Zehntes Kapitel

Langsam bewegte sich ein Trupp von etwa sechzig Cheyennekriegern durch die Steppe, in dessen Mitte Mister Osborne, Ben und Jim mit zusammengebundenen Füßen einherritten. Es war die Schar, welche Cayugas Führung anvertraut war und unter seiner Leitung die drei Männer gefangen genommen hatte. Der junge Häuptling war nicht unter den Reitern; mit einer kleineren Abteilung ausgesuchter Krieger war er davongeritten, um nach der Stellung des Feindes auszuspähen. Mit welch großer Vorsicht die Cheyennes einherzogen, zeigten die weit umher verstreuten einzelnen Reiter, die als Vedetten dienten.
    Verschieden war der Gesichtsausdruck der Gefangenen. Während der Jim genannte Mann grimmig und zugleich trotzig vor sich hinstierte, Ben wenigstens den noch ihm eigenen Zug von Kühnheit wahrte, sah Mr. Osborne sehr niedergeschlagen aus. Er mußte sich sagen, daß jetzt, wo das Streben langer Jahre, sich in den Besitz des Vermögens seines Bruders zu setzen, endlich mit Erfolg gekrönt war, wo er als reicher und angesehener Mann auf einer schönen Besitzung leben konnte, schon seine bald offenkundige Gemeinschaft mit den beiden unheimlichen Gesellen sehr gefährlich für ihn war. Dazu kam noch, daß, wie er mit Schrecken gewahrt hatte, dieser energische alte Mann, der Brown, ihm nachspürte und ihn leider in Garfield erkannt hatte. Selbst wenn der Richter ihm nichts anhaben konnte, was bei den unzuverlässigen Schurken, derer er sich bedient hatte, um seinen Neffen zu beseitigen, doch noch mindestens zweifelhaft war, konnte er in Arkansas nicht bleiben. Durch die Gefangennahme in Gesellschaft der Blutigen Hand und des Geiers, nach dem Vorgange in Garfield, war ihm ein Brandmal aufgedrückt, welches ihn für anständige Gesellschaft unmöglich machte.
    Mr. James Osborne hatte in den Jahren, die er fern von der Heimat zubrachte, ein wildes, abenteuerliches, von verbrecherischen Handlungen nicht freies Leben geführt und in diesem Treiben auch die Bekanntschaft von Ben und Jim gemacht. In Texas, Colorado, selbst in Kalifornien war er, freilich unter verschiedenen Namen als Falschspieler berüchtigt und durfte sein Gesicht dort nicht mehr zu zeigen wagen. Trotz seiner ebenso verwegenen als verfänglichen Spekulationen, seiner Geschicklichkeit im Hazardspiel war es ihm nicht gelungen, wieder emporzukommen. Bei ihm sagte das Sprichwort: "Wie gewonnen so zerronnen" die Wahrheit; nachdem er sich im Westen unmöglich gemacht hatte, suchte er mit dem letzten Reste seiner Barschaft die Heimat wieder auf, wo man keine Kunde von seinem Treiben hatte, und sein gütiger Bruder John half ihm, sich eine neue Existenz zu gründen und sich eine geachtete Stellung zu verschaffen. James Osborne war ein vollendeter Heuchler, er wußte seinen Bruder zu täuschen und zeigte sich der Menge als ehrbarer Bürger und fleißiger Kirchenbesucher. Dabei war er nicht nur grenzenlos habgierig, nein, er besaß auch den Ehrgeiz, eine Rolle im bürgerlichen Leben spielen zu wollen. Wurde er nun mit den beiden berüchtigten Burschen dem Richter vorgeführt, legte der alte Brown, der ihn genauer kannte, als andre, Zeugnis gegen ihn ab, so war der Traum, den großen Herrn in Arkansas zu spielen, ausgeträumt. Unaufhörlich sann er deshalb darüber nach, wie er dieser Gefahr entrinnen könne.
    Aber um ihn ritten die ernsten, schweigsamen Cheyennekrieger; wiederholte Versuche, eine Unterhaltung anzuknüpfen, waren kurz abgewiesen worden. Jetzt war der junge Häuptling, den eine stolze Mannhaftigkeit weit über seine Jahre auszeichnete, dem die Krieger mit ergebenem Gehorsam folgten, abwesend, und er beschloß, einen neuen Versuch zu machen, Unterhandlungen anzuknüpfen.
    Die beiden wüsten Gesellen an seiner Seite waren, wie er, mit Gedanken, auf irgend eine Weise die Freiheit zu gewinnen, beschäftigt. Beiden war in der Mitte dieser schweigenden Cheyennes nicht gut zu Mute, denn sie wußten wohl, daß einem ehrenwerten Richter überliefert, der Strick ihnen sicher war. Ihre Verbrechen ließen sich zu klar erweisen, sobald man sich die Mühe gab, Zeugen herbeizuschaffen. Der häufige Wechsel des Aufenthaltes, das Hin- und Herströmen der mit unsauberen Elementen durchsetzten Bevölkerung der Grenzdistrikte, in welcher sie Helfershelfer fanden, endlich die Zuflucht, welche ihnen die endlose Steppe im Notfall bot, hatten sie bis jetzt vor dem Arm des Gesetzes geschützt.
    "Osborne", sagte Ben halblaut zu ihm; "wird eine unangenehme Sache, wenn wir nach Garfield gebracht werden. Haben Feinde dort, gewissenlose Menschen, die gottlos genug sein werden, falsches Zeugnis gegen uns abzulegen."
    "Wird so kommen. Und mit gefangen mit gehangen, heißt es bei mir, der ich in eurer Gesellschaft ertappt wurde."
    "Will euch was sagen, Gevatter", äußerte der Lange, "kennen uns, wäret längst gehangen, wenn der Richter wüßte, wer den Goldgräber in Western City erschoß."
    "Dummheit."
    "Kalkuliere, seid deshalb mit uns in ganz guter Gesellschaft."
    "Nun, und was weiter?"
    "Wollte euch raten, einen Versuch zu machen, unsre Schlingen zu lösen."
    "Wie denn?"
    "Seid ein reicher Mann, bietet den Cheyennes an, wonach ihr Herz begehrt. Büchsen, Decken, Pulver, Perlen, Zeuge, Rum, sind habgierig genug, die Schelme. Versucht's."
    "Ist mein Gedanke, seitdem der junge Feuerfresser fort ist, will's versuchen."
    "Wundere mich", fuhr Ben fort, "daß man uns nach Westen führt, statt nach Süden, und daß der junge Häuptling davongeritten ist, auch die ungewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln, welche die Leute anwenden, um nicht überrascht zu werden, verstehe ich nicht."
    "Ist gleichgiltig. Will mit dem Cheyenne reden."
    Sie ritten einige Zeit schweigend weiter. Als der jetzige Anführer der Schar, ein Mann von mittlerem Alter und hartem Gesichtsausdruck, in seiner Näher war, rief ihn Osborne an.
    "Will der Häuptling mir die Ehre erweisen, einige Worte von mir anzuhören?"
    Der Indianer ritt zu seiner Seite.
    "Das Bleichgesicht möge rede."
    "Was habt ihr mit uns vor? Wo führt ihr uns hin?"
    "Cayugas sagte es; wir bringen euch nach dem Kansas und übergeben euch dem Richter der Weißen dort."
    "Das wäre schon sehr gut, denn der Richter ist unser Freund und wird nicht mit gütigen Augen auf die Cheyennes sehen, weil sie uns in der Prairie gefangen genommen haben."
    "Was thut der weiße Mann in der Prairie?"
    "Ei, ich habe große Rinderherden in der Steppe unter Nathan Wild, dem Cowboy, und kam, nach ihnen zu sehen."
    Dies machte den Cheyenne augenscheinlich stutzen, denn er, wie viele seine Volkes, kannte die Herden Osbornes, der sich bemüht hatte, ein freundliches Einvernehmen mit dem Stamme herzustellen, und auch den Cowboy, der sie hütete.
    "Haben die Blutige Hand und der Geier auch Rinderherden hier?" fragte er dann und lächelte.
    Osborne bemerkte den Spott wohl, aber fuhr, ohne ihn zu beachten, fort, "nein, sie sind meine Führer, die ich annehmen mußte, weil ich mich in der Steppe nicht zurecht zu finden weiß."
    "Das wirst du alles deinen Häuptlingen sagen."
    "Meine Geschäfte rufen mich nach Osten, wo meine Anwesenheit sehr notwendig ist, und ihr führt mich nach Westen; das ist für mich sehr schlimm, und ich würde viel geben, wenn ich meinen Weg fortsetzen könnte. Warum führst du mich, da du mich doch dem Richter bringen willst, nach Westen und nicht zum Kansas gegen Süden?"
    Der Indianer antwortete nicht.
    "Ich bin ein reicher Mann und würde den Cheyennes viel Büchsen, Pulver und Decken geben, wenn sie mich nach Osten reiten ließen."
    Des Cheyennes Augen funkelten bei Aufzählung dieser ihm so begehrenswert erscheinenden Schätze, aber er entgegnete nichts.
    Osborne ließ seine gewichtige goldene Uhrkette und seine Ringe, welche der Wilde schon längst bewundert hatte, in der Sonne spielen.
    "Der junge Häuptling der Cheyennes muß sich geirrt haben, als er uns festhielt, denn wir sind, wie alle Weißen, die Freunde seines Volkes."
    "Der Sohn der Dunklen Wolke weiß, was er thut."
    Leiser fuhr Osborne fort: "Ich würde meinem Freunde diese Kette und die Ringe an meinen Fingern schenken, wenn er gestatten wollte, daß wir nach Osten zu den Unsern reiten, und die Cheyennes sollten viele gute Dinge von mir haben."
    Der Indianer, dessen Augen fortwährend den Horizont der Steppe überflogen, entgegnete ihm nichts und blickte, sich im Sattel aufrichtend, starr nach Norden.
    Gleich darauf brachte sein gellender Ruf die ganze Kriegerschar zum Halten, und alle Blicke waren nach dem nördlichen Horizont gerichtet.
    Bald gewahrten auch die Weißen, wie die nach jener Richtung vorgerückten Reiter sich zurückwandten und auf den Haupttrupp zujagten.
    Der Führer hob seine Lanze hoch empor und bewegte ihre Spitze mehrmals im Kreise, sie dann nach Süden ausstreckend. Erstaunt sahen die Weißen dem zu.
    "Hier ist nicht alles in Richtigkeit", sagte Ben leise zu Osborne. "Jagdsignale sind das schwerlich."
    Der Anführer rief einige der älteren Krieger zu sich und schien mit ihnen eifrig zu beraten; verstohlene Blicke fielen dabei auf Osborne und seine Gefährten.
    Schweigend harrte alles und blickte nach Norden. Als die von dort heranjagenden Vorposten sich näherten, sprengte ihnen der Krieger, welcher mit dem Oberbefehl betraut war, entgegen. Auch bemerkten die Weißen, wie die in Ost und West sichtbaren Reiter sich alle nach Süden bewegten.
    Der Anführer kam zurück und rief der Schar etwas zu, worauf alle ebenfalls nach Süden zu ritten.
    Dann wandte er sich an Osborne, der mit seinen Gefährten jetzt allein hielt.
    "Wenn der Weiße den Cheyennes seinen gelben Schmuck schenken will, mag er es thun, er kann dann nach Osten reiten."
    Erstaunt und erfreut erwiderte ihm dieser: "Gerne, mein Freund", und händigte ihm Kette und Ringe ein, die Uhr zurückbehaltend.
    Begierig griff der Indianer danach und steckte sie in seinen Medizinbeutel, den er am Gürtel trug.
    "Ich darf die Weißen nicht töten", sagte er dann; "kann sie nicht mitnehmen, sie mögen nach Osten reiten, aber rasch, eine Wolke zieht heran."
    Damit ritt er davon, den Seinen nach.
    "Aber unsre Büchsen, Indianer", rief ihm Osborne nach. "Wir sind ja verloren ohne Waffen in der Steppe."
    Der Indianer deutete hierauf als Antwort mit der Hand nach Norden.
    Die drei Männer sahen sich verblüfft gegenseitig an und richteten dann den Blick nach der Himmelsgegend, auf welche der Indianer gedeutet hatte. Ihre Augen waren geübt genug, um zu erkennen, daß von dorther eine starke Reiterschar nahte.
    "Was bedeutet das alles?" fragte Osborne.
    "Fürchte, werden noch wunderliche Dinge erleben", sagte Ben; "scheint nicht alles richtig zwischen den Roten."
    "Der Hund hat uns nicht einmal die Füße frei gemacht", ließ Jim sich ingrimmig vernehmen.
    "Das können wir jetzt leicht haben", tröstete ihn Osborne; "ich trage mein Federmesser in der Tasche.
    "Lassen wir das noch", mahnte Ben, "wollen erst sehen, wer da kommt, Freunde der Cheyennes scheinen es nicht zu sein. Kann uns die Fessel vielleicht zur Empfehlung gereichen."
    Sie blieben ruhig halten, den Blick nach Norden gerichtet, von wo die Reiterschar immer näher kam. Die Cheyennes waren schon im Süden verschwunden.
    In kurzer Zeit brausten in dichtem Schwarm wohl an zweihundert federgeschmückte Wilde heran, deren lange Lanzen sich an den Armriemen schaukelten.
    "By Jove, es ist Krieg zwischen den Roten", sagte Ben. "Sie tragen die Skalplocke."
    Kaum hatte er ausgesprochen, als sich die drei von Reitern mit grimmigen Gesichtern dicht umgeben sahen, deren scharfen Augen nichts in ihrem Äußerem entging.
    "Wer seid ihr?" fragte gebieterisch ein sie mit wenig freundlichen Blicken betrachtender Indianer in englischer Sprache.
    "Wir waren bis vor kurzem Gefangene einer Schar von Cheyennes."
    "Wie kommt das? Die Cheyennes sind die Freunde der Jengees."
    "Wir sind, während ich mit meinen Cowboys meine Herden suchte, von ihnen überfallen, beraubt und gebunden worden. Was sie mit uns vorhatten, weiß ich nicht; gewiß nichts Gutes."
    "Und wie kommt es, daß sie euch zurückließen?"
    "Es überkam sie plötzlich ein panischer Schreck, und sie jagten nach Süden davon, ohne daß wir die Ursache zu erkennen vermochten. Sie riefen uns, zu folgen, doch thaten wir es nicht."
    "War Cayugas bei ihnen?"
    "Wenn du den Sohn ihres Häuptlings meinst, der war heute morgen bei uns, ist aber dann mit etwa dreißig seiner Leute nach Westen geritten."
    "Gut." Ein grimmiger Zug zeigte sich im Gesichte des Indianers, der augenscheinlich der Führer der Schar war.
    Er rief dann seinen Kriegern etwas zu, worauf ein Teil die Verfolgung nach Süden fortsetzte; die andern hielten wie bisher.
    "Sage mir, Häuptling, ist Krieg zwischen den Cheyennes und dir? Und darf ich erfahren, wer du bist?"
    "Du sprichst mit Krähenfeder, dem Haupte des Kiowavolkes", entgegnete der kurz.
    "So sprechen wir mit einem gerechten Krieger, der uns schützen wird gegen die räuberischen Cheyennes."
    "Ihr seid Feinde jener heulenden Hunde, die in eiliger Flucht davonrennen, wenn Krähenfeders Lanzenspitze im Gesichtskreise erscheint?"
    "Gieb mir eine Büchse, Häuptling", rief Jim, "und stelle mich vor einen Haufen dieser Schurken, dann sollst du sehen, ob ich ihr Feind bin."
    Des Kiowahäuptlings klugem Auge war nicht eine Miene, keine Bewegung der drei waffenlosen Männer entgangen, und er war erfahren genug, Osborne von den beiden rohen Cowboys unterscheiden zu können. Er wandte sich wieder an diesen: "Ihr müßt bei uns bleiben, und ich hoffe, du sagtest die Wahrheit, daß Cayugas nach Westen geritten ist."
    "Ich sagte die Wahrheit."
    "Das wird gut für dich sein."
    "Sahest du noch mehr Cheyennes in der Steppe?"
    "Nur die Schar, die uns gefangennahm, und die du verjagt hast."
    "Wie viel Reiter zählte sie?"
    "Vielleicht hundert."
    Krähenfeder befahl hierauf einem Krieger, den Weißen die Fußfesseln zu lösen und sagte: "Ihr sollt Gelegenheit haben, euch an den Cheyennes zu rächen, kommt."
    "Du meinst es gut, großer Häuptling der Kiowas, und wir sind dir Dank schuldig dafür, daß du uns befreit hast, aber unser Weg liegt nach Osten, wo meine Herden weiden, gestatte, daß wir dorthin reiten."
    "Du folgst uns, wir wollen mehr von euch erfahren."
    Auf seinen Ruf setzte sich die ganze Schar nach Westen in Galopp, die Weißen in die Mitte nehmend, die, wie noch eben von den Cheyennes, jetzt von den Kiowas umgeben waren.
    "Kalkuliere", sagte Ben mit bitterem Galgenhumor, "sind aus dem Regen in die Traufe geraten."