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Der französische Originaltext 1 (33k-GIF)


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Der französische Originaltext 2 (42k-GIF)


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Unsere Umfrage über die Französisch-Deutsche Annäherung (1)
VI. Herr Karl May,
Jugendschriftsteller; unter anderem: »Friede auf Erden!«

                                                Dresden, 17. Februar 1907

Sehr geehrter Herr,

hier ist meine Antwort auf Ihre drei Fragen:

1. Der Versuch einer französisch-deutschen Annäherung ist wünschenswert. Tausende von Menschen erwarten sie voller Freude. Jeder Deutsche, der nicht fehlgeleitet worden ist, schätzt und ehrt die Franzosen. Er wartet nur auf die Gelegenheit, sie lieben zu können und ihnen ein guter Freund und hilfreicher Nachbar zu sein.

2. Ein solcher Versuch ist bei den gegenwärtigen internationalen Beziehungen nicht nur möglich, sondern äußerst wünschenswert. Frankreich und Deutschland müssen die beiden Karyatiden am Eingangstor zum Zwanzigsten Jahrhundert sein. Wenn sie sich in Frieden einigen, wären beide stark genug, um das schützende Bauwerk zu tragen und jeden Friedensstörer zu vertreiben. Das gegenseitige Vertrauen zwischen diesen beiden Ländern würde eine neue unbesiegbare und durch und durch friedliche Weltmacht begründen, die größte, die bis dahin existiert hat.

3. Es gibt unendlich viele Mittel, die geeignet sind, ein solches Unternehmen schnell voranzutreiben. Aber in einer so kurzen und beschränkten Umfrage wie dieser hat man nicht genügend Zeit und Platz, um sie darzustellen und zu diskutieren. Vor allen Dingen gilt es daher, Zeit zu gewinnen, Platz zu finden und Ideen zu schaffen. Folgendes möchte ich vorschlagen: Gründen Sie eine Zeitschrift, die jede Woche


(1) Wir hatten, wie unsere Leser sich erinnern werden, einer Anzahl deutscher Persönlichkeiten die folgenden drei Fragen gestellt:

1. Erscheint Ihnen eine französisch-deutsche Annäherung wünschenswert?

2. Ist eine solche Annäherung bei dem gegenwärtigen Stand der internationalen Beziehungen möglich?

3. Was wären Ihrer Meinung nach die geeignetsten Mittel, um die Annäherung zu beschleunigen?

In unserem Februarheft wurden die Antworten der Herren Paulsen, M. Nordau, F. Maier, W. Ostwald und G. Simmel veröffentlicht. Herr W. Ostwald bittet uns, mitzuteilen, daß er nicht mehr sein Amt als Professor an der Universität Leipzig ausübt. Er hat sich emeritieren lassen und sich nach Großbothen in Sachsen zurückgezogen.


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in den beiden Ländern zu einem erschwinglichen Preis erscheint. Ihr einziges Ziel soll es sein, die Bewohner Frankreichs und Deutschlands innerlich zu einigen. Vielleicht könnte Ihre interessante Zeitschrift »La paix par le droit« dieses Blatt sein. Je billiger, desto besser. Sie würde mit Freude von Tausenden von Friedensfreunden begrüßt werden, und die bedeutendsten Vertreter unserer Länder würden es sich zur Ehre anrechnen, daran mitarbeiten zu dürfen. Mit diesem Blatt hätte man die notwendige Zeit und den notwendigen Raum, um eine ganze Ernte fruchtbarer Ideen zu sammeln und ihnen den Zusammenhalt und die Entwicklung zu schaffen, ohne die es nicht möglich ist, so erhabene und schöne Ziele zu erreichen.

Also vor allem eine Zeitschrift in zwei Ausgaben (französisch und deutsch), aber mit dem gleichen Text. Viele werden beide Ausgaben lesen, um sich mit der anderen Sprache vertraut zu machen. Man brauchte tatkräftige Leute in Redaktion und Verlag, sonst würde das Unternehmen schon im ersten Jahre untergehen.

Dies wäre nicht Sache eines bestimmten Trusts, einer bestimmten Partei, eines bestimmten religiösen Bekenntnisses; und jeder Gedanke an finanziellen Gewinn müßte verbannt sein. Nur die Seelen des deutschen und des französischen Volkes hätten ein Recht darauf, mitzusprechen. Geben Sie uns ein solches Blatt, und wir werden es nicht nur lesen, sondern auch so weit verbreiten, wie man unsere Sprache spricht. Wir werden Ihnen die Hand reichen und Ihnen helfen, alles zu ermutigen, was uns einigt, und nie das, was uns trennt. Diese Zeitschrift würde uns lehren, einander näher zu kommen, gegenseitiges Vertrauen zu schaffen und dabei die Besonderheiten zu respektieren, die uns heilig sind. Sie wäre eine Macht und sogar eine unendlich segensreiche. Könnte ich doch die Verwirklichung dieses Wunsches erleben!

Mit vorzüglicher Hochachtung ...

(Übersetzung: Ulrich von Thüna)


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