Jochen der Taugenichts
oder
Matrosenliebe zu Wasser und zu Lande.
von
Robert Kraft.
Robert Kraft.
1 Jahrgang Nr. 1 bis 6.
ch war Reporter einer amerikanischen Zeitung und hatte den Auftrag erhalten, über englische Kolonien und englische Verhältnisse im Auslande Bericht zu erstatten. Das bedeutete also eine Reise um die Erde.
Ein mir bekannter New-Yorker Sportsmann wollte mit seiner Lustyacht, die er selbst kommandierte, gerade nach Gibraltar segeln, und da ich genügend Zeit hatte, nahm ich sein Anerbieten gern an, ihn bis dahin zu begleiten.
Wir hatten eine vortreffliche Reise. Der Kapitän wußte jedem Winde seine guten Seiten abzugewinnen, und die »Swallow« machte ihrem Namen keine Schande: wie eine Schwalbe schoß das kleine Fahrzeug dahin.
In der spanischen See trat Völlige Windstille ein, die Schwalbe ließ die Flügel hängen. Ein ganz gefährliches Wasser, die spanische See. Bisher war starker, für uns sehr günstiger Westwind gewesen, nun kam aus dem Ozean ein Seegang herüber, der uns wie einen Spielball hin und her schleuderte, und wenn sich unsere Segel nicht bald mit Wind füllten, durften wir demnächst die Brandung in den ausgewaschenen Höhlen der Küste zischen hören.
Es war eine mondhelle Nacht, trotz des Wüthens des Meeres, eine köstliche Nacht. Wir saßen in angeschraubten Stühlen auf dem erhöhten Vorderteil, klammerten uns fest — und ließen mit uns spielen; ballt schaffen wir einen Abgrund hinab, Berge thürmten sich zu unseren Seiten auf, bald tanzten wir selbst aus den weißen Gipfel. Von Zeit zu Zeit ertönte des Kapitäns Warnungsruf: »Achtung, Brecher kommt übers.« Dann griff der am Ruder stehende Matrose fester in die Speichen, Jeder Packte den nächsten Gegenstand, ein Ruck, ein Krachen, ein Ziehen nach unten — und über uns schlug das Wasser zusammen. Aber immer blieb das wackere Schiffchen Sieger, ich empfand seine Siegesfreude mit, und harmlos floß das Wasser von meinem Oelrock ab.
Da legte mein Freund seine Hand auf mein Knie.
»Horch, was ist das?«
Er spähte mit dem Fernrohr über die antanzenden Wogen hinweg. Ich hörte nichts — doch, da . . .
»Schipp, ahoi! « erscholl es lang gedehnt und aushaltend zwischen dem Tosen und Plätschern.
Jetzt sah ich in der Ferne aus einem Wogenkamm ein dunkles Etwas treiben, es verschwand, tauchte wieder auf, ich glaubte einen Kopf, einen Arm zu erkennen.
»Schipp ahoi! Fangt mich auf!« heulte es abermals, tief einsetzend und hoch endend wie der Schifferruf
»Klar bei der Jolle — klar bei den Boer — Mann in See!« donnerte der. Kapitän und sprang selbst nach hinten. Ich folgte ihm.
Dort rang ein Mensch mit den Wellen, er wurde direkt auf uns zugetrieben.
Vier Mann hielten die Tauenden der Jolle bereit, aber sie heil hinabzulassen war wohl eine Unmöglichkeit, und doch mußte es gewagt werden. Andere standen mit Wurfleinen, Bojen und Korkgürteln bereit.
»Achtung, Brecher kommt über!«
Jetzt war der Mann verloren. Mit furchtbarer Schnelligkeit kam er auf einem Wasserberg angetrieben, er mußte am Schiffsrumpf zerschellen.
Ein Donnern, ein Krachen, und hinab ging es mit angehaltenem Atem.
Als wir wieder auftauchten, da stand unter uns eine fremde Gestalt.
»Good evening, Gentleman.«
Der das mit der größten Gemütsruhe sagte, war kein Geschöpf mit Nixenaugen und Fischleib, kein vom Meere ausgespieener Wassergott, der nur einmal einen Besuch zu machen gedachte, sondern das war ein normal gebauter Mensch aus Fleisch und Blut.
»Good evening, Gentleman.«
Das sagte er ungefähr so, als wenn er in eine Stube « zu fremden Leuten träte und höflich guten Abend wünschte. Wir sahen ihn an und staunten nur. Ich weiß nicht mehr, was ich damals für Augen gemacht Und gedacht haben mag Worte fanden wir vorläufig nicht.
»Das ist wohl eine Lustyacht?« fuhr der menschliche Seegott fort. »Wen, bin’s zufrieden. Engländer, nicht?«
»Nein — nein — Amerikaner,« stotterte der Kapitän.
»Also Yankee. Auch nicht schlecht. Dann bleibe ich. Habt Ihr nicht etwas Nahrhaftes an Bord? Die Yankees sind immer gut mit Schinken verproviantiert. Ein Glas Whisky nehme ich auch nicht übel.«
»Ja — aber — Mann, wie kommt Ihr denn hierher?«
»Sehr einfach, bin über Bord gefallen, und der Brecher war so freundlich, mich an Bord eines anderen Schiffes zu setzen.«
Der Kapitän faßte ihn am Arm und führte ihn in die trauliche Kajüte. Steward und Koch mußten für trockene Kleidung und Essen sorgen.
Im Scheine der Lampe betrachtete ich mir den Wassermann näher, der sich ohne Weiteres zu entkleiden begann.
Es war ein großer, starker Bursche. ein so stattlicher Kerl, wie ich ihn selten gesehen habe. Ein hübsches, ernstes, männliches Gesicht mit kleinem Bärtchen, so weißblond wie das kurzgelockte Haar, das tiefblaue Auge freundlich und doch wiederum trotzig herausfordernd blickend, der spöttische Zug um den Mund, die massige Stirn — Alles verriet den kühnen, energischen Charakter, auf den sich der Freund in Not und Tod verlassen kann. Die Nase war zu groß; aber eben das gefiel mir, ich liebe bei Männern eine große Nase, sie ist die Eigenschaft einer selbstständigen Natur.
Angetan war er mit Hemd und Hose — keine Schuhe und Strümpfe, keine Mütze. Am Gürtel das Schiffsmesser in Lederscheide. Eben ein Matrose, wie er bei der Arbeit aussieht, und trotz seines vortrefflichen Englisch war er sicher ein Deutscher oder ein Skandinavier. Ein Paar Schultern besaß der Mensch, dessen sich Herkules nicht hätte zu schämen brauchen, das offene Hemd ließ eine braune, wie aus Bronze gegossene Brust sehen, an den athletischen Armen traten die Adern wie Stahltaue hervor, und was diese Fäuste einmal gepackt hatten, ließen sie jedenfalls nicht wieder fahren.
Ich schwärme für Männerschönheit, d. h. für den uns verhüllten Gliederbau, wie ihn uns griechische Künstler zeigen, und hier konnte "ich solch eine harmonische Kraftgestalt in natura bewundern.
Zweierlei fiel uns an ihm auf und gab uns zu denken: nicht nur quer über die Stirn lief eine breite Narbe, nicht nur sein linkes Ohrläppchen war durchbohrt, anscheinend von einer kleinen Revolverkugel, auch sein Körper wies zahlreiche Narben auf, herrührend von Schuß-, Stich- und Hiebwunden. Mußte das ein Raufbold sein!
Zweitens hatte er im Hemd verborgen zwei kleine Pakete gehabt, beide sorgsam mit Gummituch umwickelt. Ehe er die trockenen Sachen anzog, steckte er die beiden Pakete in das Zeug, und unverkennbar war es, daß er uns dies Manöver nicht sehen lassen wollte.
»Elf Uhr?« sagte er, als sein Blick auf den Chronometer fiel. »Donnerschlag, da bin ich ja sechs volle Stunden im Wasser herumgepaddelt. Nun kann ich mir auch meinen Hunger erklären.«
»Was, sechs Stunden wollt Ihr im Wasser gelegen haben?« staunten wir wieder, und mich meinerseits beschlich ein leises Mißtrauen.
»Jawohl, zwei Glasen schlug's, als ich über Bord fiel.«
»Und bis jetzt habt Ihr Euch über Wasser halten können?«
»Wie Ihr seht. Was ist da weiter dabei? Bin eben eine Wasserratte, im Schwimmen und Tauchen nimmt’s kein Südseeinsulaner mit mir auf.«
»Wie heißt Ihr?«
»Jochen Karsten.«
»Und Euer Schiff?« examinierte mein Freund weiter.
»Schnelldampfer »Ashton«, Heimathafen Liverpool, Kapitän Baxley, geht nach Singapore. Ah, das stärkt die Augen!«
Der letzte Ausruf bezog sich auf den gedeckten Tisch, schmunzelnd ließ er sich daran nieder, nicht erst die Einladung abwartend, und — legte los.
Himmel noch einmal, konnte der Kerl essen! Ich habe schon manchen Menschen mit gesegnetem Appetit gesehen, ich habe beigewohnt, wie acht Hottentotten ein junges Rind in einer Nacht bis auf den Knochen vertilgten, aber was war das Alles gegen diesen Mann!
Der Steward hatte aufgetischt, was der Proviantraum für die Kajüte barg, und Alles zierlich auf besonderen Tellern geordnet, und ebenso geordnet aß auch Jochen, nämlich nicht so, daß er sich Brot mit Butter schmierte und Fleisch dazu aß, sondern er brach eine Schnitte Brot zusammen, bis sie in seinen Mund paßte, ein Schluck, ein Druck, weg war sie, schob ein Viertelpfund Butter nach, rollte etwa zwei Scheiben Schinken zusammen und ließ sie auf gleiche Weise verschwinden, schickte ein Glas Ale hinterher, und so ging es fort, bis ein Teller nach dem anderen aufgeräumt war.
Unterdessen setzte der Kapitän sein Verhör fort.
»Was seid Ihr für ein Landsmann?«
»Deutscher — Ham-bur-ger,« würgte Jochen mit vollem Munde hervor, »Prosit, Maat, hoch lebe Back- und Steuerbord.«
»Wie kam es, daß Ihr über Bord fielt? Gewaschen worden?«
»No, Sir — Jochen Karsten läßt sich nicht über Bord waschen.«
»Wie denn sonst?«
»Ich schlug mit der Putze [Eimer) Wasser auf, der Dampfer war in voller Fahrt, ’s ging verdammt rasch, und da riß es mich über Bord.«
»Hört ’mal,« sagte mein Freund kopfschüttelnd, »Ihr seht mir gar nicht darnach aus, als ob Euch eine Pütze über Bord reißen könnte.«
Jochen schmunzelte und machte sich an den letzten Teller, auf dem Frikadellen aufgestapelt waren, die stückweise hinter dem blendend weißen Gebiß verschwanden.
»Na, da will ich’s Euch sagen, Maat, wie die Geschichte eigentlich mit mir steht. ’s ist meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, daß ich Euch reinen Wein einschenke, und ich habe auch schon gesehen, wie Ihr geguckt habt, als ich vorhin die beiden Pakete herauslangte, denn wer über Bord fällt, der hat nicht erst Zeit, seine Legitimationspapiere und sonstigen
Kram zu sich zu stecken.«
Jochen wischte den fettigen Mund mit der verkehrten Hand, trank sein Glas aus und entkorkte die dritte Flasche. Gespannt warteten wir des Kommenden.
»Ihr müßt wissen, Maate, daß ich bisher nur auf Segelschiffen gefahren bin. Nun habe ich schon viel davon erzählen hören, wie hübsch es auf Passagierdampfern zugehen soll: Dirnens die schwere Menge, Abends Musik und Tanz, da fehlt es an Liebelei und anderen Späßchen nicht, und in
Liverpool ließ ich mich denn überreden, an Bord eines Passagiertrogs zu mustern, eben auf den »Ashton«.
Ja, das war auch Alles recht hübsch zuerst, zu hatte ich genug, und die Dirnen waren ganz toll. Aber in der spanischen See ging’s los, mit der Seekrankheit nämlich. Himmelherrgott noch einmal, war das ein Jammern und ein Heulen, ein Gewinsel und ein Gepiepse, und das Pfauchen und das Spucken! Und wir Matrosen mußten nun die Schweinerei wegmachen. Ich scheue mich vor keiner Arbeit, aber so etwas — nee. Wenn die eine Planke rein war, wurde die andere wieder vollgespuckt, und im Zwischendeck ein Gestank! Als ein Jude, der oben in der Koje lag und eben seinen Magen mit Heringen und Sauerkraut vollgepfropft hatte, den ganzen Inhalt seiner Gedärme auf meinen Kopf geschüttet hatte, da wurde mir’s zuviel.
»Jochen,« sagte ich mir, »Dich reitet der Teufel, wenn Du noch eine Stunde lang hier an Bord bleibst, Du mußt Dich ja bis auf die Knochen schämen.«
Also fort. Ich steckte meine Legitimationspapiere zu mir, nahm eine Pütze, guckte mich um, Niemand war gerade in der Nähe, warf die Pütze aus, und wie es in den Fäusten riß, ich, hui, einen Kopfsprung über Bord.
Hätte mich Jemand gesehen, so wurde man gestoppt und mich aufgefischt haben, und ich hätte eben gesagt: die Pütze riß mich über Bord. Aber nein, der Kasten dampfte ruhig weiter, und ich schickte ihm ein Lebewohl auf Nimmerwiedersehen nach. So, nun bin ich eben bei Euch, Kapitän. Auf so einen Passagierdampfer bringen mich keine zehn Schlepper wieder.«
Ich kann die starken Ausdrücke nicht wiedergeben, die er gebrauchte.
Der Kapitän sah mich und ich ihn an, und unsere Augen sagten: kann der Kerl aber lügen, und uns traut er zu, wir sollen so etwas glauben; oder wäre es doch wahr?
»War denn ein anderes Schiff in der Nähe?«
»Nee.«
»Und da sprangt Ihr so mir nichts Dir nichts über Bord? Das können wir wahrhaftig nicht begreifen.«
»Ja, Kapitän, das ist so eine eigentümliche Sache um mich,« lächelte Jochen, »meine Lehrer haben immer zu mir gesagt, ich sei ein Taugenichts, und Unkraut verginge nicht. Sie haben Recht gehabt. Ich bin einmal von der Oberbramraa an Deck gestürzt, und das hat mir etwa so viel geschadet wie einer Katze, die vom Spritzenhäuschen kugelt. Ich bin von einem Lastwagen überfahren worden, die Ärzte wollten mir beide Beine abnehmen, und sechs Wochen später tanzte ich wieder. Bei der Marine bin ich einmal vom Rückstoß eines Funfunddreißigcentimeter-Geschützes wie ein Frosch geprellt worden, ich sauste mit dem Kopf gegen die Holzverkleidung der Bordwand; das Holz war durchgeschlagen, aber mein Kopf heil. Mich haben sie geschossen und gestochen, zehnmal gaben mich die Ärzte auf — und Jochen, der Taugenichts, lebt immer noch.
ei solchem Glück wird man übermütig, da denkt man, es muß so sein, werd’ schon ein Schiff kriegen, dacht’ ich und schwamm lustig drauf zu, nach Osten. Die Sache war nicht so schlimm, wie Ihr denkt. Gegessen hatte ich gerade, durstig war ich auch nicht, Haifische, kommen selten hierher, und sollte einer Appetit haben — nun, ich lasse mich wohl mit ihm ein. Schiffe kreuzen in der spanischen See genug, was hatte es da für Not.
Ich sah einige Segel, sie waren mir aber zu weit und kamen nicht heran. Zwei Stunden mag ich geschwommen sein, als ein Segler auf mich zuhielt. Ich konnte ihn aber nicht erreichen, er hörte mich nicht und rutschte an mir vorbei. Als es dunkel wurde, ging ein großer Dampfer an mir vorbei. Ich hatte die Geschichte nun satt. Himmel noch einmal, da merke ich, daß es ein Passagierdampfer vom Norddeutschen Lloyd ist, und schnell ziehe ich den Kopf unter das Wasser, daß sie mich ja nicht sehen. Sonst hätten die mich auch noch aufgefischt, und ich hatte geschworen, nie wieder an Bord eines Passagierdampfers zu gehen, d. h. nicht als Matrose, und der Ausgefischte muß mitarbeiten, es gehört sich wenigstens so.
Glücklich entging ich dem Kasten, ich trieb noch eine ganze Weile herum, richtete mich nach den Sternen, bis ich Eure Lichter sah. Eine Toplaterne gab’s nicht, also war es ein Segler, und ich nun drauf los, was das Leder hielt. Da bin ich.«
War es möglich, daß ein Mensch nur aus dem Grunde, weil ihm die Arbeit nicht behagte, mitten in offener See Über Bord sprang, ohne Aussicht, gerettet zu werden? Und nachdem er stundenlang umhergeschwommen war, vermied er es, ein Schiff anzurufen, nur weil es ein Passagierdampfer war und es ihm aus einem solchen nicht gefiel?
Das war entweder das Zeichen von kolossaler Energie, oder Von Tollkühnheit, oder von Leichtsinn — oder von Dummheit. Nach letzterer sah Jochen aber gar nicht aus.
Eigentümliche Vermutungen stiegen in mir auf, und der Kapitän teilte sie wohl mit mir.
»Ihr habt also Eure Seemannspapiere bei Euch? Dann könnt Ihr mir wohl nicht verargen, wenn ich sie sehen möchte.«
»Very well, Kapitän, das Recht habt Ihr. Ihr könnt’s mir aber auch nicht Verargen, wenn ich gestehe, daß ich mich nach etwas Kräftigem sehne, etwas, das den Magen füllt. Das andere war doch nur Leckerei, um Appetit zu machen. Vielleicht so ein Paar Hände voll Erbsen, nicht zu wenig, mit ein paar Knochen drin, an denen noch ein bisschen Fleisch sitzt.«
Der Steward ward gerufen, Jochen gab eines der Pakete dem Kapitän.
Es enthielt Briefe, Photographien, meist von Mädchen und Damen zweifelhafter Art, Seemannspapiere und andere Legitimationen.
Der Kapitän beschäftigte sich mit den letzteren beiden, mir schob er ein deutsches Seemannsbuch und einen Militärpaß zu.
»Das ist etwas für Sie, ich kann es nicht lesen.«
»Sie sind wohl Deutscher?« fragt mich Jochen.
Ich bejahte.
»Prosit, Landsmann, hoch lebe Bock- und Steuerbord.«
Der Militärpaß gab mir den besten Ausschluß Über den fragwürdigen Gesellen. Bunt genug sah es darin aus.
Jochen Karsten — geboren am? — geboren zu? — Hamburger Findelkind. Also unehelich — Na, das machte nichts. Jetzt war er ungefähr 28 Jahre alt.
Zwei Seiten herum.
Seefahrzeit ans Handelsschiffen vor dem Eintritt in die Marine: 176 Monate.
Ich dividierte schnell durch 12 und fand 14 Jahre und 8 Monate. Ja, wie war das möglich? Er war 28 Jahre alt und hatte drei Jahre in der Marine gedient, war vor einem halben Jahre entlassen worden, und trotzdem besaß er schon Vorher 15 Jahre Fahrzeit? Da müßte er ja schon mit dem neunten Jahre zur See gegangen sein und außerdem immer unterwegs gewesen sein. Nun, darüber soll er mir dann selbst Rechenschaft geben.
Einige Seiten weiter.
Eingetreten in die zweite Matrosen-Division zu Wilhelmshaven an dem und dem. Unsicherer Heerespflichtiger. Im achten Monat zum Obermatrosen befördert.
Donnerwetter, im achten Monat schon. Das will etwas heißen. Freilich, bei solch ungeheuerer Seefahrzeit.
Zwei Monate später — aha! — wieder degradiert. Was ist denn das? Nach fünf Minuten wieder befördert. Wieder degradiert. Wieder Obermatrose, kurz vor seinem Abgange und schließlich als Bootsmannsmaat der Reserve entlassen.
Noch nicht ein Prozent wird bei der Marine als Unteroffizier entlassen, und diesen Schlingel, der wegen schlechter Führung natürlich fortwährend degradiert worden war, hatte man dazu gemacht! Freilich hatte man ihn auch immer wieder in seiner Charge rehabilitiert.
Alles an ihm war ungewöhnlich.
»Ihr scheint ein fixer Matrose zu sein,« sagte der Kapitän, die losen Blätter wieder zusammenlegend, »gibt es eigentlich noch eine Flagge, unter der Ihr nicht gesegelt seid?«
»Glaub’s kaum,« entgegnete Jochen mit vollem Munde.
Der Koch hatte den Rest vom Mittagessen wärmen müssen, Bohnen und Schweinefleisch, eine Schüssel, die für Vier normale Menschen gelangt hätte, aber mein Jochen hatte bereits wieder den Grund erreicht.
»Was ist denn in dem anderen Paket?« forschte der Kapitän weiter.
»Oh — nichts weiter — Kleinigkeiten — Andenken.«
Das kam so zögernd, so Verlegen heraus.
»Hm, ich interessiere mich für solche Andenken. Wollt Ihr Sie nicht einmal zeigen?«
Mit einem Ruck schob Jochen die leere Schüssel zurück, legte klirrend den Löffel hin und sah den Frager mit großen drohenden Augen an. Dann lachte er herzlich.
»Weiß schon, was Ihr glaubt, ein Vernünftiger Mensch springt nicht so Über Bord, da muß etwas dahinter stecken, der hat gewiß erst einen tiefen Griff in die Postkasse gemacht, hat ein Paketchen Hundertpfundnoten bei sich. Nein, Maat, der Jochen Karsten segelt geraden Curs. Gemaust habe ich oft genug, denn was der Mensch braucht, muß er haben, aber zum Spitzbuben bin ich deswegen nie geworden. Hier, seht her, wollt’s nicht zeigen, konntet glauben, ich sei ein Prahlhans . . . .«
Er wickelte aus dem Gummituch einen Kasten, und als er ihn geöffnet, sahen wir auf dem schwarzen Sammetgrund drei Medaillen liegen, keine Schaumünzen, keine Schützenabzeichen, sondern drei Orden an farbigen Bändern, und am Deckel waren die bestätigenden Dokumente befestigt. Es waren die deutsche Rettungsmedaille, der erst jüngst gestiftete Orden für Tapferkeit im Kampfe, und schließlich die große, goldene Medaille Englands für Massenrettung.
»Die bekam ich, weil ich sechs Menschen aus der Brandung bei Wolfsrock geholt habe«, erklärte Jochen leichthin, »es war nicht so schlimm, schwimmen kann ich ja wie eine Ente. Das Ding da habe ich vom Pallisadensturm bei Bagamoyo, einige Stückchen Blei und Lanzenstiche bekam ich noch extra dazu. Die Rettungsmedaille habe ich mir aber wirklich ehrlich verdient. Im Rochen Meer flog uns ein Kadett Über Bord, mitten mang in die Haifische. Ich ihm nach. Es war ein schweres Stück Arbeit. Der Kadett war mit dem Kopf gegen die Bordwand geschlagen und war ohnmächtig, ich mußte ihm erst mit dem zugeworfenen Tau einen Paalsteg um den Leib legen, um ihn hochhissen zu lassen, und das ging nicht so schnell. Unterdessen schnappten und schmatzten die Haifische um mich herum. Endlich drehte sich einer, dem das Wasser im Maule gar zu sehr zusammenlief, herum, tauchte unter und auf mich los. Ich aber nicht faul, trat ihm mit dem ganzen Bein in den weit aufgemachten Rachen. Glücklicherweise hatte ich Seestiefel an. Er schnappte zu, riß und behielt den Seestiefel, ich mein Bein. Einige Fetzen Haut habe ich freilich auch lassen müssen. Dann hatte ich den Kadett nach oben gebracht. Na, das gab ein Halloh!«
Jochen erzählte das in einem Tone und mit Worten, als wenn er sich schäme, davon zu sprechen. Er schien immer um Entschuldigung bitten zu wollen. Die Zertifikation bestätigte seine Aussagen.
Nun betrachteten wir Jochen mit ganz anderen Augen. Mich überkam etwas wie Ehrfurcht, und dem Kapitän ging es wohl ebenso.
Dieser Matrose war auch eine Art von Übermensch. War er ein Schoßkind des Glückes? Durchaus nicht. Unehelich geboren, hatte nie Elternliebe gekannt, wegen harter Behandlung entfloh er im achten Jahre aus dem Waisenhause, versteckte sich auf einem amerikanischen Segler, kam auf hoher See wieder zum Vorschein, und von da an schon war er ein Seemann. Schon mit dem achten Jahre war er Schiffsjunge. Auf amerikanischen Schiffen ist das möglich. Die Schule besuchte er überhaupt nie wieder.
Ein kalifornischer Geistlicher fand einst den Dreizehnjährigen, den er für einen verwilderten Knaben hielt, der wie ein Matrose fluchte, rauchte, Tabak kaute, Branntwein trank und den Mädchen nachlief. Er wollte sich seiner erbarmen, ihn erziehen, merkte aber bald, daß er sich gründlich geirrt hatte. Das war kein Knabe mehr, das war ein gereifter Mann, ein weit befahrener Matrose, und in elementaren Kenntnissen war ihm nichts mehr beizubringen. Der Geistliche erteilte dem spielend lernenden Jochen wenigstens etwas Religionsunterricht und konfirmierte ihn.
Dies Alles erfuhr ich von ihm selbst später, als ich ihn an mich gefesselt hatte.
Eines besonders kennzeichnete seinen Charakter: ein Anderer in seiner Lage hätte entweder gar keine Heimat sein eigen genannt, oder er wäre ein Yankee geworden, weil er als solcher große Freiheiten genoß, besonders militärfrei war. Nein, er war in Hamburg geboren, er nannte sich einen Hamburger, ging hin, meldete sich wieder und mußte als in Hamburg heimatberechtigt anerkannt werden.
Daß er als unsicherer Heerespflichtiger eingezogen wurde, hat bei der Marine gar nichts zu sagen. Er hatte eben die Zeit verpaßt, freilich absichtlich, um noch eine gute Heuer mitzunehmen.
Ein Schoßkind des Glückes war er also nicht, er hatte eine furchtbar harte Schule durchmachen müssen. Aber die Natur hatte ihn mit Gaben ausgestattet, die ihn zum Glücklichsten aller Sterblichen machten: eiserne Gesundheit, Zufriedenheit mit sich selbst, Humor, Sorglosigkeit und — last not least — einen grenzenlosen Appetit. Zur Gesundheit gehört meiner Ansicht nach der Appetit nämlich noch nicht. Man kann gesund sein und sieht doch die besten Leckerbissen nicht mehr an, weil man überfällt ist. Will man wieder einmal mit richtigem Hunger essen, muß man sich erst einem »Training« unterwerfen. Jochen hatte das nicht nötig gehabt.
Dafür setzte er fortwährend seine Gesundheit und selbst sein Leben aufs Spiel, und indem er sie immer wieder gewann, in diesem Spielen mit der Gefahr, liegt eben ein Reiz, den wir gewöhnlichen Menschen nicht verstehen. Das Unmöglichste wagen, es vollbringen oder — dabei untergehen. Brechen, aber nicht biegen. So war Jochen.
Ware er in anderen, besseren Verhältnissen aufgewachsen, er wäre vielleicht ein großer Mann geworden — vielleicht. Ich glaube eher, er hätte sich zum genialen Verbrecher entwickelt, der Einem doch Bewunderung abringt.
So blieb er Jochen, der Taugenichts, und konnte nie etwas Anderes werden. Er wollte sein Steuermannsexamen nicht machen, weil er wohl fühlte, daß er nicht dazu fähig war. Nicht etwa, daß er nicht sein Examen bestanden hätte, Gott bewahre, er verstand schon so mehr als mancher Steuermann und Kapitän. Er paßte nicht zum Befehlen, flößte keine Achtung ein. Im Augenblick der Gefahr, wenn es zu handeln galt, entwickelte er die höchste Tatkraft, da erkannte Jeder in ihm den geborenen Gebieter, Jeder ordnete sich seiner Überlegenheit unter, selbst der Kapitän, wie ich es gesehen habe; sobald aber Alles im alten Geleise war, machte Jochen wieder Tollheiten und dumme Streiche, jedoch keine schlechten.
einen Vater kannte er nicht. Man fand ihn, einige Wochen alt, vor der Thür des Findelhauses liegen — ausgesetzt. Bald darauf wurde eine Näherin, ein Mädchen, vermißt. Ein zurückgelassener Brief ergab, daß sie das Kind, eben unseren Jochen, ausgesetzt habe, weil sie nicht einmal sich selbst ernähren könne, und bat nur, ihn Jochen zu nennen. Den Namen des Vaters gab sie nicht an. Ihren Leichnam fischte man aus der Alster.
Nun sei von vornherein gesagt, daß sich Jochen später nicht etwa als der Sohn eines Grasen entpuppte. Er hatte seinen Vater nie kennen gelernt, auch nie gesucht, blieb immer Jochen der Taugenichts und war dabei äußerst zufrieden. —
»Wenn Ihr mir nun noch eine Zigarre offerieren wolltet, Kapitän, es braucht nicht gerade eine von den längsten zu sein, so wurde ich Euch das auch nicht übel nehmen.«
Jochen wurde mit Zigarren und Bier versorgt, der Kapitän mußte an Deck.
»Morgen mit Sonnenaufgang gibts Nordwind, die Delphine schwimmen nach Norden,« rief Jochen im Tone eines Propheten nach.
Wir waren allein. Ich hatte einen Plan gefaßt — konnte es wenigstens versuchen. In Gibraltar ging ich meinen eigenen Weg, benutzte Passagierdampfer, und da ich viel Gepäck mitführte, brauchte ich einen Diener überhaupt zu meiner Bequemlichkeit. Ob Jochen auf so etwas einginge? Der wäre mein Fall. Ein Matrose, versteht zu packen und zu schnüren, handfest, ehrlich, sprachenkundig, in der Welt bewandert. Aber freilich, zum Diener paßte er wohl nicht.
Jochen kam mir auf halbem Wege entgegen. Er fragte erst jetzt, was das für eine Yacht wäre, wem sie gehöre, nach dem Woher und Wohin.
»Nach Gibraltar?« rief er erfreut. »Ei, das ist ja famos. Da ist nämlich die Inez, meine Braut.«
»So werdet Ihr Euch wohl bei ihr erst etwas ausruhen und dann auf ein neues Schiff mustern, diesmal aber auf einen Segler, denke ich?«
»Anders wird’s wohl nicht werden. Gehört Ihr hier eigentlich mit zur Besatzung?«
»Nein, ich bin Passagier.«
»Passagier könnt Ihr wohl nicht sagen . . .«
»Doch, ich gehe nur bis Gibraltar mit. Ich benutzte die Gelegenheit, sie wurde mir angeboten. Ich mache eine Reise um die Erde.«
»Eine Reise um die Erde, der Tausend, als Passagier, das möchte ich auch einmal. Hab’s bei der Marine mitgemacht, das ist aber nicht das Richtige, da kann man nicht so, wie man will, und Handelsschiffe segeln nicht zum Vergnügen um die Welt, als Passagier mittun, in aller Schnelligkeit in alle Hafen gucken und genügend Geld dabei haben — das wäre so etwas für mich.«
»Kommt mit mir, da ist Euer Wunsch gleich erfüllt.«
Jochen sah mich groß an.
»Das klang fast, als ob Ihr Ernst machtet.«
»Gewiß ist es mein Ernst, begleitet mich.«
»Was seid Ihr?«
»Reporter einer amerikanischen Zeitung.«
»Also Scribifax. Und als was soll ich Euch begleiten?«
»Als mein Diener.«
Wir hatten deutsch gesprochen, und jetzt gebrauchte Jochen eine beliebte Redensart, die er aufgeschnappt haben mochte:
»Ne, Männichen, nich in de Hand. Arbeiten kann ich, Tag und Nacht, aber andern Leuten ihre Stiefeln putzen, Jochen hier, Jochen da, oder Johann vielmehr, ›Sie wünschen, Euer Gnaden?‹ — ne, det jiebt’s nich.«
»Ihr habt ganz falsche Ansichten von der Stellung, die Ihr bei mir einnehmen würdet. Der Ausdruck Diener ist auch falsch gewählt. Ich will einen Reisebegleiter, der auf mein Gepäck ein Auge hat, mit unverschämten Menschen umzuspringen weiß, und auf den ich mich in der Not verlassen kann. Von Stiefelputzen und Kleiderausbürsten ist keine Rede, das besorgen die Hoteldiener, und sind wir in Gegenden, wo es keine gibt, na, dort brauchen wir auch keine gewichsten Stiefel.«
»Ah, ah, das klingt schon ganz anders. Well, ich bin einverstanden. Was ist die Heuer?«
Langes Überlegen war Jochen’s Sache nicht.
»Freie Reise, freie Wohnung, freie Beköstigung und monatlich drei Pfund Sterling.«
»Nein, damit bin ich nicht zufrieden. Ich fahre darum auf englischen Schiffen, weil sie das meiste bezahlen, nämlich vier Pfund zehn. Unter dem thue ich’s nicht.«
»Aber Ihr habt freies Hotel . . . «
»Und an Bord habe ich freie Koje. Wollt Ihr oder wollt Ihr nicht?«
»Topp, angenommen,« sagte ich schnell und schlug in die dargebotene Hand, »von jetzt an bist Du mein Diener — Reisebegleiter, wollte ich sagen.«
»Und Du sollst zufrieden mit mir sein.«
Ich glaubte, mißverstanden zu haben, oder daß er sich versprochen hatte.«
»Was sagtest Du, Jochen?«
»Ich sagte, Du sollst nicht über mich klagen können, wenn ich auch ein Taugenichts bin, einen besseren Kerl zu so etwas hättest Du nicht finden können.«
»Aber, mein lieber Jochen, das geht nicht, daß Du mich mit Du anredest.«
»Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus.«
»Wenn Du auch nicht mein Diener, sondern mein Begleiter sein sollst, mein Freund werden kannst, so muß zwischen uns doch ein Respectsverhältniß walten. Das weißt Du als Seemann recht gut. Ich verlange, daß Du mich mit Sie anredest, während ich Dich duze.«
»Gut, bin damit einverstanden. Dann habe ich aber auch noch eine Bedingung zu stellen.«
»Und die wäre?«
»Die Nacht muß mir gehören.«
»Was meinst Du damit?«
»Ich kann jede Nacht fortbleiben, wenn wir vor Anker liegen, es sei denn, Sie brauchen mich.«
Das war ein starkes Verlangen.
»Was willst Du denn in der Nacht anfangen.«
»Nun, in Gibraltar z. B. meine Braut besuchen, das können Sie mir doch nicht verargen. Brauchen keine Angst zu haben, daß ich deshalb meine Pflicht vernachlässige. Wenn der Jochen gebraucht wird, ist er immer da. Die Nacht muß aber sonst mein sein, im Bett dürfen Sie mich nicht kontrollieren.«
»Wo und wann schläfst Du denn?«
»Das ist meine Sache. Eine Schlafmütze bin ich nicht.«
»Meinetwegen denn,« lachte ich, noch ein Handschlag, und Jochen war mein Diener — Reisebegleiter wollte ich sagen.
Jochen bezog die ihm eingeräumte Kabine, und als ich vor dem Schlafengehen einmal hineinblickte, sah ich den Burschen in ganz merkwürdiger Weise in der Koje liegen. Das eine Bein, an dem ich die hinterlassenen Spuren von Haifischzahnen bemerkte, baumelte über den hohen Rand herunter, den anderen Fuß hatte er gegen das Bollauge [Bullauge heißen die kleinen, runden Fensterchen mit starken Glasscheiben im Zwischendeck.] gestemmt, die Fäuste lagen in Boxerstellung auf der Brust, die halbe Zigarre war zwischen die Zähne gepresst, nicht etwa erloschen, sondern sie brannte, er rauchte im Schlafe, und dabei schnarchte er, daß die Bordwände zitterten.
Ich betrachtete das hübsche, trotzige Gesicht und nahm ihm die Zigarre aus dem Munde.
»Lang’ ihm eine, Fritz, das laßt Du Dir nicht bieten,« schrie er plötzlich und schlug mit der Faust aus, und hätte ich mich nicht zufällig gebückt, wurde ich Eins vor den Kopf bekommen haben. Dann schnarchte er friedlich weiter. Auch im Traume ließ ihm seine Kampfesnatur keine Ruhe.
Als ich am Morgen an Deck kam, arbeitete Jochen in der Takelage, hantierte mit Tauen und scheuerte, als ob er zur Besatzung gehörte. Er hatte Recht gehabt: mit Sonnenaufgang hatte sich Nordwind eingestellt.
Ich merkte wohl, wie der Kapitän diesen fixen Seemann an sich fesseln wollte, er bot ihm das Doppelte meines Preises, allein Jochen sagte kurz, er habe sich schon verdingt, und Wort bliebe Wort, er ließe sich auch nicht freikaufen.
Ehe wir im Hafen von Gibraltar einliefen, erklärte ich ihm mein umfangreiches Gepäck und den Inhalt der einzelnen Koffer. Wenn ich etwas zweimal sagte, wurde er unwillig; das sei nicht nötig, er sei kein Schwachkopf.
Als wir Anker warfen, war Alles schon zum Ausladen bereit und so fest verschnürt, daß ich meine Freude an dieser ersten Dienstleistung hatte.
Jochen rief Packbote heran, leitete das Aus- und Einladen, fluchte auf gut Spanisch, — herrschte die saumseligen Bootsknechte an, daß es nur so eine Art war, legte selbst Hand an, und Alles ging so klar von statten, daß meine Angst um einige zerbrechliche Sachen unnötig gewesen war.
An Land ordnete er schon wieder die Packträger an.
»Wohin wünschen Sie, Sir?«
Ich nannte den Namen des Hotels.
»Well, ich bin hier zu Hause.«
Er kannte in Gibraltar wirklich jede Gasse und jeden Winkel — und jede Kneipe. Manchmal nickte er Jemandem freundlich zu und wechselte ein scherzhaftes Wort mit ihm, sprang an ein Fenster und schüttelte einem Mädchen die Hand, ich hörte oft genug seinen Namen mit Überraschung und mit Freude nennen.
Nachdem ich mit dem Wirte gesprochen hatte, ging ich auf mein Zimmer, wohin Jochen das Gepäck hatte bringen lassen. Ich wollte ihm sagen, was er nun auspacken sollte, wessen ich zuerst bedürfe.
Alles unnötig Im Kleiderschrank hingen meine Sachen, in der Kommode lag die Wäsche, vor dem Bett waren Stiefel und Hausschuh aufgebaut, auf dem Waschtisch alle Toilettengegenstände.
»Sie wünschen noch, Sir?«
Ich sah mich um, überlegte — ich hatte vorläufig nichts zu wünschen. Fiel mir etwas ein, und ich sah hin, so lag es schon da.
Mein nächster Weg führte mich zum Konsul, Jochen beschrieb mir den Weg dahin und erklärte, einstweilen »rein Schiff« machen zu wollen, denn das sei ja hier ein wahres »Dreckloch«. Davon konnte ich nichts merken, es sah sehr sauber aus, er aber fuhr mit der Fingerspitze oben Über einen Schrank und zeigte mir etwas Staub, machte mich auf einen Fliegenfleck am Spiegel aufmerksam.
Meine Sorge, bei meiner Rückkehr nach Schiffsmanier Alles unter Wasser gesetzt zu finden, war wieder unnötig gewesen — Jochen war gerade fertig mit Fensterputzen.
Am Abend stellte sich Jochen in strammer Haltung vor mir hin.
»Kann ich jetzt gehen, Sir?«
»Wohin?«
»Nun, zu der Inez.«
»Also zu Deiner Braut. Wann kommst Du wieder?«
»Wann stehen Sie morgen früh auf?«
»Vor sechs Uhr nicht«
»Kaffee in Wohn- oder Schlafstube?«
»Wohnstube,« antwortete ich präzis.
»All right, Sir«
Er blieb aber stehen.
»Willst Du noch etwas, Jochen?«
»Geld,« erklang es lakonisch zurück.
»Ich gebe Dir den Gehalt für einen Monat . . . «
»Ne, lieber nicht.«
»Warum nicht.«
»Wissen Sie, meine Tasche hat ein Loch. Sie können mir hundert Pfund geben, ich bringe morgen keinen roten Penny mit nach Hause. Weiß der Teufel, mir brennt das Geld immer wie Feuer in der Tasche, und ich bin erst wieder froh, wenn ich’s los bin.«
Das war eine neue Seite, die ich an Jochen kennen lernte.
»Reichen 10 Schillinge?«
»Freilich, will ja der Inez nur ein seidenes Fähnchen kaufen. Sage natürlich, ich hätt’s ihr von China oder von sonst wo mitgebracht
»Sage mal, Jochen, bleibst Du denn Deiner Braut auch immer treu?«
»Na und wie.«
»Heiratest Du sie auch?«
Er kratzte sich verlegen in den kurzen Locken. »Hm, das will erst ein bisschen überlegt sein. Was ich fragen wollte — wo geht’s denn von hier aus hin?«
»Nach Malta.«
»Hui, da ist ja die Margot!«
»Wer ist das?
»Nu, meine Braut.«
»Ich denke, Du bist mit Inez verlobt?«
»Ja, aber mit der Anderen auch. Wissen Sie, was man so unter Verloben versteht. Wo geht’s dann hin?«
»Nach Alexandrien, von dort machen wir einen Abstecher nach Kairo.«
»Ui-jeh, Alexandrien! Da habe ich ja die deutsche Tine! Die Lizzy ist auch nicht schlecht, mit der war ich auch einmal verlobt — wenn sie nur nicht so schrecklich Tabak kauen täte.«
»Die Tine ist auch Deine Braut?«
»Na Und wie!«
»Wie steht’s denn nun in Zanzibar?«
»Nach Zanzibar geht’s dann? Herr-Gott-Schwernoth, da ist ja die schwarze Lucy! Na, die wird sich ja nicht schlecht freuen, wenn ich angerückt komme.«
»Und in Kapstadt?«
»Ei, das paßt aber Alles fein. In Kapstadt habe ich auch eine Braut, ’s ist zwar eine Vollblutnegerin, und mit Fett einschmieren thut sie sich auch — aber kochen kann sie, sage ich Ihnen! Das vorige Mal hat sie mich halb todt gefüttert, und das will bei mir etwas heißen.«
»Das glaube ich auch.«
»Hierauf nehmen wir Curs nach Bombay.«
»Bombay, Bombay!« und Jochen schnippte mit den Fingern. »Da bin ich schon mehr bekannt als ein bunter Hund. Passen Sie auf, wenn wir dorthin kommen — die Dirnen schlagen sich todt um mich, weiße, schwarze, gelbe, braune, rote . . . «
»Und alle sind Deine Bräute?«
»Nu nein, in jedem Hafen allemal nur eine. Aber wenn wir nur erst nach Sydney kämen, da konnten Sie etwas erleben . . . «
»Jochen, antworte mir erst, Du hast wohl in jedem Hafen eine Braut?«
»So ziemlich. Aber blos eine allemal.«
»Bist Du ein bescheidener Junge. Und allen hast Du die Treue versprochen?«
»Freilich, mußte ich, und halte sie auch.«
»Ja, das scheint mir auch bald so.«
Jochen blinzelte schlau mit »den Augen.
»Wissen Sie, Kapitän, das verstehen Sie nicht. Unsereins muß überall gleich eine Braut haben, erst eine Liebschaft anzubandeln, dazu hat man keine Zeit . . . «
»Hast Du ihnen denn allen die Ehe versprochen?«
»Das muß man, das wollen die Dirns; denken Sie, deswegen ist man ein Halunke? Das verstehen Sie nicht, sage ich nochmals. Wissen Sie, die Dirns, mit denen unsereins verkehrt, das ist eine ganz besondere Nummer. Jeder muß man Treue schwören, Jeder muß man die Heirat versprechen — aber daß man es nicht hält, das wissen die von alleine. Sie wollen es eben so haben. Und sie machen es ja auch nicht anders. Deswegen dürfen Sie nicht schlecht von ihnen denken, Gott bewahre, das können dabei brave, wackere Mädels sein. ’s gibt auch welche, bei denen muß man auf der Hut sein, die meinen’s zu ehrlich und fangen dann Theater an. Und dann gibts wieder andere, eine feinere Nummer, die nur so zum Zeitvertreib in die blaue Jacke versessen sind, besonders an Bord kommt das vor. Gott, wenn ich Alles erzählen wollte, was ich schon mit den Frauensleuten durchgemacht habe! Na, gute Nacht och.«
Damit machte Jochen kehrt und ging zu seiner Braut Nummer 1.
Um Mitternacht saß ich noch schreibend in der Wohnstube, als an die Thür geklopft wurde und Jochen eintrat.
»Ich dachte, weil ich noch Licht sah, Sie waren noch auf.«
»Wie Du siehst, ist es auch der Fall. Was willst Du?«
»Geld.«
»Haben die 10 Schillinge nicht gereicht?«
»Ne, die Inez hat nämlich geheiratet, und da habe ich ein paar Kameraden getroffen, und da sind wir tüchtig in’s Bügeln gekommen.«
»Also Deine Braut hat einen Anderen geheiratet.«
»Jawohl, einen Lootsen. Er ist gerade auf See, ich sollte bei ihr bleiben, aber so etwas gibts bei mir nicht, ein Schuft bin ich nicht. Eigentlich hätte ich ihr gleich eine ’runter hauen sollen.«
Ich gab ihm ein Pfund, und Jochen verschwand abermals.
Noch vor sechs Uhr stand ich auf, blickte in Jochen’s Zimmer und fand sein Bett unberührt
Schlag 6 Uhr trat er mit dem Kaffeegeschirr in meine Stube, sauber, frisch, und heiter wie immer.
Während meines Aufenthalts in Gibraltar lernte ich Jochen zur Genüge kennen und schätzen. Er war ein Universaldiener, ich will lieber sagen, ein Universalmensch. Er konnte überhaupt Alles, wußte Alles; was er anfaßte, das gelang; hatte ich etwas verlegt und suchte es, so brachte er es schon, ehe ich auch nur den Gegenstand genannt hatte; wollte ich ihm sagen, er sollte das und jenes machen, so war es fast immer schon gemacht — er setzte mich mit seiner Pünktlichkeit und Schnelligkeit manchmal in Verwirrung; es kam mir oft vor, wenn ich ihn etwas fragte und es war gar nicht nötig gewesen, als hätte ich ihn beleidigt und müsse ihn um Verzeihung bitten.
Einen arbeitsameren Menschen habe ich nicht gesehen, Nie konnte er müßig dasitzen, immer war er mit etwas beschäftigt, mit einem Flechtwerk, einer Tauarbeit, aus Allem, was ihm nur unter die Hände kam, machte er die zierlichsten Sachen, schnitzte an einem Schiffchen, immer den Kalkstummel im Mundwinkel. Nur für mich selbst sah ich ihn fast nie tätig, das machte er still ab, wenn ich es nicht merkte, so daß ich immer Alles in Ordnung fand.
In seinem Bett geschlafen hat er kein einziges Mal. Daß er sich schnell eine andere »Braut« anschaffte, ist selbstverständlich. Nebenbei unterhielt er noch ein Verhältnis mit dem Stubenmädchen, wie ich bald merkte, vielleicht mit noch Anderen, und bei diesen verschiedenen »Bräuten« mochte er wohl übernachten.
Im Hotel schlafen sehen habe ich ihn nur ein einziges Mal. —
ch vollendete einen Brief, den der hinter mir stehende Jochen sofort zur Post bringen sollte.
»Fertig. Hier, Jochen, ist der Brief, Du läßt ihn einschreiben.«
»Halt’s Maul, Esel,« erklang es hinter mir.«
Ich war so verblüfft, daß ich mich kaum umzusehen wagte. Endlich that ich’s.
Da lehnte Jochen an der Wand und — schlief im Stehen.
»Jochen!« schrie ich laut.
Er schlug die Augen auf, trat mit klarem Blick heran und nahm den Brief.
»Well, also einschreiben.« Und fort war er.
Eines Nachmittags saß ich schreibend in meiner Stube. Jochen hatte mir einen längeren Weg zu besorgen.
Die Thür ging auf, ohne daß es geklopft hatte, eine junge Dame trat ein, deren Erscheinung mich veranlasste, schnell aufzustehen, an die Halsbinde zu fassen, ob sie richtig saß, und meine Weste zuzuknöpfen. Kurz, ich war verwirrt.
»Señor Karsten ist wohl nicht da?«
»Nein — oh — er wird gleich wiederkommen,« brachte ich hervor.
»Bitte, lassen Sie sich in Ihrer Arbeit nicht stören, ich warte so lange.«
Sie ging an den Schrank, meinen Schrank, schloß ihn auf, nahm ein Zigarettenkistchen, meine Zigaretten, heraus und machte es sich mir gegenüber auf dem Sopha bequem.
Dann stand sie nochmals auf, ging an den Schrank, nahm einen Cognac, aus meiner Flasche, zu sich, und nun ließ sie sich häuslich nieder, d. h. sie legte die Füße auf’s Sopha, brannte sich die Zigarette an und blies die Wölkchen durch die Nase von sich.
Was sollte ich dazu sagen? Vorläufig gar nichts. Ich war zu frappiert. Jedenfalls lag hier ein Irrtum vor, aber daran dachte ich nicht. Ich beugte mich über meine Schreiberei, that, als ob ich Gedanken sammelte, und bewunderte heimlich das schöne Weib. Denn schön war sie, schon wie — wie eben eine Spanierin; das Gesicht wie Milch und Blut, diese Nase, diese Augenbrauen, und, ach, dieser Arm, welcher sich bis Über den Ellbogen entblößt graziös vor mir bewegte!
Wer war sie? Der Toilette nach eine vornehme Dame.
Seidene Taille, deren Ausschnitt etwas Köstliches ahnen ließ, die Agraffe in dem prächtigen Haar echt, die Diamantringe echt — — ja, Himmel noch einmal, wie kam Jochen, der Taugenichts, zu dieser Dulzinea? Denn eine Liebesgeschichte war dabei.
Mein Blick wanderte zwischen dem schönen Kopf und den Lackstiefelchen und den feinen mit blauseidenen Strümpfen bedeckten Knöcheln immer hin und her, während ich am Federhalter kaute.
»Sie haben wohl für Señor Karsten immer viel zu thun?«
»Oh ja — gewiß — etwas . . . «
»Sind Sie sein Sekretär?«
»Nein — noch nicht — verzeihen Sie, Señora, aber . . . «
Gott sei Dank, da kam Jochen. Nun war ich aber gespannt.
Jochen trat wie immer stramm nach kurzem Anklopfen ein. Beim Anblick der Señora, die sich freudig erhob, um ihm in die Arme zu stürzen, knickte er etwas vorn über und machte den Mund auf.
Nun ging es los. Ich bin des Spanischen nicht ganz mächtig, aber ich verstand es. Auf Deutsch lautete Jochen’s Epistel etwa:
»Was, Du bist hier — Du wagst es — habe ich Dir nicht gesagt, Du sollst Dich nicht wieder unterstehen, hierher zu kommen? Aber nun ’raus, sage ich — rrrraus, oder es gibt ein Unglück — was, und Zigaretten hast Du geraucht — und wohl gar auch Cognac getrunken — nun platzt es aber bei mir — das ist mehr, als ein Schiff von 1000 Tonnen tragen kann — go ahead!«
Vergebens hatte die Dame mehrmals versucht, Einspruch zu erheben, sie rang die Hände, brach plötzlich in Thränen aus — Jochen hatte sie schon am Arme gefaßt, und bei den letzten Worten expedierte er sie zur Thüre hinaus, noch etwas weiter, bis dahin, wo die Treppe anfing, und ich hörte sie die Stufen schneller hinabeilen, als es unter gewöhnlichen Umständen — möglich war.
Mit hochrotem Gesicht kam Jochen zurück.
»Da hört doch Alles aus, Kapitän, was haben Sie denn das Weibsbild nicht gleich zur Treppe ’runtergeschmissen? So eine Frechheit!«
Ich setzte meine strengste Miene auf.
»Höre Jochen, Dein Zorn ist nur Verstellung. Was hat das zu bedeuten? Antwort.«
Jochen kratzte sich hinter den Ohren.
»’s ist schon so, wie Sie denken. Ja, daß ich’s nur gestehe, ich habe das Frauenzimmer einmal mit hergebracht und — und — nehmen Sie’s mir nicht für ungut — ich habe so ein bisschen den Herrn gespielt — dann besuchte sie mich noch einmal, hab’s ihr aber gleich gesagt, sie solle nicht wiederkommen, nun that sie’s doch — da soll sie doch gleich der Donner rühren.«
»Was war das für eine — eine — Dame?«.
»Ei, was ganz Feines, was Pikfeines. Die Liebste eines Offiziers ist sie, der ist aber gerade im Manöver, und da poussiert sie einstweilen ein bisschen mit mir herum.«
»Gut, Jochen, es sei Dir verziehen. Aber so etwas darf nie wieder vorkommen.«
»Nein, niemals wieder. Mein Wort darauf.«
»Nun erkläre mir aber auch, wie Du zu der gekommen bist.«
s »Gott, so wie immer — das ist doch sehr einfach — man macht eben die Bekanntschaft.
»Wie machst Du solch eine Bekanntschaft, das eben will ich wissen. Die halte ich und Du auch auf der Straße für eine anständige Dame, Du kannst sie doch nicht so ohne Weiteres ansprechen.«
Jochen blinzelte schlau mit den Augen.
»Wissen Sie, unsereins hat seinen scharfen Blick für so etwas, aber da haben Sie Recht, gleich geht’s nicht, immer Vorsicht, denn blamieren und uns abblitzen lassen wollen wir nicht. Sehen Sie, da sitzt zum Beispiel so eine feine Dame auf der Promenadenbank. Ich kieke natürlich sie an, und sie kiekt natürlich mich an. Na, ich bin doch ein ganz adretter Kerl, habe gewichste Stiefeln, einen sauberen Anzug, ’ne Zigarre im Gesichte, den Seemann riecht man mir auf zehn Knoten an, da konnte ich ebenso gut ein Steuermann oder gar ein Kapitän sein, warum sollte sie mich da nicht ankieken thun. Ich rücke also an der Mütze, sage »mit Verlaub, Madame,« setze mich an das andere Ende, räuspere noch ein bisschen und fange dann etwa an: »Ist das aber heiß,« — wenn’s auch regnet, das ist egal — und wenn sie nicht gleich antwortet, setze ich hinzu: »Meinen Sie nicht auch, Madame, was, he?«
Nun kann dreierlei passieren, was man genau zu unterscheiden hat. Darauf kommt’s nämlich an. Entweder sie steht gleich auf und geht fort, wo ich so etwas nachschicke: von wegen nur nicht so stolz, hast früher auch nichts gehabt; oder sie bleibt sitzen, schmeißt mir nur einen Blick zu und schweigt, oder sie kann auch antworten — das ist die gefährlichste Sorte. Aber den Blick muß man eben verstehen, das will gelernt sein. Oder aber sie bleibt sitzen, sieht mich an oder sieht mich nicht an und seufzt: »Ja, schrecklich heißt!« Das ist mein Fall, die geht an den Speck.
»Da ist’s auf der See viel schöner, da ist’s nicht so heiß,« sage ich nun wieder.
Nun wette ich hundert gegen eins, daß sie weiter sagt: »Sie sind wohl Seemann?«
»Na und ob, sehen Sie mir das nicht gleich an?« sage ich nun weiter.
Jetzt wette ich aber tausend gegen eins, daß sie seufzt, so etwa: »Ach, Seemann, das muß doch zu schön sein!«
»Lieben Sie auch das Meer?« frage ich nun wieder.
»Ach, ich schwärme für's Wasser,« sagt sie nun wieder. Auf diese Weise geht es nun weiter. Sie fragt, ob ich schon in Amerika gewesen wäre, ob ich da ihren Bruder gesehen hätte, der auch drüben ist, ob ich Schiffbruch erlitten hätte, ob die Schiffe auch Nachts fahren, ob das nicht furchtbar gefährlich wäre, so auf den Stangen oben ’rum zu krabbeln, ob es nicht schrecklich weh täte, wenn man von da oben ’runter fällt, — und ich rutsche immer so ein bisschen näher und frage dann so gelegentlich, ob sie denn auch einen Seemann lieb haben könnte.
Sie ziert sich natürlich, seufzt, piepst, ich frage weiter, ob sie vielleicht zufälliger Weise auch mich ein bisschen lieb haben konnte, sie piepst wieder, ich fasse sie ganz sacht um die Taille, nun wird von Treue und Heirat gesprochen, Einer denkt vom Anderen: kann der aber schwindeln — und, halloh, Volldampf voraus, wir sind im Fahrwasser. Sehen Sie, so wird’s gemacht, nun können Sie’s auch. Daß man Matrose ist, braucht man nicht gleich zu sagen, das wissen sie überhaupt von alleine. Und nun bitte ich um Vorschuß, wenn Sie nichts dagegen haben, Kapitän.«
»So hast Du’s also auch bei der Señora gemacht?«
»Freilich, ganz genau so.«
»Sie hielt Dich für einen Kapitän?«
»Sie that wenigstens so.«
»Nun hast Du mit ihr gebrochen.«
»I Gott bewahre. Wenn ich sie heute Abend zur Strafe nicht besuche, kommt sie morgen schon gelaufen und macht mir Vorwürfe wegen Untreue. Und vergessen Sie den Vorschuß nicht. Ich habe keinen roten Penny mehr in der Tasche.«
»Läßt Du Dich von solchen Damen nicht freihalten?«
»Ne, das ist das Einzige, was Jochen Karsten nun nicht thut. Ich halte mich immer klar zum Wenden, sonst kann man leicht auf ein Riff laufen. Geschenke — gibts nicht. Das ist faul, wenn es dann herauskommt, es war fremdes Geld. Nun ja, einmal einen Ring oder so etwas, das man wieder verliert — beim Pfandverleiher. Aber sonst muß ich immer als Gentleman auftreten können.«
Wieviel mehr oder weniger gebrochene Herzen Jochen in Gibraltar zurückließ, weiß ich nicht. Als wir uns einschifften, nahm ein dunkelhäutiges und -äugiges Weib zärtlichen Abschied von ihm, das ich bisher noch nicht als seine Braut kennen gelernt hatte, und schob ihm in die eine Rocktasche ein Paket Tabak und in die andere eine Flasche. Außerdem hatte er schon für zwei Monate Vorschuß erhalten — ich gab’s ihm gern, denn er hatte sie sich bereits verdient.
Malta und Alexandrien überspringe ich. Hier fand er seine Tine, dort seine Margot, jedenfalls hatte er immer noch einen Reservefonds oder legte sich erst einen zu. Bekannt war er Überall; wo er einmal gewesen, da fand er sich wieder zurecht, Verlegenheit, Zögern kannte er nicht, er wand sich überall wie ein Aal durch — ein richtiger Passepartout. Seine Sprachkenntnisse waren erstaunlich, vielmehr seine Sprachgewandtheit, denn außer Deutsch, Englisch und einigermaßen Spanisch beherrschte er keine andere Sprache, aber er kannte von fast allen anderen die nothwendigsten Begriffe und Redensarten, und mit diesen Brocken wußte er so zu wirtschaften, daß man glaubte, er könne sich mit einem Franzosen, Italiener, Griechen, Malteser oder Araber fließend unterhalten. Verständigen konnte er sich mindestens.
Von Alexandrien machte ich also einen Abstecher nach "Kairo. Auf dem Bahnhofe drohten mich einige Eseljungen zu zerreißen, Jochen verschaffte mir Luft und gab den Führer ab. Er war einmal vier Tage in Kairo gewesen, um in dieser Zeit eine große Heuer zu verjubeln, und er geleitete mich direkt und ohne zu fragen nach dem von mir gewünschten Hotel du Nil, welches von einem Fremden in der von der Muski abgehenden Sackgasse gar nicht so leicht zu finden ist.
Dieses Hotel war bis in die Dachkammern hinauf besetzt, in anderen würde es auch nicht besser sein, erklärte mir ein Kellner. Es war in Kairo eine besondere Feierlichkeit, die viel Fremde angelockt hatte.
»Lassen Sie uns zu der Eisernen gehen,« schlug Jochen vor, »’s ist zwar nur eine Kundenherberge, aber gute Zimmer gibts drin, und die Eiserne versteht zu kochen.«
»Kundenherberge? Was ist denn das? Und wer ist denn die Eiserne?«
»Eigentlich heißt sie Frau Lotze, ’s ist eine urgemüthliche Wienerin, und weil sie Alles »eisern« nennt, z. B. eine eiserne Gesundheit hat, ein eisernes Gottvertrauen, einen eisernen Goulasch kochen kann, heißt sie überall die Eiserne, und in ganz Ägypten soll sie bei allen Deutschen bekannt und beliebt sein. Sie wissen nicht, was eine Kundenherberge ist? Das ist eine Penne, d. h. ein Gasthof, wo arme Handwerksburschen, Strolche und Bummler absteigen. Aber nur Muth, wo ich wohne, da braucht sich kein Gentleman zu schämen — Sie auch nicht.«
Das beruhigte mich wieder.
»’s ist auch nicht so schlimm,« fuhr Jochen fort, »die Eiserne hat sehr schöne Zimmer, Sie werden schon zufrieden sein.«
»Und wenn da auch Alles besetzt ist?«
»Oh, wenn ich komme, macht sie allemal Platz.«
Die Eiserne gehört allerdings zum eisernen Inventar Kairos, und der Deutsche, der in Ägypten ansässig ist, ob Beamter, Kaufmann, Fabrikant oder sonst etwas, spricht während seiner Anwesenheit in der Hauptstadt auch bei der Eisernen vor; meist verabreden sich die Herren und verbringen bei ihr eine fröhlich-feuchte Nacht nach deutscher Weise.
Deshalb mochte ich ihr Haus genauer angeben. Es ist sehr leicht zu finden. Von der Sackgasse, dessen Ende das zum Palmengarten führende Thor des Hotels du Nil bildet, zweigt sich eine einzige Gasse rechts ab, und in dieser rechter Hand verkündet ein Schild den »Gasthof zur Stadt Wien«.
Eine alte stattliche Dame in Küchenschürze und schneeweißer Haube auf dem grauen Haar empfing uns.
»Futter und Stall für zwei Personen,« rief Jochen, sich vom Esel schwingend, »ach, machen ’s ka Umständ’ net, kennen ’s mi net mehr?«
Frau Lotze hatte kaum einen prüfenderen Blick in das bronzene Gesicht geworfen, als sie die Hände über dem Kopfe zusammenschlug, dabei aber leuchteten die Augen wie verklärt auf.
»Jessas, dos is ja der Taugenichts, der Jochen, der mir mei ganzes Haus auf den Kopf gestellt hat. Na, da sein’s mir halt herzlich willkommen. Und wen bringst denn da mit? Dös is wohl a so a Luftikus?«
Vorläufig war ich Nebensache Frau Lotze schüttete ihre ganze mütterliche Zärtlichkeit Über Jochen aus.
Die Zimmer ließen nichts zu wünschen übrig, ich befand mich sehr wohl in dieser »Kundenpenne«.
Eine alte Liebe besaß Jochen in Kairo nicht, sie waren alle verschwunden, die er seiner Zeit Braut genannt hatte, daß er sich aber neue anschaffen wurde, darüber brauchte ich keine Sorge zu haben, denn er blieb ja auch nach wie vor Nacht für Nacht seinem Quartiere fern.
Mit einem Male aber ward Jochen häuslich. Er verließ sein Zimmer des Abends nicht mehr, bat mich nicht mehr um Vorschuß und verhielt sich drüben ganz mäuschenstill. Das war so wunderbar, daß es mich mißtrauisch machte.
Doch ich fand die Lösung des Rätsels, eine ganz natürliche Lösung.
Wir wohnten in der dritten Etage, unsere Zimmer lagen neben einander. Die Fenster führten auf die Gasse hinaus, und diese war so schmal, daß man Jemandem im gegenüberliegenden Fenster die Hand hätte geben können.
Gleich am ersten Abend war es, als ich drüben eine hübsche Mädchenstimme ein italienisches Lied singen hörte, ich blickte hinüber und sah in dem schrägen vis-a-vis ein Mädchen in etwas dekolletierter Nachttoilette, das sich vor dem Spiegel die Haare kämmte — — »und sang ein Lied dabei«.
Mein Jochen, der sich im Nebenzimmer zum nächtlichen Gange vorbereitete, ließ nicht lange auf sich warten. Als das Mädchen schwieg, sang er im dritten Stock zum Fenster hinaus mit seiner prächtigen Baßstimme: »Im tiefen Keller sitz’ ich hier,« und bald entspann sich zwischen Beiden ein Gespräch, das ich nicht verstand, das aber sehr humoristisch sein mußte, denn die hübsche Italienerin kam aus dem Lachen nicht heraus. Einmal verschwand sie und kehrte mit einem Glas Wein und Feigen zurück, was sie Jochen über die Gasse reichte.
Am anderen Abend wiederholte sich dasselbe Idyll, dann blieb Gesang und Mädchen aus, aber auch Jochen verließ seine Stube nicht mehr.
Was machte er drüben? Arbeitete er, schnitzte er an seinem Schiff?
Einmal, als ich des Nachts lange aufblieb, ging ich hinüber. Das Bett war unberührt, Niemand im Zimmer, und um es zu verlassen, mußte er durch das meine gehen.
Dafür stand das Fenster auf, das jenseitige auch, und nun war mir Alles klar. Überdies spazierte in diesem Augenblick Jochen wie ein Kater durch’s Fenster, er kam aus dem anderen.
»Pst, Licht aus, still sein,« ermahnte er mich, »jetzt kommt die Mutter — zehn Minuten Pause, dann geht’s weiter.«
Sie hieß Pepita, erfuhr ich später, ihre Eltern wären Bäcker, und Jochen liebte sie »wirklich«. Heimlich verlobt waren sie schon, nun sollte Jochen auch Verlobungsringe kaufen, d. h. noch nicht zum Tragen, denn die Eltern dürften vorläufig noch nichts davon wissen; sie wolle die Ringe einstweilen aufheben.
Da braucht Jochen natürlich wieder Geld und immer Geld, denn Pepita’s Wünsche steigerten sich von Tag zu Tag, Jochen schien ihr eine ganze Ausstattung kaufen zu wollen.
»Weiß Gott, die Dirn hat’s mir angetan,« sagte er manchmal, »aber eine kostspielige Liebe ist’s freilich. Haben Sie die kleinen Mausezähnchen gesehen, die sie hat? Damit ist sie im Stande, ein ganzes Vermögen aufzuknuspern.«
»Wir reisen bald ab. Bleibst Du denn bei ihr?«
»Ich bleiben? Was soll ich denn hier?«
»Nun, heiraten.«
Jochen machte ein unbeschreibliches Gesicht.
»So eilig haben wir das nicht, wir müssen uns erst näher kennen lernen. Treu bleiben wir uns doch. Ja, treu ist die Matrosenliebe,« setzte er singend hinzu.
Schließlich gab ich ihm kein Geld mehr; und damit war Jochen auch zufrieden.
ines Tages, kurz vor der Abreise, stürzte er in mein Zimmer.
»Himmelherrgottsapperlot, Bramsteng und Klüverbaum, denken Sie sich, die Pepita hat mich hintergangen!!«
»Ist sie Dir untreu geworden?«
»Gar nie treu gewesen ist sie mir, sie ist schon seit lange mit einem elenden, krummbeinigen Bäcker verlobt, nächstens wollen sie sich heiraten. Das nennt man aber an der Nase herumgeführt, was?«
»Nun, ich denke, der Vorteil sei auf Deiner Seite gewesen . . . «
»Nein, ich bin bis auf die Knochen blamiert. Was macht sich die daraus — der Bräutigam war von vornherein mit im Bunde. Die tragen jetzt meine Verlobungsringe, ich habe den Beiden so ziemlich die ganze Ausstattung gekauft, in meinem Bett werden sie schlafen.«
Ich konnte nicht anders, ich mußte lachen.
»Aber «Rache, Rache, Rache! Furchtbar werde ich mich rächen . . . «
»Mache keine Dummheiten, Jochen, fordere Deine Geschenke zurück.«
»Nein, das thut der Jochen nicht, dazu ist er zu sehr Gentleman — und von dem Volke kriegt man doch nichts wieder zurück. Den krummbeinigen Bäcker verhaue ich, das ist sehr einfach, und an der Pepita räche ich mich durch meine Geistesüberlegenheit.«
Und Jochen rächte sich durch feinen Witz.
Er schrieb ihr einen Brief. bezichtigte sie der Untreue, klagte sie auf die fürchterlichste Weise an, er sei unglücklich, er könne und wolle nicht mehr leben, deshalb solle sie auch nur seine Geschenke behalten, ihm nutzten sie doch nicht mehr, aber sie wurde schon sehen, was sie angerichtet habe, sein Blut käme über sie, morgen früh solle sie nur aus dem Fenster blicken . . . «
Am nächsten Morgen weckte mich ein gellendes Zetergeschrei. Drüben am Fensterkreuz der Treulosen hing an einem langen Strick aufgeknüpft mein armer Jochen, in seinem gewöhnlichen, blauen Anzug, blankgewichsten Stiefeln, die Schiffermütze tief in der Stirn.
Bald rannte Pepita zeternd hin und her, bald blickte sie zu ihrem Opfer hinab, und dann zappelte Jochen jedes Mal etwas mit Armen und Beinen, denn er hatte sein zähes Leben noch nicht ganz ausgehaucht.
Hilfe kam herbei, allein zwei Männer vermochten den schweren Jochen an dem Stricke nicht emporzuziehen. Als sich die Unglückliche wieder jammernd und händeringend Über das Opfer ihrer Treulosigkeit beugte, da ergoß sich plötzlich über sie — nicht Vitriol — sondern ein Eimer kaltes Wasser, und aus dem gegenüberliegenden Fenster nickte der Getauften der lebendige Jochen freundlich zu.
»Strafe muß sein, Pepita, und Deine Hochzeit kannst Du auch noch ein bisschen aufschieben, denn was Dein Bräutigam ist, dem habe ich gestern Abend die Jacke vollgehauen, daß er sich ein paar Tage nicht rühren kann.«
Die ganze Nacht hatte Jochen damit verbracht, einen Strohmann herzustellen und ihm sein Aussehen zu geben, und ich, sein gestrenger Herr — ich hatte ihm dabei geholfen. Solcher Uebelthäter steckt eben an. Es war uns so gut gelungen, daß sich ein Droz oder Maillardet sich als Verfertiger dieses Automaten nicht geschämt hätte, der von Jochen mit Seidenfaden an Armen und Füßen von seinem Fenster aus bewegt wurde, während sein Körper mit Steinen angefüllt war.
Es war die höchste Zeit, daß wir abreisten.
In Zanzibar wurde mir im Gedränge die Brieftasche mit 100 Pfund Sterling gestohlen. Jochen schwur, sie mir wieder zu verschaffen, ich sollte es nur ja nicht der Polizei anzeigen, da hätte ich so viel Umstände und mir wurde für Unkosten so viel abgezogen, daß ich von dem Gelde nichts wiedersehe, ging, blieb einen Tag und eine Nacht aus, kam in stark angeheitertem Zustande zurück und — brachte meine Brieftasche; es fehlten keine sechs Pfund an der Summe.
Er war in allen fragwürdigen Schänken und Mädchenhäusern gewesen, weibliche Bekanntschaften hatte er auch hier genug, hatte spioniert und Kundschafter ausgeschickt und so erfahren, daß ein portugiesischer Matrose, der schon lange ohne Heuer an Land lag und vom Betteln lebte, eine ganze Gesellschaft traktiere. Jochen ging hin, Überzeugte sich, fing mit dem Kerl Streit an, warf ihn zu Boden, hatte ihn im Nu visitiert und meine Brieftasche in seiner Hand.
Noch eine tüchtige Tracht Prügel, eine Drohung, den Fall anzuzeigen, wenn die Wirtin Geld für die Zeche fordere, und die Sache war abgemacht, ohne für mich oder ihn üble Folgen zu haben.
Von Zanzibar ging es nach Kapstadt. Da sich auf diesem Passagierdampfer wieder eine Liebesepisode ereignete, die merkwürdigste von allen, so sei erst hier erwähnt, wie sich Jochen an Bord als Passagier betrug.
Er ging mit der Mannschaft stets völlige Wache, und zwar immer mit der Backbordwache, d. h. wenn diese an Deck war, arbeitete er mit ihr, legte wenigstens sofort Hand mit an, wenn eine Kraft fehlte, er konnte überhaupt nicht sehen, daß sich Einer abplagte; wenn sich die Matrosen vergebens bemühten, die Ankerkette über die Winde zu legen, dann sprang Jochen hinzu, ein Griff, ein Ruck, und die Kette lag an der richtigen Stelle; ein nicht vorschriftsmäßig aufgewickeltes Tau war ihm ein Gräuel, er mußte es ändern; flatterte in der Takelage ein Bändchen — gleich saß Jochen oben auf der Raa und machte es fest; und gab es gar nichts für ihn zu thun, so half er dem Koch Kartoffeln schälen. Während der Nachtwache stand er mit am Ruder oder auf Ausguck.
Wenn dann die Backbordwache zur Koje ging, taute Jochen erst richtig auf. Dann »verzählte« Jochen den am Deck sitzenden Passagieren Geschichten, Abenteuer und Anekdoten, sang Seemannsballaden, zog die Kleider einer Stewardess an und ahmte die Bellona vom Varietétheater nach, mit Fistelstimme englische Gassenhauer singend, machte einen damals bekannten Methodistenprediger nach, sprach durch die Nase und donnerte gegen die Versuchungen der Welt, himmelte um den Augen, wenn er die Freuden des Paradieses schilderte, tanzte den irischen Step und amerikanischen Hornpipe, blies auf einem Besenstiel in den reinsten Posaunentönen die »letzte Rose« — kurz, er war ein Tausendkünstler. Jochen hier, Jochen da, ohne Jochen ging es nicht mehr, bei schlechtem Wetter mußte er sich im Salon produzieren — er war Zwischendeckpassagier — man lachte sich über ihn halbtodt und vergalt es ihm, daß er die Langeweile vertrieb, indem man ihn fütterte und ihm mehr Getränke einfüllte, als ein anderer Mensch hätte schlucken können, was sich Jochen aber gar wohl gefallen ließ.
Genau so war es auch auf diesem Schiff. Jochen war der Liebling aller, man verhätschelte ihn, ihn, den großen, baumstarken Burschen.
Nur eine Person gab es an Bord, welche bei seinen Kapriolen nie eine Miene verzog, sogar meist die Gesellschaft verließ, wenn er seine Vorstellung begann, ihm Überhaupt nie einen Blick gönnte, höchstens einen mißachtenden.
Nach Kapstadt reiste ein spanischer Grande, der zwei halbwüchsige Kinder bei sich hatte und für diese eine Gouvernante hielt, ebenfalls eine Spanierin, ein imposantes, junonisches Weib von vielleicht 30 Jahren.
So ein kaltes, geradezu beleidigend kaltes Wesen war mir an einer Dame noch nie vorgekommen. Sie schloß sich vollkommen ab, beschäftigte sich nur mit den Kindern, dem lebendigsten Franzosen gelang es nicht, sie in ein Gespräch zu verwickeln, sie war sogar fähig, ihm einfach den Rücken zu wenden, auf die Frage des Tischnachbars hatte sie höchstens ein Ja oder Nein, und dabei maß sie ihn von oben bis unten mit einem abweisenden Blick.
Zuletzt ließ man sie links liegen. Ihr Stolz entsprang der Dummheit.
Diese Señora ließ also ihre Entrüstung für Jochen’s tolle Streiche offen durchblicken.
Bisher war noch kein Fall von Seekrankheit vorgekommen; hinter Assuncion ging es los. Wir gerieten, im besten Wetter und eben aus fast glatter See kommend, in einen doppelten Wellenschlag, der nichts zu wünschen übrig ließ.
Die an Deck stehenden Kajütenbänke waren voll besetzt, Leinwandstühle waren aufgeschlagen, selbst auf der Bordwand saßen die Passagiere
Ich unterhielt mich mit einer jungen Engländerin, welche nebenbei eine Orange nach der anderen verspeiste, ohne mir etwas anzubieten.
Vorn an der Back sah ich Jochen mit Sand und Besen das Deck scheuern, als ob er’s bezahlt bekäme, in einiger Entfernung von ihm saß die stolze Señora, allein — die Kinder hielten in der Kabine Nachmittagsschlaf — und las — mir kam es aber vor, als ob sie über das Buch hinweg Jochen beobachtete, der ihr in nicht gerade sehr anständiger Weise, nämlich in gebückter Stellung, den Rücken zeigte.
»Passen Sie aus, meine Herrschaften,« sagte ein Steuermann im Vorbeigehen, »der Wind hat sich gedreht, wir bekommen die Brandung von Madagaskar in die Seite. Daß Sie nicht seekrank werden.«
Alle lachten. Eine ruhige Fahrt hatten wir noch nicht gehabt, etwas hatte das Schiff immer geschlingert und gestampft, so recht hübsch regelmäßig, daß man sich daran gewohnt, ohne es zu merken. Jeder fühlte sich seefest.
Aber dieses regelmäßige Schaukeln änderte sich plötzlich, das Schiff kam aus dem Takt, bäumte sich vorn und schlug hinten wie ein Gaul aus, einmal, zweimal, ganz nach Belieben, und neigte sich bald mehr, bald weniger auf die Seiten.
Immer noch lachten Alle und freuten sich dieses neuen Spieles.
Manchmal steckte das Schiff die Nase tief in’s Wasser, dann schlug die Schraube hinten heraus und drehte sich mit einer Geschwindigkeit daß alle Wände zitterten und unsere Magen mit.
Klatsch, ging es. Eine Welle war »übergedammt« und hatte das vorher trockene Deck genäßt und uns natürlich auch. Aber das machte nichts, man war ja auf See.
Ein Herr neben mir nahm die Zigarre aus dem Munde, betrachtete sie kopfschüttelnd, warf sie weg, ging etwas wankend über Deck und schaute angelegentlich über die Bordwand.
Ich sprach mit meiner Gesellschafterin noch immer über Ästhetik, denn sie war eine sehr gebildete junge Dame.
Plötzlich stockte sie, wurde blaß, wollte aufstehen, konnte nicht, lehnte ihr Köpfchen seufzend an meine Brust und — ich hatte den Brei von vier unverdauten Apfelsinen auf meinen weißen Beinkleidern. Mit der Ästhetik war es vorbei, wie ich merkte, als ich jetzt um mich schaute.
»Halt fest, Steuerbord holt über,« sang Jochen, der eben auf der hohen Back scheuerte.
Hinunter ging es mit uns, wenigstens auf dieser Seite, immer tiefer und tiefer, über einen Winkel von 45 Grad hinaus, da gab es kein Halten mehr, ich rutschte mit Vehemenz von der Bank, die Miß im Arme, glücklicher Weise ohne zu stürzen, engumschlungen sausten wir gegen die Bordwand, wieder zurück, dann hob sich das Schiff hinten himmelhoch, vorwärts ging es mit uns, an Deck kollerten menschliche Körper, Jemand erwischte mein Bein und klammerte sich krampfhaft daran fest, jetzt sausten wir zu Dritt in rasendem Lauf der Back zu — da bekam ich das Geländer eines Mastes zu fassen, und das Dreigespann stand.
Ich vermag nicht zu schildern, wie es an Deck aussah. Es heulte, schrie, wimmerte, ächzte und spuckte, es kugelte und rollte durcheinander, schlug an die Bordwand und rutschte zurück, denn der Fuß fand auf dem schlüpfrigen Deck keinen Halt mehr, die Matrosen ließen ihre Arbeit liegen, sprangen herbei und verschafften wenigstens feste Stützpunkte.
Noch stand ich so da, die ästhetische Miß im Arme, einen Monsieur wie einen Krebs am Beine.
Wieder hob sich das Schiff, so hoch, daß mir Angst und Bange wurde.
Da rollte es heran über Deck, einer Lawine gleich, ich sah nichts weiter als aufgelöste Haarflechten, ein Bündel Kleider, weiße Unterröcke und carrirte Strümpfe. Hinterher troddelten ein Buch und ein Klappstuhl. Es war die stolze Señora, die so herangesaust kommende Kleiderlawine.
Jetzt lache ich darüber, damals sträubte sich mir das Haar vor Entsetzen. Irgendwo anprallen mußte sie doch, und so, wie sie jetzt dahinsauste, konnte es nur ein schlimmes Ende nehmen.
Aber schneller als sie war ihr Schutzgott. Wie ein Seiltänzer auf dem Stahldraht glitt Jochen Übers Deck, er war von der Back gesprungen, daher seine verdoppelte Schnelligkeit, ihr nach, mit gleichen Füßen Über den Stuhl, er bückte sich, hatte sie in seinen Armen, drehte sich um und schmetterte mit dem Rücken gegen das Hilfssteuerrad.
Ich hörte seine Rippen krachen — nein, die Speichen waren es, die er abgebrochen hatte.
Zurück ging es wieder mit ihm, noch einmal gegen die Bordwand, das Schiff holte über, er steuerte seitwärts und verschwand mit seiner stolzen Bürde direkt im Kajütenniedergang, daß ich nicht anders wähnte, als er müsse kopfüber hinabgeschossen sein.
Endlich wurde ich den Krebs am Beine los, ein Matrose schwang den Mann wie einen schlappen Mehlsack über die Schultern, ich tastete mich mit meiner ästhetischen Miß ebenfalls in den Kajütencorridor hinab und übergab sie einer der Stewardessen, die mit der Bergung der »Leichen« alle Hände voll zu thun hatten, zur Besorgung
Darüber war eine Viertelstunde vergangen. Und wo war Jochen? Ein höchst peinlicher Gedanke durchzuckte mich. Die Kabine, welche die stolze Señora mit ihren beiden Schutzbefohlenen teilte, befand sich linker Hand, die vierte Thür. Ich hin, einfach geöffnet.
In diesem Augenblicke wollte Jochen heraustreten. Ein Blick sagte mir Alles — glaubte ich wenigstens. Die Kinder schliefen in den Kojen, in der ihren lag die stolze Señora, bis an die Nase zugedeckt, unverkennbar von einer fremden, hilfsbereiten Hand, und auf dem kleinen Divan lagen ihre Kleider, ihr Corset und alles Andere. Jochen hatte Kammerzofe gespielt.
Ich ließ mich von ihm hinausdrängen. Draußen aber nahm ich ihn vor.
»Jochen, das wäre unerhört, wenn Du den hilflosen Zustand der Dame gemißbraucht hattest . . . «
Weiter kam ich nicht. Seine Hand legte sich so schwer auf meine Schulter, daß ich etwas zusammenknickte, und sein sonst so gutmütiges, offenes Gesicht nahm einen so drohenden Ausdruck an, daß ich mich fast vor ihm fürchtete.
»Herr, wofür halten Sie mich?« sagte er leise und doch so schneidend. »Daß ich ein Taugenichts bin, weiß ich, aber ein Schuft bin ich nicht. Das merken Sie sich.«
Damit ließ er mich stehen.
Die nächsten Tage waren wieder schön, ein bleiches Gesicht erschien nach dem anderen an Deck; man ergötzte sich wieder an Jochens Kapriolen, nur die Dona nicht. Nach wie vor druckte sie deutlich die Mißachtung aus, die sie für den deutschen Hanswurst empfand.«
»Hat sie Dir nicht gedankt?« fragte ich Jochen einmal.
»Wofür? Sie weiß ja gar nicht, was mit ihr geschehen ist.«
Unser gutes Einverständnis hatte nicht gelitten — das klingt von mir vielleicht komisch, aber ich war eben stolz auf meinen ordengeschmückten Diener, obgleich er die Ehrenzeichen nie anlegte; ich erzählte desto mehr davon.
Eines Nachts saß ich auf der Bank neben dem Kajüteneingang und hing trüben Gedanken nach. Das Wetter paßte dazu. Es war stockfinstere Nacht, vom Himmel sprühte es kalt herab. Mich allein hatte dieses Wetter nicht unter Deck zu jagen vermocht.
Merkwürdig, wenn man so des Nachts allein an Deck ist. Man sieht keinen Matrosen, keinen Menschen, die Bollaugen sprühen Feuer, die Maschine schnaubt, und zuletzt kann man glauben, man befände sich auf dem Rücken eines feurigen Ungeheuers, das sich selbstständig den Weg durch’s Wasser bahnt.
Vor mir leuchtete ein kleiner Punkt aus der Nacht auf. Bald ward er heller, bald dunkler. Ich untersuchte das Phänomen. Es war das Feuer einer Tabakspfeife, und der sie zwischen den Zähnen hielt, war Jochen, welcher sanft schlafend in einer unter dem Boote gezogenen Hängematte lag. Regen und übersprühendes Wasser näßte Gesicht und Kleidung, aber solche Kleinigkeiten vermochten Jochen nicht zu stören. Dazu rauchte er auch noch im Schlafe — erhaben ob Raum und Zeit.
Ich setzte mich nieder — und war glücklich Meine erst so trüben Gedanken waren durch diese Entdeckung gewichen, jetzt beschäftigten sie sich mit Jochen. Fürwahr, wenn ich nicht der wäre, der ich bin, ich möchte Jochen sein.
Da raschelte es neben mir. Aus der Kajüte trat eine verhüllte Gestalt, eine Frauengestalt. Einen Augenblick blieb sie stehen, lauschte, dann huschte sie nach vorn. Dabei ging ihr Kopf durch den Lichtstrahl, der aus dem Fensterchen des Ruderhauses drang, und ich hatte das Gesicht erkannt — es war die stolze Señora.
Was hatte die um Mitternacht an Deck zu thun? Und so geheimnisvoll? Dort vorn war die Back.
Die Schiffsglocke schlug vier Doppelschläge, acht Glasen, zwölf Uhr. Die Wache löste sich ab, sehr schnell, Jeder suchte in’s Trockne zu kommen. Ich hörte, wie der Steuermann auf der Kommandobrücke seinem Nachfolger den Curs übergab, dann ging er nach der Kajüte an mir vorüber, ohne mich zu bemerken.
Gleich war Alles wieder todt und still, nur die Maschine keuchte.
Jochen war aufgestanden und trat das Feuer seiner Pfeife aus. Er ging nach vorn, der Back zu — und ich ihm nach, von einer Ahnung erfaßt, Segeltuchschuhe machten meinen Schritt unhörbar.
Ich hatte nicht weit zu gehen — unter der geräumigen Back waren beide, ich hörte Stimmen flüstern, eine männliche, eine weibliche Wahrhaftig, die stolze Señora und der von ihr so verachtete deutsche Hanswurst.
» . . . sage mir, Jochen, wie Du mich liebst.«
»Ich liebe Dich ja, Manuela, aber brich die Sache doch nicht gleich übers Knie. Du sagst selbst, Dein Onkel hätte erst auf Deine Bitten hin ihm die Aufseherstelle versprochen.«
»Sprich nicht mehr von ihm, ich sage mich von ihm los. Seit ich Dich gesehen, verschwand sein Bild aus meinem Herzen. Jochen, martere mich nicht, gib’ mir Deine Hand — so — nicht wahr, Du nimmst die Stelle an, in einem Vierteljahr heiraten wir uns — unterbrich mich nicht — Du kannst den Posten ausfüllen. Du kannst überhaupt Alles, mein Onkel gewahrt mir Alles, was in seiner Macht liegt, ich habe eine gute Ausstattung, wir haben ein kleines Vermögen, was mein ist, ist Dein — küsse mich, Jochen, küsse mich, ich möchte ersticken . . . «
Sie sprach so dringend, so flehend, so zärtlich, wie ich dem stolzen, kalten Weibe nicht zugetraut hatte. Ich war perplex. Ich hörte Küsse, Seufzer, und ich schlich wieder davon, halb betäubt.
Am anderen Morgen — keine Spur davon konnte man ihr anmerken. Sie achtete Jochen nicht, wandte ihm den Rücken, verzog den Mund und verließ die Gesellschaft, wenn der Matrose seiner Laune die Zügel schießen lassen sollte.
Ich war überzeugt, daß diese heimliche Liebschaft nicht erst von gestern war und daß die Zusammenkünfte jede Nacht stattfanden. Was sollte ich nun davon denken? Ich war gespannt, wie sich die Szene in Kapstadt weiter entwickeln wurde. —
Das Fallreep wurde im Hafen von Kapstadt ausgelegt, die Passagiere gingen hinüber, auch der Spanier mit seinen Kindern und der Gouvernante.
Jochen beschäftigte sich mit meinem Gepäck an Deck. Jetzt ruhten seine Hände, er blickte der Spanierin aufmerksam nach.
Ein junger, sehr schöner Mann kam auf die Familie zu, grüßte sehr ehrerbietig, sprach mit dem Vater, dieser nickte, dann küßte der junge Mann die Gouvernante einige Male innig, und Arm in Arm gingen Beide allein ab. Ich konnte noch erkennen, wie verklärt vor Glück sie aussah.
Ich blickte nach Jochen. Dieser schüttelte den Kopf.
»Wissen Sie,« sagte er zu mir, »ich denke manchmal,« daß doch eigentlich alle Weiber lauter Rätsel sind.«
»Da sagst Du nichts Neues. Das haben schon viele Menschen behauptet, und weil dieses Rätsel unlösbar ist, wird es noch heute behauptet. Ich denke, Jochen, Du sollst die Señora heiraten?«
»Was, Sie wissen?«
»Ich habe Euch einmal unter der Back belauscht.«
»Na, schadet nichts. Ja, sie wollte mich durchaus heiraten, und nun geht sie hin und singt nicht mehr. Das war vorhin ihr Bräutigam.«
»Sie war verlobt?«
»Und wie. Eine alte Jugendliebe ist es. Zehn Jahre sind sie nun schon verlobt, sie haben gedarbt und gearbeitet er als Postbeamter, sie als Gouvernante, um sich heiraten zu können, und über mich Taugenichts verliert das Weib gleich den Kopf und will ihm den Laufpaß geben. Hält man so etwas für möglich?«
»Ich begreife allerdings auch nicht.«
»Das ist noch nicht Alles. Sie hat einen Onkel, der ist höherer Beamter in einer amerikanischen Faktorei, gleich hier in der Nähe, und hat ihren Bräutigam auf ihre Bitten hin bei sich angestellt, will es wenigstens thun. Es ist der Posten eines Verwalters, wird gut bezahlt, später Pension, eben eine Lebensstellung. Gleich war sie bereit, die Stelle nun mir zu geben und den Fernando, das ist ihre alte Liebe, laufen zu lassen. Sie wollte ihm den Verlobungsring zurückschicken, Alles, Alles war schon ausgemacht. Mein Sträuben war ganz vergebens. Sogar einen Ring hat sie mir als Pfand der Treue schon gegeben. Hier ist er — ein Andenken von ihrer Mutter, sagt sie.«
Es war ein einfacher Rubinring.
Ich wurde immer sprachloser, wußte nicht, was ich denken sollte.
»Denken Sie nicht etwa, daß sie ein leichtfertiges Frauenzimmer war,« fuhr Jochen fort, »bewahre, sie ist ja auch Über diese Jahre hinaus. Aber ich hatte es ihr eben angetan, hatte sie um den Finger wickeln können — jetzt freilich nicht mehr; da wäre ich kein ehrlicher Kerl, ich konnte ihr einen schlimmen Streich spielen. Ich glaube, die hat jetzt manche schlaflose Nacht.«
»Was thust Du nun?«
»Nichts. Erfahre ich ihre Adresse, so schicke ich den Ring unbemerkt zurück. Das Weib dauert mich nämlich schon. Kann ich dafür?«
»Wie kam es nur?«
»Weiß es der Teufel, ich nicht. Wir trafen uns einmal Nachts an Deck, da war die Geschichte fertig.«
»Nach der Seekrankheit?«
»Nein, bedeutend vorher. Daß ihr Stolz nur markiert war, merkte ich Übrigens gleich, und auch, wie sie mich immer heimlich beobachtete, wenn sie sich unbemerkt glaubte. Die richtige Liebschaft freilich entwickelte sich erst nach der Zeit, als ich sie in ihre Koje gepackt hatte. Aber angebändelt hat sie schon vorher mit mir, und ihr komisches Wesen sollte ich ihr nur ja nicht übelnehmen, bat sie mich wohl tausend Mal, das sei recht gut, dadurch hielt sie sich alle die anderen Fexe vom Leibe. Es war Überhaupt ein ganz ungewöhnliches Weib. Ja, die Seekrankheit!«
ochen ging ein paar Mal hin und her, biß ein Stück Kautabak ab, setzte sich auf einen Koffer und schlug die nackten, muskulösen Arme über der breiten Brust zusammen.
»Unsereins hat auch manchmal so seine eigenen Betrachtungen. Auf dem Lande zu sein und auf dem Meere, das ist ja fast ein Unterschied wie Feuer und Wasser. ’s ist was ganz eigentümliches. Stellen Sie sich mich einmal vor in einem Salon unter einer feinen Gesellschaft, angetan mit Frack, hinten lange Schwalbenschwänze, weißer Krawatte, weißen Handschuhen, engen Hosen und Lackschuhchen an meinen Quadranten; sehen Sie nur einmal diese Pfote, wenn ich da den Handschuh auszöge! Denken Sie nicht, daß ich mich furchtbar läppisch und unbeholfen benehmen würde? Hier an Deck stehe ich fest, das Schiff mag hüpfen, wie es will, da aber in dem glatten Salon läge ich gleich auf der Nase – ’s ist mir nämlich schon einmal so gegangen. Wenn man mich anredete, wurde ich rot; ich würde Kaffeetassen umreißen, den Damen auf die Zehen treten, an der Serviette die Nase putzen, vor Verlegenheit kein Wort herausbringen – kurz, ich wäre eine Jammergestalt, ein Häufchen Unglück, und alle würden mich auslachen. Hier aber, das Deck, das ist mein Salon, hier bin ich zu Hause, hier kann ich mich bewegen, ohne zu straucheln, das Schiff ist meine Heimat, mit ihm bin ich verwachsen – na, Sie wissen schon, was ich sagen will. Nun sehen Sie sich dagegen die feinen Herrchen an, wie kläglich die sich an Bord benehmen. Ungewaschen und ungekämmt kommen sie womöglich an Deck, ängstlich tappen sie herum, ein Stößchen, und bums, da liegen sie auf der Nase und schreien Zeter und Mordio nach einem rettenden Matrosen, bei Tisch ist es ein Jammerspiel, ihnen zuzusehen, die Weine gießen sie sich auf die Halsbinde und die Suppe ihrer Nachbarin auf den Schoß, und wenn’s noch ein bißchen toller wird, da spucken sie sich gegenseitig auch noch an. Da heißt’s nun gleich, ja, die rohen Matrosen – wenn die sich vor Lachen nicht mehr halten können. Uns würde es aber in den Salons gerade so gehen. Da sind wir blauen Jungens an Bord nun freilich andere Kerls, hier haben wir Routine, und, wissen Sie, die Weiber haben für so etwas ein gar scharfes Auge, die passen auf. Durch nichts verscherzt man sich doch das Ansehen bei den Weibern so sehr, als dadurch, daß man sich lächerlich macht – das müssen Sie doch zugeben. Sicheres Auftreten, überhaupt Überlegenheit dagegen bewundern sie. Dieser Gegensatz nun zwischen jenen Salonherrchen und uns wetterfesten Seebären an Deck! Und wenn nun gar noch eine hübsche Larve und ein dreistes Wesen hinzukommt! Und dann erst die Seekrankheit! Herr, ich könnte Ihnen Geschichten davon erzählen, was die Seekrankheit für Wirrwarr anrichten kann! Der Mensch kennt sich gar nicht mehr selbst, er wird plötzlich ein anderer, spricht und denkt anders, und wenn er dann genesen ist, so fühlt er sich wie neugeboren und sieht alles mit anderen Augen an. Aber sobald man das Land betritt, ist alles wieder vorbei, da ist man wieder der Alte. Sehen Sie, so geht es auch der Manuela. Natürlich, es war ein furchtbarer Leichtsinn, sich mir an den Hals zu werfen und mir solche Vorschläge zu machen, aber sie wußte gar nicht, was sie tat, und jetzt kann sie es nicht mehr begreifen, es kommt ihr alles wie ein Traum vor. Vielleicht hat sie auch noch ein böses Gewissen – na, vor mir braucht sie sich nicht zu fürchten.«
Jochen sah nachdenklich vor sich hin, so ernst, daß etwas ganz besonderes in ihm vorgehen mußte.
»Wenn ich wollte, ich hätte meine Mutter oft genug rächen können – und mich dazu,« murmelte er, sprang auf und begann mit den Zentnerballen wie mit Federkissen zu hantieren.
Zum ersten Male und zum letzten hatte er etwas von seiner unehelichen Abstammung erwähnt. Ja, er hatte Recht, wie überhaupt immer und in allem.
Er sah Manuela noch einmal wieder.
Eine Station vor Kapstadt bestiegen wir einmal einen Zug, und in demselben Wagen saß Manuela an der Seite ihres Bräutigams.
Diesen tödlich erschrockenen und zugleich flehenden Blick, den sie Jochen zuwarf, werde ich nie vergessen. Ich hatte nicht geglaubt, daß es solch einen Blick gäbe. Dann war sie wieder die Frühere, stolz und kalt, und unterhielt sich mit ihrem Verlobten über gleichgültige Sachen. Auch Jochen ließ sich nichts merken. Nur einmal bat er den ihm gegenübersitzenden Senor um Feuer, und als er die Zigarre an die seine führte, lächelte er eigentümlich, und ich merkte, wie die Hände Manuela’s zu zittern begannen und wie ihre sonst so roten Lippen plötzlich weiß wurden.
In Kapstadt brachte mir Jochen täglich Proben der Kochkunst seiner schwarzen Geliebten angeschleppt, Fischsalat, Hummermajonäse Ragouts, Pasteten, Torten und Gott weiß was noch alles. Nebenbei bemerkt sei, daß diese in einem englischen Speisehaus angestellte Negerin wöchentlich fünf Pfund Sterling und noch allerhand Zulagen erhielt, Trinkgelder und Nebenverdienste gar nicht gerechnet. Das dicke, pechschwarze Frauenzimmer fuhr im eigenen Cab,[Offene zweirädrige? Pferdekutsche] hielt sich einen Groom [ Kutscher?] und hatte im Theater eine Loge inne. So lange wir in Kapstadt waren, wich Jochen natürlich nicht von ihrer Seite und legte sich einen kleinen Schmerbauch zu.
»Wenn wir aber erst nach Bombay kommen, da könne Sie etwas erleben!« war seine ständige Redensart. »Ich glaube, die ganze Stadt wird geflaggt.«
Zu seinem Leidwesen ging es erst nach Port Pangi, südlich von Bombay. Hier war er noch nicht gewesen, und da wir doch einige Tage verweilten, gedachte er sich also eine neue Braut anzuschaffen und sie als Reserve zurückzulassen.
Fehlgeschossen – war nicht nötig. Wir hatten kaum das Land betreten, als ein Mädel mit bloßen Armen, ein Häubchen auf dem Haar, einen schweren Korb am Arm, diesen plötzlich fallen ließ und auf Jochen zustürzte.
Edle Seelen finden sich eben zu Wasser und zu Lande.
»Jochen!«
»Lizzy!«
»Mein lieber Jochen!«
»Heule nicht, Mädel. Wie kommst Du denn hierher?«
»Ich bin ein Dienstmädchen bei einer englischen Herrschaft.« Schluchzte sie an seiner Brust, und – und – heu – heute Abend gehen wir doch zusammen aus?«
Es war seine Braut aus Baltimore.
»Nun geht’s nach Bombay, juchheh!« schrie Jochen, als wir wieder die Anker lichteten.
Die ganze Reise redete er von nichts anderem, als wie man ihn dort empfangen würde: die ganze Stadt werde geflaggt, überall Blumenschmuck, Illumination, mit Musik würde man ihn abholen – bis ich die Sache überdrüssig bekam.
»Höre endlich auf davon, es wird mir langweilig.«
»Sie glauben’s wohl nicht, wetten wir?«
»Unsinn.«
»Na, Sie werden’s erleben. Den Tag geben Sie mir doch frei, denn wenn einem zu Ehren solche Festlichkeiten veranstaltet werden, muß man doch selbst dabei sein und kann nicht Koffer schleppen. Ich hole dann alles wieder nach.«
Mit voller Fahrt dampften wir in den Hafen von Bombay.
Ja, was war das?
Alle Schiffe geflaggt die ganze Stadt, Blumengirlanden, Triumphbogen, das Volk in Feiertagskleidern, alles schrie und jauchzte.
Niemand auf dem Schiffe konnte Erklärung geben, nur Jochen.
»Alles mir zu Ehren.«
Da – auf den Bastionen wurde Salut gefeuert.
»Wieder mir zu Ehren.«
Jochen sprang auf die Kommandobrücke, legte die Hand an die Mütze und neigte sich dankend nach der Festung.
Wir fuhren dicht an den Kai. Dort war eine Musikbande aufgestellt, umringt von einer Volksmenge, die sich von Minute zu Minute vergrößerte.
»Passen Sie auf, jetzt geht’s los,« sagte Jochen und ging als erster über das Laufbrett.
Ein schmetternder Tusch, Schreien, Brüllen, Tücherwedeln.
Hip, hip, hip hurrah für Jochen! Jochen for ever!« brauste es.
Ich traute meinen Augen und Ohren nicht.
Zwei kräftige Burschen hoben Jochen auf ihre Schultern. Voran die Musikkapelle, einen Marsch spielend, hinterher und zur Seite eine Volksmenge von einige Tausend, welche mit Tüchern wedelten, heulten, pfiffen und Jochen hoch leben ließen. So verschwand der Zug, immer neue Nachzügler folgten ihm, aus den Fenstern wurde gewinkt.
Mir blieb der Verstand stehen.
War Jochen ein verkappter Prinz? War er als mein Diener inkognito gereist?
Eine Aufklärung wenigstens erhielt ich bald: der Vizekönig von Indien hielt in Bombay Truppenschau ab, daher das festliche Gewand der Stadt; der Salut hatte dem mit uns gleichzeitig einlaufenden, englischen Admiralsschiff gegolten.
Ja, aber wie kam man dazu, Jochen auf diese Weise abzuholen? Mit Musik? Auf den Schultern durch die Straßen zu tragen? Warum begleiteten ihn Tausende von Menschen? Offenbar hatte man ihn erwartet.
Am Abend kam Jochen an Bord, etwas schief geladen. Er brauchte Vorschuß.
»Ich muß doch die Kerls traktieren. Heute ist die ganze Stadt illuminiert – ich bin’s auch. Never mind. Kommen Sie nicht ein bißchen mit? ’s ist großartig.«
Ich forderte Erklärung.
Die Sache war ganz einfach, aber es gehörte eben ein Allerweltskerl wie Jochen dazu, sie zu arrangieren.
In Port Pangi hatte er erfahren, daß heute in Bombay Truppenschau war, und wenn ich mit gewöhnlicher Pünktlichkeit meine Reiseroute einhielt und der Dampfer sich nicht verspätete, mußten wir eben gerade heute in Bombay eintreffen. Er schrieb an einen Boardingmaster, bei dem er in Bombay immer Quartier nahm, einen Brief: Jochen der Taugenichts kommt, mit dem und dem Schiff, holt ihn ab, natürlich mit Musik. Punktum. Der Brief kam zwei Tage eher an als wir.
Der lustige Jochen kommt! Das elektrisierte, und der Boardingmaster war kein Spaßverderber, hatte den tollen Burschen doch auch in’s Herz geschlossen. Alle Matrosen, die bei ihm lagen und irgend ein Instrument spielen konnten, wurden angestellt, fremde dazu geworben, Bekannte hatte Jochen gerade in Bombay in Hülle und Fülle, und so klappte alles prächtig. Das neugierige Volk kam zusammen und schrie und marschierte eben mit; zehn Narren machen Tausende.
Ich ging wirklich des Abends nach der Matrosenschänke, wo Jochen wie ein König residierte, und muß gestehen, mich in meinem ganzen Leben nicht so köstlich amüsiert zu haben.
Im malayischen Archipel erlitten wir Schiffbruch, wir gingen in die Boote. Da zeigte es sich, daß Jochen ganz mit Unrecht den Namen eines Taugenichts führte, daß er vielmehr ein Kerl vom Scheitel bis zur Sohle war – wenn es eben darauf ankam.
Vom ersten Augenblick an, als die Boote klar gepfiffen wurden, war er der eigentliche Kommandant, die Seele des Ganzen, und jeder ordnete sich ihm willig unter, selbst der Kapitän überließ ihm zuletzt Alles.
Unter den Offizieren entstand Streit wegen des Weges. Die einen wollten die offene See gewinnen, die anderen die Fahrt durch die gefährlichen Korallenriffe wagen. Zu letzterer stimmte Jochen bei, er gab den Ausschlag, er sprach mit einer Sicherheit und Überzeugung, als habe er diesen Weg schon hundert Mal gemacht, als kenne er jedes Riff, als garantiere er für glücklichen Verlauf.
Auf fünfzig Ruderstunden schlug er die Tour an, wer gesunde Hände hatte, mußte den Riemen führen. Immer war Jochen’s Kutter voran. Wenn er nicht ruderte, stand er vorn im Bug und handhabte das Senkblei, wenn die Arme erschlafften, dann stimmte er ein herzerfrischendes Matrosenlied an, gab den Rudertakt an und legte sich in die Riemen, daß sich die eschene Stange wie eine Reitgerte bog. Zwei Tage und zwei Nächte hatte er so ausgehalten, ohne ein Auge zuzutun. Aber nicht etwa, daß er nun die sorgenschwere Miene eines sich seiner Verantwortung bewußten Mannes aufgesetzt hätte. Nach wie vor trieb er seine Narrenspossen, erzählte die haarsträubendsten Geschichten, parodierte, sang, deklamierte, erhielt alles bei froher Laune, mitten im furchtbarsten Tropenregen, und dabei hatte er noch Zeit, mit einem Mädchen in seinem Boot ein Liebesverhältnis anzuknüpfen und mit einer anderen im zweiten Boot verständnisvolle Blicke zu wechseln.
So kamen wir an, halb aufgerieben, dem Umfallen nahe, und doch hatte es uns eine Vergnügungsfahrt gedünkt. Jochen’s Witz war unerschöpflich, er konnte nie langweilig werden.
Gleich am zweiten Tag beging er wieder einen Streich. Er hatte ein paar frühere Schiffskameraden getroffen, unter seiner Führung wurde bei Nacht einem indischen Großen ein Elephant aus dem Stalle entführt und ein Spazierritt in die Umgegend unternommen. Aber der Dickhäuter schüttelte die unkundigen Reiter von sich und weidete mit Behaglichkeit während der Nacht ein ganzes Maisfeld ab. Die Matrosen wurden gefaßt und mußten bis zum Abgange ihres Schiffes im Gefängnis zubringen – nur mein Jochen nicht, der war verschwunden, und ich verließ Sumbawa ohne ihn.
Als der Dampfer auf hoher See war, stand plötzlich Jochen vor mir, schwarz wie ein Schornsteinfeger, und legte die Hand an die Mütze:
»Melde mich zur Stelle.«
Er hatte sich im Kohlenbunker versteckt gehabt; sein Erscheinen machte mich nicht staunen, etwas Ähnliches hatte ich erwartet und schon sein Gepäck mitgenommen.
In Sydney aber verlor ich meinen Jochen wirklich – für immer.
Eines Nachts wurde ich, von Jochen begleitet, in einer Vorstadt überfallen. Ich sah vier bis sechs Gestalten auftauchen, ehe ich den Revolver ziehen konnte, war ich gepackt, sah noch, wie Jochen einen Kerl aufhob und ihn auf einen anderen schleuderte, daß es krachte, hörte zwei Schüsse fallen, dann erhielt ich einen Schlag auf den Kopf, der mich bewußtlos machte.
Als ich wieder zu mir kam, standen Menschen, auch Constabler, um mich herum, fünf andere lagen neben mir, darunter auch Jochen – in seinem Blute. Zweien hatte er den Schädel eingeschlagen, dem einen jedenfalls an der Mauer, zwei anderen hatte sein Revolver den Garaus gemacht, bis er selbst zusammenbrach.
Mir selbst fehlte nichts weiter als mein Geld, nur wenig, ich begleitete also die Tragbahre nach dem Hospital.
Jochen hatte in seiner Lunge eine Elfmillimeterkugel sitzen und war noch nicht zur Besinnung gekommen. Die Ärzte gaben von vornherein jede Hoffnung auf, doch operierten sie die Kugel heraus. Ich blieb die ganze Nacht im Hospital – und ich habe manchmal geweint.
Am anderen Morgen trat ich an sein Bett. Er nickte mir lächelnd zu, deutete auf seine Brust und legte den Finger auf den Mund. Er sollte nicht sprechen.
»All right!« flüsterte er mir in einem unbewachten Momente zu, »wie lange bleiben Sie in Sydney?«
»Vierzehn Tage – armer Jochen.«
»Verdammt, nicht länger? In vier Wochen könnte ich wieder mitkommen.«
»Hast Du rechte Schmerzen?«
»Nee, aber Hunger.«
Ich besuchte ihn jeden Tag. Er verfiel rasch, magerte entsetzlich ab, wenn er sprach, röchelte er.
»Ach, wenn man mir doch mehr zu essen geben wollte,« seufzte er, »man läßt mich ja hier verhungern. Jammerschade, daß ich Sie nicht nach Südamerika begleiten kann, ich habe da so viele hübsche kleine Mädchen, in Valparaiso z. B., ui jeh, und nun erst in Rio! Wenn Sie noch vierzehn Tage dablieben, könnt’ ich’s riskieren. Was sehen Sie mich denn immer so weinerlich an? Sie denken wohl, ich sterbe? Nee, so schnell fährt der Jochen nicht ab, Unkraut vergeht nicht. Ich müßte mich schämen, an so einem kleinen Löchelchen zu krepieren.«
Viel Sorge machte es ihm, daß er zwei Monate Vorschuß erhalten habe, die er nun nicht abarbeiten könne. Ich tröstete ihn, ich hatte ihm ja mein Leben zu verdanken.
Der Abschied nahte. Mir standen die Tränen im Auge, denn ich nahm Abschied von einem Sterbenden. Die Ärzte gaben ihm nur noch ein paar Tage Frist. Ich deponierte Geld und legte seiner Krankenpflegerin, Schwester Isabel, an’s Herz, für ihn zu sorgen. Eine Adresse angeben konnte ich nicht.
»Na adjes, Kapitän, vielleicht sehen wir uns einmal wieder,« waren seine letzten Worte.
Ach, wie habe ich meinen Jochen vermißt! Ich wurde von meinen anderen Dienern, mit denen ich wechselte, betrogen, bestohlen, im Stich gelassen, Gepäck ging verloren, zerplatzte, Stricke rissen, nichts war in Ordnung . . . Ach, wie dachte ich da mit schmerzlicher Sehnsucht an meinen armen Jochen.
Die Reise um die Erde war beendet, ich erreichte New-York. Ein Brief aus dem Krankenhause in Sidney war nicht für mich da.
Wie ich eines Tages bald darnach durch die Straßen gehe, bleibt mein Fuß stehen und mit ihm mein Verstand.
Dort wandelt ein Pärchen, ein hübsches, aufgedonnertes Dämchen und ein schwarzgebrannter Seemann im blauen Anzug.
»Jochen!«
»Na ja, ich bin’s,« lachte er und schüttelte mir die Hand, »Sie dachten wohl, ich wäre dort gestorben? Nee, das macht Jochen nicht. Ich bin einstweilen schon wieder mit einem Schooner in Hongkong gewesen, habe die ganze Tasche voll Geld. Aber gerade so wie Sie jetzt, so sperrten auch die Doktoren und Professoren Maul und Nase aus, als ich plötzlich loslegte, nämlich in die vollen Schüsseln, und als Sie drei Wochen fort waren, da tanzte Jochen wieder Hornpipe. Sechs Wochen wollten die Ärzte mich noch drin behalten, zur Erholung meinten sie. Sechs Wochen, jawohl! Ich ging mit meinem weißen Kittel durch’s Fenster und Über die Mauer und musterte auf einen Schooner nach China. Etwas klapprig freilich war ich, aber es ging, und — was ich sagen wollte — ja — Du Nelly,« sagte er zu dem Mädchen, »besieh Dir dort einmal das Schaufenster, such’ Dir ein schönes Kleid aus, ich kauf’s Dir dann — wenn Du’s bezahlst. Ja, was ich sagen wollte,« wandte er sich dann wieder an mich, »Sie kennen doch Schwester Isabel, wissen Sie, die Krankenpflegerin, der Sie mich besonders an’s Herz legten. Das hatten Sie gut gemacht, mit der habe ich mich nämlich verlobt, ehe ich fortging.«