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Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts

1. Symposion zum Werk des Stefan Andres an der Universität Trier



Auf Einladung des Wissenschaftlichen Beirats der Stefan-Andres-Gesellschaft, Sitz Schweich bei Trier, trafen sich vom 2. bis 4. Mai 1997 an die 140 Leserfreunde des »europäischen Dichters von der Mosel « aus Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg mit Literaturwissenschaftlern aus Trier, Aachen, Bonn, Köln, Mainz, Siegen, Berlin, München, Birmingham und Moskau.

   Drei Tage lang befrugen sie, mit einem Stamm von immerhin 80 Teilnehmern über die vollen drei Tage, das hinterlassene fünfzigbändige Opus, deuteten es aus dem 27 jährigen Abstand zum Autor (1906-1970) neu und wohl auch tiefer als bisher. Und wenn ein Bezug, eine Personalie, ein Daum fehlte, so wandten sich auch die gelehrten Köpfe an die Illustrissima Signora aus Rom, Dorothee Andres (87). Diese geriet ungewollt zum verläßlichsten und darob vielbewunderten Nachschlagewerk der Professoren und Doktoren und fand eine einzige, aspektbezogene Konkurrenz in Hanna-Renate Laurien, ehemals Kultusministerin von Rheinland-Pfalz und danach Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses.

   Diese extemporierte frei, gleichwohl aufregend kompetent das Kapitel »Stefan Andres und die Diktatur: Nachdenken über die Abgründe des Menschen«. In der Abteilung I, Dichtung und Religion, interpretierte zunächst Dr. Reinhard Kiefer von der Technischen Hochschule Aachen unter dem Thema »Die Rezeption der Passionsgeschichte« ausgewählte Gedichte von Andres. Den Vergleich »Andres-Gogol-Tolstoi« zog Professor Dr. Pavel Toper, vormals Direktor des Institutes für Weltliteratur der Russischen Akademie der Wissenschaften. Ihm assistierte Sonja Friedland, ebenfalls Moskau, langjährige Übersetzerin der Romane von Thomas Mann, Hamsun, Lenz, Grass, Andres u. a. m. In der Abteilung II »Der Dichter als Kritiker seiner Zeit«, widmete sich Dr. John Klapper von der University of Birmingham der »Sintflut«-Trilogie von Andres; er erwog den Christlichen Humanismus des Dichtes unter der Gegenüberstellung der biblischen Symbole Samenkorn und Kreuz.

   PD Dr. Waltraud Wende von der Gesamthochschule-Universität Siegen befaßte sich mit dem »Leiden an Deutschland - Zum politischen Engagement von Stefan Andres« und wußte ihre Thesen gegen parteipolitische Befangenheiten vehement zu verteidigen.

   Dr. Christopher Andres aus München, künftiger Sprecher der Familie, untersuchte ohne Scheu die kritische Einstellung seines Großvaters zur deutschen (angestrebten) Wiedervereinigung unter der alten Frage »Was ist des Deutschen Vaterland?«

   Betrachtungspunkt III war »Stefan Andres als Erzähler«. Hier unternahmen Professor Dr. Erwin Rotermund und Frau Dr. Heidrun Ehrke-Rotermund, beide Universität Mainz, eine behutsame, deshalb um so überzeugendere Wertung von »Innere Emigration und verdeckte Schreibweise bei Stefan Andres«.

   »Zur Erzähltechnik im Werk von Stefan Andres - Erinnerung als Form« trug Professor Dr. Georg Guntermann, Universität Trier, mehrere Gedichte vor, diese als exemplarischen Stoff nutzend. Übrigens hat der Genannte sich inzwischen als Kandidat für die im Oktober anstehende Neuwahl des Präsidenten der Gesellschaft bereit erklärt, um dem Gesamtwerk von Andres eine wieder größere Beachtung in den deutschsprachigen Seminaren in- und ausländischer Hochschulen zu gewähren.

   Am dritten Tag gab es ein mehrfach besetztes Abschlußpodium, moderiert von Dr. Helmut Herles, Chefredakteur des Bonner Generalanzeigers. Am Podium nahmen außer der Signora teil: Franz-Peter Basten MdB (Mehring/Mosel),Dr. Michael Braun (Bonn) und Professor Dr. Karl Eibl (München). Doch da hatte man sich schon in Ehren abgearbeitet, viel Neues bot dieses Feuilleton nicht


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mehr. Nur die Signora bestand bis zum Schlußwort.

   Im Beiprogramm des teils heftig, sonst niemals müde diskutierenden Symposions fanden sich mit »In der Fremde der Heimtat« eine Einführung von Professor Dr. Birgit Lermen, Köln, in das Werk als Würdigung der Straßburger Autorin (und Malerin) Barbara Honigmann, Stefan-Andres-Literaturpreisträgerin von 1992, sowie deren eigene Lesung. Starkes Interesse fand auch eine in Vitrinen, in Bildrahmen und auf Schautafeln reich bestückte Ausstellung unter dem von Andres entlehnten Titel »Aquädukte der Erinnerung«; zusammengestellt war sie von Studiendirektor Günter Nicolin am Bonner Collegium Josephinum, das Andres von 1918 bis 1920 als Internatsschüler besuchte. der Präsident der Universität Trier, Professor Dr. Rainer Hettich, hatte die Gäste begrüßt. Des weiteren lud der Trierer Oberbürgermeister Helmut Schröer die Teilnehmer zu einem Empfang im Städtischen Museum Simeonstift nd im Anschluß daran die Bischöflichen Weingüter Trier zu einer »Literarischen Weinprobe«, auf der - zugestanden - beide Köstlichkeiten zu kurz gerieten, der Vortrag Andresscher Weintexte wie auch der Wein. »Trier, ja ich liebe diese Stadt«, hatte der Dichter schon vor seiner Emigration bekannt. Doch »schläfrig, von zähflüssigem Traditionalismus der Provinz beherrscht«, hatte er sie nach der Rückkehr aus der Emigration öffentlich angerempelt. »Hier gab es eigentlich überhaupt keine Kultur«, blickt Dorothee Andres heute zurück. »Der geistige Pensionär lebt gut in dieser Stadt«, schreib ihr Mann 1949 in dem ersten Merian-Heft über Trier. »Er hätte sich von Herzen gefreut über diese großzügige Universität«, sagte Frau Dorothee. Andres habe sich diese schon vor dem Zweiten Weltkrieg gewünscht - und ein halbes Dutzend wirklicher Künstler, »die den Dunstschleier über der schönen Schläferin zerteilen.« Auch solche Reminiszenzen konnte man auf dem Symposion vernehmen.

Stefan Andres (1906-1970)
Stefan Andres (1906-1970)

   Des ungeachtet, sind die Veranstalter Willens, dem ersten sehr wohl gelungenen Versuch weitere Symposien an der gastfreien Universität Trier folgen zu lassen. Bis zur Fortsetzung wird Dorothee Andres, die Witwe, einen Band mit ihren Aufzeichnungen über ihr gemeinsames Leben mit dem Dichter und sein Wirken herausgegeben haben. Soeben ist in der Bonner Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Bouvier die in Trier noch vermißte erste größere Monographie zu Andres vorgestellt worden: »Stefan Andres - Leben und Werk«, 191 Text- und 32 Bildseiten (38 DM in allen Buchhandlungen erhältlich). Verfasser ist der junge Germanist Dr. Michael Braun (Bonn), Conceptor und Organisator der hier erwähnten Tagung.

Jürgen Wichmann


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