Detektiv Nobody's |
Erlebnisse und Reiseabenteuer. |
Nach seinen Tagebüchern bearbeitet |
von |
Robert Kraft. |
6. Band. |
»Im Kalifornischen Meerbusen liegt eine kleine Insel, welche von den Schiffern ängstlich gemieden wird. Denn auf ihr erhebt sich ein Berg, der aus reinem Magneteisen besteht, und dessen Anziehungskraft so groß ist, daß nicht nur ein eiserner Dampfer, sondern sogar jedes hölzerne Segelschiff schon aus meilenweiter Entfernung unwiderstehlich angezogen wird, aus dem einfachen Grunde, weil doch die hölzernen Planken durch eiserne Nägel verbunden sind und auch sonst jedes Schiff immer eiserne Gegenstände an Bord hat. Die ganze Küste ist mit Schiffstrümmern bedeckt, und nur selten einmal gelingt es einem Schiffbrüchigen, sich wieder von der Insel freizumachen. Er muß sich zu diesem Zwecke ein Floß fertigen, welches er aber nur mit Stricken zusammenbinden darf. Kommt ein hölzernes Schiff zufällig in die Nähe der Magnetinsel und fühlt sich schon angezogen, so bleibt der Mannschaft nichts andres übrig, als in die Boote zu gehn, aus denen sie aber vorher alle eisernen Nägel entfernen muß, während ein eiserner Dampfer unrettbar verloren ist. Wie wir hören, läßt jetzt ein amerikanischer Kapitän ein hölzernes Fahrzeug bauen, bei dem nur kupferne Nägel verwendet werden - Kupfer wird bekanntlich nicht vom Magneten angezogen - um auf diese Weise ungefährdet die geheimnisvolle Magnetinsel erforschen zu können, und wir werden später ausführlich von dieser Expedition berichten.«Nobody ballte das rosenrote Blatt zusammen und warf es in den Papierkorb. »Horrender Unsinn!« knurrte er ärgerlich. »Wie nur eine Zeitung wagen kann, dem Publikum so etwas zu bieten!« »Ja; und doch gibt's genug Leute, die das sogar für bare Münze nehmen!« »Von wem wird denn das Schundblatt gelesen?« »O, es hat in den einsamen Distrikten Amerikas eine gar große Verbreitung, es geht bis in die entlegenste Hinterwäldlerhütte. Jeder Goldgräber kauft sich, wenn er einmal in eine Ansiedlung kommt, das rote Blatt. Die wollen doch auch wissen, was draußen in der Welt passiert, und nun die blutigen Bilder, der blutige Stil, die ganze Ausstattung - das imponiert solchen Leuten, sie kaufen es, sie abonnieren sogar darauf.« »Desto unverantwortlicher ist es, wenn man solchen Leuten, die in ihrer Einsamkeit wirklich wissenshungrig sind, so etwas auftischt! Da schadete eine polizeiliche Zensur wirklich nichts. Wie der Schreiber nur auf so ein Märchen gekommen ist?« »Das hat er einfach so aus der Luft gegriffen, das Papier muß doch voll werden!« meinte der alte World. »Nein,« sagte da Nobody mit Betonung, »alles hat einen reellen Hintergrund, wie jede mythische Sage, so auch jedes Märchen. Oder aber der Verfasser ist ein echter, ein gottbegnadeter Dichter, und das darf man wohl von diesem Skribifax, der in solch jämmerlichem, unbehilflichem Stile etwas wiedererzählt, nicht annehmen. Irgend etwas Wahres ist stets daran.« Nobody griff wieder nach dem verächtlich fortgeschleuderten Blatte, faltete es auseinander und las jenen Artikel noch einmal, war dabei ganz in Gedanken versunken. Dann stand er auf, trat zu einer großen Wandkarte und wandte seine Aufmerksamkeit der Kalifornischen Halbinsel zu. »Sie wollen wohl wirklich nach Kalifornien?« platzte Mr. World endlich heraus, nachdem er Nobody zuerst still beobachtet hatte. Dieser drehte sich ihm wieder zu. »Allerdings!« sagte er ernst. »Um im Kalifornischen Meerbusen die unheimliche Magnetinsel aufzusuchen?!« lachte der alte Herr jetzt aus vollem Halse. »Mann, Nobody, Sie werden doch nicht auf solch ein Kindermärchen hereinfallen, das ist doch der purste Humbug!!« »Na, na, Mr. World, nun seien Sie mal gefälligst still!« entgegnete Nobody. »Wenn jemand an solche Zeitungsenten immer geglaubt hat, dann sind Sie's doch gewesen, und ich habe Mühe genug gehabt, Sie von Ihrer Leichtgläubigkeit zu kurieren, und wenn es immer nach Ihnen gegangen wäre, dann hätte ich Geld genug umsonst verfahren, und wir beide hätten uns manchmal unsterblich blamiert. Oder ist's nicht so?« Ja, so war es, und der alte Verleger schwieg beschämt. Es ist schon früher wiederholt erzählt worden, was für seltsame Ideen Mr. World manchmal hatte, wie er jedesmal, wenn die Zeitungen irgend ein Märchen auftischten, Nobody immer gleich hinschicken wollte. Es sei nur an den in Brasilien vergrabenen Hund der Donna Dingsda erinnert. »Ja, ich werde allerdings einmal einen Abstecher nach jener Gegend machen!« fuhr Nobody fort. »Ich kenne Kalifornien zur Genüge, desgleichen Mexiko, aber noch nicht die zur Republik gehörige Kalifornische Halbinsel. Morning!« Nobody hatte nach seiner Taschenuhr geblickt; nun ein leichtes Kopfnicken, und er ging. Mr. World sah ihm nach. Wohin begab sich Nobody? Vielleicht saß er fünf Minuten später, so wie er jetzt war, auf der Pacificbahn und sauste quer durch Amerika hinüber an die Küste des andern Ozeans. Das war so Nobodys Weise, wenn er etwas vorhatte, darin hatte ihn sein Verleger nun schon kennen gelernt. Aber diesmal sollte sich Mr. World geirrt haben. Wenigstens ging es jetzt nicht ganz so fix. Nobody schlenderte sogar recht langsam die Straßen entlang, und er beschleunigte erst seinen Schritt, als er plötzlich über das Pflaster hinübersteuerte. Er mußte ein bestimmtes Ziel ins Auge gefaßt haben. »Hallo, Wilhelm Petersen, wie geht's? Auch wieder einmal in New-York?« Der Angeredete war ein noch junger, untersetzter Mann, mit ein paar Schultern, deren sich Herkules nicht hätte zu schämen brauchen, durch seine Kleidung wie durch sein ganzes Aeußere den Seemann verratend, und zwar den deutschen, der etwas auf sich hält. Ohne die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen, musterte er mit seinen scharfen, blauen Augen den vor ihm stehenden, hocheleganten Herrn. »Kenne Euch nicht!« lautete dann sein Urteil. »Heliotrop, Kapitän Flederwisch - und der andre, der zur Kompanie gehört, das bin ich!« Wie Sonnenschein flog es über das offne, wettergebräunte Gesicht. »Ach, Mister ... weiß schon. Ihr wollt niemals gekannt sein. Das ist ja famos, daß ich Euch wieder einmal die Hand schütteln kann!« Und die schwielige Arbeitshand schüttelte denn auch die schlanke, aber nicht minder kräftige des andern, als sollte der Arm ausgerenkt werden. Es war zwei Jahre her, daß Nobody auf seiner eignen Jacht die Westküste Südamerikas befahren hatte. Es lag etwas Besondres vor, er hatte in alle Hafennester gucken müssen, hatte deshalb einen eignen Lotsen an Bord gebraucht. Ein deutscher Steuermann war gefunden worden, hier, der Wilhelm Petersen, welcher behauptete, die ganze Westküste wie seine Hosentasche zu kennen, und er hatte nicht geprahlt, es war an dem gewesen. Nobody hätte um alles in der Welt gern den prächtigen Menschen für immer an sich gefesselt; aber es gelang ihm nicht. Wohl war Wilhelm Petersen ein internationaler Seezigeuner gewesen, dem solch ein abenteuerliches Vagabundenleben behagte; aber gerade nach Beendigung jener Reise war etwas dazwischengekommen, was seinem ganzen Leben eine andre Richtung gab. Sein kranker Vater, ein alter pensionierter Kapitän, hatte ihn nach Hause gerufen, und auf dem Sterbebett hatte ihm der Sohn das Versprechen gegeben, von jetzt ab ein zielbewußtes Leben zu beginnen, ein deutscher Kapitän zu werden, so wie es alle Petersens gewesen waren - und um Kapitän werden zu können, brauchte Wilhelm noch einige Jahre Seefahrtszeit, und auf dem deutschen Seemannsamt gilt nur die, welche unter deutscher Flagge geleistet worden ist. Wilhelm erzählte, daß er erst gestern von einem deutschen Segler abgemustert worden sei, welcher wegen Reparatur hier in Dock gehn mußte. »Habt Ihr schon wieder angemustert?« »Behüte! Das war eine Höllenfahrt auf dem lecken Kasten, von der muß ich mich erst ein bißchen erholen.« »Hm!« brummte Nobody nachdenklich. »Wart Ihr eigentlich auch schon in Nieder-Kalifornien? Die lange Halbinsel meine ich.« »Na und ob und wie! Das heißt, ich kenne immer nur die Küsten und die Hafenstädte. Gerade an der Ostküste von Nieder-Kalifornien kenne ich jedes Loch, ebenso die gegenüberliegende Küste von Mexiko und das ganze Wasser, was dazwischen liegt. Ich bin da ein Jahr lang auf einem Marketenderschiffe gewesen, wir brauten den Pulk gleich an Bord und verkauften dieses köstliche Gesöff, das ungefähr wie faule Limonade schmeckt, an die mexikanischen Fischer.« »Auf einem Marketenderschiffe seid Ihr gewesen? Donnerwetter, da allerdings müßt Ihr dort etwas erlebt haben. Hört, ich habe die Absicht, mir einmal diese Gewässer anzusehen. Wollt Ihr mich begleiten?« Der junge Steuermann zögerte doch zuerst etwas. »Als was? Auf Eurer Jacht? Hm, ich bin ...« »Nein, mit der Pacificbahn, es ist nur eine Vergnügungstour, länger als zwei Monate darf sie nicht dauern; wir jagen mit der Pacific hin, und Ihr sollt mein Reisegesellschafter und mein Mentor sein.« »Topp, da bin ich dabei!« rief Petersen jetzt erfreut. »Gut, und da wollen wir gleich unsre Vorbereitungen treffen, dort ist ja ... einen Augenblick.« Das Gespräch hatte vor dem großen Laden eines Buchhändlers stattgefunden, der auf seinem Firmenschilde betonte, daß er auch die obligatorischen Seekarten führe, und jetzt war der Moment eingetreten, wo Nobody zu handeln begann. Er war in den Laden gesprungen, und als er wieder herauskam, hatte er eine große Spezialkarte von Süd-Kalifornien und eine nautische der kalifornischen Bucht erstanden. Die beiden Männer begaben sich in ein Hotel, wo sie ungestört über den Karten die Reise besprechen konnten, und der junge Steuermann wunderte sich nicht über diese Schnelligkeit. Er hatte Nobodys Wesen schon zur Genüge kennen gelernt und wußte, daß er jetzt nicht mehr erst lange den Koffer packen durfte. Zunächst wurde mit Hilfe der Speziallandkarte die allgemeine Reisetour festgestellt. »Was mich hauptsächlich dorthinzieht,« meinte Nobody, »ist das mexikanische Fischerleben, von dem ich schon so viel Interessantes gehört habe.« »Das lernt Ihr am besten auf den Golfinseln kennen, dort gibt es überhaupt viel Sehenswertes.« Gut, so wurden erst einmal die kleinen und großen Inseln vorgenommen, welche den kalifornischen Golf zu Hunderten erfüllen, und wenn Petersen sie auch nicht sämtlich kannte, so wußte er sich doch durch alle hindurchzufinden, das eben war für Nobody die Hauptsache; denn er gedachte ein eignes Boot zu benutzen. Auch sonst konnte der weitbefahrene Steuermann von den Inseln, welche er damals besucht hatte, viel Interessantes berichten. »Hier geht eine sehr gefährliche Wasserstraße hindurch. Wir wollen doch lieber die Seekarte zur Hand nehmen -« Bisher hatte man nur die Landkarte befragt, jetzt also wurde die ausgebreitet, welche sich nur mit den Wasser- und Küstenverhältnissen jener Gegend beschäftigte. Auf dieser sah alles ganz anders aus, die Inseln waren viel größer angegeben: in dieser Schifffahrtskarte durfte keine Klippe mit den nächsten Meerestiefen fehlen. »Von der Angeles-Insel bis nach Tiboran nehmen wir am besten einen ...« Der Steuermann wurde in seiner Erklärung unterbrochen. »Die Magnetinsel!!« rief Nobody überrascht, auf einen Punkt deutend, welcher die Bezeichnung ›Isola magneta‹ trug. Ja, die Magnetinsel war im Kalifornischen Meerbusen wirklich vorhanden! Also hatte Nobody in diesem Falle recht gehabt, wenn er gesagt, daß auch jener sinnlose Artikel in dem roten Blatte irgend einen reellen Hintergrund haben müsse. Freilich, etwa diese merkwürdige Insel aufzusuchen, um sich zu überzeugen, ob an dem Märchen wirklich etwas Wahres sein könne, daran hatte er nicht im entferntesten gedacht. Jener Artikel hatte ihn eben nur auf die Idee gebracht, einmal jene Gegend von Amerika zu besuchen, welche er noch nicht kannte, und er hatte jetzt auch gerade Zeit zu solch einer Reise. »Ja, das ist die Magnetinsel!« bestätigte Petersen. »Nur ein kleines Ding, aber mit einem hohen Berge darauf. Auf der haben wir nichts zu suchen, sie ist völlig unbewohnt.« »Weshalb unbewohnt?« »Weil nichts darauf wächst,« war die einfache Antwort. Nobody wollte vorläufig noch nichts von jenem sinnlosen Artikel sagen. »Warum heißt sie Magnetinsel? Besteht der Berg vielleicht aus Magneteisenstein?« »Gott bewahre!« lachte der junge Steuermann. »Ach, Ihr denkt wohl an die alte Sage von dem Magnetberg, der eiserne Schiffe anzieht und aus den hölzernen Schiffen wenigstens die eisernen Nägel? Das erzählen schon die Araber in Tausendundeiner Nacht, da erleidet Sindbad, der Seefahrer, Schiffbruch an solch einem Magnetfelsen, von dem er nicht wieder loskommt, und auch die deutsche Sage vom Herzog Ernst behandelt dasselbe Thema. Nee, so was gibt's nicht in der Welt. - Und doch,« fuhr Petersen, wieder ernst werdend, fort, »Ihr seht, daß diese Insel gleich mit drei Kreuzen markiert worden ist.« »Das bedeutet, daß es ein für die Schiffer ganz gefährlicher Punkt ist.« »Weil, wie Ihr seht, nicht nur die durch den Golf kreisende permanente Strömung von Norden her dagegenprallt, sondern auch noch eine seitliche, und so liegt die Insel in einem für Segelschiffe ganz gefährlichen Wirbel. Nur von Süden her könnte man sich ihr nähern; aber erstens hat ja niemand etwas auf der wüsten Insel zu suchen, und zweitens haben die mexikanischen Schiffer überhaupt einen höllischen Respekt vor der Magnetinsel, die nach der Volkssage anziehen soll, und daher ihr Name.« Aha, jetzt kam es ja. Also eine Volkssage! Wie Petersen weiter erzählte, ging dort die Fabel, daß es nicht allein die nördlichen Strömungen seien, welche die Schiffe gegen die Insel trieben, sondern das geschähe auch von Süden her, also direkt dem Strome entgegen - natürlich eine durch gar nichts bewiesene Behauptung. Da diese aber nun einmal vorhanden sei und alles daran glaube, so könne eben die Insel selbst nur eine magnetische Anziehungskraft ausüben. »Außerdem wird diese ganze Gegend« - Petersen beschrieb um den Punkt auf der Karte einen kleinen Kreis - »von den Schiffern und allem Volke der ›schlafende Tod‹ genannt. Die Schiffe hüten sich, in diese Region zu kommen. Wenn nämlich ein Schiff dahineingerät, so wird die ganze Mannschaft von einer unüberwindlichen Schlafsucht befallen. Vergebens wehrt man sich dagegen, man schläft ein, um nie wieder zu erwachen.« »Nanu!« stellte sich Nobody erstaunt. »Woher kommt denn das?« »Das kommt einfach daher, weil auf der magnetischen Insel eben der schlafende Tod herrscht,« lachte Petersen. »Diese Insel wird ja immer geheimnisvoller!« »Ja, die Leute dort unten wissen allem und jedem etwas Geheimnisvolles und Spukhaftes anzudichten, das wimmelt bei ihnen alles von Heiligen und Gespenstern.« »Wie mag denn diese Sage von dem schlafenden Tode entstanden sein?« »Quien sabe? Wer weiß es? Das ist nämlich die Antwort, die man dort unten fast auf jede Frage erhält. Quien sabe? Die Yankees nennen die Mexikaner in jener Gegend gleich die Quien sabe-Männer. Ein faules, nichtsnutziges Volk dort unten, wirklich stinkend vor Faulheit und Dummheit. Nicht einmal so weit können sie es bringen, auf der Magnetinsel einen Leuchtturm zu errichten, der die Schiffer vor der Gefahr warnt.« »Wie? Nicht einmal ein Leuchtturm ist darauf?« »Nein. ›Was hätte es für einen Zweck?‹ sagen sie. ›Das Schiff, welches in die Nähe der Magnetinsel kommt, ist doch sowieso verloren, es wird mit unwiderstehlicher Kraft angezogen, immer schneller und schneller, bis es an der felsigen Küste zerschellt: schon vorher fällt die ganze Mannschaft in einen Schlaf, aus dem es kein Erwachen gibt, und aus demselben Grunde könnte ja auch gar kein Leuchtturmwärter dort existieren, der schlafende Tod duldet nichts Lebendes auf der Insel, also man kann überhaupt gar keinen Leuchtturm dort errichten. Wer sollte ihn denn bauen? Wenn es wirklich jemandem gelingt, die Magnetinsel lebendig zu betreten, der ist doch noch nachträglich dem schlafenden Tode verfallen.‹ So wird einem erzählt, wenn man auf die Frage nicht das gewöhnliche ›Quien sabe‹ zu hören bekommt.« »Das ist ja unglaublich! Da müßte doch die Regierung eingreifen.« »Ach Gott, ach Gott, die Regierung der Republik Mexiko!« spottete Petersen. »Wenn dort unten keine Yankees wären, die den ganzen Handel in Händen haben und manchen Wandel schaffen - an der ganzen Küste des Kalifornischen Golfs gäbe es noch keinen einzigen Leuchtturm. Doch schließlich ist ein solcher auf der Magnetinsel auch gar nicht so nötig. Etwas nördlich davon liegt Santa Topina. Dieses Inselchen hat an der Südküste einen großen Leuchtturm; hier seht Ihr es ja verzeichnet, und dessen Licht reicht bei Nacht auch zur Orientierung für die umliegenden Eilande aus, zu denen die Magnetinsel gehört.« Aufmerksam betrachtete Nobody die Seekarte. »Hm. Aber die Isola magneta liegt doch gerade in der Mitte der Gruppe. Wenn die Yankees nun einmal die Erbauer der Leuchttürme sind, dann hätten sie doch einen auf der Magnetinsel errichten können. Diese energischen Leute werden sich doch nicht vor dem schlafenden Tode fürchten?« »Santa Topina ist aber insofern günstiger, weil es eine sehr fruchtbare, bevölkerte Insel ist. Auf der Magnetinsel müßten die Leuchtturmwächter immer mit Proviant versehen werden, ganz abgesehen davon, daß es schwer halten würde, für diese Geisterinsel einen Leuchtturmwärter zu bekommen.« »Und wie sind die andern umliegenden Inseln beschaffen?« »Alle mit einer reichen Vegetation bedeckt, alle stark bevölkert.« »Und auf der Magnetinsel wächst nichts?« »Gar nichts! Sie ist völlig steril.« »Wie kommt das?« »Es muß wohl an Wasser fehlen.« »Wenn es auf den benachbarten Inseln regnet, muß doch dieselbe Regenmenge auch auf die in der Mitte der Gruppe liegende Insel fallen.« »Schon recht, aber die Bodenbeschaffenheit mag eine andre sein, das Regenwasser wird sich in Spalten verlaufen, denn deren gibt es dort genug. Kurz und gut, ich habe auf der Magnetinsel auch kein Grashälmchen entdecken können.« »Was? Ihr seid wohl gar darauf gewesen?« »Einmal, jawohl.« »Und das sagt Ihr mir erst jetzt?« »Jawohl, ich bin einmal darauf gelandet, im Boote, allerdings unfreiwillig, habe ein paar Stunden auf ihr zugebracht.« »Und Ihr seid nicht eingeschlafen, um nicht wieder zu erwachen?« »Nee, das weniger!« lachte Petersen. »Die Geschichte war so. Wir erspähten einen Walfisch - das heißt, keinen mächtigen Grönlandswal, sondern so eine kleinere Sorte, wie man sie im Kalifornischen Golf genug findet, Delphinwal wird er dort genannt; sein Fleisch schmeckt ganz gut. Immerhin ist es ein ansehnliches Tier, zu angeln ist er nicht, er muß harpuniert werden, und die Jagd ist nicht ohne Gefahr. »Wir brauchten gerade frisches Fleisch, das eingesalzene konnten wir immer verkaufen, und so gingen fünf Mann ins Boot, ich als Harpunier. Es war eine heiße Jagd, der Wal ließ uns immer dicht herankommen, und dann war er wieder fort, bis ich ihn endlich doch an der Harpune hatte. Jetzt aber ging es mit Windeseile davon. Das Tier schleppte uns dem Norden zu. »›Die Isola magneta, der schlafende Tod!‹ schreit da plötzlich ein Matrose, und ehe ich es hindern kann, hat er die Leine gekappt, und der Wal verschwindet mit meiner Harpune. »Jawohl, da lag sie, seitwärts, ein niedriges Eiland, in der Mitte zu einem Berge aufsteigend. Und da merken wir auch schon, daß wir darauf zutreiben, wir sind bereits in der Ostströmung, und da hilft kein Rudern mehr, die Strömung ist stärker. Ja, ich sage Euch - wenn ich nicht gewesen wäre, die vier braunen Schufte wären über Bord gejumpt und hätten sich abgesoffen, nur aus Angst vor dem schlafenden Tode. Da habe ich einmal gemerkt, was die Einbildung tut. Wir befanden uns doch ganz einfach in einer Strömung - nein, diesmal war das keine Strömung, das mußte unbedingt die magnetische Anziehungskraft der Insel sein, die uns auf diese zutrieb, und weil ihnen nun das Märchen im Kopfe spukte, daß hier jeder von einer Müdigkeit befallen würde, die mit dem Tode endete, wollten die Kerle, weiß Gott, vor Angst einschlafen. Faktisch, so mächtig war die Einbildung! »Aber ich hatte großen Einfluß auf sie, ich war auf dem Marketenderschiff, obgleich nur Matrose, der Hauptmatador, und so gelang es mir, sie wieder lebendig zu machen, daß sie in die Hände spuckten und sich über die Riemen beugten. Gegen die Strömung konnten wir nicht ankommen. Nur ließ ich das Boot so weit südlich wie möglich antreiben. Dann mußten wir es am Lande entlangziehen, bis wir außerhalb der Strömung waren. »Da also bin ich eine Stunde auf der Insel gewesen. Es war absolut nichts zu erblicken, kein Grashalm und gar nichts. Eine schreckliche Oede! Zum Glück sahen wir in der Ferne unser Schiff treiben, bald waren wir wieder an Bord. Da hättet Ihr aber nun hören sollen, was die braunen Kreolen erzählten! Anstatt auszusagen, daß das mit der magnetischen Anziehungskraft und dem Einschlafen nur Mumpitz sei, schwuren sie hoch und heilig, von einer Strömung wäre gar keine Rede gewesen, der Magnetberg hätte sie angezogen, und nur weil sie zu ihren Heiligen gebetet hätten, seien sie nicht in den tödlichen Schlaf gefallen. Aber sie hätten schon kaum noch ihre Augen aufhalten können, sie wären von einer überwältigenden Müdigkeit befallen worden. - Seht,« schloß der junge Steuermann seinen Bericht, »auf solche Weise entsteht so eine Sage. Oder wenn die Fabel einmal da ist, dann wird schon dafür gesorgt, daß sie immer weiter verbreitet wird, indem man die Einbildung für Tatsache nimmt, und in so etwas leistet das unwissende, abergläubische Volk da unten ja großes.« »Nun,« meinte Nobody, »wir werden auch einmal dieser Isola magneta einen Besuch abstatten.« -
»Bitte, möglichst bald in Petersburg einzutreffen, zwecks Konsultation in hochwichtiger, rätselhafter Angelegenheit. Honorar \frac 12 Million Rubel bei Erfolg, 100.000 bei Mißlingen. Erbitte herzlichst größte Eile. Fürst Boris Lubanow.«
»Lord Chesterfield gibt sich die Ehre, Ew. Herrlichkeit nebst Gemahlin zu der heute nacht stattfindenden spiritistischen Seance einzuladen. Der berühmteste Spiritist der Welt, der Italiener Svengali, wird in meinem Hause vor einer geladenen Gesellschaft die Vermittlung zwischen den Anwesenden und der Geisterwelt herstellen.«»Nun, was meinst du, Ruth?« rief Francis Kingworth aus. »Sollen wir die seltsame Seance besuchen? Ich halte nicht viel vom Spiritismus, da derselbe lediglich gewissen gewinnsüchtigen Personen für ihre Zwecke und Pläne dient. Aber da Lord Chesterfield diesen Spiritisten einführen will, muß an dem Manne schon etwas sein.« »Ich bin sehr begierig, einmal einer spiritistischen Sitzung beizuwohnen,« antwortete Lady Ruth. »Aber sprich, Francis, glaubst du wirklich, daß es auch nur im entferntesten möglich ist, Verstorbene aus ihrem Grabe erstehn zu lassen?« »Ich kann das nicht annehmen, mein liebes Weib,« antwortete der Baronet; »der Körper eines Verstorbenen wird immer und ewig in seinem Grabe liegen bleiben, beziehungsweise in demselben vermodern. Die Spiritisten behaupten auch nur, daß das unsterbliche Teil, welches uns innewohnt, die Seele, die nach unserem Tode den Körper verläßt, noch einmal, ja, sogar ganz nach Wunsch zu den Lebenden zurückkehren könne. Nun, jedenfalls werden wir die Sitzung besuchen, und ich bitte dich daher, dich um elf Uhr fertig zu halten, damit wir nach dem Hause des Lords fahren können.« »Was macht man denn da für Toilette?« fragte Ruth. »Ich weiß zwar sehr gut, was mich für einen Ball, für einen Theater- oder Konzertbesuch kleidet, für eine Landpartie oder für eine Promenade; aber für eine spiritistische Seance -« »Schwarz natürlich, schwarz,« rief Francis lächelnd. »Schwarz in Schwarz!« Dann küßte er sein junges Weib auf die Stirn und wollte das Zimmer schon verlassen, als er sich noch einmal umwandte und Ruth zurief: »Apropos! Die Lady Chesterfield hat mich kürzlich gebeten, dein berühmtes, wir müssen jetzt leider sagen dein berüchtigtes Diamantenhalsband sehen zu dürfen.« »Mein Skandal mit jenem Fürsten Lubanow,« die Stimme Kingworths erzitterte leicht, als er den Namen des Fürsten aussprach, wahrscheinlich war es der Grimm über die unverschämte Behauptung, der noch in ihm nachtobte, »dieser unselige Skandal ist leider allgemein bekannt geworden, und nun will die ganze Welt deine Brillanten sehen. Tu mir also den Gefallen und lege das Halsband heute an.« »Wenn du es wünschest, lieber Mann,« rief Ruth, die noch einmal in seine Arme geeilt war und jetzt das Köpfchen an seine Schultern legte, um zärtlich zu ihm aufzuschauen, »wenn du es wünschest, daß ich das Brillantenkollier trage, so will ich es tun!« »Tust du es denn nicht gern?« Ein leiser Schauer flog über die holdselige Gestalt der Lady. »Du fragst noch? Wie könnte ich diese Brillanten nicht gern tragen? Sie sind ja mein bester, eigentlich mein einziger Schmuck, nachdem ich alles andre hingegeben habe, damit wir uns über Wasser halten können. Doch, Geliebter, ist denn gar keine Aussicht, daß sich unsre Lage einmal ändern wird?« »Warum sollte ich dich täuschen?« antwortete der Baronet. »Die Aussichten sind sehr trübe. Mein Oheim, der Lord Ravenhorst, lebt trotz seiner achtzig Jahre sehr vergnügt, und obwohl ich mich mit verzweiflungsvollen Briefen an ihn gewendet, ihn gebeten habe, er möge mir beistehn, mir schon bei Lebzeiten einen Teil meines Erbes übergeben, vermag sich dieser vom Geiz wie von einem Wahnsinn besessene Mann doch nicht von einem noch so kleinen Teil seines Vermögens zu trennen.« »So möchte ich dir einen Vorschlag machen, Geliebter! Verkaufe das Diamantenhalsband. Glaube mir, es wäre besser, wenn es aus dem Hause käme: dann werden wir vielleicht mehr Glück haben. Die Erinnerung an eine vergangene Zeit ruht wie ein Fluch auf uns.« »Wie? Du willst dich von diesen herrlichen, strahlenden Steinen trennen, meine Ruth?« stieß Francis hervor und küßte sein Weib auf Stirn und Wange. »Ich wagte dir niemals diesen Vorschlag zu machen; da du ihn jedoch nun selbst aussprichst, nun, so werde ich die Diamanten veräußern.« »Mein höchstes Kleinod ist deine Liebe!« antwortete das treue Weib und bot ihre rosigen Lippen noch einmal ihrem Gatten zum Kusse an. Dann verließ Francis seine Gemahlin, und diese eilte in ihr Boudoir. Hier öffnete sie einen kleinen geheimen Wandschrank. In diesem befand sich in einem Kasten, auf blauen Samt gebettet, das aus siebenundfünfzig herrlichen Steinen bestehende Kollier. Sie nahm den Kasten heraus und betrachtete mit seltsamen Blicken der Juwelen Pracht. »Die einzige Erinnerung!« flüsterte sie. »Fort, fort! - Ich will euch nicht mehr sehen, ihr gleißenden Steine. - Ihr seid das letzte, was mich an jene Zeit meines Lebens mahnt, die für mich begraben ist - begraben in des Wortes wahrster Bedeutung! Heute abend will ich euch zum letzten Male tragen und dann - niemals wieder.« Sie schloß das Diamantenhalsband wieder in den geheimen Wandschrank. Dann ging sie mit der Kammerfrau in ihr Boudoir, um ihre Toilette für die spiritistische Sitzung vorzubereiten.
»Als Mädchen hieß ich Komtesse Helena Szienkiewicz! »Fürst Lubanow gewann mich im Spiel meinem Vater ab! »Ich war das unglücklichste Geschöpf unter der Sonne, als dieser mir verkündete, daß ich Lubanow angehören müsse! Denn ich liebte Baronet Francis Kingworth, der damals als Attaché in Paris lebte, und den ich gelegentlich eines Besuches in der Hauptstadt kennen gelernt hatte! Aber um die Ehre meines Vaters zu retten, mußte ich sein Versprechen erfüllen! »Ich wurde Fürstin Lubanow! Doch niemals habe ich dem Fürsten wirklich angehört. Ich verstand es, ihn hinzuhalten, und endlich beschloß ich, Furchtbares zu wagen, um ihm für immer zu entgehn! »Francis verschaffte sich für schweres Geld von einem Apotheker in Petersburg einen Schlaftrunk, der alle Todessymptome an dem, der ihn genommen, gewahren ließ! Ich genoß ihn. »Man hielt mich für tot, man legte mich in einen goldenen Sarg, man bestattete mich im Erbbegräbnis der Lubanows. Aber in derselben Nacht erbrach Francis dasselbe, befreite mich, und eine weibliche Leiche, die er sich aus der Anatomie verschafft hatte, kam an meine Stelle! »Nicht mit Absicht hatte ich bei meiner Flucht aus dem Sarge das herrliche Brillantenhalsband mitgenommen, das Lubanow mir geschenkt hatte. »Ich behielt es noch, nachdem ich die Gattin Francis' geworden war. - Niemand ahnt, daß Helena Szienkiewicz noch lebt, daß die Fürstin Lubanow noch auf Erden weilt, aber ich würde gern in Wahrheit sterben, wenn ich mich von meinem geliebten Gatten trennen müßte!!«»Wackere Frau,« rief Nobody, nachdem er dieses Geständnis nicht ohne Rührung gelesen hatte. »Nein, dein Friede soll nicht gestört werden. Du bleibst Lady Ruth Kingworth, denn Nobody wird dein Geheimnis niemals verraten!!«
»Ihnen das Halsband, das Geheimnis bleibt mein!«Zufällig an demselben Tage aber empfingen Francis und Ruth die Nachricht, daß der alte, geizige Lord Ravenhorst gestorben und Francis Kingworth durch das Testament des Lords zum alleinigen Erben eingesetzt worden sei. - - - Niemals erfuhren die beiden glücklichen Menschen, welch entscheidende Rolle der berühmte Detektiv Nobody in ihrem Leben gespielt hatte. -