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»Liebe Wißbegierde!«
Karl und Klara Mays Briefwechsel mit Hans Möller




Karl May an Hans Möller   29. 9. 1905


Villa Shatterhand29./9. 5

Radebeul-Dresden



Mein lieber, junger Freund!


Genau derselbe Ton, in dem Sie mir schreiben, erklingt aus den meisten Briefen, die ich von meinen Lesern erhalte. Ihr »Entwicklungsgang eines Maylesers« ist nach der Natur gezeichnet; aber diese Natur ist gütiger, als Sie denken. Sie führt mir auch von denen, die Sie für immerdar verloren meinen, viele, ja sehr viele zurück, und zwar regelmäßig dann, wenn diese guten Leute älter geworden sind und von der Noth des Lebens gezwungen werden, sich nach Trost und nach des Herrgotts Hülfe umzusehen.

  Sie klagen, die evangelische Kirche habe Ihnen bisher nichts geben können. Sie nennen mich einen Katholiken und Rosegger einen evangelischen Katholiken. Sie irren! Es giebt keinen guten Christen, der nicht katholisch ist, zugleich auch evangelisch und gar auch Protestant. Die Kirche Christi ist groß. Ob wir da rechts oder links, vorn oder hinten, hoch oder niedrig stehen, das kommt ganz darauf an, wie wir uns zu Gott und zu unserm Nächsten stellen und wie weit wir es besonders in der Demuth und Selbstzucht gebracht haben. Der Zelotismus kann keinen vernünftigen Menschen selig machen, und von so äußerlichen Dingen, wie die Kokarde oder die Registratur einer religiösen Sonderheit ist, hängt doch wohl unsere Ewigkeit nicht ab. Kein farbentragender Student wird durch



Die hier wiedergegebenen Briefe - drei wurden schon in den Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG) 13/1972, 14/1972 und 15/1973 veröffentlicht - stammen von unserem Mitglied Renate-Maria Schmahl, Kiel, der wir hier herzlich für die Veröffentlichungserlaubnis danken.

Der Briefwechsel ist leider nicht komplett erhalten. Auch im Archiv des Karl-May-Verlages, Bamberg, sind keine weiteren Briefe vorhanden, wie sich zeigte, als Lothar Schmid freundlicherweise den Briefbestand ›Möller‹, den er in seinem Archiv vorfand, zur Verfügung stellte.

Dank zu sagen gilt es auch Annelotte Pielenz und Irene Frankenstein, die die Transkription erarbeiteten.

Die Kommentierung erfolgte durch Bernhard Kosciuszko.

Der Biographie Hans Möllers ging Michael Zaremba nach, sein Aufsatz ›Der May-Freund Hans Möller‹ wird im Anschluß an die Briefe in diesem Jahrbuch wiedergegeben.


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diese seine Farbe so klug und weise, daß er jedem Examen gewachsen ist. So auch erreicht kein Mensch durch irgend eine absondernde, religiöse Devise oder irgend eine sunnitische resp. schiitische Mützenform denjenigen Grad von Gottwohlgefälligkeit, der ihn mit absoluter Sicherheit in den Himmel bringt. Ich sage Ihnen, es mag zwischen Himmel und Erde stehen, wer da will, in letzter und höchster Instanz ist es doch nur der Schöpfer und Vater aller Menschen, der über unsere Seligkeit zu bestimmen hat. Das lehrte Christus, und was der sagte, bleibt wahr in alle Ewigkeit!

  Was mich betrifft, so ist es mir nie eingefallen, in meinen Büchern irgend eine Propaganda treiben oder gar den Religionslehrer spielen zu wollen. Ich bin Christ. Aber ich weiß, daß man nicht ein guter Christ sein kann, ohne vorher ein guter Mensch geworden zu sein. Und das ist es, was ich lehren möchte! Menschlich denkende, menschlich fühlende und menschlich handelnde Leser wünsche ich mir. Ich beschreibe in meinen Büchern Menschen, nur Menschen, und an ihnen zeige ich, was gut ist und was böse. Ueber ihre Religion urtheilen sie selbst, nicht aber ich. Eines solchen Urtheiles muß ich mich streng enthalten, denn erstens bin ich überhaupt Laie und auch zweitens nicht persönlich in Gottes Rathschluß eingedrungen.

  Meine Lebensaufgabe ist, nach der Menschenseele und nach dem Menschengeist zu suchen. Für beide ist uns der Blick vollständig verlorengegangen. Bei diesem Suchen stoße ich ganz selbstverständlich und allerorten auf Gott; aber was ich da sage, soll ja nicht etwa etwas Theologisches sein, sondern nur der Ausdruck der persönlichen Gefühle Derer, von denen ich erzähle. Also, ich schreibe als Mensch zu Menschen. Was sie glauben, das mögen sie mit Gott und mit ihren geistlichen Berathern abmachen. Und an das, was ich bisher geschrieben habe, soll man nicht etwa große Ansprüche stellen. Das waren nur Vorstudien, denen die eigentliche Arbeit nun erst zu folgen hat.

  Diese Arbeit wird allerdings etwas anders ausschauen als die Vorübungen. Ich gehe da einen Weg, den wohl noch Keiner gegangen ist. Will sehen, ob Jemand den Muth hat, mir zu folgen. Wollen Sie?

  Sie klagen, daß ich in keiner Literaturgeschichte stehe. Ich freue mich darüber. Es giebt ja Keinen, der mich kennt, und ich habe auch noch Keinem gesagt, was ich schreiben werde, wenn ich einmal zu üben aufhöre und zu arbeiten anfange. Darum ist Alles, was man bisher über mich veröffentlicht hat, confuses Zeug gewesen, nicht der geringsten Beachtung werth.

  Sie sprechen da von Fr. Ratzel und von einer Grenzboten-Nummer. Könnten Sie mir diese Nummer senden, so würde ich Ihnen gern dankbar sein. Ich lese grundsätzlich keine Zeitung mehr, doch dieser Aufsatz würde mich wohl interessieren. Ich bitte, da Sie ja Buchhändler sind, mir diese Nummer per Nachnahme zuzustellen.


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  Was den »Jugendschriftsteller« betrifft, so nennen mich meine Herren Gegner so, um mich angreifen zu können. Gäben sie ehrlich zu, daß mich nur geistig Erwachsene verstehen können, so bezeichneten sie sich ja selbst als dumme Jungens, die mich nicht begreifen.

  Photographien von mir giebt es bei Hofphotograph Raupp, Dresden, Prager Straße. Ich sende Ihnen, was ich habe: eine Postkarte.

  Außer den beiden, von Ihnen genannten Brochuren kenne ich nichts über mich, und auch in die Herausgabe dieser beiden habe ich nur erst nach jahrelangem Drängen gewilligt. Ich habe ja noch gar nicht angefangen, wirklich zu arbeiten; was kann man da über mich schreiben, ohne daß es irrig wird? Zeitungen kann ich Ihnen nicht nennen. Ich sagte Ihnen bereits, daß ich keine mehr lese.

  Sie wünschen schließlich mein Urtheil über Rosegger und Liliencron. Ich gebe es gern, denn ich kann Ihnen nur Gutes sagen. Der Letztere ist ein männlich selbstbewußt anmutender Geist, in dessen Kraft sich, als eigentliche, innerste Potenz, ein reiches, tiefes Seelenleben äußert. Man liest ihn gern und bemerkt sodann, daß man ihn nicht nur als Dichter, sondern auch als Mensch liebgewonnen hat.

  Was Rosegger betrifft, so darf ich Ihnen nicht verschweigen, daß er zu meinen Gegnern gehört. Es wurde mir schon wiederholt berichtet daß er sich scharf aberkennend über mich geäußert habe. Ich freilich bin mir hieran keiner Schuld bewußt. Er hat keine Zeit, meine Bücher zu »studiren«, denn es genügt nicht, sie nur zu lesen. Er weiß also nicht, daß sie nur erst Studien enthalten und gar nicht spruchreif sind. Er wird also gelegentlich nachgesprochen oder nachgeschrieben haben, was er von Andern hörte oder las. Das kann mich aber nicht veranlassen, nun meinerseits ungerecht oder gar gehässig zu sein. Ich erkenne seine Verdienste in vollstem Maße an und empfehle seine Bücher so oft, wie ich nur kann. Über seinen Glauben habe ich nicht zu urtheilen; für mich ist er nur der »Mensch« Rosegger, und den, den habe ich gern!

So, das ist Ihr Brief. Den habe ich selbst geschrieben, sonst aber besorgt meine Frau die Correspondenz. Für Ihren Herrn Vater habe ich viel Interesse. Sie dürfen stolz auf ihn sein!


Besten Gruß!

Ihr May.



Rosegger: Peter Rosegger (1843-1918), österreichischer Schriftsteller (u. a. ›Als ich noch der Waldbauernbub war‹), Herausgeber der Zeitschrift ›Heimgarten‹, in deren 2. Jahrgang (1878) die Mayerzählungen ›Die Rose von Kahira‹ und ›Die falschen Excellenzen‹ veröffentlicht wurden. Zum Thema Karl May / Peter Rosegger vgl. Alfred Schneider: »... unsere Seelen haben viel Gemeinsames!«. Zum Verhältnis Peter Rosegger - Karl May. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1975. Hamburg 1974, S. 227-42; auf Rosegger geht May auch in seiner Autobiographie ein, vgl. Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 218ff.; Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul.


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Kokarde: farbige Abzeichen (z. B. an Burschenschaftsmützen oder Uniformen)

Grenzboten-Nummer: ›Die Grenzboten. Blätter für Deutschland und Belgien‹; ob Möller die positive Rezension der Mayschen Romane vom 12. 12. 1895 (vgl. M-KMG 7/1971, S. 31) meint oder ob ein weiterer Artikel über May in dieser Zeitschrift erschien, konnte nicht geklärt werden.

Brochuren: Gemeint sind wohl: [Karl May:] ›Karl May als Erzieher‹ und ›Die Wahrheit über Karl May‹ oder Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte von einem dankbaren Leser. Freiburg 1902; Reprint in: Karl May: Der dankbare Leser. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 1. Ubstadt 31992, sowie Max Dittrich: Karl May und seine Schriften. Dresden 1904; Reprint in: Für und wider Karl May. Hrsg. von Siegfried Augustin. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 16. Ubstadt 1995.

Liliencron: Detlev von Liliencron (1844-1909), deutscher Lyriker

Herrn Vater: Vgl. zu Fritz Möller die Ausführungen Michael Zarembas in: Der May-Freund Hans Möller, a. a. O., S. 34f.



Karl May an Hans Möller    6. 10. 1905


Villa Shatterhand6./10.5

Radebeul-Dresden


Liebe Wißbegierde!


Ich antworte Ihnen mit der mir gewöhnten Offenheit.

  Ihr Brief an Rosegger wäre eine Qual für ihn gewesen. Ich z. B. bekomme täglich 5 mal ganze Stöße von Zuschriften von meinen Lesern. Jeder von ihnen denkt, er sei derjenige, der so zwischen 8 bis 20 Seiten schreiben dürfe. Ich soll jahrelange Reisen machen; ich soll Bücher schreiben. Ich soll abertausend Briefe beantworten, denn Jeder sagt: »Aber, schreiben Sie mir selbst!« Dabei wird verlangt, daß man sich tief in den Geist und die Seele eines jeden Einzelnen versenkt, um ihn zu begreifen und sich ja nicht in ihm zu irren. Wer da nicht eine Denkkraft von der Ausdauer und zugleich Elasticität des Stahles besitzt, der geht, falls er es ernstlich nimmt, ganz unbedingt dabei zu Grunde, oder er muß es eben lassen! Das Schlimmste ist, daß diese Frager meist junge Leute sind, in denen es noch gährt. Das Produkt oder vielmehr diese gährende, trübe Masse bekommt man vorgesetzt und soll nun binnen 4-5 Minuten mit einem Briefe einen klaren, reinen, abgelagerten Wein daraus machen. Der Empfänger nimmt ihn, schluckt ihn hinunter, schnalzt mit der Zunge und sagt: »Famos! Der ist fein!« Dann hat er im Handumdrehen und ohne alle eigene Mühe bekommen, was ich mit den Leiden, Entbehrungen und Anstrengungen eines ganzen Menschenlebens habe bezahlen müssen.

  Ja, wenn das so ginge, mein lieber, junger Freund! Aber Gott ist weise. Was ewig ist, verschenkt er nicht. Wer solche Güter und solche Erkenntniß wünscht, muß sie sich selbst erringen. Den Samen dazu kann ich Ihnen wohl geben, aber nicht den fertigen Baum. Der muß in Ihnen wachsen. Den müssen Sie pflegen. Und thun Sie das nicht, so geht er wieder ein, und ich aber kann nichts dafür!


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  Also bitte, schreiben Sie weder Rosegger noch sonst einem Dichter so lange Briefe. Es ist, falls er ein Herz besitzt, eine Grausamkeit, der er nur dadurch ausweichen kann, daß er das Schreiben in den Papierkorb wirft. Was diese Herren zu sagen haben, das sagen sie in ihren Werken, theils offen, theils zwischen den Zeilen. Und das muß man lesen lernen, wenn es nützen soll! Das sorgfältig zubereitete Mahl wird für viele tausend Gäste zu gleicher Zeit serviert. Sie können Rosegger unmöglich zumuthen, für jeden Einzelnen besonders zu kochen, und zwar grad das, wozu er heut Appetit besitzt! Dem Einem Milchreis, dem Andern Rebhühner, dem Dritten Dampfnudel und dem Vierten gar wohl Pflaumenkuchen mit geschlagener Sahne obendrauf! Wo soll hierzu der Stoff, der Geist und - - - die Zeit herkommen!

  Ich sagte Ihnen bereits, daß ich Liliencron liebe und Rosegger sehr gern habe. Ich empfehle beide, obwohl Letzterer mich verwirft.

  Was er glaubt, geht mich nichts an, denn ich habe es nur mit dem Menschen, nicht aber mit seiner Seligkeit zu thun; die ist seine eigene Sache. Sie wollen aber trotzdem und partout meine »Privatmeinung« über diesen seinen Glauben wissen. Lieber Hans, steig nicht über Dich hinaus! Ich habe keine besondere öffentliche und keine besondere private Meinung. Wer beides hat, der soll sich schämen! Ich kann mich mit dem Glauben eines Menschen nur dann beschäftigen, wenn dieser Mensch auf diesem Gebiete eine große, eine führende oder gar eine bahnbrechende Persönlichkeit ist. Von den andern, den kleinen Leuten interessirt mich nur Einer, und dieser Eine bin ich selbst. Und da habe ich denn so viel mit mir selbst und mit meinem lieben Herrgott zu thun, daß ich hierbei andere Leute, sogar auch Rosegger, ganz vergesse. Eine Privatmeinung über seinen Glauben kann ich Ihnen also nicht zur Verfügung stellen. Ich bitte, mir das zu verzeihen!

  Auch über meinen eigenen Glauben sage ich Ihnen nichts. Sie wissen doch bereits, wie ich hierüber denke: Wenn wir gute Christen werden wollen, müssen wir erst gute Menschen sein. Ich habe es in meinen Büchern nur mit den Menschen zu thun. Ich schreibe nicht Romane und nicht Reiseerzählungen, sondern ich bin Psycholog. Ich suche nach der Seele und dem Geiste des Menschen. Und über das, was ich gefunden habe, gebe ich Anschauungsunterricht.

  In meinem ersten Bande (»Durch die Wüste«) komme ich als Menschheitsfrage in die Oede des Nichtwissens. Ich suche da nach dem »Menschen«. Da sehe ich Halef. Er ist ein kleiner Knirps, sitzt aber auf einer sehr hohen Hassi-Ferdschan-Stute und giebt sich für einen dreifachen Hadschi aus, der aber von keinem der heiligen Orte kommt. Das ist die menschliche Anima, die sich für die Seele oder gar für den Geist ausgiebt, aber gar nicht vom Himmel stammt. Diese Anima engagire ich als Diener und wandere nun weiter, um Geist und Seele zu suchen. Jetzt, im 30ten Bande, ist beides bereits gefunden, und aber von vielen Lesern noch nicht


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begriffen, weil sie so thöricht sind, meine Arbeiten wirklich nur für »Indianergeschichten« zu halten.

  In Ihrem zweiten Briefe wiederholen Sie eine Bitte, die bereits im ersten stand. Ich versuche, sie zu erfüllen, indem ich Ihnen folgendes Bild vorführe. Es ist trivial, aber ziemlich gut passend.

  Da steht eine Droschke. Der Wagen ist der menschliche Leib; die Anima ist das Pferd. Wenn die Anima sich in Bewegung setzt, so laufen sämmtliche Räder. Aber diese Bewegung gleicht derjenigen des Neugeborenen, der nur erst aus Leib und Anima besteht.

  Da steigt der Kutscher auf. Das ist die Seele. Jetzt ist Geschick und Wille da. Man kann loskutschiren; aber eintragen wird es nichts. Hierauf kommt ein Herr, dem man es ansieht, daß er zahlen kann. Der steigt ein und befiehlt »Lindenstraße und Jäger-Allee nach der Artillerie-Kaserne und dann nach Fahrland durch das Nedlitzer Holz!«

  Dieser Herr ist nun endlich der Geist, der Menschengeist, durch den die Droschke provitabel wird, denn er verlangt nichts umsonst.

  Ist Hans Möller nicht mehr blos Anima, sondern bereits schon Kutscher, so fährt er heut Göthe, morgen Schiller, übermorgen Kant, hierauf Michel Angelo, dann Wagner oder Nietzsche. Die zahlen gut, nicht blos nach Tarif, sondern mit fairen Trinkgeldern. Die Summe mehrt sich von Tag zu Tag. Und ist Hans Möller kein dummer Kerl und zählt er eines schönen Abends nach, so findet er, daß er nun genug beisammen hat, um nun sich selbst zu fahren, anstatt immer nur Andere. Er schraubt den Bock ab, wirft ihn herunter und setzt sich in den Fond des Wagens, wo immer nur andere Geister saßen, nach denen er sich richtete. Nun ist er selbst Geist geworden und also reif genug, einen eigenen Willen und ein eigenes Ziel zu haben. Er greift in die Zügel, knallt mit der Peitsche, und vorwärts geht es, bis er Einen hinter sich rufen hört:

  »Sachte, sachte, mein lieber Hans! Ich heiße Karl May und will auch nach Fahrland hinaus, sogar noch weiter, immer weiter, bis grad in den Himmel hinein. Halten Sie Ihre Anima etwas zurück; das giebt einen vernünftigen Schritt, und wir fahren neben einander!«

  So! Das lesen Sie! Und denken Sie darüber nach! Lassen Sie Ihr Grübeln über den Glauben, und trachten Sie zunächst darnach, ein tüchtiger Mensch zu sein, der seinen Eltern Ehre und sich selbst Freude macht. Sollten Sie dann einmal so glücklich sein, zu fühlen, daß Sie sich zum wirklichen, zum selbstständig denkenden und klaren Geist entwickelt haben, dann dürfen wir auch einmal über Roseggers Glauben sprechen, eher aber nicht! Was aber den meinen betrifft, so will ich Ihnen doch einstweilen sagen: Ich glaube an einen persönlichen Gott, der herrlicher und gütiger ist, als Menschenworte ausdrucken können. Ihm gehöre ich, und ihm diene ich heut und in Ewigkeit. Amen.


Ihr

May


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Halef: Vgl. dazu Mays ähnliche Ausführungen in: May: Mein Leben und Streben, a. a. O., S. 209f.

Droschkengleichnis: Vgl. Heinrich Wagner: Karl May und seine Werke. Passau 1907. Reprint in: Für und wider Karl May. Hrsg. von Siegfried Augustin. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 16. Ubstadt 1995, S. 166f., Karl Mays Vortrag vom 18. 10. 1908 in Lawrence (Mass.) ›Drei Menschheitsfragen. Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?‹ (Bericht darüber in: Deutscher Herold vom 19. 10. 1908. Wiedergegeben in: Karl May: Biographie in Dokumenten und Bildern. Hrsg. von Gerhard Klußmeier / Hainer Plaul. Hildesheim-New York 1978, S. 254f.) - Vgl. auch: Jürgen Pinnow: Ein Vorläufer des Droschkengleichnisses von Karl May. In: M-KMG 113/1997, S. 21-25.

Lindenstraße ... Fahrland: Potsdamer Ausfallstraßen nach dem nördlich gelegenen Ort Fahrland. (Auskunft Dr. Zaremba)

Nedlitz: Dorf nördlich von Potsdam, heute eingemeindet



Karl May an Hans Möller   ‹ohne Datum; Nachschrift zum Schreiben vom 6. 10. 1905›?


Ohne Anrede, ohne Datum


Es ist mir unmöglich, einem Sohn hinter dem Rücken der Eltern zu schreiben. Hier die Bleistiftseiten zurück. Ich kann mich unmöglich über Dinge äußern, von denen Ihre Eltern nicht wissen dürfen, daß Sie sie mir mitgetheilt haben. Oder, sagen Sie aufrichtig: Könnten Sie mich achten, wenn ich es thäte? Meine Antwort geht also nach Kiezstr. 24, und zwar noch heut, obwohl ich eigentlich keine Zeit habe. Was ich Ihnen schreibe, können Sie den Eltern getrost vorlesen.

May


ohne Datum: Eine Reihe von Briefen ist - ganz ungewöhnlich für Karl und Klara May - nicht datiert. Auf den uns zur Verfügung stehenden Kopien sind allerdings am unteren Rand Notizen mit Daten zu den Briefen vorhanden. Möglicherweise stammen sie von Alfred Schneider, der von Frau Schmahl die Kopien in den 70er Jahren erhalten hatte. Woher die Informationen (Schneiders ?) stammen, ist nicht bekannt. Eine Nachfrage bei Frau Schmahl ergab, daß Briefumschläge zu den Briefen nicht vorhanden sind. In den Anmerkungen zu den Briefen werden die Informationen aus den Randnotizen mit allem Vorbehalt angeführt, da sie mögliche Anhaltspunkte für eine Datierung sind. Bei dem obigen Brief stammt der Kopfzeilenteil: »Nachschrift ...« aus der Randnotiz.



Karl May an Hans Möller   21. 10. 1905


Villa Shatterhand21./10. 5

Radebeul-Dresden


Geehrter Herr!


Ihnen bös? Nein, mein lieber Hans, bös war ich nicht, kann ich überhaupt gar nicht sein, selbst meinem ärgsten Feinde nicht. Aber als ich Ihren Brief las, da war es mir wie Ihrem Herrn Vater, wenn er ein von Beethovens ei-


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gener Hand geschriebenes Manuscript vor sich liegen hat und sich bemüht, dieses Räthsel zu entziffern. Ich sah da einen und denselben kleinen Nonakkord in allen seinen Umkehrungen wieder und immer wieder erscheinen, ohne daß er es aber fertig brachte, sich in eine der 4 Dur- oder der 4 Molltonarten, in die er gehen darf, aufzulösen. Da gestattete ich mir, als Psycholog ein Wenig nachzuhelfen. Die Auflösung geht zwar nie so schnell vor sich, wie man es wünscht, und bei Manchem kommt sie überhaupt niemals zu stande, aber wenn Sie die Güte haben wollten, selbst auch ein Bischen mit nachzuhelfen, so wird es wohl gelingen, Ihr c, es, ges, bb nach des, f, as hinüber zu bringen und Ihre Seele in der schönen, vollen Harmonie erklingen zu lassen, die ihr, wie ich ahne, leitereigen ist.

  Sie glauben, man müsse über jedes Ding oder über jeden Menschen eine eigene Meinung haben. Das ist grundfalsch! Ich bin überzeugt, daß Sie hiervon wohl noch keinen großen Nutzen gehabt haben. Was Gevatter Kunz und Hinz von mir denken und was sie überhaupt für Leute sind, das muß mir schnuppe sein, denn ich bin verpflichtet, meine Mühe auf tausendmal wichtigere Dinge zu richten, und ich würde mich an meinen heiligsten Pflichten versündigen, wenn ich mir eine Meinung über irgend ein fragliches Buch oder einen fraglichen Menschen bilden wollte, während ich aber die Meinung meiner Eltern und Lehrer nichts weniger als heilig halte. Wenn Sie mir wieder einmal schreiben, so sagen Sie mir, bitte, zunächst einmal Ihre Meinung über sich selbst. Nur wer über sich selbst klar ist, darf sich mit Andern befassen.

  Merken Sie nicht auch jetzt wieder eine ganz, ganz kleine Spur von Liebe?

Zurückgrüßend

Ihr alter

May.


Nonakkord: »May vergleicht die Lösung des im vorangegangenen Brief zum Ausdruck kommenden Problems mit den Auflösungsmöglichkeiten einer Akkorddissonanz, nämlich des kleinen Dominant-Nonakkordes. Dieser Akkord besteht aus 5 Tönen und läßt sich viermal umkehren. Doch statt eine der Auflösungsmöglichkeiten wahrzunehmen, ändert er nur seine Erscheinungsformen, bleibt als Dissonanz aber bestehen. May konkretisiert nun den Vergleich, indem er ein Akkordbeispiel nennt. Hierbei zeigt sich, daß er die Praxis des vierstimmigen Tonsatzes beherrscht, in der der Dominant-Nonakkord mit ausgelassenem Grundton in Form eines verminderten Septimakkordes verwendet wird. Er ermuntert den Adressaten (...) sein Problem, d. h. im Vergleich seinen c, es, ges, bb[1]-Akkord, also einen um den Grundton verkürzten kleinen Dominant-Nonakkord, so zu bewältigen, daß sich die Dissonanz nach Des-Dur (des, f, as), also der Dur-Tonika auflösen könne, jener Harmonie, die seiner, des Adressaten Seele offenbar entspräche (...) Es bleibt noch anzumerken, daß theoretisch tatsächlich ein bißchen nachgeholfen werden muß, um zu dieser Dur-Auflösung zu gelangen, da der genannte kleine Nonakkord nur im Bereich des Moll gebildet wird.« (Claus Canisius: Zu Karl Mays ›Beethoven-Brief‹. In: M-KMG 14/1972, S. 17 - Anm. 1: »gemeint ist heses, also der doppelt erniedrigte Ton h«)


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Klara May an Hans Möller   ‹ohne Datum›


Sehr geehrter Herr!


Lassen Sie sich vor diesen Münchmayerschen [!] Sachen z. B. der »Wurzelsepp« u. s. w. von K. May warnen. Sie sind unsittlich und gefälscht. Mein Mann steht ihretwegen mit der genannten Firma im Prozeß. Er hat keinen Theil an dieser Vergiftung der Volksseele.

Besten Gruß

Klara May.


ohne Datum: nachträgliche Randnotiz auf der Fotokopie: 21. 10. 05

›Wurzelsepp‹: Der Münchmeyer-Verlag, Dresden-Niedersedlitz, brachte 1904 den Kolportageroman ›Der Weg zum Glück‹ in einer überarbeiteten und illustrierten Ausgabe in mehreren Bänden ohne Zustimmung Mays auf den Markt. Der Band II dieser Ausgabe trug den Titel: Der Wurz'nsepp. Von Karl May.



Karl May an Hans Möller   21. 1. 1906


Villa Shatterhandd. 21./1. 6

Radebeul-Dresden


Lieber Herr Möller!


Potsdam kenne ich, weil ich es lieb habe und fast nie nach Berlin komme, ohne einen Abstecher dorthin zu machen.

  Die Frage, woher ich Ihren Vater kenne, ist schon weniger direct zu beantworten. Ich darf nicht indiscret sein. Unter den hunderttausenden meiner Leser befinden sich zahlreiche Herren und Damen der hohen, ja höchsten Aristokratie. Es kommt häufig vor, daß solche Herrschaften mich hier besuchen, den Kaffee bei mir nehmen u. s. w. Ich nenne natürlich keine Namen und sage es auch nicht, um mich mit solchen Lesern zu brüsten, sondern weil die Beantwortung Ihrer Frage dies erfordert.

  Die Mehrzahl dieser Herren sind Offiziere, oft hohe. Einige, die ich sehr gern habe und mit denen ich lebhaft correspondire, stehen bei der Garde. Beim Glase Wein und einer Cigarre wird da so Manches gesprochen, und da - - - na, da habe ich auch Ihren Herrn Vater kennen gelernt. Genügt das?

  Sie wollen über mich schreiben? Ich habe mit solchen Sachen noch niemals Glück gehabt, denn es wurde stets ungeschickt angefangen. Mich kümmern meine Gegner nicht. Aber um meiner Leser willen wäre es allerdings zu wünschen, daß einmal ein Wissender das Wort ergreife. Versuchen Sie es! Daß ich es vorher durchlesen darf, ist mir lieb. Also bitte, senden Sie es!


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  Vielleicht habe ich, wenn ich wieder nach Potsdam komme Zeit, Sie für einen Augenblick zu sehen.

Mit Gruß

Ihr

May



Karl May an Hans Möller   ‹ohne Datum; nach dem 25. 2. 1906›


Ohne Anrede, ohne Datum


Noch immer in der Beantwortung der Geburtstagszuschriften, sende ich auch Ihnen einen solchen Bogen, weil der Inhalt geeignet ist, das Bild, welches Sie sich von mir gemacht haben, zu berichtigen.

Mit gewohntem Gruß

Ihr

May.


Bogen: Die als Faksimile folgende Danksagung ›An meine lieben Gratulanten‹.




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Klara May an Hans Möller   ‹ohne Datum›


Villa Shatterhand

Radebeul-Dresden


Lieber Herr Möller!


Heute sende ich Ihnen unseren allerherzlichsten Glückwunsch zur Eröffnung Ihres Geschäfts; möchte Gott Ihr Unternehmen segnen!

  Ich danke Ihnen für all Ihre Liebe und Güte. Gern werde ich Ihnen auch in Zukunft interessante Berichte über die Werke meines Mannes zusenden. Von Ihrer Zeitung erbitte ich mir auch ein Exemplar, sobald sie herauskommt.

Viele, herzliche Grüße

Ihre ergebene

Klara May


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ohne Datum: nachträgliche Randnotiz auf der Fotokopie: 14. 9. 06

Eröffnung: Möller eröffnete einen Sortimentsbuchladen, vgl. Zaremba, a. a. O., S. 36

Zeitung: Eine Zeitung Möllers konnte nicht ermittelt werden.



Karl May an Hans Möller   ohne Datum, wahrscheinlich Rückseite des vorangegangenen Briefes von Klara May an Hans Möller


Wenn ich einmal nicht antworte, dann bitte, nicht gleich zu denken, daß ich Sie vergessen habe.

  Es schreiben viele Tausende an mich, und ein Jeder denkt daß er mein ganz besonderer Liebling sei, dem ich sofort zu antworten habe. Das ist aber unmöglich. Ich selbst kann nur auf das eingehen, was wirklich wichtig ist. Das Uebrige besorgt meine Frau, die Seele. Aber vorgelesen bekomme ich jedes Wort, welches nicht in den Papierkorb wandert.


Also, herzl. Glückwunsch!

Ihr

May.


ohne Datum: nachträgliche Randnotiz auf der Fotokopie: 14. 9. 06; auch die Vermutung, daß es sich wahrscheinlich um die Rückseite des vorangegangenen Briefes handelt, stammt daher.



Hans Möller an Karl May   29. 8. 1907


Hans Moeller's29. 8. 7
Buchhandlung
Nowawes-Neuendorf
Eisenbahnstrasse 1.


Lieber Herr May; ich habe in den letzten 1 1/2 Jahren fast geschwiegen. Aus mehreren Gründen. Ich fühlte mich noch nicht so recht reif und verstand Sie noch nicht so recht ganz: ich wollte erst wieder zu Ihnen kommen, wenn ich Sie ganz verstände. Und wollte dann mich nicht begnügen, allein zu verstehen, sondern für Sie eintreten. Soweit bin ich heute. - Ein andrer Grund war, dass mir die Zeit fehlte: das Geschäft nahm mich zu sehr in Anspruch. Und jetzt, wo ich ernstlich dran dachte, irgend etwas zu unternehmen, schon an Fehsenfeld geschrieben hatte,x) ‹x) ohne allerdings bis heut Antwort zu haben,› da lernte ich einen kennen, der mir erst recht die Kraft gibt. Das ist Wilfried Freitag, der Schreiber des beiliegenden Briefes. Das ist ein merkwürdiger Mensch, Autodidakt auf allen Gebieten, bis zur Oberprima Oberrealschüler gewesen, dann ist er abgegangen und hat sich mit Hilfe einer Erbschaft, die er ganz


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aufbrauchte, ich möchte sagen: universell - gebildet. Hat in Berlin hospitiert, Medizin, Naturwissenschaft, Philosophie usw. gehört, hat Sprachen gelernt, soweit dass er sie fliessend lesen kann: französisch, englisch, italienisch, spanisch, Sanskrit, kann auch von andren Sprachen etwas, und hat vor allen Dingen nirgends dilettiert, sondern sich mit allem ernstlich beschäftigt, Tag und Nacht gearbeitet. Und schreibt Dramen, deren eines das Meininger (glaub ich) Hoftheater aufführen will. Wir lernten uns zufällig kennen, fanden Gefallen aneinander, redeten stundenlang miteinander über tausend Dinge und kamen auch auf Karl May. Da kam zutage, dass er Sie für den bedeutendsten lebenden Zeitgenossen hielt. Er hatte im Wust der ganzen modernen dekadenten Literatur nach Kraft gesucht und nach Ethik und fand beides bei Ihnen, hatte Sie erfasst, ohne angeleitet worden zu sein. Nun war ich im Fahrwasser, las Ihre Briefe vor, erklärte ihm noch dies und das, und nun versteht er Sie ganz. In dieser Feierstunde haben wir uns versprochen, uns zusammenzutun zum Kampf für Sie und kommen jetzt zu Ihnen, um Sie um Ihre Meinung, Ihren Rat und Ihre Unterstützung zu bitten.

  Sie schrieben einmal, als ich Sie um die Erlaubnis bat, über Sie schreiben zu dürfen: »es sei nun endlich Zeit, dass einmal ein Wissender das Wort ergreife« und erlaubten mir's. Damals bin ich aber noch nicht Wissender gewesen, nur überzeugt. Heute weiss ich. Und Freitag auch. Und wenn Sie uns dasselbe zutrauen, wie wir uns, dann wollen wir anfangen.

  Und zwar auf folgende Weise:

es sind letzthin 3 Artikel über Sie erschienen, die zu bekämpfen sind. Einer im »Deutschen Kampf« (Sherlock Holmes und Karl May), einer in der »Beilage zur Allgemeinen Zeitung« und einer im »Literarischen Echo« (ein Auszug des letzteren mit infamen Randbemerkungen.)

  Diese 3 Artikel, wie alle ähnlichen späteren, wollen wir persönlich bekämpfen. Denn es darf nicht geschwiegen werden.

  Angefangen habe ich, indem ich Leo Wirth vom »Deutschen Kampf« einen Brief schrieb, den er sicher nicht hinter den Spiegel gesteckt hat. Ich erhielt von ihm (sehr von oben herab!) Antwort, in der er von jugendlicher Begeisterung usw. redete. Er bekommt heute oder morgen Antwort. Ich schicke Ihnen den Briefwechsel, wenn er »komplett« ist.

  Dem Mann von der »Allgemeinen Zeitung«, der Sie als »Jugendschriftsteller« ernstnimmt (!!) (das ist aber gewiss schon ein Fortschritt!) wollen wir, event. als redaktionell abzudruckende »Erwiderung« allerlei schreiben und ausführen, dass all seine Ausstellungen, die er noch macht, hinfällig werden, wenn er von der Voraussetzung, Sie seien »Jugendschriftsteller«, abgeht.

  Endlich, im dritten Fall, brauchen wir Sie. Geben Sie mir, bitte, Autorisation, an das »Lit. Echo« etwa, wie folgt, zu schreiben:


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»Herr Dr. Karl May in Dresden-Radebeul beauftragt mich, Sie unterBerufung auf § 11 des Pressegesetzes, zu ersuchen, Folgendes im »Lit. Echo« zu veröffentlichen:



Herr Dr. May hat einen Prozess gegen die Firma Münchmeyer-Dresden, den Verlag der bewussten »Pornographischen Romane«, in dritter und letzter Instanz vor dem Reichsgericht (Entscheidung vom 9. Januar 1907) gewonnen, und es es hat sich herausgestellt ist zu konstatieren, dass es während des ganzen, sechsjährigen Verlaufes dieser Rechtssache den Gegnern trotz aller Mühe, die sie sich gaben, nicht gelungen ist, ihm auch nur ein einziges, unwahres Wort oder auch nur die allergeringste Bestätigung dessen, was ihm vorgeworfen worden ist, nachzuweisen. Sein Sieg ist vollständig und bedingungslos. Es hat sich im Verlaufe des Prozesses herausgestellt, dass die Romane, um die es sich handelt, mehr als einmal umgeändert resp. gefälscht worden sind. Der inzwischen verstorbene Besitzer des Verlages hat vor dem Kgl. Oberlandesgericht erklärt, dass er auf die Unsittlichkeit nicht verzichten könne, sonst mache er keine Geschäfte, und hat sich schriftlich als »Schundverleger« bezeichnet. Er hat vor Gericht eingestanden, dass Karl May in den öffentlichen Zeitungen totgemacht werden solle, falls er die Firma Münchmeyer verklage. Herr Cardauns ist dabei, ohne Ahnung von der Rolle, die er spielte, Fischers Werkzeug gewesen. Adalbert Fischer hat nach seinen eignen Reklameangaben für zehn Millionen Mark diese unsittlichen Schriften geliefert. Die Fälschung der ursprünglich von May geschriebenen sittlich einwandfreien Romane wurde während langer Auslandsreisen des Verfassers vorgenommen; er konnte sich also um Revisionen nicht kümmern.


Quellen: Entscheidung des Reichsgerichts vom 9. Januar 1907; der »Bayrische Kurier« vom 10. und 11. Februar 1907; das »Radebeuler Tageblatt« vom 3. März 1907; Roseggers Heimgarten, 31. Jahrg., Hft. 7, April 1907.

Weiteres Material: »Die Sonntagsglocken« vom 14. Juli 1907.


Hochachtungsvoll

Hans Moeller.


Wenn Sie damit einverstanden sind, dann, bitte, schicken Sie mir den Brief hier mit zurück, da ich keine Abschrift habe. Sehr lieb wäre es mir, wenn ich noch mehr Material, evtl. aus größeren, ernsten Zeitungen, die die Reichsgerichtsentscheidung abgedruckt haben, bekommen könnte. Ihre Frau Gemahlin wird sicher noch einiges haben. Und nun komm' ich zu Ihnen, liebe Frau May.

  Wenn Sie beide mit unsern Absichten einverstanden sind, uns für befähigt und für »wissend« halten, dann ist es natürlich sehr wichtig, dass wir alles Material bekommen, dessen wir nur irgend habhaft werden


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können. Und dafür sorgen, bitte, Sie. Schicken Sie mir, bitte, alle Artikel, für und wider, auch, wenn Sie sie nicht doppelt haben, ich schreib' sie mir dann ab und schicke sie Ihnen zurück. Alle gegnerischen Artikel beantworten wir, dazu ist es natürlich gut, wenn man aus den anerkennenden neue Gedanken usw. profitiert, neue Waffen schmieden kann. Sollten Sie auch gelegentlich erschienene Artikel nicht haben, dann, bitte, schreiben Sie uns wenigstens drüber, wir beschaffen sie uns dann selbst.

  Das ist unsre Kleinarbeit. Daneben haben wir die grosse. Die soll in Vorträgen bestehen. Der erste wird einer in Nowawes, in der Reihe der von mir veranstalteten 6 Dichterabende sein. Folgen sollen Vorträge in Berlin. Einen Saal bekommen wir bestimmt und Leute - gratis - hinein auch. Und reden werden wir, das können Sie glauben. Die Reklame wird durch die Zeitungen die die Sache teils ernst nehmen, teils verulken, durch Plakate und durch die Buchhandlungen gemacht. Vor der Universität oder in ihr kann man Zettel verteilen lassen.

  Wir sind uns der Folgen vollständig bewusst; wir werden belacht, für verrückt gehalten, angegriffen werden. Aber auch das ist für den Anfang Erfolg. Die Hauptsache ist, gehört zu werden. Auftreten werden wir so, dass selbst die ganz Verbohrten wenigstens zweifelnd weggehen. Ist Ihnen der Gedanke sympathisch? Bitte sagen Sie ja! Sagen Sie, dass Sie das Vertrauen zu uns haben, dass Sie uns helfen wollen! Sie werden selbst der Meinung sein, dass etwas geschehen muss. Und Sie sollen's doch noch erleben, Herr May!

  Wir unternehmen die Sache ›auf eigene Rechnung und Gefahr‹, d. h. moralisch. Wir sind überzeugt! Wir haben den Glauben! Und haben die Kraft, uns Gehör zu verschaffen. Wir haben als zwei gegen Tausende das Übergewicht, denn wir kämpfen für die Wahrheit gegen den Unverstand, die Borniertheit und die Intrigue.

  Dass Sie hinter uns stehn soll niemand erfahren: wir interpretieren Sie auf eigne Faust und übernehmen die Verantwortung.

  Allerdings wird die Sache auch Kosten machen: Reklame usw. Ich glaube, Sie werden mit uns der Meinung sein, dass die der trägt, der materiell den grössten Nutzen von der ganzen Bewegung hat: Herr Fehsenfeld. Natürlich sind die Kosten klein. Ein paar Inserate in den grössten Zeitungen, Plakate (Denken Sie, wie eins der Titelblätter von Sascha Schneider, vergrössert, an den Säulen wirken würde!) und evtl. Flugblätter für die Universität und die Primen der Gymnasien, das wäre alles. Ich habe Herrn F. nur kurz geschrieben, dass ich einen Vortrag halten wolle, er hat bis jetzt nicht geantwortet. Er wird wohl auf Reisen sein. Vielleicht schreiben Sie ihm drüber und machen ihn uns geneigt!

  In dem Vortrag würde ich den Grund bereiten, auf dem Freitag bauen soll: ich behandle »Karl May, den Pornographen«, »K. M. den Jugendschriftsteller«, »K. M. und die moderne Literatur« und den »wah-


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ren Karl Mayx)x)auf Grund der Reiseerzählungen, der »Vorstudien«›. Darauf baut dann Freitag, indem er »Babel und Bibel« erklärt (auf Grund der von mir erläuterten Etüden) und auch über K. M. den Dichter und Künstler spricht. Das ist ganz was Neues! Ich sage Ihnen: die Leute sollen staunen! Hinterher Diskussion! Da werden wir unser ganzes geistiges Rüstzeug zusammen haben und hauen jedem auf den Hut: wir siegen! Hurra!

  Wir wollen also jetzt zuerst nochmal »Im Reiche des silbernen Löwen«, »Und Friede auf Erden« und »Am Jenseits« lesen, danach »Babel und Bibel«. Und dann müssen wir mit Ihnen reden. Ist es Ihnen recht, wenn wir anfangs Oktober oder lieber Ende September beide einmal sonntags hinüberkommen? Da sollen Sie uns dann noch geben, was uns fehlt. Und dann wird gerüstet: wir arbeiten unsre Vorträge aus, bringen Ihnen die zwischen Weihnachten und Neujahr zur Endbesprechung; und Anfang Januar oder gegen Ende geht dann die Sache vor sich.

  Sie sollen zufrieden mit uns sein!

  Und nun sagen Sie, ob Sie wollen. Sagen Sie, dass Sie wollen!

  Es handelt sich nun bei Ihrer Antwort um:

  1. Erlaubnis zur Erwiderung f. d. »Liter. Echo«.

(Geben Sie die, bitte, auf einem kleinen Extra-Zettel, den ich der »Berichtigung« beilege. Sonst glauben die Leute es ja nicht!)

  2. Kann ich dauernd Material kriegen?

  3. Sind Sie mit unsern Vorschlägen einverstanden? (Bitte, bitte, sagen Sie ja!!!!)

  4. Wann dürfen wir (Sept./Oktober) kommen?

  5. Wird Fehsenfeld helfen? Davon hängt ja alles ab!

  6. Bitte, schicken Sie mir diesen Brief wieder: ich möchte die ganze Korrespondenz im Zusammenhang haben.


So. Und nun Schluss!


Wir warten sehnsüchtig und voll Hoffnung!!


Ihre

Hans Moeller u. Wilfried Freitag


»Comitee der May-Bewegung«!!!!


Nowawes: heute Babelsberg/Potsdam

x im Original vom Schreiber mit diesem Zeichen gekennzeichnete Textstelle, die am Briefrand neu formuliert wurde

Freitag: Daten zu seinem Leben konnten bisher nicht ermittelt werden. Dr. Zaremba fand heraus, daß Freitag weder als ordentlicher Student noch als Gasthörer an der Humboldt-Universität in Berlin eingeschrieben war.

›Deutscher Kampf‹: bisher nicht ermittelt

›Allgemeine Zeitung‹: Gemeint ist wohl der Artikel ›Karl May‹ von Dr. Hugo Eick vom 11. 7. 1907, Reprint in: Bernhard Kosciuszko: Im Zentrum der May-Hetze - Die Kölnische Volkszeitung. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 10. Ubstadt 1985, S. 166-71; der Artikel ist so mayfreundlich, daß May Auszüge daraus als Flugblatt verteilen ließ.


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›Literarisches Echo‹: Im 9. Jg. (1906/07) erschien in der Rubrik ›Echo der Zeitungen‹ in den Spalten 1699ff. eine nicht verfälschende Zusammenfassung des ›Eick‹-Artikels, die wiedergegeben wird in: Bernhard Kosciuszko: Das Literarische Echo und Karl May. Sonderheft der Karl-May-Gesellschaft Nr. 7/1977, S. 14f. - Für beide Zeitungsartikel ist der ›Verteidigungseifer‹ Möllers völlig fehl am Platz.

›Bayrischer Kurier‹: Artikel ›Karl May‹ vom 10. und 11. 2. 1907

›Radebeuler Tageblatt‹: Wahrscheinlich eine Verwechslung: Der Artikel im ›Radebeuler Tageblatt‹: ›Der Bayerische Kurier sagt in seiner Beilage vom 10. und 11. Februar 1907 ...‹, erschien am 21. 2. 1907. Am 3. 3. 1907 erschien in der Zeitung ›Das Zwanzigste Jahrhundert‹ von Fritz Holm ein langer positiver Artikel zu May (›Karl May‹); Reprint in Kosciuszko: Im Zentrum der May-Hetze, a. a. O., S. 151-53.

›Die Sonntagsglocken‹: Reprint in ebd., S. 173, auch diesen Text benutzte May in Auszügen als Flugblatt.



Wilfried Freitag an Karl May   ohne Datum, 29. 8. 1907


Hans Moellers

Buchhandlung

Nowawes-Neuendorf

Eisenbahnstrasse 1


Verehrter Herr May!


Im Privatcomptoir von Hans Möller's Buchhandlung sitzen zwei, die nicht nur fühlen, sondern die wissen, daß es Zeit wird, den wahren Inhalt Ihrer Bücher denen, die ihn nicht kennen oder nicht kennen wollen zu enthüllen oder zu sagen, was sie sind: keine Menschen.

  Ich komme kam eben von Ihnen und wußte nicht wohin, lernte Herrn Moeller kennen und wußte wohin: zu Karl May. Denn sonst ist fast alles Sumpf in der heutigen Richtung. Nichts Neues, aber neue Form, sagt die Zeitrichtung. Arm, aber nur bedauerns- nicht verachtenswert!

  Ich habe vor, im kommenden Winter über »Bibel und Babel« [sic!], das ich persönlich als das Bedeutendste halte und das mich, was heute geschrieben wurde, über den Entstehungsgang und die Bedeutung einige Vorträge zu halten. Ich habe meinen lieben Freund Hans Moeller zur Seite, der mich leitet. Zuerst werde ich alle Werke »studieren«, nicht lesen, dann sollen Sie die Arbeit bekommen.

  Es steht eine Bewegung bevor. Es wird Zeit. Wenn ich an Sie denke, fällt mir das Wort eines mir bekannten Pastors in Böhmen ein, der in einer Predigt sagte: Wir brauchen keine neuen Propheten, neue Apostel brauchen wir. Ich weiß, daß Sie der Apostel sind, den die Volksseele bedarf.

  Verzeihen Sie diese kurzen, abgerissenen Worte, aber seien Sie überzeugt, daß wir keine Fanatiker, sondern Wissende sind. Ich denke da an einen Brief, den mir Hans vorgelesen hat.

  Es ist heute schon spät, und ich will heute anfangen, nicht morgen.


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Anbei werden noch einige Begleitworte von meinem lieben Hans sein.


Mit inniger Verehrung

Ihr

Wilfried Freitag


›Bibel und Babel‹: Der Titel von Mays Drama lautet ›Babel und Bibel‹, was wird May wohl von diesem ›Wissenden‹ gedacht haben?



Hans Möller an Klara May   3. 10. 1907


Hans Moeller3. 10. 7
Buchhandlung
Nowawes-Neuendorf
Eisenbahnstrasse 1


Liebe Frau Doktor;


herzlichen Dank für die Drucksache von gestern! Es wird! Aber es wird zu langsam! Viel zu langsam! Ich glaube, infolge all der vielen Sympathiebeweise übersehen Sie nicht, wie gross, besonders im Norden, die Apathie, die Verbohrtheit und Indolenz Ihrem Manne gegenüber ist. Sie glauben nicht, wie schwer es hier ist, seine Meinung zu vertreten. Und gar erst: durchzusetzen!

  Warum hab ich denn keine Antwort auf meinen langen Brief bekommen? Die sollte ja nur ganz kurz sein! Wollen Sie nicht das, was wir vorhaben? Und warum denn nicht? Wir sind schon tüchtig dabei. Natürlich: Erfolge sind noch nicht da. Aber ich habe verschiednen Leuten gezeigt, dass ich dabin und wache. Vielleicht werden Sie in der nächsten Zeit einiges hören! Also bitte, wenn er nicht Zeit hat, dann, Frau Doktor, nehmen Sie doch meinen Brief durch und schreiben Sie ganz kurz auf alles. Besonders wegen des ›Literarischen Echos‹. Die Leute müssen berichtigen. Und das wäre ein Erfolg!

  Bitte, nehmen Sie die Sache nicht leicht: ich meine: was nutzen die Millionen Leser, wenn's nicht die richtigen sind. Wenn's so weiter geht, wird man nach hundert Jahren auch nur immer noch von dem Jugendschriftsteller May reden! Und, bitte, lassen Sie uns machen! Die Sache ist ungeheuer wichtig für Sie. Wir überschätzen uns gewiss nicht: wir können's. Eine in Berlin durchgesetzte Versammlung wird auf alle Fälle ein Erfolg, auch wenn wir ausgelacht werden. Und das werden wir! Wir werden uns aber durchaus würdig benehmen, nicht wie Schwärmer, sonder mit ehrlicher Begeisterung für eine würdige Sache. Eine lächerliche Rolle spielen wir nicht! Dann müssen auch die Lacher mal ernst werden.


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  Jetzt bin ich dabei, Presse zu gewinnen. Dann kommt der Berliner Buchhandel dran, der die Reklame für den Vortrag mitmachen muss. Also, bitte, bitte, Antwort! Und sagen Sie »ja!« Und auch wegen des ›Lit. Echos‹ muss ich bescheidwissen!

  Wir warten sehnlichst!!!

  Meinen langen Brief, den ich nicht kopiert habe, schicken Sie mir doch, bitte, wieder, damit ich alle Korrespondenz zusammenhabe.

Herzliche Grüsse!

Ihr dankbarer

Hans Moeller u. Wilfried Freitag


Und recht viel Material! Besonders Angriffe!


Von Fehsenfeld hab ich Nachricht bekommen: er fragt mich um Rat, wie er die Propaganda für die neue Lieferungsausgabe unternehmen soll. Wir können Hand in Hand arbeiten! Auch ein Erfolg!



Karl und Klara May an Hans Möller   ohne Datum


Lieber Herr Möller!


  Auch wir würden uns freuen, Sie bei uns zu sehen. Am besten würde es an einem Sonntag passen. Sie müssen uns aber so rechtzeitig benachrichtigen, daß ich Ihnen antworten kann.

  Anbei sende ich Ihnen einige Drucksachen. Wie gefällt Ihnen der neue Prospekt? Haben Sie von Fehsenfeld genügend davon für Weihnachten erhalten?

  Es freut uns, daß Sie so viel Arbeit haben. Ein gutes Zeichen für einen Geschäftsmann.

  Was macht Ihre Zeitung?

  Viele, herzliche Grüße, auch Ihren Lieben, von


Ihren alten May's.


Der Brief wurde von Klara May geschrieben.

ohne Datum: nachträgliche Randnotiz auf der Fotokopie: 4. 1. 08



Klara May an Hans Möller   ohne Datum


Lieber Herr Möller!


Ich komme heute mit einer Bitte zu Ihnen, für die ich aber um strenge Diskretion bitte.

  Sie wissen, daß mein Mann für den ›Hausschatz‹ in Regensburg schreibt. Er möchte gern einige Punkte wissen, doch ohne, daß die


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Verlagshandlung (Pustet) erfährt, daß er es ist, der fragt. Diese Punkte sind:


1., ein vollständiges Verzeichniß aller Verlagsartikel der Firma Pustet, sowohl der Stammfirma in Regensburg als auch der beiden amerikanischen Filialen in New-York und Cincinnati.


2, Die genaue Adresse dieser beiden Filialen in Amerika.


Ich wende mich an Sie, weil ich weiß, daß Sie mir gern behülflich sind und daß es Ihnen als Buchhändler leicht wird, das Betreffende zu erfahren. Die Verlagshandlung schreibt sich Friedrich Pustet Regensburg, New-York und Cincinnati. Ein Brief von Ihnen genügt. Sie können ja Bestellungen bei sich liegen haben. Amerikaner verkehren ja viele in Berlin u. Potsdam. Sie bitten um die Verzeichnisse aller Verlagsartikel, auch der der Filialen. Und die Adressen der Filialen sind Ihnen nöthig zur Auskunftertheilung und auch zum direkten Verkehr mit ihnen.

  Die Sache eilt. Vielen Dank schon im Voraus, vielleicht nächstens auch persönlich.

Mit herzlichen Grüßen

Ihre ergebene

Klara May


ohne Datum: nachträgliche Randnotiz auf der Fotokopie: 31. 7. 08

Hausschatz: Im 34. Jahrgang des ›Deutscher Hausschatz‹ (Oktober 1907 - September 1908) erschien Mays ›Der 'Mir von Dschinnistan‹.




Karl und Klara May an Hans Möller   ohne Datum


Lieber Herr Möller!


Heute, genau 8 Tage später, findet uns Ihr Brief hier.

  Wir waren nicht in der Stimmung, Sie, oder irgend einen Menschen zu sehen, als wir in Berlin waren. Wir hatten uns früh zur Ruhe begeben, weil wir schon um 7 Uhr weiter fuhren, am anderen Morgen.

  Wo und was sind Sie jetzt? Was wollen Sie schreiben? Es ist ja eine Kühnheit sonder Gleichen, jetzt für K. M. auftreten zu wollen. Man feiert ja Orgien gegen ihn.

  Gegen das sonderbare Urteil vom 12. d. M. ist Berufung eingelegt, der weitere Verlauf der Verhandlungen wird vielleicht die erregten Gemüter ein wenig beruhigen.

  Es soll mich freuen, wenn Ihre Stimme stark genug ist auch in dem allgemeinen Skandal gehört zu werden. Es giebt ja Gott sei Dank auch


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noch Menschen, die nicht zu Lebius gehören, der Einzige sind Sie jedenfalls nicht.

Mit bestem Gruß

Ihre alten

May's.


Der Brief wurde von Klara May geschrieben.

ohne Datum: nachträgliche Randnotiz auf der Fotokopie: 19. 4. 10

Urteil: Am 12. 4. 10 verlor May in Berlin-Charlottenburg einen Prozeß gegen Lebius; vgl. dazu: Volker Griese: Nimbus zerstört. Der Charlottenburger Prozeß und das Urteil der Presse. In: Jb-KMG 1998. Husum 1998, S. 40-83.



Karl und Klara May an Hans Möller   6. 3. 1912



Radebeul, d. 6. 3. 1912


Lieber Herr Möller!

  Mein guter Mann steckt bis über die Ohren in Arbeit, deshalb kann er Ihnen nicht selbst schreiben. Der 25. Februar brachte solch eine Fülle von Liebe in's Haus, daß der künstlich gezüchtete Haß daneben recht lächerlich erscheint.

  Vielen Dank auch für Ihre freundlichen Wünsche und für Ihren eigenartigen Brief. Er ist mystisch. Sonst war Ihr Viesier offen. Unser lieber Hans Möller ist ein Anderer geworden? - - - Kein Wunder eigentlich, ist er doch sogar Ehemann! Na, diese Eigenschaft hat Sie jedenfalls nicht zu Ihrem Nachteil verändert. Es soll uns freuen, Ihr Frauchen in Berlin begrüßen zu können; empfehlen Sie mich ihr.

  Nun aber ehrlich zum Kernpunkt Ihres Briefes. Was ist's mit Lebius? Ich vermute, Sie sind bei Schweder und Hertzsch und kennen das interessante Abkommen des Herrn Lebius mit Herrn Schweder. Ist es so? Sie haben nicht zu befürchten, daß wir Ihren Brief auch nur einem unserer Freunde zeigen. Bei aller Liebe unserer Freunde ist's doch besser, allein zu stehen und sich nicht zu viel auf Freunde zu verlassen.

  Wir werden in nächster Zeit wieder in Berlin sein. Ich weiß nicht, ob Ihre Mittheilungen Aufschub dulden? Bitte, erklären Sie sich erst einmal näher; kommen Sie auf den Kernpunkt. Ist die Sache wichtig, dann müssen wir darüber sprechen; wie und wo, wird sich finden. Jedenfalls wird es uns freuen, Sie wieder zu sehen.


Mit besten Grüßen immer

Ihre alten

May's.


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Der Brief wurde von Klara May geschrieben.

25. Februar: Mays Geburtstag

Ehemann: Möller hatte 1911 geheiratet; vgl. Zaremba, a. a. O., S. 36.

Schweder und Hertzsch: recte Hertsch; Pressebüro, das die von Lebius der Presse zugespielten Berichte an die Zeitungen verteilte. Vgl. dazu Ekkehard Bartsch: Korrespondenz-Büro Schweder & Hertsch. In: M-KMG 14/1972, S. 27, sowie Griese, a. a. O., S. 55.



Klara May an Hans Möller   31. 3. 1912


Radebeul, d. 301. 3. 1912


Lieber Herr Möller!

  Mein über Alles geliebter Mann ist gestern Abend von dieser Welt gegangen. Er hat sich in Wien erkältet. Wir mußten im Hotel 2 Tage ohne Dampfheizung sein.

  Aber es war ein schöner Heimgang noch ganz umfangen von dem Übermaß von Liebe, die ihm in Wien zu teil ward, schlief er ein. Lieb, ruhig und friedlich.

  In seinem Sinne handelnd, gebe ich das Ereignis erst nach der Beisetzung kund.

  Bitte, schreiben Sie hierüber in Ihrer früheren herzlichen Weise und geben Sie die Nachricht durch die Correspondenzen weiter. Wenn Sie liebe und freundliche Stimmung besonders bei Schweder & Hertsch durchdrücken könnten, dann entschädige ich Sie doppelt gern für all Ihre Güte und Mühe. Ich möchte nicht, daß auch nur ein harter häßlicher Ton in diesen Frieden hinein klingt. Glauben Sie mir mein Mann war ein Heiliger, keiner kannte ihn besser, als ich, sein Weib!


Mit bestem Gruß

Ihre ergebene

Klara May.


der Tagsind freundlich
die Nationalzeitunggesinnte
der LokalanzeigerBlätter.


30 1.3.: die '0' wurde durch eine '1' überschrieben

gestern Abend: Karl May starb am 30. 3. 1912 abends.

in Wien: Am 22. 3. 1912 hielt Karl May im Wiener Sophiensaal seine gefeierte Rede ›Empor ins Reich der Edelmenschen!‹. Vgl. dazu: Ekkehard Bartsch. Karl Mays Wiener Rede. Eine Dokumentation. In: Jb-KMG 1970. Hamburg 1970, S. 47-80, und Hans Wollschläger: Sieg - großer Sieg - - Karl May und der Akademische Verband für Literatur und Musik. In: Jb-KMG 1970, a. a. O., S. 92-97.

Schweder und Hertsch: Siehe Anm. zum Brief vom 6. 3. 1912.


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Klara May an Hans Möller   ohne Datum


Lieber Herr Möller!

  Ich danke Ihnen für Alles. Sie werden begreifen, daß ich nicht in der Stimmung bin Ihnen viel schreiben zu können.

  Ihre Ideen sind gewiß gut, doch bitte ich Sie, vor der Hand nichts zu unternehmen und mir erst einmal die Briefe meines Mannes zur Einsicht zu senden, ich möchte Ihnen noch einiges zur Vervollständigung der Sachen dazu geben und Sie können es dann heraus geben.

  Nach dem Willen unserer Anwälte werden alle Prozesse gegen Lebius fortgesetzt. Ich bin dagegen für eine Einigung. Wenn Lebius anständig ist lehne ich die Fortsetzung der Sachen ab.

Mit bestem Gruß

Klara May.


ohne Datum: nachträgliche Randnotiz auf der Fotokopie: 8. 4. 12



Hans Möller an Klara May   13. 3. 1914



Berlin W., 13. 3. 14


Verehrte Frau May,


ich habe, seit Karl May starb, mehr als einmal das Bedürfnis gehabt, Ihnen zu schreiben. Es unterblieb, weil ich nicht wusste, ob Ihnen Briefe von mir erwünscht wären. Ich hatte auf einen langen Brief, den ich Ihnen gleich nach dem Tode Ihres Mannes unter dem frischen Eindruck des Ereignisses geschrieben und in dem ich mich Ihnen, in allerbester Absicht und ohne egoistische Motive, als Helfer in allen Dingen angeboten hatte, in denen Sie mich brauchen könnten, - leider nie die von Ihnen mir kurz angekündigte Antwort erhalten. Ich musste deshalb - allerdings befremdet - annehmen, dass Sie mir nicht schreiben wollten. Und darum unterliess ich weitere Briefe. Einmal erhielt ich ein Zeichen, dass ich im Hause May noch nicht ganz vergessen bin: einen Prospekt des Verlages der Karl May-Stiftung. Er war mir jedoch kein ausreichende Anlass, Ihnen erneut zu schreiben.

  Es gibt aber Dinge, die alle trennenden Schranken wegräumen. Solch ein Ding zwingt mich heute geradezu, Ihnen zu schreiben. Denn wem sollt ich sonst zuerst von der grenzenlosen Entrüstung reden, die mich erfüllt, als Ihnen, die dieser Frevel am Andenken Karl Mays am nächsten angeht. Hermann Anders Krüger, selber Romanschriftsteller, »nebenamtlich« Professor der Literaturgeschichte an der Königl. Technischen Hochschule in Hannover, hat ein »Deutsches Literatur-Lexikon« verfasst, das der gute und ernste Verlag von C. H. Beck heute ausgibt.


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Gewohnheitsmässig schlage ich unter den ersten Namen, an denen ich solche Bücher prüfe, Karl May auf und finde das, was ich Ihnen, auf besonderem Blatt auf der nächsten Seite abgeschrieben, hier mitschicke. Ich habe heute keine Zeit, mehr zu schreiben. Es mag Ihnen genügen, wenn ich Ihnen sage, dass ich dies noch mit zitternden Händen schreibe. So hat mich diese Gemeinheit erregt. Ich werde morgen in Ruhe an den Herrn Professor schreiben. Sie mögen dann an einer Abschrift des Briefes, die ich Ihnen schicken werde, sehen, dass Karl May auch an mir noch über den Tod hinaus einen treuen Verehrer und Verteidiger hat.

In alter Gesinnung:

Ihr

Hans Moeller


Adresse:Redakteur Hans Moeller
p. Adr. Archiv für Bibliographie
Berlin W.9. Luckstr. 12 III.


M a y,  K a r l ‹†›, geb. 25. Febr. 1842 zu Hohenstein-Ernstthal i. Sachsen, ward erst Volksschullehrer, dann Verbrecher, seit 74 einer der raffiniertesten Kolportage-, Jugend- und Reiseschriftsteller, dessen einzigartiger Erfolg beim grossen und nicht nur katholischen Publikum ein bedenkliches Zeichen lit. Unreife weiter Kreise unsers Volkes war und noch ist.

M. lebte seit 83 zu Blasewitz, seit 99 zu Radebeul, Starb das.

31. März 1912.

Werke: Reiseromane. XXX. Freiburg i. Br. 1892-1904. u. a.

Literatur: Heinr. Wagner; K. M. u. s. Werke. Passau 1906.

Rud. Lebius: Die Zeugen K. M. u. Klara M. Berlin-Charlottenbg. 10 Autobiogr. Freibg. 10.


[Unter diesem maschinenschriftlichen Auszug aus dem Literatur-Lexikon findet sich quer geschrieben eine Bemerkung Klara Mays:]


Dieser Brief ist
nur

für Sie. mit Keinem, der nicht mit diesem Inhalt im Zusammenhang steht, auf der Reise darüber sprechen. Nach Durchsicht zurück. Können Sie den Mann besuchen? Was machen wir hiergegen?




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