Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 10, Seite 145
Reprint Seite 81


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

Die größeren Dschunken haben bis 500 Tonnen Gehalt und sind dreimastig. Sie sind leicht und kunstlos zusammengefügt, so daß sie eine schwere See und die Schüsse von großen Geschützen nicht ertragen können. Dennoch haben selbst Handelsdschunken wegen der mit Recht gefürchteten Flußpiraterie eine oder sogar zwei Kanonen an Bord. Sie können wegen der Einfachheit ihrer Takelage und ihres Segelwerkes nicht lavieren, sondern nur mit günstigem Winde fahren und daher z. B. zwischen China und Java oder Singapore jährlich nur eine Hin- und Rückreise machen, weil dort halbjährige Winde, die sogenannten Monsuns, wehen, welche nur auf einer Tour günstig sind.

Die Kriegsdschunken sind etwas schärfer und besser gebaut, auch nicht so sehr hochbordig. Sie segeln nicht schlecht, eignen sich aber dennoch nur für Flüsse und die Küstenstrecken, da sie schwere See nicht bewältigen können. Sie führen gewöhnlich vier bis sechs Drei- oder Vierpfünder an den Seiten, einen oder zwei Sechs- bis Neunpfünder im Vorderteile und zuweilen auch im Sterne einige kleine Kanonen. Mehrere Gingals oder Wallbüchsen mit einem sechs bis acht Fuß langen Laufe und einer zwei Zoll lichten Mündung drehen sich in Zapfen auf ihren Gestellen, welche an den Seitenborden befestigt sind. Die Mannschaft ist mit Luntenflinten, Lanzen, Säbeln und Schilden bewaffnet, doch haben viele auch noch Bogen und Pfeile im Gebrauche. Erst in der allerneusten Zeit erblickt man hier und da einmal ein Gewehr besserer Konstruktion.

Die Segel werden durch fünfundzwanzig bis dreißig Ruder unterstützt. Die Disziplin ist selbst auf den Kriegsdschunken eine echt chinesische. Täglich wird dreimal ein Gebet zu dem Kriegsgotte gehalten, wobei ein wahrhaft ohrenzerreißendes Klingeln und Pauken, Brüllen und Schreien nebst Abbrennen von Schwärmern, Raketen und anderem Feuerwerke stattfindet.

Erst am 8. Juni 1869 lief das erste nach europäischer Weise gebaute Kriegsschiff in Fu-Tschéu vom Stapel. Heutigestags besitzt China eine kleine Anzahl ähnlicher Schiffe, was aber bei einem Reiche, welches 410 Millionen Einwohner zählt, so viel wie gar nichts bedeutet.

Ist es mit der Disziplin auf den Kriegsdschunken nicht gut bestellt, so sieht es auf den Handelsdschunken in dieser Beziehung noch viel schlechter aus.

Der Eigentümer oder Superkargo des Schiffes hat die unumschränkte Herrschaft über die ganze Schiffsladung; er kauft und verkauft zu und von derselben ganz nach Belieben und führt ebenso die Aufsicht über die etwaigen Passagiere, welche ganz in seine Willkür gegeben sind. Ueber das Kommando des Schiffes und das Treiben der Mannschaft hat er kein Wort zu sagen.

Das Kommando führt, wie bereits erwähnt, der Kapitän, Ho-tschang genannt, was wörtlich »bejahrtes Licht« bedeutet und für Pilot zu nehmen ist. Ihm liegt bei Tag und Nacht die Führung des Schiffes ob und die genaue Beobachtung derjenigen Punkte, nach welchen er den Lauf desselben zu richten hat. Das ist ein sehr ermüdender Posten, weshalb es Ho-tschangs gibt, welche es fertig bringen, selbst im Stehen zu schlafen. Obgleich er der Kommandierende ist, gehorchen ihm die Matrosen nur dann, wenn seine Befehle nach ihrem Sinne sind. Im anderen Falle schmähen und schimpfen sie offen auf ihn und thun oder lassen, was ihnen beliebt.

Sein nächster Untergebener ist der Steuermann, To-kung geheißen. Er führt das Steuer und gehorcht bald dem Ho-tschang, bald den Matrosen, je nachdem es zu seinem augenblicklichen Vorteile ist.

Die Matrosen zerfallen in zwei Abteilungen, die Tau-mu oder Vordermänner und die Ho-keh oder Kameraden. Es ist das eine Unterscheidung ungefähr wie zwischen unseren Voll- und Leichtmatrosen. Von diesen Leuten hat jeder dem anderen zu befehlen, keiner aber will gehorchen. Ist nichts zu thun, so sind sie alle da; soll jedoch eine Arbeit geschehen, von welcher vielleicht vieles abhängig ist, so sind sie verschwunden.

Sodann ist ein Schreiber da, um die Rechnungen zu führen, ein Proviantmeister, welcher den ganzen Tag kaut und schlingt, und diejenigen, denen er nicht wohl will, halb verhungern läßt. In seine Fußstapfen tritt der Koch. Bei seiner Anstellung ist er gewöhnlich spindeldürr; nach kurzer Zeit aber hat er sich gewiß ein ansehnliches Bäuchlein angemästet. Es soll aber auch anderwärts so sein, in anderen Ländern und anderen Branchen. Auch mehrere Barbiere gibt es, unentbehrliche Leute, da der Todestag des Kaisers der einzige Tag ist, an welchem sich kein Chinese rasieren lassen darf.

Um eine Hauptperson nicht zu vergessen, sei noch der Hiang-kung genannt, zu deutsch der Wohlgerüche Streuende. Er ist der Schiffspriester, welcher den Gottes- oder vielmehr Götzendienst versieht. Diese Obliegenheit besteht aber nur darin, daß er an jedem Morgen und Abend eine gewisse Anzahl Räucherstäbchen verbrennt.

Jeder einzelne der Mannschaft betrachtet seine Arbeit als ein Nebengeschäft. Hauptsache dagegen ist für ihn der Handel, welchen er treiben will und zu dessen Zweck er seinen jetzigen Posten eingenommen hat. Jeder darf eine gewisse Quantität Waren an Bord bringen; sobald nun irgendwo gelandet wird, rennen alle mit ihren Waren fort oder locken Käufer herbei, und so liegt jeder seinen eigenen Geschäften ob, ohne sich um anderes zu kümmern. Ob die Dschunke früher oder später ihren Bestimmungsort erreicht, das ist diesen Leuten gleich. Der Ho- tschang muß sich nach ihnen richten; durch Zwang erreicht er nichts, und oft sieht er sich veranlaßt, das, was er eigentlich mit Strenge verlangen könnte, mit kriecherischer Freundlichkeit zu erbitten.

Da kann man sich nun wohl denken, wie Reisende auf so einer Dschunke aufgehoben sind. Ja, es gibt Fahrzeuge, in denen sich die Matrosen sämtlicher Räume bemächtigt haben. Kommt dann ein Passagier, den der Besitzer aufnimmt, so kann er sich nur damit helfen, daß er einen Matrosen überredet, ihm seinen Platz gegen eine Extrabezahlung zu überlassen.

So sind die berühmten Lung-yen beschaffen, und so sah es auch auf der »Schui-heu« aus, mit welcher der blaurote Methusalem und seine Begleiter nach Kanton fahren wollten.

Wehe aber dem Passagier, welcher eine zweideutige Dschunke betritt, um Passage auf ihr zu nehmen! Er glaubt, es mit ganz braven, wenn auch rohen aber doch ehrlichen Leuten zu thun zu haben, und nichts verrät, daß das Gegenteil stattfindet. Unterwegs aber erkennt er zu seinem Schreck, daß er sich an Bord eines Flußpiraten befindet. Dann ist für ihn nur zweierlei möglich; entweder er muß, um sich zu retten, am Räuberhandwerke teilnehmen, oder er wird vollständig ausgeraubt und vielleicht gar getötet, um später nichts verraten zu können.

Und solcher Piratendschunken gibt es noch gar viele. Die Regierung ist fast ohnmächtig gegen sie. Zehn Kriegsdschunken wagen es nicht, eine gleiche Anzahl von Raubdschunken anzugreifen, denn sie wissen, daß die Bemannung jeder Kriegsdschunke, welche kampfunfähig wird und den Piraten in die Hände fällt, über die Klinge springen muß. Man segelt nicht allzuweit hinan, verpafft einige Zentner Pulver, schreit und brüllt sich heiser, wendet um, opfert der Meeresgottheit Mat-su-po einige Tassen Thee und sendet der Behörde den Bericht über einen glorreichen Sieg ein, der gar nicht möglich war, weil überhaupt kein Kampf stattgefunden hatte. So geschieht den Piraten nichts, wenn nicht einmal der Kreuzer einer europäischen Seemacht einige dieser Kiang-lung oder »Flußdrachen«, wie sie dort im Munde des Volkes auch heißen, leck schießt, so daß sie mit Mann und Maus zu Grunde gehen. Es scheint aber ganz so, als ob zehn Lebendige dann an die Stelle eines Toten träten. -

Als die Fünf die Seite der chinesischen Fahrzeuge erreichten, sahen sie Dschunke bei Dschunke liegen, eine so fremdartig und grotesk wie die andere. Aber welch ein Unterschied zwischen diesen Schiffen und den europäischen auf der anderen Seite! Während unsere Seeleute eine Ehre darin suchen, ihr Schiff so sauber und nett wie möglich ab- und aufzuputzen und dafür schon längst vor der Landung eifrig thätig sind, sahen diese Dschunken aus, als ob nie ein Tropfen über die Wasserlinie emporgekommen sei. Von den Borden und Tauen hingen schmutzige Fetzen; von überall blickten schmutzige Männer mit schmutzigen Gesichtern, welche sich mit schmutzigen Händen festhielten. Dabei gab es zwischen Quai und Borden allerlei schmutzigen Verkehr, und auf der Wasserseite hinter den Schiffen machten sich schmutzige Boote mit schmutzigen Insassen zu schaffen. Auf dem Quai selbst gab es schmutzige Verkaufsstände mit schmutzigen Verkäufern, und dazwischen riefen ambulante schmutzige Händler ihre schmutzigen Waren aus.

Ein Zwiebelröster hockte auf der Erde vor seinem kleinen Bratöfchen und schälte Zwiebeln. Der Duft derselben drang ihm in Nase und Augen. Er nieste einen wahren Sprühregen in seine kräftig duftenden Scheiben hinein und brüllte dabei förmlich A - a - abziehhhh, ein Laut, welcher sich auf der ganzen Erdenrunde gleich bleibt. Der Mongole, der Kaffer, der Indianer und der Malaye, die erste Hofdame des Kaisers der Reußen und die koboldartige Frau des Papuaaustraliers, sie alle, alle niesen a - a - abziehhhh. Zuweilen wird eine der beiden Silben aus gesundheitsschädlichem Schicklichkeitsgefühle etwas verkürzt, da ist sie aber stets, wenn auch in Verstümmelung. Hier sollten die Weltsprachfabrikanten der Neuzeit anfassen; ab - zieh oder ha - tzieh sind die beiden Grund- und Ursilben der Menschheit, ihr von der Natur geschenkt, welche, sobald dies einmal vergessen wird, den Vergeßlichen durch einen tüchtigen Schnupfen wieder auf ihren Fingerzeig aufmerksam macht. Was nun speziell diesen Zwiebelröster betrifft, so kam er aus dem Niesen gar nicht heraus, denn so oft ihm die Augen im Wasser schwammen, wischte er sich dieselben, wohl um seine schmutzigen Hände zu schonen, mit einer aufgeschnittenen Zwiebel aus und putzte auch die Nase damit, worauf dann natürlich ein neuer Nieserich explodierte. Die angewischte Zwiebel aber wurde geröstet und dann von den Kunden wohlgemut verzehrt. Käufer hatte er genug.

Solche und noch andere Szenen, welche sich nicht gut in Worte kleiden lassen, konnte man häufig beobachten, doch soll damit nicht ein Urteil über den Chinesen im allgemeinen ausgesprochen sein. In den Hafenorten sammelt sich eben der soziale Schmutz, den beide, das Wasser und das Land, nach der Küste treiben.

Auf einer der schmuckeren Dschunken, die einen ziemlich scharfen Bau und keinen so hohen Vor- und Achterbord hatte, war kein Mensch zu sehen. Die Masten ragten kahl empor, denn die großen Mattensegel lagen zusammengerollt auf dem Deck. Die Drachenaugen zu beiden Seiten des Vordersteven waren neu gemalt. Auf dem Hinterteile standen einige Kübel mit blühenden Gewächsen; kein schmutziges Wäschestück war zu sehen, und auch sonst ließ sich erkennen, daß der Patron dieses Schiffes etwas mehr auf Sauberkeit und Ordnung halte als andere seinesgleichen.

Ganz ungewöhnlich für ein chinesisches Fahrzeug war ein ebenso hohes wie breites Brett, auf welches blaue Wogen gemalt waren, in denen eine Frauengestalt schwamm, die fünf Pfauenfedern im Haare trug. Darunter waren die beiden Zeichen Schui und Heu mit Silberfarbe in die blauen Wogen gemalt. Diese Dschunke war also »Schui-heu«, die »Königin des Wassers«. Eine schmale, leiterartige Bambustreppe führte vom Lande aus zum Deck empor.

»Das ist das Fahrzeug, welches ich meine,« sagte der Blaurote. »Es scheint kein Mensch zugegen zu sein. Als ich hier war, befanden sich Leute an Bord.«

Turnerstick setzte den Klemmer auf das Näschen, musterte das Schiff mit Kennerblick und meinte:

»Hm, nicht übel! Schlank auf den Kiel gebaut, scharfe Brust, kurzes, aber tief greifendes Steuer und schmale, lange Segel. Das Steuer ist der Schwanz, und die Segel sind die Flügel - gleicht einem Albatros, macht also scharfe, ruhige Fahrt, gehorcht dem Steuer leicht und legt sich nicht unter der Bö. Kann mir gefallen. Hat auch sonst einen netten Anguck und ist die adretteste Schwimmerin unter allen, die hier liegen. Will meinen Dollar gern bezahlen und auch noch etwas mehr, wenn das Innenwerk der Außenseite entspricht. Was sagen Sie dazu, Mijnheer van Aardappelenbosch?«

»Het scheep is fraai,« antwortete der Gefragte. »Ik ben tevreden - das Schiff ist hübsch; ich bin zufrieden.«

»Das denke ich auch, denn ich bin Kenner. Wenn ich zufrieden bin, können andere es auch sein. Die schwimmende Frau soll wohl die Wasserkönigin sein?«

»Ja,« antwortete der Methusalem.

»Was bedeuten denn die beiden Krikelkrakel darunter?«

»Das ist die Unterschrift, eben Schui-heu.«

»Schui-heu? Unsinn. Das sind doch keine Buchstaben, also keine Worte.«

»Buchstaben hat der Chinese nicht, sondern Zeichen. Das erste Zeichen ist der fünfundachtzigste Schlüssel der chinesischen Schrift, besteht aus einer senkrechten Linie, zwei krummen, divergierenden Halbdiagonalen und zwei Quasten an denselben; es ist das Zeichen für Wasser. Das zweite Zeichen besteht aus - - - «

»Um des Himmels willen, halten Sie ein!« rief Turnerstick, sich mit den Händen nach den Ohren langend. »Mir brummt der Kopf schon von diesem einen Zeichen. Wie viele solcher Zeichen hat denn eigentlich die chinesische Schrift?«

»Wohl achtzigtausend.«

»Alle guten Geister - -! Da lobe ich mir unsere Schrift mit den wenigen Buchstaben!«

»Aber Sie, der Sie so ausgezeichnet chinesisch sprechen, sollten wenigstens die zweihundertvierzehn Schlüssel dieser Sprache kennen lernen!«

»Wozu der Schlüssel, wenn ich gar nicht hinein will in die Schrift! Meine Schlüssel sind die Endungen; mit ihrer Hilfe bin ich in die Tiefen der Sprache eingedrungen, die Schrift aber ist mir Leberwurst. Lassen wir das also sein, und steigen wir lieber zum Deck der Dschunke empor. Es wird sich wohl ein Marsgast finden lassen, welcher einem Rede und Antwort steht. Aber, Methusalem, ich bitte mir aus, daß Sie schweigen! Ich selbst will sprechen und die Erkundigung führen. Sie mit Ihrem Bücherchinesisch könnten leicht alles falsch verstehen.«

Degenfeld nickte bescheiden und schickte sich an, voranzusteigen; aber der Kapitän faßte ihn hinten an dem blausamtnen Schnurenrock, zog ihn zurück und sagte:

»Halt, Musenalmanach! Ich bin der Sprecher und muß also voran. Schauen Sie doch, wie Sie sich hinaufschmuggeln wollen, um mir zuvor zu kommen und das erste Wort zu haben! Ich heiße Tur-ning sti-king und mache meine Rechte als Mandarin geltend.«

»Habe ja gar nichts dagegen, alter Seebär! Aber ich muß Sie warnen: Nennen Sie sich einem Chinesen gegenüber ja nicht Mandarin!«

»Warum nicht? Denken Sie vielleicht, man erkenne den Esel unter der Löwenhaut, und ich werde wegen der Führung eines gestohlenen Titels bestraft?«

»Ist auch möglich; aber ich meine nicht das, sondern etwas anderes. Die Chinesen kennen das Wort Mandarin gar nicht.«

»Nicht? Da sind sie dumm genug! Wenn wir es kennen, muß es ihnen doch erst recht geläufig sein!«

»Eben nicht. Mandarin kommt her von dem Sanskritworte Mantri, ein weiser Ratgeber, ein Minister. Die Portugiesen hörten dieses Wort und machten es sich mundrechter, indem sie es in Mandarin umwandelten. Mit diesem Titel belegten sie dann die chinesischen Beamten. Die Chinesen aber wenden dieses ihnen ganz fremde Wort niemals an. Sie nennen ihre Beamten alle Kuan, welches Wort ein Dach bezeichnet, einen Ort, unter welchem viele beisammen sind. Um nun auszudrücken, wer diese Versammelten sind, setzen sie das Zeichen Fu dazu, welches Vater oder Greis bedeutet, einen erfahrenen, weisen Mann, welcher also zum Beamten geeignet ist. Kuan-fu bedeutet also eine Vielheit von klugen Leuten, von Beamten. Hier unterscheidet man nun wieder Zivil- und Militärbeamte. Die ersteren werden Wen-kuan genannt, litterarische Beamte, und die letzteren heißen Wu-kuan, tapfere Beamte. Sie dürfen sich also nie Mandarin nennen, auch nicht Kuan-fu im allgemeinen, sondern weil Sie ein Generalmajor, also ein Militär sind, so gehören Sie zu der Abteilung der Wu-kuan. Merken Sie sich das ja!«

Turnerstick kratzte sich hinten unter dem falschen Zopfe.

»Alle Wetter, ist das eine Not!« seufzte er. »Kuan-tschu, Wäng-Kuan, Wau-kuan. Das ist eine Tschu- und Wäng- und Wau-kuanerei, daß es einem die Ohrläppchen hinten im Genick zusammenzieht!«

»Sie sprechen die Worte ganz falsch aus!«

»Wegen den vielerlei Kuans. Sagen Sie mir noch einmal, was für einer ich bin! Das werde ich mir schon merken.«

»Ein Wu-kuan.«

»Wu, Wu, Wu, Wu-kuan! Nun werde ich das Wu wohl im Kopfe haben, wenn ich dabei nur das Kuan nicht wieder vergesse. Es ist ein sehr schlechtes Chinesisch. Die richtige Endung fehlt; es muß ein ng hintenan, also Wung-Kuang. Das wäre hochchinesisch. Haben Sie vielleicht einen Bleistift bei sich?«

»Ja. Hier ist er.«

»Danke! Will mir dieses Wu-kuan, zu welcher Sekte ich doch nun einmal gehöre, doch lieber aufschreiben, und zwar hierher auf den Fächer, wo ich es stets vor Augen habe. Fällt mir es nicht gleich bei, so öffne ich den Fächer und fächle mir meine Kriegerklasse zu. Prächtiger Gedanke! Man sollte sich eigentlich jedes chinesische Wort, welches man leicht vergessen könnte, auf den Fächer notieren.«

»Wie groß müßte er dann bei Ihnen sein?«

»Wie groß? Ah, Sie wollen mich wohl foppen? Ich denke, mein Kopf faßt ebensoviel wie der Ihrige!«

»O, noch weit mehr. Ihr Zopf beweist das ja.«

»Wieso? Machen Sie sich wirklich über mich zum Lachen?«

»Nein, Kapitän. Wie heißt Zopf in chinesischer Sprache?«

»Jedenfalls Zopfing oder Zopfeng.«

»Nein. Dieses Mal sind Sie leider falsch unterrichtet.«

»Wie denn?«

»Pen-tse, zu deutsch Sohn des Gehirnes. Die Chinesen gehen von der Ansicht aus, daß aus einem gesunden Kopfe auch ein gesunder, also recht langer Zopf wachsen müsse. Demzufolge muß also ein langer Zopf das sichere Zeichen eines guten Gehirnes, eines klugen Mannes sein. Daher lachen sie über unser geschorenes Haar und halten uns für Dummköpfe. Je höher ein Chinese steht, desto länger und dicker wird sein Zopf sein, ob Natur oder Kunst, das ist Nebensache. Da Sie nun so einen gewaltigen Zopf besitzen, während ich leider keinen Pen-tse habe, so müssen Sie mir geistig ungeheuer überlegen sein.«

»Das ist auch gewiß sehr richtig. Wart, den Zopf muß ich mir auch sofort notieren. Also Pen-dse?«

»Nein, denn dse heißt 'vier'.«

»Also Pen-ße?«

»Auch nicht, denn ße oder sse bedeutet den akademischen Grad eines Doktors.«

»Wohl Pen-se?«

»Bewahre, denn se heißt Liebe, Farbe, Figur, Malerei. Sie müssen ein hartes t vor das s setzen.«

»Folglich Pen-tße?«

»Unmöglich; tße bedeutet nämlich: sich, selbst, Eigenart, innere Beschaulichkeit, Identität und auch Identifikation.«

Turnerstick hielt den Fächer in der Linken und den Bleistift in der Rechten zum Schreiben erhoben; aber er schrieb nicht, sondern zog ein ganz merkwürdiges Gesicht und rief erbost:

»Jetzt hören Sie nun mal auf, Sie Deutschverderber! Es braust mir ja um die Ohren, als ob ich den Niagarafall im Kopfe hätte!«

»Ja, mein Lieber, Sie müssen die beiden Konsonanten genau und scharf unterscheiden. Im Chinesischen ist ein großer Unterschied zwischen se, sse, sze, tse, tze, dse und dze.«

»Ihr Unterschied kann mir gestohlen werden! Warum bringen Sie mir lauter Worte ohne eine meiner Endungen! Peng tseng wäre richtig; warum soll ich da Pen-tse sagen! Ich schreibe mir den unglückseligen Zopf gar nicht auf. Hier haben Sie Ihr Stückchen Bleistift zurück. Mir brauchen Sie mit Ihrem hölzernen Pantoffelchinesisch nicht zu kommen. Da hat das meinige doch mehr Saft und Kraft. Pang, peng, ping, pong und pung, das ist der wahre Jakob; das klingt wie Glockengeläute! Was würden Sie sagen, Mijnheer van Aardappelenbosch, wenn einer von Ihnen verlangte, sieben- oder achterlei dse und tse zu unterscheiden?«

»lk zoude ihm sagen: Gij zijt een ongelukkige Nijlpaard!« antwortete der Dicke, indem er so tief und ängstlich Atem holte, als ob an ihn das Verlangen gestellt worden sei, den malefikanten Pen-tse zu deklinieren.

»Ja, ein Nilpferd sondergleichen wäre dieser Kerl. Merken Sie sich das, mein bester Methusalem, und sündigen Sie hinfort nicht mehr, sonst zwingen Sie mich, Sie einmal in die linguistische Wäsche zu nehmen. Jetzt aber wollen wir endlich an Bord. Vorwärts!«


(Fortsetzung folgt.)



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