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ERICH HEINEMANN

Karl-May-Forschung
– ein legitimer Sprößling der Wissenschaft*
7. Tagung der Karl-May-Gesellschaft vom
30. September bis 2. Oktober 1983

»Die Karl-May-Gesellschaft heiße ich zu ihrer Tagung in Regensburg herzlich willkommen. Ich freue mich, daß Regensburg 1983 zum zweitenmal Tagungsstadt dieser literarischen Gesellschaft geworden ist.« Mit diesen Worten begrüßte Oberbürgermeister Friedrich Viehbacher Mitglieder und Gäste, und wenn die Karl-May-Gesellschaft Regensburg erneut zum Ort ihrer Tagung und Mitgliederversammlung gewählt hatte, so war das nicht ohne Grund geschehen: Karl May unterhielt zu dem in Regensburg noch heute ansässigen Druck- und Verlagshaus Friedrich Pustet jahrzehntelang enge Beziehungen; hier, in Pustets angesehener katholischer Familienzeitschrift "Deutscher Hausschatz", erschienen zwischen 1879 und 1909 die meisten seiner Reiseerzählungen, bevor sie - ab 1892 - von Friedrich Ernst Fehsenfeld in Freiburg i. Breisgau in Buchform herausgebracht wurden. Regensburg verdankte er seinen Aufstieg, seine Etablierung als Schriftsteller.

   Daran knüpfte die KMG an, als sie im Herbst 1973 Regensburg zum Tagungsort bestimmte. Ähnlich wie ihrem Autor erging es auch ihr: Regensburg verhalf der KMG in der Öffentlichkeit zum Durchbruch. Auch nach dieser Tagung bestanden die Kontakte fort. In Zusammenarbeit mit der Buchhandlung Pustet und der Graphischen Kunstanstalt Fr. Ant. Niedermayr, Regensburg, entstand die Reihe der "Hausschatz"-Reprints, die in 11 Bänden sämtliche May-Texte, die in Pustets Zeitschrift erschienen waren, umfaßt.

* Claus Roxin in seiner Rede vor der Mitgliederversammlung in Regensburg am 1. Oktober l983.


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   Die Tagung 1983 wurde von Erwin Müller, Bezirksstadtrat in Berlin, im Verein mit Herbert Meyer, Direktor des Fremdenverkehrsverbandes Ostbayern, vorbereitet.

Freitag, 30. September 1983

Tagungsstätte war der in der Altstadt, neben der Minoritenkirche gelegene "Leere Beutel", ehemals reichsstädtisches Getreidemagazin - ein Bau, dessen Anfänge in das 14. Jahrhundert zurückreichen und der heute neben einer Gaststätte Veranstaltungs- und Ausstellungsräume beherbergt. Hausherr ist das Städtische Museum. Zur Tagung konnten an die 250 Mitglieder und Gäste begrüßt werden, darunter viele aus Süddeutschland, Österreich und der Schweiz. Aus den Vereinigten Staaten war Walter Faßmann, ein Urgroßneffe Karl Mays, angereist; ein Mitglied kam aus Japan.

   Nach einem Empfang durch Oberbürgermeister Friedrich Viehbacher im Alten Rathaus wohnten der Vorstand und andere Mitglieder der Eröffnung der Ausstellung "Die Indianer Nordamerikas - Der Wilde Westen" im Deutsch-Amerikanischen Institut bei. Sie wurde von Armin M. Brandt, Mitglied der KMG, mit eigenen Sammelstücken ausgestattet.

   Im "Leeren Beutel" begrüßte Professor Roxin die ersten angereisten Mitglieder. Hermann Wiedenroth leitete mit »nordlichterndem Tonfall« (Mittelbayerische Zeitung, 7. 10. 1983) die traditionelle Bücherversteigerung - mit gleichem Esprit und gleichem Temperament wie sein Vorgänger, der 1982 verstorbene Dr. Karl-Heinz Schulz. Den Renner machte ein Widmungsexemplar des Romans "Und Friede auf Erden" - es erbrachte 1300 DM.

Sonnabend, 1. Oktober 1983

In seinem ausführlichen Rechenschaftsbericht ging der Vorsitzende, Prof. Dr. Claus Roxin, auf die Arbeit der vergangenen vier Jahre ein, in denen neben den vier Jahrbüchern und neben sechzehn Mitteilungsheften mehr als dreißig weitere Schriften veröffentlicht wurden, darunter sieben umfangreiche Reprintbände und zahlreiche Sonderhefte. Das Ziel, das die KMG sich gestellt hat, umriß Claus Roxin so:

»Wir wollten Karl May für die literarische Öffentlichkeit aus der Sphäre des Kopfschüttelns, der blinden Verhimmelung und affektgeladenen Schmähung in den Bezirk seriösen Erkennens und abwägender Beurteilung hinüberführen. Wir wollten ihn aus seiner kuriosen und wissenschaftlich fast unbeachteten Außenseiterstellung befreien und in die deutsche Literatur aufgenommen sehen.«


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Auf diesem Wege sei die KMG in den letzten Jahren weit vorangekommen. Der Vortragende wies auch auf die sich außerhalb der KMG vollziehende Karl-May-Forschung, auf Projekte und Editionen hin, an denen Mitarbeiter der KMG beteiligt seien. Er würdigte die in neuerer Zeit zu verzeichnende Rehabilitierung Karl Mays in der DDR. Die Zusammenarbeit zwischen May-Forschern der DDR und der KMG würde sich vertiefen.

   Eine ausführliche Darstellung widmete Professor Roxin den kooperativen Beziehungen zum Karl-May-Verlag in Bamberg, die im letzten Jahr eine »überaus glückliche Wendung« genommen hätten.

   Die KMG habe die in den Anfangsjahren unvermeidliche Begrenztheit einer nur vereinsmäßig betriebenen Karl-May-Forschung überwunden. Dies wertete Claus Roxin »als das wichtigste, was in den letzten vier Jahren erreicht worden ist«. (Der volle Wortlaut des Berichtes kann nachgelesen werden in den Mitteilungen der KMG Nr. 58, Dez. 1983, S. 3-20.)

   Lebendig wie eh und je erstattete Alfred Schneider seinen Geschäftsbericht. Doch geschah dies zum letztenmal. Er legte anschließend sein Amt als Geschäftsführer in die Hände von Herbert Meier, der das Finanzressort, und von Erwin Müller, der die übrigen Geschäftsführeraufgaben übernimmt. Mit bewegten Worten dankte der Vorsitzende dem großen alten Mann der KMG, ohne den sie nie gegründet worden wäre. »Alfred Schneider war und ist für unsere Gesellschaft mehr, als sich durch die Summe seiner Taten ausdrücken läßt . . . er hat . . . durch seine Persönlichkeit den Stil unserer Gesellschaft in unverwechselbarer Weise mitgeprägt« und die Mitglieder »wie ein sorgender Vater betreut«. Als Ehrenmitglied des Vorstandes bleibt Alfred Schneider der Arbeit der KMG verbunden.

   Die Mitgliederversammlung beschloß eine neue Satzung, deren Inhalt neben redaktionellen Änderungen vor allem eine Erweiterung des Vorstandes vorsieht. Einstimmig gewählt bzw. wiedergewählt wurden:

Vorsitzender

- Prof. Dr. Claus Roxin
8035 Stockdorf
Stellv. Vorsitzende




- Hansotto Hatzig
6836 Oftersheim

Hans Wollschläger
8600 Bamberg
Schriftführer

- Erich Heinemann
3200 Hildesheim


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Geschäftsführer

- Erwin Müller
1000 Berlin 28
Schatzmeister

- Herbert Meier
3005 Hemmingen 1
Wissenschaftl. Mitarbeiter

- Prof. Dr. Heinz Stolte
2000 Hamburg 61

Ferner setzte die Mitgliederversammlung ab 1984 den Jahresbeitrag auf 36 DM fest. - Prof. Dr. Heinz Stolte, den Nestor der Karl-May-Forschung und Mitbegründer der KMG, wählte die Versammlung zum Ehrenmitglied. Heinz Stolte war der erste, der - 1936 - eine Doktorarbeit über Karl May schrieb.

   Der Nachmittag und Abend war wieder Vorträgen und Referaten gewidmet. An den Ausführungen von Friedrich Janshoff, Universität Klagenfurt, wurden die Schranken deutlich, die einer wissenschaftlichen Werkausgabe gesetzt sind ("Karl May - historisch kritisch? Probleme und Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Werkausgabe"). Eine solche Ausgabe sei ein Riesenprojekt, das nach Meinung von Professor Roxin für die KMG allenfalls nach Abschluß aller Reprint-Ausgaben in Betracht käme.

   May in seiner »mystischen« Phase - dieses facettenreiche, noch lange nicht erschöpfte Thema wurde aus dreifacher Sicht behandelt. In dem Vortrag der jungen Literaturwissenschaftlerin Dr. Annette Deeken, Marburg, die zur "Ästhetik eines Syberberg-Filmes" sprach, in Professor Stoltes Festvortrag über Karl Mays psychologische Studie "Frau Pollmer" und schließlich in der Lesung aus dem Spätwerk, die Hans Wollschläger mit Zwischenkommentaren hielt.

   Annette Deeken ging an Syberbergs May-Film mit kritischem Blick heran und untermalte ihre Untersuchungen mit Auszügen aus dem Film, den sie als »Version eines sprechenden Standfotos« charakterisierte, nicht in der Absicht geschaffen, ein realistisches Lebensbild zu vermitteln. Professor Stolte bewältigte die nicht leichte Aufgabe, mit einer Interpretation der jetzt erstmals gedruckt erschienenen "Studie", die ein »schwerwiegendes Stück« von Mays Konfession enthüllt, den Abend festlich ausklingen zu lassen. Der Vortragende verstand es, seine Zuhörer zu fesseln und ihnen ein Werk von teils erschreckender seelischer Ausprägung, das an Strindberg erinnert, zu erschließen.

   Hartmut Kühne gab die musikalische Einstimmung am Flügel und begleitete auch den geselligen Rest des Abends mit virtuosen Einlagen, während Hansotto Hatzig aus dem "Geldmännle" von Karl May las.


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Doch der Alte von Radebeul - auf einem Poster unter der Decke des Veranstaltungssaales - lächelte verschmitzt und gütig und weise auf seine Gemeinde herab und wußte wieder einmal alles besser . . . Karl Birkenseer
Augsburger Allgemeine Zeitung,
5. 10.1983

Sonntag, 2. Oktober 1983

Der Abschluß der Tagung war Mays Alterswerk gewidmet. Zunächst las Hans Wollschläger Texte aus den beiden Bänden "Ardistan und Dschinnistan". Der Berichterstatter gesteht, daß sich ihm das »Kunstidiom von wirklich großer Artistik«, das mit »raunendem Ton« aus diesem Werk spricht, während dieses Vortrages und wohl auch erst durch die Art des Vortragens erstmals ganz offenbarte. Unter den Lesestücken, die Hans Wollschläger mit Bedacht ausgewählt hatte, befand sich auch die gleichnishafte Geschichte von den invaliden Soldaten, die zu nichts anderem nütze sind als zum Krieg. Ein Text, der nicht nur im Rahmen der aktuellen Friedensdiskussion zum Nachdenken anregt.

   Initiationsmotive im Spätwerk entdeckte der darauffolgende, dem Themenkreis verbunden bleibende Vortrag "Vom Weg nach Dschinnistan", den Dr. Bernd Steinbrink, Oldenburg, hielt. Die hier erwähnten Vorträge sind im vorliegenden Jahrbuch bis auf die Ausführungen von Friedrich Janshoff, dessen Manuskript bei Redaktionsschluß nicht vorlag, wiedergegeben.

Drei Tage Karl May in Regensburg. Es wird an dieser Stelle auch festgehalten, daß erstmals zu einem Kongreß der Karl-May-Gesellschaft alle drei Inhaber des Karl-May-Verlages, die Brüder Joachim, Lothar und Roland Schmid, aus Bamberg angereist waren. Verlag und Gesellschaft haben einen Weg der Zusammenarbeit gefunden, der nicht nur im Interesse der Forschung von allen begrüßt wird. Die Tagungsteilnehmer konnten die hervorragend ausgestattete Reprintwiedergabe der Fehsenfeld-Bände, eine nicht genug zu rühmende Leistung des Karl-May-Verlages, bewundern. Auch der Buchhandel an den Ständen von Ekkehard Bartsch und des Verlages Heinke blühte - wie könnte es anders sein, wenn Sammler, Büchernarren und Mayleser zusammentreffen.

   Herbert Meier hatte Dokumente, die Karl Mays Beziehungen zu Regensburg belegen - Schriften, Veröffentlichungen, Bilder, Erstausgaben -, zusammengetragen und in anschaulicher Weise in Vitrinen ausgelegt.


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   Beachtung verdient auch die zur Tagung herausgegebene bibliophile Programmschrift mit erstmals veröffentlichten Texten von Zeitgenossen aus Regensburg, die ihre Begegnung mit Karl May schildern - so auch ein Bericht, der Geheimrat Friedrich Pustet (1867-1947) zugeschrieben wird und der interessante Hinweise zur Biographie Mays liefert.

   Lebhaft war auch wieder das Presseecho. Die in Regensburg erscheinende Mittelbayerische Zeitung unterrichtete ihre Leser ständig über den Verlauf der Tagung. Ferner berichteten die Süddeutsche Zeitung, der Münchner Merkur, die Augsburger Allgemeine Zeitung, die Neue Westfälische, die Welt. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Pressestimmen enthält INFORM, Beilage zu den Mitteilungen der KMG Nr. 58, Dez. 1983, S. 1-6. - Die neue Anschrift der Gesellschaft ist:

Karl-May-Gesellschaft
Geschäftsführer: Erwin Müller
Maximiliankorso 49
1000 Berlin 28
Telefon: (0 30) 4 0169 23

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W i r  d a n k e n  a l l e n  S p e n d e r n,

die auch 1983 mit ihrem Geldopfer eine wesentliche Voraussetzung für die Arbeit der KMG und die Erfüllung ihrer Aufgaben geschaffen haben. Stellvertretend für alle nennen wir hier die Namen derjenigen, die hundert Mark und mehr gespendet haben:

Bernd Arlinghaus (Mailand), Bernhard Auer (Berlin), Josef Baur (Sarmenstorf/ Schweiz), Hans Georg Belzer von Albertis (Hilden), Erich Berchem (St. Ingbert), Engelbert Botschen (Detmold), Thilo Canellas-Waldenfels (Duisburg), Rolf Cromm (Bensberg), Wolfram Ellwanger (Baden-Baden), Erhard Endisch (Wertingen), Max Fischer (Großaitingen), Werner Geilsdörfer (Stuttgart), Herbert Geisler (Hermeskeil), Bernhard Giering (Berlin), Ralf Harder (Kamen), Erich Heinemann (Hildesheim), Norbert Hennek (Nürnberg), Albert G. Herrmann (Göttingen), Heinz-D. Heuer (Neuenhaus), Hans Höber (Solingen), Reiner Hollmann (Hemmingen), Volker Huber (Offenbach), Armin Kerle (Augsburg), Alfred Klein (Eitorf), Karl-H. Klein (Düsseldorf), Albert Knerr (Saarbrücken), Reinhard Köberle (Kempten), Jürgen Köhlert (Hamburg), Gunter Landgraf (Berlin), Renate Lederle (Vaterstetten), Heinz Lieber (Bergisch Gladbach), Hans Maack (Hamburg), Herbert Meier (Hemmingen), Hans Meister (Arnsberg), Harald Mischnick (Kronberg), Mischa Mleinek (München), Malte Möhrmann


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(Hamburg), Bernhard Müller (Lüdenscheid), Friedhelm Munzel (Dortmund), Jan-D. Murken (Ottobrunn), Hedwig Panler (Ebermannstadt), Annelotte Pielenz (Nassau) Ulrich Plath (Neustadt), Werner Pramann (Berlin), Hans Reiss (Bossenheim), Claus Roxin (Stockdorf), Juliane Sabiel (Oering), Wolfgang Sämmer (Würzburg), Robert Schlindwein (Karlsdorf), Alfred Schneider (Hamburg), Helga Schwemer (Hamburg), Sigrid Seltmann (Berlin), Joachim Simon (Köln), Hans Simons (Swalmen/Holland), Clemens Themann (Norddöllen), Max Trebst (Schmitten), Gottfried Werner (Berlin), Mario Wernerus (Langenhagen), Herbert Wieser (München), Udo Wolff (Karlsruhe).


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