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May-Titel (Meldung vom 08. Juli 2020)
von Klaus Eggers
In dieser Rubrik haben wir in den letzten Tagen eine kleine Serie von Beiträgen des Autors Rolf Kamradek gelesen, in denen zwei Titel als solche Mays genannt wurden. Ohne dem verdienstvollen Verfasser und Mediziner zu nahe treten zu wollen – hat er doch, wie wir alle seinerzeit, gutgläubig angenommen, wenn auf einem Buch Karl May stünde, so sei auch Karl May darin, ohne den Wechselbalg, der sich bereits mit dem Titel ankündigte, zu erkennen –, seien zu ebendiesen Titeln einige Anmerkungen gestattet.
Vor vielen Jahren fand sich im Band 27 des Magazins für jede Art von Literatur ›Der Rabe‹ eine vierseitige Gegenüberstellung von Texten aus dem spätesten Roman von Mays Spätwerk und dem entsprechenden Wechselbalg: ›Zweimal Winnetou IV. Karl May und seine Bearbeiter‹.
Karl May, 1910: Es war in der Frühe eines schönen, warmen, hoffnungsreichen Frühlingstages. Ein lieber, lieber Sonnenstrahl schaute mir zum Fenster herein und sagte: »Grüß dich Gott!« Da kam das »Herzle« aus ihrem Erdgeschoß herauf und brachte mir die erste Morgenpost, die soeben vom Briefträger abgegeben worden war.
Karl-May-Verlag, 1935: Ein schöner, sonnenwarmer Frühlingsmorgen, das Zimmer voll Licht, das den Schreibtisch lockend überflutet, was braucht der Schriftsteller mehr, um schaffensfreudig zu sein!
Von unten hörte ich ein Klingeln an der Gartenpforte. Das war die Morgenpost.
Glücklicher Mann! dachte ich so nebenbei, während mein Federhalter eine Minute Ruhe hatte. Die Frau nimmt das alles in Empfang, deine Frau, das Herzle, das zärtlich für dich sorgt.
Wo May, wenn auch unter Zugabe einer kleinen Prise Kitsch, sachlich berichtet, geht der Bearbeiter, nachdem er den Märcheneingang entfernt und den religiösen Bezug gestrichen hat, in die vollen und beweist, daß er das Stilmittel der erlebten Rede beherrscht. So nebenbei erfahren wir, May, wenn er dichte, denke »so nebenbei« auch.
Noch ein Beispiel:
Karl May, 1910: Und er [ein wohlbekannter, hervorragender Universitätsprofessor] schien die Hauptaufgabe des Menschengeschlechtes in der Entwickelung der völkerschaftlichen Sonderheit und Individualität zu suchen, nicht aber in der sich immer mehr ausbreitenden Erkenntnis, daß alle Stämme, Völker, Nationen und Rassen sich nach und nach zu vereinigen und zusammenzuschließen haben zur Bildung des einen, einzigen, großen, über alles Animalische hoch erhabenen Edelmenschen. Erst dann, wenn die Menschheit sich von innen heraus, also aus sich selbst heraus, zu dieser harmonischen, von Gott gewollten Persönlichkeit geboren hat, wird die Schöpfung des wirklichen »Menschen« vollendet sein und das Paradies sich uns, den bisher Sterblichen, von neuem öffnen.
Karl-May-Verlag, 1935: Auch in der Rasse sind Unterschiede. Süd ist Süd, und Nord ist Nord, und jedes entwickelt seine bedingten Eigenarten. Und darüberhinaus ist eine Rasse nicht tot, deren Glieder zeitweilig zu völkischen Schlaf verurteilt sind. Ruht in ihr die Kraft der Auferstehung, so bedarf es nur des Weckrufs, und sie wird sich wieder melden unter den Völkern der Welt.
Und letzten Endes soll – das ist meine Erkenntnis – jede Rasse danach streben, in sich den vollkommensten, den Edelmenschen zu züchten.
Das ist nun gar nicht mehr lustig. Während bei May alle Menschen Brüder (und Schwestern, gerade in diesem Roman!) werden sollen – guter aufklärerischer und klassischer Tradition gemäß und wieder religiös grundiert – beruht die May unterschobene Erkenntnis des Bearbeiters auf einer deutlich anderen Ideologie. Der Weckruf (›Deutschland erwache‹) ist noch bekannt, ebenso wie er weitergeht; auch weiß man, daß der krude Biologismus der Rassenzüchtung, in die Tat umgesetzt, keineswegs zu Edelmenschlichem geführt hat.
Man mag Otto Eicke vielleicht zu gute halten, daß er 1935 noch nicht alle Konsequenzen des nationalsozialistischen Rassenwahns absehen konnte, doch stutzt man schon, wenn man seine Fälschung wörtlich so in einer Nachkriegsausgabe von 1952 findet, die, wenn nicht die Vorkriegsausgabe, Dr. Kamradek in seiner Kindheit gelesen hat. Erst die von Hans Wollschläger rückbearbeitete Version von 1960 gibt Mays originale Ausführungen wieder.
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Zum anderen Titel bitte ich, ein paar Zeilen aus einem noch unveröffentlichten eigenen Aufsatz etwas modifiziert zitieren zu dürfen.
Wie wir wissen, hat May niemals ein ›Unter Geiern‹ genanntes Buch geschrieben. Vielmehr verdankt diese Benennung sich der Trivialisierung, die mit der nachträglichen Verwandlung des Visionärs in einen Volksschriftsteller einhergegangen war. Hier ist die Anpassung an den vermuteten Volksgeschmack besonders wenig glücklich ausgefallen: May humanisiert den Abenteuerroman (So waren abermals Feinde in Freunde umgewandelt worden, heißt es in der Titelerzählung des original ›Der Sohn des Bärenjägers‹ benannten Bandes); in der Bearbeitung werden die Angehörigen des indigenen Volkes der Sioux-Ogallala als ›Felsengeier‹ animalisiert. Was nicht gerade sensibel und zudem noch unstimmig ist, sind doch die Gefahr signalisierenden Geier keine Beutegreifer, sondern Aasfresser, und May hatte in der Erzählung vom ›Geist des Llano estacado‹ die – weißen – Räuber so genannt, weil sie ihre Opfer in die wasserlose Öde des Llano locken, wo sie verschmachten müssen, damit die Übeltäter hinterher die Leichen fleddern können. In der Haupterzählung des Buches dagegen begegnen uns verschiedene Indianernationen, die von Feinde(n) in Freunde umgewandelt werden, Geier aber kommen nicht vor.
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Das Deckelbild des letzten Bandes der Fehsenfeld-Ausgabe entspricht nicht recht dem Inhalt und Tenor des Romans; über die Gründe seiner Wahl kann man anderswo nachlesen. Immerhin ist es von Sascha Schneider, und so integriert sich der Band in die Reihe der von diesem gestalteten Ausgabe. Der Erbe Winnetous hingegen, der uns, wie in dieser Rubrik mehrfach gezeigt, auf dem Titelbild von GW 33 entgegenreitet, ist offensichtlich nicht aus dem Burschen- und Bubenalter, in dem man sich nur immer schlägt und prügelt, herausgekommen, und entspricht damit dem Winnetou-Bild der Young Surehand und Young Apanatschka, nicht aber dem Old Shatterhands und also des Autors.
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