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Georg Weerth und das Feuilleton der »Neuen Rheinischen Zeitung«

Kolloquium zum 175. Geburtstag



Am 14. Februar 1997 begann in der Lippischen Landesbibliothek in Detmold ein zweitägiges Kolloquium, das dem Vormärzautor Georg Weerth (1822 - 1856) gewidmet war. Anlaß für die Tagung war dessen 175. Geburtstag. Weerth, als Sohn des lippischen Generalsuperintendenten in Detmold geboren, war gelernter Kaufmann, als er 1843 das Elend der englischen Textilarbeiter kennenlernte. In England begegnete er Friedrich Engels, wenig später lernte er in Brüssel auch Karl Marx kennen. Als dieser in Köln die Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie gründete, wurde Weerth Feuilletonchef des Blatts und schrieb - teils mit direktem Bezug auf die Meldungen und Kommentare im Nachrichtenteil desselben Tages - witzig-bissige Gedichte, Glossen und - den ersten deutschen Feuilletonroman, Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnsky, eine scharfe Satire gegen einen konservativen Abgeordneten der Paulskirche, die dem Autor ein Vierteljahr Haft im Kölner Klingelpütz' einhandelte. Nach dem Scheitern der Märzrevolution gab Weerth die Literatur auf, begab sich als Übersee-Handelsagent wieder auf vielfältige Reisen durch Europa, Nord-, Mittel- und Südamerika, von wo aus er Briefe an Freunde und Verwandte - vor allem an die Mutter - sandte, die auch heute noch spannende Lektüre bieten.

   Das knappe Jahr bei der Neuen Rheinischen Zeitung (von Juni 1848 bis Mai 1849) ist zweifellos die literarisch fruchtbarste Phase in Weerths Leben; sie in möglichst vielfältigen Aspekten auszuleuchten, waren 14 Weerth-Spezialisten in Detmold zusammengetroffen.

   Hinführend äußerte sich Fritz Wahrenburg über Weerths Feuilletons vor seiner Zeit als Redakteur der NRhZ. Der nächste thematische Block mit Referaten von Florian Vaßen, Michael Vogt, Norbert Otto Eke und Bernd Füllner widmete sich dem zu dieser Zeit besonders engen Zusammenhang von Politik und Literatur, der zwei Aspekte bereithält: Welchen Einfluß übt die Literatur auf die Politik aus, und umgekehrt: Welche literarischen Formen, welche ästhetischen Entwicklungen werden von den politischen Verhältnissen, etwa der Zensur, beeinflußt oder gar neu hervorgebracht.

   Am zweiten Tag unterzog zunächst Jürgen-Wolfgang Goette Weerths Briefe aus dem Revolutionsjahr einer kritischen Würdigung - mit dem Ergebnis, daß das Verfassen eigener Feuilletons und die praktische Redaktionsarbeit dem vielbeschäftigten Autor wenig Gelegenheit zum Briefeschreiben ließ. Inge Rippmannund Nikolaus Gatter stellten zu einzelnen Feuilleton-Texten Überlegungen an, wobei Frau Rippmann interpretatorisch an Weerths letztes Feuilleton, die Proklamation an die Frauen', heranging und zu dem überraschenden Ergebnis gelangte, daß der nachgerade frauenbewegt' anmutenden Überschrift ein Artikel folgt, der eher die traditionelle Verteilung der Geschlechterrollen fortschreibt. Gatters Beitrag zur Publikationsgeschichte von Heines Empfehlungsschreiben für Ferdinand Lassalle, die in der Neuen Rheinischen Zeitung ihren Anfang nahm, war, dem Thema entsprechend, editionsgeschichtlich orientiert. Der irische Weerth-Forscher Eoin Bourke klärte über die sozialpolitischen und sozialtheoretischen Grundannahmen auf, die Weerth sich während seines ersten Englandaufenthalts zueigen gemacht hatte und die in weiterentwickelter Form auch seine Arbeit bei der NRhZ bestimmten.

   Die Diskussionen wurden von Jost Hermand, Detlev Kopp, Rainer Rosenberg und Hartwig Suhrbier geleitet; die Organisation oblag Erika Brokmann.

   In der Abschlußdiskussion herrschte Übereinstimmung darüber, daß 1. die Editionslage der Weerthschen Texte noch immer sehr zu wünschen übriglasse und eine Neuausgabe seiner Werke nach modernen editionsphilologischen Maßstäben dringend erforderlich sei. Ziel weiterer Weerth-Forschung müsse 2. sein, die Gedichte und Feuilletons innerhalb der jeweiligen Gattungskontexte stärker zur Geltung zu bringen, so daß der Autor stärker als bisher im literarischen Kanon vertreten ist.

   Glanzlicht der Tagung war eine - von der ALG geförderte -Abendveranstaltung, bei der Weerth-Texte gesprochen und gesungen wurden: gesprochen von Mitgliedern des Deutschen Seminars und der Studiobühne der Universität Freiburg im Breisgau, gesungen von Karin Füllner, am Klavier begleitet von Helmut Götzinger.

Michael Vogt


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