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WOLFGANG HAMMER

Die Rache und ihre Überwindung
als Zentralmotiv bei Karl May*



Ich fordere aber, daß der, welcher mich kritisiert, mich nicht nur gelesen, sondern studiert hat, und zwar von der ersten bis zur letzten meiner Arbeiten, die so organisch zusammenhängen, daß sie nur im Ganzen zu beurteilen sind, heißt es 1899 in der ›Tremonia‹.(1) Dieser in gewissen Grenzen sicher berechtigten Forderung Mays ist bisher kaum entsprochen worden.(2) Die Folge war bekanntlich, daß man jede Entwicklung seiner Charaktere überhaupt leugnete. Wie aber, wenn sie sich weniger innerhalb des einzelnen Werks als vielmehr von einem Werk zum anderen ereignet hätte? Für den Übergang zum Spätwerk wird so etwas anerkannt;(3) wäre da nicht auch für die frühere Zeit etwas Ähnliches zu vermuten? Dieser Frage wollen wir einmal nachgehen.

   Naturgemäß müssen wir uns dabei im Rahmen dieses Vortrags auf ein einziges Gebiet beschränken, aber auf eins, das eine beherrschende Rolle bei May spielt: die Rache und ihre Bewältigung, eine für ihn lebenswichtige Frage.

   Bei der Vorbereitung der Predigt zum ökumenischen Gottesdienst unserer Tagung 1991 stieß ich hierauf und habe mich seitdem damit beschäftigt. In ›Mein Leben und Streben‹ schreibt May: Die Hauptsache war, daß ich mich rächen sollte, rächen an dem Eigentümer jener Uhr, der mich angezeigt hatte, nur um mich aus seiner Wohnung loszuwerden, rächen an der Polizei, rächen an dem Richter, rächen am Staate, an der Menschheit, überhaupt an jedermann!(4) Diese Ausführungen Mays sind bekannt; doch zeigt die etwas spöttische Bemerkung eines Kritikers, seine Rache sei nicht eben fürchterlich gewesen, daß seine Erklärung in ›Meine Beichte‹ von 1908 nicht verstanden wurde:

. . . wahnsinnige Erwägungen entstanden . . . Ich sann auf Rache, und zwar auf eine fürchterliche Rache, auf etwas noch niemals Dagewesenes. . . . Diese Rache sollte darin bestehen, daß ich . . . nun wirklich auch Verbrechen beging.(5) Nach meiner Ansicht hatte man mich dann auf dem Gewissen, und am jüngsten Tage war Gott dann gezwungen, die ganze verruchte Schwefelbande . . . in die Hölle zu schleudern. . . . Das Phantom . . . raunte mir immerwährend zu: »Ewige Verdammnis für die Schurken, die dich angeklagt . . . und zum Verbrecher gemacht haben! So sei also einer! Und je zahlreicher und größer nun Deine Verbrechen sind, um so größer ist denn auch die ewige Strafe für sie!«(6)

* Erweiterte Fassung des Vortrags, gehalten am 17. 10. 1993 auf der 12. Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Dresden.


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Diese fürchterlichen Worte(7) bedeuten eine Pervertierung des christlichen Glaubens, die ihresgleichen sucht! Ihre Grundlage ist der Glaube an Gottes Gerechtigkeit, der jeden einst genauso strafen werde, wie er gesündigt hatte,(8) also auch die an Mays Untergang Schuldigen. Um dessen aber sicher zu sein, mußte er selbst wirklich untergehen, d. h. jede Gelegenheit zur Rettung ausschlagen,(9) um so Leben und Seligkeit zu opfern für den Untergang seiner Feinde – also genau umgekehrt, wie Jesus gehandelt hatte! Oder, anders ausgedrückt: seine Seele verlieren.

   War das ein vorübergehender Einfall, oder läßt es sich auch anderswo greifen? – Schon von seiner Großmutter will May das Märchen »von der verloren gegangenen und vergessenen Menschenseele« gehört haben mit dem Kommentar: »Du bist diese Seele, du!« (LuS 30f.) Im ›‘Mir von Dschinnistan‹ liest man auf der Insel des Dschirbani den Spruch: »Nur ein Einziger weigerte sich, Seele zu werden! . . . Das ist der Teufel!«(10) In seinem Buche steht der Satz: »Werde Mensch; du bist noch keiner!« (Mir 404) Kommt das nicht auf dasselbe hinaus, auch wenn es nun gewählter ausgedrückt ist?

   Zweifellos sah May also in der Überwindung jenes von anderen veranlaßten Strebens nach einer jedes Maß übersteigenden Rache Aufgabe und Ziel seines Lebens und Wirkens. Je tiefer ihn die Versuchung getroffen hatte, desto heftiger mußte er ringen; und jedesmal, wenn er neuen Grund zur Rache bekam, mußte der Kampf neu entbrennen – bis zum endgültigen Siege.

   Aber was ist Rache denn eigentlich? – Da sie in unserer Umwelt nicht mehr zu den anerkannten Einrichtungen gehört, müssen wir um eine sorgfältige Definition bemüht sein. Wir finden nähere Angaben in der Bibel,(11) die May ja schon als Schüler dreimal ganz durchgelesen und im Seminar durchgenommen hatte.(12) In einer vorstaatlichen Gesellschaft diente die Rache, zumal die Blutrache, dem Schutze vor allem des Lebens – aber auch des Eigentums und Ansehens – vor Angriffen von außerhalb der Gruppe, zu der der einzelne gehörte. Sie war nicht Ermessenssache, sondern gottgewollte Pflicht und oblag zuerst den Söhnen des Betroffenen, dann seinen weiteren Blutsverwandten und schließlich der ganzen Gruppe. Sobald es sich ums Leben handelte, durfte sie nicht durch Zahlungen abgegolten werden – ein Punkt, den der Islam milderte –: Der Rächer selbst mußte das Blut des Schuldigen vergießen. Einem Gliede der eigenen Gruppe gegenüber trat die Ächtung dafür ein: Der Schuldige wurde ausgestoßen und vogelfrei. War so die Rache als wirksame Abschreckung gedacht, dann mußte sie doch von schrecklichen Folgen sein, sobald eine Gruppe das Recht dazu an einem ihrer Glieder nicht anerkannte: Das Blutvergießen konnte sich bis ins Unendliche fortsetzen.(13)

   Hier trat nun zuerst die Religion ein: Bei ungewolltem Blutver-


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gießen, z. B. infolge eines Unglücks, bot jedes Heiligtum Asyl vor dem Bluträcher. Im Alten Testament wurden dafür nach der Beschränkung auf nur einen Tempel besondere Asylstädte eingerichtet, d. h. an die Stelle der objektiven Schuld trat die subjektive; nicht mehr das vergossene Blut als solches mußte gerächt werden, sondern nur noch das absichtlich und unberechtigt vergossene. Auch Gott ist in dies Geschehen mit einbezogen: Israel ist sein Volk, ja sein erstgeborener Sohn,(14) den er an den Feinden zu rächen hat. Das ist zuerst positiv zu verstehen: Auch ein so kleines Volk ist nicht den Weltmächten schutzlos preisgegeben; solange es sich nicht schuldhaft von seinem Gott abwendet, nimmt dieser es in Schutz. Es konnte ja keine für Gott und sein Volk zugleich andern gegenüber geltende Obrigkeit geben, die objektiv hätte entscheiden können; also mußte er subjektiv eingreifen, und das hieß eben: rächen!

   Das auch von May mehrfach zitierte Wort aus dem Deuteronomium (32,35): »Mein ist die Rache, ich will vergelten«,(15) bedeutet also ursprünglich keinesfalls die Aufhebung der von Menschen durchzuführenden Rache, sondern ihre Übernahme durch Gott selbst. Erst Paulus hat ihm im Römerbrief (12,19) den Sinn gegeben, daß man sich nicht selbst rächen solle, da Gott sich das vorbehalte. Damit ist wieder ein ausdrückliches Gebot des Alten Testaments für den Christen ins Gegenteil verwandelt: In Gottes Hand wird die Rache zur gerechten, endgültigen Strafe, also ihres ursprünglichen Charakters entkleidet, und schließlich dadurch, daß Christus auch die Strafe auf sich nimmt, endgültig überwunden. Aber bis sich das in Mays Werken ereignet, ist ein weiter Weg zurückzulegen . . .

   Alles bisher Gesagte zeigt, daß sich die Rache als überlieferte Einrichtung deutlich von andern Arten des Tötens unterscheidet:(16)

1. Sie ist kein Mord, da sie sich nicht gegen irgendwen, sondern nur gegen unmittelbar oder mittelbar Blutschuldige richtet.

2. Sie ist keine  L y n c h j u s t i z,(17) da diese darin besteht, unberechtigt einer verdächtigten Person auf ungesetzliche Weise eine Strafe, besonders den Tod, aufzuerlegen.(18)

3. Sie ist auch keine Vorform gerichtlicher Strafverfolgung,(19) sondern steht vielmehr dazu im Gegensatz, da sie einzelnen bzw. Sippen das Blutgericht überträgt, das in fortgeschrittenen Zivilisationen der Staat sich vorbehält. Jeder Versuch, es auch dann noch auszuüben, schließt einen Akt des Widerstandes gegen den Staat in sich und macht strafbar, wie Gerstäcker das mehrfach sagt.(20)

Gleichwohl ist sie eine uralte, dem Recht, vor allem dem Schutze des Lebens dienende Einrichtung, ob geschrieben überliefert oder nicht.   Es ergibt sich zwangsläufig, daß eine sinngemäße Ausübung der Rache nur dort erfolgen konnte, wo sie mangels genügender staatlicher Ord-


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nung noch erforderlich war. Will man Mays Straftaten nach seiner ersten, ungerechten Bestrafung als Rache bezeichnen, dann mußten sie früher oder später an der herrschenden Gewalt scheitern, da sie ja niemals imstande gewesen wären, sie umzustürzen.(21)

   Doch auch ihre literarische Bewältigung konnte deshalb nicht in der Heimat spielen; der Fürst des Elends(22) z. B. verfolgt seine Feinde in Zusammenarbeit mit den Behörden. Wurde sie aber notgedrungen ins Ausland verlegt, so bot sich eine Gegend an, in der sich noch keine staatliche Ordnung durchgesetzt hatte oder wo sie zeitweilig aufgehoben war, etwa durch Krieg oder Revolution. Das gilt im Frühwerk für den im spanischen Bürgerkrieg spielenden ›Gitano‹(23) und vor allem für die Wildwesterzählungen.

   Für die arabische Welt aber, Mays zweiten Hauptschauplatz, war die Blutrache fast unverändert in Geltung; eine staatliche Gewalt hatte sich gegen sie noch nicht durchsetzen können. Daraus ergibt sich übrigens ein einleuchtender Grund für den öfter angemerkten Unterschied zwischen der Handlung und Haltung auf dem einen oder andern Schauplatz: Im Westen verstießen weiße Rächer gegen überkommenes Recht und Glauben; im Orient dagegen blieben die Moslems deren Regeln getreu. Dementsprechend mußte auch ein Umdenken für sie mit einer religiösen Bekehrung zusammenfallen. Denn nur der Christ hatte mit seiner von May oft genug betonten Verpflichtung zur Nächsten-, ja Feindesliebe zugleich auf jede Art von Rache zu verzichten. Das aber läßt uns fragen: May wollte doch gläubiger Christ sein; wie erklärt es sich dann, daß er viele Jahre brauchte, um mit der literarischen Bewältigung der Rache zurechtzukommen? Nahm er nicht gerade jetzt erst an manchem Menschen Rache, wie z. B. an seinem »frommen Seminardirektor« Schütze?(24)

   Ein erster Grund ist zweifellos, daß er seine Leser daran teilnehmen lassen wollte: In immer neuen Aspekten wird die Verderblichkeit der Rache, aber auch die einzige Möglichkeit ihrer Überwindung dargestellt, damit möglichst viele mit zu diesem Ziele gelangen. Doch zweitens hatte sein Rachebedürfnis, wie die anfangs erwähnten Stellen zeigen, offenbar so tiefe Wurzeln geschlagen, daß neu erlittenes Unrecht es wieder aufflammen lassen konnte und ein neuer Sieg darüber erkämpft werden mußte. Schließlich aber bleibt auch für den überzeugten Christen die Frage nach dem Warum offen: sich blindlings führen zu lassen, ohne im Verständnis zu wachsen,(25) ist keineswegs das christliche Ideal! Die Antwort ergibt sich jedoch erst, wenn man zurückblickend ein gutes Stück Weges überschauen kann; vorher sind nur Teillösungen möglich.

   Folgen wir May auf diesem Wege, auch wenn wir uns aus Zeitgründen zumeist auf Nordamerika beschränken müssen!(26)


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I. Ungestörte Entwicklung 1874-82

Die erste Wildwesterzählung dürfte ›Der Oelprinz‹ sein.(27) Sie wirkt in allen Hauptzügen wie eine Illustration zu Römer 12,18-20:

a) Der Ich-Held versucht zwischen dem Ölprinzen und Sam Hawkens Frieden zu stiften: »Soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.« (Röm 12,18)

b) Zurückgewiesen, greift er zur Selbsthilfe, die im Dunkel der Nacht zu Blutvergießen führen müßte: »Rächet euch selber nicht, meine Liebsten!« (Röm 12,19)

c) Höhere Gewalt, die Entzündung des Öls, verhindert das, läßt aber auch die Westmänner kaum entrinnen: »sondern gebt Raum dem Zorn; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein (. . .)« (Röm 12,19)

d) Dabei retten sie ein Mädchen(28) und später den Ölprinzen, der ohne sie, fern jeder Ansiedlung, umkommen müßte: »So nun deinen Feind hungert, so speise ihn (. . .) Überwinde das Böse mit Gutem!« (Röm 12,20f.)

Nicht nur die einzelnen Motive, sondern auch die Grundzüge dieser Erzählung finden sich immer wieder. Ihr Anliegen ist offenbar, unauffällig das ihr zugrundeliegende Bibelwort einzuschärfen. Das aber mußte weit mehr den Verfasser treffen(29) als die Leser, die ja keinerlei Hinweis darauf erhielten! Wir sehen also: die Rettung betrifft alle. Doch darüber später mehr. –

   Wichtig ist hier ferner der Schauplatz: Die Helden kommen aus der Wildnis und wissen sich berechtigt, deren Gesetze zu befolgen, solange sie im Sattel sitzen, auch wenn sie mit dem Öltal ein Stückchen Zivilisation betreten haben, in dem der Ölprinz uneingeschränkt herrschen und seinen Willen notfalls mit Gewalt durchsetzen will. Die durch den Ölbrand verhinderte Auseinandersetzung wäre also zugleich eine zwischen diesen beiden Welten gewesen und hätte sich gegen den Versuch des einzelnen gerichtet, sich selbst zu helfen. Und dabei handelt es sich hier um Weiße! –

   Der ›Inn-nu-woh‹(30) von 1875 ersetzt den Ölbrand durch eine freigekommene Tigerin, verfolgt sonst aber dasselbe Ziel. Nur handelt hier nicht der Ich-Held, sondern ein Indianer: Offenbar hat May jetzt ihn als Vorbild hinstellen wollen. Der Held in ›Oelprinz‹ wollte zwar auch als echte(r) und rechte(r) Westmann (Oelprinz 159) gelten, kam von monatelange(m) Herumschweifen im wilden Westen (ebd. 172): aber das alles war bisher nur Behauptung; es hatte noch keine Gestalt angenommen. Wie anders dagegen der Sioux-Häuptling! Bester Schwimmer der Vereinigten Staaten, der dem anmaßenden Yankee kühn entgegentrat und dann seinen Platz über der Tigerin trotz deren Gebrüll


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und der Warnung des Besitzers behauptete – das war ein Mann, der es sich leisten konnte, auf Sticheleien keine andere Antwort zu geben als eine verwegene Rettungstat! May hätte in der Geschichte der Indianer Beispiele dafür gelesen haben können.

   Seine Worte, in der Gefängniszeit sei der Gedanke »Winnetou« geboren. Wohlverstanden, nur der Gedanke, nicht aber er selbst, den ich erst später fand,(31) lassen sich mühelos auf Inn-nu-woh beziehen: Der Winnetou der nächsten Wildwestgeschichte erreicht ihn noch nicht!

   Im gleich darauf erschienenen ›Old Firehand‹(32) will nun der Ich-Held sich jeder Rache für die Beleidigungen des Ölprinzen enthalten; Folge: Ellen, das zum drittenmal auftretende zu rettende Mädchen,(33) das endlich Gestalt annimmt, verachtet ihn! Wo liegt der Fehler? – Nun, Inn-nu-woh war berühmt, der Erzähler dagegen ein abgerissener Unbekannter, an dem das Pferd das Beste war! (Old Firehand 107)(34) Selbst die Rettung aus dem Ölbrand kann Ellen in ihrer Meinung nur bestärken, da sie darin eine neue Feigheit sieht.

   Nun wird gezeigt, wie er trotzdem recht behält: Er rettet Old Firehand, Ellens Vater,(35) während ihr Beharren auf Befriedigung ihrer Rache ihm und fast allen andern den Tod bringt; auch sie selbst muß der Held zum zweitenmal retten. Gleich zweimal also wird die Thematik des ›Inn-nu-woh‹ weitergeführt: Ist es möglich, seinem Vorbild zu folgen? Und: Was geschieht, wenn die andern an ihrer Rache festhalten? – Diesen Fortschritt von einem Werk zum andern werden wir als typisch für Mays Arbeitsweise erkennen.(36)

   Wie aber wird versucht, die Rache beizulegen? – Der Grund, Ellen müßte sie als Mädchen den Männern überlassen, wird durch ihren Racheschwur(37) entkräftet. Auch die Darlegung des Unterschieds zwischen Rache und Strafe verfängt nicht: Mangels einer strafenden Obrigkeit behält die Rache ihr Recht und Ellen die Oberhand.(38) Um so nachhaltiger wirkt ein drittes Argument, das pragmatische: Ellen will ihre Rache unbedingt am Tatort ausgeübt sehen und setzt sich damit durch, worin der Ich-Held etwas wahrhaftig Dämonisches sieht; doch gerade diese Übertreibung ins Maßlose(39) führt durch ihr Scheitern Ellen schließlich zu der Erkenntnis, sie »müsse den großen, großen Fehler meines Lebens . . . mit dem Tode sühnen« (Old Firehand 271).(40) Wer aber wäre diese Ellen, der May das 1875 nachweisen wollte? Ich möchte sagen: May predigt sich selbst: Überwinde deine Rachsucht, wenn du dich nicht selbst verlieren willst! Auch diesmal ist das zu rettende Mädchen niemand anders als seine eigene Seele, die es wiederzufinden gilt.

   Wir übergehen die hier wohl einzuordnenden ›Both Shatters‹(41) und stellen uns der Frage: Wie kann dann aber außerhalb der Zivilisation Unrecht geahndet werden? Daß man sich durch bloße Duldung mit-


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schuldig macht, betont May oft genug; die Rache allein Gott zu überlassen ist er noch nicht bereit. Ist also ihre Ausschaltung nur eine Schimäre, so daß man zwischen seinem Seelenheil und der Verantwortung für die Gesellschaft wählen müßte? –

   Bringt etwa die unglückliche Stollberg-Affäre im April 1878 May auf die Lösung des Dilemmas?(42) Er läßt nun den Detektiv als verlängerten Arm des Rechts über die Grenzen hinausgreifen,(43) schreibt ›Auf der See gefangen‹ als Kriminalroman, worin Treskow als erster Detektiv bei May auftritt, dann ›Ein Self-man‹ mit Lincoln(44) und ›Vom Tode erstanden‹ mit einem früheren Arbeitskollegen des Verbrechers als Detektiv.(45) Alle aber sind das aus eigenem Antrieb; erst in ›Der Scout‹(46) wird der Ich-Held Berufs-Detektiv. Freilich teilt keiner Mays Schicksal, dafür eingesperrt zu werden!

   ›Auf der See gefangen‹ geht aus von einem Raubmord an einem Juwelier, dessen Ahndung sich kompliziert:

1. Der Verurteilte, in Wahrheit unschuldig, entflieht, kann so aber nichts aufklären noch rächen.

2. Ein Neffe des Toten folgt ihm als potentieller Bluträcher, wird aber vom wahren Mörder beraubt und dadurch gehindert, etwas zu unternehmen.

3. Ein persönlich interessierter Polizeileutnant, nicht berufsmäßiger Detektiv, da er sich beurlauben lassen muß, bringt den Mörder zur Strecke. Da dies aber keine Rache mehr darstellt, wird der Verbrecher nicht getötet, sondern zur Bestrafung mittels einiger Kniffe nach Deutschland geschafft.

4. Vorher hatte Sam Fire-gun, Bruder des Toten, gerade dies beschlossen; falls aber seinem Neffen ein Unheil widerfahren wäre, wolle er an dem Schurken ein Extraurtheil vollstrecken, wie es in den Gesetzbüchern des alten Landes wohl nicht zu suchen ist (See 546): also entweder öffentlicher Prozeß oder private Rache! Doch war der Neffe nur beraubt worden, so daß der Beschluß nicht ausgeführt wird.

Auch sonst fehlt es nicht an Rachetaten, die wie aus ›Old Firehand‹ fortgesetzt scheinen: Dik (sic!) Hammerdull hat von Sam Hawkens nicht nur die Rache an sämtlichen Indianern für seine Skalpierung übernommen, sondern kann sich sogar an dem Schuldigen rächen, setzt aber gleichwohl die Rache an den andern fort. Andererseits ziehen die jungen Ogellallah aus, um ihre gefallenen Väter zu rächen.

   All dies zeigt, daß 1878 der Rachegedanke in May neue Nahrung erhalten hatte. Nur umständehalber kommen die ihn selbst spiegelnden beiden jungen Männer als Rächer nicht in Frage; aber andere ersetzen sie, und sogar die Blutrache wird ins Auge gefaßt. Selbst Fire-guns Entschluß, den Mörder dem Gericht zu übergeben, wird durch den ins Umfeld der Rache gehörenden Grund veranlaßt, ihn am Platz seiner


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Tat strafen zu lassen: dasselbe Anliegen, das Ellen in ›Old Firehand‹ gegen alle Vernunft durchgesetzt hatte. Daß auch für eine gestohlene Uhr Rache genommen werden soll, ja eine weitere sogar das erste Indiz abgibt, läßt tief blicken.

   Viel wichtiger als die Komplizierung des Geschehens im Criminalroman,(47) wozu als Spiegelung des Verhältnisses zu Emma die Haßliebe zwischen Latour und Clairon gehört, ist die Einsetzung Winnetous für Inn-nu-woh.(48) Beim ersten Auftreten in ›Old Firehand‹ ein primitiver Wilder, den die Lokomotive schreckt, doch auch schon Lehrer und Freund des Ich-Helden, hatte er sich an Rachehandlungen beteiligt, auch schon ihre Widersinnigkeit getadelt. Er wird jetzt zum Vorbild für ihre Überwindung, und May setzt im Anklang an jene Römerbriefstelle hinzu, er habe Böses mit Guten vergolten! Dann heißt es neu: Ich bin ihm mein Leben mehr als zehnmal schuldig, habe von . . . Abenteuern zu berichten, bei denen ich ohne ihn verloren gewesen wäre.(49) Man darf das wohl wörtlich nehmen: Ohne den Entschluß, statt der Rache nachzuhängen, Winnetou als ein Ideal darzustellen, an dem meine Leser ihr ethisches Wollen emporzuranken hätten,(50) wäre May wohl innerlich zugrunde gegangen, zum wenigsten aber heute vergessen.

   Noch eine überraschende Neuerung folgt in der ersten ›Hausschatz‹-Erzählung ›Three carde monte‹:(51) Gegen die Rache gibt es plötzlich eine Art Asyl! Zuerst verhindert das Gastrecht eine Bestrafung des Kanada-Bill, auch noch, nachdem er zum Messer gegriffen hat. Nicht viel anders steht es im Fort Smoky Hill trotz Mordes an des Erzählers Braut und Vater: Wegen Mangels an Beweisen kann er nicht bestraft werden. Schließlich sagt auch Lincoln beim dritten Zusammentreffen, nachdem der Kanada-Bill zwei Indianerstämme zum Angriff auf das Fort verführt hatte: »Ihr seid Gast in diesem Hause« (Three carde 439) und jagt ihn nur fort. Denn mit dem Lawyer ist nun das Gesetz in den Westen vorgedrungen und verhindert die Rache: »Wir sind freie Bürger der Vereinigten Staaten und richten nur nach vollständigem Beweise«, sagt Lincoln (ebd.). Der Schurke freilich rächt sich und zündet das Öl an; diesmal aber (sind) Menschen dabei nicht umgekommen (ebd. 443): Auch diese Rache verliert etwas von ihrem Schrecken.

   Die um die gleiche Zeit geschriebene Novelle ›Ein Dichter‹ (vielleicht eher als Bearbeitung von Armands Roman ›Saat und Ernte‹ zu bezeichnen)(52) bringt wenig Neues hinzu. Auch hier wird ein Verbrecher zunächst wegen Raubes verfolgt; aus Rücksicht auf das Gastrecht läßt man ihn zunächst entkommen. Er benützt das ebenfalls, um Rache zu nehmen; freilich heißt es hier Abrechnen (z. B. Dichter 554), und nur der 3. Teil ist ›Rache‹ überschrieben. Der Mordversuch mißlingt, ebenso weitere Anschläge; aber jetzt hat der Verfolger auch persönliche Gründe, den Schurken zu jagen, und geht damit über die Rol-


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le des Detektivs hinaus. Auch die Frage einer Auslieferung an das Gericht taucht auf, erledigt sich aber von selbst: Was Tim Kroner dem Kanada-Bill angedroht hatte, nämlich ihm beim nächsten Zusammentreffen ohne Zaudern die Klinge zu geben, das vollbringt hier Tim Summerland. Freilich muß er so den Dichter Forster vor dem Anschlag des Verbrechers schützen, der jenem Rache geschworen hatte.

   Ebenso steht es mit dem Bowie-Pater im Amerika-Kapitel der ›Juweleninsel‹:(53) Er spricht, als sei er als eine Art Privatdetektiv ausgesandt (Juweleninsel 437), ist aber in Wahrheit unmittelbar betroffen. Auch hier die Frage, ob der endlich ertappte Verbrecher an den Sheriff ausgeliefert werden wolle, und die Entscheidung, ihn nach Europa mitzunehmen, die aber dadurch gegenstandslos wird, daß er bei einer Auseinandersetzung mit anderen von ihm Geschädigten ums Leben kommt.

   Nur im ›Dichter‹ scheint mithin zuletzt ein neuer Aspekt vorzuliegen: Die Rache, auf die im Bereich der Zivilisation nur ein Verbrecher sinnen kann (wir erinnern uns, daß May einer werden wollte, um sich zu rächen!), wird ihm selber verderblich; hätte der Pfahlmann seine Mordversuche nicht unternommen, so wäre sein Entkommen anfangs noch denkbar gewesen. Wollte May, damals gerade aufs neue verurteilt, sich auf diese Weise gegen ein Wiederaufleben der alten Rachegedanken schützen?

   Für Mays weitere Entwicklung wird Ferrys ›Waldläufer‹(54) sehr wichtig. Hier geht alles von einem Verbrechen aus, das gesühnt und dessen Folgen beseitigt werden sollen, und zwar in dreifacher Abstufung, die auf May, nicht auf Ferry zurückgeht:

1. Fabian, der Hauptbetroffene, verzichtet gemäß den Gesetzen der Blutrache auf ihre Ausübung an einem Blutsverwandten und überläßt sie Gott (Waldläufer 423).

2. Pepe hat durch ungerechte Bestrafung einen eigenen Grund zur Rache erhalten und will ihr durch ein  S a v a n n e n g e r i c h t  nachkommen.

3. Cuchillo, der die Tat ausgeführt, aber auch einen Mord an Fabians Pflegevater begangen hat, wird als Zeuge gegen den Hauptschuldigen von diesem verraten und rächt sich dadurch, daß er ihn erdolcht . An ihm wird die Strafe im Namen des Präriegerichts vollstreckt.

Hier wird aufgezeigt, wie sich die Strafe vor allem durch neue Verbrechen selbst herbeiführen muß, ohne daß die eigentlichen Rächer eingriffen: ein neuer Grund, auf die Rache zu verzichten.

   Warum aber ist sie überhaupt nötig, da doch das Verbrechen in Spanien, also in der Zivilisation, stattgefunden hatte und dort geahndet werden sollte? – Bei Ferry ergibt sich das nur aus dem Gang der Hand-


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lung, May aber spricht es wiederholt aus: »Wenn die Gesetze des Staates Partei für den Verbrecher nehmen . . .« (ebd. 129). Infolge solchen schuldhaften Versagens staatlicher Rechtsprechung nehmen die Geschädigten, die sich schicksalhaft in der Wildnis zusammenfinden, die Ahndung der Verbrechen selbst in die Hand, und zwar durch ein sogenanntes Savannengericht, bei dem nicht Gewalt, sondern Recht und Gerechtigkeit walten soll (ebd. 408). Entgegen Ferrys Kritik daran – er spricht vom Lynchen! – stellt May hier ein Ideal auf, zu dem ihn wohl auch sein neuerlicher Zusammenstoß mit dem Gericht geführt hat. Übrigens steht es bei May, der noch drei von insgesamt elf Kapiteln folgen läßt, viel betonter als Ziel des Geschehens da als bei Ferry, bei dem noch 34 von 79 Kapiteln hinterherkommen!

   Außerdem gibt es vier weitere Racheanliegen:

1. Diaz hat eine grenzenlose Rache gegen alle Indianer, da sie ihm Frau und Kinder getötet haben. Bei Bois-rosé dagegen wird es nicht deutlich.

2. Falkenauge hat gegen Schwarzvogel und die Piraten der Prärie eine Rache für die Brüder seiner Braut übernommen: gegenüber Ferry eine Milderung, da sein Rayon Brûlant früherer Apache ist.

3. Fabian hat, wie schon dargestellt, an Cuchillo seinen Pflegevater zu rächen.

4. Schließlich besteht gegen die Piraten der Prärie ein allgemeines Rachebedürfnis, das durch die Kürzung der zweiten Hälfte bei May zurücktritt.

Einiges hiervon hat May später aufgearbeitet; das Savannengericht war ihm aber zweifellos mit Abstand am wichtigsten.

   Das ist nun das wahre Thema von ›Deadly Dust‹,(55) trotz des irreführenden Titels dieser Erzählung: In streng symmetrischem Aufbau liefert sie fünfmal ein Beispiel für solch ein Gericht!

1. Freispruch zweier Pfahlmänner nach dem Grundsatz,(56) Vermutungen reichten zur Verurteilung nicht aus (Sans-ear als Sheriff,(57) der Neger Bob ist Constable, die andern sind Schöffen).

2. Holfert gesteht die Verstrickung in einen Mord und soll mit der Bemerkung, Gott werde ihn richten, freigelassen werden; aber Winnetou erschießt ihn.(58)

3. Winnetou als einziger Unparteiischer leitet das Gericht über fünf überführte Pfahlmänner: Hoblyn wird freigesprochen, der Capitano und sein Begleiter ertränkt, Vater und Sohn Morgan soll Bob – offenbar immer noch Constable(59) – hinrichten. Sans-ear als Hauptbetroffener will selber Henker sein, aber Old Shatterhand stellt ihm vor, das sei Rache und entehrend für einen Christen. Ein Comanchenüberfall unterbricht die Szene. Ihren Sinn erschließt erst ein


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Vergleich mit Gerstäckers ›Regulatoren‹,(60) wo der heidnische Indianer Assowaum den Mörder seiner Frau beansprucht: »Ihr habt ihn schuldig gesprochen, aber ich bin sein Henker!«

4. Old Shatterhand beruft bei den Comanchen, deren Häuptlinge er festgenommen hat, unter Ausnützung ihrer unumstößlichen Gesetze (Deadly Dust 605) eine Versammlung ein, die in seinem Sinne entscheidet: ». . . die Freiheit meiner Gäste gegen die Freiheit meiner Mörder!« (ebd. 606).

5. Der Ranchero Don Fernando will die Helden zu Unrecht anklagen und richten; sie überwältigen ihn, übertragen den Vorsitz der Donna Eulalia und werden freigesprochen: eine Farce als Abschluß!(61)

Im letzten Kapitel, das in beginnender Zivilisation spielt, nimmt May ein weiteres Stichwort seiner Quellen auf: das Lynchen. Ohne nach den Behörden zu fragen, wiegelt ein überführter Dieb mit einem Wirt gemeinsam die Goldgräber zum Angriff gegen die Helden auf und verliert dabei die Nasenspitze: die Lynchjustiz fällt auf ihn selbst zurück.

   All dies läßt darauf schließen, daß May damals, erneut über Gebühr bestraft, nach einem Dritten zwischen persönlicher Rache und der Unterwerfung unter eine voreingenommene Justiz suchte. Doch seine verheißungsvolle Entwicklung wird 1882 mit dem Roman ›Waldröschen‹(62) jäh unterbrochen.


II. Rückfall und neuer Anlauf 1882-87

›Die Rächerjagd(63) rund um die Erde‹ lautet der Untertitel, ›Die erste Rachejagd‹ und ›Der Sieg der Rächer‹ sind die weiteren Zwischentitel. Aber obwohl die amerikanischen Teile in einem Lande spielen, in dem sich jeder selbst sein Recht suchen muß (WR 927), wird zunächst am Präriegericht festgehalten: Zwei Häuptlinge richten über Alfonzo.(64) Dann aber bricht die Hölle los: die Comanchen sinnen auf Rache für ihre Gefallenen,(65) die Vaqueros gegen die Comanchen, Alfonzo gegen Donnerpfeil und die Häuptlinge, die Mädchen gegen Alfonzo, die Räuber gegen ihre Besieger – kurz, alles, was geschieht, fordert die Rache der Betroffenen oder ihrer Angehörigen heraus; sogar Juarez – noch nicht Präsident – schießt einen feindlichen Haziendero an Gerichtes Stelle einfach nieder!

   Wie sehr May hier in seine frühere Haltung zurückgefallen ist, zeigt der Umstand, daß der Comanchenhäuptling, skalpiert und den Krokodilen vorgeworfen, sogar um die Ewigen Jagdgründe gebracht wird. Läßt sich dieser Umschwung begreiflich machen?

   Bekanntlich hatte May sich verpflichtet, für Münchmeyer einen Roman zu schreiben, und sogleich 500 M Vorschuß erhalten. Dabei hatte


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es ihn gelockt, auch auf solche Art und zügiger als beim Zeitschriftenabdruck seine Ziele verfolgen zu können. Dann aber hatte er feststellen müssen, daß sein Manuskript verfälscht wurde. Ergebnis: eine nur zeitweilig wirksame Drohung, unter solchen Umständen kein Wort mehr zu schreiben, und die Einsicht, daß er sich in seinen Hoffnungen in hohem Maße getäuscht hatte.(66) Sollte das keine Folgen gezeitigt haben?

   Diese konnten sich aber nur auf den Inhalt seiner Werke erstrecken. Einen Bruch mit Münchmeyer schloß der Umzug in das teure Dresden(67) und die auch in der ›Königsschatz‹-Episode erwähnte, endlich möglich gewordene Unterstützung seiner armen Verwandten praktisch aus. Gerade diese Episode wird uns dadurch wichtig, daß May sie zehn Jahre später(68) einer Umdeutung unterwarf, die weitere Rache ausschloß. Was also kann man ihr entnehmen?

   Die sonst für die Urkatastrophe benützte Symbolik – Schlag auf den Kopf, Zusammenbruch, Gedächtnisverlust – wiederholt sich im Augenblick, da der Held für seine Ehrlichkeit reich belohnt werden soll: Ein Hochstapler schlägt ihn nieder. Die spätere Einbeziehung der Tragödie Kaiser Maximilians bezieht sogar den Staat in die Rache ein. Daß damit nicht nur das kaiserliche Mexiko gemeint ist, zeigt die Art, wie in Deutschland Landola und Geierschnabel mit Militär und Polizei umspringen. Ja, Kurt Helmers hätte sogar in Mexiko dem Kaiser noch Hilfe bringen können, wäre dieser nicht so verblendet gewesen! Diese Verzahnung von Privatrache und Bürgerkrieg enthüllt, daß für May nunmehr beides auf das gleiche hinauskommt – nicht nur im Roman! Nach seiner letzten völlig ungerechtfertigten Haftstrafe mußte er an jeder rechtlichen Unterstützung verzweifeln und sich auch einem Münchmeyer ausgeliefert sehen. Lohnte es sich da noch, seine hohen Ziele weiter zu verfolgen? War es nicht sinnvoller, von Rache wenigstens zu träumen?

   So mußte zu jener Zeit(69) Winnetou sterben – nämlich als Bezwinger der Rache.(70) Ähnlich wie Bärenherz im ›Waldröschen‹ (WR 462) hatte er die Verteidigung einer Befestigung gegen Indianer geleitet. Daraufhin fielen die Besiegten zur Rache über eine Ansiedlung Deutscher her, also Blutsverwandter Mays:(71) Die Beziehung auf die Unterstützung seiner Angehörigen drängt sich auf. Bei ihrer Rettung wird Winnetou erschossen. Waren also Mays auf ihn gesetzte Erwartungen enttäuscht worden?

   Nein, denn inzwischen war eine Entwicklung vor sich gegangen. Im Gegensatz zum Schwarzen Hirsch im ›Waldröschen‹ nennt May Winnetou eine Seele, die werth war, aus den Banden der Finsterniß erlöst zu werden (Im wilden Westen 169): eine theologisch sinnlose Aussage, also als technische Bemerkung des Schriftstellers zu begreifen. Daher stirbt Winnetou als Christ. Man hat daran Anstoß genommen; uns aber erschließt sich hier der notwendige Sinn: Er ist ans Ziel gelangt,


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dem der Autor vorerst entsagt, und nimmt es als sein besseres Ich mit sich hinweg.

   Diese These läßt sich durch den Vergleich mit dem unmittelbar vorher geschriebenen Schluß der ›Todes-Karavane‹(72) erhärten. Dort fällt Mohammed Emin im Kampf, Hassan Ardschir-Mirza wird mit seiner ganzen Familie ermordet, Kara Ben Nemsi und Halef entgehen kaum dem Tode durch die Pest, sogar der treue Dojan wird erschossen: Alle weiteren Pläne (Kerbela, Hadramaut) werden hinfällig. Dem Schlag auf den Kopf im ›Waldröschen‹ entspricht hier dumpfe(r), bohrende(r) Schmerz (Todes-Karavane, 104). Vor allem aber heißt es bei Mohammed Emins Begräbnis von Halef: Er war, ohne es selbst zu ahnen, . . . innerlich . . . bereits ein Christ(73) (ebd. 570). All dies deutet auf einen tiefgehenden Bruch im Werk hin.(74)

   Und nun erteilt May im Kapitel ›Eine Tänzerin‹ (WR 552 passim), kurz nach dem Umzug nach Dresden verfaßt, gar den verbrecherischen Brüdern Cortejo ein gewisses Recht zur Rache: Der alte Graf hatte ihren Vater erschossen! War das Mays Reaktion auf den Verdacht, Emma könne mit ihm gespielt, ihn gar betrogen haben? Ohne Beweise war sonst nichts zu tun . . . Nur im ›Waldröschen‹ wird wieder gerichtet, aber wie! Immer wieder müssen Schurken möglichst lange leiden: zwei Leute Verdojas, dieser selbst, Josefa, zuletzt ein französischer Korporal, von Büffelstirn lebendig skalpiert – alles wohl im Blick auf die mehrfach geäußerte Meinung,(75) für gewisse Verbrechen sei ein schneller Tod keine ausreichende Sühne. Auch die Rückkehr zum Präriegericht, das zudem meist ein einzelner ausübt, ist von ungewohnter Schroffheit: Gérard verurteilt einen Offizier zum Tode, Juarez einen Mörder aus Eifersucht, wieder Gérard eine ganze französische Truppe, nachdem deren Hauptmann in einer Farce von Kriegsgericht zwei Österreicher hatte aburteilen lassen. Doch der Höhepunkt dieser zunehmenden Entleerung des Gerichts-Gedankens knüpft sich an Maximilians Dekret vom 3. Oktober 1865, das jeglichen Widerstand zum Verbrechen erklärte und mit der Todesstrafe belegte: May läßt es auf seine Verfechter zurückfallen, das Jus talionis(76) triumphiert, Gericht und Rache fallen in eins zusammen!

   Auch Josefa erntet die Früchte ihres Tuns, und da fällt das entscheidende neue Stichwort: Die Rache des gerechten Richters hatte mit heute begonnen. (WR 1749)(77) Dies ist nicht etwa eine belanglose Bemerkung! Wie noch nie im ›Waldröschen‹ mehren sich nun Worte wie: »Gott lebt noch, er thut . . . Wunder« (WR 1723), »Gott . . . kann . . . retten« (WR 1737), »Gott (weiß) zu belohnen und zu bestrafen« (WR 1825), »Gott (hält) die Fäden in seiner allmächtigen Hand« (WR 1861). ›Der Sieg der Rächer‹, wie der 3. Abschnitt heißt, erweist sich als Gottes Sieg: »die Weltgeschichte ist das Weltgericht«, wie May Juarez das Schillersche Gedicht ›Resignation‹ zitieren läßt (WR 1825).


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   Noch treten freilich neue Rächer auf: der Jäger Grandeprise, der sich an Landola rächen will, und Pater Hilario, den Cortejo als jungen Arzt einmal hinausgeworfen hatte. Das hatte ihn ins Unglück gestürzt, so daß ein Meer der Rache (WR 2008) in ihm wogte und schließlich die ganze Familie Rodriganda einschloß (WR 2044). Malt May sich aus, was bei Verfolgung seiner Rachepläne aus ihm selbst werden mußte? Doch hier gelingt nichts; Grandeprise wird sogar zum Helfer des verhaßten Stiefbruders! Und merkwürdig – trotz ihres schließlichen Erfolgs bekommen die Rächer wenig zu tun. Juarez stellt wieder die Obrigkeit dar; die Bestrafung erfolgt teils durch ihn, teils durch die spanischen Behörden. Er selbst erklärt im Blick auf Josefa: »Da ist Gott selbst eingetreten, um sie zu bestrafen . . . Es giebt . . . eine Gerechtigkeit, welche zwar nur sich selbst verantwortlich ist, aber strenger bestraft, als wir es vermögen.« (WR 2589). Das heißt also, auch Gott selbst halte einen schnellen Tod für eine zu geringe Bestrafung!(78) Josefa stirbt unter fast unbeschreibliche(n) Schmerzen (WR 2580), hat aber wenigstens vorher noch alles bekannt, um ihr Gewissen zu reinigen und ihre Seele zu retten (WR 2591); der heuchlerische Pater Hilario dagegen, bei Aufdeckung seiner Machenschaften vom Schlage getroffen, »wird noch tagelang leben und Todesqualen erdulden müssen . . ., wird langsam zur Hölle fahren« (WR 2553). »Gott hat ihn gerichtet.« (ebd.)

   So ist May trotz neuer Belastung wohl auch in diesem Monstre-Roman zuletzt zur Klarheit gelangt. Denn wie anders wirkt der zwei Jahre später verfaßte Amerikateil von ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹!(79) Schon der Grundgedanke ist ins Gegenteil verkehrt: Statt einer ›Rächerjagd‹ geschieht hier alles, um die Folgen einer gräßlichen Rache aufzuheben. Zwar gibt es auch jetzt noch Rachetaten (wie eine Skalpierung bei lebendigem Leibe) und Personen wie Leflor, die sich für alles und jedes rächen wollen;(80) vor allem aber werden Folgen von Untaten aufgehoben, für die man vergeblich Rache gesucht hatte.(81) Ganz neu tritt die Vergebung auf: Trotz Furcht vor blutiger Rache bekennt Miranda alles, Balzer antwortet: »Indem Du Dich anklagst, zwingst Du mich, Dir zu vergeben.« (DHH 1380), und Steinbach bietet ihr die Hand zur Rettung (DHH 1405). Selbst der Papago-Häuptling, der einen Krieger Feigling genannt hatte, was nur »durch Blut oder Abbitte ungeschehen gemacht werden (kann)« (DHH 1563), bittet um Verzeihung! Hatte May also während seiner immerhin einträglichen Arbeit für Münchmeyer alle Rachegedanken überwunden?

   Auch seine damals verfaßte erste Jugenderzählung ›Unter der Windhose‹(82) läßt das vermuten. Dreierlei ist hier für unser Thema bemerkenswert:


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1. Der Mörder war schon vor seinem Ende durch den Durst nach dem Golde und die Qualen seines Gewissens (Windhose 99), wohl auch durch Alkoholmißbrauch (ebd. 88), dem Wahnsinn nahe gekommen.

2. Der Bluträcher skalpiert den Verbrecher nicht, da ihn der Zorn des gerechten Manitou erschlagen hat (ebd. 98), mag auch sein Wimmern nicht hören: »Der rote Mann hat auch ein Herz . . .; er will schnell strafen, aber nicht langsam martern« (ebd. 98): Welch erstaunliche Verwerfung der im ›Waldröschen‹ so oft auftretenden Forderung nach langsamem, qualvollem Tode!(83)

3. Selbst Gottes Gericht unterliegt dieser Neueinstellung; jetzt verfährt der Barmherzige noch gnädig mit dem Mörder (ebd. 99), ohne daß von Reue und Bekehrung die Rede wäre: Die zermalmten Glieder verursachten ihm keine Schmerzen; er schlief ein, ohne einen Seufzer auszustoßen (ebd.).(84) Welche Umstellung innerhalb von nur dreieinhalb Jahren!

Tatsächlich erreicht ›Der Sohn des Bärenjägers‹(85) dann den Gipfel, obwohl Münchmeyer darin namentlich angegriffen wird.(86) Eine umfassende Rache gibt es nur gegen Grizzlybären! Hauptanliegen ist die Befreiung des Bärenjägers; der Tod des Schuldigen bleibt – abgesehen von je zwei Kriegern, die purer Notwendigkeit wegen sterben müssen – der einzige im ganzen Buch; sogar Pferdediebe läßt man laufen! Doch diese Friedfertigkeit folgt stets überzeugenden Kriegstaten: Was wir für ›Old Firehand‹ postuliert hatten – anerkannte Heldenhaftigkeit als Voraussetzung dafür – ist hier erfüllt.(87) Wiedergutmachung wie in ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ erfolgt z. B. in der Rückgabe geraubter Medizinen; die Vergebung aber ist, von den Friedensschlüssen abgesehen, auf den eher lustigen Streit zwischen Frank und Jemmy beschränkt, steht jedoch betont am Schluß! Hat das zum Hintergrund, daß sich »die Eheverhältnisse (. . .) ein wenig gebessert« hatten?(88) Franks verballhorntes Zitat aus Corneille, »Soyongs, Anis, Emma« (Bärenjäger 329, statt richtig »Soyons amis, Cinna«)(89) könnte darauf hinweisen.

   So ist es nur folgerichtig, daß Winnetou wieder auflebt: Ganz ähnlich wie Old Shatterhand beschrieben, hat er von diesem Worte der Liebe und des Friedens gehört, tötet keinen Menschen mehr, sondern will »durch sein Beispiel . . . lehren . . .«, daß alle »in Liebe und Frieden bei einander wohnen können«, da »der Schöpfer der Erde seinen Sohn Je-su gesandt (hat), um seine roten und weißen Kinder wissen zu lassen, daß Friede sein soll.« (ebd. 555):(90) Winnetou ist Christ! Aber nicht der einzige! Zum endgültigen Friedensschluß trägt die Rede des dicken Jemmy maßgeblich bei, die er in Abwesenheit der Haupthelden den Indianern hält.(91) Auch er schließt mit dem Hinweis auf Gott: »Der


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große Geist liebt seine Kinder und will, daß sie als Brüder einträchtig bei einander wohnen sollen« (ebd. 603): ein Zitat aus Psalm 133,1! So fordert denn auch Old Shatterhand alle Roten auf, daheim »von dem großen Manitou der Weißen« zu erzählen, »dessen Gebot es ist, daß seine Kinder sogar ihre Feinde lieben sollen« (ebd. 603).(92) Ist damit nicht das Ziel erreicht, die Rache völlig besiegt?


III. Erneuter Rückfall ab Oktober 1887

Wie soll man es sich dann erklären, daß in der folgenden Jugenderzählung ›Der Geist der Llano estakata‹(93) wieder die Blutrache zum Thema wird? – Wir müssen dafür die inzwischen geschriebene Fortsetzung des Orientromans, ›Durch das Land der Skipetaren‹,(94) heranziehen. Hier zeichnet sich der Wandel deutlich ab. Lange war von Rache kaum die Rede gewesen; plötzlich aber(95) wird Omars Racheschwur wiederholt, sogar anerkannt, und das trotz der Anführung von Jesu Wort: »Liebet eure Feinde!«. Auch was wir in ›Unter der Windhose‹ angemerkt hatten, wird im folgenden widerrufen:

1. Zwar bleibt es dabei, daß sich jede böse Tat selbst rächt (Skipetaren 378); aber von Gewissensqualen kann keine Rede mehr sein!(96)

2. Statt des Verzichts auf langes Martern gibt es ein so häufiges Prügeln wie kaum jemals sonst.(97)

3. Gottes Gericht, obzwar wieder eine Verschärfung des menschlichen, trifft nur noch den Mübarek.(98) Fast alle andern Verbrecher finden den Tod. Welcher Unterschied der Einstellung tritt hier zutage!(99)

So heißt es denn auch im ›Geist‹ von Bloody Fox, dem Llano-Geier die Eltern ermordet hatten: »Das heiße Verlangen nach Rache« peitscht ihn »wieder und immer wieder durch die schreckliche Wüste« (Geist 291). Als Geist des Llano getarnt, erschießt er jeden, den er als Banditen erkennt.(100) In den ersten drei Kapiteln entlarvt er so einen Mörder, verurteilt ihn nach dem Präriegesetz, welches nur einen einzigen, aber vollständig genügenden Paragraphen hat (ebd. 410), und tötet ihn in einem ehrlichen Duell, obwohl der Verbrecher »eigentlich . . . mit Knütteln erschlagen werden (sollte). Aber so eine Henkerei widerstrebt mir« (ebd. 411), sagt Fox.

Dann geschieht eine weitere Bluttat, die Rache erfordert: Banditen erschießen einen Comanchenhäuptling, und dessen Sohn Schiba-bigk verpflichtet sich, ihre Skalps auf sein Grab zu hängen (ebd. 539). Old Shatterhand fängt einen davon und übergibt ihn dem Rächer; der aber, obwohl seine Seele nach Rache lechzt, nimmt keinen Skalp geschenkt, läßt ihn frei und besiegt ihn im Zweikampf (ebd. 667). Wie Fox früher den Bravo zum letzten Paternoster aufgefordert hatte, verlangt hier


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Tim Snuffle ein Schuldbekenntnis, und Old Shatterhand verspricht bei wahrheitsgemäßer Beantwortung seiner Fragen ein mildes Urteil (ebd. 667). Der Bravo aber bleibt verstockt, Eisenherz klagt ihn an, und das Urteil lautet: Auslieferung an den Rächer.

   Zum ›Waldröschen‹ ergibt sich der Unterschied, daß dort zur Bildung eines Präriegerichts ein Gefährte mitgenommen wurde, hier dagegen nicht. Anderseits scheute sich dort keiner, ein Urteil selber zu vollstrecken, während hier (und dann ebenso in ›Durch das Land der Skipetaren‹) niemand den Henker machen will. Endlich sind es hier die Bravos, die jedes Vorgehen gegen sie als Lynchen bezeichnen.(101) Da sie dann im Kampf fallen, wird das gegenstandslos, unterstreicht aber auch den Übergang von der Strafe zurück zur Rache. –

   Vor die Fertigstellung des ›Geist‹ schiebt sich noch die Reiseerzählung ›Der Scout‹(102) ein, die wie eine Rekapitulation des schon Erarbeiteten wirkt. Der Titelheld Old Death leidet an den Folgen eigener früherer Verfehlungen, die er zu sühnen sucht; der namenlose Ich-Held(103) ist berufsmäßiger Detektiv, soll aber vor allem Schaden verhüten, nicht strafen; Old Death unterstützt ihn dabei. Sieht so der Rahmen nicht gerade nach Rache aus, so ist das um so mehr in der Handlung der Fall:

1. Weiße stehen gegen Weiße: Rowdies haben ihre Anstellung als Sklaventreiber, Kukluxer den Krieg verloren und wollen sich dafür schadlos halten.

2. Indianer stehen gegen Indianer: Die Apachen, mitten im Frieden von Comanchen überfallen, müssen sich gegen diese wehren; besiegen und vernichten sie.

3. Indianer (und Weiße) stehen gegen Weiße: Man könnte auch das Vorgehen der Tschimarras als Rache für den Raub der Mapimi ansehen, die sie für sich beanspruchen.

Der neue Gedanke in ›Skipetaren‹, Verbrechensverhütung bzw. -wiedergutmachung und Rache zu verbinden, setzt sich also fort: Wo Wiedergutmachung illusorisch wäre, fehlt auch das Wort Rache.(104) Einzig den Comanchen gegenüber, die durchaus Genugtuung leisten könnten, sich aber weigern, bleibt nur die Rache übrig. Auf dieselbe Weise wird auch der Auftrag des Helden erfüllt: Da der Schurke sich der Festnahme widersetzt, erschießt ihn ein Dritter;(105) sein Opfer aber wird durch den für den Detektiv bestimmten Kolbenschlag geheilt! Auch Old Death unterliegt dieser Verbindung von Tod und Sühne: Nur sein Vermächtnis erreicht noch den Bruder; er selbst wird irrtümlich erschossen – ist das ein Gottesurteil? Es fällt auf, daß ihm der Ich-Held, dem er beichtete, nicht die Vergebung zuzusprechen wagte (Scout 716). M u ß t e  sich etwa seine Schuld so rächen?

   Übrigens taucht auch das Lynchen wieder auf: Der Held, halb als


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Kukluxer verkleidet, fällt ihm beinahe zum Opfer; der Sheriff selbst will in höchsteigener Person den Richter Lynch (ebd. 414) machen: Auf meinen Widerspruch wurde gar nicht gehört (ebd. 398). Das läßt vermuten, daß sich hier die Affäre Stollberg niedergeschlagen hat; auch daß es um einen verlorenen Sohn geht, paßt gut dazu.

   Erst nach dem ›Scout‹ wird der ›Geist‹ nahezu beendet. Das 4. Kapitel bringt in Ben New-Moon noch ein Opfer des Hauptschurken, der jetzt Stealing-Fox heißt. Das 5. Kapitel greift auf den ›Waldläufer‹ zurück, an den der Name Cuchillo schon erinnerte.(106) Ferrys Angriff der Apachen auf die Wagenburg der Goldsucher entspricht demjenigen der Geier auf die der Auswanderer, doch mit umgekehrtem Ergebnis: Alle Geier werden getötet, die beiden vorletzten von Eisenherz, der sie als mitschuldig am Tode seines Vaters erkennt; nur der letzte, Stealing-Fox, verräterischer Führer und Mörder der Eltern von Bloody Fox, stürzt und bricht den Hals. Keine Rede von Reue oder Buße; aber es brauchte auch niemand die Hand an ihn zu legen. Nur Eisenherz hat sich direkt gerächt; Kampf, Duell(107) oder Verfolgung forderten die andern Opfer. In der Wildnis ist die Rache mit der Strafe verschmolzen und dient zugleich der Verhütung vielfachen Raubmords an Einwanderern. Wiedergutmachung früherer Verbrechen ist hier dagegen nicht möglich.

   Im unmittelbar folgenden 1. Teil des ›Sendador‹, ›Lopez Jordan‹,(108) spielt die Rache nur eine untergeordnete Rolle, fügt sich aber glatt in die Entwicklung ein.

1. Es gibt zwar ordentliche Gerichte, mit denen der Ich-Held gegebenenfalls droht; aber ihre Inanspruchnahme würde ihn für Wochen aufhalten.

2. Die Yerbateros möchten nach den Gesetzen der Pampa urteilen; ihr Anführer sagt: »Richter sind wir selbst . . . Ich selbst mache das Gesetz«, stößt aber auf die bekannte Weigerung, der Held »sei weder der Richter noch der Henker dieses Mannes« (Sendador I 155).

3. Ein Duell kommt wegen Ehrlosigkeit des Gegners (des Bankiers) nicht in Frage.

4. Alles konzentriert sich darauf, den Freischärlern, die in der Nachfolge der Kukluxer im ›Scout‹ richten wollen, zu widerstehen, was aber ihre Rache gerade herausfordert. Diese Art von Unrechts-Obrigkeit, die weder Ehre noch Gesetz kennt, wird vor allem durch Angriffe auf ihre Vertreter ausgeschaltet; der Held droht, seine »Unschuld vorher an meinen Richtern« zu rächen (ebd. 695, vgl. 743). Darum nennt sie ihr Verhalten gern Rache, wo eine rechtmäßige Obrigkeit von Strafen spräche (ebd. 362). Nur Tollkühnheit und Hochstapelei kann ihrer faktischen Übermacht entgehen, das Leben retten und Wiedergutmachung erlangen: eine Sackgasse! –


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Im 2. Teil, ›Der Schatz der Inkas‹(109), einem für Mays innere Entwicklung wichtigen Werk, wird die Sinnlosigkeit der Rache an der Darstellung ihrer verderblichen Folgen aufgezeigt. Schon in der zwischendurch geschriebenen ersten Hälfte der ›Sklavenkarawane‹(110) hatten Lobo und Tolo das Gelingen ihrer Flucht durch den Mordversuch an Abd el Mot in Frage gestellt. Hier nun übernimmt der Indianer Gomarra ihre Rolle. Vom Helden erfährt er, daß der Sendador der Mörder seines Bruders sei, und soll sich rächen dürfen, doch um des Schatzes willen nicht sofort (Sendador II 203). Die weiteren Konflikte, die ihn in den Tod reißen werden, ergeben sich aus seiner Ungeduld, nicht etwa aus der Frage der Bestrafung des Mörders! Das ist eine neue Fragestellung, in der sich wohl auch Mays angespannte Finanzlage spiegelt. Zweimal drängt sich die Rachehandlung dramatisch zusammen: Nach Sabucos erster Festnahme gibt sich Gomarra als Bluträcher zu erkennen: »Der Bruder Jaguar kann noch mit Ihnen beten; dann sterben Sie.« (ebd. 330) Da sich andere einmischen, schlägt er ein ordentliches Gericht (ebd. 346) vor, aber anderswo; unterwegs entkommt der Angeklagte, nicht ohne Hilfe des Ich-Helden, der in dreifachem Zusammenstoß mit Gomarra fast das Leben verliert, trotz dessen Zusage, die Rache zurückzustellen (ebd. 376). Auch nach der endgültigen Festnahme wird Gomarras Recht auf Rache anerkannt; da aber auch andere Ansprüche bestehen, soll eine Beratung stattfinden, bei der nach den Gesetzen der Pampa gerichtet werden und Gomarra nur Kläger sein soll (ebd. 796). Mit dem Urteil unzufrieden, will er Sabuco in den Tod stürzen, wird aber selbst hinabgerissen und zerschellt: Der Rächer hat sich selbst vernichtet. Bei dieser rein pragmatischen Widerlegung hält May vorerst inne.


IV. Um den ›Schatz im Silbersee‹ 1889(111)

Mit der schwierigen Finanzlage tritt auch unser Thema in ein neues Stadium: drückt der Titel ›Der Schatz im Silbersee‹ wohl etwas davon aus? Die Anknüpfung an ›Inn-nu-woh‹(112) teilt die damaligen Kontrahenten auf je zwei Personen auf;(113) der Beleidigte rächt sich nur wegen der Übermacht nicht sofort an Brinkley, verfolgt ihn aber, muß vor Blenters älterer Rache zurückstehen und schneidet dem Beleidiger wenigstens die Ohren ab.(114) Winnetou selbst geht später noch weiter: Als Gefangener von einem Utah-Häuptling trotz Warnung schwer beleidigt, tötet er diesen durch Fersenhiebe und -tritte. So ist er gleich doppelt zum Rächer geworden!(115) – Ferner: In einer Binnenerzählung hatte ein friedfertiger Deutscher, durch gröbste Beleidigungen zum Duell gezwungen, seinen Gegner getötet und fliehen müssen. Vor allem aber hatte Blenter die schwerste Rache gegen Brinkley als Mörder


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seiner Familie. Seine Geschichte rechtfertigt die Rache nicht nur, sondern macht sie wieder zur heiligen Pflicht und widerrät eindringlich den Verzicht darauf: Als fremde Rafter ihm eine Kuh gestohlen hatten, hätte er als Farmer das Recht gehabt, sie niederzuschießen; er aber sprach freundlich mit ihnen und verlangte nur Bezahlung und Verlassen seines Landes. Sie trotzten ihm; er hätte Brinkley erschießen können, als der auf seinen Sohn anlegte, gab ihm aber nur einen Hieb ins Gesicht,(116) da es nie seine »Passion gewesen (ist), ohne Not ein Menschenkind zu töten« (Silbersee 88): der oft wiederholte Grundsatz von Mays Helden! Dafür wurde seine ganze Familie vor seinen Augen ermordet. Auch er sollte totgeprügelt werden; Winnetou rettete ihn gerade noch. Jetzt hat Blenter eingesehen, daß das Töten damals seine Pflicht gewesen wäre, kann aber immer noch nicht Rache üben: Brink-ley, gegen den noch eine dritte Anklage vorliegt, entkommt, fällt aber später in die Hände der Utahs und wird totgemartert, ohne daß von Gottes Gerechtigkeit die Rede wäre. – Diese überzeugende Widerlegung des Verzichts auf Rache läßt uns fragen: Was mag May zu diesem Widerruf seiner Überzeugung veranlaßt haben?

   Eine Antwort ist am wahrscheinlichsten in den um dieselbe Zeit verfaßten Bildgeschichten zu finden, die von tiefer Verzweiflung zeugen.(117) ›Im Mistake-Cannon‹(118) gibt wohl Emmas Vorwürfe wieder: dem Virtuos im Spüren (Mistake 148) – Spä(h)mann – habe May den Vorzug gegeben vor seinem alten Freund Münchmeyer,(119) den er schon einmal gerettet hatte; nun lasse ein Racheengel den Geldsegen versiegen.(120)

   Noch weiter geht ›Die Rache des Mormonen‹,(121) wo May wie in der wohl gleichzeitigen ›Sklavenrache‹,(122) ohne durch die Bildvorlage veranlaßt zu sein, eine Rache bis zum Untergang fast aller Beteiligten fortwüten läßt. Hier hat ein Mädchen unschuldig das furchtbare Geschehen ausgelöst. Ist das Emma? Aber welchen Sinn könnte eine Rache haben, die alles vernichtete? Und wen hätte sie treffen sollen? Offenbar will May also sich selbst warnen: Hüte dich, solche Rache auszulösen! Mag dein Anliegen noch so gerecht sein – du weißt nicht, ob die Rache, einmal in Gang gesetzt, nicht fortwüten wird bis zur völligen Vernichtung.

   Das zeigt auch ›Der Schatz im Silbersee‹: Die anfangs gegen die Tramps gerichtete Rache der Osagen und Utahs greift immer weiter um sich und läßt kein Ende absehen. Der Osagenhäuptling will noch mehr Krieger holen und von den Feinden »so viele (auslöschen), wie Manitou in unsre Hände gibt« (Silbersee 176). Die Utahs dagegen töten zwar nach und nach alle am Überfall auf sie Beteiligten, dehnen aber ihre Rache auf alle Weißen aus. Der Große Wolf nennt dafür zwei Gründe: einen pädagogischen, daß dann die andern Weißen einsehen müßten, was ihre Ungerechtigkeit angerichtet hätte (ebd. 386), und ei-


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nen geschichtsphilosophischen: »Der rote Mann ist verurteilt, eines langsamen und qualvollen Erstickungstodes zu sterben. Ist es da nicht besser für ihn, den Kampf so zu führen, daß er rascher stirbt . . .?« (ebd. 389)(123) Nun greifen gar noch die Navajos verlustreich ein! Bei Old Shatterhands erstem Vermittlungsversuch erwidert der Vertreter der Utahs: »Wir wollen Rache, aber keinen Frieden« (ebd. 612)! Wie soll es da zu einer Lösung kommen?

   Damit scheint sich die vierte Bildgeschichte, ›Am »Kai-p›a«‹,(124) zu befassen. ›Die Rache des Mormonen‹ hatte zuletzt auch die einzige Überlebende verschwinden lassen, ein Mädchen, das seiner unergründlichen Augen wegen Schwarzauge hieß; jetzt ist es eine junge Lady mit guten, dankbaren Augen (Kaipa 335),(125) die es vor dem kochenden Geiser(126) zu retten gilt. Da Zureden nichts hilft, ist ein Warnschuß nötig, für den der Ich-Held dann erschossen werden soll; nun ist es die Lady, die ihm glaubt und ihn rettet. Doch eine zweite Gefahr droht: Ein Schoschonenhäuptling will aus Rache von den Bleichgesichtern hundert Skalps und zehn Frauen erbeuten! Wieder gelingt die Rettung, auch der ganzen Gesellschaft, und zum Lohn bekommt der Retter das Mädchen zur Frau, dessen Reichtum nun die Unterstützung armer Verwandter ermöglicht. Offenbar will May unbedingt seine Ehe retten. Emma war freilich keine reiche Erbin gewesen!(127) Daher zielt die Erzählung auf gegenseitige Hilfe: Wenn wir zusammenhalten, läßt sich die Krise überwinden!

   Wie war das nun in den ›Silbersee‹ einzubringen? – Old Shatterhand und seine Leute verwenden ein Argument, das schon in der ›Sklavenkarawane‹(128) auftaucht, jetzt sich aber nicht weniger als zehnmal findet: Wir sind Christen!(129) – meist mit der Folgerung, deshalb den Feinden zu vergeben. Einmal wird näher ausgeführt: »Wir haben oft auf unsre gerechte Rache verzichtet und verziehen, wo wir hätten strafen sollen.« (Silbersee 612) Lag es nicht nahe, nachdem ›Die Rache des Mormonen‹ sich zwischen Sektierern und Wilden abgespielt hatte, dem ein wahrhaft christliches Verhalten gegenüberzustellen?

   Etwa Anfang November 1889 wird May so seinen Tiefpunkt überwunden und sich bewußt an seinen Glauben gehalten haben. Da er nun Winnetou bereits als Heiden eingestuft hatte (Silbersee 273), mußte Old Shatterhand dessen Rolle als Besieger der Rache übernehmen, die dann bald auf jenen wieder abfärbt: S. 616 wird von seiner milden Ruhe gesprochen. Doch ist nun die Überwindung der Rache an den christlichen Glauben gebunden, was bisher nicht so gewesen war. Das zeigt sich deutlich in den letzten 40 Seiten des ›Sendador‹, die May vor dem ›Silbersee‹-Schluß schrieb. Dort führt er überraschend dessen Sohn ein, von dem noch nie die Rede gewesen war. Grund: Sabuco war verstockt geblieben, obwohl ihn der Ich-Held unter Lebensgefahr geborgen und Böses mit Gutem vergolten hatte (Sendador II 811), wie


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einst Winnetou. Nun beredet er seinen Sohn, mit den Kipus einen Fluchtversuch zu wagen, der auf jeden Fall scheitern mußte: Er geriet dabei in Lebensgefahr und wurde vom Helden gerettet – ohne die Kipus! Aber dabei war ein Doppeltes geschehen: Dem Sohn kam beim Versinken die »Einsicht: daß ich nicht zu leben verdiente. Von jetzt an aber will ich es verdienen.« (ebd. 823) Der Vater aber sagt: »Als ich meinen Sohn versinken sah, ist mir das Herz gebrochen. Mit einem Male sah ich, was für ein Mensch ich gewesen bin« (ebd.): Wie bei noch anderen bei May führt der Weg zu seinem Herzen über seine Lieben. Er bereut: »Ich glaube an die ewige Liebe und Gnade« (ebd.); ihm und seinem Sohn wird vergeben.

   Dementsprechend fällt dann das Ende des ›Schatz im Silbersee‹ aus:(130) Der Timbabatschen-Häuptling Langes Ohr, in die Hände der Utahs geraten, ergreift die Gelegenheit, sich für die ihm widerfahrene Zurücksetzung und Beleidigung (an den Weißen mit Hilfe der Utahs) zu rächen (Silbersee 618), worauf jene auch eingehen. Aber das hat schlimme Folgen: Die Hälfte der ›Rächer‹ ertrinkt elend im untersee-ischen Gang; seiner neuen Rolle gemäß ist es Winnetou, der buchstäblich den Stein dafür ins Rollen bringt! Zugleich geht der Schatz verloren. Anderseits triumphiert die Vergebung: Dem Langen Ohr wird sein Verrat verziehen, da er Freund und Kamerad des Großen Bären war (ebd. 639); aber er soll seine Sünde eingestehen (ebd. 627). Dann muß auch dem Großen Wolf vergeben werden,(131) obwohl er die Schuld an allem (trug), was geschehen war (ebd. 642). Da sich die Verluste der beiden Stämme infolge der Katastrophe gegenseitig aufheben, kann Old Shatterhand sie zum Frieden zwingen. Anstelle des verlorenen Schatzes aber mehrt sich der Ertrag der Silbermine von Tag zu Tag! (ebd. 644)(132) Und wunderbar: Zwei Jahre später wird das Wirklichkeit!

   Zunächst bleibt es freilich bloßer Wunsch und wird deshalb Anfang 1891 in ›Das Vermächtnis des Inka‹(133) in Frage gestellt: soll der Schatz vernichtet oder verwendet werden (Inka 538)? Vater Jaguar will Gutes damit tun, wie später Anton Helmers (Donnerpfeil) in ›Old Surehand II‹; der junge Inka will nichts davon wissen. Das zeigt doch wohl Mays inneren Zwiespalt, ob er sich abfinden oder weiter streben solle; bis zu Fehsenfelds Kommen sollten noch Monate vergehen.

   Aber auch für das Rachethema geschieht Wichtiges. Beide Helden suchen Mörder: Hammer den seines Bruders, Haukaropora den des Vaters; mit tödlichen Brandwunden fallen sie ihnen in die Hände. Jetzt weigert sich der Deutsche, den Mörder auf seine Bitte hin zu töten: »Das wäre eine Wohlthat für dich.« (Inka 550). Der Inka dagegen sagt: »Ich will nicht hart, sondern gnädig sein« (ebd. 551) und will den andern rasch töten; da dieser aber nicht sterben will, gesteht er ihm auch dies zu. Das dürfte einen inneren Zwiespalt Mays erkennen lassen: Noch war er mit seinen Rachegefühlen nicht fertig.


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   Noch eins ist wichtig: Die Bestrafung des Leutnants Verano, obwohl hier das Wort Rache fehlt. Unter Berufung darauf, daß die feindlichen Indianer keine Menschen seien, wollte er die in einem Tal Einzuschließenden alle niederschießen lassen, und Hammer hatte ihm dafür mit dem Tode gedroht. Trotzdem entfesselt er das Blutbad. Zur Rede gestellt, weist er von sich, irgendwem gehorchen zu müssen. Hammer fragt ihn daraufhin: »Auch Gott nicht, welcher den Mord verboten hat? . . . Hier, nimm deinen Lohn!« Und Hammer schießt ihn nieder (ebd. 427f.). So wird die Todesstrafe für Massenmord auf der Stelle vom Helden vollzogen: Er selbst ist die Obrigkeit! Daß sich dies nicht gegen die Staatsgewalt richtete, war schon vorher geklärt worden: Im Gran Chaco »hat der Präsident nichts zu sagen.« (ebd. 345). Kein Wort mehr davon, Zeit zur Reue zu gönnen, aber auch keine Weigerung, den Henker zu machen! Holt May damit die im ›Silbersee‹ trotz wiederholter Androhung am Großen Wolf nicht vollzogene Todesstrafe gewissermaßen nach? Dann hätte sich seine Haltung zuletzt noch einmal verhärtet.


V. Endgültige Überwindung 1891-94

Mit ›Die Felsenburg‹, ›Krüger-Bei‹ und ›Die Jagd auf den Millionendieb‹(134) beginnt die endgültige Überwindung der Rache, obwohl sie noch als Gliederungsprinzip dient: Der ganze Roman setzt Thomas Meltons Rache gegen Old Shatterhand voraus: von ihm wegen Mordes festgenommen,(135) war er aus dem Gefängnis entkommen. Zunächst will sich sein Bruder Harry an Old Shatterhand rächen; der Alkalde versagt sich. – Dann: Krüger-Bei, Vertreter der Obrigkeit in Tunis, duldet keinen Angriff auf seinen Liebling Thomas Melton (Krüger-Bei 135),(136) der erneut Rache sucht.(137) – Drittens: Der Advokat Murphy zahlt trotz Warnungen(138) ein Vermögen an Jonathan Melton (Harrys Neffen) aus; die Verfolgung geht weiter und führt zuletzt zum Ziele. – Jedesmal also ging ein Versagen der Behörden voran! Außerdem enthält jeder Teil noch eine Blutrache als vom Hauptgeschehen unabhängiges Binnenereignis: Die Rache

1. des Yumahäuptlings gegen Old Shatterhand,(139)

2. zweier Beduinenstämme gegeneinander,

3. eines Comanchenhäuptlings gegen Old Shatterhand und Winnetou.(140)

Hatte es sich aber in den früheren Werken fast immer um eine gerechte Rache gehandelt, so verhält es sich jetzt plötzlich umgekehrt: Es sind verfolgte, bestrafte Verbrecher, die sich rächen wollen! Selbst die Blutrache macht keine Ausnahme; im Falle der Beduinen setzt ihre


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Unmenschlichkeit die Rächer ins Unrecht. Die einzige Ausnahme, die Binnenerzählung in ›Die Jagd auf den Millionendieb‹, wird nachdrücklich in eine längst vergangene Zeit verlegt.(141)

   Damit ist ein wesentlicher Schritt vollzogen, den notwendigerweise ein zweiter ergänzt: Nicht Rache für erlittenes Unrecht ist jetzt Lebensaufgabe der Helden, sondern Hilfe für andere, ob Landsleute oder Fremde, die durch Verbrecher um ihr Leben oder Hab und Gut gebracht werden sollen. Da sich die Schurken als Rächer verstehen, ist damit auch der Rache der Kampf angesagt. Nicht ihre Berechtigung oder gar die Verpflichtung dazu, sondern die Frage, ob man sich für andere verantwortlich wissen und eingreifen müsse, tritt zumal anfangs überraschend in den Vordergrund. Daher kann Winnetou nun nicht mehr die Rolle eines Rächers spielen. Das zeigt sich gleich beim ersten Auftreten: Noch nie hatte es eine Begrüßung mit wiederholten Küssen gegeben!(142) Zwar kann er immer noch Unverschämte mit dem Kolben niederschlagen,(143) ja sogar einen in den Zweikampf eingreifenden Yuma niederschießen (Felsenburg 810); aber jetzt sorgt er für Recht und Ordnung, nicht mehr für Rache! Sogar von der Verfolgung des Players, den er als Mörder kennt, läßt er ab; »da er . . . keinen meiner Brüder getötet hat, so muß ich ihm das Leben lassen« (ebd. 444).

   Dann aber wird alles Gewohnte auf den Kopf gestellt: Old Shatterhand muß allein handeln, weil Winnetou den schwerverletzten Herkules zu pflegen hat (ebd. 634)! Man stelle sich Inn-nu-woh in dieser Rolle vor! Das ist also nicht nur als Erweiterung, sondern geradezu als Änderung seiner Aufgabe zu werten. Der Grund kann nur darin bestehen, daß die Rache keine Rolle mehr spielen darf: Sie ist besiegt, aber ohne daß der Sieg über sie bisher dargestellt worden wäre. –

   Im ›Ölprinz‹(144) ändert sich daran nichts; es geschieht 1893 auf dem Orient-Schauplatz in der Erzählung ›Blutrache‹,(145) nachdem sich Mays Finanzlage endlich gebessert hatte, mitten hinein in den ›Winnetou I‹. Omar Ben Sadek, der Bluträcher des großen Orientromans, tritt wieder auf, spricht davon, daß er damals den Mörder seines Vaters nur geblendet habe, und will diesmal gegenüber dem Mörder seines Schwagers keine Gnade walten lassen. Aber – 1. May läßt ihn ungewollt Dinge vollziehen, die sein späteres Handeln vorweg bestimmen. Als Posten erschießt er nach vergeblichem Anruf einen Anschleichenden: Es ist der eigentliche Mörder! Weiter: Wieder als Posten findet er ein ausgesetztes Kleinkind, gewinnt es lieb und schwört, es den Eltern zurückzugeben: Es ist der Sohn des feindlichen Scheiks! Auch ein retardierendes Moment gibt es: Solange der Scheik seinen Sohn für verloren halten muß, wünscht er sich den Tod; der Bluträcher würde ihm also eine Wohltat erweisen! 2. Wir hatten gesehen, wie May früher Gottes Strafen eingesetzt hatte: als menschliches Strafen bei weitem übertreffend. Auch hier ruft der gefangene Scheik aus: »O Allah, wie


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strafst Du diese That!« (Blutrache 184) Wie aber? So, daß er den Bluträcher zum Retter des geraubten Kindes gemacht hat! Der bisher seiner selbst so sichere Vater sieht zum erstenmal seine Schuld und wird von ihren Folgen zerrissen: Zwar ist der Kleine wiedergefunden, aber er selbst müßte sterben. Wenn es keine andere Rache gäbe . . .

   Das aber ist, wie schon im ›Winnetou‹ von 1878, die Möglichkeit, Böses mit Gutem zu vergelten. Kara Ben Nemsi rät Omar dazu mit der Einschränkung: »Ja, wärest Du ein Christ, so . . .« (ebd. 183). Was in ›Durch das Land der Skipetaren‹ die Gewöhnung an sein Denken bewirkt hatte, das bringt hier weit glücklicher die Liebe zu dem Kinde zustande: Omar kann sich fürchterlich rächen (ebd. 183), indem er auf alle Rache verzichtet und so aus dem Blutsfeind einen vertrauten Freund macht: Wie eigentlich christlich fühlte und handelte man hier und jetzt (ebd. 184), heißt es zum Schluß. Damit ist auch jene alte Winnetou-Erzählung übertroffen, deren Rettertat ja die Feindschaft nicht behoben hatte.

   In ›Winnetou I‹ verschärft sich der Konflikt aufs äußerste:


1. Santers Bluttat führt Winnetou zu der Einsicht: »Mögen wir euch hassen, oder mögen wir euch lieben, . . . wo ein Bleichgesicht seinen Fuß hinsetzt, da folgt . . . das Verderben für uns« (Winnetou I 497), und dann zu dem Entschluß, von »heut an jeden Weißen, jeden, jeden Weißen, der mir begegnet, . . . zu erschießen . . . (ebd.) – ein Schwur, den Old Shatterhand unterbricht.

2. Dieser Entschluß weitet sich zu dem Plan, die Indianer zum Vernichtungskampf gegen die Weißen aufzurufen. Der voraussehbare Ausgang hätte ihn nicht abgeschreckt;(146) es ist die schon im ›Ölprinz‹(147) dargestellte Schwierigkeit, die Stämme zu einen, die ihn davon abstehen läßt.

3. Statt dessen sollen nun die Kiowas sterben, da sie sich des Mörders angenommen haben; wieder wird betont: Alle! Dies wäre unbedingt durchführbar; darum muß Old Shatterhand erneut eingreifen, obwohl er fürchtet, sich dadurch Winnetous Zorn zuzuziehen. Wie geht er vor? Zuerst erbittet er nichts als einen Aufschub bis nach dem Begräbnis – mit Gründen, die sich ans Gefühl richten. Nur kurz klingt an, daß Winnetou dann ja zuerst ihn selbst erschießen müßte:(148) dies werde vielleicht seine letzte Bitte sein; »dann wirst du die Stimme deines weißen Freundes und Bruders niemals wieder hören« (ebd. 499). Dann spricht er von Nscho-tschi, die sie doch beide liebgehabt habe, und bittet ihn bei dieser Liebe, den begonnenen Schwur noch nicht zu vollenden. Er wird erhört, und in der Stille seiner Trauer nimmt Winnetou außer ihm noch Klekih-petra und Nscho-tschi zu Ratgebern, den Krieg zu unterlassen. So bleibt für Old Shatterhand nur die Aufgabe, ihn von der Rache an den Kiowas


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abzubringen. Sein Argument, so begehe die rote Rasse Selbstmord, anstatt gegen den gemeinsamen Feind zusammenzustehen, schlägt durch: An die Stelle der Verantwortung nur für die Familie tritt die für die Rasse. Einzig Santer soll die verdiente Strafe erleiden. Aber der entkommt zunächst . . .


Doch nicht nur bei dieser Entscheidung spielt im ›Winnetou I‹ Klekih-petra eine wichtige Rolle: Er ist das Vorbild eines Mannes, der sein Leben der Sühne eigener Schuld geweiht und geopfert hat. Damit ist ein Ziel gesetzt: Nicht erlittenes Unrecht zu rächen, sondern begangenes zu sühnen ist die zu erfüllende Lebensaufgabe! Diese Einsicht kam May nicht erst jetzt; bereits Ellen, die jungen Quitzows und Pepe(149) hatten sühnen wollen. Das aber waren Ausnahmen gewesen; die als heilig angesehene Pflicht zur Rache hatte vorgeherrscht. Jetzt wird das anders: Neues Blutvergießen kann alte Blutschuld nicht sühnen, nur drohendes Unheil beschleunigen; rechte Sühne muß in etwas anderem bestehen. Worin aber?

   Noch bietet sich keine Gelegenheit, das zu zeigen; Santer muß verfolgt, Sam Hawkens befreit werden. Aber Klekih-petras Lebensbeichte hatte den Weg gewiesen, Früchte der Werke (Winnetou I 130) zu tragen, für May also: den Glanz der Liebe, der Versöhnung (ebd.) in das Leben seiner Leser fallen zu lassen. Bevor sich Santers Geschick erfüllt, stirbt Winnetou. Doch jetzt bekennt er sich nicht erst im Tode zu Christus, sondern sagt im Zwiegespräch über das Jenseits, zu dem ihn die Todesahnung treibt: »Winnetou . . . wird . . . für die Mörder seiner Nation, seiner Brüder, um Gnade und Erbarmen bitten« (Winnetou III 464): nach dem Vorbild Christi selbst und dem des Stephanus, die beide für ihre Mörder beteten.(150) Nur handelt es sich jetzt nicht um die Sioux, von deren Kugel er fallen sollte, sondern um die Weißen überhaupt, gegen die er für die Ermordung von Vater und Schwester den Rachekrieg hatte entfesseln wollen.

   Damit zeigt er sich völlig vom Geiste Christi bestimmt: Das Ziel ist erreicht, nicht nur das von Klekih-petra für ihn erhoffte, sondern auch dasjenige Mays selbst; in der Fürbitte für den Schuldigen ist die Rache aufgehoben und wird auch vom Gericht Gottes nicht mehr erwartet. Das geht nun weit über den alten Kontext hinaus; Winnetous letzte Worte können so nur noch das Bekenntnis dessen darstellen, was er innerlich schon geworden war.

   Auch der Mörder Santer sollte darum als erster sühnen, statt der Rache zum Opfer zu fallen. Denn da Winnetou als Christ gestorben war,(151) sollte sie zwar begraben sein, nicht aber die Strafe erlassen werden; dafür wollte Old Shatterhand Santer aufs nächste Fort schaffen. Das Ergebnis wäre wohl noch heute ein Freispruch! Doch Santer zeigt nicht die geringste Absicht zu sühnen.(152) So hätte Old Shatterhand um


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ein Haar die Bestrafung – also doch Rache! – in die Hand nehmen und Henker werden müssen, wenn höhere Gewalt nicht eingegriffen hätte: Santer sprengt sich selbst in die Luft. Zwei Indianerhäuptlinge drücken aus, was das bedeutet: »Der große Geist hat ihn gerichtet«, ruft Pida (ebd. 623), und Til-Lata sagt: »Der böse Geist hat ihn hinuntergezogen . . . und wird ihn nicht wieder hergeben« (ebd. 624). So waren denn Intschu tschuna und Nscho-tschi endlich, endlich gerächt (ebd. 627), aber eben nicht durch den eigentlich dazu berufenen Bluträcher oder seinen Freund, sondern durch einen Höheren.

   Das zeitigt im ›Old Surehand I‹(153) erstaunliche Folgen: Old Shatterhand fordert Schiba-bigk, der aus Angst vor Spott die Freundschaft mit ihm verleugnet hatte, dazu auf, so zu werden wie Winnetou und das Gebot der Liebe, ja der Feindesliebe anzunehmen! Kein Wunder, daß der Indianer um Bedenkzeit bittet (Surehand I 370). In einem äußerst wichtigen, aber leider längst gestrichenen Zusatz erklärt May, er habe damit auf Christus hinweisen wollen, aber dessen Vorbild wäre dem jungen Indianer zu fremd gewesen; sei ihm doch schon Winnetous Beispiel unerreichbar erschienen!

   Überschreitet May damit unverrückbare Grenzen? – Keine Angst: Auch Paulus(154) fordert bereits seine Leser auf, ihn (den sie selbst kennen) so nachzuahmen, wie er Christus nachahmt (den sie nie gesehen haben). Genauso soll Winnetou denen, die ihn achten, eine Hilfe dafür sein, Jesus nachzufolgen, der ihnen sonst unverständlich zu bleiben drohte, da uns so viele Jahrhunderte und der Unterschied von Rasse, Sprache und Sitte von ihm trennen. Wie wird sich der junge Häuptling entscheiden?

   Im wohl gleichzeitig mit dem ersten verfaßten zweiten Band von ›Old Surehand‹(155) antwortet auf diese Frage indirekt der neue Schluß des ›Waldröschen‹-Kapitels: Donnerpfeil als Nachahmer der Milde und Verzeihung, die Winnetou und Old Shatterhand ihm vorgelebt haben, ist nur dann bereit, ein ihm von indianischen Freunden angebotenes riesiges Goldgeschenk anzunehmen, wenn sie auf die Fortsetzung ihrer Rache verzichten. Nach längerem Überlegen stimmen die Indianer zu! Daß Donnerpfeil das Gold auch »den Witwen und Waisen, den Armen und Kranken meines deutschen Vaterlandes« (Surehand II 422) zugutekommen lassen möchte, zeigt, daß es hier um May selbst geht; hatte er sich doch schon am Schluß von ›Die Jagd auf den Millionendieb‹ dieses Ziel gesetzt. Das aber erforderte, daß er es mit lauterer Gesinnung tun konnte und nicht etwa zugleich Rachegedanken hegte, die er so etwa gar hätte sühnen wollen! Daher widerruft er hier Die Rächerjagd rund um die Erde (Waldröschen), um gewiß sein zu können, durch seine Schreibweise keinen Menschen zu schädigen (Winnetou III 629).

   Tat er damit aber seinem Gewissen nicht Gewalt an? – Das erörtert


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Shatterhand mit Surehand, der seinen Glauben durch erlittenes Unrecht verloren hatte, unter Hinweis auf Gottes Allwissenheit. Das erste Argument kennt schon Hiob: Nur ein Gott Gleichgestellter könnte ihn zur Rechenschaft ziehen. Das zweite kommt aus Mays eigener Erfahrung: Gewiß habe er schon als Kind und auch später wieder Schweres durchgemacht und fragen können: »Habe ich das verdient? Aber der Ausgang ist stets so gut und glücklich gewesen, daß ich in Dankbarkeit die Hände falten und sagen mußte: Nein, das habe ich nicht verdient!« (Surehand I 412)

   Wir dürfen ihm das glauben. Ohne Zweifel mußte er sich sagen, daß ein anderer, leichterer Lebensweg ihn nicht an das nun erreichte Ziel gebracht hätte. Gerade durch alles, was er durchgekämpft und -gelitten hat, spricht er auch heute noch zu uns, wenn unser Weg durch Tiefen führt. Möge auch uns dann derselbe Sieg zuteil werden!

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Nachbemerkung: Das Mißverhältnis zwischen der Fülle des Stoffes und der für einen Vortrag zur Verfügung stehenden Zeit habe ich auf dreierlei Weise auszugleichen versucht durch:

1. prägnante Formulierung: bei weitem nicht alles, was sich ergab, konnte ausgeführt werden;

2. Verweisung weiterführenden Materials in die Anmerkungen;

3. Beschränkung zumeist auf den Wilden Westen. Für das Jahrbuch wurde der Vortragtext erweitert, um wenigstens Südamerika mit zu berücksichtigen.

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1 Geschrieben von Richard Plöhn als angebliche Antwort Mays an ihn (Karl May: May gegen Mamroth. Antwort an die ›Frankfurter Zeitung‹. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1974. Hamburg 1973, S. 131-52 (135))

2 Wenigstens nicht so, daß man der Entwicklung des Schriftstellers und seiner wichtigsten Anschauungen anhand der Werke nachgegangen wäre

3 Neuerdings zeigt sich mehr und mehr die Neigung, den Ansatz dazu schon vor die entscheidende Reise von 1899f. zu legen.

4 Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 118; Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul (künftig im Text LuS)

5 Vgl. Luther: »Ich will nicht böse werden umb eines andern Bosheit willen«. Predigt über Lukas 6,36-42, EA (= Erlanger Ausgabe. 2. Auflg.) 5, S. 297.

6 Karl May: Meine Beichte. In: Rudolf Lebius: Die Zeugen Karl May und Klara May. Ein Beitrag zur Kriminalgeschichte unserer Zeit. Berlin 1910, S. 4-7 (4f.)

7 In ›Mein Leben und Streben‹ nicht mehr wiederholt!

8 Weish 11,16: »Womit jemand sündigt, damit wird er auch geplagt«; vgl. Luther, EA 5, S. 269.

9 Etwa wie sein Old Wabble in ›Old Surehand‹ II und III.

10 Karl May: Der ‘Mir von Dschinnistan. In: Deutscher Hausschatz. XXXIV. Jg. (1908), S. 643; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1976 (künftig: Mir)


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11 Vgl. hierzu besonders: Um das Prinzip der Vergeltung in Religion und Recht des Alten Testaments. Hrsg. von Klaus Koch. Darmstadt 1972.

12 Es ist erstaunlich, in wie hohem Maße seine Erzählungen sich nach den dort gegebenen Voraussetzungen richten! Vgl. May: Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 67.

13 Die letzten Kapitel des Buches der Richter bieten dafür ein Beispiel.

14 Vgl. Ex 4,22f.

15 Manche Ausleger nehmen hier übrigens einen Textfehler an. Es hieße dann in Fortsetzung des vorigen Satzes: »für den Tag der Rache und der Vergeltung«. So Bruno Baentsch 1903 im Handkommentar zum Alten Testament, Alfred Bertholet 1899 im

Kurzen Hand-Commentar zum Alten Testament (als Möglichkeit). Sachlich wäre aber auch der überlieferte Text richtig, wie das übrige Alte Testament zeigt.

16 Nicht nur in der Karl-May-Literatur, sondern bereits in Ferrys ›Waldläufer‹ wird das oft nicht beachtet (Gabriel Ferry: Le Coureur des Bois. Paris 1850).

17 So z. B. Werner Kittstein: Karl Mays Erzählkunst. Eine Studie zum Roman »Der Geist des Llano estakado«. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 15. Ubstadt 1992, S. 42

18 Ferry dagegen setzt in seinem ›Waldläufer‹ im 45. Kapitel Savannengericht und Lynchjustiz in eins (Ferry, wie Anm. 16).

19 Das ist nicht unbestritten, erweist sich aber m. E. am unzweifelhaft zwischen beiden bestehenden Gegensatz, der kein Nebeneinander duldet.

20 Vgl. z. B. Friedrich Gerstäcker: Die Regulatoren in Arkansas. Weimar o. J., 4. Kapitel.

21 Das ist ja auch Kleists Michael Kohlhaas nicht gelungen!

22 Hauptperson des Romans ›Der verlorne Sohn‹ (Karl May: Der verlorne Sohn. Dresden 1883-85; Reprint Hildesheim-New York 1970ff.)

23 Karl May: Der Gitano. In: Der Beobachter an der Elbe. 2. Jg. (1875); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1974

24 Vgl. Gerhard Linkemeyer: Im Schatten des Schut. Eine Betrachtung zum symbolischen Gehalt der Balkanabenteuer Karl Mays. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 14. Ubstadt 1992, S. 42ff.

25 Vgl. 1 Kor 14,20.

26 Das hat freilich den bedeutenden Nachteil, daß manche Zwischenglieder so nicht berücksichtigt werden können und dieEntwicklung zuweilen abrupter scheint, als sie in Wirklichkeit war. Aber eine Darstellung des gesamten Materials würde eine Monographie erfordern. Hier gilt es zunächst die Hauptlinien zu zeigen.

27 Karl May: Der Oelprinz. In: Frohe Stunden. 2. Jg. (1878); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1971 (künftig: Oelprinz)

28 Das sich erst später als Tochter des Ölprinzen herausstellt; die Tat erfolgt also ohne Bezug auf ihn!

29 Daraus erklärt sich wohl, warum May einerseits gelegentlich selbst ein Werk so einschneidend bearbeiten konnte, daß sein ursprünglicher Sinn weitgehend verloren ging (z. B. die Ersetzung von Ellen in ›Old Firehand‹ durch Harry in ›Im fernen Westen‹), anderseits solche Veränderungen von seiten anderer in die Gesammelten Reiseerzählungen übernehmen konnte (z.B. Keiters Streichungen in ›Krüger-Bei‹): Der Inhalt betraf in erster Linie ihn selbst; mit der Niederschrift hatte er seinen wichtigsten Zweck erfüllt.

30 Karl May: Aus der Mappe eines Vielgereisten. Nr. 1. Inn-nu-woh, der Indianerhäuptling. In: Deutsches Familienblatt. 1. Jg. (1875/76); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1975

31 May: Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 136

32 Karl May: Aus der Mappe eines Vielgereisten. Nr. 2. Old Firehand, wie Anm. 30 (künftig: Old Firehand)

33 Ihren Namen dürfte May aus Gerstäckers ›Regulatoren‹ übernommen haben, wo auch eine Ellen mit der Pistole schießt.

34 May führt zwar andere Gründe für die Haltung seines Ich-Helden an; aber die Verbindung zwischen Nr. 1 und 2 ›Aus der Mappe eines Vielgereisten‹ läßt diese Beziehung klar hervortreten.


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35 Dies Mittel, über einen Nächstverwandten einen Widerstrebenden umzustimmen, wird May noch öfter anwenden.

36 Noch in ›Und Friede auf Erden!‹ (Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXX. Freiburg 1904) schreibt er: Ich kann mich einem Gedanken, welcher mich beschäftigt, niemals eigenmächtig entziehen, sondern ich bin so lange sein Eigentum, bis ich ihn vollständig erledigt habe (S. 216), und später: Wer . . . gewöhnt ist, seinen geistigen Himmel immer rein, klar und licht zu sehen, dem wird jeder nur halb fertig gedachte Gedanke zu einer Wolke, welche ihn nicht nur direkt stört, sondern auch auf alle seine anderen Gedanken ihren Schatten wirft. (S. 218) Das anfangs geforderte zusammenhängende Studium seiner Werke bestätigt diese Feststellung, die ihrerseits zeigt, daß er sich dieses Gedankenfortschritts selbst bewußt war.

37 Erst in der ›Sklavenkarawane‹ wird May sich mit dem Problem eines solchen Schwurs beschäftigen.

38 Zwar könnte man sich ein Präriegericht vorstellen, und es findet auch wirklich eine Art Besprechung statt; da aber das Urteil von vornherein feststeht, geht es nur noch um die Frage, wo es vollstreckt werden solle.

39 Selbst Winnetou, an sich an der Rache beteiligt, stellt fest: ». . . ihre Klugheit ist den Gefühlen der Rache gewichen.« (May: Old Firehand, wie Anm. 32, S. 254)

40 Die erneute Rettung läßt sie das schon früher vom Ich-Helden vorgeschlagene Ziel sich aneignen, der Liebe gehorchen zu dürfen (ebd., S. 271).

41 Karl May: The Both Shatters. In: Für alle Welt! 5. Jg. (1881); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1977

42 Andreas Graf meint, Axmanns Roman ›Geheime Gewalten‹ in ›Schacht und Hütte‹ habe May dazu angeregt: Andreas Graf: Winnetou im Criminalroman. In: Karl May. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München 1987, S. 47 (Sonderband Text + Kritik).

43 Er ist dort aber keineswegs beliebt: »Der Westmann braucht keine Polizei, er richtet selber, was es zu richten giebt, und wer sich da hineinmengt, den weißt [!] er mit dem Bowiekneif zurück.« (Karl May: Auf der See gefangen. In: Frohe Stunden. 2. Jg. (1878), S. 580; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1971 – künftig: See)

44 Karl May: Ein Self-man. In: Frohe Stunden, wie Anm. 43

45 Karl May: Vom Tode erstanden. In: Frohe Stunden, wie Anm. 43

46 Karl May: Der Scout. In: Deutscher Hausschatz. XV. Jg. (1888/89); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1977 (künftig: Scout)

47 So der Untertitel

48 Die von Andreas Graf, wie Anm. 42, S. 59, dafür angenommenen urheberrechtlichen Gründe scheinen mir nicht auszureichen. Winnetou war dem Erzähler ebenso wie dem Leser inzwischen bekannter geworden, was man von dem nie wieder aufgetretenen Sioux-Häuptling nicht sagen kann.

49 Karl May: Winnetou. In: Omnibus. 17. Jg. (1878), S. 188; Reprint in: Karl May: Der Krumir. Seltene Originaltexte Bd. 1. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg/Gelsenkirchen 1982

50 May: Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 144

51 Karl May: Three carde monte. In: Deutscher Hausschatz. V. Jg. (1878/79); Reprint in: Karl May: Kleinere Hausschatz-Erzählungen. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg-Regensburg 1982 (künftig: Three carde)

52 Karl May: Ein Dichter. In: All-Deutschland! 3. Jg. (1879); Reprint in: Karl May: Der Waldkönig. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg 1980 (künftig: Dichter) – Siehe auch: Siegfried Augustin: Armands Saat und Karl Mays Ernte. In: Mitteilungen der KarlMay-Gesellschaft (M-KMG) 53/1982, S. 15-26.

53 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. II Bd. 2: Die Juweleninsel. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987 (künftig: Juweleninsel)

54 Gabriel Ferry: Der Waldläufer. Für die Jugend bearbeitet von Carl May. Stuttgart (1879); Reprint Bamberg 1987 (künftig: Waldläufer)

55 Karl May: Deadly Dust. In: Deutscher Hausschatz. VI. Jg. (1879/80); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1977 (künftig: Deadly Dust)

56 Siehe oben zu ›Three carde monte‹.


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57 Er ist im Gegensatz zu Old Shatterhand amerikanischer Bürger - eine bei Gerstäcker betonte Notwendigkeit

58 Eine Begründung ist auffällig: Der Geist der Savanne ist gerecht und barmherzig; er gibt nicht Gnade, die in das Verderben führt.« (May: Deadly Dust, wie Anm. 55, S. 554)

59 Er ist Vollstrecker kraft dieses Amtes – und nicht aus rassistischen Gründen, wie nur völlige Unkenntnis des Zusammenhangs annehmen konnte! (z. B. Ulrich Melk: Das Werte- und Normensystem in Karl Mays Winnetou-Trilogie. Paderborn 1992, S. 97 – wohl nicht als erster!) . . . Auch bei Gerstäcker, wie Anm. 20, hat ein Neger dieselbe Funktion!

60 Ebd., S. 446 – Vgl. ebd. S. 435ff.: Auch dort werden fünf Verbrecher verurteilt, aber drei davon werden begnadigt, von denen einer vorher, einer nachher geprügelt wird.

61 Sieht man mit Klaus Eggers (Klaus Eggers: Einige Überlegungen, drei Sätze betreffend, . . . In: M-KMG 51/1982, S. 26-29 (27)) diese Erzählung als eine Rekapitulation bisheriger Wildwestgeschichten an, dann zeigt der Umstand, daß in keiner von ihnen eine regelrechte Gerichtsverhandlung vorkam, wie sehr es May gerade zu jener Zeit darum ging. Ferrys ›Waldläufer‹ bildet die einzige Ausnahme; da aber hat May die Gerichtsszene nicht geschaffen, sondern nur ausgestaltet.

62 Karl May: Das Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde. Dresden 1882; Reprint Leipzig 1988ff. (künftig: WR)

63 Nach Klußmeier bereits beim ersten Nachdruck in ›Verfolgung‹ geändert und fast ausschließlich so zitiert. Zweifellos ist aber ›Rächerjagd‹ aussagekräftiger, schon wegen des möglichen und im Romanablauf gerechtfertigten Doppelsinns: einerseits jagen die Rächer, anderseits werden sie gejagt (Vgl. Gerhard Klußmeier: Nachwort (zu ›Waldröschen‹), wie Anm. 62, S. XXIIf.).

64 Büffelstirn . . . hatte den Apachen mitgenommen, um seiner Rache ein gerechtes Urtheil unterzulegen. (Ebd., S. 441)

65 Hier wird ausdrücklich gesagt, mit dem Tode des ersten Comanchen bei der Befreiung der Gefangenen habe die Blutrache begonnen (ebd., S. 451).

66 Vgl. Karl May: Ein Schundverlag. Ein Schundverlag und seine Helfershelfer. Prozeßschriften Bd. 2. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 352.

67 Er erfolgte am 7. 4. 1883, also nur fünf Monate, nachdem das ›Waldröschen‹ zu erscheinen begonnen hatte.

68 In Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XV: Old Surehand II. Freiburg 1895, S. 420ff. (künftig: Surehand II)

69 September bis Oktober 1882; in: Karl May: Im »wilden Westen« Nordamerika's. In: Feierstunden im häuslichen Kreise. 9. Jg. (1883); Reprint in: Karl May: Winnetou's Tod. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1976 (künftig: Im wilden Westen)

70 Nicht als Repräsentant Emmas, wie Walther Ilmer meint (Karl May – Mensch und Schriftsteller. Husum 1992, S. 96): Dazu wäre der damals noch genau wie Ferrys Rayon Brûlant beschriebene Apache wenig geeignet gewesen.

71 Die eingehende Beschreibung einer Großmutter im Helldorf-Settlement legt das sehr nahe – vgl. May: Im wilden Westen, wie Anm. 69, S. 135.

72 Karl May: Die Todes-Karavane. In: Deutscher Hausschatz. VIII. Jg. (1881/82); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1978 (künftig: Todes-Karavane)

73 Unter Nichtbeachtung des Unterschieds zwischen Orient und Wildwest trägt May dies später für Winnetou in Band IX nach: Er war durch den Umgang mit mir in seinem Innern ein Christ geworden, obgleich er es vermieden hatte, es zu sagen. (Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. IX: Winnetou der Rote Gentleman III. Freiburg 1893, S. 464 – künftig: Winnetou III)) – dazu später mehr.

74 Daß May diese Beziehung zwischen der Katastrophe im Orientroman und Winnetous Tod durchaus bewußt war, zeigt sich auch daran, daß er 1893 in dem auf dessen Eingliederung in die Winnetou-Trilogie folgenden ›To-kei-chun‹ Dschafar als Verwandten der ermordeten Perser auftreten und davon sprechen ließ.

75 Sie findet sich auch in Dumas’ ›Der Graf von Monte Christo‹.

76 Vgl. May: Waldröschen, wie Anm. 62, S. 2558, nach Johannes Scherr, ›Das Trauerspiel in Mexiko‹, bekanntlich Mays wichtigste Quelle – vgl. dazu: Hanswilhelm


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Haefs: Karl Mays ›Waldläufer‹. Spurensuche in Mexiko. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 80/1989.

77 Vgl. May: Waldröschen, wie Anm. 62, S. 2456: ». . . Gott hat sein Gericht bereits begonnen«.

78 Vgl. Luther in einer Predigt über Mat 18,21-35: »Gott allein hat das Recht dazu [d.h. zu strafen], und ist gewiß, wo du nur nit strafest, und ihm zuvor kombst, er werde weit härter und greulicher die Sünde an deinem Mitknecht strafen, denn du immer gedenken kannst.« EA 3, S. 168.

79 Karl May: Deutsche Herzen, deutsche Helden. Dresden 1885-87; Reprint Bamberg 1976 (künftig: DHH)

80 Bezeichnenderweise werden sie mit Tieren verglichen: Leflor hat ein Fuchsgesicht, Walker zeigt das Lächeln eines Raubtieres (ebd., S. 1378), und Florin, der Hauptschuldige, hätte gar gern und willig dem Satan Leib und Seele unter der Bedingung verschrieben, . . . sich . . . rächen zu können (ebd., S. 1524).

81 Dem Trapper Jim Snaker wird sogar eine neue Nase anoperiert!

82 Karl May: Unter der Windhose. In: Das Buch der Jugend. Stuttgart 1886; Reprint in: Karl May: Der Krumir, wie Anm. 49 (künftig: Windhose) – Roland Schmid (Die Entstehungszeit der Reiseerzählungen. In: Karl May: Freiburger Erstausgaben Bd. XXIII: Auf fremden Pfaden. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1984, A36) nimmt als Abfassungszeit 1885 (mit Fragezeichen) an, Siegfried Augustin Anfang Juni 1886 (Siegfried Augustin: Vorwort (zu ›Unter der Windhose‹). In: May: Der Krumir, wie Anm. 49, S. 154).

83 Inzwischen hatte Kara Ben Nemsi in ›Der letzte Ritt‹ sogar Büffel abgeschossen, damit sie unter den Beilen der Fleischer nicht einen so langen Todeskampf durchzumachen hätten (Karl May: Giölgeda padishanün. Der letzte Ritt. In: Deutscher Hausschatz. XI. Jg. (1884/85); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1978)!

84 Diese Motive werden bekanntlich im ›Old Surehand III‹ wieder aufgenommen, der außerhalb unseres Rahmens liegt. Dort findet sich dann die endgültige Formulierung: »von Gottes Gerechtigkeit gerichtet, aber von seiner Barmherzigkeit begnadigt« (Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XIX: Old Surehand III. Freiburg 1896, S. 500).

85 Karl May: Der Sohn des Bärenjägers. In: Der Gute Kamerad. 1. Jg. (1887); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1983 (künftig: Bärenjäger)

86 »Een Münch, der andere bemeiert, kann eben nur Münchmeier heeßen.« (Ebd., S. 315)

87 So werden die Schoschonen durch ein Husarenstück von Winnetou und Old Shatterhand überwunden, die Upsarocas von ihnen im Einzelkampf besiegt, die Sioux in eine unhaltbare Stellung getrieben und dadurch zum Frieden veranlaßt, daß beide Helden – genau wie Steinbach in ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ – allein zu ihnen gehen, um mit ihnen zu verhandeln.

88 Christian Heermann: Der Mann, der Old Shatterhand war. Berlin 1988, S. 186

89 Angeführt in Reclams Lexikon fremdsprachlicher Zitate 1888

90 Daß May diesen ganzen Absatz für die Buchausgabe gestrichen hat, weist unzweifelhaft auf einen tiefen Bruch in seiner Einstellung hin, wie wir sehen werden.

91 Sein Hauptargument findet sich in ›Winnetou I‹ im Munde Old Shatterhands wieder: »wie viele Menschenleben mußten dabei geopfert werden!« (May: Bärenjäger, wie Anm. 85, S. 602)

92 Nach Jesu Wort in der Bergpredigt, Mt 5,44. Dies später mehr als zehnmal im Werk zitierte Bibelwort findet sich (abgesehen von: Karl May: Buch der Liebe. Dresden 1875/76, S. 119; Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1988) hier zum erstenmal positiv angeführt, nachdem in ›Deadly Dust‹, wie Anm. 55, S. 438, angemerkt worden war: Der ächte Prairiejäger weiß nichts mehr von dem erhabenen Gebot: »Liebet eure Feinde!« Auch dies ist ein Zeichen für die Wichtigkeit unserer Stelle bzw. der Erzählung. Der Umstand, daß dieser wesentliche Fortschritt in einer Jugenderzählung und nicht etwa im ›Deutschen Hausschatz‹ stattfindet, beweist, daß Mays innere Entwicklung sich in allen seinen Werken abzeichnen kann, ohne Unterschied des Auftraggebers.


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93 Karl May: Der Geist der Llano estakata. In: Der Gute Kamerad. 2. Jg. (1887/88); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg 1983 (künftig: Geist)

94 Karl May: Durch das Land der Skipetaren. In: Deutscher Hausschatz. XIV. Jg. (1887/88); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1978

95 Vgl. ebd., S. 104.

96 Ebd., S. 538: »Mit unserem Gewissen werden wir selbst fertig«, sagt Manach el Barscha.

97 Auch dabei gibt es eine gewisse Entwicklung: Im Falle des Boten Toma ist Kara Ben Nemsi damit einverstanden (ebd., S. 334), später ordnet er es selber an (ebd., S. 482), freilich für Menschen, die den Tod verdient haben, aber sich möglicherweise noch ändern können (ebd., S. 486).

98 Der war aber auf jeden Fall schon dem Tode verfallen infolge einer Wunde, in die der Brand geraten war. So kürzt der Bär, der ihn zerreißt, anderseits sogar seine Leiden ab!

99 Versucht man für diesen Umschwung einen Zeitpunkt auszumachen, so kommt man etwa auf Oktober 1887, und zwar nach dem Schreiben der ersten hundert Seiten von ›Kong-Kheou‹, dessen Plan ebenso wie die vorangehenden Werke nur die

Wiedergutmachung geschehenen Unrechts, nicht aber die Rache dafür vorsah, während das am 2. 11. Spemann vorgelegte ›Geist‹-Projekt bereits wieder die Rache zum Thema hat (Vgl. Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 2: Kong-Kheou, das Ehrenwort. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1988, Editorischer Bericht, S. 551). Wodurch war das ausgelöst worden? Möglicherweise durch den Besuch von Münchmeyers Faktotum Walther mit einem Vertragsentwurf, durch den May um alle seine Rechte gebracht werden sollte: Ich war . . . derart empört, dass ich ihn . . . hinausgeworfen habe (May: Schundverlag, wie Anm. 66, S. 355; vgl. Karl May: Frau Pollmer, eine psychologische Studie. Prozeßschriften Bd. 1. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg 1982, S. 847).

100 So schon Gérard im ›Waldröschen‹, der aber dadurch seine eigene Vergangenheit sühnen wollte (May: Waldröschen, wie Anm. 62, S. 1426). In diesem entscheidenden Unterschied zum ›Sohn des Bärenjägers‹ dürfte der Grund dafür liegen, daß May auf den Vorschlag, beide Erzählungen zusammenzuarbeiten, einfach nicht eingehen konnte.

101 Häufig bei Gerstäcker und bei Ferry; May hatte dies Wort aber in seine ›Waldläufer‹-Bearbeitung nicht übernommen.

102 May: Scout, wie Anm. 46

103 Er wurde durch die Rachsucht eines Vorgesetzten nach Amerika getrieben (ebd., S. 170) – hat das mit Frau Münchmeyer zu tun (May: Schundverlag, wie Anm. 66, S. 313)?

104 Ausnahme: Die Kukluxer wollen sich an dem Dampferkapitän rächen, der sie überlistet hat, aber es sind andere, die davon sprechen (May: Scout, wie Anm. 46, S. 34)

105 »So ist es hierzulande Sitte!« (ebd., S. 720)

106 Auch daß die Comanchen hier Freunde sind, weist auf Ferry hin; nach dem Blutbad im ›Scout‹ wäre das sonst kaum zu begreifen.

107 Auf Kulturland: der Farm von Helmers!

108 Karl May: El Sendador. Theil I: Lopez Jordan. In: Deutscher Hausschatz. XVI. Jg. (1889/90); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1979 (künftig: Sendador I)

109 Karl May: El Sendador. Theil II: Der Schatz der Inkas. In: Deutscher Hausschatz. XVII. Jg. (1890/91); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1979 (künftig: Sendador II)

110 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 3: Die Sklavenkarawane. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987 (künftig: Sklavenkarawane)

111 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 4: Der Schatz im Silbersee. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Nördlingen 1987 (künftig: Silbersee)


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112 Gleiches Sujet: Rettung eines weißen Mädchens vor einem aus dem Käfig entkommenen Raubtier durch einen Indianer, der mit ihr vom Dampfer in den Fluß springt.

113 Inn-nu-woh wird jetzt als Beleidigter durch Großer Bär, als Retter durch Kleiner Bär vertreten, der Yankee als Beleidiger durch Brinkley, den roten Cornel, und als Vater des Mädchens durch den Ingenieur Butler.

114 Ohren galten in jener Gegend als reduzierte Kopftrophäe und konnten anstelle des Skalps genommen werden. Vgl. Wilhelm Pferdekamp: Die Indianer-Story. München 1963, S. 276.

115 Trotzdem tritt er auch zweimal als Retter auf: für Blenter in der Binnenerzählung (s. u.) und für den von Tramps angeschossenen Yankee-›Arzt‹ im Verlauf der Handlung.

116 Überraschenderweise wird die Bluttat an der ganzen Familie so als Rache für einen Schlag ins Gesicht dargestellt (May: Silbersee, wie Anm. 111, S. 88): ein Motiv, das in jener Zeit mehrmals wiederkehrt und auf ein entsprechendes Trauma bei May hinweisen könnte. War etwa bei der endgültigen Trennung von Münchmeyer so etwas vorgefallen? Vgl. dazu Walther Ilmers Überlegungen, in Ilmer: Karl May, wie Anm. 70, S. 102f. – Weitere Hiebe ins Gesicht: Karl May: Die Rache des Mormonen. In: Illustrirte Romane aller Nationen. 11. Jg. (1891), S. 318. In: May: Der Krumir, wie Anm. 49 – Ders.: Mater dolorosa. In: Regensburger Marien-Kalender. 27. Jg. (1892), S. 161; Reprint in: Christus oder Muhammed. Marienkalendergeschichten von Karl May. Hrsg. von Herbert Meier. Hamburg 1979 – Ders.: Der Verfluchte. In: Regensburger Marien-Kalender. 28. Jg. (1893), S. 157; ebd. – Ders.: Gesammelte Reiseromane Bd. VII: Winnetou der Rote Gentleman I. Freiburg 1893, S. 133, 255 (künftig: Winnetou I): nie vom ›Ich‹ gegeben, aber in ›Mater dolorosa‹ von ihm empfangen!

117 Vgl. Blenters Worte: »Wer die Qualen erlebt hat, die er [Brinkley] mir heute bereitete, der hält es mit dem Gesetz der Savanne, und nicht mit der Milde« (May: Silbersee, wie Anm. 111, S. 116).

118 Karl May: Im Mistake-Cannon. In: Illustrirte Welt. 38. Jg. (1890). In: May: Der Krumir, wie Anm. 49 (künftig: Mistake)

119 Vgl.: Münchmeyer befreundete sich so mit mir, daß wir wie Brüder verkehrten. (May: Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 185)

120 Der Name des irrtümlich erschossenen Freundes, Klapperschlange, braucht nicht Münchmeyers Doppelzüngigkeit zu bedeuten; Winnetou, auf den die Worte echter, wahrer Freund (May: Mistake, wie Anm. 118, S. 148) ja weit besser passen, trug meist den Schopf mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten (siehe z. B.: Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 6: Der Oelprinz. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1992, S. 268); daß May ihn zu Beginn der Arbeit für Münchmeyer hatte erschießen lassen, war ihm inzwischen sicher als Irrtum erschienen. Es könnten hier also zwei Bedeutungen zugleich vorliegen.

121 May: Die Rache des Mormonen, wie Anm. 116

122 Karl May: Sklavenrache. In: Der Gute Kamerad. 4. Jg. (1889/90); Reprint in: Karl May: Die Sklavenkarawane. Hrsg. von Roland Schmid. Bamberg-Braunschweig 1975

123 Erstaunlicherweise finden sich ähnliche Gedanken bei Eduard von Hartmann: Philosophie des Unbewußten. 1. Band. Berlin 1876, S. 331f. (nicht in Mays Bibliothek).

124 Karl May: Am »Kai-p›a«. In: Illustrirte Welt. 38. Jg. (1890). In: May: Der Krumir, wie Anm. 49 (künftig: Kaipa)

125 Von Emma heißt es in May: Leben und Streben, wie Anm. 4, S. 189: Dieses Gesicht . . . hatte einen ganz eigenartigen, geheimnisvollen Augenaufschlag, und in der Studie ›Frau Pollmer‹ gar: So verfehlt dieser seelenvolle, rührende Augenaufschlag fast niemals seine Wirkung. (May: Studie, wie Anm. 99, S. 812)

126 Hier sind also die beiden Elemente vereint, die in den vorangehenden Bildgeschichten als Werkzeug der Rache gedient hatten!

127 Darauf bezieht sich wohl der Satz: »Du brauchst gar keine Silbermine, um glücklich zu sein.« (May: Kaipa, wie Anm. 124, S. 338)


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128 Vgl. May: Sklavenkarawane, wie Anm. 110, S. 351, 537, 545, 554; das konnte leicht durch den Gegensatz zum Islam hervorgerufen worden sein.

129 Zuerst von Frank in seinem eher lustigen Streit mit Jemmy (May: Silbersee, wie Anm. 111, S. 406, 417), dann aber im Ernst siebenmal von Old Shatterhand (ebd., S. 419, 435, 469, 497, 524, 572, 603) und einmal von Davy gebraucht (ebd., S. 445).

130 Die letzten fünfzig Manuskriptseiten wurden am 21. 12. vom Verlag bestätigt.

131 Schlägt hier wohl die biographische Ebene durch, insofern als Münchmeyer ja noch lebt? Denn auf S. 525 hatte Old Shatterhand ihm ausdrücklich für den nächsten Tag den Tod angesagt, und auf S. 539 war das bestätigt worden!

132 Old Shatterhand wird nicht, wie sonst immer und auch später wieder in ›»Weihnacht!«‹, davon ausgenommen!

133 Karl Mays Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. III Bd. 5: Das Vermächtnis des Inka. Hrsg. von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger. Zürich 1990 (künftig: Inka)

134 Karl May: Die Felsenburg. In: Deutscher Hausschatz. XX. Jg. (1894); Reprint der Karl-May-Gesellschaft. Hamburg-Regensburg 1980 (künftig: Felsenburg) – Ders.: Krüger-Bei. In: Deutscher Hausschatz. XXI. Jg. (1895); ebd. (künftig: Krüger-Bei) – Ders.: Die Jagd auf den Millionendieb. In: Deutscher Hausschatz. XXII. Jg. (1896); ebd.

135 Daß er ihn an die Behörden ausgeliefert hatte, bezeichnet Melton später als Dummheit und Menschenfreundlichkeit (May: Krüger-Bei, wie Anm. 134, S. 267).

136 Kara Ben Nemsi deckt ihm das als Mitschuld auf (ebd., S. 347).

137 Er entkommt den Soldaten Krüger-Beis, der größere Rechte auf ihn geltend gemacht hatte.

138 Harry Melton hatte sich in Murphys Büro eingeschmuggelt, die Warnungen abgefangen und selbst beantwortet.

139 Der hatte seinen Sohn erschießen müssen, um die Kinder eines Mimbrenjo-Häuptlings zu retten, die jener töten wollte.

140 Sie hatten sich an seinem Vater dafür gerächt, daß der vier Weiße hatte verbrennen lassen und ihnen dasselbe Schicksal bereiten wollte.

141 Da Old Shatterhand damals den Henrystutzen noch nicht hatte, müßte es sich um die Zeit unmittelbar nach dem ›Scout‹ handeln, als er einen von Old Death gekauften Vorderlader führte.

142 Nur eine später gestrichene Verabschiedung im ›Scout‹: Winnetou . . . umarmte mich, küßte mich auf die Wange. (May: Scout, wie Anm. 46, S. 682)

143 So zornig . . . hatte ich den Apachen noch nie gesehen. (May: Felsenburg, wie Anm. 134, S. 523)

144 May: Der Oelprinz, wie Anm. 120

145 Karl May: Blutrache. In: Regensburger Marien-Kalender. 30. Jg. (1895); in: May: Christus oder Muhammed, wie Anm. 116 (künftig: Blutrache)

146 Ebensowenig wie den Großen Wolf im ›Schatz im Silbersee‹

147 Vgl. May: Der Oelprinz, wie Anm. 120, S. 452.

148 Es gibt dafür ein historisches Beispiel.

149 In Mays Bearbeitung des ›Waldläufer‹, nicht bei Ferry

150 Siehe dazu jetzt: Ernst Seybold: Karl-May-Gratulationen. VI. Sammlung. Herzo-genaurach 1993, S. 151-54.

151 Auf einem der wenigen geretteten Fetzen seines Testaments stand: Keine Rache (May: Winnetou III, wie Anm. 73, S. 625).

152 Dazu Luther: »Wer nu will Recht haben, und sich zur Sünde nicht will bekennen, (. . .) dem kann man die Sünde nicht vergeben; denn er hat keine Sünde, sondern will Recht getan haben.« EA 5, S. 320 in einer Predigt über Lukas 6,36-42

153 Karl May: Gesammelte Reiseromane Bd. XIV: Old Surehand I. Freiburg 1894 (künftig: Surehand I)

154 1 Kor 11,1

155 May: Old Surehand II, wie Anm. 68


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