Dieter Sudhoff gestorben


Die Karl-May-Gesellschaft hat binnen weniger Monate ein weiteres prominentes und profiliertes Mitglied verloren. Am 24. Juni 2007 verstarb im Alter von 52 Jahren völlig unerwartet Dr. Dieter Sudhoff.

  Sudhoff, geboren am 30. 5. 1955 in Büren/ Westfalen, war Privatdozent für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Paderborn; seine Ernennung zum apl. Professor stand unmittelbar bevor. Als Autor und Herausgeber veröffentlichte er einige Dutzend Bücher, dazu eine Vielzahl von Aufsätzen. Wie weit gespannt seine fachlichen Interessen waren, ergibt sich bereits aus den Themen seiner Dissertation und seiner Habilitationsschrift: Die Doktorarbeit befasste sich mit Hermann Ungar, die Habilitationsschrift mit der Literaturgeschichte Westfalens. Hier wird erkennbar, dass Sudhoffs Neigungen nicht zuletzt dem galten, was im Schatten des Mainstreams der literaturwissenschaftlichen Arbeit stand, dem Abseitigen und wenig Beachteten, aber bei näherem Hinsehen eben doch Interessanten. Es stünde schlecht um die Germanistik, würde sie nicht auch auf diesen Gebieten tätig.

  Als Karl-May-Experte ist Sudhoff seit Jahrzehnten hervorgetreten. Schon seine Magisterarbeit über ‚Winnetou IV' wurde in der KMG-Reihe ‚Materialien zur Karl-May-Forschung' publiziert (1981), und dann folgte in Gestalt selbständiger Veröffentlichungen und in diversen Periodika der May-Szene - zumal denen der KMG, aber auch in den ‚Karl-May-Haus-Informationen' aus Hohenstein-Ernstthal - eine gewaltige Reihe von Beiträgen, die die vielfältigsten Aspekte von Mays Leben, Werk und Wirkung behandelten und zugleich erkennen ließen, dass ihr Verfasser das Spätwerk besonders schätzte. Dabei kümmerte sich Sudhoff oft ertragreich um Dinge, an deren Relevanz selbst solide Kenner des Gesamtphänomens Karl May vorher hätten zweifeln mögen: Dass man z. B. ein voluminöses und im schlichtesten Sinne spannendes Buch über die Beziehungen zwischen May und einer begeisterten Leserin namens Marie Hannes vorlegen kann, wie Sudhoff es 1997 tat - ein Buch übrigens, das wie manch andere Sudhoff-Publikation nicht eben der Heroisierung Mays Vorschub leistete -, versteht sich keineswegs von selbst. Eine permanente wissenschaftliche Großtat bildete die regelmäßige Veröffentlichung der im Igel-Verlag erscheinenden Studienbände zu den Fehsenfeld-Bänden; das Erscheinen der beiden nächsten - einer davon ist die Neuauflage des ursprünglich bei Suhrkamp erschienenen ‚Winnetou'-Bandes - wurde von Sudhoff noch bis fast zur Veröffentlichungsreife vorbereitet.

  Eine zentrale Rolle spielte Sudhoff zuletzt vor allem in den Publikationen des Karl-May-Verlags. Seine kommentierte Edition des ‚Buchs der Liebe' (Band 87 der ‚Gesammelten Werke') erregte großes öffentliches Aufsehen, und glücklicherweise hat Sudhoff auch noch jenes Projekt fertig gestellt, das man auf Dauer wohl als sein opus magnum bezeichnen wird: die in fünf Bänden erschienene, in ihrer Erarbeitung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützte Lebenschronik (2005/6), ein biographisches Grundlagenwerk, das erstmals in umfassender Weise diverse Archivschätze auswerten konnte und Mays Leben, was die Daten und Fakten betrifft, mit einer Präzision beleuchtet, die vielleicht niemals zu übertreffen sein wird (von wünschenswerten Neuauflagen dieses Werkes abgesehen).

  Sudhoff war ein Forscher und Autor, der seinen Überzeugungen mit großer, manchmal durchaus auch undiplomatischer Offenheit und Beharrlichkeit anhing. Dies führte zu der einen oder anderen Auseinandersetzung, bildete aber wohl auch die Voraussetzung dafür, dass er sich dem Komplex May dauerhaft auf derart intensive Weise widmen konnte. Zugleich war er ein äußerst liebenswerter, im persönlichen Umgang ebenso zurückhaltender wie hilfsbereiter Mensch, auf den man sich uneingeschränkt verlassen konnte. Zu den Merkmalen seiner Tätigkeit gehörte in diesem Sinne die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit: Viele seiner größeren Arbeiten entstanden als Koproduktion mit den Freunden Hartmut Vollmer (die Studienbände) und Hans-Dieter Steinmetz (das Marie-Hannes-Buch und die Chronik).

  Weitere Projekte waren verabredet. Für den Karl-May-Verlag bereitete Sudhoff die Publikation der Fehsenfeld-Korrespondenz vor, für die Karl-May-Gesellschaft einen neuen Reprint, und zudem hatte er seine intensive Mitarbeit bei der Fortführung der historisch-kritischen Ausgabe in Aussicht gestellt. Wir können das Andenken an diesen großen May-Forscher am besten pflegen, wenn möglichst viele Pläne Dieter Sudhoffs auf die eine oder andere Weise realisiert werden.

Helmut Schmiedt




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