//146//

BERNHARD KOSCIUSZKO


Illusion oder Information? II38
China im Werk Karl Mays




2.  S t a a t  -  G e s e l l s c h a f t  -  R e l i g i o n 


2.1. Staat


Der chinesische Staat wurde zentral regiert. An seiner Spitze stand ein autokratischer Kaiser. Dennoch wurde China nicht absolutistisch beherrscht. Die Macht des Kaisers fand einen Gegenpunkt in der Beamtenschaft und im Konfuzianismus.«

   Der Kaiser hatte eine derartige Vielfalt an Aufgaben und Riten wahrzunehmen, »daß nur gewissenhafte und körperlich robuste Kaiser in der Lage waren, auch nur die wichtigsten dieser Funktionen auszuüben.«39 Im Kaiseramt liefen die gesetzgebende, die ausführende und die rechtsprechende Gewalt zusammen; gleichzeitig war der Kaiser religiöses und geistiges Oberhaupt des Landes. Alle Gesetze und Edikte wurden von ihm erlassen und unter seinem Namen in der Pekinger Staatszeitung veröffentlicht. Er war Oberbefehlshaber der Armee, letzte Instanz der Gerichtsbarkeit (insbesondere bei Todesurteilen40 ) und er nahm die höchsten Staatsprüfungen ab.

   Das Kaisertum war »in chinesischer Sicht mehr als eine rein politische Institution. Dem Kaiser oblag die Verantwortung für das konfliktfreie Leben der Ökumene. Sein Tun war vom Himmel selbst sanktioniert.«41 Deshalb trug er auch den Titel ›Sohn des Himmels‹.

   Seit 1644 stellte der Mandschu-Klan Aisin-Gioro den Kaiser, bis als zehnter und letzter Kaiser dieser Dynastie 1908 der dreijährige Aisin-Gioro P'ui auf den Thron kam, der 1911 abgesetzt wurde. Das Kaiseramt war erblich, ging aber nicht automatisch auf den ältesten männlichen Nachfahren über. Der Kaiser selbst bestimmte kurz vor seinem Tod denjenigen seiner Nachkommen, der sein Nachfolger werden sollte. Die kaiserlichen Prinzen wurden umfassend und streng auf einer Spezialschule ausgebildet, so daß im Verlaufe der Erziehung (und während der späteren Führung von Staatsgeschäften) erkennbar wurde, wer der würdigste Thronerbe war. HUC42 schreibt zum Kaisertum im 19. Jahrhundert:


//147//

»Der Kaiser ist das Oberhaupt einer großen Familie; seine uneingeschränkte Gewalt absorbirt er nicht selber, sondern er überträgt sie an seine Minister, die ihrerseits wieder so viel als angemessen erscheint, an die übrigen Beamten davon abgeben. Die Unterabtheilungen dehnen sich allmälig und stufenweis bis auf Gruppen von Familien und Individuen aus, deren natürliche Vorgesetzten die Väter sind; Alle haften gemeinschaftlich. Indem diese absolute Gewalt sich in so viele Canäle vertheilt, hört sie auf allzugefährlich zu sein. Auch hält die hergebrachte Sitte den Kaiser innerhalb gewisser Schranken, und er dürfte die herkömmlichen Rechte seiner Unterthanen nicht offen verletzen, ohne den allgemeinen Unwillen auf sich zu lenken. Sodann stehen ihm zur Seite ein Geheimer Rath und ein Generalrath, deren Mitglieder die Befugniß haben, ihm Vorstellungen über alle Gegenstände zu machen, welche sich auf Staatsangelegenheiten oder Privatverhältnisse beziehen. Man ersieht aus den chinesischen Jahrbüchern, daß diese Censoren ihren Beruf gar nicht selten mit preiswürdigem Freimuth und Nachdruck erfüllt haben. Endlich ist auch der Kaiser, obwohl so lang er lebt, Gegenstand vieler Huldigungen, doch nach seinem Tode einem Gericht unterworfen, dessen Urtheil sich an seinen Namen heftet und mit diesem auf die Nachwelt gelangt.« (HUC 37f.)


Die oberste Verwaltung des Reiches bildete das Großsekretariat (Neiko), in dem die Gesetzesvorlagen vorbereitet und nach der kaiserlichen Entscheidung ausgefertigt wurden, und der Große Staatsrat (Chün-chi ch'u), der den Kaiser in allen wichtigen Fragen zu beraten hatte. Unter diesen beiden Institutionen standen die Ministerien, an deren Spitze je zwei Präsidenten - ein Mandschu und ein Chinese - berufen waren: das  L i - p u  (Personalministerium, das Oberaufsicht über die Beamten führte, Einstellungen, Beförderungen, Versetzungen und die Besoldung der Beamten regelte), das  H u - p u  (Finanzministerium), das  L y - p u  (Kultusministerium, in dessen Zuständigkeit alle Staatsfeierlichkeiten, Hofzeremonielle, Opfergebräuche, das Schul- und das Prüfungswesen fielen), das  P i n g - p u  (Kriegsministerium), das  H i n g - p u  (Justizministerium) und das  K u n g - p u  (Ministerium für öffentliche Arbeiten, in dem über Großprojekte (Deichbau, Kanalbau etc.), Staatsbauten allgemein, Ausrüstung von Beamten und Soldaten (Kleidung, Waffen) entschieden wurde). Neben diesen sechs großen Ministerien gab es noch mehrere koordinierende Dienststellen; die wichtigsten waren: das Zensorat, der große Gerichts- und Revisionshof, das Amt für Außenländer (gemeint sind hier nur die tributpflichtigen Länder, nicht etwa ein Außenministerium europäischen Verständnisses) und Dienststellen, die direkt mit dem Kaiseramt zu tun hatten (Kaiserliches Klan-Amt, Kaiserliches Haushaltsamt etc.).

   Die Provinzen wurden von einem Generalstatthalter (Vizekönig) und seinem Unterstatthalter (Fu yuen) regiert. Der Fu yuen hatte die Zivilverwaltung unter sich, die in fünf Ämter gegliedert war: Verwal-


//148//

tungsamt, Wissenschaftsamt, Salzamt. Kommissariat (Verwaltung der Getreidespeicher) und Handelsamt.

   Karl May hat hohen und höchsten Beamten des chinesischen Reiches in seinen Erzählungen wichtige Funktionen gegeben: Old Shatterhand43 soll der Adoptivsohn eines Fu yuen - wenn auch eines pensionierten - werden, der mit Flußpiraten in Verbindung steht; im ›Methusalem‹ retten die Deutschen einen Ho-po-so, der »alle Schiffer im Hafen von Kanton zu beaufsichtigen« (M 202) hatte, und einen Tong-tschi, dessen zahlreiche Pflichten May aufzählt: »die Abgaben an Geld oder Naturalien zu erheben, das Militär zu überwachen, die Polizei zu leiten, die Poststationen zu revidieren, für die Verbesserung der Pferderassen Sorge zu tragen, die Domänen des Staates zu beaufsichtigen, Dämme und Kanäle in Stand zu halten, auf die noch nicht ganz unterworfenen Bergvölker acht zu geben und endlich und vor allen Dingen auf die Fremden an den Grenzen und im Innern des Reiches zu vigilieren und das Paßwesen in Ordnung zu halten«. (M 202)


In besonderer Weise mit dem chinesischen Staatssystem verbunden ist der Konfuzianismus. Er geht zurück auf den Denker K'ung-fu-tse,44 d. i. 'Meister K'ung' (ca. 552-478 v. Chr.). Aus niederem Adel stammend, in seiner Beamtenkarriere nicht sehr erfolgreich, führte K'ung-fu-tse lange ein unstetes Wanderleben. Im Alter widmete er sich literarischen und ritenkundlichen Studien, die er gemeinsam mit Schülern trieb. Schon früh war seine Biographie von Legenden umrankt, so daß die historische Person hinter der des kanonisierten Philosophen verblaßt. Die Bedeutung des großen Chinesen liegt in der Aufarbeitung und Herausgabe der später zu den fünf großen Büchern der Chinesen erhobenen Schriften.45 Er hat keine eigenen Werke hinterlassen; seine Aussprüche sind in der Sammlung ›Gespräche‹ (Lun-yü) von seinen Jüngern überliefert worden. Auf der Grundlage dieser fünf Bücher und der dazugehörigen religiösen und sozialen Tradition entwickelte sich in den folgenden Jahrhunderten - besonders durch den Einfluß der Philosophen Meng-tzu (Mencius) (372 - 289 v. Chr.), Hsün-tzu (Meister Hsün) (ca. 298-238 v. Chr.) und Chung-shu (170-90 v. Chr.) - und später unter Einbeziehung von Gedanken des Buddhismus und des Taoismus, die der Theorie eine metaphysische Dimension gaben, der Konfuzianismus, eine »umfassende universalistische Staatsdoktrin«.46

   Hauptgedanken des Konfuzianismus sind:47 Das Ziel des menschlichen Daseins ist es, Edler, d. h. Mensch im hohen Sinne des Wortes,48 zu werden: »Meister Kung sprach: An neun Dinge denkt der edle Mensch mit großem Ernst: Beim Sehen denkt er an Klarheit, beim


//149//

Hören an Deutlichkeit, im Ausdruck seiner Miene an Freundlichkeit, in seinem Verhalten an Zuvorkommenheit, in seinen Worten an Aufrichtigkeit, in seinen Taten an ehrfurchtsvolle Gewissenhaftigkeit, in seinen Zweifeln an die Möglichkeiten, die Wahrheit zu erkunden, in seinen Zorneswallungen an das Ungemach, das er damit sich und anderen bereiten könnte, bei der Aussicht auf Einträgliches an die Verpflichtungen eines rechtschaffenen Menschen.«49

   Dieses Ziel ist durch Lernen, durch Übung und durch das richtige Verhältnis in den sozialen Bezügen erreichbar, die die Chinesen als wulun, ›die fünf menschlichen Beziehungen‹ (Fürst-Untertan, Vater-Sohn, Mann-Frau, älterer-jüngerer Bruder, Freund-Freund) kategorisierten. Das rechte Verhältnis in diesen Beziehungen wird durch die drei Grundtugenden  j e n ,  i  und  l i  bestimmt:  j e n  ist »die Fähigkeit, sich auf den andern Menschen einzustellen, sich in seine Lage zu versetzen und die eigene Bereitschaft, entsprechend der so gewonnenen Einsicht zu handeln.«;  i  »bezeichnet den ›Sinn für Billigkeit‹, also die Fähigkeit, im Konflikt gegensätzlicher Ansprüche einen übergeordneten Gesichtspunkt wahrzunehmen.«;  l i  bedeutet »>Sinn für die gesellschaftlich angenehme, konventionell geregelte Form‹, die ›Höflichkeit‹ im ursprünglichen Wortsinn.«50 Diese Grundtugenden werden durch weitere Tugenden wie beispielsweise ›Ehrfurcht/Gehorsam gegenüber den Eltern‹ (oder dem Fürsten) ergänzt.

   Der einzelne, der Staat und der Kosmos bildeten in diesem System ein Ganzes, eine gewissermaßen familiäre Einheit: »Der Himmel ist mein Vater, die Erde meine Mutter, und selbst ein winziges Wesen wie ich findet einen traulichen Platz in ihrer Mitte. So sehe ich in allem, was das Universum durchzieht, meinen eigenen Körper, und in allem, was das Universum regiert, meine eigene Seele. Alle Menschen sind meine Geschwister, und alle Dinge sind meine Gefährten. Der große Herrscher ist der älteste Sohn dieser meiner Eltern.«51

   Mit dieser Sicht ist auch gemeint, daß der einzelne mitverantwortlich ist für den Zustand des Kosmos, so wie er mitverantwortlich ist für das Wohl seiner Familie. Dadurch, daß er in seinem privaten Leben Ordnung und Harmonie herstellt, trägt er zur Ordnung und zur Harmonie des Kosmos bei. Auf höherer Ebene haben der Kaiser und die Staatsdiener die gleiche Aufgabe:


»Der ›gute‹ König regiert durch ›Gerechtigkeit‹ und im Einklang mit den ›Sitten‹; seine Autorität erweist sich durch Milde und freiwillige Unterwerfung der Menschen. ( ... ) Dem guten Herrscher werden, angezogen von dessen Hoheit und Milde, gute Staatsdiener (Ch'en) zur Seite stehen. Sie haben die Pflicht, für die Einhaltung der ethischen Norm zu sorgen. Ihr Verhalten vermittelt dem


//150//

Volk die vom Herrscher ausgehende Kraft zur Harmonie. Das Volk soll in das Gefüge der Herrschaft möglichst durch Erziehung und Überredung einbezogen werden, nicht allein durch Strafen. Ziel politischen Handelns bleibt somit die ›Eins-heit‹ gestalteter Harmonie, in welche Kosmos und Gesellschaft einbezogen sind. Himmel, Erde und Mensch finden in der Person des Herrschers ihre gemeinsame Mitte. Sein Verhalten garantiert deren Einheit. Der Herrscher wird so auch zum ›Sachwalter‹ kosmischer Aufgaben: Leiter des großen Himmelsopfers, Hüter der rechten Bahn, auf der die Himmelskörper ziehen (astronomisches Amt), erster Ackerbauer der Welt (Pflugzeremonie und Seidenraupenzeremonie der Kaiserin im Frühjahr), Garant der jahreszeitlichen Weltordnung. Sein Versagen bewirkt Unordnung, sein herrscherliches Eingreifen kann die Ordnung erhalten.«52


Der gute Kaiser muß sich also mit guten Staatsdienern umgeben. Aus diesem Gedanken heraus enstand das k'o-chü, das Prüfungssystem. Seine Beamten rekrutierte der Kaiser, indem er Prüfungen verschiedener Arten und Schwierigkeitsgrade unter der zentralen Leitung des Kultusministeriums durchführen ließ, und zwar für zivile und für militärische Ämter. Dieses System wurde von den Han-Kaisern (200 v.Chr.-200 n.Chr.) eingeführt, verfiel dann, bis die Sui-Dynastie (581-618) und die T'ang-Dynastie (618-907) es wieder institutionalisierten. Zunächst wurden aber nur die niederen Beamten so ausgewählt, erst seit der Sung-Zeit (960 - 1280) mußten nahezu alle Beamten die Prüfungen durchlaufen. Seine endgültige Form nahm das System unter den Ming-Herrschern (1368-1644) an und wurde dann von den Mandschu-Kaisern übernommen, bis es 1905 abgeschafft wurde.

   Im 19. Jahrhundert bestand das System aus drei Stufen, auf denen die Titel »1. shen-yüan (›Bakkalaureus‹), 2. chü-jen (›Magister‹ oder ›Lizentiat‹), 3. chin-shih (›Doktor‹)«53 erworben werden konnten. Auf jeder Stufe mußte eine Reihe von Prüfungen absolviert werden. »Jede Teilprüfung bestand aus einer wechselnden Zahl von Aufsätzen in Prosa oder in Versen, deren Themen den kanonischen Schriften entnommen waren. ( ... ) Die Prüfungen fanden in einem besonderen, streng bewachten Gebäude statt.«54 Dort wurden die Prüflinge in nur zwei Quadratmeter große Zellen eingeschlossen, die sie nicht verlassen durften. Zu den Prüfungen konnten sich alle Männer (außer einigen Unterpriviligierten) melden. Die Anzahl derjenigen, die die jeweilige Prüfung bestehen konnten, war jedoch vom Kaiser festgesetzt.

   Die Wichtigkeit der Prüfungen für den Staat stand aber in keinem angemessenen Verhältnis zu ihrer Effektivität hinsichtlich der Feststellung konkret für die Verwaltungsarbeit erforderlicher Sachkenntnisse und Begabungen, da nur sehr begrenztes Allgemeinwissen, vieles davon auswendig gelerntes kanonisches Schrifttum, vorausgesetzt wurde.


//151//

»Das Ansehen, das diese Prüfungen einbrachten, erklärt sich aus ihrer politischen und sozialen Funktion. Wenn die erfolgreiche Prüfung auch nicht die sofortige Erlangung eines Amtes garantierte, so zog sie doch automatisch den Eintritt in die Gentry (shen-shih) nach sich, die seit der Sung-Zeit die herrschende Gruppe der traditionellen chinesischen Gesellschaft war und deren Kennzeichen die literarischen - seltener erblichen - Ränge waren. Das System griff eine alte Idee aus dem chinesischen politischen Denken wieder auf: Förderung der anonymen Weisen, die auf der ganzen Erde verstreut sind. Die Prüfungen trugen auch dazu bei, im Reich die ideologische Einheit zu verankern, indem sie den Gelehrten Zeit und Willen zur Kritik an der Regierung nahmen und sie verpflichteten, sich ganz vom Konfuzianismus leiten zu lassen.«55


May hat diesem wichtigen Bestandteil der chinesischen politischen und geistigen Kultur in seiner Erzählung ›Der Kiang-lu‹ Aufmerksamkeit dadurch verschafft, daß der deutsche Held in diesem System - allerdings unter Zuhilfenahme allerhöchster Protektion - den Doktorgrad erlangt. Die Informationen über dieses System, die May gibt, sind recht spärlich (K 125, 136). Er referiert ausführlicher darüber, in welchem Zustand sich das System zur Handlungszeit seiner Erzählung befindet, dabei hält er sich fast wörtlich an Huc: »Die Corruption hat in China nichts verschont, und auch die Prüfenden wie die Candidaten ergriffen. Die Vorschriften sind allerdings sehr streng; jeder Unterschleif soll unmöglich gemacht werden, damit sich herausstelle, was der Candidat wirklich gelernt habe. Aber das Geld ist mächtiger als alle Verbote und Vorkehrungen. Wer reich ist, kann es mit leichter Mühe dahin bringen, daß er das Thema der verschiedenen Aufgaben im Voraus erfährt, und, was das Allerschlimmste ist, die Stimmen der Examinatoren sind dem Meistbietenden feil. Ein Student der sich nicht zutraut eine Prüfung bestehen zu können, und sich auch das Programm nicht bei guter Zeit zu verschaffen weiß, miethet irgend einen armen Gelehrten, der dann den Namen des Candidaten annimmt, an seiner Statt das Examen macht und sich das Zeugniß ausstellen läßt. Das Alles wird beinahe ganz öffentlich getrieben, und die Chinesen haben einen solchen Graduirten die Benennung: Baccalaureus der hinten auf dem Pferde sitzt, Baccalaureus auf der Croupe, beigelegt.« (HUC 135, vgl. K 138f.)

   Daß May den Schwerpunkt auf eine kritische Darstellung des Systems legt, dürfte seinen Grund darin haben, daß er seinen Lesern plausibel machen muß, daß sein Held in einem solchen konservativen, durchorganisierten System unter den damaligen außenpolitischen Verhältnissen einen so hohen Titel erreichen konnte. Aber er hat - wenn auch vielleicht ein wenig übertrieben - sicher nichts Falsches berichtet. Denn zwischen dem System, so wie es idealiter gedacht war, und der Wirklichkeit klafften im damaligen China Abgründe.


//152//

   Die besondere Stellung der Beamten im chinesischen Staat war eine der Hauptursachen für die Schwäche Chinas in der Auseinandersetzung mit den europäischen Mächten. Die ausschließliche Ausrichtung der Bildung an konservativen literarischen Objekten, die Verachtung alles Technischen und Kaufmännischen, die daraus resultierte, verhinderte die im 19. Jahrhundert erforderliche schnelle Reaktion auf die westliche Herausforderung.

   May hatte also aus europäischer Sicht nicht unrecht, wenn er - in Widerspruch zu Huc übrigens - behauptet:


China ist ein wunderbares Land. Seine Kultur hat sich in ganz anderer Richtung bewegt und ganz andere Formen angenommen als diejenige der übrigen Nationen. Und diese Kultur ist hochbetagt, greisenhaft alt. Die Adern sind verhärtet und die Nerren abgestumpft, der Leib ist verdorrt und die Seele vertrocknet, nämlich nicht die Seele des einzelnen Chinesen, sondern die Seele seiner Kultur.

   Schon Jahrtausende vor unsrer Zeitrechnung hatte dieselbe eine Stufe erreicht, welche erst in allerneuester Zeit überschritten zu werden scheint, und zu diesem Fortschritte ist China mit der Gewalt der Waffen gezwungen worden. Derjenige französische Missionar, welcher das Reich der Mitte le pays de l'âge ceduc, das Land des hohen Alters, nannte hat sehr recht gehabt. Es ist da eben alles greisenhaft, sogar die Jugend.« (M 222)



2.2. Gesellschaft56


Traditionell unterschied man in China (bis 1911) vier Bevölkerungsschichten: »1. Literati (shih), 2. Bauern (nung), 3. Handwerker (kung) und 4. Kaufleute (shang).«57 In dieser Reihenfolge ist auch der gesellschaftliche Rang einer Schicht ausgedrückt. Nicht in dieser Ordnung enthalten sind: Der Kaiser, sein Clan und die Aristokratie, das Militär58 und die Unterprivilegierten (chien-min = niedriges Volk). Bei May finden wir eine Unterscheidung nach einem anderen Prinzip: »Man unterscheidet in China nämlich drei Klassen der Bevölkerung. Die erste heißt Liang = die ehrenwerte; die zweite Tsien = die wertlose, und die dritte Man = die heimatslose. Diese Unterscheidung wird streng festgehalten. In die ehrenwerte Klasse gehören Tsu = der Adel, Nung = der Ackerbauer, Tsang = der Kauf- und Handelsstand, und endlich Kung = der Handwerker. Zur wertlosen Klasse zählen die Bedienten, Schauspieler, Sänger, Tänzer, Musikanten, Sträflinge, Leichenwäscher und Henker. Die Klasse der Heimatslosen umfaßt alle, welche keinen festen Wohnsitz haben, von einer Provinz zur anderen ziehen und also meist in den öffentlichen Herbergen leben.« (M 237)59


//153//

   Die Zugehörigkeit zu einer dieser Schichten war nicht beliebig. Sie war »gesetzlich festgelegt - Rechte und Pflichten, vor allem die Dienstleistungspflicht und die Pflicht zur Fortführung eines ererbten Familienberufs, ergaben sich aus dem Status.«60


Aristokratie


Nach dem 3. vorchristlichen Jahrhundert verlor die Aristokratie in China ständig an Macht, die vom Kaiser und der nichterblichen Beamtenhierarchie übernommen wurde. Dieser Prozeß endete im 10. Jahrhundert. Von da ab »gab es keine unabhängig bestehende Aristokratie außer durch kaiserliche Gunst: Mitgliedern der kaiserlichen Familie und solchen, die dem Kaiser außerordentliche Dienste erwiesen hatten, wurden erbliche Titel, Privilegien, Apanagen oder Renten verliehen, aber bezeichnenderweise kontrollierten und beaufsichtigten besondere Abteilungen der Bürokratie sowohl den kaiserlichen als auch den nichtkaiserlichen Adel. Der Besitz bestimmter Adelsränge mochte höchste Privilegien in der Gesellschaft mit sich bringen, doch besaßen deren Inhaber von sich aus keine wirkliche Macht.«61

   Neben dem Kaiser konnten auch die Provinzialbehörden Adels- und Ehrentitel verleihen, die je nach Rang für eine bestimmte Anzahl von Generationen vererbbar waren. May nennt diese Art Aristokratie Dienstadel (K 124). Dazu schreibt Huc: »Die hohen bürgerlichen und Militairmandarinen, welche sich in der Verwaltung oder im Kriege auszeichnen, erhalten Titel, zum Beispiel  K u n g ,  H e u ,  P h y ,  T s e  und  N a n , was wir etwa als Herzog, Marquis, Graf, Baron und Ritter bezeichnen können. Diese Titel oder Grade sind aber nicht etwa erblich, und geben auch den Söhnen gar kein Anrecht irgend einer Art; sie können aber auf die  V o r ä l t e r n  übertragen werden. Das steht freilich nicht im Einklange mit europäischen Begriffen. ( ... ) Ein Adel der nur zeitweilig gilt, und obendrein sich auf die Vorfahren erstreckt, dagegen nicht auf Nachkommen vererbt werden kann, erscheint einem Europäer seltsam, und er meint wohl, man müsse eben Chinese sein, um überhaupt nur dergleichen ausfindig zu machen. Es verdiente aber doch ernsthaft untersucht zu werden, ob es nicht gescheidter und mit weniger Nachtheilen verbunden sei die Auszeichnung eines Mannes auf den Vater als auf die Söhne zu übertragen.« (HUC 39; vgl. K 125)


Literati


Mit ›Literati‹ wurde die chinesische Führungsschicht bezeichnet. Nach den Ausführungen zum chinesischen Staatssystem ist es klar, daß hier-


//154//

mit die Beamtenschaft gemeint ist, obwohl der Begriff Literati weiter reichte: er umfaßte auch diejenigen konfuzianisch Gebildeten, also durch das System der Prüfungen Gegangenen, die keine Anstellung gefunden hatten. Diese Schicht setzte sich also zusammen aus den Beamtenanwärtern, den aktiven Beamten und der Gentry, der örtlichen sozialen und wirtschaftlichen Elite. Zwischen diesen »Gruppen bestanden enge Verbindungen: Um Mitglied der lokalen Elite zu werden, mußte man nicht nur über Vermögen, sondern auch über eine gute Bildung verfügen und damit über die Möglichkeit einer Verbindung mit der nationalen Bürokratie, wenn nicht gar der Aufnahme in diese; das wiederum brachte nicht nur die höchste gesellschaftliche Stellung mit sich, sondern auch die Mittel, die Stellung und Einfluß auf lokaler Ebene kennzeichneten.«62

   Hier soll nun näher auf die Gruppe der aktiven Beamten eingegangen werden, da diese in den Texten Mays eine Rolle spielt. Im allgemeinen europäischen Verständnis wurden chinesische Beamte als Mandarine bezeichnet; May erklärt die Herkunft dieses Wortes aus dem Sanskrit-Wort ›mantri‹ (weiser Ratgeber, Minister), aus dem die Portugiesen ›mandarin‹ machten (M 99)63 Im ›Kiang-lu‹ (K 120) gibt er die Ableitung, die er bei Huc fand (HUC 40): das Wort komme (vielleicht) vom portugiesischen ›mandar‹ (befehlen). In seinem Vortrag vor der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin gibt F. Hirth (aus Shanghai) der Brockhaus-Version den Vorzug,64 da eine Ableitung aus ›mandar‹ nicht in die Form ›mandarin‹ ginge, eher in ›mandador‹. Die Ableitung von ›mantrin‹ sei akzeptabler, da das Wort für einen hohen Würdenträger bei den Malayen geläufig war, von denen die Portugiesen es auf die Chinesen übertragen hätten. Wie in China selbst die Beamten bezeichnet werden, führt May M 99 aus: »Sie nennen ihre Beamten alle Kuan, welches Wort ein Dach bezeichnet, einen Ort, unter welchem viele beisammen sind. Um nun auszudrücken, wer diese Versammelten sind, setzen sie das Zeichen Fu dazu, welches Vater oder Greis bedeutet, einen erfahrenen, weisen Mann, welcher also zum Beamten geeignet ist. Kuan-fu bedeutet also eine Vielheit von klugen Leuten, von Beamten. Hier unterscheidet man nun wieder Zivil- und Militärbeamte. Die ersteren werden Wen-kuan genannt, litterarische Beamte, und die letzteren heißen Wu-kuan, tapfere Beamte.«

   Die Kleidung der chinesischen Beamten beschreibt May anhand der Kostümierung Kapitän Turnersticks (M 43f.). Eine direkte Quelle für diese - sicherlich poetisch ausgeschmückte - Schilderung ist nicht bekannt. Hirth gibt uns ein anschauliches Bild von der ›Beamten-Uniform‹:


//155//

»Die Pfauenfeder, die man häufig auf den Mützen der Mandarinen prangen sieht, hat nichts mit dem Range zu thun und ist lediglich eine persönliche Auszeichnung, wie unsere Orden. Sonst zeichnet sich die Beamten-Uniform, die bei allen officiellen Gelegenheiten getragen wird, aus durch einen conischen Hut im Sommer und eine Filzmütze von besonderer Facon im Winter. Der Knopf wird auf der Spitze der Kopfbedeckung befestigt und ist von ringsum abfallenden rothen Franzen umgeben. Während im bürgerlichen Leben Schuhe getragen werden, gehören zur Uniform schwarze Atlas-Stiefel. Die höheren Klassen tragen um Hals und Brust eine Perlenschnur. Der Körper ist mit einem reich gestickten, bis an die Knöchel reichenden Gewand bedeckt, dessen Aermel, wenn nicht aufgestülpt, die Hand bedecken und das mit einem Gürtel zusammengehalten wird. Ein kürzeres Obergewand mit kürzeren, aber weiten Aermeln enthält auf Brust und Rücken eine viereckige Seidenstickerei, das sogenannte  P u t z u ,  d. h. Flicken. Das Putzu bildet nächst dem Knopfe das hauptsächlichste Emblem des Ranges; es deutet aber auch außerdem an, ob der betreffende Mandarin der Civil- oder der Militärbranche des Staatsdienstes angehöre; denn dies sind die beiden großen Hauptunterschiede, wonach die Officiere der Armee als Militärbeamte (wu-kuan) den Civilbeamten (wen-kuan) gegenüber gestellt werden. Für beide Arten giebt es eine große und eine kleine Uniform; das  P u t z u  findet sich nur auf der großen, die wie bei uns zu allen officiellen Zusammenkünften angelegt wird und vielleicht etwas häufiger als bei uns in Gebrauch ist. Ein strebsamer Mandarin in Canton, der mich bisweilen in kleiner Uniform besuchte, erschien bei seiner Abschiedsvisite in großem Ornate zum Schrecken meiner Kinder, die mir vergeblich versicherten, daß sie sich nicht fürchteten. Furchterregend kann auch nur das Ungeheuer sein, das den Gegenstand der erwähnten Stickerei des officiellen Flickens bildet. Derselbe besteht nämlich bei den Civilbeamten in einem ornamentalen Vogel, bei den Militärbeamten in einem Raubthier. Als Vogel erster Klasse gilt der Goldfasan, ihm folgen dem Range nach: der Pfau, die wilde Gans, der Silberfasan, der Pelikan, eine Art Mandarinente, die Wachtel. An der Spitze der wilden Thiere steht das mythische Einhorn Kilin; es folgen Löwe, Leopard, Tiger, Bär und Panther.«64


Ausgespart wurden hier die Angaben über die Hierarchie des chinesischen Beamtenwesens und ihre Kennzeichnung durch verschiedenartige Kugeln (Knöpfe), da auch Huc, Mays Gewährsmann, darüber schreibt: »Sämmtliche bürgerliche und Militairbeamte des chinesischen Reiches zerfallen in neun Rangclassen,  K h i u p i n g ,  deren jede sich von der andern durch eine  K u g e l  unterscheidet, die von den Europäern auch wohl als Knopf bezeichnet wird; doch paßt dieser Ausdruck eigentlich nicht. Diese Kugeln haben etwa die Größe eines Taubeneies, und werden oben auf der Dienstmütze befestigt. Die erste Rangclasse hat eine schlichte rothe Korallenkugel; die zweite eine ciselirte rothe Korallenkugel; die dritte eine Kugel aus hellblauem oder durchsichtig blauem Stein; bei der vierten ist sie matt- oder dunkelblau; bei der fünften von Krystall; bei der sechsten von Nierenstein oder Dunkelweiß; bei der siebenten, achten und neunten von vergoldetem


//156//

Kupfer und verschiedener Arbeit. Jede Rangclasse zerfällt in zwei Abtheilungen; die eine ist activ und im Amte, die andere überzählig; aber die Kugeln sind bei beiden ganz dieselben.« (HUC 39f.)

   Wir finden in Mays China-Erzählungen Beispiele aus nahezu allen Klassen: der Vater Kong-nis, Ming-tsu, trägt eine rote Kugel (K 123), ein hoher Militär, Gastgeber der May-Helden, eine ziseliert rote (K 292); (hell)blaue Kugeln haben der Richter in Kanton (K 262) und der Ho-po-so (M 217); der Tong-tschi trägt eine dunkelblaue (M 217). Kristallkugeln sind an den Hüten des Bürgermeisters von Schao-tscheu (M 406), von Kong-ni (K 129) und am Reiseanzug Old Shatterhands (K 267). Die unteren Beamtenklassen mit geblümt goldenen (M 383) und einfach goldenen Kugeln (M 399, 430, K 267) sind vertreten durch Jin-tsian, den Steuereintreiber, den Bürgermeister von Schin-hoa; auch Turnerstick trägt eine goldene Kugel: Insgesamt ein ansehnlicher Querschnitt durch diese wichtige Bevölkerungsschicht Chinas, die May seinen Lesern bietet, zumal May seine Helden bei einigen dieser Beamten zu Gast sein läßt, so daß Kenntnisse über Eß- und Wohnkultur, Bildung und Religion dieser Schicht vermittelt werden.65


Bauern


Daß die Bauernschaft in der traditionellen Rangordnung eine so hohe Stellung einnahm, überrascht zunächst, wird aber verständlich, wenn man bedenkt, daß das konservative konfuzianische Staats- und Gesellschaftssystem aus feudalistischer Ordnung hervorgegangen ist. Für das 19. Jahrhundert stimmt de facto diese Wertschätzung bei weitem nicht mehr; das Bauerntum verlor ständig an sozialem Prestige, bis es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die unterste Stufe herabsank. Die Ursachen für diesen Abstieg sind in erster Linie in den wirtschaftlichen Folgen des Eindringens der Europäer in den chinesischen Wirtschaftsbereich zu finden. Zwar befand sich das Land schon vorher in einer Krise, da wegen der enormen Bevölkerungsexplosion im 18. Jahrhundert eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung (von der etwa vier Fünftel auf dem Lande lebte) mit Lebensmitteln nicht gewährleistet war. Doch wurde diese Krise durch das imperialistische Eindringen der Europäer entscheidend verschärft.

   Die Bauernschaft bestand grob gesehen aus drei Schichten, aus Landbesitzern, aus Pächtern und aus Lohnarbeitern. Alle drei Schichten (außer den Großgrundbesitzern natürlich) waren vom wirtschaftlichen Desaster des chinesischen Staates im 19. Jahrhundert stark betroffen: Die hohe Inflationsrate aufgrund des Silberabflusses (vgl. Ka-


//157//

pitel 1.1.) machte es den Großgrundbesitzern und den Beamten schwerer, den als angemessen empfundenen Lebensstandard zu finanzieren. Die Folge waren Pachterhöhungen (die Pacht betrug normalerweise etwa die Hälfte der Ernte) und von Seiten der Beamtenschaft eine stärkere Belastung der mittleren und kleineren Landbesitzer durch Steuern und Abgaben. Selbstverständlich nahm auch die Bedrückung durch Korruption stark zu. Die ohnehin in der Regel schon stark verschuldeten Kleinbauern verelendeten zunehmend und mußten ihr Land aufgeben. Hinzukam, daß die notwendige Einkommensergänzung durch Heimarbeit (insbesondere in der Textilbranche) und durch Transportarbeiten für eine große Bevölkerungszahl wegfiel, als sich die Wirtschaftsräume aus den traditionellen Gebieten in die ›geöffneten‹ Küstengebiete verlagerten. Die verelendete Landbevölkerung schloß sich häufig Geheimgesellschaften an, die Keimzelle für Aufstände (z.B. auch des T'ai-p'ing-Aufstandes, vgl. Kapitel 1.1.) waren. In Mays Erzählungen spielen die chinesischen Bauern keine nennenswerte Rolle, wohl aber Banditen und Bettler, zu denen ein nicht unbedeutender Teil der verarmten Landbevölkerung wurde.


Handwerker


Die Handwerker in China waren in zunftähnlichen Gemeinschaften zusammengeschlossen, was ihnen größere Widerstandskraft gegen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten gab, zumal sie teilweise in exportintensiven Bereichen arbeiteten (Seidenwaren, Porzellanwaren). Der westliche Einfluß führte aber auch hier zu gravierenden Strukturveränderungen, nämlich zu einer Entwicklung vom handwerklichen Familien- und Kleinbetrieb zu industrieller Massenfabrikation.

   Auch Handwerker spielen in Mays Chinaerzählungen keine Rolle, May erwähnt bei der Beschreibung Hongkongs und Kantons typisch chinesische Handwerker der Städte:

   Sie wohnen in kleinen »Bambushäuschen, deren unteres, offenes Stockwerk meist als Verkaufslokal dient, dahinter ein paar finstere Gemächer und eine schmale Treppe, die nach oben führt, wo die etwas vorspringenden Schlafgemächer sind. Die Läden sind nach ihrer ganzen Breite hin offen und gestatten einen Blick in das innere Familienleben. Hier sieht man einen Schuster jene Seidenzeugschuhe verfertigen, deren Sohlen aus einem sehr starken Filze bestehen; dort giebt es einen Lackierer, welcher Täßchen fertigt, deren mehrfacher Lacküberzug ein ganzes Jahr zu trocken hat.« (K 145f.) In Kanton: »Zu beiden Seiten öffneten sich die Läden und Buden der Seidenhändler, Schuhmacher, Stoffhänd-


//158//

ler, Mützen- und Hutmacher, Lackwarenarbeiter, Porzellanhändler, Barbiere, Geldwechsler, Kuchenbäcker, Blechschmiede, Fleischer, Obsthändler, Gemüsekrämer und vieler anderer. Meist waren, wie in den türkischen Bazars, die gleichartigen Geschäfte in einer Straße zusammengelegt.« (M 240)

   Beide Male entnimmt May seine Informationen HEINE (98/122), dem auch die Beispiele chinesischer Handwerkskunst nachgestaltet sind, die May K 135 und M 309 bringt:


»Ich hatte hier wieder Gelegenheit, die außerordentliche Geschicklichkeit der Chinesen in künstlichen Handarbeiten, und die fabelhaft billigen Preise derselben zu bewundern. Shanghae ist besonders berühmt wegen seiner Schnitzereien in Elfenbein, Holz, Bambusrohr, und selbst Obstkernen, von denen in den vielen Läden allerliebste Proben zum Kauf ausgeboten wurden. So z. B. kaufte ich um den Spottpreis von 1 Schilling, etwa 1/4 Thaler, ein wunderhübsches Damenarmband, bestehend aus 12 sehr kleinen Pfirsichkernen, die in Form von chinesischen Booten geschnitten waren, deren Fenster man öffnen, und die darin sitzenden Personen sehen konnte, deren Köpfchen nicht größer als Hirsekörnerchen waren. Zwischen diese Pfirsichkerne waren Kirschkerne gereiht, als Köpfe in grottesker Form geschnitten, und in der Mitte des Armbandes hing eine kleine welsche Nuß von zierlich durchbrochener Arbeit, die bestimmt war, Parfümerien aufzunehmen. Ich glaube, bei uns würde ein Armband von so bewundernswerth kunstvoller Arbeit, nicht viel geringer als ein goldenes kommen. Derartige Gegenstände waren in größter Mannichfaltigkeit aus allerhand Material zur Auswahl vorhanden.« (HEINE 160f.)


Kaufleute


Mays ›Brockhaus‹66 spricht den Chinesen allgemein eine »besondere Befähigung für alle mit dem (Handel) verbundene Geschäftsthätigkeit« zu, dennoch war das Ansehen der Kaufleute, wie die traditionelle Rangliste zeigt, nicht sehr hoch. Sie galten als »Schmarotzer der landwirtschaftlichen Produktion«.67 Die Kaufleute waren in Gilden organisiert, denn sie waren insofern schutzbedürftig, als keine gesetzliche Regelung den Geschäftsverkehr ordnete. Die Gilde schützte vor staatlicher Willkür, vor korrupten Beamten und garantierte Sicherheit beim Handel in fernen Landesteilen. Vor der erzwungenen Öffnung der großen Häfen hatte eine besondere Gilde, die Co-hong, den gesamten Außenhandel unter ihrer Kontrolle. Mit dem Auftauchen der Europäer stieg dann das Prestige der Kaufleute; man darf sowieso nicht vergessen, daß die Frage des gesellschaftlichen Ranges nicht allein durch traditionelle Wertungen, sondern eben auch durch Besitz und Kontakt zur Führungsschicht bestimmt wurde:

   Die chinesischen Kaufleute »neigten dazu, sich auf einen besonde-


//159//

ren Handelszweig zu spezialisieren und diesem verhaftet zu bleiben, das aus ihm gewonnene Vermögen an erster Stelle dafür zu benutzen, sich die notwendige offizielle Protektion zu sichern, und an zweiter Stelle, private gesellschaftliche Ziele zu erreichen ohne tiefere Bindung an den Handel oder Interesse an seiner Ausdehnung; sie wollten nur genügend Reichtum erwerben, um die soziale Stellung ihrer Familie zu heben. So strebten sie nach größerer Sicherheit und höherem Ansehen einmal durch Investitionen in Grund und Boden, zum anderen durch Eintritt in den Staatsdienst (entweder durch Ämterkauf oder über das Prüfungssystem). Das Vermögen wurde nicht selten verschwendet von Familienmitgliedern, die andere von der Gesellschaft gebilligte Funktionen wahrnahmen, z.B. als Gönner und Liebhaber der Kunst oder als Bibliophile. Im 19. Jh. war es durchaus üblich, daß einige Familienmitglieder weiterhin Handel trieben, während andere Beamte wurden, um die Erträge einzukassieren, die aus offiziellen Verbindungen solcher Art flossen. So bestand die Tendenz einer Verschmelzung von Gentry und Kaufleuten, und als man gegen Ende der Dynastie der Lokalverwaltung und der lokalen Industrialisierung zunehmende Aufmerksamkeit widmete, begannen ihre Interessen zusammenzulaufen.«68

   Durch May lernt der Leser - außer den Kleinhändlern in den Häfen Hongkong und Kanton, die allerdings recht anschaulich in bunten Szenen dargestellt werden (K 126ff., 227) - nur zwei Kaufleute kennen, die beiden Juweliere Hu-tsin und Wing-kan; May geht dabei aber nicht näher auf das Metier ein.


Unterprivilegierte


Zwar war der Anteil der Unterprivilegierten an der Gesamtbevölkerung prozentual nur gering, doch umfaßte er bei der hohen Gesamtbevölkerung eine recht ansehnliche Anzahl Menschen. Innerhalb dieser Bevölkerungsschicht unterschied man mehrere Gruppen: 1) Arbeiter unterster Stufe - nochmals unterteilt in für die Regierung arbeitende (Laufboten, Gefängniswärter, örtliche Polizisten) und privat arbeitende (Friseure, Schauspieler, Hausdiener, Haussklaven), 2) wegen ihrer Herkunft und Lebensart Verachtete: dazu gehörten beispielsweise die auf den Booten in Kanton lebenden Menschen, 3) entwurzelte Bevölkerungselemente: Bettler, Prostituierte, besiegte Rebellentruppen, Verbrecher und Familien von Verbrechern.

   Die Zugehörigkeit zu dieser Schicht war erblich. Die Unterprivilegierten durften nicht in Familien ›guter Menschen‹ einheiraten, sie


//160//

waren von der Teilnahme am Prüfungssystem ausgeschlossen, konnten also nicht Beamte werden, und sie wurden bei Straftaten härter bestraft als die übrige Bevölkerung.

   May interessiert sich in seinen beiden China-Erzählungen außer für Banditen (Fluß- und Seepiraten) besonders für eine Klasse Unterprivilegierter, für die Bettler. Daß die Tochter eines Bettlers - auch wenn er Bettlerkönig ist - von dem Angehörigen eines höheren Standes, einem Juwelier, geheiratet wurde, ist wohl nicht sehr realistisch und muß als konstruktives Element der Handlung der poetischen Freiheit des Autors zugerechnet werden; die sonstigen Informationen über das Bettlerwesen in China (M 249ff., 310f.) sind jedenfalls korrekt, da sie den Angaben Hucs entnommen wurden:


»Arme Leute hat es zu allen Zeiten gegeben und es wird deren stets geben, aber schwerlich hat jemals in irgend einem andern Lande ein solches Elend geherrscht wie im himmlischen Reiche. Es vergeht kein Jahr wo nicht auf dem einen oder andern Punkte eine erschreckliche Menge von Menschen vor Hunger oder vor Kälte umkommt. Sobald in Folge von Ueberschwemmung, Dürre oder sonst durch ein Misgeschick die Ernte in einer einzigen Provinz schlecht ausfällt, sind gleich zwei Drittel der Bewohner einer Hungersnoth preisgegeben. Dann streifen große Banden, förmliche Bettlerhoere, Männer, Weiber und Kinder im Lande umher, und fordern in Stadt und Dorf Lebensmittel. ( ... )

   Außer diesen zufälligen und örtlichen Heimsuchungen sind aber noch andauernde Armuthszustände vorhanden, welche wie ein unheilbarer Aussatz in der ganzen Nation eingewurzelt sind. Namentlich ist in den großen Städten die Menge armer Leute wirklich Grauen erregend. Sie treiben sich in den Straßen umher und stellen Körpergebrechen zur Schau, um Mitleid zu erregen. Tagtäglich sterben manche vor Hunger. ( ... )

   Die Wohlhabenden ( ... ) stiften keine Vereine um den Armen ihr Elend zu erleichtern. Dagegen bilden die Armen Commanditgesellschaften um die Reichen auszubeuten. Jeder Theilhaber bringt dem Vereine eine wirkliche oder künstliche Körperschwäche oder Krankheit zu, und sucht dieses aus menschlichem Elende bestehende Kapitel möglichst vortheilhaft zu verwerthen. Diese Bettlerarmee zerfällt in Rotten und Bataillone und hat als Oberhaupt einen ›König der Bettler‹ welchen der Staat gesetzlich anerkennt. Er muß für seine zerlumpten Untergebenen haften, und an ihn hält man sich, wenn unter ihnen das Unwesen so arg wird, daß es die öffentliche Ruhe gefährdet. Der Bettlerkönig in Peking ist gewissermaßen eine Macht; er darf an bestimmten Tagen seine Schaaren ins Feld fahren, und es ist ihnen dann gestattet in der Umgegend der Hauptstadt um Almosen zu bitten. Sie sind einem verheerenden Insectenschwarme vergleichbar und suchen die Leute einzuschüchtern. Der König läßt dann die Vorsteher der Dorfschaften und Gemeinden zusammenberufen, und erklärt, daß er gegen Empfang einer gewissen Summe sich anheischig mache, seine Leute zurückzuziehen. Nach langem Hin- und Herstreiten einigt man sich, das Dorf zahlt seine Ranzion und die Bettler suchen einen andern Landstrich auf, wo dann dasselbe Spiel von Neuem beginnt. Manchmal fällt ihre Beute sehr ergiebig aus. Alles was eingeht wird dem Könige abgeliefert, welcher die Vertheilung besorgt.« (HUC 321ff.)

*


//161//

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß May seinen Lesern zwar keinen repräsentativen Querschnitt durch die chinesische Bevölkerung bietet, da das einfache Volk stark unterrepräsentiert ist, doch ist der Leser in der Lage, sich ein recht buntes und weitgehend zutreffendes Bild von wichtigen Bevölkerungsschichten Chinas dank seiner Informationen zu machen. Daß sich eine Handlung wie die von May erfundene in der damaligen chinesischen Gesellschaft so abgespielt haben könnte, kann natürlich nicht Gegenstand ernsthafter Erwägungen sein.



2.3. Religion


Mays Werke sind stets - manchmal zu sehr - von religiösem Gedankengut durchzogen, wobei das Christentum meist auf Kosten der anderen Religionen (insbesondere des Islam) positiv hervorgehoben wird. Für Mays China-Erzählungen gilt das nicht in dem Maße wie für seine anderen Werke. Das liegt an zweierlei; einmal sind gerade die Jugenderzählungen im wesentlichen frei von allzu aufdringlicher Propaganda für das Christentum und zum anderen gab die chinesische Kulturwelt nicht den konkreten Reibungsstoff her, da ein direkter Vergleich mit der abendländischen monotheistischen Religionssicht nicht ohne weiteres möglich war. Das Thema Christentum in China ist zwar nicht ausgespart - so spielt etwa im ›Kiang-lu‹ eine verfolgte und für ihren Glauben leidende Christin eine Rolle69 - doch bleibt dies nebensächlich.

   Der Grundhaltung der Chinesen in der Frage nach der richtigen Religion widmet Huc eine längere Ausführung:


»( ... ) so ist denn aller Glaube an ein zukünftiges Leben erloschen, das religiöse Gefühl verschwunden, die rivalisirenden Lehrmeinungen haben alles Ansehen verloren, ihre Anhänger sind unfromm und zweifelsüchtig geworden, in den Abgrund der Gleichgültigkeit versunken, und haben sich in demselben den Friedenskuß gegeben. Man streitet nirgends mehr über religiöse Dinge, und durch die ganze chinesische Nation hat eine berühmte Formel Geltung, bei welcher Jedermann sich beruhigt. Dieselbe lautet:  S a n  k i a o ,   y  k i a o ,  das heißt:  D i e  d r e i  R e l i g i o n e n  s i n d  n u r  e i n e .  Somit wären denn sämmtliche Chinesen zumal Anhänger des Confucius, des Lao tse und des Buddha oder genauer ausgedrückt eigentlich gar nichts; sie verwerfen jedes Dogma, jeden Glauben, und leben ihren Antrieben gemäß. ( ... ) Jeder lobt die Religion, zu welcher er sich  n i c h t  bekennt, denn so will es die Höflichkeit, und zuletzt sagt man:  › P u t  t u n  k i a o ,  t u n  I y ,  das heißt:  D i e  R e l i g i o n e n  s i n d  v e r s c h i e d e n ,  d i e  V e r n u n f t  i s t  n u r  e i n e ,  w i r  s i n d  A l l e  B r ü d e r.‹ Diese Formel ist auf den Lippen aller Chinesen, sie sprechen die Worte zu einander mit ausgesuchter Höf-


//162//

lichkeit. In ihren Augen ist der Cultus eine Sache des Geschmackes und der Mode, auf welche man nicht gerade größern Werth legt als auf die Farbe eines Kleides. Regierung, Gelehrte und Volk also betrachten die Religionen als geringfügige Dinge, die ohne höheres Interesse sind; es ist darum begreiflich, daß im Lande Duldung gegen jeden Cultus herrscht. In dieser Beziehung genießen die Chinesen große Freiheit, vorausgesetzt, daß die Behörden nicht etwa hinter einem religiösen Vereine einen staatsschädlichen Zweck wittern.« (HUC 255f.)


May benutzt Teile dieses Textes in beiden Erzählungen: Im ›Kiang-lu‹ (K 249ff.) bettet er die Grundaussage in ein Religionsgespräch mit einem Mandarin ein, der dem Deutschen Unhöflichkeit vorwirft, als dieser ihn mit Argumenten vom Vorzug der christlichen Lehre überzeugen will. Dadurch wird klar, daß in China Religionsfragen keine Angelegenheit waren, über die man disputierte, sondern - im Bereich des persönlichen Glaubens - eine reine Privatangelegenheit, in die sich etwa aus missionarischem Interesse einzumischen ein grober Verstoß gegen die guten Sitten war. Im ›Methusalem‹ (M 224f.) wird die gleiche Stelle benutzt, um Mays These von der verhärteten, veralteten Kultur die nichts Neues annehmen will, zu stützen; eine Ansicht, auf die in Kapitel 2.1 schon eingegangen wurde.

   Huc spricht von den drei Religionen Chinas; er meint damit den Konfuzianismus, den Taoismus und den Buddhismus. Da die chinesische Kultur das Wort ›Religion‹ in der Bedeutung ›exklusive Religionsgemeinschaft‹, wie wir es im abendländischen Bereich kennen, nicht kannte, ist Hucs Aussage in dieser Form nicht unmißverständlich. In China sprach man von ›Lehren‹ oder von ›Schulen‹, wenn man Religionsgemeinschaften meinte. Im abendländischen Sinne organisierte Religion war in China weitgehend eine Angelegenheit buddhistischer oder taoistischer Sekten, die entweder nur Randerscheinungen des gesellschaftlichen Lebens waren oder aber reine Angelegenheit von ›Eingeweihten‹, unter Ausschluß von Laien. »Die verschiedenen religiösen Erscheinungsformen haben meist das ganze Gewebe der chinesischen Gesellschaft durchzogen ( ... ) Man (kann) in China weniger von organisierter als von ›organischer‹ Religion sprechen.«70 Die pragmatische Einstellung des Chinesen war die, daß »je nach Bedarf alle ›Lehren‹ nützlich (sind).«71

   Da es der Systematik wegen von Vorteil ist, wird im folgenden dennoch an der von Huc vorgegebenen Unterteilung festgehalten, denn sie benennt die drei Hauptrichtungen des chinesischen Geisteslebens. Hinzu kommt jedoch ein vierter Bestandteil des Religionskosmos der Chinesen: der Bereich der Kulte, in dem die Grundvorstellungen des religiösen Denkens des Volkes Ausdruck fanden.


//163//

Volksreligion / Religiöse Grundvorstellungen


Seit Jahrtausenden war das chinesische Denken durch die Verhältnisse einer Agrargemeinschaft geprägt. Grundvorstellung solcher Gesellschaften ist der Glaube, daß Natur und Mensch/Gesellschaft in engem Zusammenhang stehen, daß Urkräfte auf beide, auf Natur und Mensch, in Gutem und in Bösem Einfluß nehmen, daß aber der Mensch auch die Möglichkeit hat, das Wirken dieser Kräfte zu beeinflussen. In den monotheistischen Religionen ist diese Einstellung nicht gänzlich verloren gegangen, dort sind die den Menschen unverständlichen Kräfte jedoch weitgehend von der Verflechtung ins Irdische abgelöst und die Verehrung auf einen einzigen Repräsentanten konzentriert worden. China, wo eben dieser Prozeß der Konzentration nicht stattfand, ging gewissermaßen den umgekehrten Weg: statt das Wirken der unbekannten Kräfte an einer Gottheit festzumachen, erhält jeder Verstorbene zeitweise Macht, in das Leben der Lebenden und der Gemeinschaft einzugreifen.72

   Ein weiterer Unterschied zum abendländischen religiösen Denken betrifft die Vorstellung von der Seele. »Nach dem Volksglauben hat man drei Seelen, deren eine nach dem Tode beim Leichnam, bzw. beim Grabe verweilt; eine geht ins Reich der Unterwelt und eine nimmt ihren Platz bei der Ahnentafel. Darnach ergiebt sich eine dreifache  T o t e n v e r e h r u n g .  1) Die sich um den Leichnam drehende bei der Bestattung und am Grabe. 2) Die der ins Schattenreich versetzten Seele oder die Seelenmesse. 3) Die sich in der Ahnenhalle vollziehende oder der Ahnendienst73 Darüberhinaus dachten die Chinesen sich die Seele (sie nennen sie ›shen‹: konstellierende Kraft) nicht als unsterblich; sie existiert eine zeitlang nach dem Tode weiter, löst sich dann aber allmählich auf.74 Mit den Riten zur Bestattung und den ›Seelenmessen‹ will ich mich hier nicht näher befassen; Karl May beschreibt einen Leichenzug in Kanton (K 239) ziemlich wörtlich nach Heine: »Vorauf schritten mehre[re] Männer mit Standarten und bunten Oriflammen; dann folgten hinter einander zwei Bahren, auf denen Götterbilder getragen wurden. Diese waren von einer Art Musikbande umgeben, theils auf langen, Oboen ähnlichen Instrumenten blasend, theils Gongs und kleine Kesselpauken schlagend. Wieder andere Personen trugen Rauchpfannen, Schwärmer und allerhand kleines Feuerwerk in den Händen, das sie in Intervallen abbrannten. Hierauf folgte die Todtenbahre, an welcher der Sarg, aus runden Planken gezimmert, zwischen Stangen an Seilen schwebend, getragen ward. Hinter der Bahre schritt ein Priester und eine Schaar Leidtragender bildeteden Schluß.« (HEINE 149f.)


//164//

   Interessanter ist, was der Glaube an aus dem Jenseits ins Diesseits einwirkende Verstorbene bewirkte. Dieser Glaube war nämlich Gegenstand der meisten Kulte der chinesischen Volksreligion. May stellt seinen Lesern zwei solcher Kulte vor: So informiert er (M 236f.) darüber, daß Geisterbeschwörer und Geomanten damit befaßt waren, je nach dem Geldbeutel der Hinterbliebenen mehr oder weniger aufwendig einen geeigneten Begräbnisplatz für den Verstorbenen zu finden oder nach der Beerdigung - wenn die Hinterbliebenen glaubten, der Verstorbene würde böse Träume, Krankheit und Unglück bewirken - die Gründe für die falsche Grablage zu erforschen und eine neue, bessere zu suchen. Die Grundlage für Mays Ausführungen ist der oben zitierte Aufsatz Schultzes, in dem auf S. 204f. die klimatischen und geographischen Auswahlkriterien der Wahl des Grabplatzes angeführt werden. May benutzt diese Angaben zwar, doch zieht er durch das Beispiel von der klappernden Mühle, die den Toten stört, die Sache ins Lächerliche.

   Ein besonderer Fall war gegeben, wenn der Geist des Verstorbenen auch durch noch so große Bemühungen nicht zufriedenzustellen war: dann wurde er dadurch befriedet, daß man ihm versprach, ihm einen eigenen Kult einzurichten, d. h. man verschaffte ihm einen Platz unter den »Lokalgottheiten im Dorf- oder Stadttempel ( ... ) Mit dieser formalen und gültigen Einsetzung als orthonome Gottheit ( ... ) entgleitet das Geistwesen mit einer menschlichen Vorgeschichte der Zuständigkeit der ( ... ) Exorzisten. Sein menschliches und dämonisches Vorleben wird weitgehend tabuisiert, und schließlich erlischt auch seine Individualität in der großen Schar der Gottheiten«.75

   Der zweite Kult, den May vorstellt, ist das Kong-pit. Hierbei wurden Priester benutzt, Auskunft über das Gelingen von Plänen und Unternehmungen durch das Herbeizitieren und Befragen eines Geistes zu erlangen. May gestaltete eine ganze Episode seiner Erzählung daraus; er läßt seine abendländischen Helden Zeuge einer solchen Geisterbefragung werden (M 117 pass.). Auch hier zieht er den Vorgang ins Lächerliche, indem er nämlich den dicken Holländer, Mijnheer van Aardappelenbosch, im Dunkeln die Opfergaben vertilgen läßt. Es ist aber so, daß das Schreiben des ›magischen Pinsels‹ in »der Ch'ing-Zeit ( ... ) eine feststehende Methode (ist), Mitteilungen aus der anderen Welt zu erhalten. Der Vorgang ist dabei der, daß eine medial veranlagte Person (oder auch zwei Personen) ein Sieb oder einen Bogen, an dem ein Stäbchen befestigt ist, in ihren Händen über eine geglättete Sandfläche hält. Das Stäbchen beginnt nun, hastig in den Sand Bogen, Kreise und Linien zu zeichnen, die von einer zweiten Person, die mit einem Schieber


//165//

von Zeit zu Zeit den Sand wieder glättet, als Schriftzeichen gedeutet und laut angesagt werden. Eine dritte Person sitzt dabei und schreibt die Aussagen nieder. Das Aufgeschriebene wird von der sich mitteilenden Gottheit überwacht und jedes falsch gedeutete Zeichen sofort berichtigt. Das Herbeizitieren der Götter geschieht einfach durch Weihrauchabbrennen, Kotou (Kopfaufschlagen) und Anrufung. Die Mitteilungen haben oft dichterische Form und erfordern gute Kenntnis der chinesischen Schriftzeichen. Die von den Sekten damit betrauten Personen werden deshalb durch besonders eingehende Schulung auf ihre Aufgabe vorbereitet.«76

   Mays parteiliche Darstellung ist entschuldbar, da er in einer Jugendzeitschrift natürlich keinen Aberglauben propagieren konnte, außerdem weist er ausdrücklich an mehreren Stellen darauf hin, daß derartige Kulte und Praktiken von den gebildeten Chinesen und auch von einigen Priestern selbst als Mummenschanz und Aberglaube angesehen wurden, was ihn aber nicht hätte hindern sollen, etwas über die Hintergründe dieses Tuns zu schreiben. Ein Aspekt der Auseinandersetzung mit den Toten war nämlich in China bei allen - auch den Gebildeten - fester Bestandteil des Lebens: der  A h n e n k u l t .

   May erwähnt ihn kurz und benutzt (in der Knabenzeitschrift) die Information gleichzeitig pädagogisch: »Es ist eine der lobenswerten Eigenschaften des Chinesen, daß er seine Eltern in hohem Grade ehrt und den Verstorbenen eine nie ermüdende Pietät widmet.« (M 235) Den Ahnenkultus gab es in China schon seit dem 2. Jahrtausend vor der Zeitenwende. Er besteht darin,


»daß die Lebenden ihren Vorfahren einen Kult darbringen, zunächst in der Regel ihren leiblichen Vorfahren - doch kann sich auch zwischen Adoptivsohn und Adoptivvater ja sogar zwischen geistlichem Sohn und Vater eine analoge Beziehung bilden. Sinn des Ahnenkults ist es, das Wesen des Verstorbenen, seinen  s h e n ,  seine ›konstellierende Kraft‹ in der Gegenwart fortwirken zu lassen. Im Hinblick darauf soll sich ein förmlicher Dialog zwischen Verstorbenen und ihren Nachfahren entspinnen. Der  s h e n ,  das Wesen des Verstorbenen ist in seiner Ahnentafel (ein schlichtes Holzbrett, das nur den Namen des Verstorbenen trägt und am Hausaltar oder in der Hauskapelle seinen Platz hat) anwesend. An bestimmten Festen, vor allem an seinem Geburtstag, wird ihm ein Opfer bestehend aus Blumen, Kerzen und Weihrauch dargebracht. Durch solches Andenken wird das Wesen des Verstorbenen im Gedächtnis der Lebenden erneut belebt, seiner Auflösung, seinem Verblassen entgegengewirkt. Aber auch in eigener Sache verkehren die Lebenden mit den Ahnen. Sie ›melden‹ ihnen alle einschneidenden Ereignisse, wie etwa eine Berufung in ein Amt, eine empfangene Ehrung, eine Heirat, die Geburt von Nachkommen usw. Insoweit der Ahnenkult seinen Sinn in der bewußten und tätigen Fortzeugung von Persönlichkeitsinhalten hat, ist die rituelle Vorschrift verständlich, nach welcher er nur in


//166//

männlicher Linie gültig vollzogen werden kann. Die weiblichen Ahnen ebenso wie die weiblichen Angehörigen des Opfernden sind nur durch Vermittlung ihrer männlichen Partner am Kult beteiligt. Der chinesische Ahnenkult soll die Aussöhnung von Vergangenem und Werdendem bewirken, die stets nur in gegenwärtigen Taten zu vollziehen ist.«77



Der Konfuzianismus


Der Konfuzianismus war eigentlich eine Staatsdoktrin und eine ethische Lehre; daß er hier unter dem Stichwort Religion nochmals angeführt wird, hat seinen Grund darin, daß mit dem Konfuzianismus eine ganze Reihe von Kulten verbunden war, die religiösen Charakter hatten, so daß von einer »Ziviltheologie«78 geredet werden kann.

   »Die offiziell anerkannten Riten und Kultbräuche des Konfuzianismus umfaßten einerseits die Verehrung der Mächte der Natur, vor allem des Himmels und der Erde, durch die Obrigkeit, und andererseits die Verehrung der Geister der Verstorbenen.«79 Man kann drei Arten des Kultes unterscheiden: die vom Kaiser zu vollziehenden großen Opferzeremonien »für den Himmel, die Erde, die kaiserlichen Ahnen, die Götter der Felder und der Fruchtbarkeit sowie für Konfuzius. An zweiter Stelle kamen die Opfer für Sonne und Mond, für die Herrscher früherer Dynastien und für besonders verdiente Männer, für den Schutzgott des Ackerbaues und des Seidenbaues, für die Geister des Himmels (Geister des Donners, der Wolken, des Windes und des Regens), die irdischen Geister (Geister der heiligen Berge, Seen und Flüsse) sowie für den Planeten Jupiter ( ... ) Die kleineren Zeremonien, bei denen der Kaiser nur selten persönlich anwesend war, umfaßten unter anderem Opfer für den Gott des Feuers, den Kriegsgott, den Gott der Literatur, den Geist des T'ai-Berges, die Schutzgötter der Hauptstadt, sowie den Polarstern.«79

   Bei all diesen Riten war im wesentlichen nur der Vollzug wichtig. Es ging nicht ernsthaft um Inhalte (etwa Herbeibeten von Regen etc.), sondern um eine Staat, Obrigkeit und Volk verbindende Zeremonie die gleichzeitig tiefe Verbundenheit mit der jahrhundertealten Kultur zeigte und bezeugte. Es ging um die Demonstration, daß die vom Konfuzianismus geforderte Harmonie zwischen Kosmos und Mensch vom Staat geschaffen und bewahrt wird. In diesem Rahmen ist auch der Kult um Konfuzius selbst zu sehen, der seit dem Jahre 174 v. Chr.80 mit Opfern in Konfuziustempeln, die in jeder Präfektenstadt standen, bestand.

   Es taucht hier sicher die Frage auf, ob eine Lehre, die über ein Jahr-


//167//

tausend lang Millionen von Menschen eines großen und bedeutenden Kulturkreises gelenkt hat, nicht allzu knapp dargestellt wurde. Doch ist darauf zu verweisen, daß diese Arbeit überhaupt nur eine grobe Darstellung der wichtigsten Aspekte eines Themenkomplexes geben kann, daß der Konfuzianismus nur einen Teil des chinesischen Denkens repräsentiert und daß das dem Konfuzianismus zentrale Gebot der Ahnenverehrung schon vorab behandelt wurde - auch darauf, daß die konfuzianische Ethik- und Staatskonzeption schon im Kapitel ›Staat‹ Thema war.

   Bei Karl May finden wir über Konfuzius und den Konfuzianismus in religiöser Hinsicht keine Informationen. Lediglich der Staatskult um den Kriegsgott Kuang-ti wird nach HUC geschildert:


»Die Provinz thut sich auf ihren kriegerischen Geist viel zu gute und rühmt sich die Heimat jenes berühmten Generals zu sein, der zum Kriegsgott erhoben wurde. Dieser chinesische Mars ist  K u a n g t i ,  dessen Name im ganzen Reiche so populair ist. Er lebte im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, erfocht zahlreiche Siege, und wurde zuletzt sammt seinen Sohne Kuang ping getödtet. Die Chinesen erzählen von ihm viele Sagen; sie behaupten, er sei gar nicht gestorben, sondern zum Himmel gefahren und dort unter die Götter versetzt worden. Nun sei er Gott des Krieges. Die Mandschudynastie hat ihn bei ihrer Thronbesteigung feierlich zum Gott und zum Schutzgeist ihres Herrscherstammes erklärt; die Regierung ließ ihm in allen Provinzen Tempel bauen, in denen er allemal sitzend mit ruhiger aber stolzer Miene abgebildet ist. Sein Sohn Kuang ping steht ihm zur Linken, und ist vom Kopfe bis zum Fuße bewaffnet; zur Rechten steht sein getreuer Stallmeister, der sich auf ein breites Schwert stützt, seine dicken Augenbrauen runzelt, seine großen blutig unterlaufenen Augen weit aufreißt, und offenbar aller Welt Furcht und Schrecken einjagen will. Der Cultus dieses Kuang ti gehört zur amtlichen Staatsreligion; das Volk bekümmert sich so wenig um diesen Mars als um die buddhistischen Gottheiten. Aber die Beamten, und insbesondere die Militairmandarinen müssen an bestimmten Tagen den Kuang ti-Tempel besuchen, sich vor dem Bilde niederwerfen und Räucherstäbchen verbrennen. Die Dynastie welche ihn zum Gott und zum Beschützer des Reiches erklärt hat, duldet nicht, daß er von den Staatsdienern vernachlässigt oder gleichgiltig behandelt werde. Die Mandschu haben wohl, als sie diesen Cultus einführten, dabei politische Absichten verfolgt; er ist ihnen ein Mittel Einfluß auf die Soldaten zu üben, und sie haben auch deshalb die Sage verbreitet, daß Kuang ti in allen Kriegen welche die Dynastie seit ihrer Thronbesteigung geführt hat, sich leiblich habe blicken lassen. Zu verschiedenen Zeiten, namentlich während des Krieges gegen die Oelöten, und später gegen die Aufständischen in Thibet und Turkestan schwebte er in den Lüften, ermuthigte die Kaiserlichen und that dem Feinde viel Schaden. Der Sieg könne dem Kaiser niemals fehlen, da er einen so mächtigen Beschützer habe.« (HUC 128f., vgl. K 141)


Auch hier finden wir, daß May das religiöse Gut des fremden Kulturkreises verächtlich macht; wird doch der Skulpturengruppe des Gottes


//168//

in seinem Tempel von Turnerstick ein Schwert entrissen und zum Kampf gegen Piraten benutzt. Zwar ist der Tempel Unterschlupf einer Verbrecherbande, doch stammt diese diskriminierende Konzeption ja eben auch von May.



Der Taoismus


Man muß beim Taoismus unterscheiden zwischen dem philosophisch-kosmogonischen Hintergrund und der religiösen Ausgestaltung/Praxis. Grundbegriffe des kosmogonischen Hintergrundes sind TAO und YlN-YANG. Es wird angenommen,


»daß der Kosmos einen ständigen Zyklus von Entstehen, Bestehen und Vergehen durchläuft. Er entwickelt sich aus der Einheit zur Vielheit und kehrt dann am Ende wieder zur Einheit zurück. Am Anfang einer jeden Schöpfungsperiode ist nur eine ungeschiedene Einheit, das Tao als  T a i - d j i  (Allerhöchstes), vorhanden. Diese Einheit teilt sich in die beiden Urprinzipien Yang und Yin, und aus den mannigfaltigen Verbindungen dieser beiden geht dann alles hervor. Die Dauer einer Periode des Weltbestandes wird mit 129600 Jahren angegeben.  Y a n g  ist männlich, zeugend, bewegend, licht, warm,  Y i n  hingegen weiblich, empfangend, ruhig, dunkel, kalt. Das Yang wird auch als rund bezeichnet, weil der Himmel sich aus ihm bildete, das Yin hingegen als viereckig, weil die Erde aus ihm entstand. Die beiden sind zwar Gegensätze, arbeiten aber als notwendige Ergänzungen miteinander im Haushalt der Natur zusammen; aus ihrem Streiten und Sich-Ablösen erklärt sich der Wechsel der Jahreszeiten. Yang erreicht seinen Höhepunkt im Sommer, um dann im Herbst abzunehmen und im Winter Yin den Vorrang zu lassen, das dann im Frühjahr wieder seine Macht allmählich verliert, um sie an Yang abzugeben. Aus der Vereinigung der beiden Urkräfte gehen die ›fünf Elemente‹ hervor: Metall, Holz, Feuer, Wasser, Erde. Es sind dies  K r a f t s u b s t a n z e n ,  d. h. Wandelzustände der Materie, die in verschiedener Reihenfolge aufgeführt werden können, je nachdem sie auseinander hervorgehen oder einander zerstören. Diese fünf Elemente werden zu den mannifaltigsten Dingen in Beziehung gesetzt, denen sie entsprechen sollen (z. B. Sinne, Farben, Tages- und Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, Körperteile, Tiere, Feldfrüchte). Aus dem feurigen Yang entsteht der Himmel, aus dem feuchten Yin die Erde. Himmel und Erde bringen durch ihr Zusammenwirken alle Lebewesen und Pflanzen hervor. ( ... ) Der Himmel ist dann nur als eine Personifikation der kosmischen und sittlichen Weltordnung und eine geistige Macht gedacht, welche die Geschicke der Menschen lenkt.«81


Der philosophische Taoismus wird auf den Philosophen Laotse zurückgeführt, der 604 v. Chr. geboren sein soll. Er war der Sohn eines Bauern, arbeitete als Archivar eines Fürsten und zog sich dann aus ›Ekel‹ vor den Hof- und Staatsgeschäften in die Einsamkeit zurück, wo er sein berühmtes Buch ›Tao-te-king‹ schrieb. Der Name Laotse bedeutet


//169//

›der alte Meister‹; die Person des Denkers ist - wie die des Konfuzius - weitgehend legendenumrankt; über die historische Person ist nahezu nichts bekannt. Man vermutet sogar, daß auch das ›Tao-te-king‹ nicht allein seiner Feder entstammt, sondern Interpolationen anderer Autoren enthält. Tao-te-king heißt ›Pfad der Tugend‹; es handelt in 81 meist kleinen Sequenzen vom Tao und vom Te. Während der Begriff ›Te‹ einfach mit ›gutes Handeln‹, ›Tugend‹ übersetzt werden kann, ist die Frage, was ›Tao‹ sei, nicht so eindeutig zu beantworten:

   ›Tao‹ bedeutet ›Weg‹, ›Bahn‹; gemeint ist der Weg, die Bahn des Universums, in der Bedeutung Weltengang, gesetzmäßiger Weltenlauf, Weltordnung.82 Tao ist der Seinsgrund, aus dem alles einzelne heraus entstand, ist unbestimmbar und zeitlos. »Obgleich das Tao übermächtig alles Seiende hervorbringt, gibt es alles Seiende frei, als ob es nicht durch Tao, sondern ein jedes von sich selbst wäre, wie es ist ( ... ) Das Nichtzwingen der Wesen gelingt dem Tao dadurch, daß es sich vor ihnen zum Verschwinden bringt, als ob es gar nicht wirke und nie gewirkt hätte. Seine Weise ist ›erzeugen und nicht besitzen, tun und nichts darauf geben, großziehen und nicht beherrschen‹«.83 So wie das Tao wirkt und gleichzeitig nicht wirkt, soll auch der Mensch sein Leben leben: »›Der hohe Mensch beharrt im Tun des Nichttuns‹«.84 Dieses Nichthandeln wird wu-wei genannt, es ist nicht Passivität, Untätigkeit aus Faulheit oder Antriebslosigkeit, Phlegma, sondern meint ein Tun, das so getan wird, als würde nicht gehandelt: »Es ist ein Wirken, ohne Gewicht in die Werke zu legen.«85 Der Weise lebt in Einheit mit dem Tao, dadurch offenbart es sich ihm zugleich:


»Erkenntnis des Tao wird nicht von außen erworben; sie erwächst dem Inneren: ›Nicht ausgehend zur Tür, kennt man die Welt; ohne durch das Fenster zu sehen, schaue ich die Ordnung des Himmels. Je weiter man ausgeht, desto weniger erkennt man‹ ( ... ) Diese Formeln besagen: Nur der Tiefe des Menschen öffnet sich die Tiefe des Tao. Dem Vordergrund und der Verkehrung des Menschen, seinem Begehren und Sichselbstwollen, seinem Sichbespiegeln und Beanspruchen verschließt sich das Tao. Aber in des Menschen Tiefe ruht die Möglichkeit eines Mitwissens mit dem Ursprung. Ist die Tiefe verschüttet, gehen die Wogen des Daseins in der Welt darüber hin, als ob sie gar nicht wäre. Daher ist nur mit dem Erkennen des Tao die eigentliche Selbsterkenntnis möglich. ›Wer andere kennt, ist klug; wer sich selbst kennt, ist erleuchtet‹ ( ... ) Diese Selbsterkenntnis, die nichts zu tun hat mit der Selbstbespiegelung, nichts mit dem Sichselbstbesitzenwollen im Wissen von sich, ist das Wissen um das Selbstsein im Tao, das jenes falsche Selbstseinwollen durchschaut und zum Verschwinden bringt. Daher ist die Selbsterkenntnis negativ zu fassen: Wissen, daß man nichts weiß, ist das höchste. ( ... )‹«86


//170//

Der krasse Gegensatz zum Konfuzianismus ist deutlich: Der Taoist wendet sich vom Tun und der Gesellschaft ab und dem Einssein mit dem Tao zu; der Konfuzianer richtet seine Aufmerksamkeit den Regeln des rechten gesellschaftlichen Handelns zu. Für den Taoisten ist die Existenz von Tugenden Zeichen, daß das Tao verlassen wurde. »Diese [sc. Tugenden] sind der Ausdruck dessen, daß die Verlorenheit schon eingetreten ist. Sie sind Versuche einer Teilrettung. Denn erst wo der Mensch schon abgefallen ist, gibt es Pflichten.«87

   Diese tiefen Gedanken sind natürlich für das einfache Volk nicht ohne weiteres nachvollziehbar und auch nur sehr unvollkommen im praktischen Leben anwendbar. Die Lehre vom Tao ist eigentlich nur in klösterlichen Gemeinschaften konsequent umzusetzen. So hatte sich neben den zahlreichen Klöstern eine Kirche etabliert, mit einem Oberhaupt und einer Hierarchie.

   Die taoistische Religion, die in ihrer Praxis mit der taoistischen Philosophie nur noch sehr entfernt verbunden ist, ist ein Konglomerat aus »primitiven animistische(n) Vorstellungen, volkstümliche(m) Aberglaube(n) an magische Kräfte und ursprünglich schamanistische(n) Kultbräuche(n)«.88 Die Verbindung mit der Philosophie des Laotse besteht darin, daß natürlich auch in der Religion der Taoisten der Begriff des Tao eine bedeutsame Rolle spielt. Es wird geglaubt, daß der Weise, der sich ins Tao versenkt hat, damit Macht über das Tao erlangt hat, also Macht, den Weltlauf zu beeinflussen. Das gilt auf einer weniger hohen Ebene auch für den ›normalen‹ Gläubigen, der durch Atemübungen, Diäten und Gymnastik den Körper läutern und mit Hilfe bestimmter Meditationspraktiken Kontakt zu der Welt der Geister und Götter erhalten kann.

   Der Taoismus kennt eine sehr große Anzahl von Göttern; die höchsten Götter bilden eine Dreieinigkeit: »Zu dieser Dreieinigkeit gehören Der erste ursprüngliche himmlische Herrscher (Yüan-shih t'ientsun), der über die Vergangenheit herrscht; Der allerhöchste himmlische Herrscher der Jademajestät (T'ai-shang yü-huang t'ien-tsun), der über die Gegenwart herrscht, und schließlich Der himmlische Herrscher des Goldenen Tores und der Jade-Morgenröte (Chin-ch'üeh yüch'en t'ien-tsun), der über die Zukunft gebietet. Im allgemeinen Volksglauben umfaßt die Dreieinigkeit Laotzu, den Jadekaiser (Yü-huang shang-ti) und Den großen Anfang (T'ai-shih), der das Tao personifiziert.«89 Der Taoist glaubt, daß er bei nur genügend großer Bemühung das Ziel erreicht, in seinen Meditationen diesen höchsten Göttern von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen und damit Unsterblichkeit erlangt zu haben: »Mit der Unsterblichkeit erlangte er mirakulöse


//171//

Kräfte, mit deren Hilfe er die Natur bezwingen konnte. Mit Amuletten und Beschwörungen konnte er sterbliche Menschen vor den Kräften der Finsternis beschützen. Mit Hilfe seines Wissens über die Kräfte des Windes und Wassers vermochte er die geomantischen Gesetze zu deuten und konnte damit entscheiden, ob ein Ort zur Errichtung von Mauern, Häusern, Tempeln und Gräbern geeignet war. Mit Hilfe der Sterne stellte er Horoskope. Seine wunderwirkenden Gesundheitstränke und Elixiere beschützten die Leute und das Vieh gegen Seuchen und körperliche Nöte.«89a

   Dieser Glaube zeigt, wie weit sich die religiösen Vorstellungen von ihrem Ursprung, der Philosophie des Laotse, entfernt hatten: Es war nach Laotse doch Ziel des Weisen, möglichst wenig in das Tao, den Weltlauf einzugreifen. Den Priestern der Taoisten ging es aber gerade darum, den Weltlauf in ihrem Sinne und dem ihrer Gläubigen zu manipulieren.

   May erwähnt den Taoismus nicht; allerdings ist die vorab schon dargestellte Praxis der geomantischen Grablage-Suche als dem Gedankengut der taoistischen Religion zugehörig anzusehen.



Der Buddhismus


Der Buddhismus ist keine originär chinesische Religion; er kam kurz nach der Zeitenwende aus Indien nach China. Auch über diese Religion erfahren wir von May nichts Substantielles. Seine Informationen beschränken sich auf die Mitteilung der verschiedenen Bezeichnungen Buddhas und einer sehr knappen Bemerkung über dessen Historizität: »Buddha ist ein Wort aus dem Sanskrit und bedeutet eigentlich ›Weiser‹. Buddha mar [sic] ein berühmter Religionslehrer, lebte tausend Jahre vor Christus und hatte zum Vater Sudhodana, König von Mogadha, welches jetzt Behar heißt. Sein eigentlicher Name war Sramana Gautama; doch wurde er auch Sockja Muni genannt...« (K 153f.)90

   Bis auf die Zeitangabe - heute wird das Jahr 560 v. Chr. als wahrscheinliches Geburtsjahr Buddhas angegeben - sind diese Ausführungen korrekt. Gautama wurde fürstlich erzogen, begann dann als 29jähriger ein Leben als Asket, bis er nach Meditationsübungen ›erleuchtet‹ wurde. Danach wanderte er bis zu seinem 80. Lebensjahr lehrend umher.

   Im Buddhismus wird gelehrt, daß »alle Erscheinungsdinge Schein sind, flüchtige Zusammenballungen atomhafter Elemente oder Krafteinheiten (dharma), durch die nur der Bewußtseinsstrom hindurch-


//172//

fließt.«91 Das gilt auch für das menschliche Ich, das ebenfalls nur Schein ist, da auch es nur eine kurzfristige Vereinigung der fünf Skandhas (Daseinsfaktoren) »Körperlichkeit, Empfindung, Vorstellung, Gestaltung und Bewußtsein«91 ist, deren Zusammenhalt durch das Karma bewirkt wird, das Schwergewicht, »dessen Inhalt einer Zusammenballung von Handlungen aus der jetzigen und allen früheren Existenzen gleichkommt.«92a Das Karma ist gekennzeichnet vom Lebensdrang, von der Gier nach Lust. Gibt der Mensch diesem Drang nach, so wird das Karma verstärkt und aus dem Lebenwollen folgt das Lebenmüssen, und die Samsara (Seelenwanderung) wiederholt sich: das Elend des Lebens. Der Buddhist sieht den Sinn des Lebens darin, aus der Wiedergeburtenreihe herauszukommen, so daß er das Leid der Welt - denn für einen Buddhisten gibt es nur Leid in der Welt - nicht mehr erfährt. Durch Meditation, die die nötige Einsicht in das wahre (leidhafte) Wesen der Welt ermöglicht, gelangt er schließlich »ins Nirwana: ( ... ) ›Gleichwie ihr Mönche‹, sagt der Buddha, ›der große Ozean nur einen Geschmack hat, den des Salzes, so hat diese Lehre und Ordnung nur einen Geschmack, den der Erlösung.‹«93 Erlösung ist aber nicht im christlichen Sinne zu verstehen, sondern als Erlöschen der Lebensgier; als »Seelenruhe, als Zustand absoluter Unabhängigkeit von der Welt«.94

   Man unterscheidet im Buddhismus zwei Richtungen: Hinayana (kleines Fahrzeug) und Mahayana (großes Fahrzeug). Im Hinayana ist die Erlösung Sache des einzelnen; jeder muß für sich den schweren Weg gehen, den Buddha gegangen ist. Der Mahayana-Buddhismus denkt sich viele Buddhas und Bodhisattvas (buddhaähnliche Idealwesen), »die aus Mitleid mit den Menschen auf das Nirwana ( ... ) verzichtet haben, um möglichst vielen Menschen auf dem Ozean des Leides«95 Erlösung durch ihre Mithilfe (im Bilde: durch das Mitfahrenlassen im großen Fahrzeug) zu ermöglichen. Diese Form des Buddhismus war die in China verbreitetste. Hinayana ist die ursprüngliche, reine Lehre. Der Mahayana, gewissermaßen die Fassung für den Normalbürger, steht in vielen Aspekten der ursprünglichen Lehre konträr gegenüber, so ist im Hinayana zentrales Moment, daß ein Gebet zu Göttern oder Buddhas sinnlos und widersinnig ist, da die Lehre »ein hochmeditatives System der Selbstentwerdung«95a ist. Mahayana, gerade auch in China mit einheimischen Religionen und Traditionen stark verschmolzen, ist eine Religion mit Zeremonien, Tempeln und Priestern. Mit einem buddhistischen Priester macht uns May bekannt. Im ›Kiang-lu‹ besichtigt Old Shatterhand eine buddhistische Pagode und läßt sich auf einen musikalischen Wettstreit mit dem überheb-


//173//

lichen Priester ein, den der Deutsche mit großem Erfolg gewinnt. Über den Priester erfährt der Leser nur Negatives: Der Bonze war - eben ein Bonze, und damit ist alles gesagt. Seine ganze Bildung bestand in der Kenntnis der rein mechanischen Opfergebräuche, und ich fühlte die Meinung bestätigt, welche ich mir vorhin über ihn gebildet hatte, als er die beiden Nebengötter für Phu-sa und O-mi-to erklärte. Er kannte nicht einmal die richtigen Namen der Figuren, welche er anbetete. Die Bonzen sind im allgemeinen höchst unwissende Menschen; sie leben teils von der Mildthätigkeit anderer und teils von den Gaben, welche sie erhalten, um die Sünden anderer auf sich zu nehmen und durch ein frommes Leben abzubüßen. Da sie jedoch im Cölibate leben, sind sie kinderlos, kaufen sich aber gewöhnlich ein Kind, einen Sohn armer Eltern, den sie sich zum Nachfolger erziehen, indem sie ihm die wenigen Handgriffe und die kurzen Gebete lehren, die ihr ganzes Können und Wissen ausmachen. (K 154f)96

   May hat diese Passage in weiten Teilen wörtlich (HUC 257) entnommen. In einer anderen Erzählung, die am Rande in China spielt, in ›Der Brodnik‹,97 hat der deutsche Held es mit buddhistischen Mönchen zu tun, die sehr angetan sind von seinen missionarischen Bemühungen und ihn um Bibelsprüche bitten.98 In dieser Erzählung beschreibt May (S. 370) die für christliche Vorstellungen absurde Praxis des Aufstellens von Gebetsmühlen, dabei eine Stelle aus dem anderen Reisebericht Huc und Gabets: ›Wanderungen durch die Mongolei nach Thibet zur Hauptstadt des Tale Lama‹ (siehe Kapitel O) wörtlich benutzend:


»Solch eine Mühle heißt  T s c h ü  K o r ,  d.h. ein Gebet das sich dreht. Dergleichen Tschü Kor findet man an den Ufern der Bäche und Flüsse in großer Menge, und sie beten dann, vom Wasser in Bewegung gesetzt, Tag und Nacht, zu Gunsten dessen der sie errichtete. Auch auf dem Heerd werden dergleichen angebracht; sie sind in Bewegung um der ganzen Familie Glück zu bringen. Die Buddhisten haben auch ein sehr bequemes Mittel ersonnen um ihre Wallfahrten und überhaupt ihre Andachtsgebräuche zu vereinfachen. In großen Klosterstädten, werden an verschiedenen Stellen große Fässer aufgestellt, die sich um eine Achse drehen. Sie sind aus starker Pappe verfertigt, und enthalten eine unzählige Menge aneinander geleimter Papierbogen, auf welchen in thibetanischen Schriftzeichen die am Ort und in der Umgegend beliebtesten Gebete geschrieben stehen. Wer nun seine Schultern nicht mit einem schweren Pack von Gebetbüchern belasten, oder nicht nach jedem Schritte sich zur Erde werfen und bei Hitze oder Kälte um ein Kloster pilgern, aber doch fromm sein will, der läßt solch eine Tonne voll Gebete in Bewegung setzen, oder dreht sie selbst. Sie bleibt vermöge einer eigenthümlichen Vorkehrung sehr lange in Bewegung, wenn einmal der Anstoß gegeben worden ist, und während die Maschine für den Frommen betet, kann dieser ganz gemächlich essen, trinken oder schlafen.«99


//174//

Der Islam


Der Islam, der im politischen Leben Chinas eine nicht unwesentliche Rolle spielte (siehe Kapitel 1.2.) soll hier nicht näher besprochen werden, da die Anhänger dieser Religion zu den Minderheiten in China zählten und die Religion selbst nicht wie die drei besprochenen Religionen in die chinesische Religionswelt integriert war. Moslems kommen in Mays ›Methusalem‹ vor, spielen aber keine große Rolle. Auffallend ist, daß May die Angehörigen dieser Religion hier - im Gegensatz zu anderen Werken - ausschließlich positiv darstellt, was wohl auf seine Eigenart, für Angehörige unterdrückter und verfolgter Minderheiten stets Partei zu ergreifen, zurückzuführen ist.



Zusammenfassung


Die zu Anfang dieser Arbeit geäußerte Vermutung, daß man für eine Beurteilung der Darstellungsweise fremder Länder und Völker durch Karl May genau auf die mitgeteilten Details achten müsse, hat sich für den Bereich der religiösen Thematik in besonderer Weise bewahrheitet. Denn gerade bei diesem Thema steckt - im wahrsten Sinne des Wortes - der Teufel im Detail. Es zeigte sich, daß May bei der Einarbeitung von religiösem Hintergrund in seine Chinatexte, im Detail zwar durchaus korrekte Angaben macht, daß aber seine Auswahl und die besondere Art der Integration in das Erzählgeschehen insgesamt außerordentlich diskriminierend ist: Das Bild, das er vom chinesischen Religionsleben zeichnet, ist das Bild einer aus tiefstem Aberglauben, aus Korruption, Dummheit und allgemeiner Gleichgültigkeit zusammengesetzten Unkultur. Das liegt sicher mit daran, daß Mays Gewährsmann Huc als christlicher Missionar keineswegs objektiv über die chinesischen Religionen berichtete; es ist sicher auch nicht zweifelhaft, daß die geschilderten Praktiken und Zustände im damaligen desolaten China durchaus zu einem großen Teil der Realität entsprachen, und das liegt auch daran, daß eben diese Realität von einem überzeugten und aufgeklärten Christen, wie Karl May einer war, nur als Panoptikum angesehen werden konnte. Doch muß man ihm vorwerfen, sich nicht näher mit der Materie befaßt zu haben. Daß die Praxis desolat war, ist nicht zu bestreiten, doch geht May eben auch nirgends auf die Theorie ein. Wenn er der religiösen Thematik schon einen so gewichtigen Raum in seinen Chinaerzählungen einräumt - der Mittelteil des ›Kiang-lu‹ spielt um und in einer Pagode; im ›Methusalem‹ sind Tem-


//175//

pelepisode und Götterraub nach dem Piratencoup das wichtigste Abenteuer -, dann hätte er auf die großen Ideen der bedeutenden Religionsstifter und Philosophen Laotse, Konfuzius und Buddha in groben Zügen eingehen müssen. Das umso mehr, als er gerade im ›Methusalem‹ die Pflicht zu einer soliden Information seiner jugendlichen Leser hatte. Die zu Beginn dieses Kapitels angemerkte Abstinenz Mays hinsichtlich einer besonderen Hervorhebung des Christentums ist also zu relativieren. In den frühen Chinatexten wird indirekt missioniert, indem nämlich die chinesische Religionskultur als für Europäer völlig unakzeptabler Mummenschanz dargestellt wird.


38 Im ersten Teil dieser Arbeit (im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1988) wurde der historische Hintergrund der China-Erzählungen Mays behandelt. Zitiert wird mit den Siglen K und M nach:

Karl May: Der Kiang-lu. In: Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. Xl: Am Stillen Ocean. Freiburg 1893, S. 67-318

Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 2: Kong-Kheou, das Ehrenwort. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987. Das Sigle ›M‹ bezieht sich auf den bekannteren Titel ›Der blau-rote Methusalem‹.

39 China-Handbuch. Hrsg. von Wolfgang Franke/Brunhild Staiger. Düsseldorf 1974,

40 Karl May behauptet, der Kaiser müsse vor jedem Todesurteil drei Tage lang fasten (K 223). Bei der großen Bevölkerungszahl wäre das gar nicht praktizierbar. May unterschlägt, daß alle Hinrichtungen nur an einem einzigen Tag im Jahr stattfanden.

41 China-Handbuch, wie Anm. 39, Sp. 599

42 Mays Hauptquellen für die China-Erzählungen (siehe Jb-KMG 1988. S. 324f.) sind:

Évariste-Régis Huc/Joseph Gabet: Wanderungen durch das Chinesische Reich. In deutscher Bearbeitung herausgegeben von Karl Andree. Leipzig 1865;

Wilhelm Heine: Reise um die Erde nach Japan an Bord der Expeditions-Escadre unter Commodore M. C. Perry in den Jahren 1853, 1854 und 1855, unternommen im Auffrag der Regierung der Vereinigten Staaten. Leipzig 1856.

Sigle für das erste Werk: HUC; für das zweite HEINE

43 Als Namen des Helden Old Shatterhand anzusetzen ist insofern legitim, als ausdrücklich erwähnt wird, daß dieser »sich auch in China aufgehalten hatte«: Karl May: Der schwarze Mustang. Stuttgart 1899, S. 88.

44 Konfuzius ist eine latinisierte Form des Namens.

45 Siehe hierzu das Kapitel ›Literatur‹.

46 China-Handbuch, wie Anm. 39, Sp 657

47 Auf den Konfuzianismus wird im Kapitel ›Religion‹ nochmals eingegangen.

48 Der im Mayschen Spätwerk so wichtige Begriff ›Edelmensch‹ drückt dasselbe aus.

49 Meister Kung sprach. Aus den ›Gesprächen‹ des Konfuzius. Übertragen von Ernst Schwarz. Wien-Freiburg-Basel 1985, S. 48

50 Manfred Porkert: China - Konstanten im Wandel. Stuttgart 1978, S. 38

51 Aus ›Westinschrift‹ von Chang Tsai (1021 - 77), zitiert nach Wolfgang Bauer: China und die Hoffnung auf Glück. München 1971, S. 293

52 Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. Joachim Ritter/Karlfried Gründer. Bd. 4 (I-K). Darmstadt 1976, Sp. 959

53 China-Handbuch, wie Anm. 39, Sp. 1072

54 Ebd., Sp. 1073

55 Ebd., Sp. 1074


//176//

56 Die ebenfalls unter diesen Oberbegriff gebörenden Themen ›Familie‹ und ›Geschlechterrolle‹ werden in späteren Kapiteln abgehandelt.

57 China-Handbuch, wie Anm. 39, Sp. 1257

58 Zum Themenkreis ›Militär‹ siehe Kapitel 1.2.

59 May entnahm diese Information dem Brockhaus Conversations-Lexikon. Bd. IV. Leipzig 131883, S. 279.

60 China-Handbuch, wie Anm. 39, Sp. 1257

61 Ebd., Sp. 57

62 Ebd., Sp. 119

63 Dies ist auch die Version, die May in seinem ›Brockhaus‹ (vgl. Anm. 59) fand.

64 F. Hirth: Über das Beamtenwesen in China. In: Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Bd. IX (Jan.-Dez. 1882). Berlin 1882, S. 37-51 (46f.)

65 Vgl. K 249 (Religion), K 258 (Essen), K 279 (Bibliothek, Garten), M 242f. (Wohnkultur), M 415f. (Essen).

66 Brockhaus, wie Anm. 59, Sp. 280

67 China-Handbuch, wie Anm. 39, Sp. 610

68 Ebd., Sp. 612

69 K 296f., 305

70 China-Handbuch, wie Anm. 39, Sp. 1121

71 Ebd., Sp. 1123

72 Ins Christentum haben sich solche Vorstellungen auch eingeschlichen, man denke an die katholischen Heiligen und ihre ›Zuständigkeiten‹: Hubertus und die Jagd, Barbara und die Bergleute, Florian für Feuer- und Wassergefahren.

73 Schultze: Totenverehrung in China. In: Aus allen Weltteilen. 18. Jg. (1887), S. 203; Schultze war Missionar in Tschongtschun.

74 Vgl. Porkert, wie Anm. 50, S. 75.

75 Ebd., S. 76

76 Werner Eichhorn: Die Religionen Chinas. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1973, S. 371. Die Quelle fur Mays Kenntnis dieser Zeremonie ist nicht bekannt. Möglicherweise gestaltete er sie nach den vagen Angaben des Aufsatzes von E. Metzger: Zauber und Zauberjungen bei den Chinesen. In: Globus. Bd. 42 (1882), S. 121: »dann fassen beide einen in der Mitte zusammengebundenen Pfirsich- oder Weidenzweig, jeder an einem Ende, und laufen damit durch die Straßen, wie von einer höhern Macht getrieben, hin und her. Endlich kehren sie an das Krankenbett zurück, wo unterdessen ein Tisch, dessen Platte mit feinem Sande oder ähnlichen Stoffen bestreut ist, bereit gestellt wurde. Nun wird das gebogene Ende dem Sande genähert und fängt da an allerlei merkwürdige Zeichen niederzuschreiben, aus denen durch die Eingeweihten der Name der Krankheit und der Medicin entziffert wird.« Eichhorns Darstellung wurde zitiert, da sie zeigt, daß May hier auch im Detail genau informiert.

77 Porkert, wie Anm. 50, S. 73

78 China-Handbuch, wie Anm. 39, Sp. 656

79 Göran Malmquist: Die Religionen Chinas. In: Handbuch der Religionsgeschichte. Hrsg. Jes Peter Asmussen/Jørgen Læssøe. Bd. 3. Göttingen 1975, S. 25

80 Datum nach Helmuth v. Glasenapp: Die nichtchristlichen Religionen. Frankfurt a. M. 1957, S. 110

81 Ebd., S. 99f.

82 Man kann etwa an den Sinn des Wortes ›Weg‹ im Christus-Wort »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben« (Joh. 14,6) denken.

83 Karl Jaspers: Die großen Philosophen. Bd. 1. München 1959, S. 903; Binnenzitat: Tao-te-king. Kapitel 51

84 Ebd., S. 907, Binnenzitat: Tao-te-king. Kapitel 2

85 Ebd., S. 907

86 Ebd., S. 910f., Binnenzitate: Tao-te-king. Kapitel 47, 33, 71

87 Ebd., S. 913

88 Malmquist, wie Anm. 79, S. 32

89 Ebd., S.35

89a Ebd.


//177//

90 Vgl. HUC 248f.: »Die Chinesen nennen ihn  R e l i g i o n  d e s  F o .  Das Wort  F o  ist eine unvollständige Transscription des Namens  B u d d h a .  Dieser Letztere ist ein sehr alter Geschlechtsname, der im Sanscrit eine doppelte Wurzel hat. Die eine bedeutet Sein, Existieren die andere bedeutet Weisheit, höchste Intelligenz. ( ... ) Den übereinstimmenden Bericht indischer, chinesischer, thibetanischer, mongolischer und cingalesischer Bucher zufolge fällt Buddha's Geburt etwa 960 Jahre vor Christus. Die Legende erzählt Folgendes. Sutadanna, Oberhaupt des Hauses, der Familie Schakia, aus der Kaste der Brahmanen, herrschte in Indien über das mächtige Reich Magadha im südlichen Bahar; die Hauptstadt war Kaberschara.«

91 Hans-Joachim Schoeps: Die großen Religionsstifter und ihre Lehren. Darmstadt u. a. 1954, S. 205

92 Ebd., S. 204

92a Ebd., S. 205

93 Ebd., S. 207

94 Ebd., S. 208, auf den Seiten 246-253 informiert HUC über den Buddhismus, wenn er auch den größten Teil seiner Ausführungen den Legenden um die Person Buddhas widmet, so geht Huc doch auch auf die Lehre Buddhas ein, May nutzt diese Informationen nicht; die Lehre Buddhas ist ihm keine Zeile wert.

95 Ebd., S. 196

95a Ebd.

96 Chinesische Priester werden von May durchgehend diskriminierend geschildert: so ist der Priester auf der Raubdschunke im ›Methusalem‹ Komplize der Verbrecher, wie auch der im ›Kiang-lu‹ dargestellte Bonze; ein Priester läßt sich durch eine Zigarette von seinem berechtigten Zorn über die Anwesenheit der ›Barbaren‹ bei einem Leichenzug ablenken (K 239f.), und im ›Methusalem‹ gerät die Episode um das Glasauge Turnersticks während der Tempelentweihung zu einer Farce auf Kosten der geschädigten Priesterschaft (M 353ff.).

97 Karl May: Der Brodnik. In: Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. Xl: Am Stillen Ocean. Freiburg 1893, S. 321-382

98 Ebd., S. 372f.

99 Évariste-Régis Huc/Joseph Gabet: Wanderungen durch die Mongolei nach Thibet zur Hauptstadt des Tale Lama. Leipzig 1855, S. 149





Inhaltsverzeichnis


Alle Jahrbücher


Titelseite KMG

Impressum Datenschutz