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Chronologische Übersicht und Zusammenfassung: Der Mensch und sein Werk


Unser, in die Breite geratenes, Buch enthält eine Fülle von Informationen und Kommentaren. Chronologisch sind die Texte insofern geordnet, als Mays Leben in zeitlichen Abschnitten und seine wichtigsten Schriften in der Reihenfolge ihrer Entstehung besprochen wurden. Größere Sinnzusammenhänge - Mays private Kontakte z.B. - wurden jedoch zusammenhängend (in Abschnitten, die mehrere Jahre umfassen) interpretiert. Will der Leser nun aber - Jahr für Jahr und Monat für Monat - verfolgen, was jeweils geschehen ist (eine Betrachtungsweise, die ja auch ihre Berechtigung und ihren besonderen Reiz hat), so muß er lange suchen.

   Die folgende Übersicht will dieses Suchen erleichtern. Auf gedrängtem Raum und (soweit möglich) in exakter Chronologie werden die wichtigsten Informationen und auch die wichtigsten Deutungsansätze unseres Buches zusammengefaßt. Ergänzend werden, in Einzelfällen, auch weitere - im Haupttext nicht genannte - Daten hinzugefügt.


184225.2., 22 Uhr: In ärmlichsten Verhältnissen wird Karl Friedrich May als fünftes von 14 Kindern des Webers Heinrich August May (1810-88) und seiner Ehefrau Christiane Wilhelmine geb. Weise (1817-85) in Ernstthal, einer Kleinstadt am Rande des sächsischen Erzgebirges, geboren.
26.2.: In der evangelisch-lutherischen Kirche St. Trinitatis zu Ernstthal wird Karl getauft.
Wenig später erblindet das Kind.
1842ff.Unter sehr schwierigen, neurosefördernden Umständen verbringt Karl seine Kindheit und auch die Jugendjahre. Hunger nach Liebe, religiöse Sehnsucht, Märchenromantik, tagträumerische Neigung, überreiche Phantasie und narzißtische Verletzungen prägen schon das Kind. Sein ganzes Leben wird ein Schrei nach Erlösung.
1846In einer Dresdner Klinik (wo die Mutter eine Ausbildung zur Hebamme absolvierte) wird Karl, wohl im März, von der Blindheit geheilt: ein erstes - entscheidendes - Rettungserlebnis.
1846-56Besuch der Volksschule in Ernstthal. Karl fällt auf: durch besondere Begabung und (ihm zu Hause - durch harten Lern- und wahllosen Lesezwang - vom Vater eingebleute) Vielwisserei.
In der Hohensteiner 'Schundbibliothek' lernt Karl 'Rinaldo Rinaldini' und ähnliche Räuberhauptmann-Romane kennen. In der Selbstbiographie (1910) erwähnt er diese Lektüre, übertreibend, mit Abscheu.
185616.3.: Konfirmation in Ernstthal, St. Trinitatis. Mays Konfirmationsspruch: "Halte an dem Vorbild der heilsamen Worte, die du von mir gehört hast, im Glauben und in der Liebe in Christus Jesus." (2 Tim 1, 13)
29.9.: Als Proseminarist wird Karl ins Lehrerseminar zu Waldenburg aufgenommen.


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1856-60Vorbereitung auf den Lehrerberuf in Waldenburg. Besonders den Religionsunterricht empfindet May - der homo religiosus - als phantasielos und kalt.
Es gab keine Liebe. Es fehlte jede Spur von Poesie.
1858Erste große Enttäuschung: Karls erste Liebe - Anna Preßler - verläßt ihn und heiratet (im Alter von 16 Jahren) einen Krämer.
1859Weiterer Bruch: Kurz vor Weihnachten muß sich May wegen Diebstahls von sechs Kerzen (die er für den Christbaum im armseligen Elternhaus verwenden will) verantworten. Direktor Schütze greift durch.
186028.1.: Mit Schimpf und Schande muß May die Anstalt verlassen.
6.3.: May richtet, vom Ernstthaler Pfarrer unterstützt, ein erfolgreiches Gnadengesuch ans sächsische Kultusministerium.
4.6.: Im Lehrerseminar zu Plauen kann May seine Ausbildung fortsetzen.
1861September: May besteht die Kandidatenprüfung mit der Gesamtnote "Gut".
7.10.: Erste Anstellung als Hilfslehrer in der Armenschule zu Glauchau.
19.10.: Schon nach zwölf Tagen ist das Dienstverhältnis beendet - wegen Mays 'Affäre' mit Henriette Meinhold, der jungen Frau seines Vermieters.
6.11.: Anstellung als Fabrikschullehrer in Altchemnitz.
25. oder 26.12.: May wird in Hohenstein verhaftet: weil er - laut Beschuldigung - seinem Logis-Mitbewohner in Altchemnitz eine Taschenuhr, eine Tabakspfeife und eine Zigarrenspitze entwendet hat. Von einem wirklichen 'Diebstahl' kann aber wohl keine Rede sein. May geschieht, seiner (verständlichen) Meinung nach, schweres Unrecht. Dieses Schock-Erlebnis wird - wie schon die Entlassung aus dem Seminar zu Waldenburg - zum Trauma, das May nie ganz überwindet.
1862Verurteilung zu sechs Wochen Haft, die May vom 8.9.-20.10. in Chemnitz verbüßt. Die Lehrertätigkeit ist für immer beendet.
6.12.: May wird für den Militärdienst gemustert und für "untüchtig" befunden.
1862-65May lebt von kärglichen Einkünften als Privatlehrer und Musikant.
Eigene - teils flotte, teils ernste und fromme - Lied-Kompositionen entstehen. Möglicherweise ist May in diesen Jahren schon schriftstellerisch tätig; Publikationen sind aber nicht bekannt.
1864/65Erste Landstreicherzeit: May beginnt - vielleicht aufgrund einer psychischen Erkrankung, evtl. mit Bewußtseinsstörungen verbunden - eine kriminelle Karriere. Drei phantastisch-kuriose Eigentumsdelikte, die er pseudonym (als 'Dr. med. Heilig', 'Seminarlehrer Lohse' und 'Hermes Kupferstecher') begeht, werden bekannt. May wird steckbrieflich verfolgt.
186526.3.: Festnahme durch die Polizei.
Nach anfänglichem Schweigen nennt May seinen richtigen Namen und legt ein volles Geständnis ab.
8.6.: Verurteilung "wegen mehrfachen Betrugs" zu 4 Jahren und 1 Monat Arbeitshaus.
14.6.: Einlieferung in die Strafanstalt Schloß Osterstein in Zwickau.


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19.9.: Tod der geliebten 'Märchengroßmutter' Johanne Christiane verw. Vogel verw. May geb. Kretzschmar (1780-1865); May wird dies erst nach seiner Haftentlassung, 1868, erfahren.
1865-68Haftzeit in Schloß Osterstein. May versagt in der Schreibstube und muß Geld- und Zigarrentaschen verfertigen. 1867/68 gewinnt er die Gunst des Aufsehers Göhler und avanciert zum Posaunenbläser und Mitglied des Gefängnis-Kirchenchors. Ende 1867 oder Anfang 1868 wird er 'besonderer Schreiber' des Inspektors Krell. In der Gefangenen-Bibliothek liest er u.a. belletristische, historische und populärwissenschaftliche Bücher. Eigene literarische Entwürfe entstehen (vgl. Repertorium C. May).
18682.11.: Vorzeitige Entlassung wegen guter Führung.
1869Zweite Landstreicherzeit:
Erstes Halbjahr: Seine literarischen Pläne kann May, aus inneren und äußeren Gründen, nicht realisieren. Die (psychotische?) 'Ich-Spaltung' tritt wieder auf. May begeht - u.a. als 'Leutnant von Wolframsdorf - eine Serie von äußerst skurrilen, die Obrigkeit verhöhnenden Rückfall-Delikten (Betrügereien), die eine defekte Psyche vermuten lassen, aber auch eine schöpferische (später in Literatur umgesetzte) Phantasie bereits andeuten. Der materielle Gewinn aus diesen Delikten steht in keinem Verhältnis zum szenarischen Aufwand.
2.7.: May wird in Hohenstein verhaftet. Auch diesmal ist er 'gut verkleidet'; die Identifizierung bereitet einige Mühe. Ein (geladenes?) Terzerol wird sichergestellt. Tatsächliche Gewaltanwendung ist May aber in keinem Falle vorzuwerfen.
26.7.: Während eines Transports zum Zwecke der Gegenüberstellung mit von May geprellten Personen gelingt es ihm, zu entfliehen.
In den folgenden Monaten wird er, vergeblich, gejagt und steckbrieflich erfolgt.
18704.1.: In Niederalgersdorf/ Böhmen wird May - der sich jetzt als 'Albin Wadenbach', Plantagenbesitzer in Orby/ Martinique, ausgibt - in einer Scheune ergriffen.
Mit Hilfe eines Lichtbildes wird er später identifiziert.
15.3.-3.5.: Untersuchungshaft in Mittweida. In dieser Zeit (oder schon früher) verfaßt May, z.T. in französischer Sprache, das Textfragment Ange et Diable. Der Text läßt, mit einiger Wahrscheinlichkeit, einen Atheismus à la Feuerbach erkennen - eine Tendenz, die in den künftigen May-Erzählungen nicht mehr zu finden ist.
13.4.: May wird zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Seinen psychischen Zustand läßt das Gericht, auch diesmal, für die Strafbemessung außer Betracht.
1870-74May verbüßt, ab 3.5.70, seine Strafe in Waldheim. Die Haftbedingungen sind sehr hart. Schriftstellerische Arbeit ist völlig unmöglich. Dennoch werden diese Jahre zum Segen für May. Begegnungen mit dem katholischen Anstaltskatecheten Johannes Kochta führen zur religiösen Umkehr des Häft-


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lings. Er wird, obwohl er Lutheraner ist, beim katholischen Gefängnis-Gottesdienst Organist und findet zum festen - und vertieften - Gottesglauben zurück. Eine echte Straftat wird er nie mehr begehen. Auch psychisch wird er, evtl. nach einer Behandlung durch den Anstaltsarzt Dr. Knecht, völlig stabil. Seine Persönlichkeitsstruktur bleibt zwar im Kern dieselbe; aber seine Phantasie - auch seine pseudologische Neigung - kann er, in den folgenden Jahren, ins Positive verwandeln: in literarische Kunst.
1872ff.Schon in diesen Jahren erscheinen - in der May-Forschung erst seit 1993 bekannt! - in einem bisher unbeachteten Volkskalender Texte aus der Feder Karl Mays: zunächst Gedichte (die wohl die psychische Verfassung des Autors um 1869 spiegeln), später diverse Humoresken (in der Mehrzahl Erstveröffentlichungen).
18742.5.: Entlassung aus dem Zuchthaus; doch May wird, für zwei Jahre, unter Polizeiaufsicht gestellt.
Jetzt gelingt, was 1868/69 kaum möglich war: May findet Boden unter den Füßen. In Ernstthal ist er schriftstellerisch tätig. Publizieren kann er zunächst aber nur wenig. Er lebt, sehr arm, von der Unterstützung der Eltern.
1875Anfang März: May findet eine Anstellung als Redakteur beim Dresdner Kolportageverleger H.G. Münchmeyer, der ihn als 'Herr Doktor' tituliert, was May sich wohl gerne gefallen läßt.
8.3.: May zieht nach Dresden um.
Da er, schon am 15.3., ausgewiesen wird (eine Folge der Polizeiaufsicht), kehrt May am 27.3. nach Ernstthal zurück und führt von dort aus seine Geschäfte als Redakteur des Dresdner Verlags. Zugleich verfaßt er eigene Manuskripte.
April/Mai: In Neusalza erscheint Mays erste - bisher nachgewiesene - Novelle Die Rose von Ernstthal. Schon in diesem Text beginnt der Autor, seine eigene Vita umzudichten: ins ideale, perfekte, von keinem Makel behaftete Sein.
August: Karl May erreicht die Revision des Ausweisungsbeschlusses und kehrt nach Dresden - Jagdweg 7 - zurück.
Ende August/Anfang September reist er u.a. nach Essen und Berlin, um für die neu zu gründende Arbeiter-Zeitschrift 'Schacht und Hütte' zu werben.
Herbst: May gründet die beiden Münchmeyer-Journale 'Schacht und Hütte' und 'Deutsches Familienblatt'.
Gegen Ende des Jahres nimmt er Logis im Verlagsgebäude: Jagdweg 14.
1875/76Zu Beginn seiner literarischen Laufbahn verfaßt May - noch tastend, seine vielseitigen Talente erprobend - sehr verschiedenartige Texte.
In 'Schacht und Hütte' erscheinen Mays Geographische Predigten: fromme - wohl 1874/75 entstandene - Naturbetrachtungen, die durchaus Respekt verdienen und über die geistige - und geistliche - Entwicklung des Autors interessante Aufschlüsse geben.
Gleichzeitig erscheinen von May - parallel zu den Predigten - verfaßte Teile des von Münchmeyer anonym publizierten 'Buches der Liebe'. Die May-Texte lassen einen sehr kenntnisreichen, geläuterten, sittlich hochstehenden


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Autor erkennen und nehmen wichtige Gedanken des Alterswerkes vorweg.
Im 'Deutschen Familienblatt' bringt May lustige Kurzgeschichten (u.a. vom 'Alten Dessauer') und die - wohl 1874 oder schon 1868/69 entstandene - Wildwest-Erzählung Old Firehand: Erstmals tritt Winnetou auf, hier noch als wilder Skalpjäger!
1876Wohl im Sommer lernt May - in Ernstthal - Emma Lina Pollmer (1856-1917), seine zukünftige Frau, kennen.
Im Herbst ersetzt er 'Schacht und Hütte' durch eine dritte Neugründung: die Zeitschrift 'Feierstunden am häuslichen Heerde'. Hier erscheint u.a. das, von May pseudonym verfaßte, Orient-Abenteuer Leilet.
Noch im Oktober oder November kündigt May seine Mitarbeit bei Münchmeyer auf: aus privaten Gründen, aber auch wegen des schlechten Rufes des Kolportageverlags (im Blick auf pornographische Schriften: polizeiliche Haussuchungen im Verlagsgebäude!).
Wohl noch vor seiner Kündigung hat May sich bereit erklärt, in den 'Feierstunden' den 'Fürst und Junker'- Roman des eben verstorbenen Friedrich Axmann fortzusetzen: unter dem Titel Der beiden Quitzows letzte Fahrten. Historischer Roman aus der Jugendzeit des Hauses Hohenzollern. Dieser - zwar keineswegs stümperhafte, aber literarisch gewiß nicht überragende - Text erscheint Ende 1876 bis Anfang 1877. Er bleibt Mays einzige Erzählung aus dem mittelalterlichen Rittermilieu.
1877Nach Ablauf der Kündigungsfrist, Ende Januar oder Anfang Februar, verläßt May den Münchmeyer-Verlag. Den Quitzow-Roman bricht er ab. (Heinrich Goldmann setzt ihn dann fort.)
Inzwischen hat May Kontakte mit anderen Verlagen geknüpft. Bei jeder dieser Firmen publiziert er diverse Novellen, z.T. auch Nachdrucke von früheren, schon bei Münchmeyer erschienenen Erzählungen.
Neu (d.h. neu bearbeitet und erstmals publiziert, aber vielleicht schon wesentlich früher entworfen) sind vor allem Mays - an Autoren wie Auerbach, Anzengruber und Rosegger erinnernde - erzgebirgische Dorfgeschichten (Der Dukatenhof u.a.). Erzählerisch sind sie gut, z.T. vorzüglich gelungen. Und die religiöse Tendenz, das katechetische Anliegen ist klar zu ersehen: Gott verzeiht den reuigen Sündern. Der autobiographische Hintergrund ist offensichtlich.
26.5.: Emma Pollmer zieht von Hohenstein nach Dresden, in die Nachbarschaft Mays. Sie soll sich, im Haushalt einer Pfarrerswitwe, auf die Ehe mit Karl vorbereiten.
Seit dem Sommer steht May in Verbindung mit Peter Rosegger, der Die Rose von Kahira (einen Nachdruck von Mays Leilet) veröffentlicht, diese Erzählung sehr lobt und den Verfasser als einen Mann betrachtet, der den Orient persönlich bereist haben müsse.
Ende des Jahres findet May erneut eine Anstellung als Redakteur: bei Bruno Radelli, dem Dresdner Konkurrenten des Münchmeyerverlags.
1878Zum Jahresbeginn können sich Karl und Emma eine gemeinsame Wohnung in Dresden leisten. May bezeichnet Emma, auch bei der Behörde, als seine


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Frau.
25.4.: In der Nähe von Stollberg tritt May, nach Zeugenaussagen, als 'höherer Regierungsbeamter' auf, um die - mysteriös scheinenden - Umstände des Todes von Emil Pollmer (des Onkels von Emma) zu klären.
Am 15.5. wird sein Inkognito gelüftet; May wird der Amtsanmaßung bezichtigt und im Juni in Dresden vernommen. Die Vorwürfe weist er zurück.
Sommer: Nach der 'Probeehe' mit Karl kehrt Emma zu ihrem Großvater zurück. Karl folgt nach. Er wohnt bei seinen Eltern in Ernstthal, zeitweilig auch mit Emma zusammen im Hause Pollmer (in Hohenstein).
Um seinen Verpflichtungen für Radelli nachzukommen (in der Hoffnung wohl auch, die 'Stollberg-Affäre' werde sich in seiner Abwesenheit von selbst erledigen), reist May sehr häufig nach Dresden.
Das Jahr über redigiert er das Radelli-Blatt 'Frohe Stunden' und bringt dort zwölf eigene Beiträge, z.T. unter dem Pseudonym 'Emma Pollmer'. Später wird er fast alle diese Erzählungen - acht von ihnen sind exotische Abenteuergeschichten - erweitern und neu publizieren. Auf der See gefangen z.B. - nach den Quitzows Mays zweiter (noch wenig geglückter) Roman - wird teilweise für Old Surehand II (1895) wiederverwendet.
Im selben Jahr, 1878, veröffentlicht May - bei anderen Verlagen - weitere Humoresken und Dorfgeschichten.
Nach Ablauf des Redaktionsjahres gibt May seine Tätigkeit bei Radelli auf, um endgültig - bis zum Lebensende - als freier Schriftsteller arbeiten zu können.
18799.1.: May wird - zu Unrecht (weil er eine 'Amtshandlung' ja keineswegs vorgenommen hat) - zu drei Wochen Gefängnis verurteilt.
Bei verschiedenen Verlagen - darunter erstmals der katholische Pustet-Verlag in Regensburg - bringt er weitere, sehr unterschiedliche Kurzgeschichten. Im 'Deutschen Hausschatz' (Pustet-Verlag) erscheint, März/April, Three carde monte. Ebenfalls im 'Hausschatz', der später Mays Hauptpublikationsmittel wird, folgen Unter Würgern (mit erstmaliger Nennung des Namens Old Shatterhand) und andere Abenteuergeschichten. Alle 'Hausschatz'-Texte, die May 1879 veröffentlicht, sind verbesserte Zweitfassungen von schon früher, bei Radelli, veröffentlichten Erzählungen.
Ab August erscheint (Entstehungszeit: nahezu parallel) im Journal 'All-Deutschland' (Göltz & Rühling, Stuttgart) Scepter und Hammer: Mays dritter Roman. Im Vergleich zu den ersten Romanen ist der - bizarre und streckenweise schaurige - Text konzentrierter und kunstvoller komponiert; zum Meisterstück gerät er aber noch keineswegs. Interessant ist der Text vor allem in autobiographischer Hinsicht: Das im Spätsommer entstandene Kapitel 'Der tolle Prinz' z.B. läßt auf ein ernstes Zerwürfnis Karl Mays mit Emma Pollmer schließen.
1.-22.9.: May muß in Ernstthal seine vierte und letzte Haftstrafe - wegen der 'Stollberg-Affäre' - verbüßen. Sein Einspruch (12.5.) und seine Gnadengesuche (2. und 30.7.) waren abgelehnt worden.
November: In Stuttgart erscheint Mays erstes Buch: Im fernen Westen (eine überarbeitete Fassung von Old Firehand).


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Trotz seines Fleißes hat May, auch in den folgenden Jahren (bis Herbst 1882), mit erheblichen Geldschwierigkeiten zu kämpfen. Seine Einkünfte sichern ihm gerade das Existenzminimum.
1880Januar: 'May, Dr. Karl ...' wird erstmals im 'Allgemeinen Deutschen Literaturkalender' (hrsg. von den Brüdern Heinrich und Julius Hart, ab 1883 hrsg. von Joseph Kürschner) erwähnt. Daß dieser Eintrag, mit dem falschen Doktor-Titel, auf Mays eigene Angaben zurückgeht, ist zwar nicht sicher, aber doch wohl anzunehmen.
19.2.: Bestellung des Heiratsaufgebots Karl May/ Emma Pollmer in Hohenstein-Ernstthal.
Ab März/April: Im 'Deutschen Hausschatz' erscheint Deadly Dust, eine - im ersten Jahresquartal entstandene - ziemlich wilde Indianer-Erzählung, die May später (1893) für Winnetou III wiederverwendet.
Mai: Erstmals legt die 'Hausschatz'-Redaktion (in der Beantwortung einer Leser-Anfrage) die Auffassung nahe, der Autor Karl May und das 'Ich' seiner Erzählungen seien identisch.
26.5.: Tod des Großvaters von Emma, Christian Gotthilf Pollmer.
Bis August erscheinen die Folge-Nummern der Zeitschrift 'All-Deutschland' mit Scepter und Hammer. Gegen Ende des Scepter-Abdrucks wird May von der Stuttgarter Redaktion gedrängt, einen Fortsetzungstext zu verfassen. Diese - von der ursprünglichen Konzeption her nicht geplante - Scepter-Fortsetzung erscheint, unter dem Titel Die Juweleninsel, ab August. Der Text enthält, noch mehr als Scepter, wilde Fabeleien (aber auch schöne Einzelszenen) und seltsame Fehler im Handlungsverlauf.
17.8.: Standesamtliche Trauung mit Emma; am 12.9. folgt die kirchliche Trauung in Hohenstein, St. Christophori.
Eine sehr problematische, überwiegend (wahrscheinlich) recht unglücklich verlaufende Ehe mit der körperlich attraktiven, geistig und seelisch von ihrem Mann aber weit entfernten Emma beginnt. Mays Fluchtweg, seine Rettung und auch seine Droge: das literarische Schaffen!
Ende des Jahres: May beginnt - noch vor Abschluß der Juweleninsel - mit "Giölgeda padishanün" (zu deutsch 'Im Schatten des Großherrn'). Der Ich-Erzähler Kara Ben Nemsi und sein Diener Hadschi Halef Omar treten zum ersten Mal auf. Und May findet zu seiner originalen literarischen Form, die ihn später berühmt machen wird.
1881Sporadische Arbeit an der Juweleninsel und um so intensivere Arbeit an "Giölgeda padishanün", dem ersten Teil des großen Orient-Romans, der später in Buchform - sechs Bände (Durch die Wüste usw.) - erscheinen wird.
Oktober/ November: Der 'Hausschatz' bringt die Giölgeda-Fortsetzung Reise-Abenteuer in Kurdistan. Der, auch religiös und katechetisch gesehen, herausragende Orientzyklus wird Mays erster bedeutender Roman: literarisch übertroffen dann nur noch von den Altersromanen (ab 1898/99).
Ab November: Die Tageszeitung 'Le Monde' bringt erstmals einen May-Text in französischer Übersetzung ('La vengeance du farmer').


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1882Januar bis März: Der 'Hausschatz' setzt den Abdruck der Reise-Abenteuer in Kurdistan fort.
Wohl zur selben Zeit beendet May, mit einem sehr merkwürdigen Schluß, Die Juweleninsel.
Im Frühjahr und, nach einer Unterbrechung, im Herbst bringt der 'Hausschatz' die (Januar/ Februar bzw. August/ September entstandene) dritte - literarisch noch bessere - Folge des Orientromans: Die Todes-Karavane.
Im Spätsommer unternimmt das Ehepaar May eine kleine Erholungsreise nach Dresden. In einem Hotel treffen sie mit dem altbekannten Kolportageverleger Münchmeyer zusammen. Erneut läßt May sich engagieren und erklärt sich - aus finanziellen Gründen wahrscheinlich - bereit, für Münchmeyer einen besonders spannenden Roman zu verfassen.
Mit der kurzen Stambul-Erzählung (entstanden wohl bis zum Herbst) führt May den Orientroman weiter, um diese Arbeit - wegen des Münchmeyer-Auftrags - dann für längere Zeit zu unterbrechen.
Ebenfalls noch vor Beginn seiner Arbeit am Münchmeyerroman - evtl. schon 1881 - verfaßt May Im "wilden Westen" Nordamerika's (erschienen 1882/83 beim Kölner Theissing-Verlag): jene - später in Winnetou III integrierte - Erzählung, die vom Tod des Apachen berichtet. ("Scharlih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ.")
Ende Oktober: In der Zeitschrift 'Vom Fels zum Meer' erscheint Christi Blut und Gerechtigkeit - die erste Erzählung (eine kurze Novelle), die May bei Wilhelm Spemann publiziert: dem Stuttgarter Verleger, der später Mays berühmte Jugenderzählungen veröffentlicht.
November: In Dresden erscheinen die ersten Lieferungshefte mit den Anfangspartien des Münchmeyerromans Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde. May verfaßt diesen gigantischen Spannungsroman unter dem Pseudonym 'Capitain Ramon Diaz de la Escosura'.
1882-87Zweite Münchmeyer-Zeit. Das Waldröschen verkauft sich besonders gut. Dieser Erfolg bindet den Autor, jetzt erst recht, an den Kolportage-Verleger.
Auf Waldröschen folgen - in den Lieferungsdaten sich überschneidend - Die Liebe des Ulanen, Der verlorene Sohn, Deutsche Herzen - deutsche Helden und Der Weg zum Glück (auch die letzten drei Romane pseudonym): insgesamt 12 390 großformatige Druckseiten!
Teilweise schreibt May parallel an zwei Münchmeyerromanen. Außerdem beliefert er - freilich mit langen Unterbrechungen - den Pustet-Verlag mit der Fortsetzung des Orientromans.
Mays, bisher sehr niedriges, Einkommen steigt beträchtlich: vergleichbar nun mit den Einkünften eines höheren Beamten. Er ist jetzt in der Lage, seine Eltern und eine Schwester finanziell zu unterstützen.
Der literarische Wert der Münchmeyerromane ist - von geglückten Einzelpartien abgesehen - ziemlich gering: angesichts der gigantischen Vielschreiberei nur allzu verständlich. Autobiographisch sind diese Romane, aufgrund des überreichen Anamnese-Materials, aber besonders aufschlußreich. Für den Literaturpsychologen sind sie eine schier unerschöpfliche Fundgrube.


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Und nicht zu übersehen ist das katechetische Anliegen des Autors: Wo die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten!
Das Fehlen eines schriftlichen, die Urheberrechte sichernden Vertrags mit Münchmeyer sowie einige - nach Mays späterer (durchaus glaubwürdiger, aber damals wie heute nicht beweisbarer) Aussage von fremder Hand hineingepfuschte - erotische Szenen (über die sich heute niemand mehr aufregen wird) werden May, nach der Jahrhundertwende, zum Verhängnis.
1883Anfang April: In Hohenstein nimmt das Ehepaar May an einer spiritistischen Sitzung teil. Emma ist begeistert; Karl zeigt ein gewisses Interesse, grenzt sich aber - wohl schon damals, vor allem aber in späteren Jahren - sehr deutlich vom Spiritismus ab.
7.4.: Die Mays ziehen um nach Dresden - Blasewitz, Sommerstr.7.
Der Schriftsteller lebt zurückgezogen. Doch Münchmeyer kommt, auch in den folgenden Jahren, mit seiner Familie und mit Freunden häufig zu Besuch: was May als sehr störend empfindet, Emma aber (die zum Ehepaar Münchmeyer ein sehr inniges Verhältnis knüpft) um so besser behagt.
Der 'Deutsche Hausschatz' wartet vergeblich auf ein weiteres Manuskript von Karl May. Den Lesern wird - auch in den folgenden Jahren - wieder (wie 1880/81) gesagt: Der Autor (der mit dem Helden, dem erzählenden 'Ich' Kara Ben Nemsi, identisch scheint) ist auf Reisen, wahrscheinlich im Orient...
Im Verlauf dieses Jahres (und später) versucht der bekannte Redakteur und Literatur-Manager Joseph Kürschner, May für einen Romanzyklus zu gewinnen: ohne Erfolg. Denn May ist überbeschäftigt.
1884Im Frühjahr ziehen die Mays, innerhalb Dresdens, wieder um: in die Altstadt (Prinzenstraße 4).
Spätherbst: Im 'Hausschatz' erscheint der erste - im September entstandene - Teil von Der letzte Ritt: der Fortsetzung des großen Orientromans.
Dann gibt es - aufgrund der (dem Pustet-Verlag nicht bekannten) Kolportagetätigkeit Mays - wieder lange Unterbrechungen in der Manuskriptsendung und, dementsprechend, im Abdruck.
188515.4.: Tod der Mutter in Ernstthal.
Wenig später erleidet der Vater einen Schlaganfall und ist linksseitig gelähmt. Beide Ereignisse treffen May (der zu seinen Eltern eine ambivalente, aber doch sehr tiefe Beziehung hat) zuinnerst.
Ab Ende August kann im 'Hausschatz' der Mittelteil des Letzten Ritts gebracht werden.
1886Januar/Februar: Der letzte Ritt wird im 'Hausschatz' fortgesetzt.
September: Der Schlußteil des Letzten Ritts wird publiziert. May bringt es fertig: Trotz der langen Unterbrechungen des Schreibprozesses wirkt Der letzte Ritt - und überhaupt der gesamte (erst 1888 abgeschlossene) Orientroman - wie 'aus einem Guß'. Es gibt nahezu keine kompositorischen Fehler!
3.10.: Kürschner macht May ein verlockendes Angebot: Bis zu 1000 Mark pro Bogen May-Text (in 'Vom Fels zum Meer' bei Spemann) sichert er zu.


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Doch May wird diese Offerte nicht realisieren.
Aber wenig später, am 10.11., wendet sich Kürschner mit einem neuen Vorschlag an May: Für das neu zu gründende Spemann-Journal 'Der Gute Kamerad' soll May eine "anziehende Jugendschrift" verfassen. Diese - von May akzeptierte - Offerte wird in der Folge von schicksalhafter Bedeutung für ihn: Im 'Guten Kameraden' werden seine - neben den 'Hausschatz'- und später den Fehsenfeld-Romanen - bekanntesten Erzählungen erscheinen.
Noch vor Abschluß der Münchmeyerromane Deutsche Herzen und Der Weg zum Glück (mit dem Bayern-König Ludwig II. im Hintergrund und dem alten 'Wurzelsepp', einem gelungenen Original, als Hauptakteur) beginnt May - für Spemann - mit der Niederschrift seiner bisher besten Indianergeschichte: Der Sohn des Bärenjägers.
1887Januar bis September: Im Knaben-Journal 'Der Gute Kamerad' erscheint Mays Bärenjäger. (Der kleine 'Hobble-Frank' tritt erstmals auf!)
Im selben Zeitraum bringt 'Der Gute Kamerad' auch diverse Kurzgeschichten von May. Für Spemann - wie zuvor schon für Pustet - liefert der Schriftsteller, auch in den folgenden Jahren, pädagogisch Wertvolles und literarisch Seriöses.
Frühjahr: Das Ehepaar May zieht, ein weiteres Mal, innerhalb Dresdens um: in die Schnorrstraße 31.
Sommer: May beendet seine Kolportagetätigkeit bei Münchmeyer. Einen sechsten Roman (Delilah) hat er begonnen, aber nicht weitergeführt.
Ab Herbst, nach Beendigung des Bärenjägers, arbeitet May an der Fortsetzung des großen Orientromans Durch das Land der Skipetaren. Auch dieser, mit souveräner Fabulierkunst geschriebene, Text gelingt tadellos.
Wohl gegen Ende des Jahres beginnt May - noch vor Abschluß der Skipetaren-Niederschrift - mit der zweiten größeren Arbeit für den 'Guten Kameraden': Der Geist der Llano estakata.
1888In allen zwölf Nummern eines Prager Monats-Journals erscheint der Bärenjäger in tschechischer Übersetzung.
Januar bis September: Der umfangreiche Skipetaren-Text erscheint im 'Hausschatz', den May nun wieder regelmäßig beliefern wird.
Im selben Zeitraum bringt 'Der Gute Kamerad' Mays - wieder prächtig gelungene - Jugenderzählung Der Geist der Llano estakata.
Ende April bis Anfang Juli entsteht Der Scout: mit einem Ich-Erzähler, der (im Gegensatz zu Old Shatterhand) noch richtige Fehler und Schwächen hat. Später wird May diesen Text umarbeiten und für Winnetou II verwenden.
Juli: May beginnt mit der Niederschrift des großen - autobiographisch (als mehrschichtige Auseinandersetzung mit der kriminellen Vergangenheit) gesehen: sehr brisanten - Südamerika-Romans El Sendador.
6.9.: Tod des Vaters in Ernstthal. Die 'Bewältigung' des väterlichen Erbes wird May auch weiterhin, bis zum Lebensende, beschäftigen!
1.10.: Umzug nach Kötzschenbroda (in die ziemlich teure 'Villa Idylle'), wo May sich beim Gemeindeamt als 'Dr. phil.' meldet.
Ebenfalls im Herbst gibt es einen Wechsel in der Redaktion des 'Deutschen Hausschatzes': Auf den - May sehr wohlgesonnenen - Venanz Müller folgt


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Heinrich Keiter, ein konservativ-katholischer Mann, dem Mays Geschichten nicht immer gefallen.
Ab September: Im 'Guten Kameraden' erscheint Mays dritter - in China spielender - Jugendroman Kong-Kheou, das Ehrenwort (späterer Buchtitel Der blau-rote Methusalem).
Mit der Niederschrift dieses Romans hat May schon 1887 begonnen. Das liegengebliebene Manuskript setzt er jetzt, ab Oktober 1888, fort.
3.12.: May bindet sich vertraglich an Spemann.
Ab Dezember: Der 'Hausschatz' bringt den Scout.
1889Wie in der Münchmeyer-Zeit: ein erschreckend arbeitsreiches Jahr! May verfaßt insgesamt 3770 Manuskript-Seiten!
Januar bis August: Fortsetzung des Scout-Abdrucks im 'Hausschatz'.
Gleichzeitig: Fortsetzung des - von May im Januar abgeschlossenen - Kong-Kheou-Textes im 'Guten Kameraden'.
Januar bis März: Arbeit an Die Sklavenkarawane, Mays viertem - wieder sehr gut gelingenden - Jugendroman.
April bis Juli: Weiterarbeit am (seit Herbst 1888 liegengebliebenen) Sendador-Manuskript.
Juli/August: May beendet Die Sklavenkarawane.
September bis Dezember: May verfaßt den Schatz im Silbersee, seinen erfolgreichsten (aber keineswegs besten) Jugendroman für Spemann.
Seine Schreibleistung in diesen Monaten: ca. 100 Manuskript-Seiten pro Woche!
Ab September: Die Sklavenkarawane erscheint im 'Guten Kameraden'.
Ab Oktober: Lopez Jordan, der erste Teil des Doppelromans El Sendador, erscheint im 'Hausschatz'.
Dezember: May verfaßt den Schluß des Sendador-Textes und dann den Schluß des Silbersee-Romans.
1889/90Wohl schon um diese Zeit lernen Karl und Emma May das Ehepaar Richard und Klara Plöhn kennen. Klara (1864-1944) wird später eine enge Freundin von Emma; 1903 wird sie Mays zweite Ehefrau.
18901.1.: May muß die fällige Quartalsmiete (200 Mark) schuldig bleiben. Trotz seines, schon dämonischen, Fleißes ist er erneut in Geldschwierigkeiten geraten. Die 'Villa Idylle' (Kötzschenbroda, Schützenstr. 6) wird zu teuer.
Januar bis September: Fortsetzung des Sklavenkarawane-Abdrucks im 'Guten Kameraden'.
Gleichzeitig: Fortsetzung des Lopez Jordan-Abdrucks (El Sendador I) im 'Hausschatz'.
Gleichzeitig: May verfaßt die, schon 1885 angekündigte, große Erzählung Der Mahdi. Literarisch wird dieser Text eine der besten 'Reiseerzählungen' Karl Mays.
Februar: May unterbricht - für wenige Wochen - die Mahdi-Niederschrift und verfaßt, für den 'Regensburger Marien-Kalender 1891', die Novelle Christus oder Muhammed.


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(Auch in den folgenden Jahren schreibt er solche 'Marienkalender-Geschichten' für diverse katholische Verlage. Die - partiell auch in den May-Werken bei Spemann und vor allem bei Pustet erkennbare - religiöse Tendenz wird in diesen Geschichten forciert.)
Frühjahr: Umzug nach Niederlößnitz, Lößnitzstraße 11.
Mai: Besuch von Wilhelm Spemann, der May zur weiteren Mitarbeit im 'Guten Kameraden' ermuntert.
September: Christus oder Muhammed erscheint in Regensburg.
Gleichzeitig: Mays zweite 'Marienkalender'-Geschichte, Mater dolorosa, entsteht. Der Titel kann - mit der Betonung des Mütterlichen - als programmatisch fürs Spätwerk (bzw. die späten Reiseerzählungen ab 1896) gelten.
Ab September: Der Schatz im Silbersee erscheint im 'Guten Kameraden'.
Gleichzeitig: Der Schatz der Inkas (El Sendador II) erscheint im 'Deutschen Hausschatz'.
Ab Oktober, nach Abschluß der Mahdi-Niederschrift: May schreibt den sechsten - in Südamerika spielenden - Jugendroman Das Vermächtnis des Inka.
Oktober: Erste Karl-May-Buchausgabe bei Spemann ('Union Deutsche Verlagsanstalt'): Die Helden des Westens (= Bärenjäger und Der Geist des Llano estakado).
1890-99Mays sämtliche Spemann-Romane erscheinen als Buchausgaben der 'Union Deutsche Verlagsanstalt'.
1891Januar bis Mitte März: May schließt die Arbeit am Vermächtnis des Inka ab.
Januar bis September: Fortsetzung des Silbersee-Abdrucks im 'Guten Kameraden'.
Gleichzeitig: Fortsetzung des Schatz der Inkas-Abdrucks (El Sendador II) im 'Hausschatz'.
8.4.: Das Ehepaar May zieht schon wieder um: nach Oberlößnitz, Nizzastraße 13 ('Villa Agnes').
Mai bis Dezember: Arbeit am - erzählerisch artifiziellen - Fortsetzungsroman Die Felsenburg/Krüger Bei.
Ab September: Das Vermächtnis des Inka erscheint im 'Guten Kameraden'.
Gleichzeitig: Der Mahdi / 1. Teil Am Nile erscheint im 'Hausschatz'.
Im Verlauf des Jahres gibt es weitere Zahlungsklagen gegen May. Doch die, endgültige, finanzielle Sanierung des Autors bringt noch dasselbe Jahr: zunächst durch Vorschüsse des Verlegers Fehsenfeld.
November: Schicksalhafte Begegnung mit dem Freiburger Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld (1853-1933) in der 'Villa Agnes'/ Oberlößnitz.
Die Buchausgabe der 'Hausschatz'-Erzählungen - als 'Carl May's gesammelte Reiseromane' - wird im Vertrag vom 17.11. vereinbart.
November: Das kinderlose Ehepaar May nimmt die neunjährige Clara ('Lottel') Selbmann, eine Nichte Karl Mays, zu sich.
1892Erst jetzt, im sechsten Lebensjahrzehnt, wird May aufgrund der Fehsenfeld-Bände ein wohlhabender Mann.


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Von Januar bis vermutlich August: May verfaßt den größeren Teil des Krüger Bei sowie den Fortsetzungstext Die Jagd auf den Millionendieb.
Der Autor spielt mit dem Feuer: In Krüger Bei werden die Ich-Helden Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, erstmals, eindeutig identifiziert und mit dem Autor Karl May, ebenfalls zum ersten Mal, eindeutig gleichgesetzt. Außerdem besucht Winnetou den Schriftsteller May=Old Shatterhand in Dresden. Die 'Shatterhand-Legende' nimmt klare Konturen an. Die bürgerliche Realität des Autors fließt hinein in die literarische Fiktion: eine Tendenz, die - in Leserbrief-Antworten - die 'Hausschatz'-Redaktion schon seit 1880 gefördert hat.
Januar bis September: Fortsetzung des Vermächtnis des Inka-Abdrucks im 'Guten Kameraden'.
Gleichzeitig: Fortsetzung des Mahdi-Abdrucks (1. Teil Am Nile) im 'Deutschen Hausschatz'.
Im Fehsenfeld-Verlag/Freiburg erscheinen - ab Januar in Lieferungsheften, ab 10.5. in Buchform (im klassisch gewordenen gold-grünen Einband mit farbigen Deckelbildern) - Durch Wüste und Harem. Reiseerlebnisse von Carl May sowie - bis zum Jahresende - die fünf Fortsetzungsbände Durchs wilde Kurdistan usw. (Bd. I-VI der 'Gesammelten Reiseromane').
Die Texte entsprechen, fast unverändert, dem 'Hausschatz'-Roman "Giölgeda padishanün" und den Fortsetzungstiteln Reise-Abenteuer in Kurdistan bis Durch das Land der Skipetaren.
28.2.: In einem Brief an Fehsenfeld wünscht May die Abänderung des - etwas anrüchigen - Titels Durch Wüste und Harem. Doch erst in der 4. Auflage (1895) wird Bd. I unter dem Titel Durch die Wüste erscheinen.
6.4.: H.G. Münchmeyer stirbt in Davos/ Schweiz. Seine Witwe Pauline - die Busenfreundin Emma Mays - übernimmt die Geschäftsführung des Kolportageverlags in Dresden.
August: Die kleine 'Lottel' verläßt, nach Reibereien mit Tante Emma, die Mays; ihre Mutter (Mays Schwester Karoline Selbmann) bringt sie nach Ernstthal zurück.
Ab August: May schreibt seinen siebten - im 'Wilden Westen' spielenden - Jugendroman Der Oelprinz.
Ab September: Der Mahdi / 2.Teil Im Sudan erscheint im 'Hausschatz'.
Gegen Ende des Jahres: Für den Fehsenfeld-Band VI (Der Schut) verfaßt May einen, den 'Hausschatz'-Text ergänzenden, Anhang.
1893Anfang des Jahres: May beendet die Oelprinz-Niederschrift.
Seit Jahresbeginn klagt er, in Briefen an Fehsenfeld, über Probleme mit seinen Augen.
Januar bis April (oder Mai): Original für Fehsenfeld entsteht der erste Band Winnetou. Dieses Buch wird der berühmteste und meistgelesene Roman Karl Mays. Literarisch ist der Band - als Heldenmythos, als 'Heiligenlegende' und zugleich als 'Bildungsroman' - besonders gelungen. Und May hat seine Biographie nun endgültig 'umgeschrieben': Aus dem armen Schullehrer, dem hinterlistigen Straftäter, dem geschundenen Häftling ist der strahlende Held, der Befreier aus allen Nöten geworden.


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Januar bis September: Fortsetzung des Mahdi-Abdrucks/2. Teil Im Sudan im 'Deutschen Hausschatz'.
Mai bis Oktober: Die Winnetou-Trilogie (Bd. VII-IX der Fehsenfeld-Reihe) erscheint unter dem Titel Winnetou der Rote Gentleman (3 Bände; erst ab 1904 unter dem Titel Winnetou. 1.-3. Band). Die Bände II/III sind, abgesehen von den Schlußkapiteln, aus früheren - freilich neu überarbeiteten - Erzählungen zusammengesetzt. Aus Zeitmangel sieht sich May zu diesem, literarisch wenig plausiblen, Vorgehen veranlaßt.
Wohl Juni: 'Der Pedlar', das Schlußkapitel von Winnetou II, entsteht.
Sommer: Das Ehepaar May gönnt sich, erstmals, eine längere Erholungsreise; nach einem Besuch bei Fehsenfelds in Freiburg verbringen die Mays zusammen mit Fehsenfelds einen Urlaub in Bönigen (am Brienzer See in der Schweiz).
September: May verfaßt 'Das Testament des Apachen', das Schlußkapitel von Winnetou III.
7.9.: In einem Brief an Fehsenfeld beklagt sich May über 'häusliche Zerwürfnisse' und seine hochgradig gesteigerte Nervosität. Derselbe Brief läßt auf Suizid-Phantasien des Autors schließen: May schaut (aus verschiedenen, nicht exakt zu klärenden Gründen) oft nach der Wand über seinem Schreibtisch, wo der geladene Revolver hängt. Doch eine unsichtbare Hand hält ihn zurück.
Spätsommer bis Oktober: Die - im 'Wilden Westen' spielende - Einleitungspartie von Im Reiche des silbernen Löwen I (so der spätere Buchtitel) entsteht.
Ab September: Der Oelprinz erscheint im 'Guten Kameraden'.
Gleichzeitig: Die Felsenburg erscheint im 'Hausschatz'.
26.11.: May teilt Fehsenfeld mit, daß er wegen seines Augenleidens kürzlich zweimal in Leipzig gewesen sei.
Dezember: Orangen und Datteln - eine Sammlung von, früher schon publizierten, orientalischen Kurzgeschichten - erscheint als Bd. X der Fehsenfeld-Reihe in Freiburg.
1894Erstmals bezeichnet 'Kürschners Literaturkalender' Karl May als 'katholisch'. Ob May selbst dies veranlaßt hat, ist fraglich.
Januar: Der 'Hausschatz' bringt eine Anfrage nach dem pseudonymen Verfasser von Waldröschen usw. Daß May diese Kolportageromane (1882ff.) geschrieben hat, war dem Pustet-Verlag - möglicherweise - noch unbekannt.
Januar bis September: Fortsetzung des Oelprinz-Abdrucks im 'Guten Kameraden'.
Gleichzeitig: Fortsetzung des Felsenburg-Abdrucks im 'Hausschatz'.
Februar: May erkrankt an einer schweren Influenza mit Rippenfellentzündung. Auch sein Augenleiden setzt ihm noch zu.
März: Nach einer unproduktiven Zeit von mehreren Monaten - nur wenige Seiten hat May seit November 1893 geschrieben - entsteht die Anfangspartie des achten und letzten Jugendromans Der schwarze Mustang.
Dann tritt wieder eine Schreibpause (von zwei Monaten) ein.
April: Am Stillen Ocean - ein weiterer Sammelband mit, fast durchwegs,


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schon früher publizierten Kurzgeschichten - erscheint als Bd. XI der Fehsenfeld-Reihe.
Als Bd. XII/XIII folgen Am Rio de la Plata/ In den Cordilleren. Der Text entspricht - mit wenigen (aber interessanten) Abweichungen - dem 'Hausschatz'-Roman El Sendador I/II.
Anfang Mai: Erholungsfahrt in den Harz.
Juni bis Dezember: Mit leicht reduzierter Arbeitskraft verfaßt May, unmittelbar für Fehsenfeld, Old Surehand I: jenen - inhaltlich schönen und literarisch durchaus geglückten - Roman, in dem Old Shatterhand zum ersten Mal von seiner Kindheit und Jugend erzählt: Dreimal sei er blind gewesen und dreimal sei er operiert worden!
9.8.: Den Stuttgarter Prof. Dr. Gustav Jäger läßt May wissen: Alle Länder, die er beschrieben hat, seien tatsächlich von ihm besucht worden; auch beherrsche er die Sprachen der betreffenden Völker; und Hadschi Halef, Winnetou, Old Firehand usw. seien reale Personen.
Ab September: Krüger Bei erscheint im 'Hausschatz'. Doch das - autobiographisch brisante und erzählerisch schöne - Kapitel 'In der Heimath' (440 Manuskriptseiten) fehlt. Heinrich Keiter, der Redakteur, hat es eliminiert!
May wird, zu Recht, sehr verärgert sein. Eine - chronologisch nicht mehr genau fixierbare - Auseinandersetzung mit dem Pustet-Verlag steht bevor.
2.11.: Die zum Teil (aber nur zum Teil) ja wohl scherzhafte 'Shatterhand-Legende' nimmt tolle Formen an: In einem Brief behauptet May, ca. 40 Fremdsprachen zu beherrschen!
November/ Dezember: Parallel zum Abschluß der Surehand I-Niederschrift entstehen die - wenigen - neu verfaßten Teile von Old Surehand II.
27.11.: Pauline Münchmeyer bittet May, einen (gut dotierten) neuen Roman für den Kolportageverlag zu schreiben. May lehnt ab und fordert die Rückgabe seiner früheren Manuskripte.
Anstelle der (mittlerweile verschwundenen) Handschriften sendet Frau Münchmeyer dem Autor nur Druckexemplare seiner fünf Riesenromane. May legt die Druckwerke zurück, ohne ihren Inhalt näher zu prüfen (dazu fehlt ihm die Zeit) und ohne auf die Klarstellung seiner Rechte an diesen Werken zu drängen. Einer der möglichen Gründe für diese - für May später verhängnisvolle - Nachlässigkeit: Rücksicht auf Emma, die mit Frau Münchmeyer ja eng befreundet ist.
16.12.: Eine Verehrerin erfährt von May: Alles, was er geschrieben hat, sei wirklich erlebt; die Wund-Narben trage er noch heute.
Kurz vor Weihnachten: Old Surehand I erscheint als Bd. XIV bei Fehsenfeld.
Um die Weihnachtszeit überrascht die 'Hausschatz'-Leser der Knüller: Sie erfahren - in Krüger Bei - vom Winnetou-Besuch beim Dresdner Gesangsverein. Noch kommt niemand auf die Idee, den Realitätsgehalt solcher Berichte öffentlich in Frage zu stellen.
1895Januar bis Mai: Fortsetzung des Krüger Bei-Abdrucks im 'Hausschatz'.
May - der seit Herbst 1893 für den 'Hausschatz' ohnehin nichts geschrieben hat - ist nicht mehr bereit, diese Zeitschrift weiterhin zu beliefern: Die


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Streichung des 'Heimath'-Kapitels durch Keiter hat ihn verärgert.
März: Old Surehand II erscheint als Bd. XV bei Fehsenfeld. Der Text ist - wie Winnetou II/III - aus früheren (überarbeiteten) Novellen zusammengestückelt.
Mai bis August: Vier kurze 'Marienkalender'-Geschichten entstehen.
Im Verlauf des Jahres besucht Ferdinand Pfefferkorn (ein in Lawrence/USA lebender Schulfreund aus Ernstthal) May in Oberlößnitz. Das Ehepaar Pfefferkorn neigt zum Spiritismus und veranlaßt Seancen im Hause May. Solchen Sitzungen, einer damals verbreiteten Modeerscheinung, ist Emma (aber auch Frau Plöhn) besonders zugeneigt. Karl May verhält sich, sehr wahrscheinlich, nur spöttisch und distanziert.
Ab September: Der (schon 1892 verfaßte) Text Die Jagd auf den Millionendieb erscheint im 'Hausschatz'.
November: Fortsetzung der Arbeit am letzten Jugendroman (einer Indianergeschichte) Der schwarze Mustang.
Und wiederum bricht May die Niederschrift ab.
Dezember: Eine weitere 'Marienkalender'-Geschichte entsteht.
Insgesamt schreibt May, für seine Verhältnisse, in diesem Jahr sehr wenig. Mit Old Surehand II hat er einen 'toten' Punkt erreicht. Er sieht die Gefahr, sich nur noch wiederholen zu können. Er weiß: mit seinen 'Reise-Abenteuern' - deren Realitätsanspruch er selbst (mit den Auswüchsen der 'Shatterhand-Legende') ad absurdum führt - kann es nicht immer so weiter gehen. Er muß, allmählich, neue literarische Ziele anvisieren.
30.12.: Für 37 300 Mark erwirbt das Ehepaar May eine eigene Villa in Radebeul, Kirchstraße 5.
189614.1.: Einzug in die 'Villa Shatterhand', die May mit exotischen Requisiten seiner - angeblichen - Reiseabenteuer ausstaffiert.
20.1.: Im Lande des Mahdi I erscheint als Bd. XVI bei Fehsenfeld. Der Text entspricht dem 1. Teil des Mahdi-Abdrucks im 'Hausschatz'.
Januar bis August: Fortsetzung des Millionendieb-Abdrucks im 'Hausschatz'.
März/ April: Der Dresdner Büchsenmacher Oskar Fuchs überreicht May die 'Silberbüchse' und wenig später den 'Bärentöter': die 'Wundergewehre', die er heimlich - im Auftrage Mays - zu Beginn 1896 verfertigt hat (den 'Henrystutzen' wird May erst 1902 erwerben). Diese Waffen dienen May zum Realitätsbeweis seiner Abenteuer als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi.
Die 'Shatterhand-Legende' (die May noch bereuen wird) treibt in den folgenden Monaten und Jahren noch buntere Blüten!
Zu Ostern: Vom, aus Linz angereisten, Amateur-Fotografen Alois Schießer läßt sich May 101 Aufnahmen im 'Original-Kostüm' erstellen: Old Shatterhand mit Silberbüchse, Kara Ben Nemsi mit erhobenem Revolver usw. In alle Welt sollen diese Fotos verkauft werden.
Von solchen (pseudologischen, krankhafter Geltungssucht und narzißtischem Liebesverlangen entspringenden) May-Eskapaden auf die Banalität des literarischen Werkes zu schließen, wäre jedoch verfehlt: Die Roman-


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texte, die May - gerade in diesen Jahren - verfaßt, enthalten künstlerisch wertvolle, menschlich anrührende, psychologisch interessante und religiös verinnerlichte Partien.
April: Für den Schlußband der Mahdi-Trilogie (in der Fehsenfeld-Reihe) schreibt May zwei neue, umfangreiche Kapitel: 'Thut wohl Denen, die Euch hassen!' und 'Die letzte Sklavenjagd'.
Ende April: Im Lande des Mahdi II erscheint als Bd. XVII bei Fehsenfeld. Der Inhalt entspricht dem Großteil des Mahdi-Textes II im 'Hausschatz'.
Wohl Frühsommer: Zur summarischen Beantwortung der, seit Jahren schon, zahllosen Leserbriefe und Verehrer-Anfragen verfaßt May die Freuden und Leiden eines Vielgelesenen: einen pseudobiographischen Text, der die Identität des Ich-Erzählers in den Reiseromanen mit dem bürgerlichen May unterstreicht und die - forcierte - religiöse Tendenz des Autors in einer Weise hervorhebt, die nicht jedermanns Geschmack ist. Andrerseits wirkt der Text, durch selbstironische Übertreibung, auch wieder sympathisch.
Juli/August: May schließt, endlich, die Niederschrift des letzten Jugendromans Der schwarze Mustang ab.
Wohl um dieselbe Zeit muß Heinrich Keiter in Radebeul antreten: um den - wegen der 'Heimath'-Affäre - noch immer erzürnten Autor um Verzeihung zu bitten. Zuvor schon hat Karl Pustet, der Bruder des Regensburger Verlagsbesitzers, May in der 'Villa Shatterhand' aufgesucht. Und nach der Keiter-Visite wird auch Friedrich Pustet jun., der Sohn des Verlegers, nach Radebeul reisen: um May bei Laune zu halten und für die weitere Mitarbeit im 'Hausschatz' zu motivieren.
15.8.: Im Lande des Mahdi III erscheint als Bd. XVIII der 'Ges. Reiseerzählungen'. Auf Mays Anordnung hin muß es, von jetzt an, Reiseerzählungen heißen und nicht mehr Reiseromane - auch dies im Zuge des Realitätsanspruchs!
September/ Oktober: Freuden und Leiden eines Vielgelesenen erscheint im 'Hausschatz'- illustriert mit (von Schießer geknipsten) Kostüm-Fotos von Dr. Karl May=Old Shatterhand=Kara Ben Nemsi.
Ab September: Der schwarze Mustang erscheint im 'Guten Kameraden'.
Gleichzeitig: May verfaßt, nach zweijähriger (durch die Schreibkrise um 1894/95 bedingter) Unterbrechung des Surehand-Stoffes, in großer Eile Old Surehand III.
Die Suche nach der verlorenen Mutter ist das eigentliche Thema in Surehand III. Mays - allmählich - schwindendes Interesse an der äußeren Fabel (zugunsten der Schilderung von 'gebrochenen Charakteren', von Angst-Projektionen, Zermalmungsszenen und tiefsten psychischen Erschütterungen: Old Wabbles Tod!) und die - allmähliche - Auflösung des heldischen Ich-Ideals zeichnen sich in diesem Schlußband schon ab - während May, in der Öffentlichkeit, an der kindisch-martialischen Imponier-Gebärde um so verbissener festhält! Denn noch ist, wie Mays Verhalten beweist, der psychische 'Schutzpanzer' nicht aufgebrochen.
23.12.: Satan und Ischariot I (=Die Felsenburg in der 'Hausschatz'-Fassung) erscheint als Bd. XX bei Fehsenfeld. Der neue Romantitel deutet das neue (und doch alte: weil, 1875/76, in den Geographischen Predigten anti-


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zipierte und, punktuell, in nahezu allen Erzählungen Mays ja präsente) Programm bereits an: theologische - an biblischen Stoffen orientierte - Poesie. Dem Inhalt nach ist Satan und Ischariot aber, vorwiegend, noch Abenteuer-Literatur.
1897Anfang Januar: Etwas verspätet erscheint Old Surehand III als Bd. XIX der Fehsenfeld-Reihe.
Januar bis März: Fortsetzung des Mustang-Abdrucks im 'Guten Kameraden'.
Künftig wird May in dieser Zeitschrift nicht mehr vertreten sein. Noch vor der Jahrhundertwende wird er das Abenteuerklischee verschmähen und die Etikette des 'Jugendschriftstellers' endgültig ablehnen.
Februar bis Juni: Im Reiche des silbernen Löwen (l. Teil Die Rose von Schiras) erscheint im 'Hausschatz'. Es handelt sich um jenen - trotz des orientalischen Titels im 'Wilden Westen' spielenden - Text, den May schon im Herbst 1893 verfaßt hat.
März: Satan und Ischariot II (=Krüger Bei in der 'Hausschatz'-Fassung) erscheint als Bd. XXI bei Fehsenfeld. Das von Keiter gestrichene Kapitel 'In der Heimath' fehlt - obwohl es May hätte einfügen können - auch in der Fehsenfeld-Ausgabe!
Wohl im Frühjahr: May komponiert zum Ave Maria, dem Winnetou-Sterbegebet, eine Partitur.
Frühjahr: Nach fast vierjähriger Pause setzt May die Niederschrift des Silberlöwen fort: mit dem großen und - in jeder Hinsicht - bemerkenswerten Abschnitt Am Turm zu Babel.
Anfang Mai: Die Arbeit am Silberlöwen wird wieder unterbrochen: Eine turbulente Reise steht bevor...
10.5.-15.7.: Das Ehepaar May reist durch Deutschland und Österreich: eine höchst merkwürdige Mischung aus Bildungsfahrt und Publicity-Tour. Der Zweck des Unternehmens: May will persönliche Verehrer besuchen und den unmittelbaren Kontakt zur Lesergemeinde herstellen. Die Route: Radebeul-Leipzig-Harz-Hamburg-Kassel-Wiesbaden-Köln-Bonn-Mainz-Deidesheim-Stuttgart (Besuch des Verlegers Spemann)-Bodensee-Innsbruck-Achensee (Besuch einer Grafen-Familie)-München-Regensburg-Böhmen-Radebeul.
1.7.: Satan und Ischariot III (=Millionendieb in der 'Hausschatz'-Fassung) erscheint als Bd. XXII bei Fehsenfeld.
4.7.: Die Mays treffen in München ein, wo sie im Hotel Trefler logieren.
In den folgenden Tagen gibt 'Dr. Karl May', als Old Shatterhand, die absurdesten Interviews. Einem begeisterten - an die tausend Personen zählenden - Auditorium gibt er die unsinnigsten Antworten auf ebenso unsinnige Fragen. Er soll, wohl jegliche Hemmung verlierend, u.a. behauptet haben: Ca. 1200 Sprachen und Dialekte beherrsche er; bei den Apatschen sei er, als Nachfolger Winnetous, Befehlshaber von 35 000 Kriegern. Ehefrau Emma, die alles mit anhört, korrigiert und blamiert ihn nicht. Sie sonnt sich im Glanz ihres Gatten.
10.7.: In Regensburg besucht May den Verleger Pustet, der von der Kolportagetätigkeit (1882-87) seines Autors inzwischen erfahren hat. Im Ge-


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spräch mit Pustet ist May zum ersten Mal mit dem - auf dem Katholikentag in Landshut, Sommer 1897, zwischen Keiter und einem Kirchenpressemann erörterten - Vorwurf konfrontiert, 'unsittliche' Romane verfaßt zu haben.
16.7.: Sofort nach der Rückkehr in Radebeul kündigt May, in einem Brief an Pustet, gerichtliche Schritte gegen den Münchmeyerverlag an. Zum Prozeß kommt es aber erst 1901/02. Der vermutliche Grund für Mays Zögern: Jetzt, auf der Höhe seines Ruhmes, würde ein Prozeß ihm nur schaden; die - freilich ohnehin kaum vermeidbare, von May selbst ja geradezu provozierte - Entlarvung 'Old Shatterhands' könnte, jetzt schon, die Folge sein.
Ab Mitte Juli vermutlich: May setzt, sehr beziehungsreich, die Arbeit Am Turm zu Babel fort. Seine Geltungssucht und seine sonstigen Schwächen bekämpft er in diesem Text literarisch: in den Romanfiguren Hadschi Halef und Dozorca.
August: Auf fremden Pfaden - ein weiterer Sammelband mit schon früher publizierten Novellen: vorwiegend 'Marienkalender'-Geschichten - erscheint als Bd. XXIII bei Fehsenfeld.
Irgendwann im Laufe des Jahres: Anna Rothe, eine damals bekannte Spiritistin (das 'sächsische Blumenmedium'), bereichert - wiederholt - Seancen in der 'Villa Shatterhand'. Daß die Frau eine Schwindlerin ist, wird von May wohl durchschaut. Frau Emma und Klara Plöhn aber sind fasziniert.
September: May unterbricht, schon wieder, die Arbeit am Silberlöwen. Ein neues - aber von May, in Gedanken, schon lange verfolgtes - Projekt beansprucht ihn voll: "Weihnacht!"
Mitte September bis Anfang Dezember: May verfaßt, unmittelbar für Fehsenfeld, "Weihnacht!". Der Hauptteil entsteht, Oktober/November, wohl nicht in der 'Villa Shatterhand' (wo es seit langem zu turbulent ist), sondern im 'Exil': in einem Hotel in Birnai an der Elbe. Literarisch gelingt der Roman vorzüglich. Auch der religiöse Gehalt ist überzeugend. Und in Carpio zeichnet May ein erschütterndes Selbstporträt: einen armen und schwachen, narzißtisch verwirrten, erlösungsbedürftigen Menschen. Die abenteuerliche Fabel ist, auch in diesem Werk, nicht die Hauptsache. Und im nächsten Roman wird May aufs Abenteuergewand (fast) gänzlich verzichten!
Ab November: Fortsetzung des Silberlöwen-Abdrucks (Am Turm zu Babel) im 'Hausschatz'.
Dezember: Nach Abschluß des "Weihnacht!"-Manuskripts setzt May die Niederschrift des Silberlöwen fort.
Ende Dezember: "Weihnacht!" erscheint als Bd. XXIV bei Fehsenfeld.
1898Januar bis September: Fortsetzung des Silberlöwen-Abdrucks (Am Turm zu Babel) im 'Hausschatz'.
Wann May die Niederschrift dieses Textes beendet hat - noch 1897 oder (spätestens) im Frühsommer 1898 - ist fraglich.
Januar: Das Ehepaar May besucht, für acht Tage, Berlin.
Mitte Februar bis Ende März: Über Prag reisen die Mays nach Wien (wo der Aufenthalt, aufgrund einer Erkrankung Mays, sich über vier Wochen erstreckt), anschließend nach München und - über Regensburg - zurück


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nach Radebeul.
22.2.: May wird durch Ihre Kaiserliche Hoheit Erzherzogin Maria Therese festlich empfangen. Er gefällt sich als Liebling der hohen und höchsten Aristokratie. In einem Internat (bei Wien) hält er einen - kuriosen - Vortrag über Winnetou, den 'Adelsmenschen'.
25.-27.3.: Im - 1897 gegründeten - 'Karl-May-Club' in München tritt May wieder als Old Shatterhand auf. Wie 1897 (im Hotel Trefler) gibt er dreist die tollsten Geschichten zum besten.
26.3.: Die dreizehnjährige Prinzessin Wiltrud von Bayern (die den Dichter, auch künftig, aufs höchste verehrt und mit ihm sehr herzlich korrespondiert) arrangiert einen triumphalen Empfang im Wittelsbacher Palais.
Mitte April bis 7.5.: May ist schon wieder verreist, diesmal zu Studienzwecken und ohne Frau Emma. In Gartow/Niedersachsen erfreut er, allabendlich in einem Hotel, mit den gröbsten Flunkereien. Und Goldstücke verteilt er - mildtätig, wie er auch sonst gerne ist - an die arme Bevölkerung. Die Polizei hält ihn für einen Hochstapler und nimmt ihn vorübergehend fest.
Anfang August: Der angesehene Reformkatholik und Initiator der 'fortschrittlichen Literaturbewegung' Carl Muth (1867-1944) wirft, unter dem Pseudonym 'Veremundus', May "literarische Geschmacksverderbnis" vor; Mays "religiöse Phrasen" seien nichts anderes als Gunsthascherei bei den Frommen.
Ab August: Von Muths Kritik sichtlich beeindruckt, schreibt May - unmittelbar für Fehsenfeld - an einem neuen Roman: Am Jenseits. Die Anfangspartien entstehen, August/September, in Kirchheim bei Stuttgart.
Mit diesem Roman erreicht (und überschreitet) May die Schwelle zum literarisch herausragenden, psychologisch subtilen und theologisch bedeutsamen Alterswerk. Von 'Jugendliteratur' kann, ab Jenseits, nicht mehr die Rede sein. May schreibt, von jetzt an, fast ausschließlich für reife und nachdenkliche Erwachsene.
30.8.: Tod Heinrich Keiters. Nachfolger als Redakteur des 'Deutschen Hausschatzes' wird Dr. Otto Denk.
Um diese Zeit kommt es - für neun Jahre - zum Bruch mit dem Regensburger Verlag. Von Pustet versandte ominöse Waschzettel empfindet May als Verrat an der Freundschaft. Pustet fürchtet die um 1897/98 sich allmählich herausbildende katholische Opposition gegen May. Und dieser will vom 'Hausschatz' sich trennen, weil der literarische (und theologische) Anspruch seines künftigen Werkes über das 'Hausschatz'-Niveau ja weit hinausgehen soll. Die von May geplante Fortsetzung des Silberlöwen kann nicht mehr bei Pustet erscheinen.
Anfang Oktober: 'Hadschi Halef geht - aber nicht mehr lange - mit Karl May durch. Er verlangt eine Korrektur des Radebeuler Adreßbuches: Dr. Karl May muß es heißen! Es folgt eine amtliche Vernehmung in Dresden. Und May verfängt sich, wie Halef Am Turm zu Babel, in frechen Prahlereien: Die (freilich nicht existente) französische Universität zu Rouen habe ihm den Titel verliehen; und in China habe er noch höhere Würden erworben.


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12. 10.: May reist nach Prag - zu Verhandlungen mit dem Verleger Josef R. Vilimek.
Mitte Oktober: Im Prager 'Hotel de Saxe' gelingt es dem Realschüler Egon Erwin Kisch (später: der 'rasende Reporter'), Old Shatterhand die Hand zu drücken; May schenkt dem Jungen ein Exemplar Old Surehand III.
10. 11.: Die Behörde hat May keinen Glauben geschenkt. Die Führung des Doktortitels wird ihm verboten.
17. 11.: In einem Brief an Fehsenfeld unterstreicht May: Hauen und Stechen, Blut- und Hintertreppengeschichten lehne er strikt ab. Seine Abkehr von der Unterhaltungs- und Abenteuerliteratur - und von der Überbetonung des heldischen Ideals - ist, 1898, endgültig geworden!
19.11.: Im Reiche des silbernen Löwen I erscheint als Bd. XXVI bei Fehsenfeld. Das Buch ist, nicht sehr plausibel, zusammengestückt aus dem (1893 entstandenen) 'Hausschatz'-Text Die Rose von Schiras, einer (1895 entstandenen) Kurzgeschichte Scheba et Thar bzw. - so der jetzige Titel - Der "Löwe der Blutrache" und den Anfangspartien des (1897 entstandenen) 'Hausschatz'-Textes Am Turm zu Babel.
17.12.: Im Reiche des silbernen Löwen II erscheint als Bd. XXVII bei Fehsenfeld. Dieses Buch entspricht dem Hauptteil Am Turm zu Babel - verknüpft mit der (1898 entstandenen, mit der Silberlöwen-Handlung kaum zusammenhängenden) Erzählung Ein Rätsel. Die Gesamt-Komposition des Silberlöwen I/II ist recht problematisch.
Mitte Dezember: Ernste Klänge, ein Heft mit zwei Partituren von May (Ave Maria und Vergiß mich nicht!), erscheint bei Fehsenfeld.
1899Januar bis März: May führt den Jenseits-Band zu Ende.
Zumindest dem Inhalt nach muß dieser Roman zur Hochliteratur gezählt werden: als theologische Poesie. Aber auch stilistisch übertrifft Am Jenseits die bisherigen Werke Mays nicht unbeträchtlich.
Zur autobiographischen Leseebene ist u.a. zu vermerken: In der Schilderung Hadschi Halefs und der Tragik des - in sich gespaltenen - blinden Münedschi (der in alle Zeiten zu schauen vermag, aber alles, was ihn selbst betrifft, nicht erkennt und vergeblich nach Liebe sucht) ist May der Selbsterkenntnis näher denn je. Und in der Läuterung Halefs ist er, zumindest literarisch, auf dem Weg zur Selbstfindung einen großen Schritt weitergekommen.
13.3.: May an Fehsenfeld: Lesen Sie die Correcturen von Band 25? Ja? Dann werden Sie gemerkt haben, daß Karl May jetzt beginnt, mit seinen eigentlichen Absichten herauszurücken...
16.3.: Pauline Münchmeyer verkauft den Dresdner Kolportageverlag an Adalbert Fischer.
26.3.: Antritt einer gigantischen Orientreise (50 000 Mark stehen zur Verfügung), von der May - nach 16 Monaten - als ein Verwandelter zurückkehren wird.
Um Hadschi Halef zu besuchen und dann durch Persien und China nach Amerika zu seinen Apatschen zu reisen (so May an Fehsenfeld), bricht er auf. Doch alles kommt anders!


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4.4.: In Genua verabschiedet sich May von Emma (die aus gesundheitlichen Gründen auf die weitere Teilnahme an der Reise verzichtet) und vom Ehepaar Plöhn.
9.4.: In Port Said betritt er zum ersten Mal außereuropäischen Boden.
27.4.: Am Jenseits erscheint als Bd. XXV bei Fehsenfeld.
30.4.: Von Kairo aus schreibt May - der vom Verkauf des Münchmeyerverlags inzwischen erfahren hat - an Fischer einen Brief. Der Autor betont dem neuen Verlagsbesitzer gegenüber seine Rechte an den fünf Lieferungsromanen (Waldröschen usw.).
Doch Fischer erwidert: Er werde Mays Texte so ausbeuten, wie es nur möglich sei (May in der Selbstbiographie von 1910).
Jetzt und in den folgenden Monaten: May verfaßt religiöse, z.T. elegische Gedichte (die 1900 als Himmelsgedanken publiziert werden).
23.5.: May engagiert in Kairo den arabischen Diener Sejd Hassan, der ihn - über ein Jahr lang - begleiten wird.
3.6.: Dr. Fedor Mamroth, Feuilleton-Redakteur der 'Frankfurter Zeitung' (des offiziösen Organs der liberalen 'Deutschen Volkspartei'), publiziert seinen ersten Angriff gegen May: Die Taten Old Shatterhands seien freie Erfindung, und die "tendenziöse Verherrlichung des bigotten Christentums" durch May sei widerlich.
Juni: In der 'Frankfurter Zeitung' folgen weitere und schärfere Mamroth-Artikel gegen May.
Gleichzeitig: May reist durch Ägypten (nach Luxor, Assuan usw., dann wieder nach Kairo) und hat von Mamroths Artikeln keine Ahnung.
26.6.: Ankunft Karl Mays in Beirut.
29.6.: Die 'Pfälzische Presse' bringt das Gerücht, May weile nicht im Orient, sondern in Bad Tölz-Krankenheil: einem Jodbad, das speziell von Geschlechtskranken aufgesucht wird!
5.7.: Dr. Hermann Cardauns, Hauptredakteur der katholischen 'Kölnischen Volkszeitung', greift in diesem Journal May zum ersten Mal an: Er kritisiert den Realitätsanspruch der Mayschen Romane, die Selbstreklame des Autors und vor allem die Predigtmanier Karl Mays (der sich als Jules Verne und Paulus in einer Person gebe).
18.7.: Ankunft Mays in Haifa; anschließend besucht er die heiligen Stätten in Palästina.
30.7.-20.8.: Aufenthalt Mays in Jerusalem und Umgebung.
In Jerusalem erreichen May, mit Post aus der Heimat, die gegen ihn verfaßten Artikel. Im August, noch in Jerusalem, schreibt er eine lange Erwiderung.
21.8.-2.9.: Aufenthalt in Jaffa.
2.9.: May reist, per Schiff, zurück nach Ägypten.
15.9.: Ankunft in Aden/Südarabien.
16.9.: In Aden schreibt May an das Ehepaar Plöhn, den früheren Karl habe er ins rothe Meer versenkt. Er hat - wie Halef in Jenseits - begriffen: Sein altes Ego (die Renommiersucht, die 'Shatterhand-Legende') muß sterben, die Heldenpose muß schwinden!
22.9.: Ankunft Mays in Massaua/Ostafrika.


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27.-29.9.: Mays Erwiderung gegen Mamroth erscheint, unter dem Decknamen 'Richard Plöhn', in der Dortmunder 'Tremonia' (einer katholischen Tageszeitung).
6.10.: Ankunft Mays in Colombo auf Ceylon (Sri Lanka).
Hinter den Fassaden des ceylonesischen Kolonialparadieses sieht er die Realität des Imperialismus. Er beklagt die Ausbeutung der Menschen: die Segnungen des - falsch verstandenen - Christenthums.
10./12.10: In Colombo wird May vorübergehend 'rückfällig': In Postkarten-Serien an zwei Journale flunkert er wieder von Heldentaten und behauptet, ein orientalisches Klondyke entdeckt zu haben.
Den Spott seiner Gegner fordert er auf solche Weise natürlich heraus!
28.10.: May verläßt Colombo und setzt die Schiffsreise fort.
10.11.: Ankunft in Padang/Sumatra.
In Padang erleidet May einen Nervenzusammenbruch. Er verweigert die Nahrung und benimmt sich wie ein Kind. Er wird aber nicht - wie Nietzsche (1889) - wahnsinnig, sondern findet, in den folgenden Monaten und Jahren, immer mehr zu sich selbst. Der 'Schutzpanzer' ist aufgebrochen!
22.11.: Noch in Padang schickt May, nach seiner Genesung, eine Depesche nach Radebeul: Seine Frau und die Plöhns sollen nach Port Said reisen, wo er sie abholen will.
Anfang Dezember: Emma und Plöhns reisen ab, um May in Port Said zu treffen.
11.12.: Ankunft Mays in Port Said, wo er - wegen Krankheit und Pestverdachts - in Quarantäne muß. Auf seine Frau und die Plöhns wartet er vergeblich. Da Richard Plöhn schwer erkrankt ist, mußten er und die beiden Frauen in Arenzano (bei Genua) Station machen.
18.12.: May verläßt Port Said, um in Arenzano mit Emma und den Plöhns zusammenzutreffen.
Die Reise kann lange nicht fortgesetzt werden.
1900Bis 14.3.: Wegen des kritischen Zustands von Plöhn müssen die beiden Paare in Arenzano verweilen.
15.3.: Über Pisa findet die Reise, zu viert, ihre Fortsetzung.
19.3.: Ankunft in Rom.
Ab 25.3.: Gegen Mays Willen bringt Fischer Die Liebe des Ulanen erneut auf den Markt: den Lieferungsroman, der - als einziger - schon in der Dresdner Erstausgabe (1883ff.) unter Mays Namen erschien.
29.3.-4.4.: Aufenthalt der Ehepaare May und Plöhn in Neapel.
9.4.: Ankunft in Port Said und Kairo.
1.5.: Ankunft in Jaffa; 7.5.: Ankunft in Jerusalem.
Bis 25.5.: Mays zweiter Aufenthalt im Heiligen Land.
29.5.-3.6.: Ausflug in den Libanon und erneuter Besuch Beiruts.
3.-5.6.: In Baalbek besucht May die Tempelruinen.
5.-12.6.: Aufenthalt in Damaskus. Die Moscheen interessieren May sehr.
17.6.: Schmerzlicher Abschied von Sejd Hassan in Beirut.
24.6.-7.7.: Aufenthalt in Konstantinopel; die Hagia Sophia spricht May besonders an.


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Anfang Juli in Istanbul: May erleidet einen zweiten Zusammenbruch. Frau Plöhn befürchtet, "man müsse ihn einer Irrenanstalt zuführen". Aber auch diesen Zusammenbruch übersteht er nach wenigen Tagen.
9.-14.7.: Aufenthalt in Athen, dessen Denkmäler May faszinieren. Doch sein Kunstverstand ist, wie er meint, zu gering: Goethe würde ganz anders sehen ... als ich. Das ist ... nicht mehr nachzuholen. Aber May ist, in diesem Falle, "um Grade zu bescheiden" (Wollschläger).
Während der ganzen Reise: Die latent wohl immer vorhandene Kluft zu Emma wird größer. Und Klara, die sich interessierter und kunstbeflissener zeigt als Emma, rückt näher ...
15.7.: Korinth; 20.7.: Bologna.
21.-24.7.: Aufenthalt in Venedig mit Besuch der Wohnung Richard Wagners und des Dogenpalastes.
25.7.: Ankunft in Bozen; 26.7.: Mendelpaß; 27.7.: Dolomitenfahrt.
29./30.7.: Aufenthalt in München.
31.7.: Rückkehr nach Radebeul.
August: Persönliche Begegnung May-Fischer. Der neue Kolportageverleger bietet May an: Für 70 000 Mark sei er bereit, auf die Neu-Publikation der pseudonym verfaßten May-Romane zu verzichten. Der Autor lehnt ab und droht mit Klage. Doch Fischer läßt durchblicken: Er kenne Mays Jugenddelikte; eine Klage fürchte er nicht.
Um dieselbe Zeit: Beim Amtsgericht Dresden hinterlegt May sein Testament und setzt Emma als Universalerbin ein; aber auch das Ehepaar Plöhn und Frau Beibler (Klaras Mutter) werden bedacht.
Mitte Dezember: Mays Himmelsgedanken erscheinen, gegen Fehsenfelds Bedenken und in geringer Auflage, in Freiburg.
1900ff.Das Resultat der Orientreise: ein menschlicher Reifungsprozeß, eine vertiefte Hinwendung des Dichters zu Gott, eine beträchtliche Horizonterweiterung des theologischen Literaten und Gesellschaftskritikers May. Er hat im Orient, in Griechenland und Italien entscheidende Impulse fürs poetische Spätwerk empfangen.
Auch in früheren Jahren hat May nicht stets nur geschrieben. Er hat, wenn auch flüchtig, seine Quellen studiert. Doch der Schwerpunkt verlagert sich jetzt: May verwendet mehr Zeit für die eigene Weiterbildung. Er beschäftigt sich, intensiver als früher, mit Werken der Weltliteratur. Er wird zum regelmäßigen Konzert- und Theaterbesucher (allein im ersten Halbjahr 1902: fast 50 Theaterbesuche); er hört wissenschaftliche Vorträge, interessiert sich für bildende Kunst, besucht Ausstellungen und fördert junge Künstler. Seine Bibliothek baut er aus: Zu völkerkundlichen Werken kommen literatur- und kunsttheoretische, aber auch psychologische und, nicht zuletzt, philosophische und theologische Schriften hinzu.
Auch die eigene Schreibweise ändert sich jetzt: May feilt, korrigiert, verwirft ganze Partien und achtet auf seinen Stil. Aus dem manischen Vielschreiber und Fließband-Produzenten wird ein, zunehmend auf Qualität bedachter, poetischer Visionär.
Der literarischen Hochleistung, die bald schon einsetzen wird, entspricht


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eine menschliche Umkehr, die - nach Jenseits - nicht mehr verwundert. Der Shatterhand-Nimbus tritt im persönlichen Lebensstil sehr weitgehend zurück. Auf Fotos zeigt sich der Dichter nicht mehr im Trapperkostüm. Die Abenteuer-Requisiten der Villa werden verräumt in den Schuppen. Alles in allem: Der alte May ist - trotz bleibender Schwächen (die er selbst durchschaut und bekämpft) und trotz privater Entscheidungen, über die man sich streiten kann - ein sympathischer, zu echter Begegnung, zu Freundschaft und Liebe fähiger Mensch.
Doch gerade jetzt holt May die Vergangenheit ein! Er wird das Opfer von verständnislosen - ihm intellektuell aber doch ebenbürtigen - Journalisten. Freilich: er selbst hat, mit der 'Shatterhand-Legende' und dem gesamten Renommiergehabe, seine Demontage in der Öffentlichkeit provoziert und die Gegner auf den Plan gerufen!
May läuft ins offene Messer. Aber: er fällt nicht! Er ist - als Mensch und als Künstler - verletzt, aber nicht verbittert. Er behält den Humor. Er verteidigt, nicht immer geschickt, aber immer zu Recht, seine Würde. Eine schier endlose Pressekampagne und, mit dieser Kampagne verknüpft, eine Flut von Gerichtsprozessen können es nicht verhindern: Als prophetischer Dichter, als gläubiger Christ, als religiöser und politischer Visionär schreibt May sein eigentliches Werk: ästhetisch wertvolle und literaturtheologisch bedeutsame - symbolisch-allegorische, partienweise surrealistische - Poesie. Das Unverständnis der Zeitgenossen (der Gegner und auch der Mehrzahl der Freunde) schmerzt Karl May. Er schließt Kompromisse: Aufs Abenteuersujet - und aufs heldische Ich-Ideal - verzichtet er, aus äußeren und inneren Gründen, nicht immer konsequent. Aber er bleibt, im wesentlichen, sich selbst und seiner Sendung doch treu.
190114.2.: Tod Richard Plöhns.
Seine Witwe kommt, in den folgenden Wochen und Monaten, fast täglich in die 'Villa Shatterhand'. Klaras Trauer um den verstorbenen Gatten ist zweifellos echt. Aber Frau Plöhn - ist nun frei: für Karl!
Ab Februar: In einer neuen Bearbeitung publiziert Fischer - der Mayschen Klage-Drohung zum Trotz - Deutsche Herzen und Helden: als 'Karl May's Illustrierte Werke', also unter Bruch des (von Münchmeyer zugesicherten) Pseudonyms.
Frühjahr: Joseph Kürschner fragt an, ob May zu einem Sammelband über China eine Erzählung beisteuern wolle. Der Dichter sagt zu.
April bis September: May schreibt für Kürschner Et in terra pax. Den politischen Hintergrund seiner Erzählung studiert er gewissenhaft. Sein Manuskript liefert er, mit taktischen Unterbrechungen, in Raten.
Mit Pax unterläuft May die, ihm sehr wohl bekannte, imperialistische Tendenz des Sammelwerks 'China': Sein Beitrag ist pazifistisch! Dem wilhelminischen Zeitgeist widerspricht er in großer Manier. Konfessioneller Enge setzt er das wahre Christentum: die Religion der Liebe, das ökumenische - dem Wahrheitsgehalt auch andrer Religionen geöffnete - Christentum entgegen. Und in der psychischen Krankheit, der inneren Entwicklung und schließlichen Heilung des Missionars Waller schildert er - verdeckt - die


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eigene Neurose, den eigenen Zusammenbruch (auf Sumatra) und die eigene 'Auferstehung'. Rein künstlerisch gesehen erreicht Pax das Niveau des künftigen Hauptwerks freilich nicht ganz.
Juni: Parallel zur Arbeit an Pax denkt May an die Fortsetzung des Silberlöwen-Romans. Von Pustet läßt er sich die letzten 100 (1898 verfaßten, aber noch nicht publizierten) Manuskript-Seiten zurückschicken.
Ende Juli: Dem Verleger Fehsenfeld kündigt May die Schlußbände des Silberlöwen an.
Ab August: Et in terra pax erscheint, sukzessive, in der Lieferungsausgabe.
Ende September: Mit Emma und Klara ist May in die Schweiz gereist. Am Vierwaldstätter See, auf dem Rigi-Kulm, entsteht die Schlußpartie des Pax-Romans.
Herbst: Im Anschluß an die Pax-Erzählung verfaßt May - z.T. mit polemischer Eleganz, aber zum eigenen Schaden - die anonyme Broschüre "Karl May als Erzieher" und "Die Wahrheit über Karl May": mit 178 Verehrer-Zitaten, die der Autor im Anhang zusammenstellt. Neben Richtigem enthält diese - gegen Mays Kritiker gerichtete - Verteidigungsschrift auch peinliches Selbstlob und unzutreffende Behauptungen, die Hermann Cardauns (sofort nach Erscheinen des Textes) aufspießen wird.
1.11.: Et in terra Pax erscheint im Sammelband 'China'.
6.11.: In Dortmund hält Cardauns einen Vortrag ('Literarische Curiosa') gegen May.
10.12.: Beim Landgericht Dresden klagt May, wie lange schon angekündigt, gegen Fischer: wegen unbefugten Nachdrucks seiner Werke. Rechtsanwalt Bernstein vertritt, auch künftig, die Interessen Mays: dessen Klage, in den folgenden Jahren, eine ganze Prozeß-Lawine nach sich ziehen wird.
1901 ff.Die Liebe des Ulanen und Deutsche Herzen bringen dem Geschäftsmann Fischer großen Gewinn. Nach diesem Erfolg publiziert Fischer - von der Klage Mays nicht beeindruckt - auch die übrigen Münchmeyerromane, unter Mays Namen, in neuer Bearbeitung.
Das Pseudonym hat Münchmeyer selbst, ohne Mays Wissen, zwar längst schon (1883) gelüftet. Aber erst 1901ff., durch die Propaganda Fischers und die Entrüstung Cardauns' (der nicht müde wird, dem Autor "abgrundtief Unsittliches" vorzuwerfen), wird May einer breiten Öffentlichkeit als Verfasser von 'Schundromanen' bekannt.
190213.1.: "Karl May als Erzieher" erscheint bei Fehsenfeld: in einer Auflage von 100 000 Exemplaren zum Verkaufspreis von 10 Pfennig je Stück.
14.1.: Cardauns wiederholt seinen Anti-May-Vortrag in Elberfeld (und dann noch, am 20.3., in Köln).
Inkognito reist May, anläßlich des Vortrags in Elberfeld, nach Düsseldorf: um das Geschehen aus der Nähe zu betrachten.
24.1.: Cardauns verschärft seine Attacken in der 'Kölnischen Volkszeitung', die - von jetzt an - im Zentrum der May-Hetze stehen wird.
9.2. bis Mitte Juli: Der sechzigjährige May verfaßt, ohne größere Unterbrechung, Im Reiche des silbernen Löwen III: sein, nach Form und Inhalt, bisher bedeutendstes Werk.


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14.2.: In einem Brief an Fehsenfeld bezeichnet May den Doktortitel, den er zu Unrecht geführt hat, als leere Prahlerei. Mit dem Renommiergehabe der Vergangenheit will er nichts mehr zu tun haben.
15.2. bis Ende April: Der erste Abschnitt des neuen Silberlöwen-Textes erscheint als Vorabdruck (unter dem Titel Am Tode) im katholischen 'Rhein- und Moselboten' in Koblenz. Gleichzeitig wird, bei Fehsenfeld, die Buchfassung vorbereitet.
Am Tode ist ein mehrbödiger, literarisch hoch zu wertender Text. Vordergründig: eine Abenteuergeschichte, in welcher Halef erkrankt und das 'Ich', Kara Ben Nemsi, versagt. Hintergründig: eine sehr fein chiffrierte Darstellung des Mayschen Lebenswegs bis hin zu aktuellen Verwicklungen. (So konsequent allegorisch hat May bisher nicht geschrieben!) Existentiell-theologisch gesehen: eine bewegende Auseinandersetzung mit den letzten Fragen des Daseins (Leben und Tod, Tod und Auferstehung).
10.3.: Beim Landgericht Dresden klagt May nun auch gegen Pauline Münchmeyer, die Emma-Freundin. Es geht um die Rechnungslegung für (bis 1899) verkaufte Romanexemplare und um Entschädigung für unbefugte Auflagenüberschreitungen. Doch May hat keine Beweise für seine Rechte: weder gegen Frau Münchmeyer noch gegen Fischer.
15.3.: In seiner renommierten Zeitschrift 'Der Kunstwart' (Dresden) greift Ferdinand Avenarius - ein meinungsbildender Kritiker aus dem deutschnationalen Lager - May zum ersten Mal an. Gegebener Anlaß: Mays Broschüre "Karl May als Erzieher".
14.6.: Im Artikel 'Ein entlarvter Jugendschriftsteller' wendet sich Carl Muth, der katholische Literaturreformer, erneut gegen May. Diesmal greift er, wie Cardauns, die Münchmeyerromane an: die moralisch wie literarisch "einfach scheußlich" seien.
Um die Jahresmitte: Im Einvernehmen mit Emma engagiert May Frau Plöhn, für ein Jahresgehalt von 3000 Mark, als Sekretärin in der 'Villa Shatterhand'. Ihre Aufgabe: Unter dem Decknamen 'Emma May' soll sie Leserbriefe beantworten. Durch diese (unentgeltlich schon vorher wahrgenommene) Tätigkeit kommt Klara, vermutlich, Karl noch näher - während sich die Beziehung Karl-Emma weiter verschlechtert.
Mitte Juli: Die Niederschrift des Silberlöwen III wird abgeschlossen.
Der Rang dieses Buches - das mit der Handlung des Silberlöwen I/II fast nichts mehr zu tun hat - übertrifft (im sprachlichen Niveau, in der bewußten Verschlüsselungstechnik, in der grandiosen Bildsymbolik) alle früheren Werke Mays. Im 'Sprung über die Vergangenheit' erreicht der Autor das Hochland der Literatur. Und in der Rettung der todkranken Helden - durch Rosenduft und weibliche Liebe, durch die Kräfte des Unbewußten, durch Gottes Huld und frommes Gebet - beschwört und bezeugt Karl May die kosmische Harmonie, den Frieden mit Gott und der Schöpfung. Doch der Schluß, das Finale des III. Bandes, verweist zurück auf die irdische Realität: die Gefahr der Zerstörung, die Übermacht des Bösen, die allein durch die Liebe zu überwinden ist.
21.7. bis Ende August: Eine traurige - oder schaurige - 'Erholungsreise' führt Karl, Frau Emma und Klara Plöhn (die bis zu diesem Zeitpunkt noch


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Freundinnen sind) über Berlin, Hamburg, Leipzig und München nach Bozen und von dort zur Mendel (Hotel Penegal). Emma ist, verständlicherweise, eifersüchtig auf Klara. Und zwischen Karl und Emma gibt es unterwegs die häßlichsten Szenen. Am Ende kommt es - zum Bruch.
9.8.: Im Reiche des silbernen Löwen III erscheint als Bd. XXVIII bei Fehsenfeld.
29.8.: Im Hotel Penegal auf der Mendel unterschreibt Emma - ihrer späteren, nicht bewiesenen Aussage nach von Klara (die einen 'Geisterbrief' inszeniert haben soll) unter Druck gesetzt - eine Erklärung: daß sie mit der Scheidung einverstanden sei.
30.8.: Karl und Klara reisen ab, während Emma in Südtirol bleiben muß. Nur eine Rente (von 3000 Mark im Jahr) wird Emma versprochen.
10.9.: In Radebeul reicht May, nach 22 Ehejahren und nach schwersten inneren Kämpfen, die Scheidungsklage ein.
8.-14.10.: Karl und Klara reisen - über Salzburg und Bozen - nach Riva am Gardasee, wo sie am 14.10. ankommen.
14.10.-15.12.: Aufenthalt in Riva. May nennt sich 'Dr. Richard Sonnenschein' (ein mehrfaches Programm!), und Klara gibt er als seine Ehefrau aus. Im Hotel Sole am Gardasee nimmt das Paar Quartier.
Mitte November bis zur Abreise in Riva: May verfaßt die Anfangspartie des Silberlöwen IV: den Großteil des Kapitels 'Im Grabe'. In diesem - schwer zu lesenden, literarisch sehr anspruchsvollen und autobiographisch besonders wichtigen - Text rechnet May ab: mit seinen Gegnern, mit Emma und, vor allem, sich selbst! 'Old Shatterhand' wird symbolisch begraben. Und in der 'Nachfolge Christi' sucht das erzählende 'Ich' bzw. der Ustad (Mays Alter ego) die neue Identität. Insgesamt: ein aufwühlender, psychologisch tiefer und spirituell sehr gehaltvoller Text.
24.12.: May an Fehsenfeld (über den Schlußband des Silberlöwen): Bemerken Sie, daß mit Band IV eine neue Aera angebrochen ist? ... Also: Meine Zeit ist endlich da!
1903Januar: May beendet die Niederschrift des großen Silberlöwen-Kapitels 'Im Grabe'. Die Fortsetzungskapitel kann May, aus terminlichen Gründen, erst nach einer Pause von mehreren Monaten verfassen.
14.1.: In Abwesenheit Emmas (die erst im März von Bozen zurückkehrt) wird die Ehescheidung ausgesprochen.
31.1.: Karl und Klara besuchen einen Vortrag des Assyriologen Friedrich Delitzsch zum Thema 'Babel und Bibel'.
Angeregt von Delitzsch's Vortrag wird May den, damals aktuellen, Streit um den Einfluß babylonischer Schöpfungsmythen aufs Alte Testament ('Babel-Bibel-Streit') in den folgenden Jahren studieren. Das Ergebnis wird sein: Mays einziges Bühnenwerk Babel und Bibel (1906).
11.2.: Im Fischer-Prozeß kommt es zu einem Vergleich, der May - fürs erste - zufriedenstellt. Wie sich zeigen wird, ist der Vergleich für May aber nachteilig. Denn Fischer darf die Mayschen Romane weiterhin drucken. Er bekommt zwar die Auflage, die "seiner Überzeugung nach anstößigen Textpassagen" zu tilgen; die Vergleichs-Bestimmungen sind jedoch so vage for-


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muliert, daß sich für Fischer keine Konsequenzen ergeben. Er tilgt keine 'anstößigen Stellen', und für Cardauns wie seine Verbündeten bleibt May der 'Schundliterat', den sie weiterhin - und noch aggressiver - an den Pranger stellen.
Zunächst aber ist die Beziehung May-Fischer so weitgehend entspannt, daß der Autor dem - bislang so bekämpften - Verleger sogar die Veröffentlichung eines neu zusammengestellten Buches (Erzgebirgische Dorfgeschichten) überläßt. Für diesen Zweck verfaßt May, Februar bis Frühjahr, zwei neue Erzählungen: Sonnenscheinchen und Das Geldmännle.
4.3.: Das Scheidungsurteil wird rechtskräftig. Emma trägt, nach Auffassung des Gerichts, die alleinige 'Schuld' am Scheitern der Ehe.
17.3.: Den Ehrendoktortitel (den Klara ihrem künftigen Gatten, Ende 1902, über eine obskure 'Deutsch-amerikanische Universität' in Chicago besorgt hat) zu führen, wird May - juristisch zu Recht - untersagt. Verdient hätte May den Dr. h.c. aufgrund seines literarischen Werkes aber gleich öfter.
30.3.: Standesamtliche Heirat des 61jährigen May mit der 39jährigen Klara.
31.3.: Kirchliche Trauung in Radebeul.
Was immer man gegen Klaras Charakter und Karls Verhalten (gegen Emma) einwenden mag - für May ist Klara eine gute Ehefrau. Freude und Leid wird sie teilen mit ihm; in seinen Rechtsstreitigkeiten - und Lebenskämpfen - wird sie ihn voll unterstützen; und vor allem: sie schenkt ihm die emotionale Geborgenheit, die er unbedingt braucht.
Frühjahr: Das Geldmännle entsteht. Wie Sonnenscheinchen ist diese 'Dorfgeschichte' eine hochkomplexe Parabel mit mehreren, sehr kunstvoll verwobenen Leseebenen. Weit mehr als Sonnenscheinchen gerät Das Geldmännle aber zu einer äußerst subtilen, sehr verschiedenartige Elemente so artifiziell miteinander verknüpfenden Geschichte, daß diese Novelle - in ihrer geheimnisvollen Substanz und gedrängten Geschlossenheit - zu Mays literarisch wohl besten Texten gezählt werden muß.
25.5.: Die Erzgebirgischen Dorfgeschichten erscheinen bei Fischer als Karl Mays Erstlingswerke. Der Untertitel ist irreführend: weil nur vier in diesem Buch enthaltene Dorfgeschichten wirkliche Frühwerke, Sonnenscheinchen und Geldmännle aber typische Spätwerke sind. Mit dem Untertitel will May suggerieren: er habe schon immer 'symbolisch' geschrieben (was tatsächlich bis zu einem gewissen Grade ja zutrifft).
Juni: May besucht den Jugendstil-Maler Sascha Schneider (1870-1927) in dessen Atelier in Meißen.
In der Folgezeit kommt es zu einer Freundschaft und einem sehr regen und interessanten Briefwechsel mit dem - die Kunstrichtung des Symbolismus vertretenden - Maler.
Juni/Juli: May greift die Niederschrift des Silberlöwen IV wieder auf. In relativer Ruhe und konzentrierter Arbeit entstehen das 2. und 3. Kapitel.
13.8.: Karl untersagt Emma, den Namen May zu führen; er nennt sie in künftigen Schriften nur noch 'Frau Pollmer'.
Innerlich aber kommt er von Emma nie wirklich los!
10.9.: Die - im August unterbrochene - Niederschrift des Silberlöwen IV wird beendet.


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Dem Silberlöwen III/IV kommt, in dreifacher Hinsicht, überragende Bedeutung zu: Autobiographisch gesehen ist der Doppelroman Mays wichtigster Erzähltext überhaupt; ästhetisch gesehen ist er Mays bisherige Höchstleistung, die nur noch einmal, in Ardistan und Dschinnistan (1907/09), erreicht oder überboten wird; inhaltlich gesehen ist er - wie die übrigen Altersromane Mays - theologische Poesie von hohem Niveau. Der Autor erweist sich als prophetischer, theologisch klar (und progressiv) denkender Visionär. Wegen der vielschichtigen Struktur des Textes, der fließenden Bilder und der kompliziert ineinander verschränkten Leseebenen ist der Silberlöwe III/IV (besonders Bd. IV) aber ein schwieriger Text. Für Jugendliche oder gar Kinder: gänzlich ungeeignet! Für - auf spannende Unterhaltung fixierte - May-Fans: todlangweilig und unbedingt abzuraten!
Anfang Oktober: Im Reiche des silbernen Löwen IV erscheint als Bd. XXIX bei Fehsenfeld.
Herbst: May beginnt, den Pax-Roman (1901) für Fehsenfeld umzugestalten.
9.10.: Louise Häußler, eine Freundin Emmas, erstattet bei der Staatsanwaltschaft Dresden Anzeige gegen Karl und Klara May: wegen "betrügerischer Handlungen zur Ermöglichung der Ehescheidung".
3.11.: Emma verweigert die Zeugenaussage (zur Anzeige vom 9.10.).
Am selben Tag: Ein Vertrag wird geschlossen, wonach Emma eine Rente von 3000 Mark im Jahr erhält, aber mindestens 100 km von Dresden entfernt wohnen muß. (Sie zieht dann nach Weimar um.)
Anfang November: Dr. Gerlach - dem Anwalt der Münchmeyer-Partei - gelingt es, das Gericht zur Beiziehung der Mayschen Strafakte (bezüglich der Jugenddelikte) zu veranlassen.
8.11.: May erkrankt schwer. Hohes Fieber mit Herzschwäche bringt ihn dem Tode schon nahe. Die Neubearbeitung von Pax muß unterbrochen werden.
Erst nach Monaten wird May wieder schriftstellerisch tätig sein können.
12.12.: Der Benediktiner Willibrord Beßler schließt sich der Anti-May-Polemik Cardauns' an und behauptet, in der katholischen Zeitschrift 'Stern der Jugend', May sei im Irrenhaus.
30.12.: Das Ermittlungsverfahren gegen die Mays (wegen der Anzeige vom 9.10.) wird eingestellt: da Emma, als die einzige Zeugin, im Schweigen verharrt.
1904Laut Klaras Tagebuch wird das 1. Halbjahr "lieber Sonnenschein". May erholt sich, seit Weihnachten 1903, allmählich von seiner Erkrankung.
Die Umarbeitung des Pax-Romans (für die Buchfassung) kann May nun weiterführen. Das Werk gelingt: In der neuen, präziseren, Version verdient der Text gegenüber der Urfassung literarisch den Vorzug.
8.3.: Sascha Schneider erklärt sich bereit, für Mays Bücher neue Deckelbilder zu liefern. Die Bilder sollen verdeutlichen: May ist (und war es schon immer) religiöser Symboldichter und nicht etwa Jugendschriftsteller.
2.5.: Der Anfang des Jahres aus der SPD ausgetretene und jetzt der politischen Rechten zugewandte Journalist Rudolf Lebius besucht May in der


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'Villa Shatterhand'. Er wird, schon bald, Mays gefährlichster und gewissenlosester Feind sein!
Juli bis Mitte August: Dem umgearbeiteten Pax-Text fügt May für die Buchfassung ein neues Kapitel hinzu: 'Der Shen-Ta-Shi'.
Dieses Kapitel erhöht den literarischen Rang des Romans. In seiner, für den späten May typischen, Bildsymbolik ist der neue Text mit den Traumwelten des Silberlöwen III/IV durchaus vergleichbar.
Sommer: Lebius bittet May um ein Darlehen von mehreren tausend Mark; als publizistische Gegenleistung bietet er May-freundliche Artikel in der 'Sachsenstimme' an. May lehnt ab und verweigert jede Zahlung.
7.9.: May erhält eine Drohkarte; der anonyme Verfasser: Lebius!
Seit Spätsommer vermutlich: May befaßt sich intensiv mit dem Babel und Bibel-Stoff und der Dramentheorie. May, der sich 1902 schon in der Kunstform des Dramas geübt hat (über Fragmente wie Weib und Wüste aber nicht hinausgekommen ist), will zum Schöpfer von Bühnenwerken - die ihm höher stehen als epische Bücher - 'emporsteigen'.
9.9.: Der mit May befreundete Schriftsteller Max Dittrich publiziert in Dresden 'Karl May und seine Schriften'. Diese Broschüre ist die erste Veröffentlichung über Mays Leben und Werk. Die Tendenz dieses - von May selbst, sehr weitgehend, inspirierten - Büchleins ist apologetisch. Gleichwohl: Dittrichs Broschüre enthält viele wichtige Hinweise!
11.9.: Lebius bringt in der 'Sachsenstimme' seinen ersten Angriff auf May. An Neidgefühle wird appelliert: Mays 'Reichtum' wird, stark übertrieben, aufs Korn genommen.
19.9.: Und Friede auf Erden! - die Neufassung von Pax - erscheint als Bd. XXX, mit einem Deckelbild Sascha Schneiders, bei Fehsenfeld.
26.9.: In erster Instanz, beim Landgericht Dresden, gewinnt May den Zivilprozeß gegen Frau Münchmeyer.
24.10.: May wird im Cassianeum/Donauwörth von Ludwig Auer, dem Leiter dieses angesehenen katholischen Instituts, sehr herzlich empfangen. Auer ist auch Verleger des 'Stern der Jugend'. Er macht durch seine Geste wieder gut, was Pater Beßler an May 'verbrochen' hat.
30.10.: Im 'Dresdner Anzeiger' wird May wegen des Friede-Buches verunglimpft.
5.11.: Mit berechtigter Ironie wendet sich May - in einem Offenen Brief - An den Dresdner Anzeiger.
13.11.: Der Avenarius-Freund Prof. Paul Schumann, Hauptredakteur für Kunst und Wissenschaft beim 'Dresdner Anzeiger', bringt eine Bemerkung über Mays Haftzeit: verdeckt zwar, für May aber deutlich.
18.11.: In einem (3.) Offenen Brief An den Dresdner Anzeiger - jetzt gegen Schumann - zeigt sich May als brillanter Rhetoriker, der in manchen Sachpunkten zwar ausweicht, dessen Entrüstung aber berechtigt ist. Denn Schumann will, "gnadenlos und fanatisch", Mays Ehre vernichten.
27.11.: In seiner Erwiderung auf May läßt Schumann erkennen, was ihn eigentlich stört: die politische Tendenz, der Pazifismus des Friede-Romans! Mays Gesamtwerk, speziell aber Friede, sei "Gift für die Jugend" und "Gift für das Volk"!


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November: Schneiders Deckelbilder für May erscheinen gesondert in einer Sammelmappe. Fürs 'mystische' Spätwerk sind diese Bilder zweifellos stimmig. Aber für die Reiseerzählungen (bis 1898) passen sie nur bedingt und partiell. Insofern sind die Bedenken Fehsenfelds - der nur Teilauflagen mit Schneider-Bildern herausbringt - verständlich.
18.12.: Lebius beginnt, die kriminelle Vergangenheit Mays zu enthüllen; zweimal sei May schon bestraft worden, ist in der 'Sachsenstimme' zu lesen.
19.12.: May zeigt Lebius an - wegen Erpressung.
24.12.: An den Schaufenstern der Dresdner Buchhandlungen hängen Plakate aus: Die 'Sachsenstimme' kündigt einen Bericht über die 'Vorstrafen Karl Mays' an. Genaues weiß Lebius zu diesem Zeitpunkt aber noch keineswegs.
19059.2.: Der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt, ein Schwager des Münchmeyer-Anwalts Dr. Gerlach, veröffentlicht im 'Dresdner Journal' Details über Mays falschen Doktortitel.
14.3.: Das Verfahren gegen Lebius (aufgrund der Anzeige Mays vom 19.12.1904) wird eingestellt. Denn zur Anklage wegen Erpressung reicht das Material, nach der Auffassung des Gerichts, nicht aus.
23.3.: May bietet Willy Einsle, einem Münchner Gymnasiasten (mit dem er seit 1902/03 sehr herzlich korrespondiert), das 'Du' an und läßt sich von Willy als Onkel 'adoptieren'. In dieser 'Wahlverwandtschaft' zeigt sich May von seiner besten Seite: als verantwortungsbewußter, sehr einfühlsamer Erzieher, als 'Psychotherapeut' und verständiger Seelsorger.
Frühjahr: Als Privatdruck, nicht zur Veröffentlichung, verfaßt May Ein Schundverlag. In dieser 'Prozeßschrift' spießt er die Praktiken des Münchmeyerverlags auf. Er berichtet, teils hastig und aufgeregt, z.T. aber in gekonnter Rhetorik, über viele Details seiner Redakteurszeit (1875-77) und seiner Tätigkeit als Kolportage-Autor (1882-87) bei Münchmeyer. Trotz der Selbstreklame und trotz polemischer Entgleisungen ist dieser Bericht, im wesentlichen, doch glaubwürdig.
Frühjahr bis Sommer: Die Winkelzüge des Lebius bringt May geschickt in die Presse. Es gelingt ihm, die Position des Journalisten in der Öffentlichkeit zu erschüttern.
8.7.: Lebius setzt in der 'Sachsenstimme' seine Zermürbungstaktik fort: "Wir wissen, wer Karl May ist, aber wir sagen es noch nicht."
August: Die 'Sachsenstimme' geht ein. Denn große Firmen haben - beeindruckt von Mays Artikeln - dem Revolverblättchen die Inserate entzogen.
Lebius muß (im September wohl) Dresden verlassen. Mit hohen Schulden belastet zieht er um nach Berlin.
Wohl Mitte September: May teilt Fehsenfeld mit, sein bisheriges Genre - die epische Erzählung - solle nur nebenbei weitergehen. Dem Drama, der erfolgreichsten aller Lehr- und Predigtformen, will er sich fortan verschreiben!
Das Jahr über ist May, nach langen Vorstudien, mit der Niederschrift seines Bühnenstücks Babel und Bibel beschäftigt. Mit seiner Arbeit ist er zunächst


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aber unzufrieden: Die 1905 entstandene Erstfassung verwirft er total.
Sein Drama schreibt May unter schwerstem seelischen Druck: Daß seine Straftaten allmählich bekannt werden, ist abzusehen!
29.9.: Zum öffentlichen Geständnis seiner Jugenddelikte fehlt May noch der Mut: Es würde das mein ganzes Lebenswerk vernichten, und ehe ich das zugebe, will ich lieber sterben! (Brief an Rechtsanwalt Bernstein)
3.10.: Vor dem Landgericht Dresden kommt es, aufgrund einer Beleidigungsklage Mays gegen Lebius, zur Verhandlung. Eine unkluge Behauptung des May-Anwalts Klotz (der die Straftaten Mays generell in Abrede stellt) führt zur Verlesung des Vorstrafenregisters. May ist entsetzt und zieht die - an sich berechtigte - Klage gegen Lebius (der May einen "Einbruch in einen Uhrenladen" unterstellt hat) zurück.
Allgemein bekannt werden Mays Jugenddelikte noch nicht. Aber der Pressemann Lebius hat nun genügend Material.
Oktober: In Dresden besucht May einen Vortrag Bertha v. Suttners (1843-1914), der Trägerin des Friedensnobelpreises von 1905. May ist begeistert und schreibt an die Baronin einen Brief. Aufgrund der Seelenverwandtschaft und der gemeinsamen - gesellschaftspolitischen - Überzeugung der beiden Persönlichkeiten entwickelt sich eine Freundschaft.
18.11.: Lebius muß eine Beschuldigung gegen Max Dittrich (der auf der Seite Mays in den Rechtsstreit verwickelt ist) vor Gericht als Lüge bekennen und, mit der Bitte um Verzeihung, zurücknehmen.
1906Erstes Halbjahr: Arbeit an der Zweitfassung von Babel und Bibel.
2.5.: Auch in zweiter Instanz, beim Dresdner Oberlandesgericht, gewinnt May den Prozeß gegen Frau Münchmeyer (die zur Rechnungslegung über die verkauften May-Romane verpflichtet wird).
30.6.: Im Artikel 'Atavistische und Jugendliteratur' unterstellt Lebius May verbrecherische Erbschäden und "eine schwere chronische Krankheit" (im frühesten Lebensalter), "die offenbar kulturhemmend gewirkt hat." Lebius stützt sich auf ein Werk des Kriminalanthropologen Cesare Lombroso, das schon damals umstritten war und heute grundsätzlich widerlegt ist.
Anfang Juli: Sascha Schneider kritisiert Mays Drama Babel und Bibel. Der Maler vermißt den "Erdgeruch" und mahnt "Old Shatterhand", doch besser "der Alte" zu bleiben.
May ist von Schneider enttäuscht. Seine Beziehung zu ihm wird in der Folgezeit distanzierter.
17.7.: May beendet die Niederschrift seines einzigen (vollendeten) Dramas Babel und Bibel.
Das Drama besteht aus 2000 Blankversen. Formal und stilistisch ist der Text wohl gelungen. Als Erlösungsdrama setzt Babel und Bibel das heilsgeschichtliche Denken der Bibel voraus. Zugleich enthält es aufklärerische und moderne, in die Zukunft weisende Ideen. Für Mays literarische Wandlung hat es eine Schlüsselfunktion. Das gesellschaftspolitische, tiefenpsychologische und religionsphilosophische Gedankengut des gesamten Alterswerkes ist, konzentriert, im Text enthalten. Und den weiblichen Protagonisten kommt - wie auch sonst im Spätwerk Karl Mays - eine Heilsrolle zu,


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die an moderne (feministische) theologische Ansätze denken läßt.
Auch autobiographisch gesehen ist das Drama brisant. In den Schicksals-Schlägen der 'Geisterschmiede', in der großen - durch die List der Gnade bewirkten - Verwandlung Abu Kitals vom narzißtischen, nach Glanz, nach Reichtum und Ehre strebenden Ich-Menschen zum sühnewilligen Büßer zeichnet May, sehr selbstkritisch und sehr hoffnungsfroh, das eigene Porträt und die eigene Entwicklung. Der Schmerz wird als sinnvolle und notwendige Station auf dem Wege zur menschlichen Reife bejaht. Selbstgerechtigkeit und persönliche Ressentiments des Autors (wie sie im Silberlöwen IV teilweise noch anklingen) fehlen hier gänzlich.
Als Lesetext ist Babel und Bibel eine gründliche Auseinandersetzung unbedingt wert. Ob das Stück - das bisher nie aufgeführt wurde - spielbar ist auf der Bühne, ist eine andere Frage.
23.7.: Besuch von Marie Hannes (1881-1953) in der 'Villa Shatterhand'.
May kennt diese junge Frau schon lange und korrespondiert mit ihr seit einigen Jahren. Marie ist eine kluge, tief fromme und literarisch begabte Verehrerin Mays: der für sie "mein Johannes", die Offenbarung, ist!
August: May plant ein weiteres Drama - mit dem Titel Kyros; der Text bleibt aber Fragment.
1.9.: Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten erscheint bei Fehsenfeld - dem das Stück 'zu hoch' ist und der es bei einer Auflage von 1200 Exemplaren beläßt.
28.10. u. 20.11.: In der Innsbrucker Rundschau 'Der Kunstfreund' - redigiert von Leopold Gheri (der May sehr verehrt) - erscheinen zwei Briefe über Kunst von May. In diesen Briefen - weitere werden folgen - entwickelt May sein sakrales Kunstverständnis: Die Kunst habe zwischen Religion und Wissenschaft zu vermitteln und unser irdisches Wissen zum himmlischen Glauben emporzuführen.
29.11.: In einem Brief an Prinzessin Wiltrud - die sein besonderer psychologischer Liebling ist - wünscht May, daß "Babel und Bibel" ... zuerst in München gegeben werde.
Doch das Drama wird, wie erwähnt, nie aufgeführt. Für May eine herbe Enttäuschung! An keinem Werk hat er, gemessen am Umfang, auch nur annähernd so lange gearbeitet wie an Babel und Bibel. Daß dieses Stück - abgesehen von einigen positiven Besprechungen - keine Resonanz findet, trifft den Autor sehr schwer. Aber May resigniert keineswegs, sondern sieht - schon bald oder später - wohl ein: Sein literarischer Weg ist eben doch die epische Kunst.
8.12.: In einem Dankbrief an Dr. Hans Rost, den Feuilleton-Redakteur der 'Literarischen Beilage' der 'Augsburger Postzeitung', knüpft May den Kontakt zu diesem katholischen Journal. Vorausgegangen ist der differenzierte, von May sehr positiv aufgenommene Postzeitungs-Artikel 'Das Problem Karl May' (27.11. u. 7.12.) von Lorenz Krapp. Die 'Augsburger Postzeitung', die früher - 1902 und 1904 - May angegriffen hat, wird künftig, ab 1907, engagiert für May eintreten.
21.12.: May formuliert für die katholische 'Donau-Zeitung' in Passau Mein Glaubensbekenntnis. In Anlehnung ans apostolisch-nizänische Credo be-


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kennt er sich - in subjektiver Weise - zum christlichen Glauben, zur allgemeinen (ökumenischen) katholischen Kirche und zur Zukunft des Menschengeschlechts.
1906/07Ende 1906 oder Anfang 1907 verfaßt May die Novelle Schamah.
Dieser anmutig-schlichten 'Reiseerzählung aus dem Gelobten Lande' liegt - in poetischer Reflexion - Mays zweiter Aufenthalt in Palästina (1900) zugrunde. Der Ich-Erzähler vollbringt - wie in Friede - keine Heldentaten. Er durchwandert Jerusalem als der gütige, humorvolle ältere Herr, der Karl May wirklich ist. Schamah ist eine, auch autobiographisch wichtige, Bekehrungsgeschichte, die - wie Babel und Bibel - den Läuterungsprozeß der männlichen Protagonisten beschreibt. Das Lazarusgrab steht symbolisch für die innere Krise und die 'Neugeburt' des Verfassers bzw. des Menschen überhaupt.
19074 1.: Mein Glaubensbekenntnis erscheint in der Passauer 'Donau-Zeitung'.
9.1.: Auch in dritter und letzter Instanz, beim Reichsgericht Leipzig, gewinnt May den Münchmeyer-Prozeß. Nur die Höhe der von Frau Münchmeyer zu leistenden Entschädigung bleibt noch offen.
23.1.-5.4.: Mays Briefe über Kunst Nr. 3-5 (ein 6. Brief wird, aufgrund eines Wechsels in der Redaktion, nicht mehr publiziert) erscheinen in 'Der Kunstfreund'/Innsbruck.
11.2.: Weil May keinen schriftlichen Vertrag mit der Firma Münchmeyer vorweisen kann, muß er - vor dem Landgericht Dresden - den 'Parteieid' leisten: Er muß beschwören, daß seine Darstellung des Sachverhalts der Wahrheit entspricht. Nicht nur aufgrund dieses Eides, sondern aufgrund der Glaubwürdigkeit Mays während des gesamten Prozeßverlaufs entscheidet das Gericht im Sinne des Klägers. May scheint, juristisch, nun endgültig gesiegt zu haben.
7.4.: Tod Adalbert Fischers, des Münchmeyer-Nachfolgers.
15.4.: Ohne Beweismaterial erstattet Dr. Gerlach gegen May "und Genossen" (darunter die frühere Ehefrau Emma) Anzeige bei der Staatsanwaltschaft in Dresden: "wegen Meineids bzw. Verleitung zum Meineid"!
Die Staatsanwaltschaft läßt sich Zeit. Und May wird vermutlich von der Anzeige Gerlachs, bis zum Juli, nichts wissen.
18.4: Otto Denk (seit 1898 Nachfolger Keiters als 'Hausschatz'-Redakteur in Regensburg) schreibt May einen freundlichen Brief, den dieser - eher kühl - am 21.4. beantwortet.
Frühjahr bis Sommer: Mays Gesundheit ist angegriffen. Zur literarischen Arbeit ist er deshalb nicht in der Lage.
22.5.-3.7.: Das Ehepaar May weilt zur Kur im schlesischen Bad Salzbrunn. Literarisch kann May noch immer nicht tätig sein. Aber sämtliche Vorstellungen des Kurtheaters werden besucht.
Wohl im Spätsommer, nach der Rückkehr Mays in Radebeul (8.7.), entsteht Abdahn Effendi: eine Mischung von Parabel und Abenteuererzählung.
Vordergründig ist diese Novelle eine Schmugglergeschichte. Hintergründig geht es um psychische Konflikte: um die 'Spaltung des menschlichen Innern'. Der Kampf des höheren Strebens gegen die animalischen - nur ma-


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teriellen - Begierden wird dargestellt: im Vertrauen auf den schließlichen Sieg der Gnade Gottes.
Autobiographisch gesehen ist wichtig: Die alten Traumata der Mayschen Vergangenheit, bis hin zur Entlarvung des 'Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand', werden in Abdahn Effendi ebenso 'verarbeitet' wie das aktuelle Prozeßgeschehen und die zögernde Bereitschaft des Dichters zur offenen Beichte.
12.7.: Die gerichtliche Voruntersuchung gegen May (wegen der Gerlach Anzeige vom 15.4.) wird eröffnet.
Wenige Tage später wird May über die Ermittlungen amtlich in Kenntnis gesetzt. Auch dieser Vorgang spiegelt sich in Abdahn Effendi.
14.7.: In den 'Sonntagsglocken', einem katholischen Wochenblatt (Berlin), wird - in einem Artikel von Leopold Gheri - Mays Sieg über den Münchmeyerverlag als "vollständig und bedingungslos" gefeiert.
Doch diese Art von Propaganda wird May nur schaden!
23.7.: Aus einem Brief an Rechtsanwalt Bernstein geht hervor: Die Erfüllung seiner Lebensaufgabe sieht May - nach der böswilligen, in der Sache haltlosen Anzeige Gerlachs - als bedroht an.
26.7.: Im 'Vorwärts', dem Zentralorgan der SPD, wird behauptet, Lebius sei kein Ehrenmann.
Anschließend klagt Lebius gegen den 'Vorwärts'-Redakteur Carl Wermuth. Für May wird diese 'Affäre' schon bald von Bedeutung sein.
28.7.: May schreibt einen Brief an Dr. Paul Näcke, einen damals berühmten Psychiater. Zwischen May und Näcke entwickelt sich sehr rasch eine Freundschaft.
15.8.: Der junge Wiener Schriftsteller Amand v. Ozoróczy besucht May in der 'Villa Shatterhand'. Künftig wird Ozoróczy einer der besten literarischen Fürsprecher Karl Mays sein. Er gehört zu den wenigen, die das Maysche Alterswerk beachten und schätzen.
Ende August: Auf die fortgesetzten Angriffe Cardauns' u.a. reagiert May mit, ebenfalls polemischen, Flugblättern. Durch befreundete Redakteure läßt er diese Flugblätter verbreiten.
13.9.: Durch die Vermittlung Heinrich Wagners - des Chefredakteurs der Passauer 'Donau-Zeitung' und Verfassers der apologetischen Broschüre 'Karl May und seine Werke' (1907) - kommt es im Münchner Hotel 'Leinfelder' zur persönlichen Begegnung zwischen May und dem 'Hausschatz'-Redakteur Denk.
Das Resultat des Gesprächs: Nach neun Jahren Pause ist May wieder bereit für den 'Deutschen Hausschatz' zu schreiben.
Er beginnt sogleich mit der Arbeit an einem neuen Roman: Der 'Mir von Dschinnistan. Dieser Roman wird die Krönung seines Erzählwerks. Er wird, in seiner faszinierenden Bildsymbolik, sogar den Silberlöwen III/IV übertreffen.
September: Lebius erfährt, daß der 'Vorwärts'-Redakteur Wermuth Karl May als Belastungszeugen (für die Behauptung vom 26.7.) genannt hat.
May freilich ist, zunächst, nicht bereit, als Zeuge der Sozialdemokratie gegen Lebius aufzutreten.


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Ab 1.10. (bis ins folgende Frühjahr): Schamah erscheint in der Regensburger katholischen Jugendzeitschrift 'Efeuranken'.
8.10.: Die Fischer-Erben erklären vor dem Landgericht Dresden, daß Mays Kolportageromane in ihrer jetzigen Form nicht als von May verfaßt gelten können. Textänderungen von fremder Hand werden, als möglich oder wahrscheinlich, eingeräumt.
Wirklich bewiesen ist durch diese Erklärung aber nach wie vor nichts.
Ab Herbst dürfen die Kolportageromane nur noch anonym verbreitet werden. Für May ein psychologischer Erfolg: Für große Teile der Presse ist er nun endgültig rehabilitiert!
20.10.: Erste persönliche Begegnung Mays mit Dr. Rost, dem 'Postzeitungs'-Redakteur, in Augsburg.
Ab Anfang November 1907 (bis Herbst 1909): Der 'Mir von Dschinnistan erscheint im 'Hausschatz'.
In der Folgezeit muß Denk immer wieder um Manuskript bitten. Denn May liefert zögernd in Raten. Und Denk wie die Leser werden sich wundern. Denn May schreibt - ganz anders als früher.
9.11.: Staatsanwalt Seyfert, Untersuchungsrichter Larrass und vier Polizisten erscheinen, überfallartig, zu einer Haussuchung in der 'Villa Shatterhand'. Belastendes Material wird nicht gefunden. Aber wichtige Papiere werden beschlagnahmt. Und eine Briefsperre wird über May verhängt.
Es folgen lange Verhöre an mehreren Tagen. May ist schockiert und einem Zusammenbruch nahe.
16.11.: Der Psychiater Dr. Näcke besucht May: für diesen ein Trost und eine wichtige Hilfe.
Wohl November/Dezember 1907 (wenn nicht Mitte Dezember 1907 bis Mitte Februar 1908): May unterbricht die Niederschrift des 'Mir von Dschinnistan und verfaßt - vielleicht auf Anraten Näckes - Frau Pollmer, eine psychologische Studie.
Dieser - nicht zur Veröffentlichung bestimmte - Text zeigt May, den sonst so gütigen Menschen, von einer ganz anderen Seite: in sarkastischem Zorn, in gehässiger Ironie. Literarisch gesehen hat diese 'Studie' kein geringes Format: "manche Passagen erreichen Strindberg'schen Rang." (Wollschläger) Aber inhaltlich gesehen ist Frau Pollmer eine perfekte Entgleisung. Psychologisch aber ist zu vermerken: Negative Gefühle (die, angesichts der Realität, natürlich vorhanden sind) muß Karl May - um sie dann steuern und beherrschen zu können - zunächst einmal zulassen. Eben dies geschieht in der 'Studie'. May reagiert sich ab! Und gewinnt so die Kraft zu wirklicher Poesie: im 'Mir von Dschinnistan.
19.12.: Gegen ihn gerichtete Aktionen durchschaut May, in einer umfangreichen Eingabe an Richter Larrass, als Komplott. Im Kern völlig richtig: Denn Mays juristische Widersacher sind miteinander befreundet, und dem 'Schundverlag' arbeiten sie in die Hände. Und Lebius, der Hauptintrigant, lauert im Hintergrund.
1908Januar (oder Februar) bis August: Weiterarbeit am 'Mir von Dschinnistan.
Januar bis Dezember: Fortsetzung des Mir-Abdrucks im 'Hausschatz'.


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8.3.: Im neu verfaßten Testament verfügt May die Errichtung einer mildthätigen Stiftung.
März: Im Handbuch 'Psychologie des Verbrechers' erörtert der angesehene Kriminalpsychologe Erich Wulffen Mays Jugenddelikte.
23.3.-23.4.: Abdahn Effendi erscheint im 'Grazer Volksblatt'.
1.4.: Der Anthropologe und Sexualforscher F.S. Krauss besucht May in Radebeul und nennt den Dichter "einen Segen für die Menschheit".
Am selben Tag: Das unerhört zynische, scheinbar von F.W. Kahl verfaßte, in Wirklichkeit aber von Lebius inspirierte Pamphlet 'Karl May, ein Verderber der deutschen Jugend' erscheint in Berlin.
27.4.: In einem Brief an May distanziert sich Kahl von dieser Broschüre.
Von jetzt an steht der Journalist Kahl auf der Seite von May, der gegen Lebius prozessiert.
Vermutlich April: Auf Drängen der 'Vorwärts'-Redaktion verfaßt May die Streitschrift Lebius, der Ehrenmann.
Zur gerichtlichen Aussage als Zeuge der SPD scheint May nun doch bereit zu sein. (Tatsächlich wird es zu diesem Auftritt aber nie kommen: da der Prozeß wiederholt vertagt wird und Lebius im Oktober 1909 seine Klage gegen Wermuth zurückzieht.)
Mai: Ein Vortrag zum Thema 'Und Friede auf Erden!', den May - als Gesinnungsfreund Bertha v. Suttners - der 'Deutschen Friedensgesellschaft' versprochen hat, muß abgesagt werden. Denn May hat jetzt keine Zeit.
15.5.: Denk schreibt May, daß der Mir-Roman den Lesern mißfalle.
17.5.: May schreibt zurück: Ich habe Ihnen versprochen, daß der "Mir von Dschinnistan" gut wird, und ich halte Wort.
28.5. und (in Zweitfassung) 1.7.: May verfaßt Meine Beichte - einen kurzen, menschlich anrührenden (aber noch nicht zur Veröffentlichung gedachten) Text. Auf seine Jugenddelikte geht er nur andeutungsweise ein. Aber er bekennt: Ich kniee täglich im Beichtstuhl. Und er kündigt an: Daß ich ein "Vorbestrafter" bin, werde ich der Welt nicht verschweigen ... diese Generalbeichte will ich selbst ablegen, ... ohne Zwang, sonst hat sie keinen Wert.
15.7.: In einem Brief an Denk beschwert sich May über Eingriffe in den Mir-Text durch die Redaktion.
Das Unbehagen (auf beiden Seiten) hat zwei Hintergründe: Zum einen ist May der abenteuerlichen Erzählstoffe seit langem schon überdrüssig; seine neue Schreibweise ist der Redaktion wie den Lesern zu meditativ und zu langatmig. Zum anderen hat der Konflikt eine kirchenpolitische Komponente; aus Regensburger Sicht gerät der Mir zu 'modernistisch'!
Anfang August: May beendet den ersten Teil des Romans: den 'Hausschatz'-Text des 34. Jahrgangs, d.i. - in der späteren Buchfassung - Ardistan und Dschinnistan I.
Bis Ende August: Da das Mir-Manuskript für den Abdruck bis zum Dezember noch ausreicht, muß den 'Hausschatz' - vor der Abreise Mays nach Amerika - eine weitere Text-Sendung erreicht haben.
Bis Ende August: Es zeichnet sich ab, daß es (in der seit Juli 1907 sich hinschleppenden 'Meineids'-Untersuchung) zur Anklage gegen May nicht kommen wird. May kann - verreisen.


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5.9. bis Anfang Dezember: Mays erste - und einzige - Amerikareise.
5.9.: Das Ehepaar May schifft sich in Bremen ein.
16.9.: Ankunft in New York, wo die Mays eine Woche verweilen.
22./23.9.: Aufenthalt in Albany.
Ende September bis Anfang Oktober: Aufenthalt in Buffalo (wo das Grab des Seneca-Häuptlings Sa-go-ye-wat-ha besucht wird) und Niagara-Falls - mit Logis im Clifton-Hotel (kanadische Seite der Wasserfälle) und Besuch der nahe gelegenen Reservation der Tuscarora-Indianer.
Oktober: Mehrwöchiger Besuch in Lawrence/Massachusetts bei Schulfreund Pfefferkorn; Auto-Ausflüge in die Umgebung.
16.10.: Wegen des Rechtsstreits um die Kahl-Lebius-Broschüre telegrafiert May nach Berlin, ans Kammergericht.
18. 10.: In Lawrence hält May vor den Deutsch-Amerikanern einen Vortrag über Drei Menschheitsfragen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Er bekennt sich zum göttlichen Schöpfungswerk (das noch keineswegs abgeschlossen sei) und zur Weiterentwicklung des Menschen. In merkwürdiger, aber bedenkenswerter Weise geht er - im 'Droschken-Gleichnis'- auf das Leib-Seele-Geist-Problem ein.
November: Über Boston geht es zurück nach New York und Europa.
Ende November: Kurzer Aufenthalt in England, evtl. in London.
Anfang Dezember: Rückkehr nach Radebeul.
Das Resultat der Reise: Wichtige Impressionen, die May - in Winnetou IV - dann umsetzen wird in Literatur.
5.-8.12.: In der 'Germania', dem Berliner Blatt der katholischen Zentrums-Partei, greift der Dresdner Hofkaplan Dr. Paul Rentschka - im Artikel 'Karl Mays Selbstenthüllung' - den Dichter scharf an: wegen 'modernistischer', die Religionsunterschiede verwischender Tendenzen im Pax- bzw. Friede-Roman (1901/04).
9.-30.12.: In mehreren - liebenswürdigen, aber mit ironischen Untertönen durchsetzten - Briefen sucht May den Kaplan zu beschwichtigen: Er sei strenggläubig; die Offenbarung und ihre wahren Priester stünden ihm über Alles.
Wohl Mitte Dezember: In einer Dresdner Klinik wird May operiert. Über die Art der, von Amerika mitgebrachten, Erkrankung (oder Verletzung) ist nichts Näheres bekannt.
22.12.: Wohl vorwiegend aus finanziellen Gründen trennt sich May von Rechtsanwalt Bernstein.
Ende Dezember: Nachdem er sich von seiner Operation erholt hat, besucht May Dr. Rentschka in dessen Wohnung.
Nie wieder wird Rentschka gegen May schreiben.
1909Januar: Auf Gerichtsbeschluß werden May die noch vorhandenen Lagerbestände der Kahl-Broschüre zur Vernichtung überlassen.
26.1.: Die Voruntersuchung gegen May aufgrund der 'Meineids'-Anzeige vom 15.4.1907 wird "mangels Beweises" eingestellt; zur Anklage kommt es nicht, May wird "außer Verfolgung gesetzt".
Januar bis 6.7.: Fortsetzung und Abschluß der Niederschrift des 'Mir von


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Dschinnistan.
Januar bis September: Fortsetzung des Mir-Abdrucks im 'Hausschatz'.
Januar/Februar: In Briefen an Pustet und Denk beklagt sich May erneut und massiv über Textveränderungen des Mir durch die Redaktion. Daß eine weitere Mitarbeit im 'Hausschatz' für May nicht in Frage kommt, wird deutlich.
Das tatsächliche Ausmaß und der Charakter der redaktionellen Eingriffe in den Mir-Text sind bisher nicht erforscht worden.
Wohl März/April: May unterbricht die Arbeit an den Schlußpartien des Mir und verfaßt die Novelle Merhameh.
Wie (mehr oder weniger) alle Spätwerke Mays besticht Merhameh durch die Polyphonie des Textes und die Kongruenz der verschiedenen Leseebenen. Politisch gesehen ist die Novelle ein bewegender Friedensappell und, wenige Jahre vor Beginn des Weltkriegs, ein warnendes Menetekel.
April/Mai: Der - aus prozeßtaktischen Erwägungen entstandene, nicht zur Veröffentlichung bestimmte - Privatdruck Ein Schundverlag und seine Helfershelfer liegt vor. May befaßt sich in dieser Schrift speziell mit der Verleumdungskampagne des Lebius, der - wie andere May-Gegner - als Helfershelfer des Münchmeyerverlags betrachtet wird.
Mai: Vor dem Schöffengericht Berlin-Schöneberg kommt es zum Vergleich zwischen May und Lebius - gegen das Versprechen beider Parteien, "in Zukunft Frieden zu halten". - Lebius wird sich nicht daran halten!
Mai: Auf Betreiben der Emma-Freundin Louise Achilles verw. Häußler wird die Anzeige wegen "betrügerischer Handlungen zur Ermöglichung der Ehescheidung" (9.10.1903) erneut untersucht.
19.6.-3.7.: Im 'Mährischen Volksboten' erscheint Die Schund- und Giftliteratur und Karl May, ihr unerbittlicher Gegner von Oberlehrer Franz Langer (ein May-Pseudonym). In - teilweise - aufgeregtem Ton will May, als Antischundkämpfer, Cardauns usw. noch überbieten!
Der May-Freund Dr. Franz Weigl, ein engagierter Katholik, integriert diesen Text in die 2. Auflage seiner Broschüre 'Karl Mays pädagogische Bedeutung' (München 21909).
Hochsommer: Noch während des Mir-Abdrucks im 'Hausschatz' bereitet May für Fehsenfeld eine sorgfältig überarbeitete Buchausgabe vor: Ardistan und Dschinnistan I/II. Als Vorlage dient ihm - merkwürdigerweise - nicht das Manuskript, sondern der gedruckte 'Hausschatz'-Text.
Ardistan und Dschinnistan ist - ein Märchen. Zugleich aber - Weltliteratur. Die ganze Reichweite des Lebens wird angesprochen. Die schönsten Szenen und die hintersinnigsten Dialoge bezaubern den Leser. Die geglückte Verbindung von göttlichem Humor und politischer Satire, von tagheller Realität und archetypischer Traumwelt, von tiefenpsychologischem Ansatz und offenbarungstheologischer Zukunftsvision, von farbiger Handlung und transzendentaler Naturbetrachtung, von mystischer Frömmigkeit und welthafter Leibfreude ist ein - in dieser Form einmaliger - Versuch, den Himmel mit den irdischen Erfahrungen zu berühren.
Autobiographisch gesehen läßt der Roman verschiedene, einander ergänzende Deutungsmöglichkeiten zu. May setzt sich auseinander mit der eige-


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nen Herkunft (mit Hohenstein-Ernstthal, mit Vater und Mutter), mit der 'Renommierzeit' seines Lebens und Strebens, besonders aber mit der - aktuellen - Gefahr des religiösen Hochmuts.
Vor allem auch theologisch ist dieser Roman sehr ergiebig und sehr gewichtig. Ardistan und Dschinnistan ist ein Lied von der Erde, die den 'Tod' - die Trennung von Gott - überwindet. Die religiöse Verkündigung impliziert zugleich ein weltliches Programm: den irdischen Frieden (im umfassenden Sinne). Der eschatologische Vorbehalt, der die innerweltliche Zukunft und die absolute - die Welt und den Menschen vollendende - Zukunft Gottes unterscheidet, wird in Mays Roman aber sehr wohl gewahrt.
31.7.: Merhameh erscheint im 'Eichsfelder Marienkalender 1910' (Heiligenstadt).
September: Der Schriftsteller Adolf Droop publiziert die erste fundierte literaturkritische Untersuchung zu May: 'Karl May. Eine Analyse seiner Reise-Erzählungen' (Cöln-Weiden 1909).
Ab September: May verfaßt sein letztes Erzählwerk Winnetou IV.
24.9.: Der zuständige Dresdner Staatsanwalt - Erich Wulffen - stellt das Ermittlungsverfahren bezüglich Ehescheidung (9.10.1903 bzw. Mai 1909) endgültig ein: da die Gemütsverfassung Frau Emmas - die jetzt zur Aussage bereit ist - "keine ganz normale" sei.
26.9.: Das Ehepaar May besucht den Flugplatz Johannisthal in Berlin und bestaunt u.a. die Schauflüge Louis Bleriots.
Herbst: Ardistan und Dschinnistan I/II erscheint als Bd. XXXI/XXXII bei Fehsenfeld.
Ab 6.10.: Winnetou IV erscheint als Vorabdruck in der 'Augsburger Postzeitung'. Parallel zur Journal-Fassung wird die Buch-Ausgabe in Freiburg vorbereitet.
Zum Feilen und Korrigieren bleibt keine Zeit. Von einer Erschöpfung des Autors aber kann nicht die Rede sein: Auch Winnetou IV wird, trotz einiger Abstriche im Vergleich zum Silberlöwen III/IV oder zu Ardistan und Dschinnistan, ein bedeutendes Werk.
12.11.: In einem privaten Brief an die Emma-Freundin Selma vom Scheidt bezeichnet Lebius Karl May als "geborenen Verbrecher"!
8.12.: Durch Vermittlung von Dr. Rost hält May in Augsburg den Vortrag Sitara, das Land der Menschheitsseele. Der Text entspricht dem Gedankengut und der Bilderwelt des Mayschen Spätwerks.
9.12.: May besucht die Klosterschule der 'Englischen Fräulein' in Augsburg. Anschließend fährt er mit Klara nach München (Hotel 'Leinfelder').
10. 12.: Das Ehepaar May wird im Hause Wittelsbach empfangen. Prinzessin Wiltrud zeichnet dieses Ereignis in ihrem Tagebuch detailliert auf.
17.12.: May - dem der Lebius-Brief (12.11.) mittlerweile bekannt ist - reicht beim Schöffengericht Berlin-Charlottenburg eine Beleidigungsklage gegen Lebius ein.
19.12.: Im Wochenjournal 'Der Bund', im Artikel 'Hinter die Kulissen', publiziert Lebius die bisher schlimmsten Verleumdungen über May.
Ähnliche Artikel und Flugblätter kommen hinzu. Aufgrund von Gesprächen mit Emma in Weimar, aufgrund von Recherchen in Hohenstein-Ernstthal


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und - vor allem - aufgrund von Falschaussagen des Ernstthaler Gartenarbeiters Richard Krügel schreibt Lebius u.a.: Jahrelang sei May als Räuberhauptmann durch die Wälder gezogen; fast täglich habe er Einbrüche verübt; und Marktweiber habe er überfallen; zudem wird May verdächtigt, seine neunjährige Nichte sexuell mißbraucht und Emmas Großvater erwürgt zu haben!
1909/10Ende 1909 und Anfang 1910: May erhält von Emma - gegen Wiedergewährung der (im März 1909 entzogenen) Rente - Erklärungen, wonach ihr Vertrauen von Lebius mißbraucht worden sei.
1910Januar bis Anfang April: Weiterführung und Abschluß der Winnetou IV Niederschrift.
Januar bis 27.4.: Fortsetzung des Winnetou IV-Vorabdrucks in der 'Augsburger Postzeitung'.
6.1.-6.2.: In Zuschriften an die katholische 'Freie Stimme' (Radolfzell) wendet sich der Benediktiner Ansgar Pöllmann - der schon früher, 1901, Mays Kolportageromane gerügt hat - massiv gegen May. Auch die Ehescheidung und die Wiederverheiratung wirft Pöllmann ihm vor.
10.1.: Beim Amtsgericht Dresden stellt May einen Strafantrag gegen Lebius: aufgrund der neuen Verleumdungskampagne (Ende 1909).
Doch zur Verhandlung wird es, in diesem Verfahren, nicht mehr kommen - wegen der vielen Erkrankungen Mays und seines Ablebens im März 1912.
25.1.-10.5.: In der katholischen Literaturzeitschrift 'Über den Wassern' verschärft Pöllmann - mit der Artikelserie 'Ein Abenteurer und sein Werk' - seine Angriffe auf May in übelster Weise. Vor allem die Person Karl Mays, u.a. seine kriminelle Vergangenheit, wird heftigst attackiert.
Februar: Im 'Kunstwart' wird May durch den Lebius-Verbündeten Avenarius erneut diffamiert.
28.2.: In einem Brief an Felix Krais beklagt May die Pressehetze und die Gerichtsprozesse, die seine ganze Kraft und Zeit absorbirten - die Kraft und die Zeit für Winnetou IV.
Dennoch wird dieser Roman ein würdiger, menschlich wie literarisch geglückter Abschluß des Mayschen Erzählwerks!
In autobiographischer, religionswissenschaftlicher und theologischer Hinsicht bietet Winnetou IV die vielfältigsten und reichhaltigsten Perspektiven. Im Sturz des - ebenso protzigen wie kriegerischen - Winnetou-Denkmals setzt sich May auseinander: mit der eigenen Vergangenheit (als Mensch und als Autor), mit den literarischen Gegnern (die die Aussage des Frühwerks ebenso wenig verstehen wie die Symbolik des Spätwerks), mit den persönlichen Widersachern (die den wirklichen May verkennen und sein Bild in der Öffentlichkeit verfälschen), mit der Fan-Gemeinde (die 'ihren' May aufs Abenteuer-Klischee fixieren will), mit der Gesellschaft (die Macht und materiellen Gewinn, Waffenglanz und Nationalismus vergöttert) und auch mit der Kirche, sofern sie die Liebe verletzt und mit der 'Welt', der korrupten Gesellschaft, paktiert. Im Bild des echten - zum Kreuz, zum Himmel strebenden - Winnetou und im Erlösungsflug des 'jungen Adlers' indessen zeichnet May, visionär, den Gegen-Entwurf: die versöhnende Liebe, die


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Überwindung der 'Erbsünde', die Rückkehr des Paradieses.
9.4.-11.6.: In der Wiener Zeitschrift 'Die Freistatt' veröffentlicht May - gegen Pöllmann - die Artikelserie Auch "Über den Wassern".
In ihrer präzisen Rhetorik, ihrem literarischen Schliff und ihrer witzigen Ironie sind diese Artikel eine Bravourleistung. Wichtiger noch: Die 'Freistatt'-Artikel enthalten, weit über die Tagespolemik hinaus, sehr treffende Reflexionen über Mays Alterswerk.
12.4.: In Charlottenburg - zur Verhandlung gegen Lebius (wegen des Privatbriefes vom 12.11.1909) - erscheint May, seiner Sache ganz sicher, ohne Rechtsanwalt. Doch dem Lebius-Anwalt Bredereck gelingt es, vom Gericht einen Freispruch zu erreichen: Die "Wahrnehmung berechtigter Interessen" wird Lebius - unsinnigerweise - zugebilligt.
Nach dieser Entscheidung (gegen die May dann Berufung einlegen wird): Fast die gesamte deutsche Presse geht davon aus, daß die Gerüchte über May nun erwiesen seien. Als 'literarischer Schinderhannes', als 'abgestrafter Räuber' usw. wird May nun bezeichnet!
13.4.: Eine Ausnahme macht der sozialdemokratische 'Vorwärts': Das Charlottenburger Urteil wird getadelt, und May wird in Schutz genommen.
14.4.: Auch Egon Erwin Kisch, einer der hervorragendsten Fürsprecher Mays, ergreift für den Dichter Partei: in der Prager 'Bohemia'.
Um dieselbe Zeit: Auch der frühexpressionistische Dichter Berthold Viertel nimmt Stellung für May: in der Zeitschrift 'März' (hrsg. von Ludwig Thoma und Hermann Hesse).
Ebenfalls Mitte April: Die Politische Polizei in Hamburg legt eine "Akte betr. Schriftsteller Karl May" an.
Mitte April bis Ende September: May verfaßt - körperlich schon nahezu ruiniert, psychisch aber noch ungebrochen - seine Selbstbiographie Mein Leben und Streben.
Menschliche Bedeutung, religiöse Tiefe und poetischer Rang kommen diesem Buch zu - in höchstem Maße sogar. Das Karl May-Problem wird, durchaus zu Recht (ein exemplarischer Mensch ist May ja tatsächlich), verallgemeinert und ins Menschheitliche übertragen.
Mays Selbstbiographie gehört, vom Prozeß-Kapitel abgesehen, zu den schönsten und literarisch wertvollsten Büchern des Dichters. Trotz des Fragmentarischen und trotz mancher Einseitigkeiten enthält Mein Leben und Streben viel Wahres, der kritischen Selbsterkenntnis des Autors sehr Förderliches. Hätte May nur dieses eine Werk verfaßt, "so verdiente er schon daraufhin den Namen eines unserer größten, unserer ehrlichsten Schriftsteller" (F.S. Krauss)!
Anfang Mai: Egon Erwin Kisch, der 'rasende Reporter' aus Prag, besucht May - zu einem Interview - in der 'Villa Shatterhand'.
10.5.: In der 'Augsburger Postzeitung' (die May nach dem Charlottenburger Urteil nur noch halbherzig verteidigt) frischt der Franziskaner Expeditus Schmidt - ganz im Sinne Pöllmanns oder Cardauns' - die Behauptung auf, daß May "zu gleicher Zeit unsaubere Kolportage-Romane und frömmelnde Muttergottesgeschichten" fabriziert habe.
12.5.: Der Essayist Rudolf Kurtz setzt sich in der renommierten Berliner


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Wochenschrift 'Der Sturm' engagiert für May ein.
15.5.: Das Kisch-Interview erscheint, zur Unterstützung Mays, in der Prager 'Bohemia'.
Mitte Mai: Beim Amtsgericht Dresden klagt May gegen Pater Expeditus Schmidt, den Herausgeber von 'Über den Wassern', wegen Beleidigung.
Etwa gleichzeitig: Der Beuroner Erzabt Ildephons Schober (der May besonders schätzt) verbietet Pöllmann jede weitere Hetze gegen May.
13.6.: Winnetou IV erscheint als Bd. XXXIII bei Fehsenfeld.
Mitte Juni: Mays Privatdruck An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichtes III in Berlin liegt in der Erstfassung vor. Mit dieser Schrift bereitet sich May aufs Berufungsverfahren gegen das Charlottenburger Urteil (12.4.) vor.
28.6.: Im von Prof. Schumann redigierten 'Dresdner Anzeiger' wird ein - von Lebius initiierter - "Protest gegen die blutrünstige Indianerliteratur" publiziert. Der von Lebius engagierte Mohawk-Indianer Brant-Sero unterzeichnet diesen - irrsinnigerweise gegen Winnetou IV gerichteten - "Protest".
Ende Juni. Im Flugblatt Herr Rudolf Lebius, sein Syphilisblatt und sein Indianer deckt May die Entstellungen Brant-Seros bzw. Lebius' auf.
2.7.: Brieflich gibt Peter Rosegger - irritiert freilich durch die Charlottenburger Entscheidung (12.4.) - May gute Ratschläge.
15.7.: Der Kurtz-Artikel (12.5.) wird wiedergegeben im Innsbrucker Avantgarde-Blatt 'Der Brenner'.
8.8.: Beim Amtsgericht Dresden klagt May nun auch gegen Pater Pöllmann wegen Beleidigung.
9.8.: Vor dem Schöffengericht Hohenstein-Ernstthal widerruft Krügel seine Behauptungen gegen May - weil er von Lebius, wie er nun einsieht, getäuscht worden ist.
Daraufhin zieht May seine Klage gegen Krügel zurück.
2.9.-23.12.: Vehement und gekonnt verteidigt Lu Fritsch - eine schöne, mit May befreundete junge Frau - den Dichter: in einer (gegen Lebius und Pöllmann gerichteten) Artikelserie in der 'Stettiner Gerichts-Zeitung'.
Ende September: Nach Abschluß der Selbstbiographie reist das Ehepaar May zur Erholung ins Rheinland und dann nach Südtirol.
Sein schlechter Gesundheitszustand zwingt May jedoch zur baldigen Rückkehr nach Radebeul.
November: In Berlin-Charlottenburg publiziert Lebius 'Die Zeugen Karl May und Klara May'. Dieser umfangreichen Schmähschrift geben Aktenauszüge und Dokumente den Anstrich von wissenschaftlicher Sorgfalt. Andrerseits enthält dieses Buch doch wichtige Informationen (auch interessante May-Texte), die für die Forschung bedeutsam sind.
Ende November: Mein Leben und Streben erscheint bei Fehsenfeld.
3.12.: May erreicht eine Einstweilige Verfügung gegen den weiteren Vertrieb der Lebius-Schrift 'Die Zeugen Karl May und Klara May'.
16.12.: Im Gegenzug erreicht Lebius eine Einstweilige Verfügung gegen den Vertrieb der Mayschen Selbstbiographie (die im Schlußteil mit den gerichtlichen Auseinandersetzungen unmittelbar zusammenhängt).


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Über Weihnachten: Eine Lungenentzündung wirft May aufs Krankenlager. Es folgt eine schwere Nervenentzündung.
1911Ende Januar: Durch Gerichtsbeschluß wird die Verbreitung der Mayschen Selbstbiographie - in der ursprünglichen Form - verboten. (Erst nach Mays Tode, 1912, kann Frau Klara eine gekürzte Neuauflage herausgeben.)
Frühjahr: Mays Gesundheitszustand bessert sich.
28.4.: Vor Gericht muß Pöllmann seine Zusammenarbeit mit Lebius (im Kampf gegen May) zugeben.
11.5.-16.6.: Das Ehepaar May weilt zur Kur im böhmischen Joachimsthal.
Mitte Juni bis Ende Juli: Die Mays verbringen einen Erholungsurlaub in Südtirol. Auf der Mendel wird May wieder krank.
August: May erholt sich zu Hause in Radebeul.
September: Mays Gesundheitszustand verschlechtert sich wieder.
Gegen Ende September: Begegnung des Ehepaars May mit Emma Pollmer in Radebeul. Es gibt Indizien für die Annahme, daß Karl und Emma wieder menschlich miteinander umgehen können und May seine frühere Ehefrau nicht mehr im Zerrspiegel der vergangenen Prozeßjahre sieht.
3.12.: Mays Privatdruck An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichtes III in Berlin liegt in - wesentlich - erweiterter Zweitfassung vor. Der ursprüngliche Text (Juni 1910) ist ergänzt um wichtige biographische Mitteilungen und um zahlreiche Klarstellungen zur Lebius-Schrift 'Die Zeugen Karl May und Klara May'.
18.12.: Zur Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Berlin-Moabit erscheint May mit fähigen Anwälten.
Einen Vergleich lehnt Lebius ab. Der Vorsitzende Richter Ehrecke hebt das Charlottenburger Urteil (12.4.1910) auf und verurteilt Lebius - wegen schwerer Beleidigung - zu einer Geldstrafe von 100 Mark.
Nach der Entscheidung des Moabiter Gerichts wird die Pressekampagne gegen May verebben.
Zum eigentlichen Hauptverfahren (aufgrund der Klage vom 10.1.1910) wird es, wegen des Ablebens von May, nicht mehr kommen. Mit höchster Wahrscheinlichkeit wäre Lebius auch im Hauptverfahren verurteilt und - mit Gefängnis - bestraft worden.
1912Januar: Der Schriftsteller Robert Müller - literarischer Leiter des Wiener 'Akademischen Verbandes für Literatur und Musik' - übermittelt dem Herausgeber des 'Brenner' sein Essay 'Das Drama Karl Mays'; in diesem Text wird May als "wahrer Dichter" gewürdigt.
25.2.: In der 'Villa Shatterhand' feiert May seinen 70. Geburtstag.
22.3.: Kränkelnd noch immer und gegen den ärztlichen Rat hält May - auf Einladung des 'Akademischen Verbandes für Literatur und Musik' - in Wien einen Vortrag. Dieser Vortrag - Empor ins Reich des Edelmenschen! - wird der letzte und triumphalste Auftritt Mays in der Öffentlichkeit. An die 3000 Zuhörer, darunter Bertha v. Suttner, sind begeistert.
23.-25.3.: Elf Zeitungen berichten, kontrovers, über Mays Vortrag.
30.3., gegen 20 Uhr: Karl May stirbt in der 'Villa Shatterhand'.
3.4.: Beisetzung auf dem Radebeuler Friedhof.


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Anfang April: Prominente Fürsprecher wie Heinrich Mann, Albert Ehrenstein und Erich Mühsam ergreifen für May Partei.
5.4.: Ihren Nachruf auf Karl May, in der Wiener 'Zeit', schließt Bertha v. Suttner mit den Worten: "In dieser Seele lodert das Feuer der Güte."




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Sekundärliteratur


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