Sechstes Kapitel

In den Teilen der Vereinigten Staaten von Nordamerika, welche sich der Zivilisation erst erschließen, geht man sehr freigebig mit der Bezeichnung Stadt um.
    Hunderte von "Städten" stehen in wohl ausgearbeiteten Plänen, mit imponierenden Straßenfluchten, Kirchen, Schulen, Universitäten u.s.w. auf dem Papiere, und die paar ärmlichen Hütten, welche in Wirklichkeit bestehen, bilden nur eine erheiternde Persiflage auf die glänzenden Entwürfe.
    Diese Städte entstehen, man giebt ihnen irgendeinen wohlklingenden Namen, und die meisten verschwinden eben so rasch, wie sie aufgekeimt sind. Wenigen ist ein weiteres Emporwachsen und eine längere Dauer vergönnt.
    Die wildeste Spekulation macht sich hierbei geltend, und der Auswurf unter den Bewohnern der Union giebt so lange den Ton in jenen an der Grenze der Wildnis gelegenen Distrikten an, bis die nachfolgende bessere Bevölkerung mit nachsichtsloser Strenge dem Gesetze zur Geltung verhilft, und es oftmals selbst ausübend in die Hand nimmt.
    Wie in den älteren Staaten der "Richter Lynch" den Verbrechern zu Leibe ging, wenn dem Staatsgesetze die Macht dazu fehlte, so in jenen, in die Prairie vorgeschobenen Gemeinwesen die Vigilanzkomitees, welche mit eiserner Faust den anständigen Leuten Ruhe vor Dieben und Mördern schafften.
    In beiden Fällen übten die Bürger das Richteramt aus.
    Wie die Lynchjustiz in den weiter östlich gelegenen Staaten, so war die des Vigilanzkomitees in den westlichen von der Verbrecherwelt gefürchtet.
    Das Städtchen Garfield, am Ufer des Kansas gelegen, rings von der Prairie umgeben, existierte erst seit wenigen Monaten. In den Zeitungen angepriesen als die Stadt der Zukunft, deren rasches Emporblühen zur Handelsmetropole des Westens nur die Frage einer kurzen Zeit sei, und die bereits jetzt glänzende Straßen, Kirchen, Verwaltungsgebäude, gastliche Hotels, ein Opernhaus ec. besitze, zeigte sie in Wirklichkeit nur ein wirr durcheinanderstehendes Konglomerat von Holzhäusern, Bretterhütten und Zelten.
    Dennoch zählte das Städtchen fünf- bis sechshundert Einwohner, und es waren bereits bemerkenswerte Versuche gemacht, den fruchtbaren Steppenboden zu bebauen.
    Das ließ darauf schließen, daß ein Teil der Bewohner seßhaft war, während der wahrscheinlich größere Teil, bestehend aus Handelsleuten und Spekulanten aller Art, gewiß jederzeit bereit war, Garfield den Rücken zu kehren, sobald sich erwies, daß es keine Zukunft habe, um ein andres keimendes Stadtwesen, welches einen Schritt weiter in die Wüste hineingedrängt war, mit ihrer Gegenwart zu beglücken.
    Ein lebhafter und für die weißen Händler recht vorteilhafter Handel wurde mit den benachbarten Indianerstämmen getrieben, welche ihre erbeuteten Büffelfelle, die von ihnen erzogenen oder erjagten Pferde hier gegen Stoffe, Waffen, Rum und nichtigen Tand, wie Glasperlen u.s.w., umtauschten. Die Cheyennes, Kiowas und Arrapohoes wurden in Garfield häufig gesehen.
    An einem ziemlich umfangreichen Bretterverschlage, der mit geteerter Leinwand bedacht war, stand mit großen Buchstaben "Union Hotel" angeschrieben, und der wüste Lärm, der aus seinem Innern herausdrang, ließ auf lebhaften Besuch dieses unbedingt ersten Gasthofes von Garfield schließen. Einige gesattelte Pferde waren in seiner Nähe angebunden.
    Eine wild und rauh genug aussehende Gesellschaft hatte sich in diesem "Hotel" eingefunden, welches ein Mann aus Kentucky, namens Taylor, seit einigen Monaten errichtet hatte, der dabei ein gutes Geschäft machte.
    In allen möglichen Trachten saß die ziemlich zahlreiche Gesellschaft umher, vom Jagdhemd dem blauen aus friesartigem Stoffe gefertigten Fracke des Hinterwäldlers, der kurzen Jacke, dem breitrandigen Hute der Cowboys, des Ochsentreibers, dem leichten Sommeranzuge der Städter, bis zum dunklen Rocke des Mannes aus den Neuenglandstaaten. Landleute, Jäger, Kaufleute, Schiffer waren hier vertreten, und dazwischen fand sich abenteuerndes Gesindel aller Art. Bewaffnet waren alle, einige mit Büchsen, andre mit Pistolen, und das lange Messer fehlte wohl keinem.
    An einem Tische saßen zwei Gesellen, von denen der eine, lang und hager, durch eine große Narbe im raubvogelähnlich geformten Gesicht auffiel, während der neben ihm sitzende sich wesentlich nur durch den gemeinen Ausdruck des breit angelegten Antlitzes auszeichnete.
    Der Tracht nach schienen es Cowboys zu sein. Unfern von ihnen saß einsam ein Mann in gleicher Tracht, dessen von Sonne und Wind gebräuntem Antlitz, dessen sehniger, magerer Gestalt man es ansah, daß er sein Leben in der Wildnis zugebracht hatte. Ein Zug ruhiger Entschlossenheit in seinem Gesicht, aus dem zwei graue Augen jetzt nachdenklich vor sich hinblickten, war geeignet, Raufbolde, wie sie die Gesellschaft aufwies, in achtungsvoller Entfernung von ihm zu halten. Der Mann saß schweigend da und trank seinen Thee, ohne der andern um ihn her zu achten.
    Die zwei Cowboys in seiner Nähe unterhielten sich halblaut miteinander.
    In die ruhigen Züge des allein Sitzenden kam Bewegung, als von einem seiner Nachbarn der Name Osborne genannt wurde.
    Er stützte das Gesicht hierauf in die hohle Hand und horchte dann, während es schien, er bekümmere sich um nichts, aufmerksam nach ihnen hin.
    "Sage dir, Jim", äußerte der Lange, "ist ein Schuft, der Osborne, will ehrliche Leute um den sauer verdienten Lohn betrügen, kenne ihn von früher her. Wollte, hätte mich auf die Sache gar nicht eingelassen, ist mir mitunter gar nicht wohl zu Mute, wenn ich an den Jungen denke."
    "Glaube nicht", entgegnete Bill, "daß der Osborne uns betrügen will, wird's nicht wagen. Muß hier irgend etwas vorgefallen sein, daß unser Freund, Richter Johnson, nicht mehr in Garfield anwesend ist. Hätten schon vor vierzehn Tagen hier sein sollen, um das Geld zu erheben. Vermute, hat der Johnson das mitgenommen. Muß hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein. Sind überhaupt hier viel fremde Gesichter, seitdem ich zuletzt hier war. Scheue mich, nach Johnson zu fragen, wenn's nicht bei einem alten Freunde geschehen kann, kalkuliere", fuhr er noch leiser fort, "ist mit dem verd- Vigilanzkomitee in Konflikt gekommen, und ich möchte nicht dessen Aufmerksamkeit auch auf mich lenken."
    Sie flüsterten jetzt, und der Cowboy neben ihnen konnte nichts mehr verstehen.
    Ein fast weißhaariger Mann, in der Tracht des wohlhabenden Landmannes jener westlichen Gegenden, trat ein und schaute sich um. Als er den Wirt erblickte, einen Mann von untersetzter Gestalt, dessen breite Schultern und gewaltige Arme ungewöhnliche Kraft verrieten, ging er auf ihn zu und fragte: "Ihr seid John Taylor?"
    "Ist so, Mann", entgegnete der Wirt und schaute aufmerksam in das Gesicht dessen, der ihn angeredet hatte.
    "Habe da ein paar Zeilen von einem eurer Freunde, Sir, werden euch sagen, wer ich bin und welch Geschäft mich herführt."
    Der Wirt nahm den ihm gereichten Brief, las ihn langsam und schaute dann wieder in das Gesicht des Überbringers.
    "Well, setzt euch, Fremder. Seid gut empfohlen. Setzt euch, wollen das Geschäft nachher besprechen. Nehmt einen Toddy, Sir, wird euch gut thun." Er deutete auf einen leeren Holzstuhl und flüsterte dem Alten ins Ohr: "Seid vorsichtig, die Luft ist nicht rein."
    Der Mann setzte sich und nahm den ihm gereichten Toddy.
    Niemand der Anwesenden, die fast sämtlich in lautem Gespräch begriffen waren, hatte dem eben Eingetretenen irgend welche Aufmerksamkeit geschenkt, bis auf den einsam sitzenden Cowboy, der ihn mit scharfen Blicken musterte.
    An einem der Tische ließ sich nach einem derben Fluche eine laute Stimme vernehmen: "Es sind spitzbübische Indianer gewesen, die den Überfall auf Mr. Osborne verübten, hat es mir selbst gesagt."
    "Will gehängt sein, wenn's nicht Prairieräuber waren", sagte ein andrer. "Hat der Osborne in seiner Angst Indianer zu sehen geglaubt. Treibt sich überhaupt wieder viel Gesindel hier herum, hoffe, wird das Vigilanzkomitee Umschau halten. Wollen kurzen Prozeß mit Mördern und Dieben machen."
    "Bleibe dabei, es waren Rote. Hat sich seit der Zeit auch keiner mehr hier blicken lassen."
    "Na, das ist natürlich, halten jetzt ihre großen Jagden, werden schon kommen, wenn die vorüber sind."
    "Scheinst ja sehr für die Herren aus der Steppe eingenommen zu sein."
    "Könnte ich nicht sagen, will nur nicht, daß ihnen unrecht geschieht. Kenne die Leute und handle mit ihnen seit Jahren. Haben Ursache, Frieden mit uns zu halten, und werden ihn gewiß nicht ohne Not brechen. Will dir sagen, die Sache mit dem Überfall auf diesen Mr. Osborne ist eine etwas dunkle Geschichte."
    "Darf ich fragen, Gentlemen", mischte sich der zuletzt gekommene und unweit sitzende alte Farmer ins Gespräch, "von was die Rede ist; bin fremd hier. Ist die Gegend unsicher?"
    "Nicht unsicherer wie überall an der Grenze, Sir, und wird bald ganz friedlich werden, wenn erst noch einige Strolche gehängt worden sind. Was die Sache angeht, von der wir sprachen, so ist da ein Mr. Osborne aus den Staaten, der hier am Kansas Viehherden hat, in der Prairie vor ein paar Wochen überfallen worden."
    "Hm", sagte der alte Herr, "entsinne mich, davon in den Zeitungen gelesen zu haben; sind mehrere Menschen ermordet worden bei jenem Überfall."
    "So viel mir bekannt", entgegnete der andre, ein Kaufmann, der sich in Garfield niedergelassen hatte und mit allem möglichen handelte, "ist nur ein junger Mensch, der Sohn oder Neffe des Osborne, dabei ums Leben gekommen."
    "Hat der Richter sich der Sache angenommen?"
    "Der Richter, Sir? Nun, hatten damals einen Burschen, Johnson, als Richter; sonderbarer Richter, war mit allem Raub- und Diebsgesindel auf du und du. Hatte das Vigilanzkomitee Verdacht gefaßt gegen den Mann, der Recht sprach. Johnson verschwand aber, ehe man gegen ihn vorgehen konnte."
    "Und man weiß nicht, Sir, wer den Überfall ausgeführt hat?"
    Die beiden oben geschilderten Gesellen, wie der einsam sitzende Cowboy lauschten dieser Unterhaltung mit großer Aufmerksamkeit. Auch der Wirt horchte von Zeit zu Zeit hin, und sein Auge überflog dann die Zahl seiner Gäste, blieb aber am häufigsten auf Ben und Jim haften.
    "Nein, Sir, mit Sicherheit nicht. Mr. Osborne kam zurück und machte Meldung beim Richter, der damals der Johnson war; er behauptete, es seien Indianer gewesen."
    "Und was hat der Coroner entschieden?"
    "Coroner, Sir? Glaubt ihr, wir lebten hier in den Staaten? Der Osborne hat den Fall angezeigt, er und seine Begleiter haben ihren Eid abgelegt, und damit gut. Der brave Johnson hat, glaube ich, ein Verdikt abgegeben, der junge Osborne sei zu nächtlicher Zeit in der Steppe von unbekannter Hand getötet worden. Damit war die Sache abgethan."
    "Verzeiht meine Neugierde, Sir, aber mich will bedünken, ich habe den Vater des ermordeten Jünglings gekannt, wenn es Osbornes aus Arkansas waren."
    "Stimmt, Sir, haben große Viehherden hier am Kansas, die Osbornes, waren eben im Begriff, diese zu suchen, als das Unglück eintrat."
    "Und der junge Mann ist hier begraben?"
    "Glaube nicht, vermute, haben ihn draußen eingescharrt."
    "Wenn es die Osbornes aus Arkansas waren, hat der Fall doch großes Interesse für mich. Hat denn keine Untersuchung, keine Verfolgung der Mörder stattgefunden?"
    "Sagte euch schon, Sir, gehörte der Richter wahrscheinlich selbst zu den Räubern, könnt euch also die gerichtliche Prozedur lebhaft vorstellen. Ob unser Vigilanzkomitee sich mit der Sache beschäftigt hat, weiß ich nicht. Daß es aber nicht Indianer waren, glaube ich bestimmt."
    "Waren verdammte Rothäute", schrie der Jim genannte Mann von einem Tische her, "trefft immer einige dieser herumlungernden Vagabunden, wenn ihr euch in die Steppe traut."
    Der Kaufmann warf einen Blick auf die Galgenphysiognomie des Redners und sagte trocken: "Und weiße Vagabunden trifft man sowohl in der Steppe wie in den Städten an."
    Jim wollte etwas entgegnen, aber ein warnender Fußstoß Bens hielt ihn davon zurück, und er brummte nur etwas Unverständliches in sich hinein.
    Der einsam sitzende Cowboy erhob sich jetzt, trat vor und sagte zu dem Kaufmann: "Habt recht, Sir, waren keine Indianer, die Mr. Osborne überfielen, waren weiße Schurken."
    "Ei, wißt ihr das so gewiß, Mann?" fragte der, nach dessen Ansicht Indianer die Schuldigen waren. "Wer seid ihr denn, Sir? He?"
    Ruhig entgegnete der so etwas rauh Angeredete: "Will's euch sagen, Sir, werdet dann begreifen, daß ich ein Interesse an der Sache habe. Bin der erste Rinderhirte John Osbornes seit sieben Jahren." Der greishaarige Farmer machte eine Bewegung lebhaften Erstaunens bei diesen Worten. "Habe in der Wüste erst spät von seinem Tod erfahren, und in voriger Woche erst von dem Raubanfall auf den anderen Osborne. Bin deshalb hergeritten, um Näheres hier zu erkunden."
    "Bei Gott", sagte der Farmer, "es ist Nathan Wild, unser Herdenbewahrer. Freue mich, euch zu sehen, Nathan. Erkennt ihr mich?"
    "Hatte gleich die Notion, ihr wäret Mr. Brown, Osbornes rechte Hand, als ich euch sah. Seid zwar in den Jahren etwas weißhaariger geworden, aber erkannte euch doch."
    Die beiden Männer schüttelten sich die Hände.
    "Ist ein trauriger Fall mit dem jungen Paul, Nathan, sehr traurig. Aber worauf stützt ihr eure Ansicht, daß es nicht Indianer waren, die ihn getötet?"
    "Will's euch sagen, Sir. Möchte, wie der Gentleman da", er deutete auf den Kaufmann, "die Roten in diesem Fall in Schutz nehmen. Brechen nicht auf solche Art den Frieden. Sind auch alle im Norden auf der Jagd. Ist aber noch etwas andres, was mich glauben läßt, daß Prairieräuber ihre Hand im Spiele haben. Hat einer meiner Jungen am Tage nach dem Überfall zwei Strolche durch die Prairie traben sehen, welche einen jungen Menschen zwischen sich hatten. Ist mir das erst verdächtig geworden, als ich von dem Verbrechen erfuhr. Wie war der junge Osborne gekleidet, Sir?"
    "Er trug blaue Jacke und ebensolche Beinkleider und einen Wachstuchhut."
    "Stimmt", sagte der Cowboy, "so schilderte ihn mein Junge."
    "Um Gottes Willen", sagte zitternd vor Aufregung Brown, "Nathan, dann wäre ja das Kind nicht ermordet. Paul, unser Paul, lebte noch. Am Tage nach dem Überfall hat ihn der Junge erblickt? - Ist das sicher?"
    "So sicher wie das Amen in der Kirche."
    "O Herr des Himmels - o Gott, und ich habe den Totenschein gesehen - o Gott."
    Der Wirt war den Redenden näher getreten, als er erfuhr, in welcher Beziehung der alte Farmer und der Cowboy zu einander und dem vielbesprochenen Mordanfall standen; auch die andern hatten ihre Aufmerksamkeit auf die beiden Männer gerichtet und horchten aufmerksam zu.
    "Sage euch, Gentlemen", fuhr der Cowboy mit erhobener Stimme fort, "ist eine unklare Sache mit dem jungen Osborne, kalkuliere aber, die beiden dort", und er zeigte mit der Hand auf Ben und Jim, "können uns mehr davon sagen, haben eben vor meinen Ohren sehr verdächtige Reden geführt."
    Die so bezeichneten Banditen sprangen bei diesen Worten empor, und in eines jeden Hand blitzte ein Messer. Auch die andern erhoben sich.
    In drohender Haltung aber ging der Wirt auf Ben und Jim zu und sagte: "Die Waffen fort, Gentlemen, oder es ergeht euch übel."
    "Begreife nicht, was der Mann von uns will, Sir, sind friedliche Leute und kümmern uns keinen Teufel um andrer Angelegenheiten."
    Der Cowboy aber, in dessen strengen, wetterharten Zügen eine Entschlossenheit sich ausdrückte, die wohl geeignet war Respekt einzuflößen, fuhr fort, indem er Jim ansah: "Glaube, kenne dich, Bursche, bist Richter Lynch drüben entgangen, ob dir gleich die Regulatoren hart auf den Fersen waren. Will euch sagen, Gentlemen, bin hierher gekommen, um etwas zu hören über den Fall Osborne. Habe gehört. Äußerte der da", er wies auf Ben, "indem er den Namen Osborne nannte: 'wollte, hätte mich gar nicht in die Sache eingelassen, ist mir mitunter gar nicht wohl zu Mute, wenn ich an den Jungen denke.' Kalkuliere, wird sich lohnen, die Gesellen dort einem Kreuzverhör zu unterwerfen; wollen doch erfahren, was für eine Sache und was für ein Junge dies waren, die mit dem Namen Osborne zusammenhängen."
    "Möchte den sehen", schrie trotzig Ben, "der einen freien Bürger der Staaten auf solch alberne Anschuldigungen hin vor den Richter bringen wollte."
    "Gentlemen", rief Brown, der gewaltig erregt war, "die da sind's, die unsern Paul davongeführt und ermordet haben, setze meinen Hals zum Pfande, sie sind's."
    "Komm, Jim", sagte der lange Ben, "sind hier in ein Narrenhaus geraten, wollen andre Luft aufsuchen."
    Damit wollten sie davongehen.
    Aber der Wirt trat ihnen entgegen und neben ihm Nathan Wild.
    "Halte euch für genügend verdächtig, Bursche", sagte Taylor, "einmal ein eingehendes Verhör mit euch anzustellen. Müßte mich auch sehr täuschen, wenn euer Signalement, und besonders deine, mein Junge, mit der Narbe, nicht in den Akten des Sheriff zu finden wäre."
    "Segne deine Seele, Mann", schrie Ben, "wirst ein Loch in deiner Haut haben, ehe du Amen sagen kannst, wenn du ehrenwerte Gentlemen verdächtigst! Gieb Raum!" und drohend hob er die Pistole.
    Ein schnell geführter Schlag, mit welchem Nathan Wild mit seinem kurzen Peitschenstiel seine Hand traf, warf die Pistole zur Erde.
    Gleichzeitig traf ein Faustschlag des Wirts Jim, der mit seinem langen Messer herumhantierte, und machte ihn kampfunfähig.
    "Kalkuliere, Gentlemen", sagte er dann ruhig zu den Umstehenden, "sind die beiden genügend verdächtig, um dem Richter vorgeführt zu werden. Bin Magistratsperson, Gentlemen, und fordere euch auf, dem Gesetze Achtung zu verschaffen. Hier, Nathan Wild, ist mir als ehrenwerter Mann bekannt und ebenso Mr. Brown aus Arkansas, der Verwalter der Osborneschen
    Besitzungen; waren mir von guter Hand empfohlen worden. Sind gewichtige Zeugen. Achtung dem Gesetze. Seid verhaftet, ihr beiden."
    Dicht standen die Anwesenden um die beiden Banditen geschart, die, unfähig sich ihrer Waffen zu bedienen, auch gar keinen Widerstand versuchten. Da mit Ausnahme von Ben und Jim alle mit dem Rücken der Thüre zugekehrt standen, hatte niemand gesehen, wie dort ein Mann erschien, der einen Blick des Schreckens auf die Gruppe heftete.
    Als man die verdächtigen Gesellen binden wollte, fiel Bens Auge auf den Fremden, dieser machte ihm ein Zeichen und verschwand, ohne daß ihn jemand außer Ben gesehen hätte.
    Der Bandit, dem augenscheinlich nicht wohl zu Mut war, atmete jetzt, wie es schien, erleichtert auf und sagte zu seinem tückisch dareinschauenden Gefährten: "Komm, Jim, fügen wir uns ins Unvermeidliche. Weißt du, Gesetz ist Gesetz, muß respektiert werden. Wird den Gentlemen hier noch leid thun, zwei ehrenwerte Leute gekränkt zu haben."
    "Hier meine Hände, Sir", sagte er zum Wirt, der Stricke herbeigeholt hatte, "bindet mich; wenn ihr wollt, will euch gern vor den Richter folgen, haben reine Sache."
    "Will euch binden, Bursche", sagte trocken Taylor, "und vor den Richter werdet ihr bald kommen, 's ist aber diesmal nicht euer Spießgeselle, der Johnson."
    Beide wurden gebunden und von einem Teil der Anwesenden, denen sich Nathan Wild anschloß, nach einem Blockhause geführt, welches das Gerichtslokal und Gefängnis enthielt. Dort übergab man sie dem Konstabel.
    Als sie fort waren, sagte Taylor zu Brown: "Ist der Sheriff Heathcot in Monmouth mein Freund, Sir, hat euch an mich empfohlen, seid also auch ihr mein Freund. Freue mich, daß ihr hier seid. Habe wegen dieser Sache mit dem unglücklichen Jungen schon allerlei Bedenken gehabt. Ist eine merkwürdige Geschichte. Also in Monmouth hat der Osborne den Totenschein seines Neffen vorgezeigt?"
    "Ist so, Sir, in aller Form ausgestellt."
    "Hm, nun von den verhafteten beiden Burschen ist wohl allerlei herauszubekommen, sind in eine Pantherfalle hier geraten. Können solch Gesindel gerade noch brauchen."
    Der Cowboy, welcher sich davon überzeugt hatte, daß die beiden verdächtigen Burschen in sicheren Gewahrsam genommen waren, trat wieder ein und gesellte sich schweigend zu den Redenden.
    Brown, dem der Wirt als ein zuverlässiger, ehrenwerter Mann bezeichnet war, und der Nathan Wild als solchen kannte, zögerte nicht, ihnen sein ganzes Herz auszuschütten und den Verdacht, den der gegen James Osborne hegte, deutlich zu äußern.
    "Geht noch zu wild hier zu, Sir", erwiderte ihm hierauf Taylor, "wird das alles schwer zu beweisen sein, um so schwieriger, als der Schuft, der Richter Johnson, davongekommen ist. Woher Zeugen nehmen?"
    "Sagt mir nur eines, Sir, glaubt ihr, nach dem, was der junge Cowboy, der Untergebene Nathan Wilds, in der Steppe gesehen hat, und zu zweifeln ist nicht daran, daß der junge Osborne noch lebt?"
    Taylor schüttelte bedächtig den Kopf und entgegnete ernst: "Glaube nicht, Sir, nach allem, was ihr mir sagt, galt es, den Jungen zu beseitigen. Wir werden wenig aus den beiden Schuften herausbringen, aber ich habe sie verhaften lassen, um den Versuch zu machen, Licht in diese dunkle Affaire zu bringen. Gehöre zum Vigilanzkomitee", setzte er leise hinzu und fuhr wieder laut fort: "Zweifle nicht, daß diese Gesellen bei dem Morde beteiligt sind, und wundere mich, daß sie sich hierher zurückgewagt haben."
    "Nach dem, was ich von ihnen erlauschte", fügte Wild ein, "hofften sie hier auch einen gewissen Johnson zu treffen, auch scheinen sie nicht gut auf Mr. Osborne zu sprechen zu sein."
    "Werden entweder ihr Sündengeld noch nicht haben", meinte Taylor, "oder wollen den Versuch machen, weiteres von Osborne zu erpressen. Wird ja wegen Mangel an Zeugen nichts übrig bleiben, als die Burschen laufen zu lassen, wenn nicht noch etwa eine ältere Sache vorliegt - aber - kommt's euch auf eine Hand voll Dollar an, Sir?" wandte er sich an Brown.
    "Nein, auf mehrere Hände voll nicht, wenn ich Gewißheit über das Schicksal des Jungen erlangen kann."
    "Gut, wollen's versuchen. Will mit dem Richter sprechen und mit den Schuften. Werden sehen."
    Damit schloß die Unterredung. Der Versuch, den Taylor noch am Abend machte, Ben und Jim zum Sprechen zu bringen, mißlang; beide behaupteten keck, nichts von alledem, was ihnen zur Last gelegt werde, zu wissen, obgleich der Richter der Ansicht war, daß er in ihnen zwei höchst gefährliche Prairieräuber vor sich habe. Auch das Anbieten von Geld hatte auf die Schurken keinen Eindruck gemacht.
    Niedergeschlagen suchte Mr. Brown sein Lager. Er sowohl als der Cowboy konnten nicht schlafen; Wild, der gewohnt war, die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen, erhob sich, um an die Luft zu gehen, und Brown schloß sich ihm an.
    Ein natürliches Gefühl trieb sie an, nach dem Blockhause zu schlendern, welches die Gefangenen barg.
    Die Nacht war dunkel, und ein feiner Regen fiel hernieder.
    Aus einigen Wirtshäusern drang noch Lärm; auch bei Taylor saßen noch einige Gäste, sonst schien alles in Garfield zu schlafen.
    Als sie sich, langsam in der Dunkelheit hinschreitend, dem Gefängnisse näherten, berührte Pferdewiehern ihr Ohr. Beide standen und lauschten. Dann schlich Wild, mit der Geräuschlosigkeit des Fuchses, sich im Schatten der nächsten Hütten haltend, vor und sein an die Dunkelheit gewöhntes Auge gewahrte bald drei gesattelte Rosse, welche von einem Manne gehalten wurden. Brown war langsam nachgeschlichen und stand neben dem Cowboy. Nach wenigen Sekunden huschten zwei dunkle Gestalten vom Gefängnisse herbei, die von einer gedämpften Stimme mit den Worten begrüßt wurden: "Kommt ihr endlich? 's ist Zeit."
    "Bei Gott", flüsterte Brown dem Cowboy ins Ohr, "das ist Mr. Osborne."
    "Ließ uns nicht früher los, Sir, aber hier sind wir", entgegnete der eine der Kommenden.
    "Waffen, Rationen sind auf den Pferden, hier sind für jeden hundert Dollar, und nun bringt rasch dreißig Meilen zwischen euch und den Galgen."
    "Danken euch, Mr. Osborne, war Zeit."
    Als sie im Begriff waren, sich auf die Pferde zu schwingen, trat Brown, der sich nicht länger zurückzuhalten vermochte, vor und sagte: "Wünsche euch guten Abend, Mr. Osborne, seid ja in guter Gesellschaft hier, wie ich sehe."
    Osborne stieß, so jäh überrascht, als er die Stimme Browns erkannte, einen grauenvollen Fluch aus, und machte eine Bewegung auf den alten Mann zu.
    "Wer sich rührt, dem fährt eine Kugel durch den Kopf", rief Wild und ließ den Hahn seiner Büchse, die er nach alter Gewohnheit mitgenommen hatte, knacken, "hat der Sheriff ein Wort mit euch zu sprechen."
    "Kommt mit, Sir", flüsterte eine Stimme, und zwei Reiter verschwanden eilig im Dunkel. Des Cowboys Büchse krachte, aber die Kugel erreichte kein Ziel.
    Der Knall einer Pistole ließ sich hören, sie sahen das aufflackernde Feuer, und die Kugel sauste an ihnen vorbei. Beide sprangen zur Seite, da jagte auch der dritte Reiter schon davon, den andern nach.
    "Reitet nur, James Osborne", rief Brown mit starker Stimme ihm nach, "der Rächer holt euch ein."
    "Zurück, zu Taylor", sagte Wild, "zu Pferde und ihnen nach."
    Sie gingen zurück. Von verschiedenen Seiten eilten Männer herbei, welche die Schüsse aufgescheucht hatten. Auch der Richter kam.
    Als er erfuhr, daß die Gefangenen entwischt seien, sagte er: "Hoffe, Gentlemen, sind einige unter euch, die dem Gesetze Achtung verschaffen und die Entflohenen verfolgen werden."
    "Habt euch nicht getäuscht, Richter", sagte ein baumlanger Arkansasmann, "soll geschehen. Holla, Boys, zu Pferde, giebt eine lustige Jagd, wollen dem Gesetz Achtung verschaffen."
    Er eilte mit andern davon, um die Pferde zu holen.
    "Kommt vorher zu Taylor", rief ihnen der Richter nach und ging mit Wild und Brown zum Gefängnis, wo es sich herausstellte, daß auch der Konstabel, welcher das Gefängnis bewachte entflohen war, und suchte dann das Unionhotel auf.
    Der Wirt vernahm mit Erstaunen die Anwesenheit Osbornes und die mit dessen Hilfe, sicher durch Bestechung des Gefängnisbeamten, ermöglichte Flucht der Gauner.
    Der Cowboy sattelte eilig sein und Mr. Browns Pferd. Da trabten schon von verschiedenen Seiten die jungen Männer heran, die sich bereit erklärt hatten, die Flüchtigen zu verfolgen.
    "Sind zunächst nach Norden geritten, die Burschen", nahm der Richter das Wort, "wie Mr. Wild sagte, ist die Steppe aber groß, können leicht einen Haken schlagen, ist notwendig, euch zu teilen, Gentlemen."
    "Habt recht, Richter", sagte Wild. "Ich will nach Norden gehen und bin dankbar, wenn sich zwei der Gentlemen mir anschließen."
    "Komm, Jack", sagte der lange Arkansasmann zu einem der Umstehenden, "gehen wir mit ihm nach Norden."
    "Ist recht, meine Jungen", nahm der Richter das Wort, "geht ihr nach Norden und ihr andern teilt euch nach Ost und West. Glaube nicht, daß die Flüchtigen in der Nacht den Fluß zu kreuzen wagen. Wenn ihr den Konstabel seht, bringt ihn auch mit. Hat die Schufte entwischen lassen. Wollen auch mit ihm ein Wörtchen reden."
    Die Verfolger teilten sich und galoppierten in die Nacht hinaus. Brown schloß sich trotz Taylors Abmahnen dem Cowboy an.
    "Glaube, Taylor", sagte der Richter ernst zu dem Wirt, als sie davon waren, "hatten einen guten Fang gemacht, zweifle nicht, daß wir den berüchtigten Prairieräuber, den langen Ben, und den scheußlichen Mordgesellen, den Bloom, bei uns hatten. Und Mr. Osborne? Nun, hoffe, unsre Jungens treffen auf ihre Fährte. Wollen hier schon Ordnung schaffen, Taylor, so daß anständige Menschen frei atmen können. Gute Nacht, Sir!"