KMG-Nachrichten 122 / Dezember 1999

Herausgegeben von Engelbert Botschen


Hohenstein-Ernstthal:

Ende einer Ära ...


Ein bedeutender, um nicht zu sagen: historischer Kongreß ist vorüber. Bedeutend nicht nur wegen seiner Länge und der Zahl seiner Teilnehmer, sondern vor allem in Hinsicht seines Vortragsprogramms und der Neuwahl des Vorstandes.

Fünf Tage Kongreß gab es bisher nur 1987 in Wien, und fast 300 Teilnehmer überhaupt noch nicht. Auf die einzelnen Vorträge soll hier nicht eingegangen werden, die können von allen, die nicht dabei waren, im nächsten Jahrbuch nachgelesen werden, erwähnen möchte ich hier nur den schon im Vorfeld (und nachhinein auch im Internet) kontrovers diskutierten Vortrag Dr. Johannes Zeilingers über Karl Mays Blindheit – ein Thema, das hoffentlich auch weiterhin zu fruchtbaren Auseinandersetzungen mit der Biographie Karl Mays anregt und für mich einer der Höhepunkte des Kongresses war. Ein weiterer Höhepunkt: der Rechenschaftsbericht des scheidenden Vorsitzenden. Souverän wie immer und mit großem Beifall bedacht, war es in seiner unnachahmlichen Art leider der letzte von Prof. Claus Roxin. Womit wir beim Thema wären: Erstmals in der 30-jährigen Geschichte der Karl-May-Gesellschaft stellten sich gleich drei Vorstandsmitglieder, darunter zwei der ersten Stunde, nicht mehr zur Wiederwahl. Der Vorsitzende, der Geschäftsführer und der Schriftführer wollten ihren Platz "Jüngeren" überlassen, was in gewissen Maße auch gelang (immerhin wird das Durchschnittsalter des neuen Geschäftsführenden Vorstandes um reichlich 13 Jahre gesenkt).

Die Wahl verlief - wie der gesamte Kongreß - in einer harmonischen Atmosphäre. Die neuen wie auch die zur Wiederwahl angetretenen Vorstandsmitglieder wurden mit überwältigender Mehrheit gewählt bzw. in ihrem Amt bestätigt. Einstimmig wurde der Beschluß gefaßt, Prof. Claus Roxin, Erich Heinemann und Erwin Müller zu Ehrenmitgliedern und ersteren zusätzlich zum Ehrenvorsitzenden zu ernennen.

Ein großes Dankeschön gilt den Organisatoren in Hohenstein Ernstthal. Sei es die Präsentation von drei Ausstellungen zum Thema Karl May, sei es das große Angebot von Rahmenveranstaltungen, oder sei es der Aufruf zur Schaufenstergestaltung, dem viele Geschäfte nachkamen: Man spürte überall, daß die Organisatoren vor Ort mit vielen fleißigen Helfern alles getan hatten um den Kongreß in der Karl-May-Stadt Hohenstein-Ernstthal auch vom Umfeld her zu einem vollen Erfolg werden zu lassen.

Eine erste Sitzung des neuen Vorstandes fand am 6. November im Limburg an der Lahn statt. Dabei ging es um die eigene Selbstbestimmung: Wie soll die Arbeit in den nächsten Jahren gestaltet werden. Die Ergebnisse werden auch auf der Tagung des Mitarbeiterkreises eine Rolle spielen, die der Vorstand zum 4. bis 5. März 2000 nach Marbach einberufen hat.

Liebe Mitglieder, Weihnachten und das Jahr 2000 stehen vor der Tür. Leider läßt uns der Kalender dieses Jahr nicht allzuviel Freizeit zwischen den Jahren, ich wünsche trotzdem allen friedliche und erholsame Feiertage sowie ein gesundes und glückliches neues Jahr. Lesen Sie fleißig unseren Karl May, unser Jahrbuch und alle anderen Veröffentlichungen unserer Karl-May-Gesellschaft; wenn Sie es noch nicht getan haben; bestellen Sie unsere Reprints oder alle anderen in den KMG-Nachrichten angebotenen Veröffentlichungen und helfen Sie dabei mit, daß die Karl-May-Gesellschaft auch in den kommenden Jahren eine der attraktivsten Literaturgesellschaften Deutschlands bleibt.

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Hans Grunert, Geschäftsführer


Gert Ueding

Neuauflage Karl-May-Handbuch

Wie auf den letzten Sitzung des Mitarbeiterkreises in Hohenstein-Ernstthal angekündigt, soll das von Gert Ueding 1987 herausgegebene Karl-May-Handbuch in einer überarbeiteten und ergänzten Neuauflage wieder erscheinen. Die Autoren werden einzeln angeschrieben. Doch bitten wir alle Mitglieder, die einzelne Fehler bemerkt oder gar Fehlerlisten aufgestellt oder umfangreichere Mängel gefunden haben, sehr herzlich, ihre Anmerkungen an die folgende Adresse einzusenden:

Steffen König, Eugenstr. 25, 72072 Tübingen Tel. (0 70 71) 3 84 86


Roxin auf Video

Wir berichteten von dem Interview des damals noch amtierenden Vorsitzenden der KMG im Bayerischen Fernsehen (N-KMG 121 S. 11). Die Aufzeichnung der Fernsehsendung liegt auf Cassette vor und kann ausgeliehen werden. Postkarte an: D.Schober, Bernaysstr. 12a, 80937 München.


Ulrich von Thüna

Ein neuer Reprint

Nicht nur Bücher haben bekanntermaßen ihre Schicksale, sondern auch Akten und der Karl May Liebhaber kann davon ein besonderes Lied singen. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass Klara May alles daran gesetzt hatte, um Unerfreulichkeiten aus dem Leben ihres Mannes so weit wie möglich zu tilgen. Was bot sich besser an als mit Hilfe von Freunden, die über Einfluss verfugten, den meist erfolgreichen Versuch zu unternehmen, kompromittierende Akten aus der Strafzeit zu unterdrücken. Der vorliegende Band liefert beredte Zeugnisse dieser Aktivitäten von Klara May.

Es beginnt 1923 mit dem von Wullfen unterstützten Wunsch, Originale der Seminarzeugnisse zu erhalten. Wenigstens sollten Abschriften in den Akten belassen werden. Soweit noch verständlich (S. 138ff). Problematischer dagegen war seine Unterstützung des Wunsches von Klara May, frühere Strafakten zu vernichten (S. 141). Dann geben die Bei-Akten des Ministeriums für Volksbildung Auskunft darüber, dass Klara über den Fürsten von Schönburg versuchte, der Akten zu den Vorfällen im Seminar Waldenburg habhaft zu werden (S. 147ff). Sie schaltete auch den Reichsstatthalter ein, machte aus ihrer Intention zur Vernichtung aller einschlägigen Akten keinen Hehl (S. 161) und erhielt Einiges (S. 163). Zur Endbestimmung erklärte Klara May den Papierkorb (S. 169). Der Archivmitarbeiter Dr. Bürckner, der die Vernichtung im geschichtlichen Interesse für bedauerlich hielt, konnte sich nicht durchsetzen (S. 160).

Manchmal freilich eröffnen sich plötzlich an verwunderlicher Stelle theoretisch verlorengegangene Akten, so ein Schreiben von Pfarrer Schmidt vom 10.03.1860, das nach einem kryptisch befußnoteten Aufsatz von Hoffmann zitiert wird (wobei das Datum nach einer Aktennotiz (S. 157) eigentlich der 06.03.1860 sein müsste).

Wir erzählen dies Ganze um zu zeigen, wie spannend alte Akten sein können und welch vorzüglicher und bestens präsentierter Zugang jetzt der o.a. Band liefert.

Die beiden Herausgeber reproduzieren alle nach heutigem Forschungsstand erhaltenen May-relevanten Dokumente zu den Komplexen Seminar Waldenburg, Seminar Plauen, und Lehrertätigkeit in Glauchau und in Altchemnitz. Außerdem liefern sie höchst dankenswerterweise ein wohl vollständiges Verzeichnis aller bisherigen Untersuchungen zu diesen Komplexen, und zwar hin bis der Arbeit von Steinmetz und Barth über Einzelaspekte der Lehrerzeit in Altchemnitz im allerneuesten Jahrbuch. Die Transkription der handschriftlichen Originale war sicher außerordentlich schwierig und scheint hervorragend gelungen zu sein.

Einige kleine Anmerkungen:

Auf Seite 65 wird von einem zur Zeit nicht zugänglichen Protokoll einer Seminarkonferenz vom 21./22.12.1859 gesprochen. Was steckt dahinter?

Die Seite 73ff abgedruckte Haus- und Lebensordnung des Seminars in Waldenburg vermittelt mehr als nachdrücklich einen Eindruck der Lehrinhalte und des Geistes des Seminars. Man schüttelt sich.

Auf Seite 114 entdeckt der Referent einen winzigen Transkriptionsirrtum und das ist auch der Einzige, der ihm aufgefallen ist: die unter Nummer 66 und 67 aufgeführten ,,Sämmtlichen Werke" schrieben sich im Original mit einem m und aufgesetztem Verdoppelungsstrich.

Auf Seite 135 erfahren wir von einem Abenteuerbuchtitel in der Bibliothek in Waldenburg, nämlich von Kingston ,,Markus Seefest". Das ist wohl der einzige, sozusagen an Mays eigene Schriften erinnernde Titel dieser Art.

Auf Seite 178 ist eine Akte nicht mehr im Vorgang. Aber Klaus Hoffmann hat den Text!

Auf Seite 204 (bezieht sich auf das Seminar in Plauen) und Seite 344 (eine Einschätzung allerdings post festum, nämlich nach der Entlassung aus der Hilfslehrerstelle), wird May einer außerordentlichen Neigung zur Lüge bzw. eines Lügengeistes bezichtigt. Schon früh zeigte sich also sein Fabuliertalent. Es brachte ihm später mehr Nutzen!

Schließlich hat die Veröffentlichung noch das reizvolle Colorit des tiefen 19. Jahrhunderts: das Verständnis des umständlichen Kanzleistils will erst erlernt werden und schließlich lernt man, wie schön eine gute Handschrift sein kann!

Klaus Ludwig, Bernhard Kosciuszko (Hrsg.)

Der Seminarist und Lehrer Karl May - Eine Dokumentation der Aktenbestände. Hamburg, Karl May Gesellschaft, 1999, 397 Seiten. (Eine Veröffentlichung des Fachausschusses ,,Sicherung von Dokumenten zu Leben und Werk Karl May" der Karl-May-Gesellschaft.)

Der Reprint kann mit dem eingehefteten Bestellschein angefordert werden!


 

Hans Grunert

Kongreßbericht Hohenstein-Ernstthal

Nachlese und Vorschau

Der 15. Kongreß der KMG im 30. Jahr ihres Bestehens ist mittlerweile zwei Monate Vergangenheit. Es war eine Veranstaltung der Superlative: 5 Tage Dauer; 289 eingeschriebene Teilnehmer, Gäste aus 6 Ländern, ein umfangreiches Rahmenprogramm und ein bisher nie dagewesenes Presseecho.

Der erste Tag war so bedeutenden Dingen wie der Pressekonferenz, dem Empfang beim Oberbürgermeister, der Enthüllung einer Gedenktafel für den Heimatforscher und Begründer der biographischen Karl-May-Forschung Hans Zesewitz, der Blumenniederlegung am Karl-May-Denkmal und einer Ausstellungseröffnung – "Karl May als Europäer" im Gasthof "Stadt Chemnitz" vorbehalten. Wer wollte, konnte sich noch weitere Ausstellungen im Rathaus (Karikaturenausstellung) oder im Textilmuseum (Karl May in Zinn) ansehen. Im Tagungslokal zeigte unser Gründungsmitglied Hartmut Kühne eine vielbeachtete, die 30-jährige Geschichte der KMG dokumentierende Fotoausstellung.

Der Karl-May-Verlag nutzte die Pressekonferenz zur Vorstellung seiner neuesten Editionen: "In fernen Zonen", "Karl May und die Musik" und "Karl May auf sächsischen Pfaden"; alles interessante und teilweise neue Erkenntnisse vermittelnde Werke, die unter maßgeblicher Mitwirkung unserer Mitglieder entstanden, mit Titelbildern unseres Freundes Carl-Heinz Dömken.

Über die einzelnen Vorträge kann sich jeder nach Erscheinen des Jahrbuches 2000 selbst ein Bild machen. Ohne die anderen Vorträge abwerten zu wollen, möchte ich besonders auf die Vorträge von Gert Ueding, Reinhold Wolff und Johannes Zeilinger hinweisen. Interessant auch die Ausführungen von Hartmut Schmidt und Klaus Ludwig, zeigten sie doch, daß auch 87 Jahre nach dem Tod Karl Mays sich noch vieles Unbekannte aus den Archiven zutage fördern läßt.

Unsere Freunde aus Hohenstein-Ernstthal hatten ein umfangreiches Rahmenprogramm organisiert. Leider mußte man sich immer entscheiden, ob man den Vorträgen lauschen oder einen Ausflug ins Zuchthaus Waldheim bzw. einen Spaziergang zur Karl-May-Höhle unternehmen wollte. So blieb für viele nur die Hoffnung, dieses zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.

Die traditionelle Buchauktion blieb trotz "Nummerngirl" hinter den Erwartungen zurück. Es zeigte sich ganz deutlich, daß schlecht erhaltene Bücher keine Abnehmer mehr finden.

Am Rande des Kongresses fand die Tagung des Mitarbeiterkreises statt, bei der es vor allem um Fragen der Organisation ging: Jahrbuchredaktion, Reprintvorhaben, Aufgabenverteilung. Eines der wichtigsten Ergebnisse war der Beschluß, das Karl-May-Handbuch neu und aktualisiert herauszugeben. Dieses Standardwerk ist ja seit geraumer Zeit vergriffen und eine Neuauflage wurde immer wieder angemahnt. Herausgeber wird wieder Gert Ueding sein. Da sich eine vollständige Überarbeitung erforderlich macht, ist mit dem Erscheinen nicht vor 2002 zu rechnen.

Der große Rechenschaftsbericht des scheidenden Vorsitzenden und nunmehrigen Ehrenvorsitzenden Claus Roxin wird als Sonderdruck mit der Märzlieferung 2000 ausgeliefert werden, so daß jeder die beeindruckende Bilanz selbst nachlesen kann, ebenso den Finanzbericht des Schatzmeisters.

Die mit Spannung erwartete Wahl verlief letztendlich sehr harmonisch. Es hatte ja im Vorfeld einige Diskussionen über die Art der Kandidatenaufstellung gegeben, aber all das spielte zur Mitgliederversammlung keine Rolle mehr, so daß der neue Vorstand für die Jahre 1999 -2003 mit überwältigender Mehrheit der 289 Wahlberechtigten gewählt wurde:

Vorsitzender: Prof. Dr. Reinhold Wolff, Bissendorf;

Stellvertreter: Prof. Dr. Helmut Schmiedt, Köln,

Dr. h.c. Hans Wollschläger, Königsberg

Schriftführer: Joachim Biermann, Lingen

Geschäftsführer: Hans Grunert, Dresden

Schatzmeister: Uwe Richter, Freudenberg

Wiss. Mitarbeiterin: Ulrike Müller-Haarmann, Bonn

Diskutiert wurden sowohl im Mitarbeiterkreis als auch zur Tagung die nächsten Veranstaltungen der KMG. Der Mitarbeiterkreis tagt vom 4. bis 5. März 2000 in Marbach; vom 7. bis 13. September 2000 findet ein Karl-May-Symposium in Lubbock/Texas statt und der nächste Kongreß soll im September 2001 in Luzern in der Schweiz stattfinden.

In zwei Präsentationen stellten Meredith McClain aus Lubbock sowie unsere Schweizer Freunde zum einen Texas und zum anderen Luzern und Umgebung vor. Trotz technischer Pannen (Tonausfall der Videoanlage) war die Vorstellung Luzerns als Tagungsort so überzeugend, daß sich die Mitgliederversammlung mit nur wenigen Gegenstimmen dafür aussprach.


Nachlese zum Jahrbuch 1998

Dresdner Neueste Nachrichten/Die Union, 9. Jg., Nr. 29 (4.2.1999):

Auf den Spuren eines dichtenden Kindes

Da dachte man immer, Karl May sei ganz einfach nur der liebenswerte Begleiter aller Jungen und Junggebliebenen, der Aufbereiter einer wundersamen Wunderwelt. So einfach ist das eben nicht. Karl May ist ein Ausleger der Bibel, sagt da einer. Ein Wegbereiter der modernen Erlebnispädagogik, meint ein anderer. Ein Dritter nennt ihn ein dichtendes Kind und ein anderer gar verkündet mit allem gebotenen Fachernst: Karl May gibt es gar nicht!

So also ist das. Achtundzwanzigmal sind die Karl-May-Jahrbücher Achtung gebietenden Umfangs bisher erschienen, von denen Insider versichern, sie seien auch für den schüchternen Durchschnittsgebildeten ohne speziell trainierte Gehirnwindungen gelegentlich – wie nennt man das? – ja, rezipierbar, lesbar, nachvollziehbar. Mitherausgeber Hans Wollschläger schreibt im Vorwort vom "Wissenschafts-Rotwelsch" der "Diskursanalyse", von "Intertextualität" und anderen philologischen Feinheiten. Und nimmt wenig später "die breite Toleranz" der Jahrbücher auch für sich selbst in Anspruch, "in dem Bekenntnis nämlich, daß er das Vorgestellte für ausgemacht blödsinnig und gottverlassen hält"(!). So knien denn einige vor dem armen Untoten, der mal Old Shatterhand war, entnehmen immer neue Gewebeproben, legen sie unter die ganz dicke diskursanalytische oder andere Lupe, sezieren verzückt und zitieren Freud und stolpern durch tiefenpsychologische Untiefen und Unappetitlichkeiten, indem sie auch noch dem jungen May in die Knabenunterhose schauen.

Das "dichtende Kind" (auch Michael Zaremba bezieht sich auf Meister Freud) gibt aber auch wirklich Interessantes wie Vergnügliches her. Zaremba widmet sich den Humor-Strukturen bei den Nebenfiguren der May-Romane und apostrophiert May als "einen der wenigen erfolgreichen Humoristen deutscher Sprache im 19. Jahrhundert", Werner Kittstein hat die Erzähltechniken Mays unter der Lupe und Hermann Wohlgschaft die Liebesgeschichten in den Kolportageromanen. Studien, Essays, Deutungen der Deutungen fördern immer wieder Erstaunliches zutage, so Helmut Schmiedts "Literaturbericht II" hübsche Aspekte der May-Ideale-Vermarktung durch Film und Musik. Die Karl-May-Gesellschaft hat wie immer Gelegenheit zur Selbstdarstellung und die kommt auch diesmal nicht zu kurz. Warum sollte sie auch, bei soviel Aktionsbedarf. Und da dachte man immer, Karl May sei, ganz einfach, nur der liebenswerte Begleiter aller Jungen und Junggebliebenen ... K. Knietzsch


Lausitzer Rundschau, 2.1.1999:

Bei Allah, wer achtet noch den Lehr-Mayster?

Von Reinhard Seidler

"Bei Allah, dieser Karl Ben May hat den Orient im Hirn und Herzen mehr verstanden als ein Heer heutiger Journalisten, Orientalisten und ähnlicher Idiotisten."

Diese Aussage stammt von einem, der es wissen muß: von dem in Deutschland lebenden syrischen Dichter Rafik Schami. Sie findet sich als Zitat im "Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1998" (Hansa Verlag, Husum), das auf 424 Seiten wieder jede Menge an Wissenswertem und zugleich Wissenschaftlichem über Leben und Werk des Winnetou-Schöpfers bereithält.

Briefe Mays an den jungen Potsdamer Buchhändler Hans Möller etwa, eine Untersuchung zu Mays unglücklichem Charlottenburger Prozeß und dessen Presse-Echo 1910, mit dem der Rufmord an dem "vorbestraften Autor" deutschlandweite Ausmaße annahm, oder eine Studie zu des jungen Mays Aufenthalt im Seminar Plauen und den von ihm dort erfahrenen Sexualrepressionen ...

Zwölf Autoren bestreiten gewichtige Essays des weiteren u. a. zum Ursprung des Namens "Kara Ben Nemsi", zum überraschend hohen ethischen Gehalt der Liebesgeschichten in Mays Kolportageromanen oder zu den "Strukturen des Humors" bei Mays Nebenfiguren.

Freilich, so interessant im einzelnen manche Arbeit sein mag, so sehr mangelt es manch hochgelahrtem Verfasser an verständlichem, lesewirksamen Stil. Man ist versucht, auszurufen: "Bei Allah, dieser Karl Ben May sollte vielen May-Interpretatoren ein Lehr-Mayster werden!"


May-Schnipsel

Frank Schöbel und Karl May

Zum 30jährigen Jubiläum im Jahre 1992 erhielt Frank Schöbel, einer der beliebtesten und erfolgreichsten Schlagersänger Deutschlands (wohlgemeint DDR und BRD als ein Land zusammengefaßt) vom MDR-Fernsehen sämtliche Karl-May-Bände geschenkt. "Der blanke Wahnsinn! Und die Kindheit holte mich wieder ein", so sein Kommentar in seiner Autobiographie dazu ("frank und frei", Berlin 1998, S. 623). Na, da bleibt nur zu hoffen, daß er sie auch liest und letztendlich in unsere KMG eintritt oder gar einen passenden Schlager über ihn komponiert. Mitgeteilt von Jürgen Pelz, Hannover

Klaus Zwickel und Karl May

In ihrem Wochenend-Interview "20 Fragen an ..." wollte die "Märkische Allgemeine" (28./29.8.1999) vom Vorsitzenden der IG-Metall, Klaus Zwickel, wissen, welches seine Lieblingsgestalten in Literatur und Geschichte seien. Seine Antwort: Literatur Winnetou und Tom Sawyer, Geschichte Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

(Sigrid Seltmann, Berlin)


Neue Sonderhefte der KMG

Hansotto Hatzig (Hrsg.):

Zum Gedenken an Pfarrer Ernst Seybold.

Aufzeichnungen aus seinem Nachlaß

S-KMG 119/1999. 64 Seiten

Das S-KMG 119 widmet sich ausnahmsweise einmal nicht in erster Linie der Karl-May-Forschung. Vielmehr ist es dem Gedenken an einen der treuesten und liebenswürdigsten Mitarbeiter der KMG gewidmet, dem evangelischen Pfarrer Ernst Seybold, der 1997 nach langer, schwerer Krankheit verstarb. Das Sonderheft enthält zunächst einige ungedruckte Texte Seybolds, darunter die "Karl-May-Gratulationen" von 1994, 1995 und 1996. Die Idee zu diesen "Karl-May-Gratulationen" war Ernst Seybold aus seiner beruflichen seelsorgerischen Praxis erwachsen: Gratulationen für Bekannte und Freunde nicht im üblichen Stil, sondern mit vielen, kenntnisreich ausgesuchten und kommentierten May-Zitaten. Der Leser, dem die bisherigen Sammlungen (6 an der Zahl, bis 1993) der Seyboldschen "May-Gratulationen" bekannt sein sollten, wird sicher mit besonderer Freude diese neuen drei Gratulationen aufnehmen. Für Ernst Seybold war die Karl-May-Forschung nicht nur ein Herumbuchstabieren und "Rätseln" an den Texten (besonders gilt das für Seybolds Beschäftigung mit Mays Spätwerk), sondern eine lebendige Tätigkeit, denn Pfarrer Seybold zog aus Mays Schriften die Lehren für sein Leben und das anderer Menschen. In diesem Sinne finden sich in dem neuen Sonderheft auch Betrachtungen aus Seybolds Feder zu "Ardistan und Dschinnistan" und eine sehr engagiert geschriebene Studie zu den "Textbearbeitungen", einem Thema, dem sich Seybold ja schon in den KMG-Nachrichten Nr. 107 (1996), S. 39f temperamentvoll und mit deutlicher Meinungsäußerung gewidmet hat. Das Sonderheft wird abgerundet durch persönliche Erinnerungen an Ernst Seybold von Pfarrer Dr. Wohlgschaft, Pastor Hammer und Hansotto Hatzig, alle drei enge Freunde und Weggefährten Ernst Seybolds. So ist dieses S-KMG 119 ein bewegendes Zeugnis der Spuren, die der Mensch und Karl-May-Forscher Ernst Seybold uns, den Mitgliedern der KMG, hinterlassen hat und damit wärmstens zu empfehlen.

Joachim Biermann

Stichwortverzeichnis zu den Mitteilungen der KMG Nr. 111-120

S-KMG 120/1999. 62 Seiten

iner Empfehlung bedarf kaum das zweite neue Sonderheft: Joachim Biermanns Stichwortverzeichnis zu den M-KMG ist seit Jahren eine unentbehrliche Hilfe für jemanden, der bestimmte Artikel und Belege, Stichworte und Ideen aus unseren Mitteilungsheften sucht. Nun ist ein neues Heft dieser Reihe erschienen, das sich auf die M-KMG 111-120 bezieht, wiederum mit typisch Biermannscher Sorgfalt und Liebe zur Sache gestaltet.


May-Schnipsel

Wolfgang Wolf und Karl May

Auf die Frage der "Welt" am 14. 8. 1999 an Fußballtrainer der ersten Bundesliga "Welches sind Ihre Lieblingsbücher?" antwortete der Trainer des VfL Wolfsburg, Wolfgang Wolf: "Früher habe ich Karl-May-Bücher verschlungen. Heute verbringe ich das bißchen Freizeit lieber mit meiner Familie."

(Mitgeteilt v. Dr. Ulrich Schmid, Neu-Ulm)


Lubbock 2000 und Winnetour

Während des Kongresses in Hohenstein-Ernstthal überreichte unser amerikanisches Mitglied, Prof. Meredith McClain dem neugewählten Vorsitzenden der KMG zwei Briefe aus Amerika.

Im ersten Brief bestätigte Mr. Alvin Davis, der Präsident des Cowboy-Symposiums, daß Karl May für das Jahr 2000 posthum den literarischen Preis erhält, der jedes Jahr beim Cowboy Symposium an den wichtigen "Western Writer" feierlich verliehen wird. Der Preisträger des Jahres 1999, Dr. H. R. Lamar, der ehemalige Präsident der Yale Universität und Herausgeber der "The New Encyclopedia of the American West" [©1998, first ed. 1977, Yale U. Press] wird in Lubbock am ersten Abend unserer Tagung den Preis an die Gesellschaft weiterleiten, die Karls Mays Namen trägt und wahrscheinlich am folgenden Tag auf unserem Symposium einen Vortrag halten.

Der zweite Brief stammt von Dr. William Tydeman, Direktor des Southwest Collection Archivs bei Texas Tech Universität. Er machte das offizielle Angebot an die KMG, daß sein Institut DAS offizielle Archiv in den USA in Sachen Karl May wird. Bei einem feierlichen Empfang soll die Zusammenarbeit durch Eröffnung einer kleinen, aber feinen neuen Ausstellung (Deutsch-Texaner auf dem Llano Estacado - The Contributions of German Immigrants to Agriculture on the Llano Estacado) begründet werden (Tafeln über Hank Smith und Karl May sind schon fertig). Die Ausstellung wird in Zukunft durch Texas wandern; eine weitere Ausfertigung wird in Deutschland zur Verfügung stehen.

Drittens teilte Prof. McClain noch mit, daß Mrs. Georgia Mae Smith-Ericson bei einer Pressekonferenz im Museum Crosbyton die offizielle Gründung der Hank-Smith-Stiftung für den Blanco Canyon und Casa del Sol bekannt geben wird. Sie wünscht die Karl-May-Gesellschaft als europäischen Partner. So ist ein Programm für deutsche Schriftsteller und Forscher denkbar, wonach der/die Stipendiat/in in Blanco Canyon wohnen und im Southwest Collection Archiv forschen und schreiben kann.


Sehr wichtig: Rednerliste für Lubbock

Im Septemberheft (KMG-N Nr. 121) haben wir auf Seite 26 alle aktiven Teilnehmer (Referenten) gebeten, sich bei Prof. Wolff zu melden. Von der Liste der Voranmeldungen haben sich aber bis Drucklegung dieser Nummer 10 Redner noch nicht gemeldet.

Wir bitten dringend darum, daß sich alle, die in Lubbock einen Vortrag (Kurzreferat) halten möchten, sich umgehend melden.

Wir verlängern zudem die Meldefrist bis zum 15. Dezember 1999.

Hinweis: Auch Teilnehmer, die nur am Symposium teilnehmen wollen, müssen sich bei Th. Grafenberg melden.

Das folgende Porträt unseres Ehrenvorsitzenden Professor Dr. Claus Roxin von Claudia Tieschky wurde am 4. Mai 1999 in der "Süddeutschen Zeitung"/Beilage "Starnberger Neueste Nachrichten" als erste Folge einer neuen Serie veröffentlicht.


Von der Liebe des Juristen zu einem Hochstapler

Außergewöhnliche Leute von nebenan

Der Stockdorfer Professor Claus Roxin ist Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft

Karl May", sagt Claus Roxin sachlich, "war ein Hochstapler." Der Autor ging ins Zuchthaus dafür, daß er sich als Arzt und Geheimpolizist ausgegeben hatte. Nichts von dem, was er in seinen Büchern behauptete, selbst erlebt zu haben, entsprach der Realität. Karl May hatte keine Abenteuer in Amerika und Arabien bestanden. Es gab keine 35.000 Apachen, die ihn als großen Held verehrten. Aber dieser Hang zum Fabulieren habe auch mit der Suggestivkraft zu tun, die von Mays Büchern ausgehe, meint Roxin. Zum Beispiel auf Jugendliche: "Da schreibt keiner, der sich nur hineinversetzt, sondern jemand, der selbst nicht erwachsen geworden ist. Die Phantasie entwirft ein Gegenbild zur Realität."

Das ist ein ungewöhnlicher Standpunkt für jemanden, der sich hauptberuflich mit der Ahndung von Verbrechen abgibt. Claus Roxin aus Stockdorf ist einer der bekanntesten Juristen der Bundesrepublik, Verfasser von Standardwerken des Strafrechts und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität. Karl May, den "Hochstapler der Phantasie", betrachtet Roxin mit Zuneigung. Als Vorsitzender der von ihm gegründeten literarischen Karl-May-Gesellschaft hat sich der Jurist 30 Jahre lang für die Rehabilitierung des Schriftstellers eingesetzt.

"Wenn einer sich seine Kreativität erhalten will, darf er die Brücken zu seiner Jugend nicht abbrechen", sagt der Mann, für den seine breite literaturwissenschaftliche Arbeit "nur ein Hobby" ist. Damit meint er die Mentalität von Karl May. In gewisser Weise erhält sich aber auch Roxin mit seiner May-Manie die Brücke zu seiner Jugend. Weil er die dicken Wälzer von Karl May als Bub geradezu verschlang, habe er eigentlich das flüssige, schnelle Lesen gelernt, sagt Roxin.

Im Alter von 38 Jahren gründete der damals nach Göttingen berufene Professor die Karl-May-Gesellschaft. Er hatte entdeckt, daß er nicht der einzige Akademiker mit Hang zum fiktiven Abenteuerroman war. Ein Essayband von Roxin über Karl May, das Strafrecht und die Literatur ist etwa von dem Tübinger Rhetorik-Professor und Walter Jens-Nachfolger Gert Ueding herausgegeben.

Was die Publikationsfreude angeht, ist der Jurist, der jetzt schnell noch seine Strafrecht-Werke als Alibi heraussucht ("Damit Sie sehen, daß ich auch was Ordentliches mache") dem Winnetou-Vater dicht auf den Fersen. Neben einem halbjährlich erscheinenden wissenschaftlichen Band, dem Karl-May-Jahrbuch,[!] gibt die Gesellschaft (und das bedeutet, daß Roxin auf jeden Fall mitarbeitet) noch eine Faksimile-Ausgabe heraus, in der die May-Werke ediert sind, die in Zeitschriften des 19. Jahrhunderts publiziert worden sind. Dazu kommt eine Monographienreihe und ein internes Heft für die rund 2000 Mitglieder der Karl-May-Gesellschaft. "Alles sublimierte Leselust", meint Roxin leichthin. "Karl May entfesselt große Energien".

"Er war ein Pseudologe"

Aber auch auf intellektueller Ebene interessieren den Strafrechtler Menschen, die im Grenzbereich zwischen Legalität und Illegalität changieren. "Karl May war ein Pseudologe", erklärt Roxin, "das ist ein Begriff des Psychiaters Anton Delbrück und bezeichnet jemand, der zwischen Realität und Phantasie nicht unterscheiden kann. Dieses Phänomen ist bei Dichtern weit verbreitet". In so einem Pseudologen stecke je ein Teil Kind, Schauspieler, Krimineller, Besessener. Das deckt sich mit den Berichten über Karl May. Zum Beispiel anläßlich seines München-Aufenthalts 1897. Wenn May, wie damals, vor schwärmerischen Jugendlichen sein Hemd aufriß, um Narben zu zeigen, kamen kaum jemandem Zweifel an der Authentizität der Erlebnisse, und erst recht nicht, wenn er vom Tod seines "Freundes Winnetou" schilderte und dabei in Tränen ausbrach.

"Die Erzählungen bersten vor Expansionsdrang", sagt Roxin, dagegen gab es in Karl Mays Realität die Blindheit während der ersten acht [!] Lebensjahre, die Enge des Lebens im Gefängnis, die totale Verelendung der erzgebirgischen Weberfamilie May. Als man Karl May seine Phantasiewelt entzauberte – seine Zuchthausvergangenheit wurde 1911 erneut hochgekocht, die Authentizität seiner Bücher bezweifelt – krankte "Old Shatterhand" zu Tode.

Die intensive Recherche über "den Fall" Karl May hat Roxins juristische Arbeit zweifellos beeinflußt, das sagt er auch selbst. Er gehört zu dem Autorenteam, das dem Gesetzgeber Alternativvorschläge zum Strafgesetzbuch im Sinne einer fortschrittlichen Strafjustiz unterbreitet. Auch auf dem Engagement der Juristengruppe beruht es, daß 1969 die resozialisierungsfeindliche Zuchthausstrafe in der Bundesrepublik abgeschafft wurde. Keine Haft bei Wasser und Brot mehr, keine Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, kein endgültiger Ausschluß aus der bürgerlichen Gesellschaft. "Karl May ist einer der seltenen Fälle von geglückter Selbstresozialisierung nach dem inhumanen Strafprinzip Zuchthaus. Normalerweise hat das selten geklappt."

Wenn der bald 68jährige im September den Vorsitz der Karl-May-Gesellschaft an einen jüngeren Literaturwissenschaftler abgeben wird, ist ein neuer Coup schon auf den Weg gebracht: Ein Germanistenkongreß im texanischen Lubbock wird sich im Jahr 2000 mit dem deutschen Pseudoabenteurer befassen. Bisher kennt man Karl May in den USA kaum. "Das wird ein Experiment", sagt Roxin. Egal, wie es ausgeht: Karl May kommt jedenfalls endlich nach Amerika. (Es folgt noch ein kurzer Abriß von Mays Leben unter dem Titel "Welten der Phantasie", gez. tyc) -sSe


Martin Lowsky

Das Buch 'Old Shatterhands Glaube’, Anfang 1999 erschienen, schon in zweiter Auflage!

Religiöse Gedanken in Karl Mays Abenteuererzählungen? Manche Leser halten sie für eine Taktik Mays, die Spannung zu erhöhen, andere sehen hier einen Beweis für Mays irdische Glückssuche, und für wieder andere sind sie die tastenden Anfangsversuche für die großen Weltanschauungskonzepte des alten May. An all dies muß man denken, wenn man in zahlreichen Tageszeitungen und kirchlichen Blättern - bis in die Leserbriefspalten hinein - die Reaktionen liest, die das Buch 'Old Shatterhands Glaube' des Theologen Oliver Gross ausgelöst hat. In der Tat ist 'Old Shatterhands Glaube' im Buchhandel sehr erfolgreich, doch es ist auch ein Grundlagenwerk zu Mays klassischen Amerikaerzählungen, das den versierten May-Kennern und KMG-Mitgliedern (so weit sie es noch nicht haben) sehr zu empfehlen ist. Mays Religiosität, zeigt Gross' Buch, hat viele Züge. Überlegungen zu Mays Ethik, zum Gestaltungswillen in seinen Charakterendarstellungen, ja zur Heiterkeit und "Vergnügtheit" (S. 161) seines Phantasierens finden sich hier ebenso wie die exakten Nachweise (S. 182ff.) der Bibelstellen - sechzig an der Zahl -, die May in den Wildwestromanen wörtlich oder fast wörtlich vorbringt. Ebenso erläutert Gross etwa Mays außerbiblische Berührungen mit den lutherischen und den katholischen Traditionen und betont das 'sinnliche' Element (S. 185) in Mays Frömmigkeit. Gross' Untersuchung gibt viele neue Einblicke in Mays Kreativität. Das Buch, das die neue Reihe 'Materialien zum Werk Karl Mays' eröffnet, präsentiert sich in sehr ansprechendem, ja elegantem Design und Layout - entworfen von Ulrike Müller-Haarmann und dem Hansa-Verlag Husum - und liegt nun, wie gesagt, schon in zweiter Auflage vor. Der Preis im Buchhandel beträgt 32 DM, bei der KMG können es die Mitglieder für 24 DM bestellen.

Oliver Gross: Old Shatterhands Glaube. Christentumsverständnis und Frömmigkeit Karl Mays in ausgewählten Reiseerzählungen. Hansa Verlag Husum 1999


Billy Jenkins in Hohenstein-Ernstthal

Buchpremiere Michael Zaremba: Billy Jenkins – Mensch und Legende. Ein Artistenleben (Hansa-Verlag) und Billy-Jenkins-Abend am 24. Februar 2000, 17 Uhr im Ratssaal des Rathauses von Hohenstein-Ernstthal mit dem Buchautor, Zeitzeugen und Überraschungsgästen.

Billy-Jenkins-Ausstellung vom 25. Februar – 30. März 2000 im Saal neben der Gaststätte "Stadt Chemnitz" (Kästle), Pölitzstraße 16, Hohenstein-Ernstthal (nahe Karl-May-Haus).

Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 13-16 Uhr, Samstag/Sonntag 13-17 Uhr.

Ausstellungseröffnung: 25. Februar, 17 Uhr, ebenda.

Veranstalter: Karl-May-Haus, Karl-May-Straße 54, 09337 Hohenstein-Ernstthal,
Tel./Fax: 03723/42159 unterstützt durch Dr. Michael Zaremba, (Billy-Jenkins-Sammlung Berlin-Reinickendorf), Gabelweihstraße 4a, 13505 Berlin, Tel./Fax: 030/431 29 70.


Für die lokale Presse schrieb unser Pressebeauftragter nach dem Ende der Tagung einen zusammenfassenden Ergebnisbericht, den wir unseren Mitgliedern, die nicht an der Tagung teilnehmen konnten, nicht vorenthalten möchten:

Dietrich Schober

Kongress der Karl-May-Gesellschaft in Hohenstein-Ernstthal

In der Geburtsstadt Karl Mays wurde der 30. Geburtstag einer Gesellschaft gefeiert, die seinen Namen trägt. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einem Geburtstag zunächst zurück geblickt wird. Schauen wir also auf das Jahr 1969. Damals trafen sich in Hannover ein paar Karl-May-Freunde und beschlossen, eine literarische Vereinigung zu bilden. Es war der 22. März. Die Voraussetzungen waren günstig: Die Schriften Mays waren seit 1963 urheberrechtsfrei geworden, so dass das gesamte gedruckte Werk des Autors der Forschung unbeschränkt zugänglich war; die in den 60er Jahren sehr erfolgreichen May-Filme hatten das öffentliche Interesse und die Zahl seiner Leser sprunghaft gesteigert; und die im Zusammenhang mit der Studentenrevolution von 1968 an den Universitäten aufblühende Trivialliteraturforschung war der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Karl May förderlich. Wer weiss, was trotz dieser günstigen Umstände geschehen wäre, hätte nicht ein damals 63-jähriger Buchhalter - durch und durch Karl-May-besessen - die Gründung eines Vereins vorangetrieben. Alfred Schneider hieß diese Triebfeder, der unermüdlich Gleichgesinnte suchte und in einem Anfall energischer Tatkraft zum Treffen blies.

Vierzehn Personen kamen, fünf weitere hatten schriftlich zugestimmt und ihren Beitritt in die zu gründende Vereinigung erklärt. Das Leben von so manchem sollte sich entscheidend ändern. Erich Heinemann, Schriftführer seit Anfang an, opferte von nun an seine Sonntage der Sache für Karl May. Claus Roxin, Gründungsmitglied wie er, sollte von 1971 an der Vorsitzende werden und schrieb Tausende von Briefen, auch er hatte fortan nur ein knappes Freizeitleben. Andere übernahmen weitere Aufgaben und Ämter, alles nach dem großen Ziel der neu gegründeten Gesellschaft ausgerichtet: Das Werk Karl Mays in seiner authentischen, unbearbeiteten Fassung wieder zugänglich zu machen, Mays Lebensspuren so lückenlos wie noch irgend möglich festzuhalten und die Voraussetzung für eine umfassende May-Biographie zu schaffen, und Mays Riesenwerk der Interpretation zu erschließen, wobei eine besondere Bedeutung das Alterswerk einnehmen sollte. Dies sind auch heute noch die gesteckten Ziele, die in leicht veränderter Form in der Satzung seit 1984 beim Amtsgericht Hamburg registriert sind. In der nördlichen Metropole ist also der Rechtssitz der Gesellschaft, aber Vorstand und Mitarbeiter gibt es in vielen Städten, wo sie gerade wohnen, denn jegliche Mitarbeit ist ehrenamtlich, jeder tut an seinem Wohnort, was für die KMG sinnvoll und nützlich ist.

Alle zwei Jahre ist laut Satzung ein Kongress abzuhalten, was immer in Städten geschieht, die mit Karl May direkt oder indirekt zu tun haben. So waren unter anderem Regensburg, Berlin und Königswinter Orte des Zusammentreffens, seit der Wende sind die Städte in Sachsen bzw. seinem engeren Lebenskreis hervorgetreten, Dresden war Kongress-Stadt 1992, und nun also war es Hohenstein-Ernstthal. Niemand der Gründerväter hatte davon träumen können, in der Geburtsstadt unseres Autors eines Tages einen Kongress abzuhalten, der knapp 300 Tagungsgäste aus ganz Deutschland und den Nachbarländern zusammenbringen würde. Einzelne hatten einmal kurze Besuche gemacht, ehrfürchtig vor der Grabstätte oder dem Geburtshaus gestanden, eventuell die Höhle im nahegelegenen Wald aufgesucht, an die eigentlichen Orte Karl Mays zu kommen war Illusion. Und heute? Vieles ist erforscht und dokumentiert; fleißige Forscher haben eine beachtliche Menge Materialienbände vorgelegt, Wissenschaftler haben kleinste Spuren seines Lebens verfolgt und aufgedeckt, es gibt Dokumentationen in vielfältiger Richtung; längst ist noch nicht alles geklärt, aber manches im Leben Karl Mays gedeutet und bewertet. Heute wissen wir, dass Karl May mehr ist als nur ein Jugendschriftsteller, mehr als ein ehemaliger Gefängnisinsasse, mehr als eine schillernde Persönlichkeit. In den 80er Jahren wurde er denn auch in der DDR rehabilitiert, seine Bücher konnte man nun wieder kaufen. Noch immer ist seine Beliebtheit so groß, dass sich die Auflagenhöhe seiner Bücher mit der Goethes messen lassen kann.

Die Männer der ersten Stunde sind nun in die zweite Reihe getreten. Wer kann ermessen, was es bedeutet, eine literarische Vereinigung wie die KMG mit ihren fast 2000 Mitgliedern über fast drei Jahrzehnte zu führen! Claus Roxin, im Beruf Strafrechtsgelehrter an der Universität München, wusste sicher nicht, auf was er sich einließ, als man ihm 1971 den Vorsitz antrug. Man wolle nur seinen akademischen Titel als Aushängeschild benutzen, erinnert er sich. Professor mit mittlerweile 8 Ehrendoktorwürden, das war doch etwas solides; wenn einer wie er sich öffentlich zu Karl May bekennt, dann kann die gleichnamige Gesellschaft, deren Vorsitzender er ist, nicht so verkehrt sein. Es wurde gesellschaftsfähig, sich als Karl-May-Fan "zu outen", zweifellos das Verdienst der honorigen Vorstandsmitglieder, denn auch Literaturprofessoren wie der Hamburger Heinz Stolte waren dabei, Akademiker, Historiker und jede Menge angesehene Persönlichkeiten. So ist es kein Wunder, dass auch der Oberbürgermeister von Hohenstein-Ernstthal, Erich Homilius, die KMG prächtig repräsentiert, der Amtskollege in Radebeul, Dr. Volkmar Kunze, ist Vorsitzender der Karl-May-Stiftung, und der OB von Plauen, Dr. Rolf Magerkord, ließ es sich nicht nehmen, im April d.J. persönlich die May-Gedenktafel am dortigen Seminargebäude zu enthüllen. Wer sind nun die vielen anderen Mitglieder? Jeder, der ein Herz für Karl May hat, kann das werden, die Statistik weist eine Mischung aus allen Bevölkerungsschichten auf, die KMG ist mittlerweile in 30 Staaten vertreten, überwiegend natürlich in den deutschsprechenden Ländern, aber auch in Japan, Australien und den USA finden sich Anhänger. Viele scheuen nicht die weite Anreise zum Kongress, die Freie Presse berichtete ausführlich von Wesselin Radkov aus Bulgarien, von Prof. McClain aus Lubbock/Texas, wo im nächsten Jahr ein Kongress stattfindet, bei dem auch die KMG beteiligt ist; aus der Schweiz kamen 16 Mitglieder, dort wird im Jahre 2001 der nächste Kongress ausgerichtet, in Luzern mit seiner imposanten Rigi-Bergkulisse nämlich. Erstaunlich ist auch der mit etwa 20% recht hohe Prozentsatz an Frauen, die für Karl May schwärmen.

Der neu gewählte Vorsitzende heisst Prof. Dr. Reinhold Wolff und ist Romanist und Literaturwissenschaftler in Bielefeld. Er wird das Schiff weiter auf Kurs halten und immer die Ziele anpeilen, die noch lange nicht zur Gänze erreicht sind. Der Mitarbeiterstab der KMG ist annähernd 50 Mann/Frau stark, jeder beackert einen kleinen Rain, und gemeinsam wird die Ernte eingefahren. Es gibt Knochenarbeit darunter, der Schatzmeister Uwe Richter etwa sitzt täglich ein bis eineinhalb Stunden am Schreibtisch und hält die Zahlen in seiner Buchhaltung in Schuss, wovon auch der Geschäftsführer Erwin Müller zu berichten weiss, der aus Föhren bei Trier wirkte und vorher in Berlin aktiv war. 16 Jahre lang organisierte er meist still im Hintergrund und führte die Fäden der Mitarbeiter zusammen, er war die Schaltzentrale und Anlaufstelle für alle, die die Karl-May-Gesellschaft suchten; der neugewählte Geschäftsführer heisst Hans Grunert und ist hauptamtlich Kustos im Karl-May-Museum in Radebeul, was zu einen glücklichen Umstand führt: Die Geschäftsadresse der KMG heisst nun also: Karl-May-Straße 5 in 01445 Radebeul, dort kann kostenlos weitere Information angefordert werden, auch telefonisch: 0351-837300. Und noch ein neues Gesicht im Vorstand der KMG: Joachim Biermann, Lehrer für Englisch und Geschichte, löst Erich Heinemann als Schriftführer ab, der nun auch genug getan hat. Andere versehen weiter ihre Aufgabe, der Schriftsteller Dr. hc. Hans Wollschläger, der Literaturprofessor Dr. Helmut Schmiedt, die wissenschaftliche Mitarbeiterin Ulrike Müller-Haarmann.

Die Tagung am Geburtsort verlief vom 22. bis 26. Sept.99 reibungslos und bildete eine Woche das Gesprächsthema Nr. 1 in Hohenstein-Ernstthal. Die Bevölkerung nahm regen Anteil, Geschäftsbesitzer dekorierten ihre Schaufenster mit Karl-May-Emblemen, über drei Einfallstraßen spannten sich Begrüßungsbänder, und die Presse berichtete lebhaft über einzelne Aktivitäten. Hervorzuheben wäre hier die Anbringung einen Gedenktafel am Wohnhaus von Hans Zesewitz in der Schillerstrasse, der sich bereits seit 1921 für Karl May einsetzte und dem wir u.a. den Straßennamen "Karl-May-Straße" und die Gedenktafel am Geburtshaus zu verdanken haben. Das Hotel Drei Schwanen mit seinem prächtigen Saal war Zentrum der Tagung, aufmerksam und zuvorkommend halfen Leitung und Mitarbeiter dieses Hotels, in dem Karl May bereits weilte. Natürlich war das ganze Haus vorübergehend total in der Hand der KMG, die Speisekarte bot spezielle Karl-May-Küche an, und im Kellergewölbe tagten bzw. nächteten immer wieder diskutierende Grüppchen. Das Entgegenkommen der Stadt äusserte sich auch darin, dass Räumlichkeiten im Rathaus zur Tagung bereitgestellt wurden, hier fand die Pressekonferenz statt, die Verkaufsstände neuer und alter Bücher waren im parterre, und die Auktion mit zum Teil sehr wertvollen Einzelstücken wurde hier abgehalten. Wer jetzt noch Bücher und Utensilien sucht, möge die Karl-May-Oase von Ekkehard Fröde anlaufen, sie befindet sich in der Karl-May-Straße 56, direkt neben dem Karl-May-Geburtshaus; dessen Leiter André Neubert und der Kulturamtsleiter Wolfgang Hallmann waren monatelang Vorbereiter des Kongresses an Ort und Stelle. Wie man von den einzelnen Tagungsgästen hörte, waren sie mit hochgespannten Erwartungen angereist, und mit einem Koffer voll Erlebtem kehrten sie in die Heimatorte zurück, begeistert und angetan von allem, was mit Karl May zu tun hat. Und die Stadt? Sie hat den Kongress ebenfalls genossen, die Spätfolgen ihrer Bekanntheit sind unermesslich. Vielleicht stimmt es auch, was ein junger Tagungsteilnehmer auf die Karte nach Hause schrieb:

Die Stadt ist eigentlich recht klein,

drum musste einst auch Hohenstein

sich Ernstthal einverleiben;

heut ist’s ein Ort, den jeder kennt,

und das ist dem Naturtalent

Karl May nur zuzuschreiben.


Am Rande des Kongresses:

Ein Schaufensterwettbewerb für die KMG

Im Amtsblatt 09/99 der Stadt H.-E. auf Seite 12 liest man einen Aufruf zur Karl-May-Schaufenstergestaltung. Darin heisst es: <Es wäre eine nette Geste, wenn unsere Gewerbetreibenden um die Zeit des Kongresses herum ihre Schaufenster attraktiv mit Karl May bezogenen Objekten ausgestalten und ihr Angebot Karl May spezifisch anpreisen würden... Die 10 ansprechendsten Auslagen werden vom Karl-May-Haus mit dem neuen Sonderband des Karl-May-Verlages "Auf sächsischen Pfaden", der anlässlich des Kongresses erscheint, prämiert.>

Dieser Aufforderung kamen viele Ladenbesitzer nach und dekorierten ihre Fenster, teilweise sehr liebevoll und originell. Das Geschäft Gotthilf Bohne (Weinkellerstraße) zeigte alte Zeitungen von 1910 und Beilagen zum H.-E.er Anzeiger, Plakate vom Film-Kurier und Videos, die Fa. Mosaik in der Schulstraße hatte in der gesamten Fensterbreite ein großes Modell der Karl-May-Straße mit den Häusern 50 bis 56 ausgestellt, dazu alte Zeitungen und Fotos, in der Stadtpassage hatte Frau Franke (vom Stausee-Oberwald-Indianerdorf) einen ganzen Laden mit buntem Tipi und Gemälden ausgestaltet, die Apotheke nebenan zeigte Winnetou auf einem Dill-Gemälde, Indianerhemd, Filmplakat (Fjársjódur i silfurvatni) und viele Romanszenen in hübschen Figürchen, um nur einige zu nennen. Es stimmt schon, Karl May hat seine Stadt mit Fantasie beflügelt.


Glosse

Unser Ex-Geschäftsführer bekam einen Brief. Darin moniert ein jüngeres Mitglied einige Dinge, die seiner Meinung nach nicht optimal gelaufen sind und schließt mit der Bemerkung, im großen und ganzen sei er aber mit ihm zufrieden. Punkt. Ist das nicht schön? Da sind sechzehn Jahre vergangen, angefüllt mit Tausenden von Telefonaten und Briefen, Sitzungen, Tagungen, Besprechungen, Reisen, da wurden millionenfach die grauen Zellen eingesetzt, Zeit in überreichlichem Maße damit verbracht, für die KMG etwas zu Wege zu bringen, alles ehrenamtlich natürlich, oft genug auch privates Geld aufgewendet, und dann dieses schöne Lob. Das quittiert die viele Mühe, zensiert ungeniert. Sang nicht schon Heinz Rühmann zunächst großspurig das Lied "Ich weiß, ich weiß!", und ändert sich nicht erkenntnisreich der Text, bis es im letzten Refrain heißt "Ich weiß nichts!"? Manchen Leuten wünscht man ewige Jugend und die Reife des Alters. -dSch


HOTEL SRDÍÈKO - BRNÁ

Wir kennen diesen Ort genau, dort gibt es immer noch eine Karl-May-Straße, dort war Karl May gewesen. Das einst prächtige Hotel beherbergte ihn eine Zeit lang und hatte dann später ein Karl-May-Museum. Unser Mitglied Jürgen Natzmer reist immer mal wieder auf den Spuren Karl Mays und berichtet nun von den dortigen Werbeaktivitäten: <Brná, ein wunderschönes Stilleben der Umgebung von Ùsti/Aussig, bekannt als Erholungs- und Wochenendsiedlungsgebiet, ist mit dem Namen des deutschen Schriftstellers Karl May verbunden. Der Autor der Abenteuerromane und Indianergeschichten hat sich zwischen den Jahren 1884 und 1894 in Brná (Birnai) verweilt. Er ist im Hotel "Herzig" (heutzutage Srdícko) untergekommen. Außer anderen ist die Geschichte "Weihnachten" im Hotel "Herzig" geschrieben worden. In Jahren 1967 - 1969 ist hier ein Karl-May-Stübchen mit Gegenständen von Náprstkovo Museum Prag, das heuer erneut ist, eingerichtet worden. Vorerst die freundliche Hilfe der Museumsschaffenden von Radebeul und der Mühewaltung der Indianergeschichtefreunden haben uns bei der Realisierung dieses stillen Nachklangs geholfen. Die Präsenz von Karl May wird mit seinem Porträt im Eingangszimmer und mit der Malereien der Romanhelden erinnert.> Als Spezialitäten werden geboten: <Old Schatterhänds Leckerbischen, Indianer Tränen, Karl May-Steaks, Skunk Tier> und andere Speisen. Und weiter:<Das Hotel und Gaststätte "Srdícko" bieten den geehrten Gästen Unterkunft in einer angenehmen Umgebung mit Aussicht auf das Elbetal an... Direkt beim Hotel steht der Gästen ein Parkplatz zur Verfügung. Die Verbindung mit der Stadt Ústí n.L. ist durch Bus No 12 gesichert. Wir laden Sie herzlich zu uns ein ! Restaurace Srdícko> Na denn, gute Reise!

-dSch


Manfred Gärtner

Dömken+Wagner: BLUTSBRÜDERSCHAFT in der "Villa Bärenfett"

Carl-Heinz Dömken - ein Künstlerleben für Karl May

Also eine Blutsbrüderschaft, eine richtige, wirkliche Blutsbrüderschaft, von der ich so oft bei Karl May gelesen hatte, sollte im Squatterwigwam der "Villa Bärenfett" des Karl-May-Museums Radebeul geschlossen werden anläßlich des 70.Geburtstages des unermüdlich im Banne Karl Mays schaffenden Künstlers, Karikaturisten, Dokumentaristen, Modellierers, Malers und Tierliebhabers Carl-Heinz Dömken aus Gödenstedt. Den Part bildeten der Künstler, dieser liebenswerte "Pferdenarr" mit seinen humoristischen und schauspielerischen Fähigkeiten und der zu so echt Mayschen Storys immer gut aufgelegte Direktor des Karl-May-Museums René Wagner.

Es war nicht nur ein Anliegen des Geburtstagskindes; die Erfüllung eines Herzenswunsches: Dömken hatte schon einmal, 60 Jahre vorher, an gleichem Ort, an gleicher Stelle, als Zehnjähriger mit dem langjährigen Hüter des Karl-May-Museums Patty Frank Blutsbrüderschaft geschlossen, und dies sollte sich mit dem ihm freundschaftlich verbundenen heutigen Chef des Museums wiederholen!

Also schnell nochmals beim "Mayster" nachgeschlagen, wie das vonstatten geht:

"Die Blutsbrüderschaft wird dadurch geschlossen, daß die beiden Betreffenden entweder Blut von sich mischen und dann trinken oder daß das Blut des einen von dem anderen und so auch umgekehrt getrunken wird. Die Folge davon ist, daß diese beiden dann fester, inniger und uneigennütziger zusammenhalten, als wenn sie von Geburt Brüder wären" (Winnetou I. Und weiter berichtet Old Shatterhand von seiner Blutsbrüderschaft mit Winnetou:

"Hier war es so, daß ich Winnetous Blut und er das meinige trinken sollte. Wir stellten uns gegenüber und Intschu tschuna entblößte den Vorderarm seines Sohnes, um ihn mit dem Messer zu ritzen. Es quollen aus dem kleinen, unbedeutenden Schnitte einige Blutstropfen, welche der Häuptling in die Wasserschale fallen ließ. Dann nahm er mit mir dieselbe Prozedur vor, bei welcher einige Tropfen in die andere Schale fielen. Winnetou bekam die Schale mit meinem Blute und ich die mit dem seinigen in die Hand". Begleitet von entsprechenden Worten vom Ineinanderübergehen beider Seelen leerten dann beide ihre Schale.

Und so - aus einer gemeinsamen Schale - vollzog sich die Blutsbrüderschaft am Kamin im Wildwestblockhaus nun zum zweiten Male seit dessen Bestehen, die Versinnbildlichung einer echten Männerfreundschaft. Die sehenswerte Sonderausstellung im Karl-May-Museum über Leben und Werk des Künstlers C.-H. Dömken war vom 7. April bis zum 3. Oktober 1999 geöffnet.

Mit 10 Jahren liest der in Hannover geborene Dömken seinen ersten Karl-May-Band und mit "Durch die Wüste" stürmt geradezu Rih in sein Leben. "Mit dem Hengst Rih fing alles bei mir an..." sinniert er bei der Ausstellungseröffnung: grenzenlose Maybegeisterung, Besuch der Rathener Karl-May-Spiele (1939), Trinken der Blutsbrüderschaft mit Patty Frank - ein glückliches Kind! 1945 wird er in Magdeburg ausgebombt und hilft nach der Bombennacht auf Dresden beim Bergen Toter und Verletzter, erfährt die Schrecklichkeiten des Krieges als 16-jähriger. Nach dem Abitur geht er über die grüne Grenze nach dem Westen, besucht die Kunstakademie, macht die Gründungsphase des "Stern" mit, studiert Germanistik, Zeitungswissenschaft, Psychologie. Er nimmt Schauspielunterricht bei dem UFA-Filmstar Willy Birgel, besucht die ,,Akademie für Musik und Theater". Als Journalist und Zeichner geht er zur Presse, wird Mitarbeiter bei Funk und Fernsehen. Er porträtiert und karikiert, er malt Titelbilder für den Karl-May-Verlag Bamberg/Radebeul. Bei diesem Verlag erscheint auch der Grüne Band "Mein Hengst Rih", Dömkens Zusammenfassung der May-Bände 1 bis 6. Kein Wunder: Seit 35 Jahren züchtet der Künstler arabische Pferde. Rih, ein Rappe, am 25. Februar, Karl Mays Geburtstag, zur Welt gekommen, steht in seinem Gestüt.


May-Schnipsel

Peter Caesar zurückgetreten

Aus gesundheitlichen Gründen erklärte der rheinland-pfälzische Justizminister am 17.8.99 seinen Rücktritt. Vor etwa einem Jahr war Caesar Mitglied der KMG geworden, nachdem bei der öffentlichen Veranstaltung am 29.5.98 in Montabaur (KMG-N 115 S. 20) herausgekommen war, dass er ein Karl-May-Fan ist. Wir wünschen ihm alles Gute für die Zukunft und vermehrt Zeit und Muße für unser Hobby.

May- "Zitat" aus der hohen Politik

"Winnetou ist tot, es lebe Old Chatterhand."

Bundesminister Trittin (Grüne) zu seiner Teilnahme an einer Diskussion (Chat) im Internet. Aus: Frankfurter neue Presse v. 21.5.99


Der folgende, sicher auch allgemein interessierende Artikel, den uns Dr. Ekkehard Koch zur Verfügung stellte und den wir wegen seiner Länge leider nur in Auszügen wiedergeben können, wurde im Humboldt-Spektrum 2/1999 (S. 34-42) veröffentlicht.

Rüdiger Steinlein/Thomas Kramer und Arbeitsgruppe:

Zwischen Winnetou und Pawel Kortschagin

Kinder- und Jugendliteratur in der Sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR

Kinder- und Jugendliteratur beeinflußte in nicht unerheblichem Maße Weltbild und Leseverhalten ganzer Generationen von DDR-Bürgern.[ ...] Besonders wenig ist bislang über das Leseverhalten in der SBZ und frühen DDR bekannt. Was lasen Kinder in den Nachkriegsjahren denn nun tatsächlich: immerzu "Timur und sein Trupp" und "Das Mädchen Ustja", wie es eine von ideologischen Erwägungen dominierte DDR-Literaturwissen-schaft darzustellen suchte, oder doch lieber "Winnetou" und ""Nesthäckchen" aus alten – und stets rarer werdenden – Beständen? Wurde vielleicht nach Lust und Laune, Angebot und Nachfrage kombiniert; ritten in kindlichen Phantasiewelten gar Sowjetheld Kortschagin und Apachenhäuptling Winnetou – sozusagen als "rote Brüder" – Seite an Seite?

[ ... ] Bei näherer Betrachtung präsentiert sich gerade der Bereich SBZ in der Reflexion durch Kinder- und Jugendbuchtheoretiker der DDR als ein Ensemble von Fehl- bzw. lückenhaften Einschätzungen, die in ihrer Gesamtheit durchaus systematischen Charakter haben. [ ... ]

Bei der Beantwortung dieser Frage waren wir angesichts der schwierigen, unzureichenden Forschungslage naturgemäß auf das Erinnerungsvermögen von Angehörigen der damals lesenden Kinder- und Jugendgenerationen in SBZ und früher DDR (Geburtsjahrgänge 1930 - 1945) angewiesen. [ ... ] Gemäß unserem rezeptionsgeschichtlichen Ansatz suchten wir im Sommer 1998 mittels Aufrufen in verschiedenen Zeitungen und im Rundfunk Personen, die bereit waren, über ihre Lektüre in den Jahren 1945 bis etwa 1951 Auskunft zu geben. [ ... ] Immerhin meldeten sich über 100 Personen, von denen etwa 70 als Probanden für uns in Frage kamen. Etwa zwei Drittel davon waren Frauen. So bestätigt sich ein weiteres Mal auch für den Untersuchungszeitraum 1945 bis 1951, daß Frauen stärkere Leser sind als Männer. Erstaunlich vor allem der Umfang der Auskünfte. [ ... ]

Die Auswertung der Umfrage, die 888 Nennungen von Verfassern bzw. Titeln ergab, zeigt ein Bild, das weder o. e. DDR-Darstellungen zur KJL [Kinder- und Jugendliteratur, d. Red.] entspricht, noch das in den Nachkriegsjahren neu erschienene Titelangebot widerspiegelt. Von diesen Nennungen [ ... ] entfielen 702 auf die traditionelle deutsche und internationale KJL, vor allem auf Abenteuerliteratur (154mal), Märchen und Sagen (141mal) und 110 Nennungen von Mädchenbüchern. Bei der Abenteuerliteratur wurde von erwähnten 154 Nennungen allein Karl May 89mal angeführt. Bei den Märchen liegen die der Brüder Grimm mit 29 Nennungen vor denen von Hauff (23mal) und Andersen (16mal) an der Spitze. Die Gruppe der "Mädchenbücher" wird von "Nesthäckchen" (23mal), gefolgt von "Heidi" (20mal) und "Trotzkopf" (14mal) angeführt. Auch hier werden, ähnlich wie im Fall May, oft mehrere Bände der Reihen, z.B. von "Nesthäckchen" genannt. Auffällig ist die relativ häufige Erwähnung der, zumeist aus Westberlin bezogenen, Heftchenliteratur (37mal) und, wohl wenig verwunderlich, diejenige Kästners (23mal). [ ... ]

Als entscheidender Befund zeigt sich ein Hiatus zwischen den Texten, die Literaturwissenschaftler bislang als bemerkenswert hervorhoben – vor allem politisch intendierte Texte – und dem, was tatsächlich gelesen wurde.

Es erweist sich ein weiteres Mal, daß Orientierung auf den Text allein kein objektives Bild literarischen Lebens einer bestimmten Epoche zu geben vermag. Absoluter "Spitzenreiter" der Nennungen ist Karl May. In den ausgewerteten Fragebögen wird er allein 89mal angeführt. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß die Befragten zumeist von der Lektüre "vieler Bände", "aller erreichbaren Romane" Mays u.ä. sprechen. Sein Werk dominiert also bei der Titelnennung in jeder Hinsicht.

Das ist von besonderem Interesse, weil sich gerade im Umgang mit dem Werk des sächsischen Autors schärfste literaturpolitische Debatten abzeichnen, die sich in der DDR bis in die achtziger Jahre hinziehen sollten. Man könnte auch sagen: Besonders um Karl Mays Śuvre werden hitzige literatur- und volkspädagogische Stellvertreterkriege geführt, in deren Für und Wider sich wie in einem Brennspiegel wesentliche programmatische Positionen der offiziellen Kinder- und Jugenliteraturpolitik der DDR konzentrieren, was die Funktionsbestimmung von KJL und KJ-Lektüre betrifft.

Der Karl-May-Forscher Christian Heermann zitiert die, späterhin vor allem durch den zum Lektürekanon der DDR gehörigen Karl-Marx-Jugendroman "Mohr und die Raben von London" (1962) bekannt gewordene Autorin Ilse Korn, die in ihrer Eigenschaft als SED-Oberregierungsrätin 1948 auf eine Anfrage wegen May-Neuauflagen äußerte: "Wir sind dabei, eine neue Jugendliteratur zu schaffen, um unsere Jugend nicht mehr zum Blutrausch und zum Kampf Mann gegen Mann zu erziehen, sondern durch die realistische Darstellung ihrer Daseinsfreude auf eine fortschrittliche Haltung hinzulenken" ([...] zitiert in: Christian Heermann [:Old Shatterhand ritt nicht im Auftrag der Arbeiterklasse], 1995., S. 17).

Damit brachte sie die maßgebende Meinung zum Ausdruck: Für die Gewaltorgien des präfaschistischen literarischen Volksverderbers, SS-Inspirators und Hitler-Idols – so wurde May von den neuen, antifaschistisch-demokratischen ›Jugendschrifttumsverwaltern‹ irrsinnigerweise apostrophiert – war in SBZ und DDR nach offiziellem Urteil jahrzehntelang kein Platz. Einige der »Sachverständigen« waren, wie im Falle Wilhelm Fronemanns, bereits im NS – mit genau entgegengesetzter Argumentation – gegen May aufgetreten. Ilse Korn befindet: May-Lektüre »verführt die Jugend zur kritiklosen Anhimmelung aller billigen Räuberromantik und trübt ihren Blick für die Auseinandersetzung mit dem wirklichen Leben. Diese Literatur wurde von den nazistischen Machthabern bewußt in ihrer Jugenderziehung eingesetzt.« (zit. nach Heermann, 1995, S. 17.) Die Zentralverwaltung für Volksbildung entschied daraufhin die Ablehnung von May-Nachauflagen. Und dabei sollte es – von ganz speziellen Ausnahmen abgesehen – bis in die frühen achtziger Jahre bleiben. [ ... ]

Ein wichtiges Steuerungsinstrument war die Lizenzierungspolitik gegenüber Verlagen sowie die Einrichtung des Kulturellen Beirats als – wenn auch nur beschränkt wirksame – Instanz der Vorzensur. [ ... ]

Ab 1948/49 gibt es verstärkt literaturpädagogische Überlegungen zu einer zeitgemäßen – also politisch-ideologisch korrekten und spannenden – Abenteuerliteratur, die dem »gefährlichen« Karl May den Rang in der Gunst junger Leser ablaufen können sollte.

Der Pädagoge Erich Sielaff schrieb 1949 in der Zeitschrift »Heute und morgen« in einem Aufsatz unter dem Titel »Das
Jugendbuch – eine literarische Lücke«: »Wer heute eine gutgefüllte Buchhandlung betritt [...], wird feststellen, daß es noch immer an Büchern für die Jugend, vor allem an geeigneter Lektüre [...] für die Jungen und Mädchen von 11-14 Jahren [...] fehlt.«

[›Mittelschullehrer Erich Sielaff (...) ein Mann, der bereits seit Ende der zwanziger Jahre von Stettin aus Karl May bekämpft und für einige Zeit zu den Anti-May-Protagonisten der DDR zählt (...)‹ Heermann 1995, S. 26.]

Das Bedürfnis besonders bei Jungen nach abenteuerlichen Erzählungen sei groß, könne aber nicht befriedigt werden. »Infolgedessen darf sich niemand darüber wundern, daß die jugendlichen Leser ein Buch von Karl May geradezu verschlingen und nach der ersten Bekanntschaft mit diesem Schriftsteller ihm fast ausnahmslos verfallen. Gegen die nachteiligen Wirkungen dieser Lektüre, die in der besonderen Reizwirkung ihres mit kluger Berechnung gesteigerten Spannungsgehaltes liegen, hilft nur eine Literatur, die den Jungen zwar dieselben Erlebnismöglichkeiten gewährt, diese jedoch gleichzeitig pädagogisch unterbaut. [...]« (Sielaff, zit. bei Chr. Heermann 1995, S. 685).

Der Backfischroman für Mädchen von
10-14 ist die alles beherrschende Lektüre dieser Altersgruppe. »Und er ist noch zäher als Karl May [...] Hier ist also die Lücke an geeignetem Lesestoff mindestens so groß und so gefährlich wie auf dem Gebiet des Abenteuerromans für die Jungen.« (Sielaff, zit. bei Chr. Heermann, 1995, S. 687). [ ... ]

Die Kinder- und Jugendliteratur wurde nach dem Krieg als ein problematisches Sondergebiet wahrgenommen, weshalb bereits Ende 1946 im Rahmen des »Kulturellen Beirates« ein sogenannter »Jugendschriften-Ausschuß« – auch Jugendschriften-Kommission – gegründet wurde.
[ ... ] Es ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich die Tätigkeit des Beirates darauf beschränkte, Empfehlungen zu geben. Das letzte Wort behielten sich stets die sowjetischen Behörden der Abteilung für Literatur [ ... ] vor, die wiederum der Abteilung für Information bei der SMAD unter dem Obersten – später General – Sergej Tulpanow als oberste kulturpolitische Instanz untergeordnet war.

Selbstverständlich stellte sich bei nicht einmal 100 ausgewerteten Antwortschreiben auf unsere Umfrage das Problem der Repräsentativität. [ ... ] Es antworteten, wie aus den beigefügten ausführlichen Erläuterungen hervorging, die lebenslangen Leser. Die große Masse derer, die damals nur vereinzelt gelesen haben bzw. deren Lesekarriere nach der Pubertät abbrach, wurde nicht erfaßt. [...]

So war der Forschungsgruppe an zeitgenössischen Auskünften gelegen. Fündig wurde sie in den Erinnerungen Jella Lepmans und [ ... ] den Beständen des Bundesarchivs zur Tätigkeit des kulturellen Beirates.

Jella Lepman [ ... ] war [ ... ] Beraterin für Jugend- und Frauenfragen bei der US-Militärregierung. 1946 organisierte sie in mehreren Großstädten der amerikanischen Zone [ ... ] eine »Internationale Jugendbuchausstellung«. Im Rahmen dieser Ausstellung wurde 1946/47 eine Umfrage ähnlich der unsrigen durchgeführt [...] Deren Ergebnisse wurden auch dem »Beratenden Ausschuß«in der SBZ zugänglich gemacht und waren uns auf diesem Weg im Rahmen eines Protokolls [...] zugänglich.

In dem Protokoll wurde festgestellt, »daß das Abenteuer- und Reisebuch durchaus triumphiere, ferner daß das überlieferte und von Generationen bereits geliebte Buch nach wie vor die Gemüter beherrsche. [ ... ] Wenn man die 164 genannten Titel untersuche, dann stehe auch hier das Abenteuerbuch mit 37 Titeln an erster Stelle. Wenn man die Titel im einzelnen betrachtet, so zeige sich, daß von Kästners abenteuerlichen Jugendbüchern so gut wie alles verlangt worden sei. Karl May, obwohl nicht ausgestellt, setzte sich dennoch durch. [ ... ]« Wie zu erkennen, decken sich die Aussagen in den wesentlichen Punkten mit denen unserer Umfrage. [ ... ]

Aus den veröffentlichen Ergebnissen läßt sich schließen, daß sich die tatsächlichen Lesebedürfnisse in Ost und West – zumindest, im Untersuchungszeitraum – noch ähnelten. Wie in unseren Fragebögen nehmen Karl May und Else Ury – obwohl weder hüben noch drüben für förderungswürdig befunden – als Long- und Bestseller Spitzenplätze ein. [ ... ]

Einige der im Ausschuß getroffenen Schlußfolgerungen deuten bereits auf spätere Richtlinien der KJL-Politik, vor allem deren didaktischen Aspekt im Rahmen einer »Erziehungsdiktatur« und dem in der DDR stets problematischen Umgang mit Abenteuerliteratur. [ ... ] »Es gebe Forscherschicksale, die an Abenteuerlichkeit, Heldenmut und Tatengröße den von Karl May oder Cooper erzählten Schicksalen nicht nachgeben. Erzähle man diese Dinge richtig, dann könne man störungslos und wie nebenbei sogar wichtige geographische und ethnographische Belehrungen einflechten«. (BArch DR-2/1132, S. 188) [ ... ]

Als grundsätzliche Schlußfolgerung schälen sich zwei Befunde heraus: Zunächst der Hiatus zwischen dem, was in der SBZ an Büchrn verlegt und dem, was tatsächlich konsumiert wurde. Somit bestätigt sich auch für den Bereich KJL der SBZ die rezeptionsgeschichtliche Erfahrungstatsache, daß Kinder und Jugendliche gerade nicht – zumindest nicht nur oder in erster Linie – lasen, was sie von Willen und Urteil ihrer erwachsenen Präzeptoren und Leselehrer sollten, sondern [...] sehr zum Leidwesen derer sich auch an Lesestoffen delektierten, die – wie im Falle May – als unnütz oder schädlich galten. [ ... ]

Literatur: Eine Literaturliste kann bei den Autoren angefordert werden.

Kontakt: Humboldt-Universität zu Berlin / Philosophische Fakultät II / Institut für deutsche Literatur, Schützenstr. 21, 10117 Berlin. Tel.: 030/20196-648 / Fax: 030/20196-690 / E-Mail: mailto:rüdiger=steinlein@german.hu-berlin.de / mailto:thomas.kramer@rz.hu-berlin.de


May-Schnipsel

Heinz Konsalik und Karl May

"Brockler fuhr tatsächlich nach Dresden. Dort übernachtete er auf einer Raststätte bei Radebeul und ahnte nicht, daß seine beiden Tischnachbarn im Restaurant Beamte des Dresdener LKA waren. Im Gespräch stellte sich heraus, daß Freddy Kölner war - mit rheinischem Humor, gesellig und trinkfest. – ‚Radebeul‘ – sagte er lachend zu den beiden Kumpels am Tisch. ‚Da hat Karl May gelebt. Den habe ich als Junge gefressen. Den hatte ich immer bei mir. Und nachts habe ich ihn unter der Bettdecke mit der Taschenlampe gelesen. Jetzt lese ich Konsalik.‘ – ‚Auch unter der Bettdecke?‘" Aus: Heinz Konsalik: Tödlicher Staub. Goldmann-Tb. Nr. 43766, S. 97.
(Ferdinand Reuter, Igel.)


SCHWEIZER-KARL-MAY-FREUNDE INFO 1

Liebe Karl-May-Mitglieder in aller Welt

Die Mitgliederversammlung vom 25. Sept.1999 in Hohenstein Ernstthal nominierte fast einstimmig Luzern und die Rigi in der Schweiz zum Tagungsort des 16. KMG-Kongresses 2001. Wir freuen uns darüber sehr und möchten Sie dann vom 20. bis 23. Sept. 2001 in unserer kleinen, aber weltberühmten Stadt willkommen heißen.

Luzern liegt am Vierwaldstättersee, eingerahmt von der Rigi und dem Pilatus. Wir konnten für Sie das schöne Tagungshotel Kolping*** fast im Herzen der Stadt akquirieren. Und das zu einem moderaten DZ-Preis von Fr. 170.- (2 Pers.). Daneben haben Sie unter den weiteren 4500 Hotelbetten der Stadt Luzern Preise von Fr. 45.- bis Fr. 190.- (p. Pers. zur Auswahl). Das Tagungshotel hat einen großen Saal von 168 m2 für 200 Personen, nebenanliegend einen Ausstellungsraum mit 72 m2.

100 hübsche Zimmer, mehrere Restaurants lassen fast keinen Wunsch offen. 150 m vom See, 400 m vom Bahnhof und 100 m vom Parkhaus (teuer!) entfernt.

Machen Sie den Kongress zum 100-Jahr-Jubiläum Karl May auf der Rigi zu Ihrem unvergesslichen Ferienerlebnis. Es lohnt sich darauf zu sparen. Weitere Infos folgen.


Mitteilungen auf CD-ROM

Unser Mitglied Frank Werder hat sämtliche Mitteilungshefte als Bilder eingescannt und auf diese Weise "digitale Fotokopien" hergestellt. Die Hefte 1-121 samt Register 1-110 und 111-120 sind nun auf einer CD-ROM erhältlich.

Die CD kann - wie auch die Internet-CD - durch Überweisung eines Betrages von 15DM auf das Konto

Ralf Schönbach, Stadtsparkasse Köln, BLZ 37050198, Kto.-Nr.26283218

bestellt werden.

Bitte geben Sie im Feld "Verwendungszweck" das Stichwort "MCD" sowie Straße, Postleitzahl und Wohnort an.


Statt durch Arabien ritt Old Shatterhand durch den Isarwinkel

Unter dieser Überschrift druckte der Münchner Merkur/Landkreisbeilage Bad Tölz vom 10./11. Juli 1999 einen ganzseitigen Artikel über Karl Mays ersten (unfreiwilligen) Aufenthalt vor 100 Jahren in Bad Tölz von Christoph Schnitzer. [Vom gleichen Verfasser und am gleichen Tag erschien in der Hauptausgabe eine zwei-spaltige Zusammenfassung unter dem Titel: Wer war der Mann, der in Bad Tölz Karl May sein wollte?]

Die Vorgeschichte dieses Besuches eines Unbekannten, der sich als "Karl May, alias Old Shatterhand aus Oberlößnitz bei Dresden, allbekannt," mit dem Datum vom 31.3.1899 (im Juni!) in das Gästebuch des Gasthofes Bürgerbräu eintrug, hat Hansotto Hatzig bereits 1974 im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft unter dem Titel "Mamroth gegen May. Der Angriff der >Frankfurter Zeitung<" dokumentiert und ist dort ausführlich nachzulesen.

Für das Verständnis der Zusammenhänge hier noch einmal kurz die Fakten:

Am 1. Juli 1899 zitierte die Frankfurter Zeitung die Mitteilung einer Leserin an die Pfälzer Presse, daß Karl May, der sich nach eigenen Angaben auf einer Reise in den Orient befand, laut neuester Kurliste im Hotel Bürgerbräu in Bad Tölz als Kurgast abgestiegen sei. Das Hotel bestätigte der FZ diese Eintragung telegraphisch mit dem Zusatz "persönlich unbekannt". Die Zeitung – oder ihr Redakteur Fedor Mamroth, der seit dem 3. Juni 1899 eine Pressekampagne gegen May wegen des Wahrheitsgehaltes seiner Bücher in Bewegung gesetzt hatte – zog daraus den süffisanten Schluß: "Sollte der Araberstamm der Haddedihn, mit welchem Karl May befreundet ist, am Ende in Oberbayern hausen?" Diese Meldung war nur noch das Tüpfelchen auf dem i, denn die Presse beschäftigte sich bereits deutschlandweit nicht nur mit dem sittlichen Gehalt seiner Bücher und deren Einfluß auf die Jugend sondern mehr noch "mit der Erörterung, ob seine Münchhausiaden Wahrheit oder Dichtung seien" (FZ, 7.7.1899).

Karl May erfährt von all dem erst nach der Rückkehr von der großen Orientreise (März bis Ende Juli 1899) Anfang August durch den Freund Richard Plöhn. Und unter seinem Namen veröffentlicht May dann auch sein großes Verteidigungsplädoyer mit dem Titel "Karl May und seine Gegner" (Tremonia, 27. – 29. 9. 1899).

Bereits im Juli war Emma May nach Bad Tölz gereist, um nach Einsicht in das Gästebuch des Hotels Bürgerbräu festzustellen, daß der Eintrag zwar mit dem Zitat der Zeitung übereinstimmte aber natürlich nicht die Handschrift ihres Mannes trug. Die freundliche Wirtin schenkte ihr daraufhin die betreffende Seite.

Ein einwöchiger Besuch des "echten" May mit seiner Frau Emma erfolgte dann noch im Jahr 1899 und noch einmal 1901. Über diesen zweiten und letzten Aufenthalt Karl Mays in Bad Tölz hat anläßlich seines 25. Todestages der "Tölzer Kurier" am 3. April 1937 den damaligen Hausmeister und Kutscher des "Bürgerbräu" Josef Hölzl befragt, der bereitwillig und ausführlich über seine Fahrt mit den Mays erzählte. Der folgende, von uns leicht gekürzte Text ist als Abdruck in der oben zitierten Landkreisbeilage Bad Tölz des "Münchner Merkur" erschienen:

[-sSe]

"Goldstückln hat der Mann g’habt, alle Taschen voll ..."

Kurier-Redakteur Willi Lorenz schrieb damals: [...] Wir wollen [...] einen kurzen Besuch bei einem ehemaligen Tölzer Kutscher machen, der seine Fahrt mit Karl May von Tölz zum Achensee zu den schönsten Erinnerungen seines nunmehr bald 70jährigen Lebens zählt.

Bad Tölz Schloßplatz beim Heimatmuseum. Wir treffen unseren ehemaligen Tölzer Kutscher, heute städt. Wegwart Josef Hölzl beim Frühjahrs-Gartenumgraben. Das Wort Karl May genügt, und er wirft die Grabschaufel weg, putzt sich die Hände am Schurz ab und beginnt:

"Ja, der Karl May, das war ein Mann, an solchen hab i vorher und nachher in mei’m lang’n Leb’n nia mehr troffn. Da müaß’n S‘ in d’Stuben reikemma, wenn i Eahna von dem Mann vazähln soll!"

Es war keine lange Zeit, die unser Tölzer Kutscher mit Karl May zusammen war: ein einziger Nachmittag nur. [...]

Schon in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, so erzählte uns Herr Hölzl, weilte Karl May einmal acht Tage lang in Tölz zur Erholung und Kur. Er wohnte damals im Gasthof zum Bürgerbräu (heute neues Rathaus) [1999: Heimatmuseum, d. Red.], wo er mit den Besitzerinnen, den drei Fräulein Faist, sehr gut bekannt wurde.

Im Jahre 1901 zog es ihn dann wieder einmal in unsere Berge. An einem schönen Septembervormittag kam er mit seiner Frau nach Tölz und kehrte wiederum im Bürgerbräu-Gasthof ein. Hier war Josef Hölzl über 30 Jahre lang geschätzter Hausmeister und Kutscher.

Nach dem Mittagessen kam der berühmte Gast zu Hölzl in den Pferdestall und eröffnete ihm: "Sepperl, haben Sie ein paar schöne und starke Pferde? Ich möchte mit meiner Frau heute Nachmittag an den Achensee fahren!"

Der Sepperl bildete sich nicht wenig ein und zeigte ihm seine zwei stärksten und strammsten Roß‘. Karl May musterte das Paar mit Kennerblick und fand an ihm Gefallen. "Gut Sepperl, wir fahren zusammen an den Achensee. Wenn Sie mich recht schön dorthin fahren, bekom-men Sie auch ein schönes Trinkgeld!"

Hölzl fuhr nachmittags zwei Uhr stramm zweispännig mit seinem Viktoriawagen los. Da er seinem berühmten Gast und dessen Frau zeigen wollte, was er konnte, feuerte er die Pferde mächtig an. Doch in Obergries schon ließ Karl May halten und sagte zu ihm: "Sepperl, ich habe Ihnen nicht gesagt, daß Sie schnell, sondern daß Sie schön fahren sollen!"

Auf der ganzen Fahrt offenbarte sich Karl Mays große und ungewöhnlich rücksichtsvolle Tierliebe. An jedem kleinen Berg, wo es gar nicht nötig gewesen wäre, stiegen er und seine Frau aus, um die Pferde zu schonen. Andere Herrschaften, bemerkte Hölzl, sind an steilen Bergen nicht ausgestiegen, auch wenn sie zu sechst auf dem Wagen saßen. In Fall wurde längere Rast gemacht. Hölzl durfte sich im Faller Gasthaus den besten Wein bestellen, aber so viel konnte er gar nicht trinken, als ihm May zahlte. [...] Im Gasthof Maria in Hagen am Wald wurde ein zweites Mal ausgiebig gevespert.

Das eigentliche Fahrtziel war abends acht Uhr in Scholastika am Achensee erreicht. Hölzl bekam ein fürstliches Essen und Trinken und außerdem für über 30 Mark Goldstückl in die Hand gedrückt. "Goldstückln hat der Mann g’habt," so schwärmt heute noch Hölzl begeistert, "alle Taschen voll Goldstückln!"

"Ich bleib jetzt 14 Tage am Achensee", sagte Karl May zum Abschied am Abend, "und weil Sie mich so schön gefahren haben, Sepperl, werde ich Ihnen dann nach Tölz Mitteilung geben, wenn Sie mich abholen sollen!"

Hölzl wartete mit Schmerzen nach Ablauf der 14 Tage – aber von Karl May hörte er nichts mehr. Er mußte seine Reiseroute inzwischen anders beschlossen haben. Auch nach Tölz ist er später nie mehr gekommen.

Noch etwas ist bemerkenswert: Karl May wollte in Tölz und auf der ganzen Fahrt unerkannt bleiben. "Verraten Sie ja nirgends meinen Namen", schärfte er dem Hölzl ein, "ich habe mit den Menschen schon genug Erfahrungen gemacht, ich will meine völlige Ruhe haben, wenn ich reise". In Scholastika wollten die Leute zu gern von Hölzl wissen, wer der selten splendide Herr sei – aber Hölzl konnte schweigen wie das Grab. (Heute, da Karl May 25 Jahre tot ist, kann er es ja ruhig ausplaudern!)

Daß es Karl May im Leben wirklich nicht gut ging, geht auch aus einem kleinen Erlebnis hervor, das unser Tölzer Kutscher Hölzl ein halbes Jahr nach seiner Fahrt an den Achensee hatte: Der Gendarm kam zu ihm und bereitete ihn darauf vor, daß er nächstens zu einer Gerichtsverhandlung betreff ‚May‘ nach Berlin fahren und dort über seine Fahrt mit Karl May von Tölz an den Achensee aussagen müsse. Es kam dann nicht so weit, aus welchem Grund, erfuhr Hölzl nicht. Wenn er auch ganz gern einmal mit dem billigen Zeugengeld nach Berlin gefahren wäre – froh war der doch, daß er nicht in ein Gerichtsverfahren um seinen ihm ans Herz gewachsenen Karl May verwickelt wurde.

Karl May als katholischer Autor

In der Nr. 52 vom Oktober 1893 des "Deutschen Hausschatz" gab der Pustet-Verlag seinen Lesern folgende Anzeige bekannt (gekürzt):

Was wir im nächsten Jahrgang bringen. Der "Deutsche Hausschatz" beginnt demnächst seinen 20. Jahrgang. Die Redaktion tritt ihn an mit dem eifrigen Bestreben, das Blatt in jeder Beziehung zu einer echt modernen, aber durchaus katholischen Zeitschrift zu gestalten, [...] Mit Befriedigung dürfen wir sagen, daß unser Streben mit Erfolg gekrönt wurde: die besten katholischen Schriftsteller deutscher Zunge sind unsere Mitarbeiter geworden, [...]. Für den neuen Jahrgang ist wieder eine Reihe spannender Romane und Novellen erworben worden, die, von den ersten katholischen Autoren herrührend, mit fe†elnder Unterhaltung einen echt sittlichen Kern verbinden. Wir nennen nur: [...]

Karl May: Die Felsenburg, Reiseerzählung. Ist es nötig zum Lobe Karl Mays noch etwas zu sagen? Was er schreibt, packt unfehlbar vom Anfang bis zum Ende.

Mitgeteilt von Walter Dölle, Traben-Trarbach


Der folgende Artikel erschien am 20. Mai 1999 in der FAZ

Joachim Kalka:

Tief im Skipetarentraum

Erinnerungen an eine Kindheitslektüre

Die Nachrichten aus dem Kosovo und den umliegenden Landschaften, aus Serbien, aus Albanien, aus Mazedonien summen uns einen Schwarm mittlerweile fürchterlich bekannter, vor kurzem noch gänzlich unvertrauter Ortsnamen in die Ohren.. Wie immer seit dem Vietnamkriege – das erste ganz bewußte Erlebnis dieser Art für meine Generation – wird einem die Geographie unbekannter Zonen des Planeten durch die perverse Didaktik von Katastrophenmeldungen eingeprägt. Wie immer ... und doch diesmal ein klein wenig anders, aber es hat seine Zeit gebraucht, diesem Unterschied auf die Spur zu kommen.

Dann bemerkt man mit einem winzigen Schock, daß man diese Topographie ja doch bereits kennt, daß man sie sich – irgendwie – schon angeeignet hatte, unklar wie in einem Traum. Und es war auch einer: der große Reisetraum der späten Kindheit, die initiatorische Orientreise der ersten sechs Bände Karl Mays, die in Algerien beginnt und "durch die Wüste" in einen ägyptischen Harem führt, dann "durchs wilde Kurdistan" und "von Bag-dad nach Stambul" geht. Und dann spielt der nächste Band "in den Schluchten des Balkan", und dann geht es "durch das Land der Skipetaren". Jetzt klingen diese Namen auf, Uskub (das heute Skopje heißt), Treska-Konak, Kilissely ... und das Finale, der endliche Sieg des Guten, die Begleichung alter Rechnungen im "Schut" findet an einem kleinen Ort zwischen Menelik und Skutari statt, der beim Nachblättern den seltsamsten Widerhall findet, er heißt Rugova.

Ja, hier hat im Jahre 1888 nach vielen Wechselfällen, nach viel List und Gegenlist das Gute gesiegt, das Böse ist in gewaltig-tollkühnem und doch zu kurzem Sprung in den Abgrund gestürzt. Sieht man vollends die bemerkenswerten Titelbilder an, welche der für Karl Mays Werk begeisterte symbolistische Maler Sascha Schneider ab 1904 für die Ausgaben Fehsenfelds entworfen hat, baut sich ein ehrgeizig aufgetürmtes Panorama des Kampfes der Edelmenschen gegen die Finsternis vor einem auf, wo Herkules gelassen mit der Hydra kämpft. Der Professor Dr. Johannes Werner bemerkt denn auch in seinen wenig später erschienenen Erläuterungen zur Schneider-Bildmappe "Empor zum Licht" speziell zum Titelbild des Karl-May-Bandes "Durch das Land der Skipetaren": "Nach dem mannhaften Kampfe bereitet sich der Sieg des Guten vor, der durch die Hilfe von oben bewirkt wird. Die Justitia schwebt auf Wolken heran, entlarvt und richtet die sich vor ihr scheu duckenden und verbergenden Schlechten."

Ist das also die Pointe unserer halbvergessenen Karl-May-Lektüre: daß wir im Halbschlaf zwischen Historie und Kolportage uns den Balkan immer noch als ein Territorium phantasieren, wo die Schlechten sich am Ende vor den Guten ducken müssen, wo ein Kampf im Land der Skipetaren stattfindet, von einem Himmel überwölbt, an dem sich riesengroß Justitia mit der Waage zeigt? Und einen Band später, im "Schut" – die Handlung ist nach den weiten Ritten der ersten Bände nur wenige Meilen weiter gerückt -, grüßt auf dem Titelbild ein heroischer Jüngling das Himmelslicht (mit "dankerfülltem, vom Kampf noch ernstem Blick"), das Schwert ins Maul des um seine Füße verstreuten und verendeten Gezüchtes gebohrt.

Schneiders Blätter spiegeln in der Karl May willkommenen allegorisierenden Überhöhung durchaus eine bestimmte Dimension seiner Texte: den sühnenden Sieg des Guten, der Guten. Ist es das, ist die Phantasie eines solchen Sieges die peinliche Verbindungslinie zwischen Karl Mays Balkanschluchten und unserem Kosovo? Das wäre ein wenig zu einfach. Es ist schon so, daß bei Karl May – wie allgemein bekannt – ein Deutscher durch die Prärie des Westens und die Wüsten und Klüfte des Orients reitet, um das Chaos zu ordnen und die Guten zu belohnen, die Bösen zu bestrafen, aber so einfach geht die Rechnung nicht auf. Karl Mays Inszenierungen sind nicht ganz eindeutig. Denn: "Das Christentum? So etwas merkt ein Gescheiter gar nicht, wenigstens in den Orientbänden nicht, wo ihm der Islam lieber ist. Oder das Christentum ist ein Stilmittel, das den Verbrecher immer wieder laufen läßt, sobald man ihn hat, sobald also die Handlung zu Ende sein müßte"(Ernst Bloch).

Und in einem in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerten Text Karl Mays wie dem 1901 erschienenen "Friede auf Erden" (dessen radikal pazifistische Botschaft May sogar elegant in Joseph Kürschners chauvinistisches Lieferungs-prachtwerk zur Erinnerung an die Niederwerfung des Boxeraufstandes zu praktizieren verstand, zum erstaunten Ärger des zu spät mit der Lektüre beginnenden Verlegers) finden sich Sätze, die uns ambivalent genug in den Ohren klingen müßten – einst werden "die Wohlmeinenden aller Nationen sich zu vereinigen haben, um die unausbleiblichen Folgen des ‚zivilisatorischen‘ Terrorisierens wieder gut zu machen. Denn gut gemacht muß alles Schlimme werden, vollständig gesühnt und bis auf die letzte Ziffer abgebüßt, so will es die göttliche Gerechtigkeit". Das Gute muß triumphieren, aber die Rollenzuordnung bei der Frage, wer die Guten nun sind, ist zusehends überraschend.

Ich glaube vielmehr (um einmal die konfusen Relikte alter Lesephantasien einen Augenblick lang ganz ernst zu nehmen), daß, wenn es hinter der schockartig aufbrechenden traumgeographischen Erinnerung an diese alten Scharmützel eine wirklich bedeutsame und verhängnisvolle Konnotation von Kosovo und Karl May gibt, es diese ist: Im kollektiven Unbewußten unserer Kindheitslektüren mag ein tragikomischer Irrtum eingelagert sein – daß der Balkan ein Ort ist, wo eine lange Geschichte ein eindeutiges und übersichtliches Ende findet. Das Land der Skipetaren erscheint diesem alten magischen Vorurteil als ein Land, wo lange, verwickelte, blutig-geheimnisvolle Geschichten zu einem befriedigenden Schluß kommen. Wir meinen uns von altersher zu erinnern, daß hier die Jagd zu Ende geht, die Geschichte einen Punkt macht und ihr Buch befriedigt mit dem Satz zuklappt: "Jetzt kam der Abschied. Ich kürzte ihn so viel wie möglich ab, und dann ritten wir davon, meist über ungebahnte Wiesen dem Westen zu."

Den leicht gekürzten Artikel aus der Westdeutschen Zeitung/Düsseldorfer Nachrichten vom 27. September 1999 schrieb Jennifer Bockmühl.


Winnetou-Leser mögen die Indianer nun einmal

Der kanadische Künstler Ed E. Bryant ließ sich im Neanderthal Museum bei der Arbeit über die Schulter gucken

Als "Indian" (Indianer) möchte er nicht bezeichnet werden, da der Begriff negativ behaftet ist, gerne als "Native", als Ureinwohner Nordamerikas. "Durch den Kult um Winnetou sind die Leute hier sehr freundlich und ich fühle mich deshalb natürlich in Deutschland sehr wohl", erzählt Petra Bormuth-Bryant mit einem Blick auf ihren Mann Ed E. Bryant.

Der reist mit seiner Tsimshian-Kunst erfolgreich durch die Lande. Am Wochenende hatte er sich im Neanderthal Museum neben der Sonderausstellung "Winnetous Tod – Mythos und Wirklichkeit nordamerikanischer Indianer" eine eigene Werkstatt eingerichtet.

Da saß er nun, in schwarze Kleidung gehüllt, dem Publikum ganz hautnah und schnitzte an einem hölzernen Rabenkopf, einem Tanzkopfschmuck. Fragen der Besucher beantwortete er geduldig auf Englisch. Am späten Nachmittag kamen seine Zuschauer auch noch in den Genuß seiner traditionellen Tanzvorführung.

Für Kinder gab es eine Malaktion mit Wappentieren der Tsimshian-Indianer. Geboren wurde Hagwil-Gaa, so sein richtiger Name, in dem kleinen indianischen Fischerdorf Lay Kw Alaams (Port Simpson) in Britisch Kolumbien an der Nordwestküste Kanadas, das noch bis heute nur mit dem Boot oder Wasserflugzeug zu erreichen ist.

Durch die tiefe Beziehung zu seinem Großvater, bei dem er aufwuchs, besitzt der Künstler ein großes Wissen über die Geschichte, Mythologie, Medizin und Sprache seines Volkes, den Tsimshian. "80 Prozent der Leute des Reservates, aus dem ich komme, sind arbeitslos", erzählt Ed E. Bryant, "und es gibt ein großes Drogen- und Alkoholproblem." Wer keine solide Ausbildung an einer Schule im Reservat durchläuft, hat keine Chance, der Isolation – durch Arbeit bei den Weißen – zu entkommen.

Abseits der Zivilisation sei der Mißbrauch und die Selbstmordrate sehr hoch, fügt seine Frau noch hinzu, die ihren Mann durch ihr privates Interesse an Totems kennenlernte. Seit 20 Jahren schnitzt Ed E. Bryant nun schon Totempfähle, Masken, Rasseln, Tanzstöcke, Kanus, Paddel, Trommeln und vieles mehr, vorwiegend aus roter und gelber Zeder. Seine Kunst findet Platz in verschiedenen Museen, Galerien und Privatsammlungen. [...]

(Mitgeteilt von Klaus Lohoff, Erkrath)


Aus der "Süddeutschen Zeitung" vom 31. August 1999 (gekürzt):

Anne Erfle

Der selbstgemachte Held aus Radebeul

Generationen junger Fans haben Karl Mays zahlreiche Geschichten verschlungen, süchtig nach immer neuen Abenteuern der fantastischen Helden aus der amerikanischen und orientalischen Fremde, jenen "Fluchtwelten für zivilisationsmüde Abendländer", wie es Thomas Hoelscher im Katalogtext zur Ausstellung von Jess Walter formuliert. [...]

Der Künstler Jess Walter läßt diese Zeit im Bilderzyklus "Villa Shatterhand" auf transferierte Weise wieder aufleben. Dazu benutzte er Originalfotos von Karl May und seinen Freunden in verschiedenster Kostümierung als Vorlagen, aufgenommen in der Requisitenkammer und der Schreibstube der Villa. Im renovierten "Regenbogenstadl" in Polling finden die heroischen Figuren und Szenarien aus dem Interieur der Villa Karl Mays ein adäquates Umfeld. Die Weite der lichten Ausstellungshalle gibt den großformatigen Bildern Raum und dem Betrachter die Möglichkeit, ihre malerischen Qualitäten aus unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen.

Schicht um Schicht baut Walter seine Bilder auf und greift damit das Thema der szenischen Verwandlung aus den historischen Vorlagen auf. Die auf Linoleumbahnen projizierten Fotos werden in Linien und Ornamente aufgelöst und zu Druckplatten transformiert. Mit Ölfarbe und Lack färbt er sie mit dem Pinsel ein und druckt sie auf die Leinwand. Das ermöglicht ihm die Farbintensität des Abdrucks malerisch zu variieren, opake und transparente Flächen mit Zwischentönen abwechseln zu lassen. Zusätzlich übermalt er das Gedruckte, verwendet häufig die Druckplatte ein zweites Mal, irritiert den Betrachter durch Verdopplung des Motivs oder durch gezielte Unschärfen, indem sich eins über dem anderen mit leichten Verschiebungen abbildet. Damit schärft er die Wahrnehmung und lenkt die Gedanken auf andere, metaphorische Ebenen.

Schnitt mit dem Linolmesser

Die mehrschichtige Bearbeitung und die Morbidität der Farbigkeit schaffen Distanz zum Ausgangsbild. Es hat seine Unmittelbarkeit eingebüßt, die formalen Unschärfen spiegeln die inhaltlichen Verschiebungen. Der Betrachter wird schwerlich jene prickelnde Atmosphäre aus der Jugenderinnerung in den Bildern wiederfinden. Die sonnendurchglühte Weite des Wilden Westens – Marlboroland – erstickt in der Hermetik düsterer Farben. Sie füllen die großen Formate und vermitteln dem heutigen Betrachter die physische und psychische Enge der Radebeulschen Schreibstube. Jess Walter zerschneidet die kulissenhaften Inszenierungen der Villa mit dem Linolmesser, löst sie in ornamentale Camouflage auf, in der die Figuren verstrickt sind und sich nur schemenhaft abheben.

Mit exotischen Kostümen, Pflanzen und Dekorationsstoffen mußte Karl May sich das Fremde förmlich einverleiben. Er inszenierte nicht nur seine Umgebung und die Freunde, sondern vor allem sich selbst: Karl May himself als Old Shatterhand, als Kara Ben Nemsi und als Urlauber in Tirol. In Anlehnung an die Kunstgeschichte posierte er mal in heldisch-stolzer Pose wie Rembrandt, mal umgab er sich in seiner Schreibstube mit der domestizierten Natur in Form eines präparierten Löwen wie Hieronymus in der Klause. Jess Walter variiert die Posen durch malerische Effekte und seitenverkehrte Spiegelungen. Old Shatterhand à la Rembrandt als großes Porträt mit unverschattetem Gesicht oder spiegelbildlich à la Goya, aufgespalten in gedoppelter Version. Der eine als helle Figur mit dunklem Gesicht, der andere, kleinere, als dunkle mit hellem Gesicht. Die symbolische Verkörperung verunklärter Heroen, deren Mehrdeutigkeit Fragen aufwirft.

Durch die technische Umsetzung in verschiedene Medien durchdringen sich formale und inhaltliche Bedeutung. Die großen Formate spielen mit Nähe und Ferne. Man muß sich bewegen, um sie zu erschließen. Dann wird man je nach Betrachterstandpunkt lebendige Reflektionen wahrnehmen, die Oberflächenstruktur, malerisch ornamentale Details oder das narrative –Ganze.

(Kunst im Regenbogenstadl, Georg-Rückert-Str. 1, Polling bei Weilheim, bis 31. Oktober 1999 [ ... ]) (Mitgeteilt von Dr. Ulrich Schmid, Neu-Ulm)


Zum Gedenken an Reinhard Seidler (1948 - 1999)

Mit Reinhard Seidler verliert eine Familie den Ehegatten und Vater, ein Medienverlag ihren zuverlässigen und kreativen Mitarbeiter und die Karl-May-Gesellschaft einen exzellenten und mit wissenschaftlicher Akribie ausgestatteten Karl-May-Experten. Für uns alle unfaßbar, plötzlich mitten aus einem schaffensreichen, glücklichen Leben gerissen - erst 51 Jahre alt - vermissen wir Reinhard Seidler als geselligen und kameradschaftlichen Menschen.

Bereits früh hatte Erwin Müller eine Mitgliedspatenschaft in der KMG für ihn übernommen. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands hat Reinhard Seidler an allen KMG-Kongressen mit großer Freude teilgenommen. Die von ihm bereits avisierte Teilnahme am 30-jährigen Jubiläumskongreß in Hohenstein-Ernstthal ist ihm leider verwehrt geblieben.

Reinhard Seidler ist im Januar 1987 im Schloß Branitz erstmals mit der viel beachteten Ausstellung "Karl May - Aus einer Cottbuser Sammlung" an eine große Öffentlichkeit getreten. In acht Wochen sahen 12.000 Besucher aus 13 Ländern über 300 Exponate, die er in jahrelanger Arbeit zusammengetragen hatte.

Diese bahnbrechende Ausstellung verlangte jedoch für die Cottbuser Karl-May-Enthusiasten nach einer Fortsetzung der gelungenen Karl-May-Ouvertüre. Es wurde die Idee geboren, hier im Osten eine erste Karl-May-Heimstätte auf Vereinsgrundlage aufzubauen. Mit mehreren Gleichgesinnten gelangte Reinhard Seidler zu der Überzeugung, einen Freundeskreis Karl May zu gründen. So wurde am 12. November 1987 der erste Freundeskreis Karl May in der DDR unter Vorsitz von Reinhard Seidler ins Leben gerufen.

Die Gründung war für die damalige DDR ein Novum und wurde von den Behörden argwöhnisch beobachtet. Gleichwohl ist es dem diplomatischen Geschick Reinhard Seidlers zu verdanken, daß der ehemalige Kulturbund der DDR zu einer fairen Heimstatt für den Freundeskreis Karl May Cottbus avancierte. Nach der Wende dezimierte sich die Mitgliederzahl des Freundeskreises zwar beträchtlich. Aber die verbliebenen Karl-May-Freunde sahen im Beitritt zur KMG eine würdige Fortsetzung ihrer Arbeit für den lange diskriminierten Autor.

Der Journalist Reinhard Seidler war ein brillanter, aktiver Organisator, Archivar und Publizist - auch für die große Karl-May-Gemeinde Für den Freundeskreis Karl May Cottbus gaben seine Anregungen zum Inhalt und Layout der Jahresprogramme sowie seine sonstigen Schriften und übernommenen Aufgaben beredtes Zeugnis seiner Umsicht und Kontinuität, seinem Weitblick und der Liebe zum Detail.

Zu den Veranstaltungen konnten bekannte Karl-May-Kenner in Cottbus begrüßt werden; stellvertretend für viele seien hier erwähnt unser ehemaliger Geschäftsführer Erwin Müller sowie Hansotto Hatzig, der frühere Redakteur der KMG-Mitteilungen.

Immer wieder verstand es Reinhard Seidler, Karl-May-Informationen in der lokalen und überregionalen Presse, in Kalendern und Zeitschriften zu plazieren. Er hat etwa 150 Arbeiten zum Thema Karl May veröffentlicht, darunter auch etliche Rezensionen zur Sekundärliteratur.

Im Januar 1992 tritt Reinhard Seidler erneut mit einer erfolgreichen Ausstellung "Karl May - Neues aus einer Cottbuser Sammlung" im Stadtmuseum Cottbus für sechs Wochen in Erscheinung. Parallel dazu legte er eine beachtenswerte Dokumentation vor: "Winnetous Erben in Ostdeutschland. Der Cottbuser Freundeskreis Karl May" (Auflage 2.000!).

Anläßlich des 10-jährigen Bestehens des Freundeskreises entstand 1997 nach einer Idee und dem Entwurf von Reinhard Seidler eine wertvolle Gedenkmedaille in Kupfer in einer limitierten und numerierten Auflage von 30 Stuck.

Reinhard Seidler hat uns leider zu früh für immer verlassen. Sein Tod reißt so plötzlich eine schreckliche Wunde in alle Freundschaften und in der Familie; aber er hat ihn erlöst von einer bösen, schmerzhaften und leidvollen Krankheit. Für uns bleibt er unvergessen und in freundschaftlicher Erinnerung. Der Freundeskreis Karl May Cottbus soll und wird weiterleben. Nicht nur, weil wir Karl-May-Verehrer sind, sondern auch, weil es im Sinne von Reinhard Seidler ist.

Wir werden dem Verstorbenen ein ehrende Gedenken bewahren.

Für den Freundeskreis Karl May Cottbus

Ulrich Böhm


Martin Lowsky

Deutsche Kolonialgeschichte in China - und am Rande Karl May

Einige Blicke in die Berlin-Kieler Ausstellung 'Tsingtau'

Im Jahre 1998 hat das Deutsche Historische Museum zu Berlin eine große Ausstellung über Tsingtau, die deutsche Kolonie in China, konzipiert. Eine Variante hiervon, mit zusätzlichen Exponaten, hat das Kieler Stadt- und Schiffahrtsmuseum erarbeitet; sie wird unter dem Titel 'Tsingtau - Deutsche Marine- und Kolonialgeschichte 1897-1914' von Juni bis September 1999 in Kiel gezeigt. Dieses Berliner bzw. Kieler Projekt ist auch in anderen deutschen Städten zu sehen.

Vorgeführt wird hier in alten Grafiken, Dokumenten und Landkarten der deutsche Imperialismus und Kolonialismus um die letzte Jahrhundertwende, wobei der damalige Zeitgeist, der Glaube an die kulturelle Überlegenheit Europas, eine große Rolle spielt. Fotos von Häusern und Straßenszenen geben den damaligen Alltag wieder. Daß dabei die Deutschen im chinesischen Tsingtau (heutige Umschrift: Qingdao) eine gute Infrastruktur eingeführt haben, etwa im Schulwesen oder im Eisenbahnbau, wird auch betont. Der Katalog zu dieser Ausstellung enthält ein Grußwort von Yan Lijin, dem Direktor des Stadtmuseums Qingdao.

Dieser großformatige Katalog (Tsingtau. Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in China 1897-1914. Hg. v. Hans-Martin Hinz und Christoph Lind. Berlin u. a. 1998) ist auch im Buchhandel erhältlich. Er bildet viele der Exponate ab, vor allem aber ist er eine reiche Aufsatzsammlung.

Karl May hat seinen Altersroman 'Und Friede auf Erden!' (Endfassung 1904) wenige Jahre nach der Gründung dieser Kolonie und kurz nach der berüchtigten 'Hunnenrede' Wilhelms II. geschrieben; im Jahrbuch 1972/73 der Karl-May-Gesellschaft hat Ekkehard Bartsch den politischen Hintergrund von Mays Roman skizziert. Was damals aktuell war, stellt diese Tsingtau

Ausstellung ausführlich dar, und May kommt sogar in den Beiträgen des genannten Kataloges vor.

Zu nennen ist zuerst der Artikel der Sinologin und Anglistin Ursula Ballin (Vorurteile und Illusionen: Europäische Chinabilder und Fremdbilder in China. A. a. O. S. 188-190). Die Autorin sagt beiläufig, aber in großer Schärfe, Mays Erzählung 'Kong-Kheou, das Ehrenwort' biete "ein Gruselkabinett der dümmsten gängigen China-Stereotypien". Sie erwähnt auch Joseph Kürschners Sammelwerk 'China' (das für sie seltsamerweise "der 'Kürschner"' ist, als wäre es Kürschners Hauptwerk), ohne Mays subversiv-antikolonialistische Mitarbeit anzuführen. Ein solcher Hinweis findet sich in dem Essay des Germanisten und Sinologen Liu Weijian: "Vom 'jungen Deutsch-China' zum 'heiligen Boden des Verständnisses': Tsingtau (Qingdao) im Spiegel der deutschen Literatur" (a. a. O. S. 191-195). Weijian erinnert daran, daß May in seinen frühen Erzählungen wohl eine Rückständigkeit der Chinesen, doch auch schon die Barbarei der Weißen vorgestellt habe, betont aber vor allem, daß sich May in 'Und Friede auf Erden!' vom "Donner der begeisterten Hipp, Hipp, Hurra" (Weijian zitiert May) entschieden abgewandt habe. May habe statt dessen die Erlebnisse "einer kleinen deutsch-abendländischen Reisegesellschaft" erzählt, die am Ende "die utopische Insel Ocama erreicht", einen "glückliche(n) Zwischenraum zwischen China und Deutschland, Orient und Okzident". Darüber hinaus legt Weijian überzeugend dar, daß sich in Mays erfundener Geographie eine "frappierende Ähnlichkeit Ocamas mit Qingdao" zeige. Schon allein diese Entdeckung (die übrigens schon in den KMG-Nachrichten 120, S. 43f. zitiert wird) macht die Ausstellung für May-Leser verlockend! May wandelt also die reale Kolonie um; bei ihm erscheint sie "als 'Utopia', als Wunschraum aller verbrüderten Menschen". Nach Liu Weijian nimmt diese Maysche Umwandlung der Kolonie Qingdao Ideen von Alfred Döblins Roman 'Die drei Sprünge des Wang-Lun' und von Bertolt Brechts Gedicht 'Der Tsingtausoldat' vorweg.

Die Ausstellung, so wie sie in Kiel dargeboten wurde, erscheint mir in zumindest zwei Punkten zusätzlich interessant für die Kenner Mays. Zum einen fand in ihrem Rahmen am 8. Juli 1999 ein Vortrag von Wolfgang Struck, tätig am Institut für Neuere deutsche Literatur der Universität Kiel, statt. Struck sprach über literarische Chinabilder zwischen Abenteuer und Kolonisation, nannte dabei die chinafeindlichen und vorurteilsvollen Abenteuerberichte von Walter Lucke, Gunther Plüschow und anderen und kam schließlich auf Mays Altersroman zu sprechen. Struck bestritt, daß May, der nur mit Angelesenem gearbeitet habe, ein wirkliche Verständnis für China besessen habe, doch zitierte er als Höhepunkt seines Vortrages die lange Anklage gegen die Europäer, die May seinem Chinesen Fang in den Mund legt und in der es etwa heißt: "... sie, deren so laut ausposaunte Humanität nichts als nur der verkappte Egoismus ist ..." Mays Titel 'Und Friede auf Erden!' war übrigens auch der Titel von Strucks bemerkenswertem Vortrag.

Zum anderen fiel mir ein spezielles Exponat ins Auge. Einem Porträt des Prinzen Heinrich von Preußen, des Seeoffiziers und späteren Großadmirals, der in Kiel wohnte und der 1898 mit einem Seebataillon in das eben vereinnahmte Tsingtau aufbrach, werden zur Erklärung einige Sätze beigegeben. Es sind die Worte, die der Prinz vor seiner Abreise an seinen Bruder, den Kaiser Wilhelm II., gerichtet hatten sie lauten: "Eure Majestät haben die große Entsagung gehabt, mir dieses Kommando anzuvertrauen ... Mich lockt nicht der Ruhm, mich lockt nicht Lorbeer, mich zieht nur eines, das Evangelium Eurer Majestät geheiligter Person im Ausland zu künden, zu predigen jedem, der es hören will, auch denen die es nicht hören wollen."

Hier also der aggressive Wunsch, ein "Evangelium" "im Ausland zu künden" - eine Art militärisch-kaiserliches Evangelium allerdings! Wer denkt da nicht an Karl Mays pazifistisches Gedicht aus dem 'Friede'-Roman, jenes "Tragt Euer Evangelium hinaus, / Doch ohne Kampf sei es der Welt beschieden ..." ? Zu vermuten ist daher, daß dieses Gedicht ein verfremdetes Zitat ist, eine bewußte Spitze Karl Mays gegen den Militär und Chinafahrer Prinz Heinrich von Preußen.


Hermann Wohlgschaft

"Unter einer Bärenfellmütze" – das Maß aller Dinge?

Die Rezension der KMG-Jahrbücher 1997 und 1998 durch Joachim Kalka (in der FAZ vom 5.7.1999, wiedergegeben in KMG-N 121, S. 20f) scheint mir, zumindest was die "Sterbeszenen in Mays Kolportageromanen" (Jb-KMG 1997) betrifft, doch etwas sonderbar. Ich frage mich:

Zur Klarstellung habe ich noch folgendes zu bemerken:

  1. Daß Mays Sterbeszenen oft kitschige oder knallige Elemente enthalten, habe ich selbst betont. Aber auch grelle und, literarisch gesehen, trivialste Texte können ja dennoch theologisch relevant sein. Daß dies in Mays Sterbeszenen der Fall ist, dies und nur dies wollte ich aufzeigen.
  2. Der Mayschen "Beschreibungsexaktheit", der empirischen Frage, ob Menschen – rein äußerlich gesehen und auf körperliche Vorgänge bezogen – tatsächlich so sterben, wie May sie sterben läßt, galt mein Interesse nur vordergründig. Dahinter stand – erkenntnisleitend, meine gesamte Darstellung beherrschend – die "metaphysische" Frage: Welches Gottes- und Menschenbild zeigt sich in Mays Kolportage? Welche Deutung von Sterben und Tod liegt folglich den Sterbeszenen zugrunde?
  3. Mays Sterbeszenen sind theologisch bedeutsam und interessant auch im Blick auf die heutige Sterbeforschung und die Praxis der Sterbebegleitung. Ob May selbst ein gläubiger Mensch war, ist eine andere Frage. In meinem Beitrag zum Jb-KMG 1997 war diese Frage kein eigenes Thema. An anderer Stelle, in der May-Biographie (1994), freilich habe ich die These vertreten: Ein Heiliger war unser Autor wohl nicht, ein homo religiosus aber war er mit Sicherheit, und ein gläubiger Christ war er mit größter Wahrscheinlichkeit. Von dieser These abzurücken, gibt es keinen vernünftigen Grund.

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