich an Ihrer Stelle freilich nicht warten. Das ist wahr.«

»So muß ich also nehmen Pulver und es stecken in eine Pistole und ein Zündhütchen auf den Hahn und mich erschießen in der Blüthe meiner Jahre!«

»Jedenfalls steht es doch nicht so schlimm.«

»O doch, doch, doch! Wenn der Baron ist gewesen vertraut mit Ihnen, wird er haben gesagt Ihnen Alles von unseren Geschäften.«

»Das hat er allerdings. Ich weiß, daß er Ihnen die Mädchen zusandte - - -«

»Viele, viele! Ich habe sie ihm abgenommen und bezahlt ein schweres Geld für sie.«

»Jawohl, zwanzig Gulden für die Person.«

»Auch das wissen Sie!«

»Alles weiß ich. Auch daß er Ihnen alle die geraubten Kostbarkeiten verkauft hat.«

»Auch dafür hab ich ihm gegeben ein unzähliges Geld. Hätte ich nur wenigstens immer wieder verkauft diese Sachen!«

Der Sepp mußte mit allen Winden laviren. Er wußte gar nichts und durfte es sich doch nicht merken lassen. Er mußte vielmehr so thun, als ob ihm Alles, Alles bekannt sei. Darum nickte er auch jetzt:

»Leider! Sie haben das Alles noch.«

»Was? Sie wissen das?«

»Natürlich. Sie hatten den Gedanken, Ihre ganzen Ersparnisse in den Kostbarkeiten anzulegen.«

»Das ist wahr; das ist richtig. Kann man anlegen sein Geld besser als in einem Diamanten, für den man hat gegeben fünfzig Gulden, während er doch ist werth ein ganzes Tausend?«

»Ich würde ganz so gehandelt haben wie Sie! Jetzt aber droht Ihnen eine außerordentliche Gefahr.«

»Wie denn? Welche?«

»Man wird Ihnen die Kostbarkeiten abnehmen.«

»Mir? Das wäre entsetzlich!«

»Aber es ist beinahe unausbleiblich!«

»Nein, nein. Das lasse ich nicht geschehen!«

»Was wollen Sie dagegen thun?«

»Man würde nichts finden.«

»Wirklich nicht? Weiß Niemand, wo Sie diese Sachen alle versteckt haben?«

»Nur ich weiß es und meine Frau.«

»Weiter Niemand?«

»Nein.«


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Dieses Nein aber kam in einem so unsicheren Tone heraus, daß Sepp annahm, es müsse noch irgend Jemand um das Versteck wissen. Wer aber mochte das sein? Vielleicht der Baron von Stubbenau? Er war der Lieferant und konnte also in das Vertrauen gezogen sein.

»War der Baron von Stubbenau nicht öfters bei Ihnen?« fragte darum der Alte.

»Sehr oft. Er hat mir ja diese Sachen stets persönlich gebracht.«

»Der wird doch Ihr Versteck nicht verrathen!«

Der Jude machte ein sehr bestürztes Gesicht, daß Sepp vermuthete, er habe das Richtige getroffen.

»Der Baron? Wieso der?«

»Er kennt es doch.«

»Gott Abrahams! Woher denn?«

»Sie selbst haben es ihm gezeigt.«

»Ich? Wer sagt das?«

»Er.«

»Und wem hat er es gesagt?«

»Mir und seiner Tänzerin.«

Der Jude that abermals vor Angst einen Luftsprung und schrie:

»Solch eine Dummheit! Welch eine Schlechtigkeit! Meine schönsten Geheimnisse auszuplaudern!«

»Sie sehen, daß man selbst seinen besten Freunden nicht mehr trauen darf.«

»Hat er es Ihnen wirklich gesagt?«

»Mir und der Valeska.«

»Und es Ihnen auch beschrieben?«

»Mir nicht, aber ihr.«

»Ihr, ihr! Dieser Tänzerin hat er Alles mitgetheilt, Alles! Welch ein schlechter Kerl!«

»Sie sehen also, wie nahe Ihnen der Verrath steht. Jeden Augenblick kann die Polizei kommen und Ihnen die Kostbarkeiten abnehmen.«

»Gott, Gott! Was ist zu thun? Was ist zu thun?«

Er rannte wie besessen hin und her.

»Werd ich müssen mir suchen ein ander Versteck!« rief er endlich aus.

»Haben Sie denn ein anderes?«

»Nein. Weiß ich doch gar nicht, wo ich sicher verbergen kann die Sachen.«

»Ich will Ihnen einen guten Rath geben.«

»Welchen denn?«

»Verkaufen Sie die Sachen.«

»Verkaufen? Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nur würde verkaufen für guten Preis und gegen baares Geld.«

»Natürlich!«

»Und da find ich nicht einen Käufer. Wer hat so viel baares Geld, daß er kann bezahlen die so großen Kostbarkeiten!«


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Aus diesen Worten war zu schließen, daß der nach und nach zusammengehäufte Raub ein ganz bedeutender sein müsse.

»Vielleicht findet sich doch ein solcher Mann.«

»So schnell nicht. Ich müßte ja verkaufen sofort, sofort! Und es giebt ja in ganz Triest keinen passenden Käufer.«

»Muß es denn ein Triester sein?«

»Weil es kein Fremder sein kann. Ehe ein solcher kommen könnte, hätte man mir Alles genommen.«

»Wenn nun so ein Fremder bereits hier wäre?«

»Wo denn?«

»Im Hotel.«

Da stellte sich der Jude breit vor Sepp hin und sagte:

»Herr, Sie haben einen Gedanken, eine Absicht!«

»Allerdings.«

»Welche denn?«

»Ich habe einen guten Käufer mitgebracht.«

»Sie? Einen Käufer? Ists möglich?«

»Es ist sogar wirklich.«

»Wie sind Sie gekommen auf diese Idee?«

»Weil der Baron von Stubbenau mir von den Kostbarkeiten erzählte und ich nachher als ganz sicher annahm, daß Sie verrathen würden, glaubte ich, Sie würden mir eine kleine Provision zahlen, wenn ich Ihnen dieses Vermögen rette.«

»Provision! O weih! Wer wird zahlen heut zu Tage noch eine Provision.«

»Also nicht?«

»Nein.«

»Gut! So lassen Sie sich die Sachen von der Polizei confisciren!«

Er wendete sich ab. Der Jude aber ergriff ihn am Arme und fragte voller Angst:

»Sie hätten wirklich einen Käufer?«

»Ja.«

»Wo logirt er?«

»Das werden Sie später erfahren.«

»Wie heißt er?«

»Auch das sage ich Ihnen dann!«

»Ich muß es aber doch wissen!«

»Jetzt noch nicht.«

»O doch!«

»Nein. Ich durchschaue Sie. Sie wollen mit ihm verhandeln ohne mich, damit Sie keine Provision zu zahlen brauchen.«

»Gott der Gerechte! Was denken Sie!«

»Ich denke das Richtige. Aber ich will nicht umsonst nach Triest gereist sein.«


// 2364 //

»Was ist denn der Mann?«

»Juwelier.«

»Und reich?«

»Er hat so viel baares Geld bei sich, daß er Sie zehnmal auskaufen kann.«

»Da müßte er haben Millionen.«

»Sein Credit ist ungeheuer.«

»Und ist er sicher? Kann ich gewiß sein, daß er mich nicht wird verrathen?«

»Er ist die Verschwiegenheit selbst und hat schon oft ähnliche Geschäfte gemacht.«

»So sagen Sie, wie hoch ist die Provision, welche Sie wollen haben von mir?«

»Wieviel geben Sie?«

»Werd ich geben ein Zehntel Procent.«

»Sie sind verrückt!«

»Ists nicht genug?«

»Nein.«

»Gott meiner Väter! Wollen Sie mir setzen die Daumschrauben an meine alten Finger!«

»Sie haben selbst gesagt, daß Sie fünfzig Gulden zahlen für einen Stein, welcher tausend kostet. Das sind zweitausend Prozent Verdienst für Sie. Und mir bieten Sie ein lumpiges Zehntel? Schämen Sie sich!«

»So sagen Sie selbst, was Sie wollen haben!«

»Ich könnte fünf oder gar zehn Procent fordern, aber ich thue es nicht. Ich begnüge mich an einem bescheidenen Antheil - ein Prozent.«

»Ein ganzes Procent!« schrie der Jude.

»Ja.«

»Sind Sie bei Sinnen?«

»Schweigen Sie! Sie sind ja ein ganz jammervoller Kerl! Sind Sie denn gar so dumm?«

»Dumm? Wie soll ich sein dumm?«

»Sagen Sie sich denn nicht, daß Sie mir gar keine Provision zu geben brauchen?«

»Wer wird sie geben als nur ich?«

»Der Käufer. Sie schlagen sie zum Preise.«

»Ich weiß wohl, daß man das macht. Aber der Käufer wird auch nicht mehr geben, als wie er ohne Provision geben würde.«

»Da lassen Sie nur mich sorgen!«

»Sie wollen stehen auf meiner Seite?«

»Ja.«

»Gut! In diesem Falle werde ich geben das ganze Procent. Schlagen Sie ein.«

»Hier ist meine Hand.«


// 2365 //

Sie schüttelten einander die Hände und dann fragte Baruch Abraham:

»Wann werden Sie mir bringen den Mann?«

»Wann Sie wollen.«

»So bringen Sie ihn - ja, wann paßt es denn?«

»Je schneller, desto besser. Vielleicht kann er noch heute Nacht kommen?«

»Nein. Nicht in der Nacht, aber gleich wenn es Morgen geworden ist.«

»Soll geschehen.«

»Schön, so ist die Sache also abgemacht?«

»Nein, noch nicht.«

»Noch nicht? Wieso?«

»Ich weiß doch noch gar nicht, ob ich ihm Ihre Diamanten empfehlen kann.«

»Das können Sie.«

»So sagt ein jeder Verkäufer.«

»Aber es ist wahr.«

»Möglich! Aber wenn ich wirklich für Sie eintreten soll, muß ich Gewißheit haben.«

»Mein Wort ist genug!«

»O nein.«

»Sie trauen mir nicht?«

»Ich traue Ihnen. Aber habe ich mich nicht auch Ihnen gegenüber legitimiren müssen?«

»Das war etwas Anderes.«

»Gar nichts Anderes. Noch weiß ich gar nicht gewiß, ob Sie auch Diamanten besitzen.«

»Ich sage es ja!«

»Das gilt nichts.«

»Der Baron hat es Ihnen erzählt!«

»Auch das gilt nichts. Sie können sie indessen verkauft haben. Und wenn Sie wirklich welche haben, so weiß Gott, welch Zeug es ist.«

»Es sind prachtvolle Steine.«

»Sehen müßte ich sie.«

»Sehen?« rief der Jude erschrocken.

»Natürlich!«

»Das geht nicht an.«

»Warum nicht?«

»Weil - weil - ich kann sie nicht zeigen.«

»Sie müssen sie doch dem Käufer zeigen!«

»Das ist etwas ganz Anderes!«

»Nein. Ich soll den Unterhändler machen; also muß ich auch sehen, was ich empfehle.«

»Nein. Sie können nicht verlangen, daß ich Ihnen meine großen Schätze zeige!«

»Nun gut! So sehen wir von dem ganzen Geschäft lieber ab. Gute Nacht!«


// 2366 //

Er griff wieder zu seinem Hute.

»Halt! Nehmen Sie Verstand an!«

»Den habe ich bereits. Wollen Sie?«

»Es ist unmöglich.«

»So verkaufen Sie Ihre Sachen an die Polizei! Da brauchen Sie keinen Unterhändler.«

Er schritt nach der Thür.

»Gott der Gerechte! So warten Sie doch!«

»Wozu?«

»Sind Sie ein schlimmer Mensch! Ich kann Ihnen doch nicht zeigen mein Versteck!«

»Das will ich ja gar nicht sehen.«

»Und doch!«

»Nein, nicht das Versteck, sondern die Diamanten.«

»Das Eine können Sie doch nicht sehen ohne das Andere.«

»Warum nicht? Nehmen Sie sie heraus!«

»Sie stehen doch dabei.«

»So thun Sie mich einstweilen fort!«

Das leuchtete dem Juden ein.

»Hm!« brummte er. »Wenn ich nur wirklich wüßte, ob der Mann wird kaufen!«

»Wenn Sie preiswerthe Sachen haben, kauft er ganz gewiß.«

»Hm! Hm! Und Sie werden nie Etwas verrathen?«

»Im ganzen Leben nicht.«

»Gut, so werde ich Ihnen zeigen die Sachen.«

»Endlich! So bereitwillig konnten Sie gleich erst sein; dann hätten wir nicht so viel Zeit eingebüßt.«

»Wir haben auch jetzt noch Zeit. Aber wie mache ich diese Sache? Hm, hm! Fürchten Sie sich?«

»Vor wem denn?«

»Des Nachts, wenn wir im Finstern sind?«

»Fällt mir nicht ein!«

»So werden Sie haben die Güte, einstweilen zu gehen hinaus in den Hof.«

»Sehr gern.«

»Ich werde Ihnen geben einen Stuhl, damit Sie können sich bequem setzen.«

»Sehr freundlich!«

»Sie werden aber sich verhalten sehr ruhig!«

»Ja. Ich werde weder singen noch pfeifen.«

»So kommen Sie!«

Er nahm denselbigen Schlüssel vom Nagel, den der Sepp vorher hingehängt hatte, und öffnete die Thür. Dann warf er eine Menge altes Zeug von einem Stuhle herab, trug denselben hinaus in den Hof und sagte:

»Hier können Sie sitzen, bis ich Sie werd lassen wieder herein zu mir.«

Der Sepp setzte sich willig nieder. Der Jude kehrte in die Niederlage


// 2367 //

zurück und schloß die Thür hinter sich zu, um ja nicht von ihm überrascht werden zu können.

Im Nu war der Alte beim Laden. Er bemerkte eine Stelle, durch welche das Licht fiel. Es war ein Astloch.

»Sakkerment!« brummte er vergnügt. »Da kann ich das ganze Loch überblicken. Wie dumm so ein Jud doch ist! Nun mag er sein Versteck aufimachen!«

Er konnte wirklich durch das Loch den ganzen Raum übersehen. Er paßte also auf.

Baruch Abraham ergriff eine alte Holzstellage, welche voller verkäuflicher Kleider hing und dicht an der Wand stand, und schob sie fort. Hinter ihr kam die nackte Mauer zum Vorscheine.

»Sollte dort eine Thür sein?« fragte sich Sepp.

Aber es war keine Spur von einer solchen zu sehen. Das Einzige, was man erblickte, war ein großer, eiserner Haken, zum Aufhängen von Gegenständen in die Wand geschlagen, wie es schien.

Aber er hatte doch einen andern Zweck, wie sich sogleich zeigte. Der Jude ergriff den gebogenen Haken und drehte. Sofort öffnete sich die Mauer. Es kam eine Thür zum Vorscheine.

Dieselbe bestand jedenfalls aus Holz und war so mit Lehm und Kalk bestrichen, daß man sie von ihrer Umgebung gar nicht unterscheiden konnte.

Nun brachte der Jude aus dem hinter dieser Thür befindlichen Raume allerhand Gegenstände zum Vorschein - Kisten, Schachteln und ähnliche Behältnisse, welche er in die Mitte des Gewölbes stellte. Dann machte er die Thür wieder zu und schob die Kleiderstellage an ihren Ort zurück.

»Jetzund wird er mich holen,« dachte Sepp.

Aber er irrte sich abermals. Der Jude setzte sich auf den bereits erwähnten Papierballen und blieb da eine ganze Weile ruhig sitzen.

»Ah, jetzt weiß ich schon, warum!« brummte Sepp. »Ich soll denken, er hat die Sachen weit her geholt. Ich soll nicht auf den Gedanken kommen, daß sie so nah gewest sind. Na, meinswegen!«

Er kehrte auf seinen Stuhl zurück und wartete. Erst nach einiger Zeit öffnete der Jude die Thür.

»Kommen Sie herein!« sagte er.

»Es hat sehr lange gedauert.«

»Ich mußte die Sachen erst vom Boden herabholen.«

»Das hab ich mir gedacht.«

»Nun sollen Sie Alles sehen.«

Er öffnete die sämmtlichen Behältnisse, und der erstaunte Alte erblickte nun einen wahren Reichthum von goldenen und silbernen Gefäßen und kostbaren Schmucksachen. Er war wie geblendet.

»Nun?« fragte der Jude, dessen Augen glühten wie die Diamanten vor ihm.

»Herrlich!«


// 2368 //

»Nicht wahr? Können Sie das empfehlen?«

»Versteht sich, versteht sich!«

»Und Sie sind gestellt zufrieden?«

»Vollständig. Wie viele Diebe haben das zusammengestohlen?«

»Nur einer.«

»Der Baron?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Daß er gar so ein Hauptkerl sei, habe ich doch nicht gedacht.«

»O, er ist Millionen werth. Warum soll ich mich da noch mit Andern abgeben!«

»Freilich. Je mehr Diebe, desto gefährlicher ist es für den Hehler.«

»Da haben Sie Recht. Darum hab ich stets nur auf den Baron gehalten.«

»Wollen Sie nur die Geschmeidestücke verkaufen oder Alles?«

»Alles natürlich.«

»Für wieviel?«

»Taxiren Sie!«

»Fünfzigtausend Gulden.«

Da lachte der Jude laut auf, zog ein Armband aus einem Etui, ließ die Diamanten im Lichte der Lampe spielen und sagte:

»So viel ist dies allein werth.«

»Ja, für den Kenner!«

»Der Herr wird wohl Kenner sein!«

»Gewiß. Aber dem Hehler zahlt man nicht so viel.«

»Das weiß ich. Man pflegt ihm den dritten Theil des Werthes zu geben.«

»Also siebzehntausend?«

»Ja.«

»Und wieviel haben Sie gegeben?«

»Zehntausend.«

»Lügner!«

»Bei Gott!« betheuerte der Jude.

»Zehntausend. Lächerlich! Wenn Sie fünfhundert Gulden gegeben haben, ist es viel.«

»Glauben Sie es oder nicht, das ist egal. Was ich gegeben habe, das kommt nicht in Betracht. Hier handelt es sich nur darum, was ich verlange.«

»Nun gut, so will ich nach der Gesammtsumme nicht fragen. Das ist Sache des Käufers.«

»Gewiß. Bringen Sie ihn, und sagen Sie ihm aber, daß ich nur gegen bares Geld verkaufe.«

»Ganz recht.«

»So sind wir also fertig?«

»Mit dieser Angelegenheit, ja.«

»Giebt es noch eine andere?«

»Ja, wie ich Ihnen bereits sagte. Brauchen Sie wieder Mädchens?«


// 2369 //

»Ja. Wie viel haben Sie?«

»Gegen vierzig.«

»Ah! Wenn sie hier wären!«

»Sie können ja schnell kommen.«

»Sie kommen doch zu spät.«

»Warum?«

»Weil das Schiff fort ist.«

Sepp wußte gar wohl, daß dies eine Lüge war. Er ersah aus dieser Antwort, daß der Jude ihm doch nicht recht traute.

»Das ist schade!«

»Ja. Jetzt kann ich sie also nicht gebrauchen.«

»Aber Sie haben sie bestellt!«

»Das ist wahr, doch sind sie nicht gekommen. Hier kann ich sie nicht aufheben. Sie müssen in Wien bleiben.«

»Das geht nicht an.«

»Warum nicht?«

»Es ist zu gefährlich. Wo bewahrt man vierzig Mädchen auf, ohne daß die Wiener Polizei sie entdeckt?«

»So geben Sie sie frei.«

»Dann verrathen sie Alles und das schöne Geld ist verloren.«

»Das ist freilich wahr; aber ich kann Ihnen leider nicht helfen.«

»O, Sie könnten helfen.«

»Unmöglich!«

»Wenn Sie nur wollten!«

»Nein, beim besten Willen nicht.«

»Sie könnten sie hier eher unterbringen als wie in dem gefährlichen Wien.«

»Wo denn?«

»In der Höhle.«

»Donnerwetter! Was wissen Sie von der Höhle?«

»Der Baron sprach davon.«

»Hat er sie Ihnen beschrieben?«

»Nein.«

»Das könnte ich ihm auch nicht vergeben.«

»Oho! Halten Sie mich für einen Verräther?«

»Nein; aber es giebt Sachen, von welchen man nur zu sich selbst spricht.«

»Ich sehe, daß wir nicht zusammenpassen.«

»O doch! Wir müssen uns nur erst länger kennen.«

»Hole Sie der Teufel! Haben Sie die Absicht, den Mädchenhandel fortzuführen?«

»Wenn ich jetzt gut davonkomme, ja.«

»Aber der Baron kann Ihnen keine mehr liefern.«

»Ich finde andere Lieferanten.«

»Zum Beispiel mich!«

»Schön!«


// 2370 //

»Sind Sie bereit, zu mir in eine solche Beziehung zu treten?«

»Ganz gern.«

»So müssen Sie auch Vertrauen fassen!«

»Das werde ich.«

»Warum wollen Sie mir also verschweigen, wo die Höhle ist?«

»Bringen Sie mir erst eine Ladung junger Mädchens; dann sollen Sie sie sehen.«

»Diese Ladung steht ja bereit.«

»Jetzt brauche ich sie nicht.«

»Sakkerment! Haben Sie einen harten Kopf. Ich könnte mich darüber ärgern.«

»Das ist kein Grund zum Aerger.«

»Ganz gewiß ist's einer. Aber ich will mich beruhigen. Sind wirklich die zuletzt angekommenen Mädchens bereits auf der See?«

»Ja.«

»Schade, jammerschade!«

»Warum?«

»Weil ich eins dieser Mädchen gern zurückhaben wollte.«

»Es wird niemals Eine zurückgegeben.«

»Auch wenn sie gut bezahlt wird?«

»Ja, dann vielleicht.«

»Nun, ich hätte gut bezahlt.«

»So! Welche war es denn?«

»Ich weiß nicht, ob Sie sich der Namen besinnen können.«

»Ich kenne jeden Namen.«

»Ist Ihnen der Name Kellermann bekannt?«

»Ja.«

»Auch das Mädchen?«

»Sogar sehr genau. Ihr Vorname war Paula.«

»Das stimmt.«

»Sie war eine Müllerstochter?«

»Auch das ist richtig.«

»Was ist mit ihr?«

»Ihre Anverwandten trauern um sie.«

»Das geht mich nichts an.«

»Sie würden gern zweihundert Gulden zahlen.«

»Und wenn Sie Tausend bieten, so ist's vergeblich. Sie ist fort.«

»O weh! So war auch das umsonst. Aber ich will dennoch als Freund an Ihnen handeln und Sie warnen.«

»Vor wem?«

»Vor der Polizei.«

»Das thaten Sie schon.«

»Aber aus einem anderen Grunde.«

»So? Giebt's noch einen andern?«


// 2371 //

»Gewiß. Es ist ein Maler hier, ein gewisser - gewisser - hm, Ventevaglio.«

»Donnerwetter!« rief der Jude.

»Kennen Sie ihn?«

»Nein.«

»Sie erschraken doch!«

»O gewiß nicht.«

»So täuschte ich mich. Dieser Maler hat Petro, seinen Lieblingsschüler mit.«

»Was gehen mich diese Kerls an! Ich kenne sie ja gar nicht.«

»Sie suchen ein Mädchen. Namens Anita.«

»Mögen Sie sie finden!«

»Sie wollen sie finden und zwar hier bei Ihnen.«

»Hole sie der Teufel!«

»Sie umschleichen Ihr Haus.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich erfuhr es.«

»Von wem denn?«

»Von ihnen. Ich traf sie in der Restauration.«

»Und haben mit Ihnen gesprochen?«

»Ja. Sie erzählten mir, daß diese Anita ihnen entflohen sei.«

»Was geht das mich an?«

»Sie sollen das Mädchen bei sich haben.«

»Das ist eine Lüge.«

»Hm! Man sagt es aber und darum wollten die beiden Maler morgen bei Ihnen aussuchen lassen.«

»Man mag kommen.«

»So ist diese Anita also auch schon auf der See?«

»Nein. Ich kenne sie gar nicht.«

»Sakkerment, ist Ihr Kopf hart! Man hat sie doch bei Ihnen im Hofe gesehen!«

»Das ist nicht wahr. Die Mauer ist hoch.«

»Aber das Schlüsselloch in der Pforte ist tief.«

»Gerechter Abraham! Kann man denn da hindurchblicken?«

»Natürlich!«

»Und wer hat hindurchgeschaut?«

»Die beiden Maler. Sie haben das Mädchen auf dem Söller stehen sehen.«

»Unmöglich!«

»Pah! Ich sage es Ihnen ja.«

»Sie haben sich geirrt!«

»Der Maler wird doch seine Nichte kennen!«

»Es ist aber doch nicht wahr!«

»O, sie wissen sogar, daß sie Prügel bekommt, weil sie Ihnen widerstrebt.«


// 2372 //

»Das ist eine gewaltige Lüge!«

»Gut für Sie, wenn es so ist. Das Mädchen soll da oben stecken, links vom Söllereingang.«

Der Jude begann zu husten.

»Ich sage Ihnen, Herr, daß dies ein Roman ist, den man sich hat ausgesonnen.«

»Das will ich wünschen um Ihretwillen. Halten Sie das Mädchen fest, wenn sie bei Ihnen ist. Man will sie haben. Und nun sind wir endlich fertig.«

»Gute Nacht, Herr!«

Sie gaben sich die Hand und dann ließ der Jude den Sepp hinaus auf die Gasse.

»Dich hab' ich halt fest, alter Spitzbub!« sagte der Sepp für sich hin, als er in das Seitengäßchen einbog. »Dir werd' ich die Diamanten abkaufen!«

An dem betreffenden Gartenzaune angekommen, ließ er ein halblautes »Pst!« hören und sogleich kamen die beiden jungen Freunde mit Anita herbei.

»Bist lange gewesen, sehr lange!« sagte Max.

»Hab' nicht dafür konnt. Es ist nicht möglich gewest, eher fertig zu werden. Wie steht's denn mit dem guten Dirndl? Hat's die Kleidern an'than?«

»Ja. Treten Sie näher, Fräulein! Hier ist unser lieber Freund, welcher uns bei Ihrer Befreiung unterstützt hat und Sie nun unter seinem Schutz halten will!«

Sie hielt dem Sepp ihre Hand entgegen und wollte in einen Dankeserguß ausbrechen. Der Alte aber fiel ihr, indem er ihr die Hand herzlich schüttelte, in die Rede:

»Seien's still, liebes Kind. Sie haben für gar nix zu danken. Wann's ein klein Wenig freundlich zu mir sind, so bin ich belohnt genug. Kennen's denn auch bereits meinen Namen?«

»Wir haben noch nicht von ihm gesprochen.«

»Das ist gut. Ich bin nämlich dera Hauptmann Josef von Brendel aus München in Bayern und Sie sind meine Enkeltochtern, wann Jemand Sie fragen sollt.«

»Herr Hauptmann, Sie sind -«

»Pst! Nicht so! Sie haben nur Großvater zu mir zu sagen und wann's gar nobel sein wollen, so sagen's Großpapa, auch wann wir allein mit n'ander sind. Wollen's?«

»Wie gern!«

»Und auch Du mußt' mich nennen, nicht Sie. Wollen's doch gleich 'mal versuchen. Sag' mal, Anita, willst' mich alten Kerlen ein Bisle lieb haben?«

»Ich habe Dich schon jetzt lieb, Großpapa!«

»Herrlich! So hat dera alte Knaxer auf einmal gar eine lieb' gute Enkelin erhalten. Sollst's gut haben bei mir. Jetzt gieb mir Dein Patscherl! Ich werd Dich führen. Die Buben mögen hinterher kommen.«


// 2373 //

Er ergriff ihre Hand und führte sie fort. Als sie eine größere Straße erreichten, in welcher Lampen brannten, überflog er ihre Gestalt mit prüfendem Blicke.

»Die Kleider passen gut,« sagte er befriedigt. »Jetzund werden's im Hotel keine Ahnung haben, daß meine Enkelin einem Juden ausgerissen ist. Aberst so dürfen wir nicht kommen, sondern wir müssen's vornehmer machen.«

Er schritt auf einen an der Ecke haltenden Fiaker zu und stieg ein, mit ihm natürlich die andern Drei.

Als sie dann am Hotel vorfuhren, waren die Fenster desselben erleuchtet. Der Portier kam herbeigesprungen, um beim Aussteigen behilflich zu sein.

Die vier Leute begaben sich nach Sepps Zimmer, an welches dasjenige Anita's stieß. An beide stießen Schlafkabinets. Er zeigte dem Mädchen die auf dem Tische noch eingepackt liegenden Kleidungs- und Wäschestücke und erklärte:

»Da hast' noch, wast' weiter brauchst. Wann ich jetzt wieder fort bin, kannst' Dich anziehen. Aberst' nun möcht' ich auch gern 'mal Dein Gesichtle sehen. Willst's Deinem Großvater zeigen?«

Sie nahm den Schleier ab. Er sah ihr schönes, vor Verlegenheit erglühendes Gesicht und sagte:

»Sapperment, hab' ich eine hübsche Enkelin! Da kann ich fein stolz sein. Na, grüß Dich Gott, lieb's Dirndl. Wollen gute Freundschaft halten. Nicht wahr?«

»Ja,« hauchte sie, indem er sie leise an sich zog und sie auf die Stirn küßte.

Sie fühlte, daß sie den alten Mann schon jetzt so lieb habe, als ob er wirklich ihr Verwandter sei.

Da er vom Fortgehen gesprochen hatte, fragte Max:

»Du sagst, daß't nicht dableiben willst. Ist's wahr?«

»Ja. Und Du sollst mit.«

»Wohin?«

»Auf eine Entdeckungsreise. Ich werd's Dir unterwegs erzählen.«

»Also soll Anita allein hier sein?«

»Nein, Johannes bleibt bei ihr, bis wir wiederkommen. Ich denk', da wird ihnen die Zeit nicht lang werden. Wann Anita den Regenmantel ablegt und das Kleid an'zogen hat, mag er ein Nachtmahl für sich und sie herauf in's Zimmer bestellen. Um welche Zeit wir wiederkommen, das weiß ich nicht, aber vor Morgens jedenfalls.«

»Und so lange soll ich hier warten?« fragte Hanns.

»Ja. Thust's etwan nicht gern?«

»Zu gern,« antwortete er, indem seine Augen glücklich aufleuchteten.

»Kann mir's denken. Aber weißt, was für ein Vertrauen es ist, daß ich Dich mit meinem Töchterle so allein laß', in dera Stuben und bei Nacht! Ich hoff', daßt ein braver Kavalier sein wirst!«

»Sepp!«


// 2374 //

»Schon gut. Ich thät gern noch ein Wengerl dableiben, aberst es giebt keine Zeit dazu. Gehabt Euch also wohl!«

Er verabschiedete sich ebenso wie der ihn begleitende Max mit freundlichem Händedrücken von den beiden jungen Leuten. Unten im Flur trat er in die Loge des Portiers.

»Können Sie mir sofort eine Depesche besorgen?« fragte er.

»Augenblicklich, Herr Hauptmann.«

Der Portier legte ihm ein Formular vor und der Sepp füllte es aus. Es war an den Fex nach Wien, im Hause der Frau Salzmann, adressirt und lautete:

»Komm schleunigst mit dem Eilzuge 3 Uhr 30 Minuten nach Triest, Hotel Europa. Mußt unbedingt die Silbermartha mitbringen. Erwarte Euch ganz gewiß!
          Hauptmann Josef von Brendel.«

Nachdem er diese Depesche zur schleunigen Besorgung übergeben hatte, entfernte er sich mit Max, welcher von dem Inhalte des Telegramms keine Ahnung hatte.

Droben aber standen Johannes und Anita einander gegenüber und blickten sich in die Augen.

»Jetzt nun erst können wir sagen, daß es gelungen ist,« meinte er. »Sie sind in Sicherheit, liebe Anita.«

»Ist das wahr?«

»Ja.«

»Aber Baruch Abraham wird nach mir forschen lassen. Wenn ich nun hier entdeckt werde?«

»Niemand wird Sie entdecken, und selbst wenn dies der Fall wäre, genügt der Schutz unseres alten Freundes vollständig.«

»Er ist ein lieber, guter Herr.«

»Ja, das ist er, ganz gewiß.«

»Aber es ist doch eigenthümlich, daß Sie ihn Sepp nennen und daß er so -«

»Lassen wir das jetzt,« fiel er ihr in die Rede. »Sie werden sich bald klar darüber werden. Jetzt ist die Hauptsache, daß Sie sich einkleiden. Sehen Sie sich die Sachen an!«

Er öffnete das Packet. Anita war ganz entzückt von dem Inhalte desselben.

»Aber das kostet doch viel, viel Geld!« sagte sie, die Händchen zusammenschlagend. »Wer hat das bezahlt?«

»Der Hauptmann.«

»Wie soll ich ihm das wieder erstatten?«

»Darüber sprechen wir später. Gehen Sie jetzt damit in Ihr Zimmer und legen Sie das Nothwendige an. Sie können nicht im Regenmantel da sein, wenn der Kellner zum Serviren kommt. Ich gehe, das Nachtmahl für uns zu bestellen.«


// 2375 //

»Aber ich habe keinen Hunger!« lächelte sie.

»Ich auch nicht,« stimmte er lustig ein. »Aber der Hauptmann will es einmal so und da müssen wir ihm gehorchen. Er duldet keinen Ungehorsam.«

Er verließ das Zimmer. Als er es dann wieder betrat, war es leer; aber er hörte, daß Anita sich in dem ihrigen befand.

Nach einiger Zeit öffnete sie ihre Thür ein Wenig und fragte:

»Darf ich kommen?«

»Ja, bitte!«

Als sie nun langsam hereintrat, glich ihr Gesicht demjenigen eines glücklichen Kindes, welches zu Weihnachten der Gespielin die empfangenen Gaben zeigt. Sie hatte noch niemals eine gute Kleidung getragen und kam sich als ein ganz anderes, viel höheres Wesen vor.

Sie blickte Johannes verlegen in die Augen, um zu sehen, was für ein Urtheil er über sie fälle.

»Anita,« sagte er, die Hände zusammenschlagend. »Es ist ja eine förmliche und wirkliche Dame aus Ihnen geworden!«

»Ist's wahr?«

»Ja. Sie sehen vornehm aus, sehr vornehm und elegant.«

Sie machte einige kleine Schwenkungen vor dem Spiegel und sagte dann:

»Aber vornehm will ich nicht aussehen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht weiß, ob Ihnen das gefällt. Lieber möchte ich - möchte ich -«

Sie hielt erröthend inne.

»Was möchten Sie? Sagen Sie es.«

»Ich kann nicht.«

»O, ich weiß es. Sie möchten viel lieber hübsch sein als vornehm. Nicht?«

Sie nickte ihm mit strahlendem Gesichte zu.

»Nun, da haben Sie keine Sorge. Sie sind hübsch, außerordentlich hübsch.«

»Also gefalle ich Ihnen?«

»Und wie sehr!«

»Das ist die Hauptsache. Da bin ich befriedigt. Darf ich mich setzen?«

»Natürlich.«

»Wohin? Ich bin noch niemals in so einem feinen Zimmer gewesen.«

»Auf das Sopha natürlich. Der Dame gehört stets der allerbeste Platz.«

Es war nun wirklich nett, zu sehen, wie sie sich bemühte, sich beim Niedersetzen den Anstrich einer vornehmen Dame zu geben. Hanns bemerkte es mit heimlichem Entzücken. Dieses Mädchen besaß eine natürliche Anmuth und eine geistige Begabung, welche für die Zukunft die besten Aussichten ließ.

»So! Sitze ich recht?« fragte sie.

»Vortrefflich. Wenn der Kellner kommt, wird er meinen, Sie seien in einer feinen Pension erzogen worden.«

»Mein Gott! Meine Pension bestand in einem leeren Ziegenstalle, in


// 2376 //

welchem ich schlafen mußte, in trockenem Brode und in Schlägen, welche ich so oft bekam.«

»Arme Anita!«

»Ja, arm war ich, sehr arm.«

»Ihr Vater war todt und die Mutter lebte wohl auch nicht mehr?«

»Sie war bereits bei meiner Geburt gestorben. Mein Vater hatte kein Auge für mich. Er liebte nur die Kunst. Der Oheim sollte mich erziehen, aber diese Erziehung bestand nur in Grausamkeit und Schlägen. Und als Vater dann auch starb, wurde es noch viel trauriger.«

»War Ihr Vater sehr arm?«

»Er verdiente viel Geld, aber er lebte so, als ob er gar nichts besitze.«

»Und wo ist sein Geld hingekommen?«

»Der Oheim hat es genommen.«

»Er soll es wieder herausgeben.«

»Kann man ihn dazu zwingen?«

»Gewiß.«

»Er wird nicht viel mehr haben und was er noch davon besitzt, sollte Petro bekommen, wenn ich seine Frau würde.«

»Ein schöner Plan! Diesen Lieblingsschüler Petro sollten Sie lieben können? Unmöglich!«

»Lieblingsschüler?« fragte sie erstaunt. »Ist er Ihnen denn bekannt?«

»Ja, wir haben heut mit ihm gesprochen.«

»Heut? Etwa hier in Triest?«

»Ja. Die Beiden sind da, um Sie zu suchen.«

»Heilige Madonna! Welch ein Schreck!«

»Sie brauchen nicht zu erschrecken.«

»O doch! Wenn sie nun hierher kommen!«

»Das fällt ihnen gar nicht ein. In so ein feines Hotel getrauen sie sich gar nicht.«

»Aber wenn sie dennoch kämen!«

»So würde der Hauptmann ihnen schön heimleuchten. Darauf können Sie sich verlassen.«

»Es ist mir entsetzlich angst!«

»Beruhigen Sie sich! Es wird Ihnen kein Mensch ein Haar krümmen dürfen.«

»Verlassen Sie mich nicht, Johannes! Gehen Sie ja nicht fort von mir!«

»Ich bleibe bei Ihnen. Sie werden mit uns reisen und später bei meinen Eltern wohnen.«

»Wirklich, wirklich? Ists wahr?«

»Gewiß. Ich verspreche es Ihnen, und ich halte mein Wort.«

»Ihre Eltern wohnen in Deutschland?«

»Ja, in Bayern. Sie haben eine Mühle und sind gar liebe und brave Leute.«

»Das glaube ich so gern, so gern. Und Sie sind also ein Künstler?«


Ende der neunundneunzigsten Lieferung - Fortsetzung folgt.



Karl May: Der Weg zum Glück

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