»Usi Johannes, der geweihte Abuna aller Lande von Habesch, im Namen des Dreieinigen Gottes Heil und Gruß an Munzinger, den Gesandten der mächtigen Königin von Inglisland. »Deinem Verlangen gemäß habe ich bei dem wortbrüchigen Tyrannen Alles gethan, Eure Zurückberufung zu erreichen und den Plan dieser schlimmen Priester von Rom zu vereiteln. Aber er ist störrig und wild wie ein Hartbeest aus der Wüste und wir Alle sind seiner Völlerei und seiner Launen müde. Auch ist er gar nicht der rechte Negus Negassi, wenn er sich auch der Abstammung von dem König Salomo rühmt, und es leben noch Manche aus der alten und ächten Königsfamilie von Habesch. Darum haben ich und unsere Freunde beschlossen, daß Du selbst reisen sollst zum Prinzen Cassa von Tigre und ihm anerbieten, daß die Inglesi ihn machen wollten an des Tyrannen Theodor Stelle zum Negus von Amhara und zum Negus Negassi aller Ras' vom Lande Habesch, von den Quellen des blauen Stroms und dem See Tzana bis zu dem Ufer des Meeres, wenn er dies Bündniß mit dem falschen Franken aufgiebt und den Abuna und die Komosars und Abbas6 gleich den Priestern der Königin der Inglesi zu achten verspricht. Wenn der Prinz Cassa innerhalb der nächsten fünf Nächte den König Theodor überfallen will, werden wir sorgen, daß keine Wachen auf den Bergen stehen und wollen Boten senden an Mesteat, die Fürstin der Wolo-Galla's, daß sie einfallen in das Land und helfen dem [132] Prinzen Cassa, bis er sie später wieder verjagen mag mit Hilfe der Inglese, weil sie Heiden sind und keine Christen. Auch wollen wir dafür Sorge tragen, daß die Schiffe der Franken innerhalb dreier Nächte verbrannt werden, damit sie dem Negus nicht Beistand leisten mit ihren Kanonen. »Möge die heilige Mariam Dich in Schutz nehmen. Schreibe das Alles der Königin der Inglese, damit sie in ihrer Großmuth Deinen und ihren Freund, den Abuna von Habesch nicht vergessen möge. - Der Bote, der dies bringt, ist ein treuer Mann und Du magst ihm vertrauen!«Der Eindruck, den die Lesung des Briefes auf den Negus machte, war wahrhaft grauenerregend. Mit auf das Höchste gespannter Aufmerksamkeit lauschte er jedem Satz - seine Augen funkelten wilder und wilder, wie die des Tigers, der bereit ist, sich auf seinen Feind zu stürzen; die Adern an seinen Schläfen schwollen dick an, die schwarze Faust umklammerte den Griff der schweren Streitaxt, als wollten die Finger sich in das eisenfeste Holz pressen - und langsam, wie ein Automat - erhob er sich von seinem Sitz, die blutunterlaufenen Augen auf den Arzt gerichtet, die Zähne aufeinandergepreßt, daß der Schaum ihm weiß die Lippen färbte, - in dieser Stellung fast der wilden Bestie gleichend, die sein Opfer bewachte. Der Kapitain Ducasse, die Offiziere waren aufgesprungen - Jeder wußte, daß ein Unglück sich ereignen würde, wenn ihm nicht Einhalt geschah. Die Arme übereinandergeschlagen stand der Kaufmann Labrosse unbeweglich und schaute auf den Negus. Der deutsche Arzt las das letzte Wort, dann faltete [133] er den Brief zusammen und richtete mit einer gewissen Trauer sein ernstes, graues Auge auf den König. Der Negus faßte mit einem krampfhaften Griff nach dem Papier und hob es hoch in der Höhe. »Weißer Mann,« kreischte er - »bei Deinem Theuersten im Himmel und auf Erden - bei unserm gemeinsamen Gott - die Worte, die Du gelesen, stehen auf dem Papier?« »Du hast es gewollt - bei dem Schatten Editha Highsons, dem theuersten Schwur, den ich leisten kann - ich las wie geschrieben steht.« Der schwarze König stieß ein Brüllen aus, das dem seines Löwen glich. »Abraham - Deine Wache ist aus! Schlimmer als Du ist dieser Mann! Abuna von Habesch - Verräther Deines Königs - fahre zur Hölle, wo sie am Tiefsten ist!« Die gewaltige Waffe wirbelte in sausendem Schwung zwei Mal um das Haupt des Negus, - dann - - - Der Abuna erwartete mit der finsteren Gleichgültigkeit des Orientalen den Schlag. Aber der Schlag fiel nicht - obschon nur eine leichte, kleine Hand ihm wehrte und den Arm des ergrimmten Mohren gefaßt hatte. Es war die Fürstin Wolkonsky[Wolchonski], welche in rascherem Entschluß, als alle die kämpf- und krieggewohnten Männer, zwischen den erzürnten Negus und sein Opfer gesprungen war. »Bist Du ein König und willst zugleich ein Henker sein? schäme Dich Mann, und erinnere Dich an die Gegenwart von Frauen.« [134] Obschon der Negus die Worte nicht verstehen konnte, da sie in französischer Sprache gesprochen worden, schien doch schon die Berührung dieser Hand einen magischen Einfluß aus ihn zu üben, und der Arm mit der furchtbaren Waffe blieb wie von Stein in der Luft, ohne niederzufallen. In diesem Augenblick erklang das Kommando des Kapitain Ducasse: »Fertig zum Feuern! - Schlagt an!« - Die Gewehre der Seesoldaten rasselten an die Wangen - die Offiziere streckten ihre Revolver schußbereit, vor, denn die Franzosen mußten natürlich glauben, daß ein allgemeines Gemetzel stattfinden würde, da verschiedene der Amhara-Krieger zu ihren Waffen gegriffen hatten, um ihr geistliches Oberhaupt zu schützen oder zu rächen. Aber ehe irgend ein weiterer Befehl gegeben werden konnte, änderte sich die Scene. Der Arm des Negus sank kraftlos herab, die schwere Streitaxt entfiel seiner Hand und traf den Löwen, der schnaubend zur Seite sprang, und die mächtige Gestalt des Negus fiel schwer und dröhnend zu Boden mit steifen Gliedern und starren weit geöffneten Augen, während ein leichter Schaum auf seine Lippen trat. Bevor sich noch Jemand dem König nähern konnte, stellte sich der Löwe Abraham quer über ihn, schlug mit dem Schweif und warf den Kopf umher, ein drohendes Gebrüll ausstoßend gleich als warne er in gewohnter Weise Jeden, den Körper seines bewußtlosen Herren zu berühren. Nur der deutsche Hakim schien davon ausgeschlossen. Er trat zu Kapitain Ducasse, indem er ein Besteck, wie [135] es die Aerzte und Wundärzte bei sich führen, aus seiner Tasche zog und sagte in französischer Sprach: »Entfernen Sie die Frauen, Herr, es ist kein Schauspiel für diese, aber bitte, bleiben Sie selbst - der König wird in wenig Minuten wieder zur Besinnung kommen, und dann der Paroxysmus, dem er leider häufig unterliegt, vorüber sein. Mein Zelt, das zweite links, wo sich bereits Ihr gelehrter Begleiter befindet, steht zur Verfügung der Damen.« Während Kapitain Ducasse den Grafen Boulbon ersuchte, die beiden Frauen dahin zu führen - der Offizier der Marine hatte Takt genug gehabt, bei der Wendung der Scene sofort die Soldaten die Gewehre absetzen zu lassen und sie zurückzuziehen, - - ging der Arzt zu dem Gefallenen, tätschelte den Löwen Abraham auf den Kopf und verband ihm die Augen, was das Thier auch, wie daran gewöhnt, willig mit sich thun ließ, indem es sich zur Seite wieder niederlegte. Dann richtete der Hakim den Oberkörper des Negus in sitzender Stellung in die Höhe, wobei er sich von El Maresch und einem anderen Krieger unterstützen ließ, entblößte seinen linken Arm und schlug ihm leicht eine Ader. Ein Strom von dunklem Blut, das ein Sklave in einem silbernen Becken auffing, sprang hervor; nach wenig Augenblicken verlor der Blick des Königs die bisherige grauenvolle Starrheit und bekam Leben und Bewußtsein, und die Glieder begannen ihre Steife zu verlieren und sich zu regen. Der Arzt schloß sofort die Wunde und verband den Arm des Negus. Der König hob die rechte Hand zur [136] Stirn, strich ein paar Mal über das Gesicht und sah mit immer größerem Verständniß umher - die Erinnerung schien ihm nach und nach wiederzukehren, denn als sein Blick den Platz streifte, an dem vorher der Abuna den Todesstreich erwartete, wurde sein Antlitz wieder finster - doch sagte er Nichts. Der Abuna und seine Geistlichen hatten längst das Zelt verlassen. Als der Negus den Löwen noch mit verbundenen Augen sah, lachte er. »Ha - Abraham! bei den heiligen Märtyrern, es ist gut, daß man Dich gehindert, mein Blut zu sehen - Du möchtest sonst nicht so geduldig gewesen sein. Nimm' ihm die Binde ab, Freund Hakim, und empfange Dank dafür, daß Du mir so schnell wieder geholfen. Die verteufelte Krankheit macht mir das Hirn wirr!« Er richtete sich mit dem Beistand der Krieger wieder empor, dehnte mit Ausnahme des verwundeten Armes die kräftigen Glieder und nickte den französischen Offizieren. »Komm' her, Consul, Deine Freunde sollen sehen, daß der Negus Theodor Gerechtigkeit übt. Sage es auch der Frau, deren schwache Hand vorhin den Löwen von Habesch zu lähmen verstanden hat, denn es liegt mir an ihrer Meinung. Sie hat den Muth der Königin Myrina,7 von der die Legenden erzählen, daß sie am See Tritonis gewohnt hat und die Männer besiegte. Sie möge sehen, daß der Sohn des Königs Salomo auch jene Weisheit [137] geerbt hat, die sich für einen großen König ziemt. - Hast Du den Vertrag, den der Sultan von Frangistan mit dem treulosen Ras von Tigre und dem Naïb von Arkiko schloß, hier?« »Ja, Hoheit!« »So gieb ihn her - fürchte nichts Schlimmes dafür!« Der Consul zog, nachdem er einen Blick der Frage und des Einverständnisses mit dem jüngeren Jesuiten gewechselt hatte, den Vertrag hervor und legte ihn auf den Tisch. »Schreibe darunter in Deiner und unserer Sprache, daß der Negus Negassi als Oberherr alles Gebietes die Bai von Adulis dem Sultan der Franken schenkt und den Unterthanen des Sultans und den Priestern von Rom wieder gestattet, in seinem ganzen Gebiet sich niederzulassen und Handel zu treiben gegen das gewöhnliche Kopfgeld.« Der Consul entwarf hastig den Nachtrag auf dem Dokument und las ihn dem Negus vor. »So - nun gieb her, daß ich im Namen des Dreieinigen Gottes ihn unterzeichne. Zündet das Wachs an, daß ich mein königliches Siegel darauf setze.« Er nahm die dargebotene Rohrfeder aus der Hand seines Schreibers und zeichnete den Schnörkel unter das Papier, der für seinen Namenszug galt. Dann ließ er seine beiden ersten Offiziere ihre Namen darunter malen und das Siegel des großen goldenen Ringes darauf drücken, den er am Daumen seiner linken Hand trug. »Nehmt,« sagte er zu dem Kapitain - »und haltet Euer Versprechen, damit der Negus Negassi nicht Ursach' habe, Euch für schurkische Inglese zu halten und sein [138] Vertrauen zu bereuen. Verkündet den Entschluß des Negus Negassi dem Volke und laßt uns den Abend feiern in Lust und Jubel, denn wer weiß, was der nächste bringt.« Der Ausgang schien alle Theile gleich zu befriedigen, denn der Mord des Abuna, so offenbare Beweise seines Verraths gegen den Negus auch vorlagen, hätte leicht sehr schlimme Folgen haben und einen großen Theil des Volkes zum Aufruhr reizen können. Nur wer den Negus genauer kannte und beobachtete, wie der deutsche Arzt, wußte an dem Zwinkern seiner Augenlider gegen seine Vertrautesten, daß noch nicht Alles vorüber war. Plötzlich ertönten zwei hell erdröhnende Schläge auf ein unsichtbares Gongh, das im Orient meist die Stelle der Glocken vertritt, und die hinteren Vorhänge des Zeltes rauschten auseinander. Die Priesterschaft der halbwilden Völkerschaften von Habesch ist nicht minder schlau und gewandt, wenn es ihr Interesse gilt, als die der civilisirten Christenheit! Man sah, daß das Zelt des Negus fast unmittelbar vor dem Portal der hinter ihm liegenden, halb in den Felsen hineingebauten Kirche errichtet oder wenigstens mit diesem verbunden war. Die Pforten standen weit geöffnet, und man sah in das Innere der Kirche bis zu dem von Wachsfackeln erleuchteten Sanctuarium, in welchem der Altar in Form der alttestamentarischen Bundeslade stand. Vor dem Altar aber stand der Abuna, die Monstranz erhoben, und um ihn her die Komosars, die Weltgeistlichen, und die Abbas oder Schriftgelehrten nebst den Mönchen von der Congregation des heiligen Antonius, [139] die den Zug des Negus aus dem hohen Gebirgslande hierher begleitet, oder sich hier um den Abuna gesammelt hatten, während um sie her ihre Weiber und Kinder auf den Knieen lagen, vor dem Oberpriester die beiden Frauen des Königs, Durenesch, das »weiße Gold«, die Tochter Ubie's, und die zweite Frau Tamena, die frühere Wittwe eines Uedjo-Chefs, mit ihren Sklavinnen. Der Abuna erhob die goldstrahlende, mit reichen Edelsteinen geschmückte Monstranz und rief: Agape! und die Priester wiederholten den bei den ersten Christen so willkommenen und später so verfehmten Aufruf, zu dem schon von dem Concilium zu Laodicea (363) und zu Hippo (395) durch den heiligen Augustin so streng verbotenen, von den orientalischen Kirchen aber vielfach öffentlich oder im Geheimen begangenen Liebesmahl. Und Männer und Weiber wiederholen den Ruf »Agape! Agape!« während der Abuna die Monstranz erhoben, gefolgt von den Priestern und Weibern und zahlreichem Volke durch die Kirche und das Zelt schritt, mit dem heiligen Zeichen der Hostie alle Kniee beugend, und dann hinaus durch die Gassen des Lagers, zwischen den Versen des Chorgesanges immer den Ruf zu dem Liebes- und Versöhnungsmahl wiederholend. Knirschend hatte der Negus Knie und Haupt vor dem Allerheiligsten gebeugt, er wußte, daß er jetzt keine Macht hatte gegen den falschen, treulosen Priester und sich der heidnischen Sitte des Opfermahls fügen mußte. Nur der Löwe Abraham fühlte keinen Respekt, und mischte seine Stimme in grimmigem Gebrüll zu dem Chor der Gläubigen, als der Priester, den er vorhin bewacht, an ihm [140] vorüberschritt. Der Negus aber preßte, als jener vorüber war, die schwarze Hand seines Feldherrn Fittorari: »Halte Alles bereit, daß wir morgen früh aufbrechen können, gegen Cassa zu ziehen. Der falsche Priester wird der Boten mehr haben, als den, der den Römlingen in die Hände gefallen ist. Wehe ihm - der heutige Tag ist ihm nicht geschenkt!«
Chella 'mpresa de Savoia: E' la 'mpresa de ladrone![210]
Mentre i 'mpresa de Borbone: Longhe giglie e purità!
Manuè se vuo fa u Rè: Va a Turine siente a mé.
»und das Träumen selbst - ein Traum!« |
Aus dem Tagebuch des Lieutenants Baron von Ch... |
Max von Waldenfels an Otto von Cronenberg. |
»Maria, heil'ge, bitt' für mich[239]
Und nimm mich zu Dir in Dein himmlisch Leben!«
An General Gialdini Excellenz. |
Max von Waldenfels an Otto von Cronenberg. |
Inhalt der Büchse: »An den ersten Offizier der königsgetreuen Garnison von Gaëta!« |
Aus dem Tagebuch des Lieutenants Baron von Ch... |
Vollmacht für den Offizial des geistlichen Gerichts José Romero. |
Besagter Romero hat sich mit zwei sicheren Begleitern nach Sevilla zu begeben und gegen Vorzeigung dieser Ordre an den Inquisitor Don Manuel Teralba aus dem Gefängniß des geistlichen Gerichts die Gefangene, welche den Namen Fernanda und die Nummer 9 führt, in Empfang zu nehmen. Besagte Gefangene ist in verschlossener Kutsche von Sevilla nach Madrid zu führen und der hochwürdigen Aebtissin in dem Kloster der Salesianerinnen zu übergeben. - Besagter José Romero hat dafür zu sorgen, daß die Gefangene unterwegs mit keinem Menschen außer ihm selbst Worte wechselt, und ist befugt, jeden Zwang außer unmittelbarer Tödtung gegen die Gefangene zur Verhütung solchen Verkehrs anzuwenden. Er steht mit seinem Kopf für genaue Befolgung dieser Vorschriften und die Person der Gefangenen. Gegeben zu Madrid, den 20. April 1846. C.«»Ah - bei den Salesianerinnen! - Nun der kleine Beitrag zu den Geschäften der unbeschützten frommen Frauen vom Berge Carmel ist nicht so übel - schade nur, daß seitdem vierzehn Jahre verflossen sind! - [364] Bah - was kümmern uns die vergangenen Geschichten - wir haben genug mit der Gegenwart zu thun!« Der Graf notirte sich einige Namen und Daten, legte das Portefeuille sorgfältig zum Trocknen aus, nachdem er das zuletzt darin gefundene Papier eingeschlossen, und schellte seinem Leibdiener. In kürzester Zeit war seine Toilette beendet und er schickte sich an, seinen Gast aus London aufzusuchen. Die Conferenz der Beiden dauerte beinahe eine Stunde. Es wurden die Möglichkeiten des Aufstandes erwogen, der allerdings vorläufig in Madrid sich nur auf eine Emeute beschränken mußte, deren glücklicher Erfolg die allgemeine Erhebung in den baskischen Provinzen und Navarra einleiten sollte. Man verbarg sich nicht, daß ein Sturz des Ministeriums in diesem Augenblick den Marschall Narvaez wieder an die Spitze bringen würde, den alten Bekämpfer der Carlisten, - doch lagen andererseits die Zeitverhältnisse so günstig, und der Eindruck, den der verunglückte Versuch des General Ortiz und die Gefangennehmung und Rechtsentsagung der beiden Infanten auf die Anhänger der carlistischen Sache gemacht hatte, war so schädlich, daß eine kräftigere Demonstration gemacht werden mußte, wenn die Anhänglichkeit und der Eifer der Partei wieder geweckt und gekräftigt werden sollte. »Wenn Sie es wirklich möglich machen,« sagte Oberst Leizell, »jenes Dokument, von dem Sie sprechen, zu beschaffen, - würde die Erhebung auch in der diplomatischen Welt eine besondere Bedeutung erhalten. Ich habe Ihnen [365] bereits gesagt, daß man in England dem Prinzen Geld und Waffen zugesagt hat; die Einmischung Herrn O'Donnel[l]s in die italienische Frage zu Gunsten der Bourbonen und die französischen Intriguen, die dem König Victor Emanuel einen Stein nach dem andern in den Weg warfen, sind offenbar die Ursach dieser augenblicklichen englischen Sympathien für die carlistische Sache; - aber das kümmert uns nicht, wir müssen die augenblicklichen Chancen und Alliirten benutzen - so lange sie günstig sind. Später können wir mit der Curie und Frankreich, unseren natürlichen Bundesgenossen, uns vertragen. Das sind die allgemeinen Gesichtspunkte. Im Speziellen läßt der Prinz Sie dringend bitten, keinen Ihrer gewöhnlichen unbedachten Streiche zu machen und namentlich nicht Prim zu vertrauen.« Don Juan lächelte. »Der Graf von Reuß,« sagte er, »wird Sr. Königl. Hoheit wahrscheinlich keinen Kopfschmerz machen; - der Prinz kann ohne Besorgniß sein!« »Warum?« »Ja Oberst, das ist wieder mein Geheimniß. Die Königin hat gestern Abend Herrn Serrano nach Cuba geschickt, und der General Prim wird nächstens gleichfalls Spanien für einige Zeit verlassen.« »Desto besser - wenn ich auch den Zusammenhang noch nicht weiß. Wenn es Ihnen also gelingt, sich jenes Dokumentes zu bemächtigen, mit welchem der Infant auch den Schutz der Curie wieder gewinnen muß, - wie und wo soll es der Prinz erhalten?« »Ich glaube Oberst, ich habe Ihnen schon gesagt, [366] daß ich beabsichtige, es selbst nach Genua oder Triest zu bringen.« Der Vertraute des Infanten stampfte unwillig mit dem Fuß. »Aber ich machte Sie bereits darauf aufmerksam, daß der Graf Montemolin unmöglich mehr mitzählen kann - daß der Prinz jetzt der einzige legitime Vertreter ist!« »Der König ist der König! - Sr. Majestät wird ja leicht, da er keine Kinder hat, zu einer Thronentsagung zu Gunsten seines dritten Bruders, unsers sehr geliebten Prinzen Don Juan, zu bewegen sein. Die Thronentsagungen sind ja in der Familie Mode!« »Sie wird unzweifelhaft erfolgen, aber wir - die Freunde und Anhänger des Prinzen brauchen sie doch wohl nicht erst abzuwarten, sollte ich meinen! - doch - wie Sie wollen. Sie wissen, daß der Prinz sich für das Schicksal eines alten Anhängers seines Bruders und Vaters, Castillos mit Namen, interessirt, dem man hier den Prozeß gemacht hat.« »Und verurtheilt zu den Galeeren! Sorgen Sie nicht! der Sennor Castillos gehört auch zu meinen besonderen Freunden und wird am nächsten Mittwoch Abend nicht auf die Galeeren, sondern nach Biscaya gehen. Ich bürge Ihnen mit meinem Wort dafür und habe alle Anstalten getroffen. Wenn Sie Sr. Gnaden den Bischof sehen, sagen Sie ihm das, damit er Anstalten zur Sicherung des Flüchtigen nimmt.« »So wäre auch dies geordnet und ich kann Madrid verlassen.« [367] »Ohne Sorge. Sie werden in Barcelona unter der bekannten Adresse von mir hören. Brauchen Sie noch irgend eine Sicherung Ihrer Reise, Oberst? denn ich werde Sie schwerlich heute noch sehen können, so ist meine Zeit bis zum Abend in Anspruch genommen.« »Ich danke Ihnen - ich bin in keiner Weise gefährdet und mit genügenden Papieren versehen.« »Dann leben Sie wohl und legen Sie dem Infanten meine Ergebenheit zu Füßen. So bald er seine Fahne in Biscaya erhoben, bin ich bei ihm.« Die Männer schüttelten sich die Hände und der Graf verließ seinen Gast. In seinem Gemach angekommen ließ er sich von Mauro das Packet reichen, das der alte Antiquar gebracht, prüfte die alten Drucke, die es enthielt und machte sich dann auf den Weg nach dem Königlichen Palast. Das Schloß von Madrid liegt auf der Westseite der Stadt, auf der Terrasse, die nach dem Manzanares und den Alleen hinabfällt, welche den jardin del Campo del Moro umziehen. Es steht an der Stelle des alten Alcazars der Mauren und bildet ein gewaltiges Viereck von strenger Architectur. Es ist nach dem Brande von 1734 neu aufgeführt, 470 Fuß lang und ebenso breit und 100 Fuß hoch mit plattem Dach, im Innern auf das Kostbarste, namentlich mit herrlichen Gemälden von Tizian, Murillo, Mengs und anderen großen Künstlern fast bis zur Ueberladung geschmückt. Breite aus Granitquadern erbaute Terrassen und weite Durchfahrten, die auf den großen Vorhof führen, erstrecken sich zu beiden Seiten desselben [368] nach der Armeria, der berühmten Waffensammlung am andern Ende des Platzes. Die Nordseite mit ihren gewaltigen Massen ist den tiefer liegenden sehr weitläuftigen Gebäulichkeiten des Königlichen Marstalles zugewendet. Der große innere Hof mit der prächtigen gigantischen Haupttreppe gewährt einen wirklich großartigen Anblick. Vor dem Palast liegt der Plaza del Oriente mit seinen Gartenanlagen. Auf der Nordseile ist der Palast von der Artillerie-Kaserne, der Cuartel de San Gil gedeckt, deren Kanonen die vor der Front entlang laufende Calle de Baylen nöthigenfalls vollständig bestreichen. Die Artillerie hat in allen Pronunciamentos der letzten fünfzig Jahre eine entscheidende Rolle gespielt. Der Graf, der zu dem Gang eine einfache etwas ernstere Toilette gemacht und eine dem entsprechende Miene aufgesetzt hatte, ging über den Palasthof und nach einer Thür, die im Winkel desselben zu einer Seitentreppe in die oberen Stockwerke führte, ohne den großen Aufgang zu berühren. Er wandte sich an den ersten Lakaien, der ihm begegnete. »Würden Sie die Güte haben, Sennor Castellan, mir gegen Vergütung Ihrer Bemühung die Wohnung des Sennor Archivario und Bibliothekar Don Rafaël Cervantes zu zeigen?« Die Standeserhöhung und das in Aussicht gestellte Douceur machten das Mitglied der sonst durch Anmaßung und Unhöflichkeit sehr berüchtigten Lakaienzunft sofort geschmeidig und der Mann geleitete den Grafen zwei Treppen hoch nach dem Flügel, in welchem sich das Königl. [369] Hausarchiv befindet, und belehrte ihn dabei - was der Graf längst wußte -, daß der berühmte Archivar Ihrer Majestät ein absonderlich seltsamer Hagestolz und Gelehrter sei, der neben dem Archiv zwei Kammern bewohnte, die nur selten einer der Archivdiener reinigen dürfe, und daß er den Palast im Winter fast niemals, im Sommer nur an den Tagen der großen Stiergefechte verlasse, von denen er ein leidenschaftlicher Liebhaber sei. An der Thür des Archivs klopfte der Lakai nach Empfang eines reichlichen Trinkgeldes so lange und so heftig, bis sich schlurfende Tritte hören ließen und eine mürrische Stimme frug, wer so viel ungebührlichen Lärmen mache? »Das ist der Sennor Archivario selber,« sagte der Lakai, »und damit Gott befohlen Euer Gnaden und gute Verrichtung mit dem alten Bücherwurm.« Die Thür wurde geöffnet und der junge Lebemann befand sich einer Erscheinung gegenüber, die mit Ausnahme der Länge - denn der Archivar war eine kleine vertrocknete Figur - viel Aehnliches mit dem Antiquar Tormina hatte. Ein alter Schlafrock umschlotterte den kurzen dürren Körper, ein Paar große Brillengläser verbargen die Augen und der Ausdruck des Gesichts war ein höchst verdrießlicher, als er mit knarrender Stimme frug, was man wolle. Der Graf verbeugte sich überaus höflich. »Nach der großen Aehnlichkeit mit dem Standbild des größten Dichters unseres schönen Vaterlandes, das den Platz der Cortes ziert,« sagte er verbindlich - »habe ich die Ehre, dem Nachkommen desselben, dem berühmten Bibliomanen und [370] Gelehrten Sennor Don Rafaël Cervantes selbst gegenüber zu stehen?« Der Bibliothekar verbeugte sich sehr geschmeichelt - die eingebildete Abstammung von dem Verfasser des Don Quixote war eine seiner Hauptschwächen, und die schlaue Begrüßung gewann daher sogleich sein Herz. »Euer Gnaden zu dienen, mein Name ist Rafaël Cervantes, und wenn ich auch nicht den geringsten Anspruch mache, mit meinem berühmten Ahnherrn in Vergleich zu treten, so darf ich doch hoffen, ein nicht ganz unwürdiger Erbe seines Namens in der spanischen Literatur zu sein. - Darf ich Euer Gnaden bitten, näher zu treten und mir den Grund der Ehre Ihres Besuchs mitzutheilen?« »Ich bin der Graf Juan da Lerida, Sennor,« sagte der Schlaue, der alsbald der Einladung gefolgt war, - »ein Verehrer der hohen und wichtigen Studien, denen Sie mit so großem Ruhm Ihre kostbare Zeit gewidmet haben, und ich möchte die Gelegenheit benutzen, daß ich mit einem Erlaubnißschein unserer allergnädigsten Königin hierher komme, zu der Instruction eines Erbschafts-Prozesses die Urkunden des Königlichen Archivs einzusehen, um bei Ihrer Autorität und Gelehrsamkeit mich über einige merkwürdige alte Drucke zu unterrichten, die ich aus dem Familienerbe besitze.« Der würdige Archivar spitzte die Ohren wie ein Schlachtroß beim Klang der Trompete, als er von alten Drucken hörte. »Euer Gnaden meinen doch nicht - wollen Euer [371] Gnaden mir nicht die Ehre erweisen, Platz zu nehmen? - Sie meinen doch nicht gar spanische Incurables?« »Es befinden sich deren - so viel ich mich erinnere - auch eine hübsche Anzahl unter der Sammlung, namentlich aus Lima, Mexico und den Niederlanden. Ich habe da ein Paar der Schriften zu mir gesteckt, wie sie oben auf in dem damit angefüllten Kasten mir zur Hand lagen.« - Er reichte ihm ein Paar Hefte, deren Aussehen schon von ihrem Alter zeugte, und die der Gelehrte mit großer Sorgfalt ergriff. »Heiliger Laurentio - was sehen meine Augen! - das ist ein veritabler Druck des Wapene Martijn, des berühmten niederländischen Dichters Jacob Maerlant, gestorben im Jahre 1300 zu Damm bei Brügge, gedruckt zu Antwerpen im Jahre 1496. - O welcher Schatz, welcher Schatz!« »Wenn er Ihnen Vergnügen macht, Sennor Don Rafaël, so bitte ich um die Ehre, das Buch Ihrer Privat-Bibliothek einzuverleiben.« Der alte Bibliomane sah ihn fast bestürzt an - eine solche Verschleuderung eines Schatzes war ihm wahrscheinlich noch nicht vorgekommen. »Eheu - ist das Euer Gnaden Ernst?« »Das versteht sich! ich habe der Sachen genug und hoffe, daß Ihnen Einiges Vergnügen machen wird, da ich Sie leider der Dokumente meines Prozesses wegen öfter belästigen muß!« Der Archivar hatte sich erhoben und ging mit ausgebreiteten Armen auf den Conde zu. »Erlauben mir [372] Euer Gnaden, daß ich Sie umarme für dies großmüthige Geschenk und seien Sie versichert, daß es mir stets eine Ehre sein wird, Sie zu empfangen und Alles zu Ihrer Verfügung zu stellen, was meine Pflicht erlaubt. O wie will ich den Ignoranten, diesen Antiquar Urbano Tormina in Grund und Boden schlagen mit diesem von mir entdeckten Schatz!« - »Vielleicht,« sagte lächelnd der Graf - »mag dieser Elzevir, wie man mir sagt, Drusii Ebraicorum, gedruckt zu Leiden 1553 mit dazu beitragen!« Er hielt ihm das Buch hin. Der Archivar starrte ihn an. - »Sennor Conde - wäre es möglich? Sie sind in Besitz eines solchen Schatzes? Ahnen Sie auch, junger Mann, daß dieses Buch, von dessen Existenz ich bis jetzt nur durch Pieter's 1851 zu Gent erschienene >Annales< wußte - allen Streit der Gelehrten über die Frage des ersten Elzevirs beseitigt? - Ihro Majestät die Königin muß wissen, in Besitz welcher Schätze ein Privatmann ihres Reichs ist!« »Ich bitte, Sennor Don Rafaël, lassen Sie die Königin aus dem Spiel,« sagte eiligst der Graf, - »es würde mich das nur geniren und unseren Verkehr beschränken. Ich bin ohnehin so beschäftigt mit den Vorbereitungen des großen Stiergefechts, welches die Cavaliere der diplomatischen Gesellschaft zu Ehren der Schwangerschaft Ihrer Majestät in nächster Woche veranstalten.« »Ein Stiergefecht - im Winter? Euer Gnaden sind auch ein Liebhaber der edlen Tauromachie?« »Gewiß, Sennor Don Rafaël, und ich hoffe selbst [373] dabei einen Stier zu tödten. - Das Wetter ist schön, und die Corrida soll bei Gasbeleuchtung statt finden, wozu bereits alle Anstalten im Circus getroffen werden. Die Herren Pucheta und Redondo, die ersten lebenden Espada's der Welt, haben versprochen, die Leitung der Quadrillas zu übernehmen. Das Schauspiel ist natürlich bloß für den Königlichen Hof und die geladene Gesellschaft.« Der Archivario schlug sich vor den Kopf. »O ich Unglücklicher, ich werde das schönste Schauspiel nicht sehen!« »Warum das? Es wird mir ein Vergnügen machen, Ihnen Billets zur Disposition zu stellen!« Wiederum umarmte begeistert der Archivar seinen Besuch. »Sennor Conde, Sie sind in Wahrheit ein Gott! Wie werde ich solche Großmuth vergelten können?!« »Mit Ihrer Freundschaft Sennor Don Rafaël! - Aber würden Sie nun wohl die Güte haben, mich mit der Einrichtung des Archivs bekannt zu machen? Es handelt sich um die Urkunden der Fueros und den Grundbesitz der freien baskischen Geschlechter, die nach dem Vertrag von Bergara nach Madrid gebracht worden sind. - Freilich wird heute meine Zeit nur erlauben, einen flüchtigen Ueberblick zu gewinnen.« »Euer Gnaden werden Alles in bester Ordnung finden, es ist mein Stolz!« erklärte der Archivario. »Belieben Sie, hier einzutreten!« und er führte seinen Gast durch mehrere große Gemächer und bezeichnete ihm mit der Geläufigkeit eines Cicerone die einzelnen Epochen [374] und Materien der hier niedergelegten Urkunden und sonstigen Schriftstücke. Sie gingen an einer Thür vorüber, von der jedoch der Archivar keine Notiz zu nehmen schien. Der Graf deutete darauf hin. »Gehören diese Räume auch zu dem Hausarchiv?« Der Archivar zog die Achseln hoch. »Einem Mann wie Euer Gnaden,« sagte er vertraulich, »einem Wohlthäter der Wissenschaft darf man die Wahrheit nicht verschweigen. Dieses Zimmer und das daran stoßende Kabinet enthalten das geheime Familien-Archiv und dürfen ohne ausdrückliche Genehmigung Ihrer Majestät nicht betreten werden. Es ist das Sterbezimmer weiland König Ferdinand VII., das Ihro Majestät die Königin Christine nicht gern mehr betreten mochte. Man hat diese Zimmerflucht daher später zum Archiv umgewandelt.« Es folgte eine Pause - den Abenteurer überkam die eigenthümliche Wendung des Zufalls - er dachte an die Mittheilung des Cura's und die Beichte der verstorbenen Camarera. »Also ein historisches Zimmer! - und darf man es nicht betreten?« »Nicht ohne den ausdrücklichen Befehl der Königin!« »Und wenn ich diese Erlaubniß hätte?« Der Archivar sah ihn erstaunt an. »Euer Gnaden scheinen zwar in hohem Vertrauen zu stehen, da man Ihnen gestattet, die Akten des Archivs zu benutzen, indeß - -« Don Juan hatte das zweite Papier, das ihm die Herzogin gegeben, aus dem Portefeuille gezogen und dem [375] Archivario überreicht. »Sie werden sich überzeugen, Sennor Don Rafaël!« Der Archivar nahm und prüfte es sorgfältig. »Euer Gnaden wollen meine Weigerung von vorhin verzeihen. Nach dieser Erlaubniß bin ich verpflichtet, jeden Ihrer Wünsche zu erfüllen.« Er wählte von dem Schlüsselbund, das er am Gürtel trug, den passenden aus und öffnete die Thür. Es kam dem Grafen zunächst darauf an, sich mit der Lokalität bekannt zu machen, und er beschloß daher, bei diesem ersten Besuch des Archivs möglichst zurückhaltend zu sein, um kein Mißtrauen zu erregen. Er wußte jetzt, daß er die Mittel besaß, die Schwächen des Archivars für seinen Zweck auszubeuten und würde sich mit einem allgemeinen Ueberblick begnügt haben. Aber der alte Herr schien jetzt jede von seinem Amte gebotene Vorsicht für überflüssig zu halten und, bestochen von dem Benehmen des jungen Caballero und in der Aussicht, durch dessen Gefälligkeit seiner gelehrten Leidenschaft der Bibliomanie ganz unverhoffte Quellen und Schätze erschlossen zu sehen, beeiferte er sich, seinen Besucher, vor dessen Rang und Einfluß er einen ungeheuren Respekt gewonnen, mit allen, gewöhnlichen Augen verschlossenen Schätzen des Archivs bekannt zu machen. Der Raum, in dem sich Lerida jetzt befand, war ein ziemlich großes mit Ebenholz getäfeltes Zimmer, was ihm von vorn herein einen düsteren Charakter gab. Große massive Schränke und Truhen von Eichenholz umgaben die Wände, die nur von zwei Thüren unterbrochen [376] wurden, diejenige, durch welche der Graf eingetreten war und eine derselben gegenüber gelegene, die wohl verschlossen war. Dagegen vermißte der Graf sogleich die Thür zu dem kleinen Toiletten-Kabinet, das nach der Erzählung der verstorbenen Wärterin und der Mittheilung des Cura vorhanden sein mußte, wenn dies wirklich das Sterbezimmer des König Ferdinand VII. gewesen war. Die Fenster des Gemachs, von großen schweren Vorhängen verhüllt, gingen nach den Terrassen des Manzanares hinaus. »Euer Gnaden sind ein Mann,« sagte der Archivar, - »welcher die Dinge, auf welche ich mir Ihre Aufmerksamkeit zu richten erlaube, zu schätzen weiß. Es sind zwar viele der wichtigsten Dokumente und Papiere unter jener fluchwürdigen Herrschaft der ruchlosen Gavaccho's verloren gegangen, indeß noch immer genug vorhanden, um wenn sie bekannt würden, jene lächerlichen Geschichtsschreiber, die ihre Kenntniß und Weisheit aus dem elenden Wust von allerlei Bibliotheken zusammenklauben, auf das Höchste blamiren und der Weltgeschichte nicht allein Europas ein ganz anderes Kleid anziehen würden. Dieser Schrank zum Beispiel,« und er öffnete ihn, »enthält die geheimen Papiere aus der Zeit König Karl I. oder Karl V., als deutscher Kaiser, und Euer Gnaden würden sich sicher wundern, wenn Sie seine Verhandlungen mit dem heiligen Vater gegen die Inquisition oder die Papiere des Infanten Don Carlos lesen wollten, die König Philipp II. ihm in der Nacht des 18. Januar 1568 abnehmen ließ, oder den geheimen Bericht des Secretairs des Rathes [377] von Kastilien Don Pedro del Hazo, welcher ganz anders lautet, als die Prozeß-Akten im Archive von Simancas, welche der alte Thor mein Kollege Don Antonio Bermuda daselbst für die alleinigen Dokumente in dieser formidablen Geschichte ausgeben will. Euer Gnaden haben sicher das Grab des unglücklichen Infanten im Dominikaner-Nonnenkloster von El Real besucht, von dem ein deutscher Scribifax eine höchst unrichtige Geschichte zu einer Comödie gemacht haben soll?« Der Graf lächelte zustimmend. »In diesem Schrank - und das ist der Theil, der Euer Gnaden Wünschen und Nachforschungen entsprechen wird, - sind die Verhandlungen des berühmten Partagetractats unter Ludwig XIV. von Frankreich, welcher durch Testament Karl II. die jetzt in Seegen regierende hohe Familie der Bourbonen und somit unsere allergnädigste Königin auf den Thron von Spanien setzte. Hier befinden sich auch die Papiere König Philipp V[.], durch welche gegenüber den andern Provinzen der Krone die alten Freiheiten und Rechte, das heißt die Fuero's von Biscaya und Navarra anerkannt wurden. Sie wissen, daß Marschall Espartero wegen des Carlisten-Aufstands die Fuero's meist aufgehoben hat, daß sie aber durch die Gnade der jetzt regierenden Königin im Juli 1844 wieder hergestellt wurden?« »Eben aus der Zeit des Ministeriums Espartero wünsche ich einige private Dokumente nachzusuchen.« »Ich werde Euer Gnaden heraussuchen, was sich finden läßt. Ich erinnere mich übrigens, daß in den [378] geheimen Berichten an die Königin Mutter von damals der Name Ihrer Familie mehrmals genannt ist.« »Es wird von der Person meines Vaters, des ehemaligen Corregidors die Rede sein, der als Gonverneur in Mexiko eben Gelegenheit hatte, verschiedene altspanische Drucke zu sammeln, die ich Ihnen nächstens zur Disposition stelle.« Das faltenreiche Antlitz des Archivario strahlte vor Vergnügen. »Euer Gnaden überschütten mich mit Wohlwollen. Mein Haus steht zu Ihrer Verfügung.« »Wohin führt jene Thür, Sennor?« »Nach der Zimmerreihe, welche Ihre Majestät die Königin Christine während der Krankheit des hochseeligen Königs bewohnte und die seitdem leer steht.« »Im Ganzen,« warf der Graf leicht hin, »hat König Ferdinand eigentlich ziemlich einfach und unbequem gewohnt; nicht einmal das gewöhnliche Toiletten-Kabinet neben seinem Schlafzimmer, das doch jeder wohlhabende Privatmann zu besitzen pflegt!« »Verzeihen Euer Gnaden, ein solches Kabinet ist allerdings vorhanden.« »Aber ich sehe nirgends einen Zugang.« Der Archivario lächelte schlau. »Es ist nach meiner Angabe geschlossen, weil dies Kabinet zur Aufbewahrung der wichtigsten Familien-Papiere, namentlich der Testamente unserer Erlauchten Herrscher und anderer wichtigen Dokumente dient. - Sehen Sie her.« Er trat in der Nähe des zweiten Fensters zu einem der Schränke, drückte [379] an eine hervorragende Verzierung desselben und der massive Schrank drehte sich wie eine Thür in ihren Angeln und öffnete den Eingang in ein kleines Kabinet, dessen Fenster mit massivem vergoldeten Gitterwerk verschlossen war. »Hier,« sagte Don Rafaël mit wichtiger Miene, indem er einen Wandschrank öffnete, »sind die Testamente der seeligen Majestäten bis zu dem König Karl I. hinauf verwahrt.« »Das heißt, doch nur die Abschriften oder Entwürfe, da die gültigen Originale in dem Staats-Archiv niedergelegt werden müssen.« »Quien sabe Sennor Conde,« meinte der Archivar, den Kopf bedeutsam wiegend. »Ich habe von meinem Vorgänger auf Eid und Pflicht so Manches überkommen, was schwerlich in den Registraturen des Staatsarchivs enthalten ist. Auch die Herrscher dieser Welt haben oft ihre Privat-Geheimnisse über die Gruft im Eskurial hinaus, deren Siegel nur die heilige Hand des Statthalters Gottes auf Erden brechen darf.« Der Graf war etwas bleich - die Pupille seiner Augen schien sich auszudehnen, wie bei einem Raubthier, das den Sprung auf seine Beute thun will. »Sie treiben Ihren Scherz mit mir, Sennor Don Rafaël,« sagte er mit tiefer Slimme. »Ein bloßer Beamter, sei er auch noch so gelehrt, dürfte schwerlich in die Lage kommen, sich solche Geheimnisse anvertraut zu sehen.« Der Archivar, in seiner Eitelkeit gekränkt, schob in [380] dem mittleren Fach des Wandschranks die Rückwand durch einen Druck zur Seite. »Sehen Sie da hinein, Sennor!« sagte er stolz, »was erblicken Sie?« »Nichts als einige Bündel Papiere!« »Was sie enthalten, Sennor Conde, weiß ich selbst nicht! aber wichtige Dinge müssen es sein, denn ich habe für ihre sorgfältige Verwahrung meinem Vorgänger im Amt einen Eid auf die Hostie leisten müssen. Und daß die Großen der Erde oft dem bescheidensten ihrer Diener Vertrauen schenken, möge Ihnen der Umstand beweisen, daß selbst zu meiner Zeit in meinem Verwahr schon Dokumente im Archiv niedergelegt worden sind, für deren unverletzten Verschluß ich mit meinem Kopf bürgen muß, und die ich hier verwahre.« Der Archivar schob das geheime Fach des Schrankes in seine Fugen und war im Begriff, auch den Wandschrank zu schließen, als Don Juan die Hand auf die seine legte. Einen Augenblick war der Conde in Zweifel gewesen, ob er - jung und kräftig, und allein mit dem alten Pedanten - sich nicht auf ihn stürzen und durch eine Gewaltthat sich in Besitz des unzweifelhaft dort aufbewahrten wichtigen Dokuments setzen sollte, das er dem Agenten des Infanten Don Juan Carlos zugesagt hatte. Aber schon im nächsten widerstrebte ihm dies Mittel und es kitzelte ohnedem seine Eitelkeit, lieber seiner Schlauheit den Besitz zu verdanken, als einem rohen Banditenstreich. Ueberdies - wie leicht konnte er mißlingen und ein Hilferuf zufällig gehört werden und Alles verderben! [381] Diese Ueberlegung ging mit der Schnelligkeit des Blitzes durch seine Seele. »Bei dem Kapitel historischer Merkwürdigkeiten,« sagte er mit ruhigem Ton, »fällt mir ein, daß mein Oheim Lord Heresford ein Mitglied des Roxburgh-Club war, der zu Ehren der Erwerbung der bei Valdarfer im Jahre 1471 erschienenen ersten Ausgabe des Boccaccio gegründet wurde, und daß ich in seinem Nachlaß unter Anderm dies Pergament mit altitalienischer Schrift fand, das er von dem Bibliothekar des Vaticans, dem Cardinal Angelo Mai zum Andenken erhielt, und das besonderen Werth haben soll.« Don Rafaël riß ihm fast das Pergament aus der Hand. »Heilige Jungfrau, von dem gelehrten Entdecker der wichtigsten Schriften des römischen und griechischen Alterthums! Lassen Sie sehen!« und er rannte damit zu dem Fenster. »All' ihr Heiligen - ich kann deutlich die Querschrift sehen - es ist ein Palimpsest der vollkomm[en]sten Art! - Mann Gottes - Barbar! - in Besitz welcher Schätze sind Sie und behandeln das Alles mit solcher Gleichgültigkeit! - Euer Gnaden bitte ich dringend um die Erlaubniß, dies wichtige Blatt näher untersuchen zu dürfen!« Der Graf war vor dem Wandschrank stehen geblieben, seine Hand hatte sich wie zufällig auf das Schloß der Thür gelegt, während der Gelehrte das Pergament eilig am Licht des Fensters untersuchte und für nichts Anderes Aug' und Ohr hatte. Der Graf konnte mit Gemüthlichkeit mit dem weichen ölgetränkten Wachs, das [382] er in der Hand hielt, von dem Schloß und Schlüssel des Schrankes einen Abdruck nehmen »Sie können das bequemer haben, Sennor Don Rafaël,« unterbrach er endlich die Forschung des Gelehrten. »Behalten Sie das Ding bis ich wiederkomme und sagen Sie mir dann Ihre Meinung. Ich habe Ihre Zeit ohnehin schon zu lange mißbraucht und auch die meine ist mir heute sehr zugemessen, da ich zu einem Rendezvous erwartet werde. So nehme ich denn Abschied von Ihnen mit tausend Dank für die bewiesene Gefälligkeit und den großen Genuß, den mir Ihre gelehrte Unterhaltung gewährt hat, und bitte nur um die Erlaubniß, nächstens wiederkommen zu dürfen, um meine Nachforschungen mit Ernst zu betreiben.« Der Archivar beugte sich fast bis zur Erde vor seinem neuen Mäcen. »Euer Gnaden erweisen mir die größte Ehre! - ich bin zu jeder Stunde zu Ihrer Verfügung!« Er hatte den Schrank und das Zimmer des geheimen Archivs sorgfältig wieder verschlossen und geleitete seinen Besuch bis zum Ausgang. An der Thür drehte sich der Graf noch einmal zurück. »Nicht weiter, Sennor Don Rafaël, das ist für einen Laien, wie ich zu viel Ehre von einer solchen Leuchte der Wissenschaft. - Aber - a propos - noch Eins, was mir einfällt! ich muß Sie dringend bitten, von meinem Besuch und dessen Zweck mit Niemand - auch hier im Palast nicht - zu sprechen. Wenn meine einflußreichen Gegner in dem Prozeß von der mir erwiesenen [383] Gunst der Königin und Ihrer gütigen Unterstützung dabei die geringste Ahnung erhielten, würden ihre Machinationen mir sofort die Erlaubniß des Zutritts zu entziehen wissen und ich den größten Nachtheil davon haben. Auf Ihr Wort also, Sennor?« Der Archivar hob seine Augen gen Himmel oder vielmehr zur Decke des Gemachs und legte die welke Hand betheuernd auf seine Brust. Er fühlte, welchen ungeheuren Verlust er selbst erleiden würde von der Einstellung der Besuche eines an literarischen Schätzen so reichen und damit so verschwenderisch umgehenden Mannes, des Patrons einer so merkwürdigen und verlockenden Corrida. »Auf das Ehrenwort eines Caballero, Sennor!« Die Thür schloß sich hinter dem Grafen von Lerida.
»Ein Freund, der Dir und der Frau wohl will, die Du an Deiner Seite findest, wenn Du von dem Rausch des Hadschis erwachst, den thörichte Weiber über Dich verbreitet, warnt Dich vor großer Gefahr. Die Frau, die sie eine Fürstin nennen, wird in die Hände des Negus fallen, wenn sie zu dem Schiffe der Franken zurückkehrt, denn ich kann sie nicht immer retten, und sie hat mächtige Feinde in diesem Land, wie Du selbst. Verweile an diesem Ort, bis die Nacht wieder auf die Erde sinkt, dann wird der Negus zurückgekehrt sein in die Gebirge und ich werde Deine Freunde benachrichtigen, daß sie Dich holen und nach Arkiko führen. Verweile dort nicht, und nimm die Frau mit Dir. Wenn Du nach Aegyten ziehst, so wähle den Weg durch die Wüste, denn auf dem Pfade nach Chartum harren Deiner schwere Gefahren, die Eure [426] Feinde bereiten. Zweifle nicht an diesem Rath, bei dem Gott der Christen und der heiligen Mariam, er ist von Eurem Freunde gegeben. Gott sei mit Euch. Es ist besser, dem Löwen der Wüste zu begegnen, als dem Negus Theodor. Denke daran, wenn Du in Dein Vaterland zurückkehrst und laß Dein Volk nicht geizig sein gegen die Freunde, welche die Nation der Inglese in Habesch hat.«Professor Peterlein hatte mit Aufmerksamkeit der Vorlesung des Briefes zugehört und trippelte ängstlich von einem Bein auf das andere. »Me Hercule, Freund und Schüler, was sind das Alles für unheilvolle Geschichten! Ich muß gestehen, ich verstehe eigentlich die Sache nicht recht und begreife nur, daß meinem sehr edlen Freund und Zögling eine große Gefahr droht!« »Ihm und der Lady,« sagte der Arzt. »Ich wollte wahrhaftig, ich wäre mit meinem Mammuthschädel - ich habe Ihnen von diesem wichtigen Schatz noch nicht erzählt, würdiger Freund, - auf jenem französischen Schiff, das seinen Weg in einigen Tagen nach Suez nehmen soll, obschon, wie ich gestehen muß, die Gesellschaft darauf mitunter gerade nicht die angenehmste ist!« »Wollen Sie Ihren Freund und diese junge Dame im Stich lassen? Sie haben gehört, daß Beiden dort schwere Gefahr droht. Ich versichere Sie auf meine Ehre, der Mann, der diese Warnung geschrieben, hat dies nicht ohne Grund gethan.« »Kapitain Ducasse ist ein Ehrenmann,« wandte zweifelnd der Professor ein. »Auch jener junge Mann, der Kapitain Boulbon würde sicher seine Reisegefährten [427] in Schutz nehmen, und wenn auch sein Freund Monsieur de Thérouvigne ein etwas leichtfertiger und spottsüchtiger Mensch ist, der vor Alter und Wissenschaft nicht den gebührenden Respekt hat, so zweifle ich doch keinen Augenblick ...« Ein schwerer Seufzer unterbrach ihn. Lord Frederik hob seine Hand zur Stirn und schaute mit verstörten Blicken um sich her. »Was ist mit mir geschehn - wo bin ich?« »Gott sei innig gepriesen, daß Sie endlich wieder zu sich gekommen sind, mein theurer Freund und Zögling,« rief hocherfreut der Professor, die Hand des Erwachenden ergreifend. »Ich sollte Sie eigentlich schelten, daß Sie uns Allen diese Sorge gemacht haben. Aber Jugend hat nun einmal nicht Vorsicht und Tugend, das ist ein altes Sprüchwort. Wenn Sie denn« - und die Meinung des kleinen Gelehrten kam dabei zu Tage - »unsere liebenswürdige Fürstin und Mündel im Geheimen sprechen wollten, ehe wir gemeinsam aufbrechen nach jenen Quellen des Nil, warum wandten Sie sich nicht offen an mich und ließen mich erst vergeblich Sie hier aufsuchen? Unsere Wéra wäre dann nicht in gleiche Gefahr gerathen wie Sie!« »Wéra - Wéra Tungilbi? die Fürstin Wolkonski[Wolchonski]? - was ist mit ihr? - ich habe sie gesehn in meinem Traum - wo bin ich hier? - droht der Fürstin Gefahr?« Er versuchte, aufzuspringen, doch wirkte die Betäubung des ungewohnten Hadschis noch nach, er taumelte [428] und wäre gefallen, wenn der Trapper Ralph ihn nicht gehalten hätte. »Beruhigen Sie sich, Mylord,« sagte der Arzt - »Sie sind in Sicherheit und die Dame, nach der Sie fragen, gleichfalls. Hier riechen Sie an diesem Fläschchen, es wird Ihren Kopfnerven gut thun und Ihnen bald den vollen Gebrauch Ihrer Geisteskräfte zurück geben, was - ich darf es nicht verhehlen - dringend nothwendig ist!« Der junge Pair roch an dem scharfen Salz und rieb sich die Stirn. »Ich danke Ihnen, Herr - es ist mir bereits bedeutsam freier im Kopf. Aber darf ich fragen, wer Sie sind und wie Sie Alle hierher kommen? Ich sehe Nichts mehr von jener - ich muß es zu meiner Schande sagen - eben nicht sehr passenden Gesellschaft, in die mein Vorwitz mich gerathen ließ.« »Ich habe die Ehre, Mylord,« erklärte der Professor, »Ihnen in diesem Herrn meinen Landsmann und sogar einen meiner frühesten Schüler vorzustellen, als ich noch Docent der Naturwissenschaften in Göttingen war, den Doktor medicinae Hermann Walding aus Thüringen, Leibarzt Sr. Majestät des König oder Negus Theodor von Abessynien, einen durch seinen Aufenthalt in diesem Lande äußerst qualificirten Begleiter auf unserer projectirten Reise zu den Quellen des Nil, der er sich mit Ihrer gütigen Erlaubniß anzuschließen wünscht.« »Aber wie haben Sie mich hier aufgefunden? ich muß viele Stunden in bewußtlosem Zustande zugebracht haben.« Er griff nach seiner Uhr - und erröthete, als [429] er sie nicht fand. »Ah so - ich erinnere mich und muß den Verlust auf Conto meiner Thorheit verschmerzen.« - »Mylord,« sagte der Arzt - »erlauben Sie mir, nachdem mein gelehrter Landsmann mich vorgestellt hat, einige nothwendige Worte. Wie mir Professor Peterlein erzählte, ließen Sie ihn durch einen Faluscha gestern Abend - denn der Tag ist bereits angebrochen, - aus dem Lager Ihrer französischen Reisegefährten zu dieser Ruine bescheiden.« »So ist es - der Vorwitz und einige andere Umstände veranlaßten mich, sie unterdeß zu untersuchen.« »Als Professor Peterlein, den ich begleitete, um mich Ihnen vorzustellen, Sie nicht fand, glaubten wir Sie nach Arkiko zurückgekehrt. Wir gingen dorthin, fanden Sie aber auch dort nicht und waren in großer Besorgniß, bis es diesen braven Männern unter sehr ernsten und geheimnißvollen Umständen gelang, Ihre Spur in das Innere dieser alten Felsenkapelle zu verfolgen. Wir trafen Sie in einem Zustand völliger Betäubung, wie ich aus einigen Merkmalen schloß, in Folge des ungewohnten Genusses von Opium oder Hadschis.« »Sie haben ganz recht, mein Herr, und ich bin gezwungen, meine Thorheit oder meinen Leichtsinn einzugestehen. Ich gerieth hier unten in eine Gesellschaft, wie ich glaube, ägyptischer Bayaderen oder Almen - die sich meiner Börse und Uhr bemächtigt haben - wie ich eben bemerke, hat man mir zum Glück wenigstens mein Portefeuille gelassen! - und mich mit einem versetzten Tabak oder Getränk, die ich so thöricht war, zu genießen, in [430] einen Zustand gänzlicher Geistesabwesenheit gebracht haben müssen, aus dem ich mich nur seltsamer Träume und Bilder erinnern kann, bis Sie mich glücklicher Weise aufgefunden haben. Wahrscheinlich wäre ich zu meiner Beschämung sonst erst weit später erwacht und zum Bewußtsein meiner Lage gekommen.« »Mylord,« sagte der Arzt langsam und mit Betonung jedes Wortes - »wir haben Sie nicht allein gefunden!« »Wie - sollten jene frechen zügellosen Weiber ...« »Nein, Sir - haben Sie die Güte, vor Allem diesen Brief zu lesen.« Er reichte dem Engländer das Papier. »Wir fanden ihn in Ihrer Hand - ich glaube den Schreiber zu errathen, und muß Ihnen sagen, daß ich den Inhalt von der höchsten Wichtigkeit finde, denn wir haben es für Pflicht gehalten, die Indiscretion zu begehen und ihn vor Ihnen zu lesen.« Lord Walpole nahm hastig den Brief und las ihn am Schein der dicken Wachskerze. »Was soll das bedeuten - wer ist hier gemeint?« Der Arzt nahm das Licht empor und leuchtete nach der Stelle, wo die beiden Mädchen lagen. »Sehen Sie selbst!« »Barmherziger Gott - die Fürstin! Wéra! todt!« »Nicht todt, Mylord, nur betäubt wie Sie, aber in schlimmerer Weise und von anderer Hand. Beruhigen Sie sich, Mylord, nach dem Pulsschlag, den ich hier fühle, stehe ich Ihnen dafür, daß beide Frauen in zwei Stunden zum Leben zurückgekehrt sein werden. Bis dahin aber müssen wichtige Entschlüsse gefaßt werden und muß [431] Vieles geschehen. Wollen Sie mir erlauben, Sie von dem Geschehenen, so viel ich es selbst errathen kann, näher zu unterrichten und Ihnen meinen Rath zu geben?« »Ich bitte dringend darum. Nur sagen Sie mir noch Eins. Von wem glauben Sie, daß dieser Brief herrührt?« »Von dem Abuna von Habesch, dem Patriarchen der abessynischen Christen, einem Freunde der Engländer.« Der Lord war durch diese Auskunft stutzig geworden. Mit dem raschen Feuer und Entschluß der Jugend hatte er der Warnung wenig Beachtung schenken wollen, aber der Name des Warners machte ihn nachdenken. »Ich habe von Consul Munzinger gehört, daß er ein Anhänger der Engländer und überdem ein kluger Mann sei, der Einzige, der es wagt, dem wilden und rachesüchtigen Negus die Spitze zu bieten. Ich bitte Sie, Sir, sagen Sie mir, was Sie wissen von diesen Dingen.« »Ich muß Ihr Vertrauen dabei in Anspruch nehmen, Mylord,« erklärte der Doktor, »denn es giebt Umstände dabei, über die ich Sie bitte, mir keine Fragen vorzulegen, da ein Eid mich bindet zum Schweigen. Zunächst - wie kommen diese beiden Männer in Ihren Dienst?« frug er deutsch. Der Engländer erzählte es kurz. »Ich bin ihnen bereits im Leben begegnet - fragen Sie nicht wie und wo, Mylord, ich kann es Ihnen nicht sagen. Haben Sie mit ihnen ein Engagement geschlossen?« [»]Sie haben sich verpflichtet, mir zu dienen, auf die [432] Zeit von sechs Monaten oder bis ich sie in Paris ihrem früheren Dienstherrn zurück gegeben.« »Dann können Sie sicher auf ihre Treue und ihre Dienste bauen. Ich fürchtete schon, daß es anders wäre. Dennoch, Sir, schlagen Sie jene Warnung über die Richtung unseres Zuges nicht in den Wind, denn - wenn Sie es gestatten - begleite ich Sie. Der Abuna muß auf eine oder die andere Weise sichere Kunde erhalten haben, daß man beabsichtigt, Sie zu überfallen oder zu verfolgen.« Obschon der Lord erklärte, gar keine Ursache zu haben, eine solche Gefahr befürchten zu müssen und - selbst als der Arzt ihm mitgetheilt, in welcher Weise man die beiden Frauen fern von dem Lager der Franzosen aufgefunden hatte und von seinem Verdacht, daß die Fürstin bestimmt gewesen wäre, in die Hände des Negus gespielt zu werden, - konnte sich die grade und kühne Natur des Engländers nicht mit dem Gedanken einer heimlichen Flucht befreunden. Erst als der eingeschüchterte Gelehrte ihm erklärte, daß er nur auf diese Bedingniß hin sich ihm anschließen und gern die Expedition zur Aufsuchung der Quellen des Nil daran geben wollte, und Doktor Walding ihm zu bedenken gab, ob er es auf sich nehmen könne, seine Schutzbefohlene, die Fürstin, den Anschlägen eines unbekannten aber offenbar mächtigen und mit besonderen Mitteln ausgerüsteten Feindes auszusetzen, gegen die selbst der Schutz der französischen Offiziere, wie die Erfahrung bewies, Nichts nützte, entschloß er sich, dem erhaltenen Rath zu folgen. Nur machte er zur Bedingung, daß die [433] Fürstin selbst nach ihrem Erwachen mit allen Umständen bekannt gemacht, freiwillig sich seinem Schutz anvertraue. Nachdem dies beschlossen, berieth man zunächst die Vorsichtsmaßregeln, die zu ergreifen waren, um ihren jetzigen Zufluchtsort und später die Richtung ihres Zuges zu verbergen. Es ließ sich annehmen, daß der Abuna nicht ohne Grund die unterirdische Grotte für ungefährdet erklärt hatte, eine nähere Untersuchung derselben durch die beiden Trapper ließ außerdem den Eingang zu dem unterirdischen Gange entdecken, in den man sich bei einer Gefahr zurückziehen konnte. Es ließ sich allerdings annehmen, daß die französischen Offiziere von Ehre und Pflicht getrieben eine ausgedehnte Nachforschung nach den beiden Frauen anstellen würden, sobald ihr Verschwinden erst entdeckt worden sei. Aber diese Entdeckung konnte nach der übereinstimmenden Meinung des Arztes und des Professors noch mehrere Stunden anstehen, da offenbar während der Nacht selbst ihre Entführung oder ihre Entfernung - man wußte noch nicht, was in dieser Beziehung geschehen - nicht bemerkt worden war, und schwerlich in den ersten Vormittagsstunden Jemand ihr Schlafzelt betreten würde. Unterdeß hoffte man auf das Erwachen und den eigenen Entschluß der Fürstin. - Es wurde ferner beschlossen, daß einer der Trapper mit dem Faluscha alsbald nach Arkiko zurückkehren und dort die weiteren Vorbereitungen zur Reise mit Hilfe Doktor Waldings treffen solle, der sich alsbald zu dem Lager des Negus begeben wollte, um von dort sein Pferd und sein weniges Gepäck abzuholen. [434] In gleicher Weise sollte der Professor zu dem Lager der Franzosen zurückkehren, dort erzählen, daß er den Lord in der Stadt gesprochen und sich nochmals entschlossen habe, seinen abenteuerlichen Zug durch das Land zu theilen. Einige Zeilen, die der Viscount auf ein Blatt seines Taschenbuchs an den Grafen Boulbon schrieb, sollten diesem und dem Kapitain Dank sagen für die Ueberfahrt und ihn mit den eingetretenen Verhältnissen entschuldigen, daß er diesen Dank nicht persönlich abstatte. Dadurch erhielt der Professor die Gelegenheit, sein und des Freundes Gepäck noch der Sorge des Grafen für den Transport nach Suez und Alexandrien zu befehlen oder einige nöthige Gegenstände noch mit sich zu nehmen. Der Faluscha, dem eine reiche Belohnung für sein Schweigen verheißen wurde und der sich ohne Verdacht in der Gegend umher treiben konnte, sollte einige Lebensmittel herbeischaffen und am Abend mit Adlerblick und zwei Reitthieren zurückkehren, um die Verborgenen zur Stadt zu holen. Doktor Walding empfahl dem Engländer noch einige Vorsichtsmaßregeln bei dem Erwachen der Frauen, das er als nahe bevorstehend ankündigte, und da keine Zeit zu verlieren war, um zu früher Stunde ohne beobachtet zu werden die Ruinen verlassen zu können, machten sich die dazu bestimmten vier Personen alsbald auf den Weg. Als der Arzt die Höhe der Amba erreichte, auf welcher das Lager des Negus Theodor stand, fand er dasselbe bereits in vollem Aufbruch begriffen. Die wüste Orgie der Nacht machte die meisten der wilden Krieger zwar müde und plump, sie waren aber doch zu sehr an [435] die Folgen des berauschenden Honigweins gewöhnt, um nicht auf die zum Aufbruch blasenden Hörner zu hören. Die einfachen Karren mit Ochsen bespannt wurden beladen, die Frauen und Kinder, welche wie üblich das Heer begleitet hatten, auf die Dromedare gepackt oder wie das Vieh vorausgetrieben und die Krieger, welche den König auf seinem Zuge gegen den Prinzen Cassa begleiten sollten, dem er hauptsächlich den von den Franzosen gezahlten Kaufpreis für die Bucht von Adulis wieder abzunehmen hoffte, machten ihre kleinen wilden, aber ausdauernden Pferde bereit oder setzten ihre Waffen in Stand. Der Arzt, der - weil wohl bekannt - unbekümmert und unbehelligt, aber mit scharfem Auge durch das Lager schritt, bemerkte den Feldherrn des Königs, Fittorari, einen umsichtigen und thätigen Mann, mit all' diesen Anstalten und Anordnungen beschäftigt, wobei der Säbel nicht selten gebraucht wurde, und ward auf seinem weitern Weg von El Maresch, dem Vertrauten des Königs, angesprochen. »Will der weise Hakim,« sagte der Mohr »uns in der That verlassen, wie mir der Negus Negassi verkündet hat? Es ist nicht gut gethan, und er möge bedenken, welche Dienste er dem Negus leisten mag.« »Ich wünsche in mein Vaterland zurückzukehren und die Gelegenheit, die sich dazu bietet, zu benutzen. Du weißt, Aga, daß ich mich in Gondar bemüht habe, einige fähige Schüler für den Heildienst unter den Kriegern des Negus auszubilden und man wird mich daher weniger vermissen.« »Der Mond ersetzt nicht das Licht der Sonne,« [436] entgegnete höflich der Mohr und fuhr dann lauernd fort: »Mein weiser Vater, der die Macht hat über das schwindende Leben, will mit dem Inglese, der mit den Franken kam und den ich auf ihrem Schiffe gesehen, auf dem Caravanenwege nach Chartum?« »Ich habe mich allerdings Lord Walpole angeschlossen und mit einem Landsmann, den ich, wie Du weißt, gestern im Zelte des Negus gefunden, die Nacht bei ihm in Arkiko zugebracht, um das Nöthige der Reise zu bereden.« »Wenn der Hakim seinen Entschluß gefaßt, so ist es gut. Ein Mann ist ein Mann. Aber sein Freund möchte ihm rathen, einen sichern Weg zu wählen, denn die Beduinen streifen durch die Wüste, und wenn sie die Karavanen zur Küste geleitet haben, plündern sie auf dem Rückweg die Reisenden. Wann gedenkt der weise Hakim seinen Zug nach Chartum anzutreten und kann ein Freund ihm behilflich sein?« Der Arzt erwiderte mit einer Gegenfrage. »Wird der Kronoffizier des Negus seinen Gebieter nicht begleiten nach Gondar? - Ich sehe, daß das Lager im Aufbruch ist.« »Der Negus hat befohlen, daß ich den Nachtrab des Heeres befehlige, um die Säumigen anzutreiben. Auch dürfen die Franken, die dort unten lagern, nicht ohne Schutz bleiben, bis sie wieder auf ihre Schiffe zurückgekehrt sind. Du selbst warst Zeuge, daß der König mit ihnen den Vertrag geschlossen hat, und El Maresch soll den Tribut ihm nachführen, den die Franken ihm dargeboten. Aber Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Freund Hakim, [437] wann Du aufzubrechen gedenkst und welchen Weg Deine Begleiter gewählt haben nach Chartum?« »Es kann wohl noch eine Woche währen, bevor alle Vorbereitungen beendet sind. Du kennst das Land, welchen Weg würdest Du rathen?« »Wenn der Inglese nach dem Sennar will, muß er am Tacatze entlang ziehen. Der andere führt durch das Betcum über den Mareb, er ist die Straße der Karavanen nach Chartum. Wenn es Dir genehm, will ich Dir einen Führer senden, der mit dem Wege vertraut ist und ihn oft gemacht hat. El Maresch wird es sich zum Glück rechnen, Dir seine Freundschaft beweisen zu können. Sage mir, wo der Mann Dich treffen soll?« »Du bist voll Güte,« antwortete der Arzt, »und ich werde mit Dank Dein Anerbieten annehmen. Aber es eilt damit nicht, der Lord wünscht nicht so bald Arkiko zu verlassen.« Unter erneueten Freundschaftsversicherungen trennten sich die beiden Männer, der Arzt, welcher zur Genüge die Treulosigkeit und Heuchelei des orientalischen Charakters kennen gelernt hatte, mit Besorgniß und Mißtrauen und zufrieden mit sich, daß er dem Abessynier keine Spur ihrer Absicht verrathen zu haben glaubte. Aber der Mohr empfand dieses Mißtrauen in noch höherem Grade. »Der Hakim redet mit gebundener Zunge,« murmelte er im Weitergehen. »Ich werde ihm morgen schon einen Homeini zusenden, damit er ihn in unsere Hände liefere, wie der Negus und der Träger des grünen Steins geboten haben. - Ich möchte wissen, ob er der [438] Bruder des Priesters Johannes ist, denn wie die Ueberlieferungen sagen, existiren nur zwei solcher Ringe, die Dai Hassan an seine obersten Jünger diesseits und jenseits des Meeres gegeben hat«, und in tiefen Betrachtungen ging der Assassine weiter. Vergeblich sah sich Doktor Walding nach dem Abuna um, die Komosar's und Ab[b]a's und selbst die Mönche vom Orden des heiligen Antonius waren wie verschwunden, wahrscheinlich aus Furcht vor dem Zorn und der Rache des Königs, sobald der Schutz des Agape vorüber war; denn es gilt für ein mehr als todeswürdiges mit ewiger Verdammniß der Seele bestraftes Verbrechen, während der Feier desselben Blut zu vergießen. Auch von den Frauen des Königs sah der Arzt nichts weiter - ihre Zelte waren abgebrochen und nur das des Negus selbst stand noch, von den schwarzen Eunuchen bewacht, die Jedem den Eintritt wehrten. So ging er denn nach dem seinen und packte hier mit seinem schwarzen Sklaven, den er als einen treuen und guten Diener längst erprobt hatte, die wenigen Sachen zusammen, die ihm nebst seinen Waffen für die Tour durch die Wüste zweckmäßig erschienen, und ließ den ersten Gehilfen rufen, den er für den Heildienst auszubilden sich bemüht hatte, während er einen Brief an den deutschen Maler Zander in Gondar schrieb, denselben, der ihn in Axum getroffen und in den Dienst des Negus gebracht hatte, worin er ihn bat, sein in Gondar zurückbleibendes Eigenthum und seine Sammlungen über Suez nach Alexandrien zu senden. Diesen Brief gab er dem Gehilfen [439] zur Besorgung und schenkte ihm das französische Besteck, die letzte Gabe des Negus, unter Hinzufügung mancher Unterweisungen für die Gesundheit des Königs. Mit seinem Gepäck und seinem vortrefflichen Pferde sandte Doktor Walding dann seinen schwarzen Diener nach Arkiko voraus, wo er ihm, wie er beschlossen, mit einem Geschenk die Freiheit geben wollte. Ziemlich ähnlich hatte Professor Peterlein es im Lager der Franzosen gefunden. Die beiden Offiziere, welche die Orgie der Abessynier besucht hatten und selbst die ihnen beigegebene Mannschaft lagen zu der frühen Stunde noch in tiefem Schlaf, Kapitain Ducasse jedoch hatte sich an Bord des Veloce begeben und der Kaufmann Labrosse ihn dahin begleitet; die Jesuitenväter aber waren vollauf beschäftigt, von den erlangten Rechten des Vertrages sofort Nutzen zu ziehen und die Anlage einer französischen Kolonie zu betreiben. Bereits wurden unter Leitung des Ingenieurs, der mit der »Imperatrice« gekommen war, auf dem erkauften Boden die Pläne einer Ansiedelung mit Befestigungen und Magazinen ausgesteckt. Niemand hatte bisher nach den beiden Frauen gefragt, die man in ihrem Zelt der Ruhe pflegend wähnte. Unter diesen Umständen begnügte sich der jeder Nachfrage gern entgehende Gelehrte, sich nach dem Dampfer rudern zu lassen, um dort einige Instrumente und sonstige Sachen an sich zu nehmen, das Uebrige aber, namentlich seinen geliebten Mammuthschädel, der weiteren Verladung nach Suez anzuempfehlen und dem Kapitain Ducasse seinen und des Lords Dank für die Ueberfahrt abzustatten, [440] der bei der freigebigen Art, mit welcher er ihre Rechnungen regulirte und dem reichen Geschenk, das er im Auftrage seines jungen Freundes für die Mannschaft zurück ließ, mit besonderer Freundlichkeit aufgenommen wurde und ihm bei der Abfahrt vom Schiff sogar ein dreimaliges Hoch der Matrosen eintrug. Den Kaufmann Labrosse, vor dem er von jeher eine gewisse Scheu und Furcht gehegt, hatte er zu seiner Freude bei diesem letzten Besuch an Bord nicht getroffen. Als das Boot aber eben vom Schiff abstieß, um ihn an den Strand von Arkiko zu führen, wäre er beinahe vor Schreck über Bord gefallen, denn an einer der Luken glaubte er ganz deutlich das schreckliche drohende Antlitz wieder zu sehen, dessen Erscheinen ihn an jenem Abend am Fenster der Deckkajüte so in Furcht gesetzt hatte. Er begann in der That sich wirklich erst sicher und ruhig zu fühlen, als am Strand zwischen dem Lärmen der arabischen Matrosen, der Handelsleute und Hamals Doktor Walding ihn empfing, der bereits eine Stunde vorher in Arkiko eingetroffen war und ihn jetzt zur Karavanserai brachte. Es war bereits den Bemühungen des umsichtigen Trappers und des Arztes mit Hilfe des Faluscha gelungen, einen großen Theil der Bedürfnisse für die Karavane herbeizuschaffen, vor Allem die nöthige Zahl und Ausrüstung der erforderlichen Reitthiere anzukaufen. Eine Berathung mit dem alten Beduinen-Scheik, dessen Enkel noch immer in ruhigem, offenbar sehr wohlthätigen Schlaf lag, hatte zu dem Resultat geführt, daß Abu Be[c]kr versprochen hatte, seinen Rückweg gleichfalls durch die nubische Wüste zu [441] nehmen und gegen reichliche Bezahlung sie zu geleiten. Da er aber nicht vor dem dritten Morgen aufbrechen konnte, schon um des kranken Knaben willen, kam man überein, daß die Gesellschaft des Lords unter Führung eines der Beduinen am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang im Stillen aufbrechen und ihren Weg allein durch das Bedja nehmen, später aber die Escorte des Scheik an einem bestimmten Punkt erwarten sollte, um unter ihrem Schutz das Langay-Gebirge zu passiren und dann den mehr von den Karavanen durchzogenen Theil der nubischen Wüste oder den Nil, der hier eine große Biegung macht, zu erreichen. Es fiel dem Arzt auf, daß der Scheikh ihn so dringend warnte, ihre Richtung zu weit nach rechts zu nehmen und ihn bat, ja nicht über das Gebirge hinaus zu gehen, ohne doch die Ursache dazu näher angeben zu wollen. Der Faluscha, den am wenigsten ein Verdacht treffen konnte, hatte wiederholt die Gegend recognoscirt und kam jetzt mit der Meldung zurück, daß in dem Lager der Franzosen eine unruhige Bewegung stattfinde - der Augenblick mußte eingetreten sein, in dem man die unerklärliche Abwesenheit der Fürstin und ihrer Dienerin bemerkt hatte. In der That war dies der Fall gewesen. Kapitain Boulbon war bald nach Mittag von seinem Schlaf erwacht, hatte den von Professor Peterlein überbrachten Brief des Engländers gefunden und zu seinem Staunen von dem Avignoten gehört, daß die Frauen noch nicht ihr Zelt verlassen hätten. Eine unbestimmte Unruhe wie von einem [442] Unglück überfiel ihn, er weckte halb gewaltsam den Freund und man rief an dem Eingang ihres Zeltes die Namen der Fürstin und ihrer Dienerin. Aber Niemand antwortete. Endlich, als Théronvigne mit dem Recht der angeblichen Verwandtschaft den Vorhang zurückzog und das Zelt geöffnet war, fand man den kleinen Raum leer. Keine Spur von einer Gewaltthat zeigte sich, die Bänder und Pflöcke des Zelttuchs waren in Ordnung und in dem ersten Staunen beachtete man es wenig, daß die meisten Stücke der Kleidung, welche Herrin und Dienerin am Tage vorher getragen hatten, im Zelte sich vorfanden. Der Husaren-Lieutenant, den schon früher der Graf von dem Briefe Lord Walpole's in Kenntniß gesetzt hatte, tobte wie ein Unsinniger. »Gieb Acht, Louis, dieser Schuft von Engländer, den Du stets vertheidigt hast, hat sie entführt. Aber bei Gott, es soll ihm nicht so hingehen und er muß mir vor die Klinge, er mag wollen oder nicht!« »Du bist ein Thor!« sagte ärgerlich Boulbon. »Zunächst wissen wir gar nicht, ob die Fürstin nicht, ohne daß man auf sie geachtet, zum >Veloce< zurückgekehrt ist, - aber selbst wenn sie auf eine unerklärliche und allerdings gerade nicht sehr höfliche Weise uns verlassen hätte, um sich Lord Walpole und dem alten Herrn anzuschließen, waren dies ihre ersten und natürlichen Begleiter und es steht uns nicht das geringste Recht zu, sie daran zu hindern. - Uebrigens ist die Sache noch nicht klar und wir werden jedenfalls von ihr hören, denn wie ich von Bonifaz weiß, hat die Fürstin diesem gestern Morgen noch eine Kassette mit bedeutenden Werthen zur Aufbewahrung [443] anvertraut. Daß die Fürstin und Tank-ki gestern Abend, als wir thörichter Weise zu dieser Orgie der Schwarzen aufbrachen, sich zur Ruhe begeben, wissen wir. Keine der Wachen hat sie überdies in der Nacht das Zelt verlassen sehen.« Der Meinung des Grafen war übrigens auch Kapitain Ducasse, als die beiden Offiziere an Bord fuhren, um sich dort nach den Verschwundenen umzusehen, oder die seltsamen Umstände ihrer Abwesenheit anzuzeigen. Der Kapitain erklärte, daß er mehr und Wichtigeres zu thun habe, als sich um zwei abenteuernde Damen, die ohnehin nicht sehr zu seinem Behagen an Bord gekommen und seine beste Kajüte usurpirt hätten, weiter zu kümmern. Monsieur Labrosse wußte durch verschiedene Winke die Meinung zu bestätigen, daß die Fürstin sich in ihrer selbständigen launenhaften Weise anders besonnen habe und dem Lord gefolgt sei, und nur auf die dringenden Bitten des Grafen ließ sich der Kapitain Ducasse herbei, ein Boot mit einem der Cadetten nach Arkiko abzusenden, um dort Nachfrage nach den Frauen zu halten; doch verbot er ernstlich, daß einer der beiden Offiziere die Fahrt dorthin mitmache. Zwei Stunden später kehrte das Boot zurück, man hatte Nichts von den Frauen in Arkiko erfahren, doch meinte der Cadet, Monsieur le Professeur hätte sich auffallender Weise nicht besonders erstaunt oder erschrocken über ihr Verschwinden gezeigt und gemeint, seine schöne, aber sehr eigenwillige Mündel werde wohl wieder, sobald es ihr beliebe, zum Vorschein kommen. Mylord Walpole [444] - für welchen Lieutenant Thérouvigne dem jungen Seemann im Geheimen ein Billet anvertraut hatte - hatte Niemand zu Gesicht bekommen - man vermuthete ihn auf der Insel Massauah. Um den festgeschlossenen Mund des falschen Labrosse zuckte ein dämonischer Hohn, als er dieser Meldung beiwohnte - er glaubte besser zu wissen, wo die Verschwundenen waren. Um so grimmiger war seine Wuth, die er doch nicht zeigen durfte, als am anderen Vormittag Graf Boulbon, den er vorher in der Nähe des Lagers mit einem Faluscha hatte sprechen sehen, mit munterem Antlitz herbeikam, zwei Briefe in der Hand und Thérouvigne, mit dem er eben sprach, schon von fern zuwinkte. »Ich sagte es ja - Nachricht von Deiner schönen Cousine, unserer Reisegefährtin. Sie hofft, uns in Paris wiederzusehen, auch Sie, Herr Labrosse!« »In Paris?« »Sie ist bereits auf dem Wege dahin, freilich auf einem etwas langweiligen und beschwerlichen! Uebrigens hast Du Recht gehabt, Madame la Princesse Wolkonski ist mit Mylord und ihrem gelehrten Verlobten auf und davon und hat die kleine Tank-ki mitgenommen. Hier ein Brief an Kapitain Ducasse mit Danksagungen und Entschuldigungen - und da, zwar an mich gerichtet, aber für Dich allerlei Aufträge, für ihre Garderobe und ihre Toilette zu sorgen. Nun, ich denke, auf ihren Kameelpromenaden wird sie nicht viel Staat machen können und hat sie daher zurückgelassen!« [445] »Unmöglich!« - Das Gesicht des Kaufmanns war fahl geworden, wie der Sand, auf dem er stand. »Warum unmöglich, Monsieur? Ueberzeugen Sie sich selbst oder hören Sie vielmehr!« Und er las in munterer Laune:
»Mein schöner Graf! Schicksal und Weiberlaune spielen seltsam! - Wenn Sie diese Zeilen lesen, sitzt Ihre ergebene Dienerin bereits auf hohem Dromedar und reitet zu Löwen- und Krokodilen-Jagden! Verzeihen Sie meinen französischen Abschied, den vielleicht Monsieur Labrosse erläutern wird, und sagen Sie ihm, ich hoffe ihn in guter Freundschaft in Paris wiederzusehen, bis dahin aber zögen ich und Tank-ki, die beiläufig ein großes Faible für Sie zu haben scheint, es vor, mit unseren beiden gesetzten Vormündern und Verehrern die Tour durch Aegypten zu machen, statt Ihnen und meinem hitzköpfigen Cousin länger zur Last zu fallen. Da man aber nicht umsonst Anspruch auf meine Verwandtschaft machen darf, so beauftrage ich Monsieur de Thérouvigne vorläufig mit dem ehrenvollen Posten meiner Kammerfrau und empfehle ihm meine zurückgelassene Garderobe, Kämme, Bürsten und Pomaden - sehen Sie, wie die wilde Sibirianka in Ihrer Gesellschaft sich bereits cultivirt hat! - Zur getreuen Fürsorge und Ablieferung in Cairo oder Alerandrien. Sollten mich und Mylord Walpole und, was Gott verhüte, unseren lieben Professor die Löwen und Krokodile nicht fressen, so bringe ich Ihnen Allen was Schönes mit - vor Allem mich selbst. Und wenn es geschieht, sollen Sie und mein kleiner eitler Vetter meine Erben sein, nachdem Ihr braver Bonifaz eine tüchtige Handvoll Sovereigns meinen wackeren Matrosen des >Veloce< gespendet hat. Also grüßt Sie Wéra Tungilbi Wolkonski.«»Wahrhaftig, der Brief ist sie selbst!« [446] Der Husaren-Offizier biß die Zähne zusammen. - »Also deshalb wartete ich heute vergeblich - fort wie eine Memme, auf und davon, ohne mir Genugthuung und Rechenschaft zu geben! - Was sagen Sie nun, mein Herr Labrosse, mit Ihren falschen Versprechungen?« Aber Monsieur Labrosse war nicht mehr dort. Die Freunde sahen ihn nur die Amba hinaufsteigen zu der Terrasse, auf der noch einzelne Zelte der Abessynier standen und eine Anzahl Pferde die mageren Mimosen abweidete.
»Bei einer Feier der gefallenen Polen hat das russische Militair das Andenken an die Schlacht von Grochow [468] ebenfalls feierlich zu begehen Wenn Gottesdienst der Polen in den Kirchen, zugleich Gottesdienst der Truppen vor den Kirchen und Gebet für die gebliebenen Brüder; sodann auf dem Grochower Schlachtfelde Manövre, feldmäßige Rüstung wie zur Schlacht.Der Okuliarnik biß die Zähne zusammen. »Verdammt sei der Wisch!« »Sie werden nun einsehen, daß von der Feier, wie Sie dieselbe beabsichtigen, nicht die Rede sein kann. Den gerüsteten Truppen gegenüber kann an die Herbeiführung eines bewaffneten Zusammenstoßes kein Gedanke sein, er würde kläglich ausfallen und die ganze Agitation compromittiren. Anders steht die Sache, wenn eine nationale friedliche Feier durch die brutale Gewalt der Polizei oder des Militairs gehindert wird. Das ist die Herausforderung, die Beleidigung des polnischen Volkes. Der passive Widerstand ist ein Märtyrerthum. Wir müssen zu Gewaltschritten reizen, aber wir müssen das Recht, uns zu beklagen, vor ganz Europa haben. Entscheiden Sie sich also, ob Sie unsern Vorschlag annehmen, oder auf Ihrem Plan beharren?« Der Okuliarnik wechselte mit dem ehemaligen Studenten einige Worte, dann sagte er: »Unter den Umständen bleibt uns nichts Anderes übrig. Wie denken Sie sich die Einleitung?« [469] »Alle Welt ist bereits avertirt, daß übermorgen eine Feier der gefallenen Söhne des Vaterlandes stattfinden soll. Bis jetzt aber ist weder Zeit noch Ort bekannt gemacht. Plakate und Ansprachen müssen daher am Montag Morgen verbreitet werden, welche die Bevölkerung zur Versammlung an bestimmten Punkten einladen. Ich schlage den Markt der Altstadt und die Abendstunde nach der Vesper vor.« »Meinetwegen - es mag sein!« »Wenn die Straßen gefüllt sind, bildet sich aus einer der Kirchen, - wir wollen sagen aus der Pauliner-Kirche, eine Procession mit nationalen Fahnen und Zeichen. Das Volk mag sich der Procession anschließen, die durch die Johannesstraße zieht und ihren Weg nach Praga zur Statthaltern nimmt. Es müßte seltsam hergehen, wenn bis dahin die Polizei sich nicht eingemischt hätte!« »Und wenn dies geschieht?« »Dann möge die Menge unbewaffneten Widerstand leisten. Wir müssen das Eingreifen des Militairs erzwingen; wir müssen Opfer haben. Erinnern Sie sich, welche Wirkung es 1848 in Berlin gemacht hat, als man die Leichen der Erschossenen auf den Bahren unter die Fenster des Königs trug. Der König bewilligte Alles - ich glaube, daß man mit dem Fürsten Gortschakoff noch bequemer fertig werden wird.« »Und ist Graf Zamoyski mit diesem Plan einverstanden? Seine Rede zur Eröffnung des landwirtschaftlichen Vereins war jämmerlich zahm!« Der Vertreter der Adelspartei überging die direkte [470] Antwort auf die Frage. »Zweifeln Sie nicht, daß der Graf sich sofort an die Spitze einer Deputation an den Statthalter stellen wird, sobald nur Ursache da ist. - Auch die Geistlichkeit wird sich an den weiteren Demonstrationen betheiligen, sobald der Plan des Märtyrerthums festgehalten wird.« »Pfaffen und Aristokraten!« murrte der starre Republikaner. »Wollen Sie nicht die Juden dazu?« »Auch deren Zutritt ist vorgesehen. Es kann Ihnen nicht unbekannt sein, daß der große Grundbesitz sie schonen muß, weil er ihnen leider tief verschuldet ist. Ihr Interesse muß daher mit der Sache der Agitation eng verflochten werden.« Der Okuliarnik hatte sich erhoben. »Hören Sie mich an, Herr,« sagte er barsch, »und bitte, überbringen Sie jedes meiner Worte Ihren Freunden, die so sehr sich hinter'm Berg halten und sich nicht compromittiren möchten. Wir sind in diesem Augenblick gezwungen, auf Ihre Vorschläge einzugehen und uns Ihren Wegen unterzuordnen. Aber ich behalte uns hiermit auf das Wort eines entschlossenen Mannes vor, in jedem Augenblick unsere Unterordnung aufzuheben und die Kugel, das Messer und den Strick zu dem großen Ziel zu benutzen, das alle Ihre Deputationen und Petitionen nicht erreichen werden. Die Befreiung Polens ist nur durch Ströme von Blut zu erkaufen, und nur Der wird ein freier Mann, der den eigenen blutigen Tod nicht scheut!« Seine Augen fielen auf den greisen Krieger, der ihn mit geisterhaftem Blick anstarrte und langsam die Hand [471] gegen ihn erhob. »Thor,« sagte er mit hohler Stimme, »was rufst Du Tod und Blut? Der Tod steht hinter Dir, aber es ist kein Blut an seinem Leibe! Du wirst nicht bluten für das Vaterland, Du wirst nicht fallen im Kampf - Deine eigene Hand giebt Dir den Tod!« Der wilde Revolutionair war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten und Blässe überzog sein Gesicht. Dann sagte er gefaßt: »Sei es - so würde ich wenigstens den russischen Henkern nicht das Schauspiel des Triumphes geben. - Aber sterben muß Jeder von uns, früher oder später, und es ist gleich, wie es geschieht, - wenn wir nur vorher als Männer gelebt und gehandelt haben. Lassen wir uns nicht anfechten durch die thörichten Phantasieen eines kindischen Greises. Wir haben Wichtigeres zu besprechen Ich übernehme die Berufung des Volks auf den Altmarkt.« »Und ich die Einleitung des Zuges - der Prozession, wie Sie es nennen,« sagte Asnik, »nur soll statt der Kreuze die Fahne mit dem weißen Adler wehen!« »Und wer soll die Prozession leiten und die Fahne tragen? - Er ist am meisten exponirt!« frug der Edelmanns »Ich!« sagte Stenko. Der Okuliarnik schüttelte den Kopf. »Nein,« sprach er, »das geht nicht. - Deine Verhaftung, Alter, würde uns nutzlos compromittiren und die Polizei hierher weisen. Ueberdies bist Du hier zu wenig bekannt, und es muß ein Individuum sein, das eine Corporation leicht erregbarer Gemüther hinter sich hat, ein Student oder ein [472] Mitglied des landwirtschaftlichen Instituts. Dich, Mann, habe ich für Besseres und für spätere Zeit bestimmt.« »Ich sehe das Zeichen des Henkers auf seiner Stirn,« murmelte wiederum der alte Krieger. »Warum laßt Ihr mich nicht in Ruhe sterben? Ich habe genug des Blutes gesehen! Keiner von Euch Allen stirbt in seinem Bett, wie es doch der Brauch der Menschen ist! Selbst jenes Weib, das mich pflegt, wird des gewaltsamen Todes sterben, und was wird dann aus dem alten Lagienki, dem Soldaten des großen Kosziusko?« Und der Greis fing an kindisch zu weinen. »Laß Deine Tochter den alten Narren zu Bett bringen, Stenko,« befahl barsch der Okuliarnik, »sein Wahnwitz stört uns!« Der alte Waldwärter rief die junge Frau, die sogleich herein kam, aber der Greis wollte sich nicht geduldig in die Kammer führen lassen. Er begann sich zu sträuben und selbst zu schreien. In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und ein junges Mädchen trat herein. Sie war ärmlich, aber reinlich gekleidet, das einfache dunkle Kleid ging bis zum Halse hinauf, ein gleichfarbiges, mit Pelz besetztes Häubchen verhüllte größtentheils ihre Haare und selbst einen Theil ihres Gesichts. Dieses hatte etwas Spitzes, Schlaues, und die kleinen klugen Augen schienen überall umher zu fahren. Das Mädchen trug eine Schwinge mit Apfelsinen und war offenbar eine jener Straßenhändlerinnen, die an den Ecken oder in den Wirthshäusern Käufer für die hesperischen Früchte aufsuchen, auch [473] oft ganz andere Früchte verkaufen, mit deren Handel oft nicht einmal gewartet wird, bis sie die Kinderschuhe ausgezogen haben. Das Mädchen setzte sogleich seinen Korb in einen Winkel und sprang auf die Streitenden zu. »Laß doch den Vater Lagienki, Mutter! Ich will ihn zur Ruhe bringen, Du weißt, er folgt mir am Besten!« »Meinetwegen, er muß zu Bett! - Und Du, Taugenichts, warum kommst Du nicht eher?« »Schelten Sie Ihre Tochter nicht, Frau Sowak,« sagte begütigend der Student - »sie bringt vielleicht Nachrichten aus der Stadt. Ich wußte gar nicht, daß Sie auch eine Tochter haben!« Das Mädchen, dem der greise Soldat ohne jeden Widerstand und es auf den Kopf tätschelnd und liebkosend sogleich gefolgt war, drehte sich an der Thür der Kammer um, schnitt dem Studenten eine Fratze und spreizte die Finger an der Nase. Der Okuliarnik lachte. »Bravo - da ist es kein Wunder, daß die Polizei Dich nicht erwischt, Janko, wenn selbst ein so alter, guter Freund Dich nicht wieder erkennt!« Es war in der That der Knabe Janko, der, um sich wieder in Warschau zeigen zu können, ohne dem scharfen Auge seines guten Freundes, des Polizeikommissars Droszdowicz in den Weg zu laufen, sich in ein Mädchen verwandelt hatte, wozu seine kleine und behende [474] Gestalt ihn leicht befähigte und unter welcher Maske er sein altes Handwerk, die Spionage, fleißig weiter trieb. Der Knabe kam jetzt aus der Kammer herein, setzte sich zu den Männern an den Tisch und schenkte sich ohne zu fragen ein Glas Rum ein. »Nun, Bursche,« frug der Abgeordnete der republikanischen Comités, »wie steht's - hast Du die Plakate untergebracht?« »Alle - bis auf fünf. Da sind sie noch, lieber Pan.« Und er wies auf seine Schwinge mit den Früchten. »Aber das ist gefährlich - sie müßten blind sein, wenn sie sie da in dem offenen Korbe nicht sehen sollten. Du darfst nicht zu viel auf Dein Glück und Deine Gewandtheit vertrauen.« »Sie müßten bessere Nasen haben, als sie in der Wirklichkeit besitzen!« lachte der Junge. »Sehen Sie her!« Und er holte die Schwinge, hielt sie ihm unter die Nase und rief mit weinerlicher Fistelstimme: »Apelzynye! Apelzynye! kaufen Sie Apfelsinen, ich habe eine Mutter und fünf hungernde Geschwister zu ernähren!« »Schlingel - wagst Du Deinen Spott mit mir zu treiben?« »Die Mutter Gottes bewahre mich davor! Aber so nehmen Sie doch, Pan! - Nein - diese nicht! die ist nicht schön genug für Sie!« Der Okuliarnik hatte in der That eine der Früchte genommen und warf ein Stück Geld dafür in den Korb. [475] Der Junge lachte wie toll. »Wollen Sie nicht den süßen Inhalt probiren?« Jetzt erst wurde der Republikaner aufmerksam und untersuchte die Frucht näher. Sie bestand nur aus den geschickt zusammengefügten Schaalen und enthielt im Innern jene Flugblätter des Revolutions-Comités, deren Verbreitung die Polizei so sorgfältig nachspürte. Er wandte sich mit finsterm Stolz zu dem Edelmann. »Glauben Sie denn, Herr! wo schon das Kind des Volkes mit einer Klugheit, die selbst den geprüften Mann beschämt, seine Freiheit und sein Leben einsetzt, um der Sache der Freiheit zu dienen, - daß dieses Volk in einem gerechten Kampfe um seine höchsten Güter besiegt werden kann, wenn es nicht durch Verrath geschieht?! Ich sage Ihnen, Herr, dieser Knabe und seine Mutter haben bereits mehr für die Revolution gethan und mehr Muth gezeigt, als fünfzig von den Aristokraten, die jetzt in der Statthalterei tagen!« »Was treibt die Frau?« »Sie ist Feinwäscherin und bedient viele russische Offiziere, die nicht in den Kasernen wohnen. Mehr als eine wichtige Nachricht verdanken wir ihr bereits, und dieser Knabe hat mehr als einmal gewagt, mit ihr bis in die Wohnungen unserer gefährlichsten Feinde zu dringen!« Der Edelmann nahm einen Rubel aus der Tasche und warf ihn dem verkleideten Mädchen zu. »Da - das für Dich, Junge!« [476] Der Knabe fing das Geldstück auf, - aber er bedankte sich nicht. »Weißt Du was Neues, Pan? und Du, Großvater?« »Nein.« »Der Graf ist in Warschau.« »Der Graf? - welcher Graf?« »Mein Graf, der mich aus den Zähnen der Wölfe gerettet hat.« »Graf Oginski? - Du wirst Dich irren. Er ist längst jenseits der Gränze, - der Verräther, der uns hinderte, diesem Schurken Droszdowicz das Handwerk für immer zu legen!« »Du lügst, Pan!« sagte der Knabe mit einer gewissen Energie. »Mein Graf ist kein Verräther, er ist ein so guter Pole wie Du und ich!« »Schlingel - sei nicht unverschämt! - Wo willst Du ihn getroffen haben?« »Vor dem Hospital zum Herzen Jesu.« »Und hast Du ihn angesprochen?« »Ich wagte es nicht, Pan, in der Verkleidung. Der Herr sah sehr traurig aus!« »Hm! - die Marowska liegt noch dort! Man könnte durch sie auf ihn wirken!« murmelte der Okuliarnik. »Warum bist Du ihm nicht nachgegangen?« »Versteht sich bin ich's, aber die kaukasischen Reiter kamen die Straße entlang und trennten uns, und als sie vorüber waren, sah ich ihn nicht mehr.« »Nun - ich denke, Du kannst ihn morgen wieder an der nämlichen Stelle erwarten, wo Du ihn heute [477] trafst, und dann sieh' zu, daß Du erfährst, wo er wohnt; denn bei der Menge von Fremden, die jetzt in Warschau sind, ist dies keine leichte Sache.« »Wenn Sie den Grafen Hyp[p]olit von Oginski meinen, den Neffen des Grafen Czatanowski im Posenschen,« sagte der Fremde, »so kann ich Ihnen Auskunft geben, wo er wohnt.« »Sie würden mich verbinden, Herr.« »Der Graf wohnt, so viel ich gehört, im Hôtel d'Angleterre, im dritten Stock, in einer Stube nach dem Hofe, die er durch Vermittelung eines Freundes noch erhalten.« »Unter seinem Namen?« »Er hat einen preußischen Paß auf den Namen seines Verwandten. - Und nun glaube ich, hätten wir uns über das Nöthigste verständigt und ich kann dem Comité die Versicherung bringen, daß die Clubs mit uns einverstanden sind und einstweilen die Sache in unsere Hände legen?« Der Okuliarnik verbeugte sich schweigend. »Sollte noch eine Besprechung nothwendig sein - wohin darf ich Ihnen Nachricht geben?« »Unter der gewöhnlichen Adresse unseres Verkehrs mit dem Central-Comité.« Der Fremde lächelte. »Es scheint, daß Sie mir nicht gerade Vertrauen schenken.« »Ich habe ebenso wenig die Ehre, Ihren Namen zu kennen.« »Dobre! bleibe es denn so. Und nun - Gutenacht!« [478] Stenko rief seine Tochter, die rasch herbeikam, um den Fremden hinaus zu geleiten. Die Thür war kaum hinter ihm zugefallen, als der Okuliarnik sich zu dem Knaben wandte. »Rasch, Junge, den Weiberrock aus und Deine Jacke an. Du mußt sehen, wo er hingeht und bleibt. Durch den Garten und das Eckhaus - dann siehst Du ihn grade herauskommen!« Wie ein Blitz hatte der Junge die Röcke abgestreift, eine weite Pelzjacke übergeworfen. Der Okuliarnik hatte unterdeß das Fenster geöffnet, und während Janko noch die pelzbesetzte Mütze tief über den Kopf zog, hob er ihn bereits hinaus. Der Waldwärter schüttelte den Kopf. »Verstehe das Alles nicht,« sagte er. »Kennt Ihr den Mann nicht, wenn Ihr so Wichtiges zu verhandeln habt, wo's um Kopf und Kragen geht?« »Er hatte das Losungswort. Wir trauen den Aristokraten nur so weit wir sie sehen! Es ist gut, wenn wir seinen Namen wissen, den unseren braucht er vorläufig nicht zu kennen.« Er klopfte den Alten auf die Schulter. »Begnüge Dich damit, daß Du Deine Tochter wieder gefunden, und kümmere Dich um das Andere nicht. Ich sage Dir, Alter - auch Deine Zeit wird kommen und dann mach's ebenso kurz mit Deinem Handeln, wie Du's mit den Reden machst!«Auf Allerhöchsten Befehl Der Kriegsminister, General der Art., General-Adjutant Souchozanett.«