Elftes Kapitel

Weiter nach Osten hin, da wo der Verdigris noch sanft zwischen flachen Ufern dahinrinnt, ehe seine Fluten zwischen schroffen zerklüfteten Felswänden dahinschäumen, wie an seinem unteren Laufe, dem Arkansas zu, lagerte die gesamte Streitmacht der Cheyennes. Um zahlreiche Feuer, über deren Glut Büffelfleisch schmorte, hatten sich die Männer niedergelassen, andre saßen in kleinen Kreisen bald schweigsam, bald plaudernd da. Mehr als tausend Pferde weideten, teils unter der Aufsicht junger Leute in der Nähe, oder waren am Rande des Lagers angepflockt. Von Zeit zu Zeit trafen Reiter ein, oder es sprengten solche hinweg, dem Horizonte zu.
    Eine große Anzahl Büffelfelle, welche in der Prairie zum Trocknen ausgebreitet waren, zeigten, daß die Jagden des Volkes nicht unergiebig gewesen waren.
    Einige wenige Fellhütten, wie sie die Indianer zu errichten pflegen, erhoben sich inmitten der lagernden Leute; sie dienten den großen Häuptlingen zur Behausung, während sich die andern mit dem Nachtlager im Freien begnügen mußten.
    Vor einem dieser Wigwams gewahrte man eine auffallende Männergruppe. Zwischen dunkelhäutigen Indianern in ihren Jagdhemden saßen dort auf Sätteln oder wollenen Decken neun weiße Männer in der knappen blauen Uniform der reitenden Staatenpolizei, einer Truppe, welche errichtet worden war, um dem verbrecherischen Treiben an den Grenzen ein Ende zu bereiten.
    Aus zuverlässigen, mit den Gefahren der Prairie vertrauten Leuten von eiserner Körperbeschaffenheit und unerschütterlichem Mute rekrutierte sich diese auserlesene Schar, der die Aufgabe gestellt war, Mörder und Diebe bis in die pfadlose Wüste zu verfolgen. Zu ihr gehörten die Männer, welche hier vor dem ersten Häuptling der Cheyennes, der Dunklen Wolke, versammelt waren, während eine Anzahl untergeordneterer Führer des Volkes zu dessen Seite weilte.
    Die Dunkle Wolke, ein Mann von wohl fünfzig Jahren, von kräftiger Gestalt und würdevoller Haltung, dessen Brust mehrere Medaillen aus Silber und Gold schmückten, blickte, auf hohem Sattel sitzend, wohlwollend auf die vor ihm gelagerten Weißen. Sein Antlitz war edel geformt und trug den Ausdruck einer überlegenen Klugheit; seine ungewöhnlich dunkle Hautfarbe mochte ihm wohl nächst andern Eigenschaften seinen Namen verschafft haben. Ihm gegenüber saß Richard Walpole, Konstabler der Vereinigten Staaten, der Führer des Polizeitrupps, eine magere, sehnige Gestalt, dessen von Wind und Wetter gebräunte Gesicht die Züge energischer Kühnheit und einer derben Ehrlichkeit aufgeprägt waren. Seine Leute waren, wie er, materialische Gestalten von ausgesprochener Mannhaftigkeit.
    In einer bereits länger andauernden Unterredung sagte Walpole: "Das ist eine teufelmäßige Geschichte, Häuptling. Man muß in den Garnisonen des Westens keine Ahnung davon gehabt haben, daß die Sioux einen Angriff vorbereiten, sonst hätte man es in Washington gewußt, und man würde mich von dort aus benachrichtigt haben. Die Grenzoffiziere müssen geschlafen haben, sonst wäre eine solche Überraschung nicht möglich gewesen."
    "Ich selbst", sagte der Häuptling, "habe erst vor kurzer Zeit Kunde von dem Bündnis erlangt, welches zwischen den Dakotas, den Kiowas und Kaws abgeschlossen worden ist, und wußte nicht, was zu thun war; auch waren meine Leute weit über die Prairie zerstreut, um den Büffel zu jagen. Die Kiowas hegen tiefen Groll gegen uns, der streitigen Jagdgründe wegen, wie auch in der Erinnerung an die Niederlage, welche sie erlitten haben, als sie uns vor fünf Jahren überfielen. Ich wußte nicht, welche Anordnungen ich treffen sollte, denn nur Gerüchte trafen mein Ohr, aber ich zog meine Krieger zusammen und sandte unter meines Sohnes Cayugas Befehl einzelne Streifscharen nach Norden. Bald erfuhr ich von ihm, daß der zornige Häuptling Krähenfeder das Beil zwischen uns ausgegraben hatte. Er hat zuerst unsern Freund, den Grauen Bären, in Gefangenschaft geschleppt", - "den alten, braven Grizzly?" unterbrach ihn der Beamte, - "dann Cayugas, obgleich vergeblich, angegriffen und einen unsrer Streiftrupps in einen Hinterhalt gelockt und niedergemacht."
    "Und warum bist du nicht mit deinen zahlreichen Kriegern auf ihn losgegangen, Dark Cloud?"
    "Ehe ich ihn angreifen kann, Konstabler, muß ich wissen, wo die Hauptmacht der Kiowas steht, und vor allem, wo die Krieger der Kaws weilen. Wenn die Kaws nach Norden ziehen wollen, müssen sie entweder den Arkansas oberhalb der Mündung des Verdigris überschreiten, oder über den Verdigris selbst gehen. Das letztere in seinem oberen Laufe möglich; denn von hier aus nach Westen hin kann kein Pferd den Verdigris kreuzen. Deshalb darf ich mich nicht von hier entfernen, ehe ich nicht weiß, wo die Krieger der Kaws reiten. Leicht können sie mir vom Verdigris aus in den Rücken fallen, wenn ich nordwärts gegen den Kiowa zöge."
    "Wie immer der kluge, alte Stratege Dark Cloud", sagte Walpole und fuhr dann teilnahmsvoll fort: "Also den wackeren Grizzly haben diese verräterischen Schufte überfallen? Armer, alter Bursche, werden dir deine letzte Stunde schwer genug gemacht haben. Es ist sehr schlimm, Häuptling, daß die roten Leute nicht Frieden halten können und wiederum die Steppe mit ihrem Blute röten, sehr schlimm, doch noch mehr zu beklagen ist die Verblendung, mit welcher sie von neuem den Kriegspfad gegen uns beschreiten. Nun, so ist mein Geschäft zunächst zu Ende."
    "Was führte dich in die Prairie, Freund Hickory?" Dies war der Name, den die Cheyennes dem Beamten nach dem zähen, knorrigen Baume gegeben hatten.
    "Ich bin ausgeschickt, die zwei blutigsten Schurken, welche die Prairie je getragen hat, zu fangen oder zu vertilgen, die Rote Hand und den Geier. Diese Mörder haben erst vor einigen Wochen einen Ansiedler, der durch die Steppe am Missouri zog, mit Weib und Kind niedergemacht, und ich kehre nicht um, bis ich sie habe, und sollte ich sie bis zum Stillen Ozean verfolgen. Von dem Gelichter soll die Erde gereinigt werden."
    Bedächtig sagte der Häuptling: "Sie haben auch vor wenigen Wochen einen Kaufmann nordwärts von Kansas überfallen und ein Kind in die Wüste geschleppt."
    Der Beamte horchte auf: "Überfallen? Kind in die Wüste geschleppt?"
    "Ja, und sie wollten glauben machen, es seien Cheyennes gewesen, welche die Weißen überfallen haben."
    "Woher hast du die Nachricht, Dark Cloud?"
    "Cayugas hat das Kind gesehen."
    "Also nicht gemordet?"
    "Grizzly hat es gerettet."
    "Gut. O, daß dieser unselige Indianerkrieg mich verhindert, diesen Hunden nachzusetzen."
    "Du kannst jetzt nicht in die Steppe reiten, Konstabler, du mußt bei mir bleiben, bis ich sie von Feinden gesäubert habe."
    "Ich sehe es ein", erwiderte verdrießlich der Beamte. "Doch, was denkst du zunächst zu beginnen, Häuptling?"
    "Ich warte auf Nachrichten. Cayugas ist in der Steppe nach Westen zu, und meine besten Späher durchstreifen sie nach Norden. Nach dem, was sie melden, muß ich meine Maßregeln treffen. Wirst du uns beistehen im Kampfe, Hickory?"
    "Wenn du angreifst, Dark Cloud, nein, da kann ich dir nicht ohne Befehl des großen Vaters in Washington beistehen, wirst du aber angegriffen, so fechten wir an deiner Seite."
    Der Häuptling reichte dem Konstabler die Hand: "Sei es so, ich weiß, du kannst fechten."
    "Ich freue mich", entgegnete der Konstabler, den Händedruck erwidernd, "daß du weise genug bist, treu zur Regierung zu halten; es ist ehrlich und klug zugleich gehandelt. Mag ein Überfall der Indianer noch so viel Unheil über die Grenzen bringen, schließlich bezahlen die Roten doch die Zeche, und vernichten sich selbst."
    Mit tiefem Ernste sagte der Häuptling: "Du sagst wahr, Hickory, die roten Leute vernichten sich selbst, und ich will nicht, daß mein Volk zu Grunde geht, darum halte ich Frieden mit den Weißen und richte gegen die Leute meiner Farbe nur die Lanze, wenn sie mich angreifen. Ich habe das Land der Weißen und ihre Macht gesehen, ich bin in den großen Städten des Ostens gewesen, ich sah Newyork mit seinen großen Wigwams, zahlloser wie die Blätter des Waldes, ich war beim großen Vater in Washington und tauschte mit ihm Worte des Friedens; er war gütig gegen mich. Ich habe lange beraten mit einem großen Friedenshäuptling, Schurz, der es wohlmeint mit den roten Kindern dieser Erde. Ich habe viel gesehen im Lande der Weißen und nachgedacht über das, was ich gesehen und gehört habe, und bin zurückgekehrt zu meinem Volke und habe ihm gesagt: Heil ist für uns nur, wenn wir Freundschaft halten mit den Weißen, und es hat auf meine Worte gehört. Ich habe in gleichem Sinne zu den Häuptlingen der Kiowas und Kaws gesprochen und sie gewarnt vor vergeblichem Kampfe, aber der verlogene Sioux hat in ihre Ohren gesungen, und seine Stimme klang süßer als die der Dunklen Wolke der Cheyennes. Nur mit Trauer im Herzen führe ich Krieg, aber die Cheyennes müssen sich wehren, wenn sie angegriffen werden."
    "Du bist ein großer und gerechter Häuptling, Dark Cloud. Möge dir Gott Sieg geben und dein Volk gedeihen lassen."
    Die umhersitzenden Indianer und Polizeireiter hatten schweigend dieser Unterredung gelauscht und nur gelegentlich den Äußerungen der Redenden ein Zeichen der Zustimmung gegeben.
    Durch die ringsum sich lagernden Cheyennes kamen eilig zwei junge Indianer, die soeben aus der Steppe angelangt waren, auf die Gruppe der Häuptlinge zu. Sie blieben vor der Dunklen Wolke stehen und neigten grüßend das Haupt.
    Mit unbeweglichem Gesicht sagte der Häuptling nach einem kurzen Schweigen zu dem einen der Jünglinge: "Warunga möge reden."
    "Die Kaws haben den Arkansas oberhalb des Verdigris überschritten und stehen im Westen."
    "Gut. Weißt du, wie viele Lanzen sie zählen?"
    "Es mögen dreimal hundert sein."
    "Gut. Hast du noch etwas zu sagen?"
    "Cayugas hat die Rote Hand, den Geier und das Schlangenauge in der Steppe gefangen genommen."
    "Hat er sie getötet?"
    "Nein, er will sie den Häuptlingen der Weißen überliefern."
    "Gut. Wo weilt Cayugas?"
    "Er reitet nach Westen, den Kaws entgegen."
    "Gut."
    "Warunga hat gesagt, was er zu sagen hatte."
    "Warunga ist klug, ich bin zufrieden mit ihm."
    Augenscheinlich erfreut neigte der Indianer wieder das Haupt und trat zurück.
    "Und was sagt Mahoti?"
    "Die Kiowas ziehen mit all ihren Kriegern nach Süden, dem Verdigris zu. Sie sind zahlreich, Mahoti konnte sie nicht zählen, sie sind zahlreicher als die Cheyennes."
    Nachdenklich schaute der Häuptling vor sich hin und sagte dann zu den um ihn sitzenden Führern: "Die Kiowas werden sich mit den Kaws vereinigen und dann hierher reiten, um den Verdigris zu überschreiten."
    Die erfahrenen Krieger bestätigten diese Ansicht.
    "So mögen meine Häuptlinge erwägen, ob es nicht geboten ist, die Cheyennes nach Norden zu führen, um den Feinden, wenn sie kommen, in die Flanke zu fallen, oder ob es geraten erscheint, über den Verdigris zurückzugehen und drüben den Feind zu erwarten."
    "Wir wollen beraten, Dunkle Wolke", sagten die Angeredeten, erhoben und entfernten sich.
    Diese Unterredung wurde in der Sprache der Cheyennes geführt. Als dann der Konstabler durch den Häuptling erfuhr, daß die von ihm gesuchten Banditen von dem jungen Cayugas gefangen worden seien, war er höchlichst erfreut.
    "Ein trefflicher Junge, dein Sohn, Dark Cloud; weiß, was er zu thun hat."
    Bald kehrten die Häuptlinge zurück und teilten der Dunklen Wolke mit, daß sie sämtlich der Ansicht seien, daß es geboten sei, im Norden des Verdigris zu bleiben, schon um Cayugas und seine Schar nicht in die Gewalt der Feinde zu geben.
    Da dies durchaus der Auffassung des ersten Führers der Cheyennes entsprach, wurde der Aufbruch befohlen, und nach kaum einer Stunde bewegte sich eine Reitermasse, wohl tausend Pferde stark, nach Norden. Der Konstabler und seine Polizeireiter mitten unter ihnen.