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HARTMUT WÖRNER

Wüste und Wasser

Ein Ritt nach der Stadt der Toten



"Ardistan und Dschinnistan": in seltsamer Höhe steht dieser zweibändige Altersroman Karl Mays in seiner dichterischen Konsequenz, in seiner phantastischen Geschlossenheit und vielschichtigen Symbolik über dem übrigen Werk des Autors.

   Dieser Aufsatz soll sich mit einem Dreh- und Angelpunkt des Schlüsselromans beschäftigen, der »Stadt der Toten«, bei deren Darstellung Mays Inspiration ein seltenes Maß an symbolischem Reichtum und bruchloser Geschlossenheit erreichte. Die Ereignisse in der »Stadt der Toten« sind auch die umfassendste Ausführung eines Motives, das des Dichters ganzes Lebenswerk begleitete: des Gegensatzpaares  W ü s t e  und  W a s s e r ,  des Durstes nach dem Lebenselexier in der Öde.

   Unsere - sich auf vier »Leseebenen« erstreckende - »Expedition« nach der »Stadt der Toten« wird daher auch einige wenige Bezüge zu früheren Werken Mays aufzeigen, um (soweit vorhanden) eine Kontinuität zu früheren Werken wenigstens grob andeuten zu können.


I.  F r u c h t b a r k e i t  u n d  Ö d e

Er klang unter den Hufen unserer Pferde zuweilen so hart und so imporös, als ob wir nicht über Erde oder Stein, sondern über gegossenes Metall ritten. Auch der Nilschlamm ist unfruchtbar, wenn ihm das Wasser fehlt. Dann öffnet er sich in unzähligen Rissen und Sprüngen, um der Feuchtigkeit in glühender Sehnsucht entgegenzuschmachten.(1)

   Durch "verschmachtete Fruchtbarkeit"(2). führt der trostlose Ritt, der Kara Ben Nemsi und seine Gefährten in ihren Verbannungsort, die »Stadt der Toten«, führen soll. Sand, Sand, wohin man schaute; nur Sand, weiter nichts als Sand!(3) So zeigt uns die erste, sich auch dem oberflächlichen Leser erschließende Leseebene die Folgen einer gewaltigen Naturkatastrophe, die den alten Menschheitstraum, die Wüste fruchtbar zu machen, auf schreckliche Weise genau umkehrte. Der Fluß »Ssul«, der das Land um die einstige Hauptstadt Ardistans mit dem lebenswichtigen Wasser versorgte, trocknete plötzlich aus. Das Kernland Ardistans um die einst lebenssprühende Großstadt wurde zur verlassenen Einöde: Freilich, Bäume gab es gar wohl, in den einstigen Gär-


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ten [Gärten], (...); aber sie waren eben auch nur Leichen. Es machte einen unendlich traurigen, oft grauenhaften, sogar gespenstigen Eindruck, die übriggebliebenen, bleichen Skelette dieser Bäume, zuweilen auch Sträucher, stehen zu sehen.(4) In "Ardistan und Dschinnistan" wird der Gegensatz zwischen Wüste und Wasser, die notwendige Vereinigung beider zur segenbringenden Fruchtbarkeit - wie wir sehen werden - zum Ausgangspunkt vielschichtiger Sinngebungen, aber auch bereits in früheren Werken hatte sich May - wenn auch in schlichterer Bedeutung - dieses Gegensatzpaares bedient. Als Leser fühlt man sich angenehm berührt, ja fast selbst »erfrischt«, wenn Karl May im "Geist des Llano Estacado" (1888) berichtet, daß es inmitten des schrecklichen Llano eine starke Quelle köstlichen Trinkwassers gebe, welches tief aus dem Erdinnern emporsteige und eine kleine, seeartige Fläche bilde, deren Ufer mit schattenspendendem  B a u m -  u n d  B u s c h w e r k e  eingefaßt sei.(5)

   Das Spannungsfeld zwischen Wüste und Wasser, den alten Menschheitstraum von der Fruchtbarkeit der Einöde (der heute ungeahnte Aktualität erhalten hat), machte sich May in den symbolischen Leseebenen von "Ardistan und Dschinnistan" nun virtuos zunutze, gestaltete das fast schon abgegriffene Abenteuer-Motiv des Todes in der Wüste mit der »Stadt-Wüste der Toten« zu ungeahnter Größe und Vielfalt um.


II.  L e b e n  u n d  T o d

Man brauchte ja nur, um mißliebige Verbannte oder Gefangene verschwinden zu lassen, für einige Tage kein Wasser nach der "Stadt der Toten" zu schicken. Der Mensch verdurstet weit schneller, als er verhungert.(6)

   Ein Straflager für »staatsfeindliche Elemente« machten die Herrscher von Ardistan aus der ehemaligen Hauptstadt, die damit den Titel »Stadt der Toten« nicht umsonst trägt: das Wasser für die Gefangenen muß von einem entfernten Brunnen in die Stadt gebracht werden. Nun soll ein Mir von Ardistan selbst in der Stadt verschmachten: der vom Panther abgesetzte Gewaltherrscher befindet sich bei Kara Ben Nemsi und seinen Gefährten. Die scheinbar wasserlose »Stadt-Wüste« soll den Gefährten zur Stätte des Todes werden. Ohne das Lebenselexier Wasser bleibt dem Menschen in der Wüste nur noch der  T o d .

   An der »Stadt der Toten«, die auf den ersten Blick ein Symbol der absoluten Hoffnungs- und Chancenlosigkeit, des sicheren Todes für die Protagonisten ist, entwickelt nun May einen der Grundgedanken seines Werkes: die Überwindung des scheinbar unüberbrückbaren Gegensatzes zwischen Leben und Tod.

   Schon die ersten Assoziationen, die Kara Ben Nemsi beim Blick auf die Stadt hat, geben dem Leser Hinweise auf die kommenden Ereignisse: Nun lag sie da als Leiche! Nein, nicht als Leiche! Auch dieser Aus-


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druck [Ausdruck] ist falsch! Richtiger wäre es vielleicht, an einen Winter ohne Schnee und Eis, ohne Frost und Kälte zu denken, der alles Leben in die Tiefe treibt, so daß jede Spur desselben verschwindet. Wenn aber die Schritte des Frühlings von fernher schallen, dann steigt es wieder empor und beginnt, in den Säften und im Blute von Neuem zu pulsieren.(7) Kara Ben Nemsi glaubt nie an den Tod, den der Panther für ihn und seine Begleiter als Schicksal ausersehen hat; der erste Blick auf die gefürchtete Verbannungsstätte zeigt ihm das  » L e b e n  im  T o d «, die Hoffnung unter der öden Oberfläche. Selten gelang es Karl May, seinen religiös geprägten Glauben an die Identität von Leben und Tod, an die Nichtexistenz des Todes, so überzeugend darzustellen, wie in den Szenen am »Maha-Lama-See«. Inmitten des scheinbaren Todes findet sich nämlich der erste Bote des Lebens. Er war gewiß doppelt so hoch wie der Engel, den wir kurz vor dem Engpasse Chatar entdeckt hatten (...). Wie nun, wenn ich das Richtige vermutete! Wenn er Wasser enthielt? (...) Meine Hunde hatten die erste Spur der Feuchtigkeit entdeckt.  E s  g a b  W a s s e r  h i e r .(8)

   Dieser  L e b e n s bote erschließt sich aber nur dem gottverbundenen Menschen: Kara Ben Nemsi besitzt den Schlüssel zu dem See des reinsten, trinkbaren Wassers(9), von dem der gottferne, verblendete Mir von Ardistan, der behauptete, die »Stadt der Toten« genau zu kennen, nichts wußte. Auch die Religionsführer - mit Ausnahme des christlichen »Oberhirten« - sind Gott fern: auch sie wußten nichts von dem Leben in der verödeten Stadt. Natürlich sind das Lebens-Elexier Wasser und die übrigen Schätze, die die Kammern am »Maha-Lama-See« enthalten, ein Geschenk Gottes; am Engel prangt das Zeichen des Mir von Dschinnistan.

   So enthält die Todes-Stadt, die Wüste, ein ungeahntes Lebens-Potential; ja sie wird gar zum Ausgangspunkt für ein neues, reineres und höheres  L e b e n .(10) Dieses Ineinanderverschlungensein von Leben und Tod erklärt uns eine Stelle im ersten Band des Romans: Denn Leben und Tod sind Eins. Man kann nicht leben, ohne immerfort zu sterben. Und man kann nicht sterben, ohne dabei das Leben zu erneuern.(11) Die »Stadt der Toten« als Symbol für die Irrealität des Todes, ist nur das am feinsten ausgeführte Beispiel der Wüste-T o d/Wasser-L e b e n-Symbolik des Mayschen Spätwerkes. Nur für den gottfernen Menschen ist die Todes-Stadt der nackte, unwiderrufliche Tod: so für den Mir von Ardistan vor seiner Läuterung und die bereits erwähnten Religionsführer, die nur äußerlich Gottesmänner sind. Nur durch Kara Ben Nemsi und die Läuterung des Mir von Ardistan vom Gewalt- zum Edelmenschen, die sich am »Maha-Lama-See« abspielt, wird das - von Gott (Mir von Dschinnistan) geschenkte - Potential des Neubeginns, des neuen Lebens entdeckt, das in den Schätzen (Wasser, Lebensmittel, Bücher) symbolisiert ist.


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   Innere Läuterung, Beseitigung der Gottferne ist also für May der Schlüssel zum Leben; der Tod wird dann nur zur Schwelle zum ewigen Leben.

   Wirklich sterben müssen in "Ardistan und Dschinnistan" nur die unverbesserlichen Bösewichter: der Ausbruch des dreieinigen Gottessymbols »Dschebel Allah« vernichtet den größten Teil des Heers des Panthers. Das »kostbare, langersehnte Wasser«(12), das der Sohn spendet, bringt zwar den geläuterten Ardistanern neue Fruchtbarkeit, eben Leben, für die unheilbar Schlechten bedeutet es den Tod. »Für uns wird es zum Segen sein; dem Feinde aber brachte es Verderben. Hier ist es warm; bei ihm aber war es heiß, brennend heiß.«(13) Das lebenspendende Wasser wird für die Armee des bösen Panthers zum Todesboten: »Sie sind tot, alle tot! Sie sind ---«(14) Auch der Panther  e r t r i n k t  schließlich. "Ardistan und Dschinnistan" steht mit seiner zweiten Leseebene in der Tradition des Mayschen Lebenswerkes. Die Wüste war für May naheliegenderweise immer eine Stätte der Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod. (...;) man fühlt sich hingeworfen in eine  t ö d l i c h e  Verlassen- und Vergessenheit, wie ein einziges Körnchen Sand in das unermeßliche Stein- und Trümmermeer, in welchem den verwegenen Wanderer auf Schritt und Tritt die häßliche Larve des  T o d e s  angrinst. So May schon 1878 in seiner Erzählung "Die Rose von Sokna", die in der Bamberger Ausgabe unter dem Titel "Ein Wüstenraub" steht.(15)

   Im Kolportageepos "Deutsche Herzen - Deutsche Helden" (1885) sieht der Super-Held Oskar Steinbach die Sahara als den »eigentlichen Urquell des  L e b e n s « , »die Feuerung der  L e b e n s lokomotive«.(16) Nicht umsonst spielt "Am Jenseits", ein Roman, der sich fast ausschließlich mit der Todesproblematik auseinandersetzt, praktisch nur in der Wüste.

   Nie aber bedeutet die Wüste bei May den nackten Tod, immer birgt sie geheime Quellen, Oasen, Brunnen --  L e b e n .


III.  F r i e d e n  u n d  K r i e g

»Ich wollte ganz Dschinnistan mit Krieg überziehen. Ich wollte jene Berge erobern, aus denen das Wasser kommt, welches meinem Lande, meinem ganzen Reiche fehlt.«(17)

   Der Friedens-Gedanke gehörte zu den Problemen, die May im Altersjahrzehnt, am Vorabend des Ersten Weltkrieges, den er selbst nicht mehr miterleben mußte, am intensivsten beschäftigten. So ist gerade "Ardistan und Dschinnistan" zu einem Schrei nach  F r i e d e n ,  zu einem zutiefst pazifistischen Buch, geworden. Die dritte Leseebene ist ähnlich strukturiert wie die unter ihr liegenden: die Wüste/»Stadt der


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Toten« symbolisiert den Unfrieden im weitesten Sinne, die Kriegsfolgen, während das Wasser für den Frieden steht. Diese Krieg/Frieden-Ebene zerfällt wiederum in zwei »Binnenebenen«, die sich in einer Bemerkung des Mir von Ardistan erschließen: »Ich kann meinem Volke keinen Frieden geben, wenn ich ihn nicht selbst besitze, in meinem eigenen Innern.«(18) So geht es also in erster Linie um den  i n n e r e n  F r i e d e n  des einzelnen Individuums, ohne den nach Ansicht des Autors kein dauerhafter  W e l t f r i e d e  aufgebaut werden kann. Frieden hat seine Wurzeln immer bei den einzelnen Menschen. Wie ein einzelner Gewaltmensch plötzlich »aufwacht«, sich dem Veredelungsprozeß zum Edelmenschen stellt und so zum inneren Frieden gelangt, das zeigt May am Beispiel des Mir von Ardistan. Wie E. A. Schmid schon zutreffend andeutete(19), muß auf dieser Ebene die »Stadt der Toten« als das Innere des Einzelmenschen Mir von Ardistan gedeutet werden. Solange er Tyrann ist, weiß er nichts von den Schätzen, die die Stadt birgt: er hat sein persönliches »Friedenspotential« noch nicht entdeckt, läßt seine inneren Schätze ungenutzt. Am Anfang, wo seine Läuterung erst beginnt, will der Mir von Ardistan nicht akzeptieren, daß Gott (= Mir von Dschinnistan) diese Fähigkeit des Friedens in sein Inneres gelegt hat (er reagiert unwirsch, als er den Brunnenengel mit dem Zeichen des Mir von Dschinnistan auf seinem Machtbereich entdeckt): »Sein Zeichen, sein Zeichen!« rief der Mir. »Das muß ich sehen, ich, ich! Das hat man gewagt, gewagt! Das müßte ich bestrafen können, bestrafen!«(20) Später hat der veredelte Herrscher nichts mehr gegen die Hilfe aus Dschinnistan. Gott schickt ihm ja geradezu seine »himmlischen Heerscharen« (die Hilfstruppen aus Dschinnistan) zur Unterstützung, um die Revolution des Panthers niederschlagen zu können. Dadurch, daß der Einzelmensch seinen Bund mit Gott neu knüpft, sich läutert und damit die Gottferne überwindet, kann er - so May - seine inneren Triebe, die Machtgier, den Egoismus abtöten: der Panther muß sterben. Damit ist der innere Friede erreicht, der Erkenntnisprozess abgeschlossen. Der neue Pakt zwischen Gott und dem Einzelmenschen wird dadurch symbolisiert, daß der »neue« Mir von Ardistan und der Schech-el-Beled (= Gott) gemeinsam die Schleusen öffnen, die Ardistan für Zeit und Ewigkeit wieder mit Wasser versorgen sollen.

   Unproblematisch ist nun der Übergang zur zweiten Binnenebene, die sich mit der Weltfriedens-Problematik beschäftigt. Karl Mays Grundkonzeption war die Veredelung der Menschheit, die insgesamt wieder näher an Gott rücken müsse, um einen dauerhaften Weltfrieden zu erreichen. Nur wenn der Schlüssel zum »Friedenspotential« jedes Einzelnen gefunden wird, dann steht nach der Überwindung des Egoismus und der Machtgelüste der Weg zum Weltfrieden offen. Beeindruckend weiß May am Beispiel der - durch Rückzug des Friedensflusses »Ssul« ausgetrockneten - Gegend um die »Stadt der Toten« die


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Folgen der menschlichen Unfriedlichkeit zu schildern. Ein unbeschreibliches Gefühl empfand man bei dem Anblicke der Ueberreste, die uns ohne Schale, Blatt oder Nadel schon von weitem in lebloser Nacktheit entgegenstarrten, fast möchte ich sagen, entgegengrinsten. Nur wenige vorüberkommende Menschen waren da halten geblieben, (...); ein Jeder hatte sich beeilt, diese Stätten des Grauens so bald wie möglich hinter sich zu bringen. So auch wir.(21)

   Erstaunlich, wie Karl May, der selbst nie einen Krieg direkt miterleben mußte, die Kriegsfolgen in einem Bild erfassen kann. Nach Mays Tod 1912 produzierte die Menschheit Stätten des Grauens in unvorstellbarem Maße. Die Sinnlosigkeit der Kriege bildete May in der »Stadt der Toten« und ihrer Umgebung ab. Da wo früher Leben blühte, fruchtbare Felder und Gärten eine schöne, lebenssprühende Kapitale umgaben, ist nun nur noch abschreckende Oede.(22) Erst mit der Läuterung der Menschheit, dem Abbruch der Barrieren zwischen Gott und den Menschen, der Besiegung von Machtgier und Egoismus, ist der Weltfriede besiegelt. Die durch menschlichen Unfrieden geschaffene Öde wird durch das Wasser des Friedens, den Fluß »Ssul«, wieder grün und fruchtbar, die »Stadt der Toten« wird wieder lebendig.

   Im Spannungsfeld von Wüste und Wasser entwarf May auf diese Weise eine Utopie, die dem Einzelnen den Weg zum inneren Frieden, der Menschheit den zum Weltfrieden weisen sollte.


IV.  D i e  W u r z e l :  L i e b e

Unten der nackte Fels des einstigen Wasserbettes, der kein einziges Hälmchen trug, als solle er dokumentieren, daß die Seele des irdischen Gesteines kein anderes Verlangen habe als nur nach Wasser, Wasser, Wasser.(23)

   Es scheint erstaunlich, wie der alte Karl May diese zeitlose Utopie in einer Zeit schreiben konnte, in der seine Lebensstellung durch eine Prozeßlawine und eine beispiellose Pressehetze untergraben wurde.

   Es ist wohl unbezweifelbar, daß die Triebfeder der Mayschen Inspiration in seiner psychischen Lebensproblematik lag. Wasser, Wasser, Wasser, das könnte auch heißen »Liebe, Liebe, Liebe«, ein Aufschrei, der Mays Leben und Werk grundlegend geprägt hat. Die Sehnsucht der Seele des Karl May war immer die nach Liebe und Anerkennung; die Liebe, die ihm in der Kindheit versagt blieb, suchte er später immer wieder, in immer neuen Versuchen, Rollen, mit immer neuen literarischen Werken.

   Der Schrei nach Wasser in der Wüste ist also nicht nur der Schrei nach einem besseren Leben, nach Überwindung des Todes, nach innerem - und Weltfrieden, sondern auch der ganz persönliche Schrei des


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Menschen Karl May nach der verlorenen Liebe, der die Wurzel seiner Schaffenskraft darstellte.

   Wie deprimierend die Suche nach der Liebe für May oft gewesen sein muß, zeigen vor allem die Fata-Morgana-Schilderungen, deren erste wir in den "Geographischen Predigten" (1875) finden: (...,) der Gaumen brennt, an welchem die trockene, lechzende Zunge klebt, das siedende Blut drängt sich ungestüm nach dem fiebernden Gehirn und bei der entsetzlichen, trockenen Hitze schwindet der letzte Rest von Kraft und Lebensmuth. Da, sieh; drüben zur Linken winken lockende Bilder! Ueber dem dichtumflorten Horizont heben sich die scharfen Umrisse einer lieblichen Oase herauf. Auf schlanken Säulen bauen sich die stattlichen Wipfel der Dattelpalmen übereinander und ihre leichten, vollen Fliederkronen wehen im frischen Wüstenwinde. (...) Aus dem Haine der Oase schimmert es wie das Wellengekräusel eines lieblichen Sees, (...) »Allah akbar!« ruft Einer. »Wir sind gerettet. (...)« - »Schau nicht hin!« mahnt der erfahrene Führer. »Es ist nichts als Trug, den Dir der Satan vorspiegelt. Folgst Du der Spiegelung, so geräthst Du in die Wüste und findest weder Kameele, noch Palmen, noch Wasser.«(24)

   Man kann sich nur wundern, wie in dieser Stelle Mays eigenes Schicksal vorausgeahnt zu sein scheint. Die Suche nach der verlorenen Liebe verlief für ihn meist unglücklich: seine erste Ehe endete in der Scheidung, das ungeschickte Rollenspiel vor seinen Lesern büßte er in der Hetze seines letzten Jahrzehnts.

   So bildet das Spannungsfeld Wüste/Wasser in »Ardistan und Dschinnistan« auch noch einen Einstieg in die ganz persönliche Problematik des Menschen Karl May, ohne deren Vorhandensein das großartige Bild der »Stadt der Toten« nie aus dem unendlichen Meer der menschlichen Phantasie aufgetaucht wäre.


1 Karl May: Ardistan und Dschinnistan (AuD) Bd. II. Freiburg o. J. (1909), 1.-10. Tsd., S. 270f.

2 AuD Bd. II S. 270

3 AuD Bd. II S. 255

4 AuD Bd. II S. 281

5 Karl May: Der Sohn des Bärenjägers. Der Geist der Llano estakata. (Reprint der Karl-May-Gesellschaft) Hamburg 1983, S. 228

6 AuD Bd. II S. 253

7 AuD Bd. II S. 287

8 AuD Bd. II S. 317

9 AuD Bd. II S. 328

10 AuD Bd. II S. 287

11 Karl May: Ardistan und Dschinnistan Bd. I. Freiburg o. J. (1909), 1.-10. Tsd., S. 382

12 AuD Bd. II S. 584

13 Ebd.

14 AuD Bd. II S. 582

15 Karl May: Ein Wüstenraub. In: Ders.: Old Firehand. Bamberger Ausgabe Bd. 71, 1967, S.242. Der Erstdruck dieser Erzählung erschien unter dem Titel: "Die Rose von


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Sokna" in "Deutsche Gewerbeschau", Jg. 1878/79, Heft 1-4 (Oktober/November 1878). Nachgedruckt in "Die Heimat", Wien 1881, unter dem Titel "Ein Wüstenraub".

16 Karl May: Deutsche Herzen, deutsche Helden. Reprint Bamberg 1976, Bd. I, S. 542

17 AuD Bd. II S. 443

18 AuD Bd. II S. 331

19 Karl May: »ICH«. Bamberg 291975, S. 403

20 AuD Bd. II S. 324/25

21 AuD Bd. II S. 281

22 AuD Bd. II S. 280

23 AuD Bd. II S. 613

24 Karl May: Geographische Predigten. In: Schacht und Hütte. Reprint Hildesheim-New York 1979, S. 157


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