Erstes Kapitel

Langsam senkte sich der Sonnenball, einer riesigen Feuerkugel gleich, dem Horizonte zu, und übergoß mit einer Flut rötlichen Lichtes die unabsehbar sich ausdehnende Ebene, deren Grenzen mit der Luft sich zu verschmelzen schienen.
    Kein Baum, kein Strauch zeigte sich dem Auge, Gras nur, Prärie- und hartes Büffelgras entsproß sterilem Boden, der oftmals an umfangreichen Stellen, ohne jeden Pflanzenschmuck, kahl und nackt zutage trat, und so den Eindruck trostloser Oede noch verstärkte.
    Wolkenlos spannte sich der Himmel aus, und sein eintöniges Blau erhöhte die Monotonie des Ganzen.
    Kein Laut ließ sich hier vernehmen, das animalische Leben schien erstorben, Schweigen des Todes herrschte überall.
    In der Ausdehnung der Fläche, welche der Blick zu umfassen vermochte, der Einförmigkeit der Bodengestaltung, der tiefen Stille, lag etwas furchtbar Großes.
    Es war die Majestät des Schreckens, die hier auf der Wüste lagerte. Nur das scheidende Tagesgestirn umhüllte in goldigem Schimmer alles mit dem Scheine warmen Lebens.
    Inmitten der Einöde bewegten sich drei Reiter langsam nach Norden zu, kaum vernehmbar war der Pferdehuf auf dem Steppengras, und das Schweigen ringsumher schien seine Wirkung auch auf sie auszuüben, denn wortlos ritten sie einher.
    Zwei von ihnen waren Männer, deren Art die Prairien weiter nördlich und östlich häufig zeigten, wo nach Tausenden von Köpfen zählende Rinderherden, die Sommer und Winter im Freien bleiben, die kühnen, abgehärteten Hirten erfordern, welche sie dem Besitzer bewachen und bewahren. Die Tracht: der breitrandige Hut, der hohe Stiefel, die Art der Bewaffnung, besonders aber die kurzgestielte Peitsche mit der weitreichenden schweren Schnur, die sie im Gürtel trugen, kennzeichneten sie als Cowboys.
    Die von Wind und Wetter gebräunten Gesichter der beiden Männer waren keineswegs vertrauenerweckend, und dürften den ihnen in der Einsamkeit der Wüste begegnenden friedlichen Wanderer wohl um seine Sicherheit besorgt gemacht haben.
    Der eine war von langer Gestalt, und das Gesicht mit dem adlerartigen Profil, aus dem zwei dunkle Augen blitzten, trug einen verwegenen Ausdruck, der durch eine Narbe, die sich von der Stirne bis zur Wange herabzog, bis sie in dem stoppeligen Barte verschwand, keineswegs gemildert ward.
    Die Erscheinung des anderen, eines Burschen, untersetzt, breitschultrig, mit massivem Kopfe und breitem Antlitz, bildete ein durchaus nicht angenehmes Seitenstück zu der seines langen Gefährten; die wilde Kühnheit auf dessen Gesicht war hier durch den Ausdruck roher Grausamkeit ersetzt.
    Bewaffnet waren die unheimlichen Gesellen mit langen Büchsen, die sie vor sich, quer über den Sattel gelegt, trugen, mit Messer und Pistolen im Gürtel.
    Zwischen den beiden rauhen, furchteinflößenden Gestalten ritt ein schlanker Knabe, welcher wohl kaum mehr als sechzehn Jahre zählen mochte. Um ein hübsches, aber sehr bleiches Gesicht hing langes kastanienbraunes Haar, das wellig hernieder fiel auf einen zerfetzten und beschmutzten Hemdkragen.
    Gekleidet war er in eine kurzen Jacke und lange Beinkleider von feinem, dunkelblauem Tuch, die aber, wie das gestickte Hemd, Spuren mühseliger Wanderung zeigten.
    Matt war die Haltung des Knaben, traurig der Ausdruck des blassen Gesichts, und das umflorte Auge richtete sich von Zeit zu Zeit wie fragend nach dem Himmel.
    Schweigend ritten die drei noch eine Weile fort, bis der Lange die Stille mit den Worten unterbrach: "Müssen uns hier ein Nachtlager suchen, Jim, erreichen den Arkansas nicht mehr."
    "Meinetwegen", brummte der andre, wie es schien, übel gelaunt; "denke, sind weit genug in der Steppe."
    Dem Knaben schien bei diesen Worten ein Schauder zu erfassen, und seine Blicke flogen ängstlich von einem seiner Begleiter zum andern.
    Der Lange entgegnete nichts, nur suchte sein Auge umher. Als es auf einem dunklen Punkte haftete, der, einem Erdhaufen gleich, sich unfern erhob, sprengte er dahin, und bald hielt er neben dem Kadaver eines Büffels, der fast zur Hälfte schon von den gefräßigen Prairiewölfen verzehrt war.
    Er pfiff und sein Gefährte galoppierte zu ihm.
    Der Knabe hielt sein Pferd an, und wenn die beiden Cowboys nach ihm hingeblickt hätten, konnten sie gewahren, wie er, die Hände gefaltet, zum Himmel blickte und seine Lippen sich bewegten.
    "Will dir was sagen, Ben", sagte mit rauher, doch unterdrückter Stimme der Jim angeredete Mann, "habe deine Sentimentalität jetzt satt, sind weit genug in der Wüste. Heute abend jage ich ihm eine Kugel durch den Kopf, und die Sache ist abgemacht."
    Der andre blickte einen Augenblick vor sich nieder, richtete dann die dunklen Augen auf seinen Gefährten und entgegnete gedämpften Tones: "Geht mir gegen die Natur, Jim. Ist ein Kind - sage dir, geht mir gegen die Natur. Wär's ein Bursche mit 'ner Büchse in der Hand, wollte ich ihm geschwind hinhelfen - aber, ist ein waffenloses Kind, Jim, schäme mich, sage dir, schäme mich."
    "Hättest dann das Geschäft gar nicht übernehmen sollen."
    "Habe es mir so nicht gedacht - und sind hundert Dollar viel Geld - aber hätt's nicht übernommen, wenn ich gewußt hätte, wie schwer es ist, mit ruhigem Blute ein Kind zu töten. Hat mancher mein Messer gespürt oder meine Kugel, aber waren Männer und ich dabei im Zorn oder in Selbstverteidigung. Sage dir, ist das dort ein Kind."
    "Nun, und was soll nun geschehen? Wollen wir das Bürschchen wieder zurückbringen? He?"
    Der lange Ben dachte einen Augenblick nach und sagte dann: "Will dir was sagen, Fellow, sind hier in einer Einöde - auf hundert Meilen kein Mensch - nicht einmal eine schleichende Rothaut - lassen den Jungen hier - mag's dann gehen wie's will."
    "Unnütze Grausamkeit, eine Kugel ist Barmherzigkeit dagegen."
    "Mag sein, kann's nicht übers Herz bringen. Habe das Kind beten hören -"
    Der andre lachte roh auf, aber Ben fuhr, ohne es zu beachten, fort: "Fiel mir ein, daß ich auf dem Schoße meiner Mutter auch einmal gebetet habe, sage dir, Jim, wollen ihn hier allein lassen -"
    "Na, meinetwegen, wenn das dein weiches Herz beruhigt, mag's sein. Aber sagt dir der Büffel nicht, daß Jäger in der Nähe waren?"
    "Nein. Das Tier ist von der Herde versprengt und von den Coyotes totgehetzt. Hier kommen weder Büffel noch Jäger her."
    "Well, bin einverstanden, lassen den Jungen hier - nur fort aus dieser elenden Steppe."
    Schweigend ritten sie hierauf zurück zu dem ergeben harrenden Knaben, den eben die letzten Strahlen der sinkenden Sonne beschienen.
    "Wollen hier zur Nacht bleiben, Master Paul, sucht euch ein Plätzchen, können heute den Arkansas nicht erreichen."
    Gehorsam stieg der Knabe ab. Ihm folgten hierin die beiden Männer. Die Pferde wurden abgesattelt, angepflockt, und alle drei ließen sich auf wollenen Decken nieder, die sie von den Sätteln genommen hatten, der Knabe etwas abseits von den Gefährten.
    Sie zogen Mundvorrat hervor, bestehend aus gedörrtem Fleisch und Maisbrot. Ben bot dem Knaben Speise, die dieser auch nahm und langsam zu verzehren begann, während Jim aus seiner Satteltasche eine Blechflasche hervorholte, und mit deren stark duftenden Inhalt sein Mahl würzte. Ein gleiches tat auch der Lange.
    Nachdem er einen herzhaften Schluck genommen, bot er sie dem Knaben; dieser wollte sie zurückweisen, aber ein rauhes: "Wird's bald!" veranlaßte ihn, einen Schluck des feurigen Trankes zu nehmen. Hustend gab er dann die Flasche zurück.
    Bald hatten die Männer ihr frugales Mahl beendet. Die Nacht war völlig herabgesunken und Jim zog den Sattel heran, und streckte sich, diesen als Kopfkissen benutzend, zur Ruhe aus. Bald verkündete sein Schnarchen, daß er schlief.
    Ben saß noch aufrecht.
    Nach einer Weile sagte er zu dem Knaben: "Legt euch nieder, Master Paul, und schlaft."
    Mit sanfter Stimme fragte dieser dann: "Wo führt ihr mich hin? Was habt ihr mit mir vor?"
    "Werdet alles erfahren, wenn wir morgen den Arkansas erreichen; macht euch keine Sorgen - geschieht euch nichts - wird sich alles aufklären."
    Paul schwieg und sah zu dem Sternenhimmel empor, von dem die fernen Welten in heiterem Glanze herunterleuchteten.
    Ben saß noch aufrecht und starrte vor sich hin.
    Plötzlich unterbrach er die Stille mit den Worten: "Glaubt ihr an Gott, Master Paul?"
    Der Knabe erschrak über die Frage, entgegnete aber dann in einem Tone, aus dem die innigste Überzeugung widerklang: "Oh ja, ich glaube an ihn."
    "Und daß er das Gebet der Unschuldigen hört, und auch erhört, Master?"
    "Auch das, er ist der Ewige, der Allgütige."
    Der Cowboy erwiderte nichts, sandte eine Zeitlang Dampfwolken vor sich hin, die er seiner kleinen Pfeife entlockte; klopfte sie dann aus, und sagte endlich: "Es ist gut, Master Paul", und streckte sich wie sein Gefährte zum Schlafen aus.
    Eine Zeitlang noch saß der Knabe, die Hände auf den Knieen gefaltet, da. Endlich überwältigte auch ihn die Müdigkeit, er hüllte sich in die wollene Decke, und sein Geist wandelte aus der ihn umgebenden trüben Wirklichkeit in das Land der Träume hinüber, die ihm die Heimat, das Elternhaus und all das ruhige Daseinsglück vorgaukelten, denen er rauh entrissen worden war.
    Mitternacht mochte vorüber sein, als der Ben genannte Mann sich geräuschlos erhob und sein Pferd sattelte. Dann nahm er seinem Gefährten den Sattel unter dem Kopf hinweg und legte ihn auf dessen Tier.
    Hierauf weckte er Jim, indem er ihn rüttelte.
    Dieser war rasch auf den Beinen, sein Gefährte forderte ihn leise auf, davonzureiten und dieser, einen Blick auf den ruhig schlafenden Knaben werfend, nickte und bestieg sein Roß, nachdem er die Decke, auf welcher er gelegen, auf dessen Rücken geworfen hatte.
    Ben that das Gleiche und ließ dabei, unbemerkt von dem andern, ein Stück Rauchfleisch fallen.
    Jim nahm das Tier des Knaben am Zügel, und dann ritten sie im Schritt in der Richtung, in der sie gekommen waren, davon.
    Der schlafende Knabe blieb allein in der Wüste zurück.
    In einiger Entfernung ließen die Cowboys die Rosse Galopp ansprengen, und entfernten sich nun schnell von der jetzt einsamen Lagerstätte Pauls.
    Ein dumpfes, knurrendes Geräusch ließ sie aufschauen, und sie gewahrten im Grase, nur undeutlich wahrnehmbar, hin- und hersprengende Tiergestalten.
    "Ah, zum Teufel, der Coyote!" sagte Ben und hielt sein Roß an.
    "Ja", lachte der andre in heiserem Tone, "der Coyote. Glaubst du denn, ich hätte das Milchgesicht lebendig zurückgelassen, wenn ich nicht wüßte, daß der Coyote rasch mit ihm aufräumen würde?"
    "An die Bestie hatte ich nicht gedacht."
    "Aber ich. Sahen ja, was er an dem Büffel für Arbeit gemacht hatte."
    Ben machte Miene, sein Roß zu wenden, doch Jim stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus und sagte dann: "Bist du verrückt genug, zurückzureiten, nun, so hol' dich der Teufel. Wirst übrigens wenig mehr von ihm vorfinden." Damit spornte er sein Roß und sprengte weiter.
    Nach kurzem Besinnen jagte der Lange ihm nach, indem er murmelte: "Gott mag's mir verzeihen, ich glaubte es gut zu machen", und beide verschwanden in der Nacht.
    Den fest schlafenden Knaben hatte der Fortgang seiner Begleiter nicht geweckt, er schlummerte ruhig weiter.
    Glänzend schienen die Sterne hernieder auf das einsame Kind, welches nur von dem Auge dessen erschaut wurde, der über uns alle wacht. Wohl eine Stunde mochte so vergangen sein, als heiseres Bellen und Geheul von der Gegend her drang, wo die Reste des Büffels lagen. Eiligst huschte dann ein Tier an dem Schlafenden vorüber. Ein in der Nähe des Knaben laut werdendes Geheul wurde von fernher gellend erwidert:
    War es die Kühle der Nacht, waren es die grimmigen Laute, welche ihn erweckten, der Knabe erwachte und schaute sich um. Finsternis umgab ihn.
    Er horchte - alles war still. Dann richtete er sich halb auf, und rings um ihn stoben heulend die scheuen Wüstenräuber auseinander, welche sich vorsichtig genaht hatten.
    Der Knabe sah sich nach seinen Gefährten um - sie waren verschwunden; - auch sein Pferd war fort - und aus der Dunkelheit starrten ihn die grünlich glänzenden Lichter der Steppenwölfe an.
    Paul erschrak in der Tiefe der Seele, er wußte, welche Gefahr ihm drohte, so feige der Coyote auch, besonders den Menschen gegenüber, für gewöhnlich ist.
    Der Knabe war von Natur mutig, doch lähmte ihn jetzt fast das Entsetzen.
    Heulend umkreisten ihn die Bestien. Er erhob sich ganz, und die scheuen Wölfe wichen zurück.
    Gleich darauf erhob einer seine Stimme, die andern fielen ein, und im wilden Jagen rasten sie in einiger Entfernung um Paul herum.
    Die Bewegungslosigkeit ihres Opfers machte sie dreister; sie kamen näher und näher, immer in der Runde umherjagend, und der Knabe, Todesschrecken im Gebein, unfähig, eine Bewegung zu machen, unfähig fast, zu denken, stöhnte leise: "Gott, Gott, sei mir gnädig!"
    Einer der Wölfe war ihm so nahe gekommen, daß er das Stück Fleisch, das Ben absichtlich hatte fallen lassen, erhaschen konnte und triumphierend davontrug.
    Einige der Tiere stürzten sich auf ihn, ihm die Beute zu entreißen, und bissen sich mit ihm herum - dies erregte augenscheinlich den Blutdurst der andern stärker, und schon schickten sie sich an, in wildem Anlauf ihr Opfer zu überwältigen, als aus ziemlicher Nähe, rasch aufeinanderfolgend, zwei Schüsse krachten, drei der Wölfe sich am Boden wälzten, und die andern in wilder Flucht mit Lauten des Entsetzens davonjagten und in der Nacht verschwanden.
    Der Todesschreck lagerte so bleiern auf dem Knaben, daß das freudige Gefühl, im letzten Augenblicke Rettung aus drohender Gefahr gefunden zu haben, nicht gleich aufkommen wollte. Noch stand er wie versteinert, als eine hohe Gestalt undeutlich sichtbar ward und eine Stimme sagte: "Wen haben wir denn eigentlich hier?" Gleich darauf stand ein Mann neben dem Knaben, ein Mann von ungewöhnlicher Größe, und schaute ihn aufmerksam an.
    "Ein Kind, soll mir Gott helfen; ein Kind. Haben sie dich hier allein gelassen, Junge?"
    Zu antworten vermochte Paul nicht. Das Gefühl des Schreckens, welches ihn lähmte, machte sich zunächst in einem heftigen Thränenstrome Luft.
    Geduldig wartete der Mann und lud währenddes gemächlich seine Doppelbüchse, die er eben auf die Coyotes abgefeuert hatte.
    Endlich rannen des Knaben Thränen sanfter.
    Der Fremde legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: "Beruhige dich, mein Junge, die kommen nicht wieder."
    Paul hob das Haupt empor und blickte durch seine Thränen in das über ihn gebeugte Gesicht seines Retters, das ihn freundlich anschaute.
    Nun fand er auch Worte: "Gott sei Dank", sagte er aus tiefster Seele - "Gott sei Dank - und Ihnen, Sir, - ah - Sie kamen zur rechten Zeit."
    "Sagst wahr, Kind, eine Minute später durfte ich nicht kommen."
    Paul schauderte, ja - eine Minute später hätte der Mann nicht kommen dürfen.
    "Komm, setz dich neben mich und erzähle mir, wie du in diese Wüste kommst, die selbst der wilde Heide meidet."
    Er ließ sich zur Erde nieder und Paul setzte sich neben ihn.
    Der Fremde fuhr fort: "Sehe da, schon im Abendlicht, drei Reiter in der Steppe, hier - auf diesem Ufer des Arkansas. Wundere mich um so mehr, als zwei augenscheinlich Cowboys waren; konnte aus dem dritten nicht recht klug werden, war doch zu weit davon ab. Schlendere aber langsam nach. Als es dunkel wurde, legte ich mich nieder, wache aber gegen Mitternacht auf, als die zwei Cowboys dicht an mir vorbeigaloppierten. Zwei nur? dachte ich. Wo blieb denn der Dritte. Gehen wunderliche Sachen vor in der Wüste, Kind. War neugierig, zu erfahren, was aus dem Dritten geworden sei, ging in der Richtung, aus welcher die Gesellen kamen, weiter, nun - und kam zur rechten Zeit."
    Der Knabe hatte seine Thränen getrocknet und horchte aufmerksam der Stimme des Fremden, die einen angenehmen Klang hatte.
    Er hatte nach der gewaltigen Erregung, welche die nahe Todesgefahr hervorgerufen hatte, seine Ruhe soweit wiedererlangt, daß er gesammelt antworten konnte: "Diese beiden Menschen haben mich gewaltsam hierhergeführt, Herr - aus welchen Gründen, weiß ich nicht. Was sie mit mir vorhatten, weiß ich nicht -"
    "Viel Gutes gewiß nicht", warf der Fremde ein.
    "Ich fürchtete, sie wollten mich ermorden."
    "War genau dasselbe, indem sie dich hier allein ließen - hätten die Coyotes kurzen Prozeß mit dir gemacht, und wenn die nicht - die auch selten hierherkommen, und nur von dem Büffel, den ich gestern jenseits des Flusses anschoß, hierhergelockt worden sind, so hätte dir der Hunger ein langsames Ende bereitet. Aber warum sollten dich die Burschen ermorden wollen?"
    "Ich weiß es nicht, Herr."
    "Hm, sonderbar. Muß doch einen Zweck haben, einen Jungen so weit in die trostlose Wüste zu führen, um ihn da aus dem Wege zu räumen?"
    "Ich kenne ihn nicht, Herr."
    Der Tag war langsam heraufgestiegen, und sandte bleiche Strahlen über die Steppe. Paul vermochte jetzt seinen Lebensretter genauer zu betrachten. Es war eine riesenhafte Gestalt, welche neben ihm, sich auf den Ellenbogen stützend, ausgestreckt lag. Das mächtige Haupt umgab ziemlich langes, graues Haar, welches unter einer Mütze aus Otterfell herniederfiel, das gebräunte Angesicht, von dichtem Bartwuchs eingerahmt, war gut geformt, wenn es auch die Spuren von Strapazen und eines entbehrungsreichen Lebens trug, aber sein Ausdruck war ehrlich und gutmütig, und der Blick der blauen Augen verstärkte diesen nur.
    Es war ein Gesicht, welches Vertrauen erweckte.
    Wiederum schaute der Fremde forschend in das hübsche, offene Gesicht des Knaben.
    Beide schienen mit den empfangenen Eindrücken zufrieden zu sein.
    "Ja, aber mein Junge", sagte dann der Fremde, "du bist doch alt genug, wie alt bist du denn?"
    "Sechzehn Jahre, Herr."
    "Na, also doch alt genug, um dir Gedanken darüber gemacht zu haben, weshalb man dich entführt hat."
    "Das habe ich auch, Herr. Anfänglich glaubte ich, man wolle ein Lösegeld von meinen Angehörigen erpressen, ob mir gleich das unheimliche Gebaren des einen der beiden, die mich hierherführten, Besorgnis für mein Leben einflößte. Jetzt, da sie mich hier in dieser Wüste allein zurückgelassen haben, bezweifle ich nicht mehr, daß es auf mein Leben abgesehen war. Ohne euer rechtzeitiges Eingreifen, Sir, wäre ich bereits von dieser Erde abgeschieden. Oh, ich danke euch von ganzem Herzen, ich bin doch noch zu jung, um zu sterben."
    "Wen die Götter lieb haben, rufen sie zeitig zu sich", sagte der Fremde so leise vor sich hin, daß ihn Paul nicht verstand.
    Eben leuchtete der erste rötliche Strahl der Sonne über die weite Fläche und überzog die beiden einsam weilenden Gestalten mit goldigem Schimmer.
    Beide schwiegen, ganz in den großartigen Anblick versunken, den das aufsteigende Tagesgestirn gewährte, welches die Steppe zauberisch mit seiner Lichtflut übergoß.
    Nach einer Weile erhob sich der Mann, und jetzt erst im Tageslichte, und da er aufrecht stand, konnte Paul die riesenhafte Größe dieser Gestalt, die mehr als sechs Fuß messen mochte, erkennen. Auch er erhob sich, doch ob er gleich groß für sein Alter war, kam er sich neben seinem Gefährten wie ein Zwerg vor.
    Der Fremde, in ein Jagdhemd von Büffelleder gekleidet, welches so geschmeidig und weich war, daß es sich allen Körperformen anschmiegte, zeigte in seiner äußeren Erscheinung und Bewaffnung den Jäger des Westens. War seine Haltung auch männlich kräftig, so deuteten doch das gefurchte Antlitz wie die Farbe des Haares und Bartes darauf hin, daß er die Mitte des Lebens bereits seit Jahren überschritten hatte.
    Er ließ seine Augen rings über die Prairie fliegen und richtete sie dann auf seinen jugendlichen Schützling.
    "Hast du Kraft, einen kleinen Marsch zu machen, Kind?"
    "Ja, Herr, ich bin bereit."
    "So komm, ich weile ungern hier in der verrufenen Steppe, und nur der Büffel hat mich herübergelockt; ich wollte sein Fell haben, denn ich wußte, daß er nicht weit kommen konnte. Nun haben mich die Wölfe um meine Beute betrogen. Komm, bis zum Flusse sind es nur wenig Meilen, und ich habe drüben ein Shanty. Dort kannst du dich ausruhen und mir dann deine Schicksale erzählen."
    Damit warf er die schwere Büchse über die Schulter und schritt so kräftig aus, daß der Knabe ihm nur mit Anstrengung zu folgen vermochte. Der Riese bemerkte es und mäßigte seinen Gang.
    Schweigend schritten sie eine geraume Weile nebeneinander her, bis sie endlich an das mit Büschen und Bäumen umsäumte Ufer eines breiten Flusses gelangten, der seine trüben, gelblichen Wasser in einer tiefen Einsenkung des Bodens gen Westen wälzte.
    Als sie durch einen schmalen Waldstreifen, der dicht mit Unterholz durchsetzt war, niedergestiegen waren, und am Rande des Wassers standen, gewahrte Paul in einer kleinen Ausbuchtung ein indianisches Kanoe, in welchem einige Büffelfelle lagen. Sie gingen darauf zu, und der Jäger lud durch eine Gebärde den Knaben ein, das ziemlich große Boot zu betreten, und folgte selbst nach. Es bedurfte der gewaltigen Kraft des Mannes, um das Fahrzeug quer über den breiten, rasch dahinflutenden Strom zu treiben. Doch nach kaum einer Viertelstunde landeten sie am jenseitigen Ufer, welches gleichfalls mit Schilf, Büschen und oftmals dichtstehenden Bäumen besetzt war, wie das, welches sie verlassen hatten. Der Trapper zog das Boot aufs Land und befestigte es sorgfältig noch an einem Baume. Dann nahm er die Büffelhäute auf seine mächtigen Schultern, das Ruder gab er Paul zu tragen, und schritt am Ufer hinauf, wo der Knabe nach einiger Zeit eine Blockhütte bemerkte, die von Büschen umstanden und von einigen Fichten beschattet war.
    "Das ist mein Heim", sagte der Jäger, "und nun sollst du bald die Gastfreundschaft der Wüste kennen lernen."
    Er warf die Büffelhäute ab, öffnete die unverschlossene Thür der Hütte, in welcher dem flüchtigen Blicke sich Felle, Waffen, kleine Fässer und Kisten, Blechgeschirre, ein Herd und mannigfache andre Dinge zeigten. Der Trapper wies auf einen Stapel kleingespaltenen Holzes und sagte: "Gib davon her, Junge."
    Dieser gehorchte, und bald loderte auf dem Herd Feuer empor, kochte in einem Kessel Wasser, welches einem nahen Quell entnommen war. Der Trapper langte Thee hervor und goß das kochende Wasser in die Kanne. Er nahm dann Maisbrot und die gebratene Keule einer Antilope aus einem kleinen Verschlage, reichte Paul ein Messer, gab ihm einen Blechbecher, wies auf Kanne und Nahrungsmittel und sagte: "Greife zu, Kind, es wird gern gegeben", und mit herzhaftesten Appetit machten sich beide an das frugale, aber reichliche Frühstück.
    Nachdem der Hunger gestillt war und neues Wohlbehagen den Leib des Knaben durchzog, der seit Tagen nur gedörrtes Fleisch, und das knapp zugemessen, genossen, den Luxus eines warmen, belebenden Getränkes aber entbehrt hatte, legte er das Messer nieder.
    Der Trapper zündete seine Pfeife an und rauchte ruhig vor sich hin.
    Nach einer Weile wandte er sich an den bescheiden harrenden Knaben mit der Frage: "Wie heißest du?"
    "Paul Osborne, Sir."
    Es zuckte wie ein Wetterstrahl über das braune Gesicht des Riesen, und ein dumpfer Laut entfuhr seiner breiten Brust.
    Der Knabe erschrak heftig und fragte nach einer Weile, während der Trapper schwer atmete und dabei die Hand vor das Gesicht geschlagen hielt: "Ist euch nicht wohl, Sir?"
    Es verging Zeit, ehe der Trapper die Hand von seinem Gesicht entfernte und antwortete. Die Züge hatten fast ihren gewöhnlichen Ausdruck, als er sagte: "Es ist nichts, Kind, ein alter Rheumatismus, der mir manchmal zu schaffen macht, zog mir plötzlich durch die Glieder."
    Er zündete die Pfeife, welche ausgegangen war, wieder an und fragte: "Also wie heißest du?"
    "Paul Osborne."
    "Woher?"
    "Arkansas, Sheffieldscounty."
    "Gut. Dein Vater?"
    "Ach, Herr, mein Vater, John Osborne, ist seit drei Monaten tot", entgegnete der Gefragte mit schmerzlicher Betonung. Der Jäger mußte wieder einen Anfall seines Leidens haben, denn von neuem zuckte er zusammen, und im Schmerz bedeckte er wie vorher die Augen mit der Hand. Dann stand er auf und ging hastig hinaus. Der Knabe blieb ratlos, angstvoll harrend sitzen. Endlich öffnete sich die Thür, der Alte kehrte zurück und äußerte: "Man wird ein altes Jammergerippe". Nach einiger Zeit fuhr er fort: "Nun erzähle mir, wie du in die Hände der beiden Banditen gefallen bist, die dich hierhergebracht haben."
    Traurig sagte der Knabe: "Ich war auf der Schule zu Little Rock, als ich die Schreckensnachricht von meines Vaters plötzlichem Tode erhielt. Ich eilte nach Hause und konnte nur noch seine teuren Reste zu Grabe geleiten. Ich stand allein da, verwaist, früh Herr eines großen Vermögens geworden, welches mein lieber Vater für mich erworben hatte. Ach, wie gern wollte ich darauf verzichten, wenn er noch lebte."
    "Bist du der einzige Erbe?"
    "Ja, Herr, ich war das einzige Kind meines Vaters."
    "Bei deinem jugendlichen Alter muß dir doch das Gericht einen Vormund gesetzt haben, wenn nicht einer im Testamente ernannt war."
    "Ein Testament fand sich nicht vor, und zu meinem Vormunde ernannte der Richter einen Bruder meines Vaters."
    "Wen?" schrie der Trapper so laut, daß Paul zusammenzuckte. Dies gewahrend, setzte er hinzu: "Entschuldige, Junge, ich verstand nicht - also wen?"
    "Einen jüngeren Bruder meines Vaters, Mr. James Osborne."
    "Gut, weiter."
    "Ich kannte Onkel James wenig, denn er war früher in Kolorado ansässig gewesen und hatte sich erst wenige Monate vor meines Vaters Tode wieder in unsrer Nähe niedergelassen."
    "Weiter, weiter."
    "Er übernahm die Verwaltung des mir gebliebenen Vermögens, welches in ausgedehnten Ländereien und einer Ziegelei bestand, und ich kehrte nach Little Rock zurück, um meine Studien zu vollenden.
    "Als ich in den Ferien heimkehrte, machte mir der Oheim den Vorschlag, nach den Prairien im Kansasterritorium aufzubrechen."
    "Nach den Prairien? Aus welchem Grunde?"
    "Mein Vater hatte auch dort ansehnliche Länderstrecken erworben und züchtete große Rinderherden, die unter der Aufsicht einiger Cowboys standen. Der Oheim meinte, es sei Zeit, einmal nach meinem Eigentum dort zu sehen. Mir konnte natürlich nichts größere Freude bereiten als ein Ritt in die Steppe, und wir machten uns alsbald auf den Weg.
    "Die Reise wurde, als wir uns von den Ansiedlungen entfernten, immer beschwerlicher, auch die Menschen, denen wir begegneten, zeigten sich immer zügelloser und roher. Zum erstenmal bekam ich dort auch Indianer zu sehen, wild genug aussehende Menschen."
    "Weißt du, von welchem Stamme sie waren?"
    "Die Leute, welche uns begleiteten, meinten, es seien Männer vom Volke der Cheyennes."
    "So? Gut. Weiter."
    "Wir waren seit sechs Tagen in der Steppe, ohne unsre Herden gefunden zu haben, als wir nächtlich in unserm Lager überfallen wurden."
    "Von wem?"
    "Ich glaube, von Indianern. Es war dunkle Nacht, und ich habe wenig gesehen, auch war ich so erschrocken, daß ich kaum etwas von mir wußte. Es war furchtbar. Das wilde Geschrei, das Knallen der Büchsen; es gellt mir noch immer in den Ohren. Ich stürzte in Todesangst fort, in die Steppe hinaus, als ich plötzlich ein Pferd hinter mir schnauben hörte und eine starke Hand mich im Nacken ergriff. Ich war von Todesangst so überwältigt, daß ich nicht einmal einen Ruf auszustoßen vermochte, ich vernahm nur eine rauhe Stimme: 'Töte ihn nicht, Jim', fühlte einen Schmerz auf dem Kopfe und verlor das Bewußtsein. Als ich zu mir kam, graute schon der Tag, und ich befand mich in Gesellschaft der beiden Gesellen, die ihr gestern abend gesehen habt, allein in der weiten Prärie."
    "Hm. So? Nun, und dein Oheim und die andern, was wurde aus denen?"
    "Herr, ich weiß es nicht, weiß nicht, ob sie leben, ob man sie getötet hat", sagte der Knabe schmerzbewegt. "Ich bin aus dem Schlummer aufgeschreckt, schlaftrunken und in Todesangst fortgestürzt. Hatte auch keine Waffe, um mich zu verteidigen."
    "Und was begann man dann mit dir?"
    "Ich ward auf ein Pferd gesetzt, welches einer der beiden mit sich führte, und mußte ihnen in aller Eile folgen."
    "Wie lange warst du bis gestern abend unterwegs?"
    "Vier volle Tage, Herr."
    "Weißt du, aus welcher Himmelsgegend du kamst? Ritten die Kerls in gerader Richtung oder schlugen sie Haken?"
    "Ich nehme an, daß wir den ganzen Ritt in gerader Richtung nach Westen zurückgelegt haben."
    "Nun, und die Burschen, die dich hierherführten, ließen sich die nicht darüber aus, was der Überfall bezweckte, wie er ausgefallen, aus welchem Grunde sie dich so weit in die Wüste schleppten?"
    "Sie beantworteten keine meiner Fragen; der eine nur, Ben genannt, der Lange, meinte, am Arkansas würde ich alles erfahren. Es war ein trauriger Ritt hierher mit diesen so furchteinflößenden Begleitern."
    Paul schauderte in der Erinnerung zusammen, dann sagte er mit Innigkeit: "Doch Gott hat mein Gebet erhört und mir euch als Retter gesandt. Wie darf ich euch nennen, Sir?" fragte er dann bescheiden.
    Der Trapper lachte bei dieser Frage, aber es war ein bitteres Lachen. "Haha! Junge, habe hier in der Steppe der Namen mehrere geführt, die mir die Jäger und Indianer gegeben hatten, hießen mich bald den Büffel, bald Goliath, bald Starkhand und was der Bezeichnungen mehr sind, die man hier in der Wildnis nach seinem Äußern oder seinen Eigenschaften erhält. Seit einigen Jahren, nach einem kleinen Scharmützel mit den Spitzbuben, den Kiowas - das ist ein Indianervolk, welches sich hier in den Steppen am Arkansas umhertreibt - bei welchem ich zwei der Burschen so kräftig die Schädel aneinanderstieß, daß das Hirn umherspritzte, und noch anderweitig unter ihnen aufräumte, nennen sie mich Grizzly, den 'grauen Bären', und unter dieser Firma bin ich jetzt wohl ziemlich allgemein unter Roten und Weißen hier in der Steppe bekannt. Stamme auch aus den Staaten, wie du, Junge, und führte einst einen christlichen Namen, wie andre Leute dort, hm, ist lange her. Wie du mich nennen sollst? Hm, sag einfach Oheim zu mir - hatte einmal einen Bruderssohn, der dir ähnlich sah, erinnerst mich an ihn; sag Oheim, Junge, soll dir keine verwandschaftlichen Verpflichtungen auferlegen", setzte er mit einem Lachen hinzu, welches wie vorher einen bitteren, schmerzlichen Grundton hatte. "Ist kurz und bündig, sag Oheim."
    "Wohl, Oheim", entgegnete Paul, "es sei, wie ihr sagt."
    Nach einer Weile fragte der Knabe dann: "Und ihr wohnt hier allein in der trostlosen Einöde, Oheim?"
    "Trostlose Einöde, Junge? Hm, ja, kennst die Erhabenheit von Gottes freier Schöpfung nicht, weißt nicht, was du sagst. Giebt nichts herrlicheres auf dieser Welt als die endlose Steppe. Einöde? Hier spricht alles, Knabe, zu dem, der eine Seele in der Brust hat. Der Himmel, die Wolken, Sonne und Sterne, der Wind, ob er sanft einherweht, ob er verderbenbringend herniederrast, die Pflanzen und Blumen der Prairie, die Tierwelt, vom winzigen Käfer an bis hinauf zum mächtigen Büffelstier, alles redet vernehmlich zu den Menschen und in einer erhabeneren Weise als in den Ameisenhaufen, Städte genannt, denn es ist Gott selbst, der hier in seinen Werken zu uns spricht. Seit vielen Sommern lebe ich hier, und bin nicht einen Augenblick einsam. Mehrmals im Jahre muß ich freilich zu den Ansiedlungen fahren, um meine Felle abzusetzen und die Dinge einzukaufen, die ich nötig habe für mein Trapperleben, aber ich eile, sobald ich nur kann, zurück in die Wildnis, die mir eine teure Heimat geworden ist. Nach einem unruhevollen Leben habe ich hier endlich Frieden gefunden, und in der Steppe wird hoffentlich auch einst ruhen, was an mir sterblich ist."
    Als der Trapper, dessen ganze Art zu reden, einen Mann von Bildung verriet, so sprach, leuchtete sein großes blaues Auge lebendig auf, und der stumm horchende Knabe fühlte, daß er mit tiefinnerer Überzeugung, mit einer Art Begeisterung sprach.
    "Ja, Junge, das ist die Erhabenheit der Natur, lerne sie kennen wie ich, und du wirst sie lieben wie ich."
    "Ich habe bis jetzt nur traurige Erinnerungen an die Steppe."
    "Wird anders werden, Kind, wirst anders denken. Drüben freilich, jenseits des Flusses, ist salziger Boden, bis zum Canadian-River hin gedeiht nicht Pflanze, nicht Tier, aber auf diesem Ufer herrscht das reichste Naturleben. Wirst wohl einige Zeit bei mir aushalten müssen, ehe ich dich nach den Ansiedlungen zurückzuführen vermag, kann jetzt nicht fort, muß noch manchen Büffel schießen."
    Paul war zu glücklich, den Gefahren, welche sein Leben bedroht hatten, entgangen zu sein, als daß ihm die Aussicht, einige Zeit bei seinem einsam hausenden Retter weilen zu müssen, Betrübnis erregt hätte. Im Gegenteil, jetzt wo er einen Beschützer gefunden hatte, war er mit der Freude der Jugend an ungebundenem Leben und romantischen Begebenheiten, gern bereit, für einige Zeit die Wildnis zu seiner Heimat zu machen, ob ihn gleich ängstliche Befürchtungen um das Geschick seines Oheims James nicht verließen.
    "Ich werde gern bei Ihnen bleiben, Oheim, bis die Umstände Ihnen erlauben, mich zur Heimat zurückzusenden."
    "Ist recht, Kind, denke wirst dich nicht langweilen. Bin auch nicht ganz allein hier; außer meinen Pferden habe ich noch einen wunderlichen Gesellschafter, erschrick nur nicht, wenn du den Kobold siehst, der meinen Aufenthalt und meine Lebensweise teilt."
    Ein kurzer Pfiff ließ sich draußen vernehmen.
    "Da ist er schon, nimm dich zusammen, wenn er kommt."
    Kaum hatte er ausgesprochen, als eine so seltsame Gestalt im Eingang erschien, daß Paul, trotzdem er auf Ungewöhnliches durch seines Gastfreundes Andeutungen vorbereitet war, dennoch mächtig bei ihrem Anblick erschrak.
    In der Thüre stand - war es ein menschliches Wesen, welches er sah, oder eines der Erdmännchen, wie die Märchenbücher sie abbildeten? - ein Wesen von erschreckender Häßlichkeit, fast die Karikatur eines Menschen.
    Auf einem kurzen, gedrungenen Körper, dessen breite Schultern und gewölbte Brust große Stärke verrieten, saß ein umfangreicher Kopf, der durch das dichte, verworrene Haar noch größer erschien, als er war. Die wulstige Nase, der ungewöhnlich breite Mund, der, halb geöffnet, starke weiße Zähne sehen ließ, funkelnde Augen, welche unter hervortretenden Jochbeinen leuchteten, dies alles rief einen unheimlichen Eindruck hervor. Paul schauderte unwillkürlich zusammen, als er diese Gestalt erblickte.
    Der Gnom stand still, als er Paul vor sich sah, und starrte dessen jugendlich schöne Erscheinung mit einem Ausdruck jäher Überraschung an, der sich in einen Blick verwandelte, welcher wenig Wohlwollen verriet. Der Mensch, dessen lange Arme fast bis zum Knie reichten, war wenig höher als vier Fuß, und das um Brust und Hüften schlotternde Jagdhemd ließ ihn noch ungefüger erscheinen, als die Natur ihn gebildet hatte.
    "Nun, mein Puck, mein Staatsbursche", sagte freundlich der Trapper, "sieh dir deinen Gefährten an, habe ihn aufgelesen, wie ich einst dich aufgelesen habe, aber geh freundlich mit ihm um, hörst du", setzte er ernster hinzu - "er ist unser Freund, verstehst du, unser Freund."
    Der verwachsene Mensch stand bewegungslos wie bisher, immerfort Paul anstarrend, dann wandte er das funkelnde Auge - das Auge war das einzig Schöne an ihm - auf den Trapper und fragte, mühsam nur die Laute hervorstoßend: "Bleibt - er - hier?"
    "Nur so lange, Puck, bis ich ihn wieder zu seinen Verwandten nach den Ansiedlungen bringen kann, länger nicht."
    Das finstere Gesicht des Zwerges hellte sich bei diesen Worten auf.
    "Mein guter Puck ist etwas eifersüchtig auf alles, was sich meiner Gunst zu erfreuen scheint", sagte erläuternd der Trapper, "verüble ihm das nicht, Paul, er hat niemand auf der Welt, der sich um ihn bekümmert, als mich. He, Puck, du bist mein Pflegesohn, Bursche, wie?"
    Mit einer Art Geheul, welches gewiß Freude ausdrücken sollte, eilte der Zwerg auf den Trapper zu, faßte seine Hand und küßte sie; der streichelte ihm mit einer rauhen Zärtlichkeit das buschige Haar und sagte: "Na, ist gut, mein Junge, verstehen uns, wie?"
    "Ja, ja", kam es schwerfällig aus des Zwerges Munde. "Puck, Oheim, lieb - ah - lieb!"
    "Weiß schon, weiß schon, mein Junge, bin dir auch gut. Ist ein trefflicher Bursche der Puck, Paul, wenn auch kein Adonis, wirst's schon erfahren und dich mit ihm befreunden."
    Paul dachte, der grauenerregenden Gestalt gegenüber, dies würde wohl schwerlich der Fall sein, er konnte seinen Widerwillen nur mit Mühe bemeistern.
    "Nun, wo kommen wir denn her, Bursche?" wandte sich der Trapper wieder an den Zwerg.
    "Pferde", war die Antwort.
    "'s ist recht, Puck, waren sie alle da?"
    "Alle."
    "Gut. Puck ist mein Gefährte, mein Pferdehirte, mein Ackerbauer, mein Fallensteller, mein Spürhund, mein Koch, mein Schneider - oh, du wirst sehen, wie geschickt er ist."
    Der Zwerg grinste vor innigem Behagen bei diesen Worten und dehnte seinen Mund zu einer bedenklichen Breite aus. "Nur die edle Kunst des Schreibens fiel uns etwas schwer."
    Puck lachte.
    "Nicht schreiben, geht nicht. Puck kann nicht."
    "Mußt schon so verbraucht werden, Junge; die Wissenschaft ist nicht für jeden. Aber du wirst wohl Hunger haben, wie?"
    Der Zwerg nickte.
    Der Trapper gab ihm Fleisch und Brot, und jener ließ sich auf einer Kiste nieder und speiste mit großem Behagen.
    Mit einer Verwunderung, die mit Grauen und Widerwillen gemischt war, sah Paul dem allen zu.
    "Habe den Burschen vor mehr als zwölf Jahren in der Steppe aufgelesen, weit von hier. War da ein Zug Auswanderer des Weges gekommen, die nach Westen zogen, hatten das Kind am Wege liegen lassen. Wie ich glauben will für tot, denn es war sorgsam eingewickelt und ein paar Blumen ruhten auf seiner Brust, wahrscheinlich von einer Mutter darauf gelegt, deren Herz auch an dieser Mißgeburt hing. Ich fand noch ein Fünkchen Leben in dem kleinen Kerl, über den ich erschrak wie du, aber er war dem Verschmachten bereits sehr nahe. Eine Antilope kam mir zum Schuß, ich erlegte sie und flößte dem sterbenden Kinde ihr warmes Blut ein, was geradezu Wunder that und das kleine Monstrum zu neuem Leben weckte. Was thun? Liegen konnte ich das Menschenkind nicht lassen. Ich nahm ihn auf die Schulter und ging den Wagenspuren nach, fand auch die Wagen und Eigentümer.
    "Von den letzteren lagen einige verschmachtet neben den toten Pferden, der Durst hatte sie getötet, die andern hatten sich in der Steppe zerstreut und dort ein schreckliches Ende gefunden, wie so viele zu jener Zeit, welche das Goldfieber durch die Prairien nach Kalifornien trieb. Wer oder was sie waren, konnte ich nicht erfahren, Papiere oder dergleichen trug keiner bei sich, als ich die Leichname untersuchte. Dieses Kind war das einzig überlebende Wesen von jener Karawane. Ich lud mir meinen Findling wieder auf die Schulter und trug ihn davon. Bald darauf ließ ich mich hier nieder, und seit jener Zeit sind wir unzertrennliche Gefährten. Wie nützlich mir der Bursche ist, wirst du bald sehen, er ist das Kind der Prairie und kennt alle ihre Geheimnisse besser als ich."
    Während der Trapper so sprach und Paul aufmerksam zuhörte, hatte Puck seine Mahlzeit vollendet.
    "Nun komm, Paul, du sollst jetzt meine Herrlichkeiten schauen. Verstehst du mit der Büchse umzugehen?"
    "Ich denke wohl", meinte Paul zuversichtlich.
    "Nun, wollen gleich sehen. Zwei Dinge sind vor allem in der Steppe notwendig, gut reiten und gut schießen können. Beides mußt du lernen, denn oft genug hängt das Leben davon ab. Nimm die Büchse da", er deutete auf eine an der Wand hängende Waffe, welche Paul herabnahm, wies dann auf Pulverhorn und Kugelbeutel und forderte ihn auf zu laden. Paul unterzog sich der Aufgabe mit hinreichendem Geschick.
    "Nun, so komm, du auch, Puck", und alle drei begaben sich hinaus.
    Sie schritten an dem Waldsaum, welcher den Fluß einfaßte, an dessen Ufer her, stromauf.
    Bald erreichten sie eine Stelle, wo die Axt Luft und Licht geschafft hatte, und einige eingefenzte Äcker Landes, welche gut von Mais bestanden waren, zeugten von landwirtschaftlicher Thätigkeit.
    "Diese Maisfelder sind Pucks Domäne", äußerte der Trapper; "wenn ich auch die Bäume niedergelegt habe, die Ackerwirtschaft steht in den letzten Jahren nur unter seinem Betriebe."
    Sie gingen durch das Maisfeld.
    "Hier ist Tabak", er deutete auf die jungen Pflanzen, "zwar nicht das beste Kraut, aber immerhin gut genug für die Prairie. Das Pflanzen und Ernten besorgt mein Puck auch. Ja, wir ziehen sogar einige Gemüse", fuhr er weitergehend fort, "deren Samen ich von Osten mitgebracht habe, und mein Elf begriff sehr bald, wie er sie zu pflegen habe."
    "So seid ihr früher Farmer gewesen, Oheim?"
    "Ja, mein Junge, bin auf einer Farm aufgewachsen."
    "Aber wißt ihr, ihr sprecht wie unsre Arkansasmänner, stammt ihr aus dem Staate?"
    "Bin wohl am Arkansas gewesen", sagte der Trapper ernst werdend, "hatte manchen Freund im Staate, bin aber dort nicht geboren."
    "Am Ende kanntet ihr meinen Vater, Sir?" fragte der Knabe lebhaft, "John Osborne?"
    "Hm", entgegnete der Graue Bär, "habe der Osbornes von Arkansas mehrere gekannt, ob deinen Vater, weiß ich nicht. Mit einem Osborne, der auch vom Arkansas stammte, habe ich früher einmal lange Monate gemeinschaftlich gejagt, war ein wilder Geselle, der Edward Osborne."
    Ein scharfer Blick streifte den Knaben bei diesen Worten.
    "Oh, Edward Osborne", sagte Paul betroffen, "so hieß mein Oheim, der seit Jahren verschollen ist. Ich habe ihn nicht gekannt, aber mein Vater sprach oftmals von ihm."
    "War ein Vagabund, he? Machte mir so den Eindruck."
    "Nein, Herr", erwiderte der Knabe mit nachdrucksvollem Ernst, "das war er nicht; mein Vater, der ihn sehr lieb gehabt haben muß und seiner nur mit Wehmut gedachte, sagte, er sei ein wilder Bursche, aber ein Mensch von edler Denkungsart gewesen."
    "So, so", sagte leise, wie vor sich hinsprechend, der Alte, "sagte das John Osborne?" Nach einer Weile fuhr er fort: "Freut mich, das zu hören; ja, war ein wilder Bursche, der Edward Osborne, ist ein Fakt." Hierauf schwieg er.
    Paul bemerkte unter einigen Bäumen eine Erdhütte. Über dem Erdboden bildeten schräg gegeneinander gestellte Balken ein Dach. Dies war mit Erde bedeckt, und lustig sproßte Prairiegras darauf. Durch eine Öffnung im Giebel gelangte man in das unter der Oberfläche liegende Innere.
    "Dies ist Pucks Palast", antwortete der Trapper dem fragenden Blicke des Knaben. "Hier drin schläft er, wenn er nicht, was er bei gutem Wetter gewöhnlich thut, unter freiem Himmel sein Lager aufschlägt. Hier kann er Tag und Nacht, ohne mich zu fragen oder zu stören, aus- und einkriechen, auf die Jagd gehen, auf seinem Pferde umherjagen, wie ihn die Laune ankommt. Dabei bewacht er so aus nächster Nähe unsre Pflanzungen."
    Paul blickte neugierig in die Erdhöhle hinein, bemerkte ein aus Maisstroh und Büffelfellen hergerichtetes Lager, Zaumzeuge und Lassos, welche ringsumherhingen, mehrere Sättel, sowie eine Büchse, Bogen und Pfeile. Auch Äxte und Messer waren an den Wänden aufgehängt.
    "Pucks Haus", erklärte stolz der Zwerg, "er selber gemacht."
    "Der Junge sagt die Wahrheit", bestätigte der Graue Bär, "kein Mensch hat hier Hand angelegt, als er selber."
    Sie gingen weiter, und Paul gewahrte einen hohen Stapel Maisstroh und daneben ein niedriges, rohes Blockhaus, nur mit flachen Balken überdacht, die, gleichwie die Höhle Pucks, mit Erde bedeckt waren.
    "Dies ist unser Kornmagazin, Pelzlager und Stall. Obgleich die Pferde auch im Winter im Freien bleiben können, denn sie finden auch unter dem Schnee Nahrung genug, so kommen doch oft Schneestürme, die sie zu regelloser Flucht zwingen und weit abtreiben. Für solche Fälle haben wir diesen Schuppen und sammeln Vorrat an Stroh und Mais genug, um sie füttern zu können."
    "Wohnt ihr im Winter auch hier?"
    "Gewiß, und es ist behaglich, im warmen Shanty zu sitzen, wenn draußen der Schneesturm heult; ja, auch im Winter ist es schön. Herrlich aber ist der Frühling, der die Prairie in einen Blumenteppich verwandelt."
    Paul staunte; denn in dieser Einöde auch den Winter über zu hausen, schien ihm undenkbar, und noch dazu in Gesellschaft des unheimlichen Zwergs.
    Sie waren langsam am Ufer des Stromes unter den Bäumen einhergewandelt, während sie so sprachen.
    "Nun wollen wir einmal deine Schützenkunst erproben, Junge", sagte der Trapper. "Puck, nimm deine Büchse auch." Der Zwerg sprang mit ganz ungeahnter Geschwindigkeit davon und kehrte, aus den Büschen auftauchend, bald mit seiner Waffe zurück.
    "Blick den Strom hinauf, Paul, dort, wo der große Ahorn sich über das Wasser neigt, siehst du ihn?"
    Der Knabe bestätigte es.
    "Zwischen den Zweigen oben sitzt ein Raubvogel, schieß ihn herunter."
    Paul, nicht ungeübt im Gebrauch der Büchse, hob die Waffe und zielte sorgfältig; neben ihm stand der Zwerg. Der Schuß krachte, und ein Adler erhob sich, durch den Knall aufgeschreckt, rasch in die Lüfte. Da entlud sich auch Pucks Büchse, und durch die Brust geschossen, fiel der Vogel nieder.
    Paul sah verdrießlich drein.
    "Gräme dich nicht, Junge, war ein ganz guter Schuß das, die Kugel schlug einen Fuß neben dem Adler ein, und sind wohl dreihundert Schritt bis dahin. Freilich solche Schützen, wie mein Puck, giebt es wenig in der Prairie, er schießt mitunter besser als ich.
    Puck lachte vergnügt.
    "Er mich gelehrt, Junge", sagte er zu Paul. "Grizzly sehr klug, kann alles."
    "Wirst noch lernen, Paul, auch die flüchtige Antilope mit der Kugel niederzustrecken, wenn du einige Zeit hier bist. Fällt kein Meister vom Himmel."
    Sie gingen bis zu dem Ahorn, auf den der Vogel eingefallen war, und fanden ihn tot zu dessen Fuße.
    "Nimm die Federn, Puck. Können wir sie nicht brauchen, so machen wir unsern roten Freunden ein Geschenk damit. Es ist ein Steinadler und hat sich weit vom Gebirge entfernt; erscheinen selten so weit östlich von den Rocky Mountains."
    "Kommen Indianer zu euch, Oheim?"
    "Das Jagdgebiet der Cheyennes erstreckt sich bis hierher, und wir erhalten deshalb fast alljährlich Besuch von ihnen."
    "Hast du auch schon mit ihnen gefochten?"
    "Mit den Cheyennes? Nein; mit denen stehe ich auf gutem Fuße, doch haben die Roten hie und da den Knall meiner Büchse gehört. Vor drei Jahren wollte uns hier eine Räuberbande von Kiowas, welche Lust nach dem Inhalt meines Shanty verspürten, zu Leibe; haben sie aber gepfeffert, Puck und ich. Kannten den Grizzly und seinen Medizinmann, wie sie Puck allgemein nennen, nicht; mußten hernach sieben der Schufte in den Arkansas werfen. Haben sich nicht wieder hier blicken lassen seit der Zeit."
    Der Verwachsene hatte dem Adler die Schwanz- und Schwungfedern ausgerissen und war zurückgegangen, um sie in seine Behausung zu tragen.
    "Hat der Kleine, der Puck, auch gefochten, Oheim?"
    "Wie ein Teufel, Junge, ist gefährlich, mit ihm anzubinden."
    "Er sieht schrecklich aus."
    "Ja, eine Schönheit ist er nicht", lachte der Trapper gutmütig, "und jeder, der den armen Jungen sieht, erschrickt, Rote noch mehr als Weiße; aber ich bin seit Jahren an sein seltsames Äußere gewöhnt. Übrigens habe ich diesem den Sieg über die Kiowas zu danken."
    Fragend sah ihn Paul an.
    "Nun, sie überfielen uns in tiefem Frieden, wir hatten kaum noch Zeit, uns in mein Shanty zu retten, und fechten können die Roten. Wir machten zwar im ersten Anlauf drei Sättel leer, Puck und ich, dann begannen die Schurken aber, uns mit Feuer auf den Leib zu gehen. Wir schossen zwar noch zwei nieder, ob sie gleich sehr vorsichtig waren; als es uns aber zu heiß drin wurde, stürzten wir hinaus. Mochten wohl mehr als ein gutes Dutzend von der Brut vor uns haben. Wäre uns doch wohl schlimm ergangen. Als aber die Roten Puck erblickten, der mit seinem langen Arm die Holzaxt schwang, überkam sie eine solche Panik, daß sie wie ein Rudel heulender Wölfe davonjagten. Sandte ihnen noch zwei Kugeln nach, die beide auch ihr Ziel erreichten. Du siehst, auch das unglückliche Äußere des Armen hatte sein Gutes."
    Der Knabe staunte über die trockene Ruhe, mit welcher der Mann von einem so verzweifelten, blutigen Kampfe erzählte, so gleichgültig, als ob er von einer Jagdpartie spräche, noch mehr darüber, daß der Zwerg solche Tapferkeit entwickelt hatte. Er sah sich um, und da er Puck nicht gewahrte, sagte er: "Der Mensch ist geistig gestört, nicht wahr?"
    "Ei bewahre, bewahre, Junge", sagte eifrig der Alte, "er ist nicht nur geistig normal entwickelt, sondern besitzt eine nicht gewöhnliche Intelligenz und daneben die Schlauheit eines geriebenen Wilden. Seine Zunge ist schwerfällig und gehorcht ihm nicht immer, er spricht oftmals und besonders wenn er erregt ist, nur mit Mühe, und dies mag wohl den Eindruck hervorrufen, daß es ihm an Verstand fehle; aber unterhalte dich nur öfter mit ihm, und du wirst dich vom Gegenteil überzeugen. Als ich dies arme Menschenkind fand, stammelte es nur unartikulierte Laute, aber ich gewahrte bald, daß eine lebendige Seele in dem mißtgestalteten Körper wohne, daß nur der mangelhafte Bau der Sprachwerkzeuge die Ursache seiner Lautbildung sei, und habe dann viele Tage damit zugebracht, ihn sprechen zu lehren, was auch endlich gelang. Er spricht jetzt alles, wenn auch schwerfällig. An langen Wintertagen, wenn wir hier eingeschneit waren, habe ich ihm mein geringes Wissen beigebracht, ihm von Gott und Jesus Christus erzählt, von Sonne, Mond und Sternen, von fremden Ländern und Menschen, von den Dingen, die uns umgeben, und dies haftet alles fest in seinem Geiste. Lesen kann er längst, nur zum Schreiben wollen sich die Finger nicht bequemen, so redliche Mühe er sich auch gegeben hat. Du wirst finden, daß er für einen Prairiemenschen überraschende Kenntnisse besitzt."
    "Wie wunderbar", sagte Paul.
    "Dabei hängt er mit so treuer Liebe an mir, daß er sich an langsamem Feuer zu Tode rösten ließe, wenn er glaubte, mir damit einen Gefallen zu erweisen."
    "Eine seltsame Erscheinung."
    "Ja, das ist wohl wahr."
    "Und wie alt ist Puck?"
    "Ja, genau weiß ich es nicht. Als ich das jämmerliche, unentwickelte Kind fand, schätzte ich sein Alter auf vier bis fünf Jahre, es kann aber auch wohl möglich sein, daß der verkrüppelte Zwerg damals schon sieben bis acht Jahre zählte, ja es ist sogar das wahrscheinlichere, und dann wäre Puck, wie ich ihn in einem Anfall von Laune nach dem Elf in Shakespeares 'Mittsommernachtstraum' getauft habe, nahezu zwanzig Jahre alt."
    Gleich darauf schloß sich ihnen der Zwerg an.
    Grizzly wandte sich an Puck mit den Worten: "Wollen wir unserm Gast unsern Marstall zeigen?"
    Der nickte, und alle drei wandten sich vom Flusse ab, schritten quer durch den schmalen Waldsaum, und standen bald über dem vertieften Bette des Arkansas auf der Prairie.
    Unweit von ihnen war ein schlankes Pferd an langem Lasso angepflockt und weidete ruhig das Gras ab.
    "Wir lassen die Pferde ganz frei laufen, Paul, doch muß immer eines von ihnen zur Hand sein für den Fall, daß die andern aus weiter Entfernung herbeigeholt werden müssen." Er ließ seine scharfen Augen über die Ebene schweifen. "Dort sind sie, Puck", setzte er, nach Westen deutend, hinzu, "und kaum eine Weile weit."
    Der Zwerg, der seiner geringen Körperlänge wegen nicht so weit sehen konnte, schritt eine leichte Erdanschwellung hinan, wohin ihm die andern folgten.
    In der angegebenen Entfernung sahen sie fünf Pferde weiden. Puck legte die Finger an den Mund und entlockte ihnen einen schrillen, weithin tönenden Pfiff.
    Er drang bis zu den Tieren, denn diese hoben die Köpfe und lauschten.
    Ein zweiter Pfiff, und in raschem Galopp kamen vier der Pferde angesprengt, während das fünfte stehen blieb.
    Ein dritter Pfiff beschleunigte noch die Gangart der Tiere, aber auch er verfehlte seine Wirkung auf das fünfte Roß.
    "Der Blitz gehorcht immer noch nicht, Oheim", wandte sich Puck an den Trapper, auf das ferne Pferd deutend, "ich will ihn lehren."
    Schon nahten im sausenden Galopp die vier Rosse, von denen drei von ungewöhnlicher Größe und Stärke waren, und hielten schnaubend vor der Gruppe an.
    Grizzly und Puck gingen ihnen entgegen und streichelten die schönen, kräftigen Tiere, deren Mähnen und Schweife lang herniederwallten.
    "Oh, Thunder, mein gutes Tier, bist du da?" sagte der Trapper und liebkoste das mächtigste der Rosse, einen isabellfarbigen Hengst. "Nun, Bursche, sollst deine Maiskolben haben."
    Die andern Pferde drängten sich um Puck, augenscheinlich mit großer Anhänglichkeit.
    Paul sprach seine Verwunderung über die Größe der drei Rosse aus.
    "Ja, Lieber, mein Gewicht kann nur ein starkes Tier tragen, und auch das nicht lange; wenn ich zu Pferde jagen gehe, muß ich noch immer ein Reservepferd mitnehmen, um ihnen abwechselnd meine Last aufzubürden. Darum habe ich mit vieler Mühe mir diese starken Tiere aus dem Osten verschafft. Die andern sind Mustangs, von Puck eingefangen und gezähmt."
    Paul freute sich der schönen Tiere.
    "Ich will den Blitz holen", ließ sich Puck vernehmen und schritt auf das angepflockte Roß zu, einen Fuchs von schlanken, edlen Formen.
    Er löste den Lasso vom Boden, trat zu dem ruhig stehenden Tiere, faßte mit der linken Hand die Mähne und schwang sich mit einer staunenswerten Leichtigkeit auf dessen nackten Rücken.
    Ein leichtes Schnalzen mit der Zunge, und im Galopp sprengte das Tier davon.
    Statt auf das entfernte Pferd gerade zuzureiten, ließ Puck seinen Fuchs einen Bogen beschreiben, um jenem näher zu kommen.
    Als er wohl die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, begann das ferne Tier fortzusprengen.
    Puck ließ einen Pfiff hören; das Tier, ein Schimmel, stand, und nun sahen die auf der Erdanschwellung, wie der Zwerg, während er den von dem Halse seines Tieres gelösten Lasso über dem Haupte schwang, in stärkster Karriere auf den Schimmel zujagte.
    Der Schimmel bewegte sich nicht von der Stelle. Dicht vor ihm hielt Puck, warf ihm die Schlinge über den Kopf, schwang sich auf seinen Rücken und kam, gefolgt von dem Fuchs, zurückgeritten.
    "Er hat eine wunderbare Kunst, die wildesten Tiere zu zähmen", sagte der Trapper. "Dieser Schimmel, ein edles Tier, aber von großer Wildheit, welches erst seit wenigen Wochen in unserm Besitz ist, traute sich nicht vom Flecke, als es den gefürchteten Lasso des Kleinen sah, und ich bin überzeugt, ihm steckt der Schreck noch in den Gliedern, wenn es hier ankommt."
    Im wildesten Jagen brauste der Schimmel, den Puck mit seinen Schenkeln wie mit Eisenbändern umklammert hatte, heran. Ein Ruck am Lasso und das herrliche Tier stand, an jeder Muskel zitternd, da. Der Zwerg sprang ab, streichelte und beruhigte sein Pferd mit Schmeichelworten.
    "Der wilde Blitz immer noch nicht Gehorsam lernen; ich werde ihn anpflocken, Oheim."
    "Thue es, wird ihm gut thun; der Fuchs kann mit den andern gehen."
    Sie schritten hierauf, gefolgt von den Pferden, den Schimmel führte Puck am Lasso, nach dem Maisfelde und fütterten sie mit den halbreifen Kolben, einem Leckerbissen für die Tiere.
    "Behalte den Thunder, den Blitz und den Fuchs hier, Puck, wir wollen später einen Ritt in die Prairie unternehmen."
    "Wohl."
    Geschwind lief der Zwerg nach seiner Höhle und kam mit Halftern zurück, die er den bezeichneten Tieren umlegte und an der Fenz, welche das Maisfeld umgab, befestigte; auch warf er ihnen reichlich Mais vor.
    Sie gingen hierauf zu dem Shanty.
    "Bist du nicht müde, Kind?" fragte der Trapper unterwegs.
    "Nein", war Pauls Antwort, "ich bin, seitdem ich in eurer Gesellschaft weile, frisch und kräftig, Oheim."
    "Nun gut, wollen sehen, wie dir ein scharfer Ritt bekommt."
    Es wurden einige Vorbereitungen für den Ausflug getroffen, auch Nahrungsmittel in geeigneter Weise verpackt, um sie mitzunehmen.
    Puck ging, um die Pferde zu satteln, und führte sie dann herbei.
    "Nimm nur die Büchse mit, Paul, mußt lernen, wie man zu Pferde mit ihr umgeht; ist nicht so leicht, als es scheint, sie ohne Beschwerde mitzuführen. Du, Puck, kannst deinen Bogen mitnehmen, damit unser Gast sieht, wie man auf Indianerweise zur Jagd geht."
    Sie schwangen sich dann auf die Rosse, Puck nahm den Schimmel, Paul den Fuchs, während der Trapper das große Tier bestieg. Er und der Kleine führten außer ihren Waffen auch noch den langen Lasso am Sattel.
    Im herrlichen Sonnenschein galoppierten sie in die Prairie hinein, schweigend, sich des zwar nur eintönigen, aber mächtigen Anblicks erfreuend, den die unendlich sich ausdehnende Steppe bot.
    Es zeigte sich, daß Paul ein ganz sattelfester Reiter war, der sein Tier mit Geschick zu behandeln verstand. Gleichsam mit dem Pferd verwachsen, Roß und Reiter das lebendige Bild eines Centauren bietend, saß der Zwerg im Sattel, mit seinen Falkenaugen die weite Steppe überfliegend.
    Man ließ die Tiere im Schritt gehen.
    "Ist es nicht herrlich, Junge, auf dem Rücken eines flinken Rosses so ins Unendliche hineinzufliegen?"
    "Ja, es ist schön, sehr schön."
    Während ihres Rittes hatten sie häufig genug graue Hasen, Kaninchen und Prairiehühner aufgejagt, ohne sie weiter zu beachten.
    Als jetzt auf mehr als fünfzig Schritt Entfernung vor ihnen ein Huhn sich hob, griff Puck hastig zum Bogen und sandte ihm einen Pfeil nach, der dem Tiere den Nacken durchbohrte. Rechts von ihnen ging ein ganzer Flug auf und strich ab, ein zweiter Pfeil vom Bogen Pucks holte neue Beute aus der Luft herab.
    Paul sah mit Staunen diese seltene Geschicklichkeit in der Handhabung einer solch primitiven Waffe.
    "Nicht der geübteste Indianer schießt besser", sagte der Alte.
    "Ja", fügte Paul hinzu, "das ist bewundernswert."
    "Pfeil gut, wenn kein Pulver oder Büchse entzwei", sagte in seiner schwerfälligen Weise der Zwerg.
    "Aber wie hast du diese außerordentliche Geschicklichkeit erworben?"
    "Sehen von rotem Mann, ihm bald nachmachen; alles, was roter Mann kann, kann weißer besser."
    "Auf ihn trifft das zu. Ich hatte vor drei Jahren einige Zeit einen jungen Cheyenne bei mir, den Sohn des ersten Häuptlings dieses Volkes, der Dunklen Wolke. Er war hier in der Nähe mit dem Pferde gestürzt und hatte das Bein gebrochen. In ihrer Not brachten sie den jungen Cayugas zu mir und baten um Hilfe. Es war ein böser Bruch, doch gelang es mir, ihn gut einzurichten und zu schienen, so daß der Jüngling nach wenigen Wochen, die er in meiner Hütte zubrachte, wieder im Besitz eines gesunden, geraden Beines war. Da es noch längere Zeit dauerte, bis seine Leute den jungen Häuptling abholten, lag er Tag und Nacht mit Puck in der Steppe; von dem Cheyenne hat der Junge auch den Bogen handhaben gelernt, und dürfte jetzt wohl besser schießen als sein Lehrmeister."
    "Cayugas klug", sagte Puck, "ich ebenso klug."
    Die beiden erlegten Tiere wurden aufgenommen und an den Sätteln befestigt, und langsam ritt man weiter.
    Der Zwerg, dessen Augen unablässig bald die Prairie überflogen, bald den Boden vor ihnen durchforschten, ließ ein leises Zischen vernehmen und zügelte sein Roß.
    "Was giebt's?" fragte leise der Trapper und griff zur Büchse.
    "Panther!" sagte ebenso leise Puck und deutete auf den Boden.
    "Er wird in der Nacht hier gewesen sein."
    "Nein, er ist noch hier."
    Paul lauschte diesem leisen Zwiegespräch, blickte auf den Boden, ohne auch nur das mindeste zu gewahren, was einer Pantherspur ähnlich gesehen hätte, und dann ringsum. Die Augen des Zwerges wie die des Trappers überflogen die Stelle.
    Der leichte Luftzug strich ihnen entgegen, der Schimmel hob die Nase, sog die Luft ein, spitzte die Ohren und ein leichtes Zittern überflog seine schlanken Glieder.
    "Siehst du, Oheim", flüsterte der Zwerg, "er ist vor uns. Ich will ihn mit dem Lasso fangen."
    "Gut, ich werde dich mit der Büchse decken."
    Der Zwerg gab Büchse, Bogen, seine wollene Decke und den Beutel mit Nahrungsmittel an Paul und löste den Lasso.
    "Bleib hier, Paul", sagte der Trapper, "wirst gleich etwas zu sehen bekommen; aber mach die Büchse schußfertig, man kann nicht wissen, was geschieht."
    Puck trieb jetzt sein Pferd, welches nicht übel Lust zu haben schien, umzukehren, an und ritt langsam nach vorn.
    Mit gespannter Büchse folgte ihm Grizzly.
    Die beiden Reiter hatten wohl an hundertundfünfzig Schritt zurückgelegt, als vor ihnen ein Panther von den Resten einer halbverzehrten Antilope aufsprang und mit gewaltigen Sätzen davoneilte.
    Der Schimmel bäumte sich in jähem Schrecken hoch auf, doch mit gellendem Jagdruf preßte ihm Puck die scharfen Sporen in die Flanken und wie ein Pfeil flog das Tier jetzt dem Panther nach.
    Der Trapper setzte seinen Hengst in Galopp und auch Paul, hingerissen von Jagdlust, gab seinem Fuchse die Haken und folgte in schnellster Gangart. Es war ein prachtvoller Anblick, den Panther über die Prairie setzen und hinter ihm den Schimmel, der durch Sporn und Zuruf zu immer größerer Eile angetrieben wurde, einherjagen zu sehen.
    Puck schwang den sorgfältig zusammengelegten Lasso ums Haupt. Die anfangs so mächtigen Sprünge des Panthers ließen bald nach, und der mit Sturmeseile einhersausende Schimmel gewann jetzt rasch Boden. Immer schwächer wurden die Anstrengungen des Panthers, immer näher kam ihm der verwegene Reiter.
    Der Trapper und Paul jagten, letzterer in großer Aufregung, hinterdrein.
    Es war eine wilde Hatze, und Aufregung bemächtigte sich auch der Pferde.
    Endlich war Puck in Wurfnähe. Dreimal fuhr mit schnellem Schwung der zusammengerollte Lasso um sein Haupt und entflog dann, sich lösend, der Hand.
    Mit einer tödlichen Sicherheit geschleudert, fuhr die Schlinge über des Panthers Kopf und gleichzeitig riß der Zwerg sein Pferd mit einer Kraft und Geschicklichkeit herum, daß es sich auf den Hinterfüßen wie ein Zapfen drehte, die scharfen Sporen und ein gellender Jagdruf beschleunigten seinen Lauf nach einer, von der bisherigen im rechten Winkel abweichenden Richtung.
    Der plötzliche Ruck, den durch die Wendung des Rosses der dahinjagende Panther am Halse von der sich schließenden Schlinge erlitt, warf ihn auf den Rücken. Hoch auf schnellte das zu Tode gehetzte Tier.
    Aber der in wilder Flucht dahinstürmende Schimmel riß den Gefangenen wie einen aufschlagenden Federball sich nach, und in weniger als einer Minute lag die grimmige Bestie regungslos auf der Prairie neben dem schnaubenden und zitternden Pferde.
    Der Trapper und Paul, welche mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit der Jagd gefolgt waren, sprengten heran.
    "Gut gemacht, Puck!" rief jener schon von weitem.
    Paul hatte zwar von der geschickten Anwendung des Lasso gehört und gelesen, aber hier zum ersten Mal eine Probe davon gesehen, die ihm die höchste Bewunderung abnötigte.
    Welch staunenswerte Fertigkeiten, welchen Mut, welche Kraft besaß der verwachsene Mensch, den er anfänglich für blödsinnig gehalten hatte! Der häßliche Gnom, dessen Äußeres ihn erschreckt, ihn mit Widerwillen erfüllt hatte, erschien ihm jetzt, wie er vergnügt auf den besiegten Feind vom schnaubenden Roß herabsah, minder widerwärtig.
    "Gut gemacht, mein Junge", wiederholte der Trapper, als er heranritt. "Alle Wetter, das ist ein gehöriger Bursche", fügte er, das starke Tier betrachtend, hinzu; "es ist gut, daß der aus unsrer Nachbarschaft entfernt worden ist. Was meinst du, Paul, Puck ist ein Steppenjäger, wie?"
    "Ja", sagte der Knabe mit dem Enthusiasmus der Jugend, "ja, Puck ist ein gewaltiger Jäger, ich bewundere ihn."
    Der Zwerg zog angenehm berührt von der so unverhohlenen Anerkennung den Mund in bedenklicher Weise zu einem Lächeln auseinander und sagte: "Nicht viel mit Lasso siegen, fechte mit Panther auch allein mit Messer, ja mit der nackten Hand!" Und er streckte seinen ungewöhnlich langen, sehnigen Arm aus.
    "Es ist dem Burschen zuzutrauen, Paul", sagte der Alte; "er ist in der Wüste aufgewachsen und hat sich zum Herrn derselben gemacht. Wirst noch seltsame Dinge von ihm sehen. Doch jetzt wollen wir ein wenig frühstücken; komm herab, Paul, und du, Puck, pflocke die Pferde an. Mein Thunder wird nicht ungehalten sein, wenn ich ihn einige Zeit von meiner Last befreie."
    Er stieg ab, die andern thaten das gleiche, und während der Zwerg die Pferde an den langen Lassoleinen anpflockte, betrachtete Paul aufmerksam das gewaltige Raubtier, welches dem Arm und der Geschicklichkeit des Verfolgers zur Beute gefallen war.
    "'s ist ein nicht ungefährlicher Gegner, nicht wahr? Hatte doch einige Besorgnis wegen Puck, denn er reitet den Schimmel noch nicht lange, und wenn das Pferd im Augenblick, wo die Schlinge fällt, dem Reiter nicht blitzschnell gehorcht, ist er einem Panther gegenüber verloren."
    Puck hatte die Pferde befestigt, seinen Blitz gelobt und geliebkost und kehrte zurück. Man öffnete den Beutel, welcher den Speisevorrat enthielt, und trefflich mundete das Jägermahl inmitten der köstlichen Luft der Prairie.
    Der Alte zündete sich nach vollendetem Mahle seine Pfeife an und sandte blaue Dampfwolken zum Himmel, während Puck sein Messer zog und sich anschickte, dem Panther das prachtvolle Fell abzustreifen.
    Paul, dessen Gedanken, wenn seine Aufmerksamkeit nicht durch die Gegenwart in Anspruch genommen war, unaufhörlich zu den Ereignissen, welche ihn in die Wildnis geworfen hatten, zurückeilten, äußerte Besorgnis um das Schicksal seines Oheims.
    Aber der Trapper, dessen Blicke oftmals mit einer ungewohnten Zärtlichkeit auf den Zügen des Jünglings hafteten, wenn dieser es nicht gewahren konnte, erwiderte rauh: "Sei deswegen ruhig, Junge, wird schon für sich selber gesorgt haben."
    Als von neuem die Gefangennahme des Knaben und ihre mögliche Ursache berührt wurde, sagte der Trapper mit geradezu finsterer Miene: "Wirst das schon erfahren, wenn du heimkehrst. Ich müßte mich sehr täuschen, oder ich kenne die beiden Burschen, welche dich geleiteten, und es wird die Zeit kommen, wo man ein Wörtchen mit ihnen reden kann."
    Er schwieg und rauchte stärker.
    Nach einiger Zeit fragte Paul: "Habt ihr öfters mit Indianern zu thun, Sir?"
    "Kannst es dir denken, Kind. Man lebt nicht seit fast zwanzig Jahren in der Prairie, ohne in Freundschaft und Feindschaft mit den Roten zusammenzukommen."
    "Es sind gefährliche Nachbarn, Oheim, für die einsam wohnenden Weißen, nicht wahr?"
    "Ist nicht so schlimm; leben Trapper genug in der Steppe vom Missouri bis zu den Felsengebirgen, vom Plattefluß hinab bis zum Kolorado, unbelästigt von den Roten. Sind die Leute hier am Kansas und Arkansas ziemlich friedlich gesonnen. Dagegen sind die Sioux im Norden und die Apaches im Süden wahre Mordhunde."
    "Habt ihr gegen sie gefochten, Oheim?"
    "Gegen beide. Kennen den Grizzly im Norden wie im Süden. Habe mich endlich hier niedergelassen, zunächst nur wegen des Jungen da, den ich nicht durch die Steppe schleppen konnte, und schließlich gefiel es mir, auch lebe ich hier zwischen den Jagdgebieten der verschiedenen Völkerschaften gleichsam auf neutralem Boden."
    "Aber ihr erwähntet einen Überfall durch die Kiowas."
    Der Alte lachte. "Ja, Junge, sind mir nicht gut, die Kiowas. Hatte mich früher mit den Cheyennes befreundet, auch oft längere Zeit in ihren Lagern geweilt. Als sie im Jahre 1858 mit den Kiowas zusammengerieten - es war der Jagdgründe wegen - stand ich natürlich auf Seite der Cheyennes. Bekamen damals blutige Hiebe, die Kiowas, und haben mir das nicht vergessen. Habe seit dem Tage, wo sie mich in meinem Shanty überfielen, keinen von der Bande mehr gesehen. Ich denke, sie werden sich wohl hüten, dem Grauen Bär und seinem Medizinmann noch einmal in den Weg zu kommen."
    Als er nach einiger Zeit gewahrte, daß Paul, in Gedanken versunken, traurig vor sich hinblickte, sagte er: "Denke nicht an das Vergangene, Kind, freue dich der Gegenwart, es bringt das Leben Sorge und Jammer genug. Bin drüber weg. Kann mir nichts mehr geschehen, als daß mir eine schuftige Rothaut den Skalp abzieht oder ich auf weiter Steppe meinen Geist aushauche und meine Gebeine dann der Mutter Erde wiedergebe."
    "Nun", sagte der Zwerg, "wenn der Oheim zum großen Geiste geht, wird er nicht allein sein - Puck ist an seiner Seite."
    "Ja, mein guter Junge, das wird wohl nicht gehen, dem Naturgesetze nach werde ich früher abberufen als du, wirst dir dann schon allein durchs Leben helfen müssen."
    Der Zwerg antwortete nichts.
    Der Trapper wechselte den Gegenstand des Gesprächs und fragte: "Dein Vater wohnte am Flusse selbst, Paul?"
    "Ja, Herr, von unsrer Veranda aus blicken wir auf den Strom."
    "Ist dicht besiedelt dort die Gegend, wie?"
    "Das ganze County ist besiedelt und weit und breit angebaut. Auch haben wir die Städte Athen und Monmouth in unsrer Nähe, mit dem Dampfboot leicht zu erreichen."
    "Hat sich gewaltig geändert, seitdem ich den alten Arkansas dort sah, streiften damals nur Jäger und Rothäute an seinen Ufern umher."
    "So erzählte mein Vater, der mit dem Großvater sich vor vielen Jahren dort niedergelassen hat."
    "Und hast die Schule besucht, Master Paul? Bist ein Gelehrter, he?"
    "Nun", lachte der Knabe, "für einen Gelehrten würden mich wohl wenige halten."
    "Hast dir einen Lebensberuf gewählt?"
    "Ich weiß es nicht anders, als daß ich in meines Vaters Fußstapfen trete - freilich glaubte ich nicht", setzte er traurig hinzu, "daß es so bald geschehen werde."
    "Ist denn jemand da, der nach deinem Eigen sieht, außer deinem Oheim?"
    "Ja, Sir, da ist der alte Brown, der mit meinem Vater aufgewachsen ist, der sieht schon nach dem Rechten."
    "So? Hm, gut. Taugt nichts, wenn eine große Farm herrenlos ist."
    Nach einer Weile sagte er: "Verzeih, Kind, wenn ich eine schmerzliche Seite berühre, aber wie starb denn dein Vater?"
    "Ach, Herr, er litt schon längere Zeit an einem Herzübel und ist ihm auch erlegen."
    "So?" Er rauchte stumm weiter. "Ja, Junge", sagte er nach einiger Zeit, "es weiß keiner, wie das Leben mit ihm umspringt und wo und wie er endet. Bin, als ich jung war, auch in den Ansiedlungen gewesen, habe die Städte im Osten gesehen und auch die Schule besucht; wollte mein Alter einen rechten Kerl aus mir machen - und siehst mich heute als Trapper in der Wüste. Aber es ist gut so. Die Stürme des Lebens liegen hinter mir, meine Seele hat Frieden."
    Wiederum versank er in Schweigen, nachdenklich vor sich hinblickend, bis er endlich sagte: "Wir wollen uns auf den Heimweg machen. Hole die Pferde, Puck."
    Dieser ging sofort.
    Leiser fuhr er dann fort: "Ich wünsche, Paul, da wir hier einige Zeit zusammenleben müssen, daß du dich mit dem armen Burschen auf guten Fuß stellst. Er ist ein herzensguter Junge, aber eifersüchtig auf alle, welche meine Teilnahme zu erregen scheinen, und gerät da leicht in eine gereizte Stimmung. Dem jungen Cheyenne, der bei mir weilte, hat er mehrere boshafte Streiche gespielt, so daß der eines Tages mit dem Messer ihm zu Leibe wollte und ich mit aller Macht dazwischen fahren mußte, obgleich der Indianer trotz des Messers sicher den Kürzeren gezogen hätte. Also sei freundlich gegen Puck und trage es ihm nicht nach, wenn er einmal übellaunisch ist."
    "Ich werde gewiß freundlich gegen ihn sein und bewundere aufrichtig seine Kraft, seine Geschicklichkeit, seinen Mut."
    "Gut, mein Sohn."
    Puck führte die Pferde heran; sie schwangen sich in die Sättel und ritten langsam davon.
    Der Trapper äußerte: "Wir müssen für andre Kleider sorgen, Paul, diese werden dir bald in Fetzen von Leibe fallen. Mußt Puck ein gutes Wort geben, der hat bei den Squaws der Cheyennes Unterricht im Gerben der Büffelhaut und im Schneidern genommen; wenn er will, kann er dir zu einem Jagdhemd und langen Gamaschen verhelfen, wie sie die Steppe nötig machen."
    "Es wäre sehr freundlich von Puck, wenn er mir beistehen wollte und ich würde ihm von Herzen Dank wissen."
    Der Zwerg antwortete eine Weile nicht und fragte dann plötzlich: "Wie lange bleibst du hier, Junge?"
    "Nur so lange, bis mich der Oheim zu den Ansiedlungen schicken kann."
    Hierauf sagte Puck: "Es ist gut, ich will dir ein Jagdhemd nähen."
    Befriedigt nickte der Trapper.
    Sie setzten dann ihre Pferde in Galopp und legten in scharfer Gangart eine große Strecke Weges zurück. Paul war jetzt so ermüdet, daß er sich kaum auf dem Sattel zu halten vermochte.
    Als ihren Augen endlich die Wipfel der Bäume im Flußthale sichtbar wurden, sagte Puck: "Indianer!"
    "Wo?" fragte rasch der Trapper.
    "Bei Shanty."
    "Cheyennes?"
    "Ich denke es ist Cayugas"
    "'s ist richtig, dort hält eine Rothaut mit langer Lanze."
    So sehr Paul auch seine Augen anstrengte, er vermochte nichts wahrzunehmen.
    Der Trapper zog ein kleines Teleskop aus der Tasche, reichte es ihm und gab ihm die Richtung an, in welcher er suchen müsse.
    Vor dem Glase erschien denn auch ein Pferdekopf und über ihm das federngeschmückte Haupt eines Indianers, neben dem eine Lanze emporragte. Der Reiter hielt in der Vertiefung.
    Der Alte nahm dann das Glas, sah hindurch und sagte, es einsteckend: "Es ist der junge Häuptling."
    Als sie näher kamen, gewahrten sie endlich Roß und Mann, welche ruhig dort hielten und ihr Herankommen erwarteten.
    Pauls Auge erblickte auf einem nach indianischer Weise reich geschmückten Rosse einen jungen Ureingeborenen, dessen leichte, anmutige Haltung und schön gebildetes Gesicht sehr für ihn einnahm.
    "Der Häuptling der Cheyennes ist willkommen!" rief ihm der Trapper herzlich entgegen.
    Worauf der Indianer heransprengte und, indem er das Haupt neigte, sagte: "Cayugas grüßt den Grauen Bären."
    "Herzlich willkommen, Junge." Und der Trapper reichte ihm die Hand, die der Cheyenne schüttelte.
    Sich zu Puck wendend, fragte der letztere: "Bin ich dem Medizinmann auch willkommen?"
    Puck lachte: "Ja, du bist dem Medizinmann auch willkommen, Cayugas."
    Der Indianer gab ihm die Rechte, und der Zwerg erwiderte seinen Druck.
    Paul wurde von dem Fremden nicht beachtet.
    Sie ritten nach dem Shanty und stiegen von den Pferden. Der Cheyenne sowohl als die andern nahmen ihren Pferden Sattelzeug und Zaum ab und ließen sie laufen, bis auf den Schimmel, welcher angepflockt wurde.
    Sie betraten die Behausung des Trappers, wo Puck alsbald Anstalten traf, den Gast zu bewirten.
    Trotz seiner großen Erschöpfung und der ihn überkommenden Müdigkeit war das Interesse Pauls an der fremdartigen Erscheinung des roten Mannes groß genug, ihn am Einschlafen zu verhindern.
    Auf dem Boden zeigte sich der Indianer, der ganz nach der Art seines Volkes gekleidet war, als ein Jüngling von hoher kraftvoller Gestalt. Auf dem bartlosen, gutgebildeten Gesicht lagerte ein stolzer Ernst, der jetzt durch einen freundlichen Ausdruck gemildert ward. Außer Lasso und Lanze, welche er vor der Hütte gelassen, war er mit einem breiten und langen Messer, welches er am Gürtel trug, einer kurzstieligen Axt und einer schönen Büchse bewaffnet.
    Auf die Einladung des Trappers setzte er sich nieder. Dieser reichte ihm eine Thonpfeife und Tabak; der Indianer zündete sie an, und beide rauchten schweigend eine Weile, während Puck am Herde Wasser zum Sieden brachte, um Thee zu bereiten.
    Als der indianischen Etikette Genüge gethan schien, fragte der Trapper: "Was verschafft mir die Freude, den Großen Springer an meinem Feuer zu sehen?"
    "Die Cheyennes wollen den Büffel am Arkansas jagen, und Cayugas ist vorausgeeilt, um seinen Freund Grizzly zu begrüßen."
    Der Indianer sprach vortrefflich englisch.
    "Und ich danke dir dafür, Cayugas; ich freue mich, dich zu sehen, junger Häuptling. Dein Vater ist gesund?"
    "Die Dunkle Wolke der Cheyennes reitet an der Spitze der Jäger."
    "Freut mich, freut mich."
    Nach einer Weile fuhr er fort: "Haben die Cheyennes den Weg hierher auf diesem Ufer des Arkansas zurückgelegt?"
    "Wir haben ihn vor drei Tagen da, wo er die Biegung nach Norden macht, gekreuzt."
    "Hier wurde erzählt, die Cheyennes hätten vier Tagereisen von hier ein Nachtlager der Weißen überfallen."
    Ein schneller Blick des dunklen Indianerauges traf Paul nach diesen Worten, und mit tiefem Ernst entgegnete er: "Die Cheyennes haben Frieden mit den Weißen."
    "Ich weiß es, Cayugas", sagte der Trapper und reichte ihm die Hand.
    "Hat der junge Häuptling jenseits des Stromes zwei Cowboys gesehen, die nach Osten ritten?"
    "Er hat sie gesehen, es waren die Blutige Hand und der Geier."
    "Hm, habe mich also nicht getäuscht, als ich diese beiden Raubtiere der Wüste zu erkennen glaubte. Du kennst sie also auch?"
    "Die Cheyennes kennen sie."
    Der Trapper gab ihm nun einen Bericht, wie er Paul gefunden und unter welchen Umständen dieser in die Hand der Cowboys geraten war.
    Mit Aufmerksamkeit lauschte der Indianer.
    "Sah der junge Weiße", wandte er sich an Paul, "dort rote Krieger oder hörte er den indianischen Schlachtruf?"
    "Nein, Indianer, ich habe gar nichts gesehen, nur wildes Geschrei und Schüsse gehört."
    "Gab es tote Menschen?"
    "Ich weiß es nicht."
    Der Indianer versank in Nachdenken, welches der Trapper mit den Worten unterbrach: "Es ist dort ein Schurkenstreich verübt worden, welcher, wie ich vermute, diesem Jungen galt. Mehr als wahrscheinlich ist, daß man seinen vermeintlichen Tod, wie den ganzen Überfall den Cheyennes zuschreiben wird. Darum sage ich es dir, damit du deinem Vater darüber berichten kannst. Merke dir den Namen Osborne, Springer."
    "Es wird geschehen, und die Cheyennes werden nach den Cowboys ausschauen."
    "Wie steht ihr mit den Kiowas und den Kaws; haben die roten Leute Frieden?"
    "Sie haben Frieden; die Kaws jagen im Süden nach dem Kansas hin."
    "Es freut mich zu hören, daß die roten Leute nicht in Hader miteinander liegen."
    "Hat mein Vater Spuren der Kiowas gesehen?"
    "Nein, Cayugas. Wir haben uns nach ihnen umgesehen, aber keinen Kiowa oder seine Spur entdeckt."
    "Es ist gut."
    Puck reichte jetzt Blechbecher, mit Thee gefüllt, und Speisen umher. Der Indianer aß und trank mit den übrigen, suchte sich dann eine Lagerstätte, auf welche er sich, in eine Decke gehüllt, niederstreckte. Auch bei Paul machte sich die Abspannung nach dem langen Tage geltend, er versank in einem tiefen Schlummer, aus dem er erst, als die Sonne hoch stand, erwachte. Der Indianer hatte die Hütte bereits wieder verlassen.