Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 11, Seite 161
Reprint Seite 86


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

Die fünf sonderbaren Personen hatten durch ihr längeres Verweilen an dieser Stelle eine große Anzahl von Neugierigen herbeigezogen. Dennoch zeigte sich oben auf dem Deck der Dschunke kein Mensch. Unser Kapitän schob seinen Fächer zusammen und wendete sich nach der Treppe.

»Vergessen Sie das Tsing-tsing nicht!« ermahnte ihn der Blaurote noch. »Wir wollen höflich sein und grüßen.«

»Soll geschehen! Tsing ist doch wenigstens chinesisch; es hat eine von meinen fünf Endungen und klingt viel peking-, nanking- und kantongähnlicher als Ihr trauriges Tse-dse-sse, welches sich so anhört, wie wenn Ihr Gottfried in seine Oboe fiebt. Mich laßt aus damit!«

Er stieg die Treppe empor. Hinter ihm folgten Richard Stein, der Wichsier, der Dicke und zuletzt der Methusalem. Diese Ordnung der Personen hatte für den dicken Holländer eine kleine Belästigung zur Folge. Da Gottfried den Kopf der Hukah, trug und der Methusalem die Spitze des Schlauches im Munde hatte, so führte der letztere an Mijnheer van Aardappelenbosch vorüber und machte ihm das Emporsteigen schwieriger, zumal die Treppe für seine volle Gestalt viel zu schmal war. Er blieb auf der vierten oder fünften Stufe halten, um wenigstens seinen Riesenschirrn, welcher ihm sehr beschwerlich wurde, zuzumachen, verwickelte sich aber dabei in den langen Pfeifenschlauch. Der Schirm entging seiner Hand. Um denselben zu ergreifen, machte er eine schnelle Bewegung, verlor den Halt und rutschte von der Leitersprosse ab.

»Gottfried, halte die Pfeife fest!« rief der Methusalem, indem er die Spitze derselben fahren ließ.

Der Dicke stürzte auf ihn, und zwar mit solchem Gewichte, daß der Blaurote sich und ihn nicht zu halten vermochte; beide krachten von der Treppenleiter herab und auf die Erde nieder.

Der Methusalem raffte sich augenblicklich wieder auf; der Dicke aber blieb liegen, hielt die Hände und Füße empor, spreizte alle zehn Finger auseinander und schrie:

»Mijn God, mijn hemel, o mijn rug en mijne neus! Daar ligg ik hoe een walvisch in de fontein! Ik ben dood. Goede nacht, gij boose wereld - mein Gott, mein Himmel, o mein Rücken und meine Nase! Da lieg ich wie ein Walfisch im Springbrunnen! Ich bin tot. Gute Nacht, du böse Welt!«

Gottfried hatte die Pfeife fest gehalten, so daß sie ihm nicht entrissen worden war. Er kam herabgestiegen, um den beschmutzten Anzug seines Herrn mit dem Taschentuche zu reinigen. Dabei fragte er denselben:

»Wie nennt man eigentlich im Holländischen das Parterre?«

»Gelykvloers,« antwortete der Bemooste.

»Und Strohsack?«

»Stroozak.«

»Danke!«

Sich nun an den Holländer, welcher noch immer alle vier Extremitäten von sich streckte und die Augen geschlossen hielt, wendend, rief er:

»Mijnheer, wollen Sie hier gelykvloers liegen bleiben wie ein Stroozak? Erheben Sie sich doch in Ihre janze Herrlichkeit!«

»Ik kan niet!« antwortete der Aufgeforderte im kläglichsten Tone.

»Warum nicht?«

»Ik ben dood, muisdood. Ik sterv in deze oogenblik. Ik ben een ongelukkige nijlpaard. Wij worden afschied nemen!«

»Wat, so mausetot sind Sie, dat Sie Abschied nehmen wollen?« lachte der Wichsier. »Wer so weich fällt wie Sie, der kann sich jar nie zu Tode fallen. Sollten Sie aber dennoch bereits nach dem Jenseits hinüberjeschlummert sein, so habe ich da meine Posaune des letzten Jerichtes, mit welcher ich Ihnen aus dat Erbbejräbnis blasen werde. Wollen Sie jefälligst auf ?«

»Neen! Ik kan niet.«

»Dann werde ich nachhelfen.«

Er hielt ihm die Oboe an das Ohr und blies. Es kam ein so entsetzlicher, lang gezogener Mißton zum Vorscheine, daß sich der Holländer sofort in sitzende Stellung aufrichtete und beide Ohren mit den Händen verschloß.

»Dat hilft! Nicht wahr?« kicherte Gottfried ihn an. »Weiter! Noch einmal!«

Aber obgleich der zweite Ton noch schrecklicher als der erste war, der Dicke blieb sitzen. Er zog zwar das jämmerlichste Gesicht, welches denkbar ist, hielt sich aber die Ohren zu und bewegte sich nicht.

»Will's nicht weiter wirken?« fragte Gottfried. »Die erste Fermate hat doch jeholfen! Warum die zweite nicht? Auf, Mijnheer! Es wird schon jehen!«

»Ik kan niet; ik word sterven!« antwortete der Dicke kopfschüttelnd.

»Laß ihn!« rief der Methusalem, welcher mittlerweile die Leiter empor gestiegen war. »Man soll jedem Toten seine Ruhe gönnen. Möge ihm die Erde leicht werden! Wir aber haben mehr zu thun. Hier oben an Deck riecht es geradezu zum Entzücken. Ich glaube, es wird an Bord ein feines Diner abgehalten. Ich rieche Rumpsteaks mit Schmorkartoffeln; auch nach Selleriesalat duftet es. Man scheint also schon beim zweiten Gange zu sein. Komm also schnell herauf, Gottfried! Ein chinesisches Essen, das dürfen wir unmöglich versäumen!«

»Gebraden rumpvleesch?« rief der Dicke, indem er die Hände von den Ohren nahm. »Selrisalade? Een middageten in een chijnesischen scheep? Ik word ook met eten. Ik kom ook met in't scheep - gebratenes Lendenfleisch? Selleriesalat? Ein Mittagsessen in einem chinesischen Schiffe? Ich werde auch mit essen. Ich komme auch mit in das Schiff!«

Was Gottfried mit seiner Oboe nicht fertig gebracht hatte, das war dem Methusalem mit seiner Ankündigung gelungen. Einem Rumpsteak konnte der Dicke nicht widerstehen. Er sprang vom Boden auf, steckte den Tornister, welcher ihm entfallen war, wieder auf die beiden Gewehrläufe, ergriff auch den Familienschirm und kletterte dann mit einer Beweglichkeit, welche ihm vorher niemand zugetraut hätte, an der Leiter empor.

Gottfried stieg hinter ihm her und rief lachend:

»So erfährt man, wie tote Leichen aufjeweckt und zu Verstand jebracht werden! Hängt man diesem juten Mijnheer einen Bahnzug von sechzig Kohlenwagen hinten an und hält ihm vorn eene saftige Kotelette vor, so zieht er die Lowrys im Jalopp über den Sankt Jotthard hinweg. Es jibt eben Menschen, deren Magen jradezu allmächtig ist.«

Als er oben an Bord anlangte, reichte er dem Methusalem vor allen Dingen die Schlauchspitze hin und zündete ein Holz an, um den Tabak in Brand zu stecken. Er hielt es eben für unmöglich, daß sein Herr als »Nichtraucher« eine chinesische Dschunke besteigen werde, um mit dem Besitzer derselben wegen der Passage in Unterhandlung zu treten.

Zunächst war kein Mensch zu sehen. Das Schiff schien ausgestorben zu sein. Auch von einem Bratengeruche war nichts zu verspüren, was den Dicken zu dem Ausrufe der Enttäuschung veranlaßte:

»Ik ben verschrikt! Hier wordt niets kocht - ich bin erschrocken. Hier wird nichts gekocht.«

Er hielt seine Nase in alle Richtungen der Windrose, und da er von einem Bratendufte keine Spur bemerkte, so stieß er den Schirm zornig auf und rief:

»Ik houd niet van zulk een gedrag; ik loop waarlyk naar mijne herberg - ich halte nichts von so einem Betragen; ich gehe wahrhaftig nach meinem Gasthofe!«

Er wollte sich wirklich wieder nach der Treppe wenden, ließ sich aber durch einen interessanten Anblick, welcher sich ihm bot, daran hindern.

Zunächst war es kein Anblick, sondern ein lieblicher Geruch, welcher plötzlich in seine Nase drang. Es duftete wirklich nach gebratenem Fleische, wodurch der Scherz des »Blauroten« zum Ernste wurde. In der Stützwand des hohen Hinterdeckes wurde eine Mattenthür geöffnet, und es traten vier Chinesen hervor, welche einen Tisch trugen. Auf diesem standen mehrere Porzellangefäße verschiedener Formen mit gebratenem Fleische, Kuchen, Wein und duftenden Blumen.

»Het middageten komt!« rief der Dicke, indem sein Gesicht einen freudigen Ausdruck annahm.

»Dat scheint wirklich so!« nickte Gottfried von Bouillon. »Sollte man unsere Ankunft jemerkt haben und nun mit einem Freundschaftsimbiß feierlichst bejehen wollen? So eine diplomatische Jeschicklichkeit hätte ik bei diese Söhne der Mitte freilich nicht jesucht!«

»Abwarten!« lachte der Methusalem. »Diese Delikatessen sind jedenfalls nicht für uns.«

»Dann könnten mir diese Kinder des Zopfes immer wieder jestohlen werden.«

Es zeigte sich, daß der Methusalem recht hatte, denn die vier Chinesen machten sehr erstaunte Gesichter, als sie die Fremden erblickten. Sie trugen den Tisch bis zwischen den Mittel- und Hintermast, setzten ihn dort nieder und entfernten sich schleunigst, jedenfalls um die Anwesenheit der Europäer zu melden.

Gleich darauf kamen aus derselben Thür zwei Männer, welche sich in langsamen und würdevollen Schnitten näherten. Beide waren lang und hager. Sie trugen die gewöhnliche chinesische Tracht, ohne Abzeichen eines litterarischen oder militärischen Ranges und hatten breitkrempige Basthüte auf den rundum kahlgeschorenen Köpfen. Nur auf den Scheitelstellen waren die Haare nicht entfernt worden; sie hingen von dort aus in Gestalt von Zöpfen unter den Hüten hervor. Waffen waren nicht zu sehen; dennoch aber, und obgleich die beiden Männer in diesem Augenblicke ein höfliches Lächeln zeigten, hatten ihre breiten, mongolischen Gesichter einen Ausdruck, welcher nicht auf weichliche Gesinnung schließen ließ.

Als sie herangekommen waren, blieb der eine einen Schritt hinter dem anderen stehen. Der letztere verbeugte sich tief und sagte in ziemlich gutem Englisch:

»Die hochgeborenen Herren beehren mein schmutziges Schiff mit Ihrer glänzenden Anwesenheit. Welchem glücklichen Umstande habe ich, der allerunwürdigste Ihrer Diener, diese leuchtende Gnade zu verdanken?«

Selbst im Verkehr mit seinesgleichen gebietet nämlich die Höflichkeit dem Chinesen, von sich nur in wegwerfenden, von dem anderen aber in erhebenden Ausdrücken zu sprechen.

Der Methusalem verbeugte sich ebenso tief und öffnete bereits den Mund, um diese Frage zu beantworten; da aber trat Turnerstick schnell vor und rief:

»Tsching, tsching, tsching! Wir kommeng als Passagierings und wollang mit der 'Königing des Wassers' fahrung. Wir hoffeng, gute Wohnung zu finding und werdeng nobel bezahlang. Fünf Personung und ein Hund. Was habeng wir für den Ramsch zu bezahlung?«

Der Neufundländer war nämlich auch mit über die Treppe heraufgeklettert.

Der Chinese warf einen unbeschreiblich verblüfften Blick auf den Kapitän, schüttelte den Kopf und sah die anderen fragend an.

»Nun!« sagte Turnerstick ungeduldig. »Sie werdeng doch hoffentling Chinesisch verstehang! Ich lasse nur den reinsteng und feinsteng Dialekting hörung. Verstanding? Ich will Antwort habeng!«

Der Chinese stand noch ebenso verwundert wie vorher. Darum fuhr Turnerstick in erhöhtem Tone fort:

»Seid ihr beideng etwa taubstumming? Ich kann verlangung, gehört zu werdeng. Ich bin - bin - bing - - - «

Leider hatte er das Wort nun schon vergessen. Er entfaltete also seinen Fächer, um es abzulesen, und ergänzte: »Ich bing ein Wu-kuan und heiße Tur-ning sti-king, Schiffskapitäng und chinesischer Obermandaring; ich werde - «

Er wurde unterbrochen. Der Chinese gebot ihm durch eine Armbewegung Schweigen und fragte den Methusalem, sich wieder der englischen Sprache bedienend:

»Wer ist dieser erlauchte Herr? Meine ungehorsamen Ohren vermögen es nicht, seine Worte zu verstehen. «

Der Gefragte antwortete in derselben Sprache:

»Er ist ein Wu-kuan, ein Fu-tsiang seines Vaterlandes, und bedient sich des höchsten Dialektes der Beamten von der Pfauenfeder, welchen andere nicht zu kennen scheinen.«

»So muß es sein, denn ich kenne diese Sprache nicht. Wollen uns also lieber derjenigen der Yan-kui-tse,1) bedienen, in welcher ich die weisen Herren wohl verstehen kann. Ich bin der ganz unwürdige Ho-tschang dieses Schiffes, und mein Kamerad hier ist der To-kung desselben. Unsere Tau-muh haben uns gesagt, daß einige erleuchtete Männer an Bord gekommen seien, und so haben wir uns beeilt, unsere ganz demütigen Dienste anzubieten.«

»Hat der Besitzer dieser Dschunke nicht davon gesprochen, daß ein Tao-dse-kue2) hier gewesen ist, um für sich und noch vier andere Platz für Kanton zu bekommen?«

»Er hat es gesagt. Wenn ihr diese vom Himmel gesandten Herren seid, so wird es für uns eine ganz unverdiente Ehre sein, euch bei uns aufzunehmen und nach Kuang-tscheu-fu3) zu bringen.«

»Wir sind es. Wo ist der Schiffsherr?«

»Er befindet sich bei dem Hiang-kung, um mit demselben für das Gelingen unserer Reise zu beten. Wenn das Gebet vollendet ist, werden wir hier auf dem Deck das Kong-pit vornehmen, um ganz sicher zu sein, daß uns unterwegs kein Uebel widerfahre.«

»Werdet ihr uns erlauben, dieser Zeremonie beizuwohnen?«

»Ja, da ihr mit uns fahren wollt. Aber da muß ich nach euren berühmten Namen und euren glänzenden Würden fragen, damit ich euch die euren hohen Verdiensten angemessenen Plätze anweisen kann.«

»Ihr sollt sie erfahren. Dieser berühmte Held ist, wie bereits erwähnt, ein Wu-kuan. Sein Titel ist auf seinem Fächer verzeichnet: Tur-ning sti-king kuo-ngan ta-fu-tsiang. Mein Name ist Me-thu-sa-lem-tsiung-wan, woraus ihr ersehen werdet, wen ihr vor euch habt.«

Die Klasse der Tsiung-wan ist nämlich die erste der fünf obersten Klassen des persönlichen Adels, wohin nur die Mitglieder und Abkommen der kaiserlichen Familie gehören. Als die beiden Chinesen diese zwei Silben hörten, verbeugten sie sich so tief, daß ihnen ihre Zöpfe nach vorn über die Köpfe flogen, und der Ho-tschang fragte im Tone tiefster Ergebenheit:

»So sind Sie der Nachkomme eines glänzenden Ahnen?«

»Des glänzendsten, den es gibt. Er hieß A-dam; vor ihm beugten sich alle Geschöpfe der Erde, und er ist der Urvater aller Kaiser und Könige. Mein Name wird also genügen, so daß ich diejenigen meiner anderen Begleiter nicht zu nennen brauche. Jeder von ihnen ist ein Tao-kuang4) in unserem Vaterlande, und wenn wir mit euch fahren, werdet ihr alle ihre zehntausend Vortrefflichkeiten kennen lernen. Vor allen Dingen aber möchten wir wissen, wie viele »Wasserfüße« wir haben müssen, um mit euch nach Kanton zu gelangen.«

»Der Herr des Schiffes hat mir bereits gesagt, daß er für die Person einen Dollar verlangt hat. Da ihr aber so vornehme Herren seid, denke ich, daß ihr uns beiden außerdem noch ein Kom-tscha5) geben werdet.«

»Ihr sollt pro Mann einen Dollar bekommen.«

»Herr, eure Gnade ist über alles Erwarten groß. Wenn ihr das Geld sogleich bezahlt, werdet ihr sofort Zeuge des Kong-pit sein.«

Turnerstick und der Mijnheer zahlten je zwei Dollar, der Methusalem für sich, Gottfried und Richard vier Dollar, folglich hatten die beiden Schiffsoffiziere drei Dollar Trinkgeld, worüber sie sich außerordentlich erfreut zeigten.

Während des Gespräches hatte sich das vorher so menschenleere Deck bevölkert. Die Bemannung war unter Deck gewesen und nun heraufgekommen. Die Leute standen in der Nähe des Tisches. Von ihnen lösten sich zwei ab, welche langsam herbeikamen. Der Methusalem erkannte den Schiffseigner. Der andere trug eine mönchsähnliche Tracht. jedenfalls war er der Hiang-kung, der Priester des Schiffes.

Der erstere erhielt von dem Kapitän das Passagegeld, natürlich aber nicht das Trinkgeld. Die vier Chinesen traten beiseite, sprachen eine Weile miteinander und warfen dabei scharf forschende Blicke auf die Passagiere. Der Schiffseigner hatte, wie von Degenfeld ganz richtig bemerkt worden war, kein vertrauenerweckendes Gesicht, der Priester sah noch finsterer aus. Ihre Blicke glichen denen von Händlern, welche eine Ware scharf abschätzen wollen.

»Die Kerls gefallen mir gar nicht,« sagte der Methusalem. »Sie betrachten uns wie Kolli, die in ihren Besitz übergehen sollen. Warum sprechen Sie heimlich miteinander?«

»Das ficht mich nichts an,« antwortete Turnerstick. »Ein Kapitän muß wissen, wen er an Bord hat, und daß wir ihr Befremden erregen müssen, versteht sich ganz von selbst. Lassen Sie die Kerls immer reden. Mir gefallen sie, obgleich sie kein Wort von meinem Hochchinesisch verstehen. Lassen Sie uns nur in das Innere des Landes kommen. Da werden Sie sehen, welchen Effekt ich mit meinen Sprachkenntnissen mache! Ueberdies ist diese 'Schui-heu' ein wahres Prachtschiff, schmuck und sauber im höchsten Grade. Vielleicht läßt man uns auch einen Blick unter Deck werfen. Am liebsten möchte ich gleich hier bleiben. Vielleicht thue ich es auch, wenn sie es erlauben. Warum soll ich im Hotel übernachten und so viel Geld bezahlen?«

Als ob sie die Worte des Kapitäns gehört hätten, kamen die vier jetzt wieder herbei, und der Kapitän sagte:

»Ich habe den Hiang-kung benachrichtigt, daß ihr das Kong-pit mit ansehen wollt. Er würde es gern erlauben, darf aber nicht, weil ihr dann wohl das Schiff verlassen werdet, um erst morgen früh wieder an Bord zu kommen.«

»Das beabsichtigen wir allerdings,« bestätigte Degenfeld. »Aber warum soll dieser Umstand ein Hindernis sein?«

»Weil dann das Kong-pit nicht zutreffen würde. Wer bei demselben gewesen ist, darf das Schiff vor der Abfahrt nicht wieder verlassen, wie sich ganz von selbst versteht.«

»Was ist denn dieses Kong-pit für ein Dings?« erkundigte sich Turnerstick in deutscher Sprache. »Kennen Sie es, Methusalem?«

»Ich habe davon gelesen,« antwortete der Gefragte. »Kong-pit heißt wörtlich: 'das Herabsteigen zum Pinsel'. Es ist das Geisterschreiben bei den Chinesen, ähnlich wie bei uns der Unsinn des Tischrückens oder des Spiritismus.«

»Geisterschreiben? Das muß ich sehen! Ich habe zeit meines Lebens noch keinen Geist gesehen, auch noch keinen Brief von so einem Wesen erhalten.«

»Ik ook nok niet; ik will ook zien schryven dezen Keerl van ginds - ich auch noch nicht; ich will auch diesen Kerl aus dem Jenseits schreiben sehen,« meinte der Mijnheer.

Und Richard Stein bat:

»Einen Geist, welcher schreibt? Lieber Onkel Methusalem, den möchte ich auch gern sehen. Können wir nicht gleich hier bleiben?«

»Warum denn nicht?« antwortete Gottfried von Bouillon. »So 'ne Jeisterjeschichte ist mich zwar immer verdächtig. Jeister können mich eben nie imponieren. Der einzige ehrliche Jeist ist doch nur der auf Flaschen je- und wohljezogene. Aberst ich mochte es mich doch mal jenehmigen, eenen Jeist mit Pen-tse, also mit Zopf zu sehen, und so verhoffe ich, dat unser Methusalem es möglich macht.«

»Hm!« zuckte der Genannte die Achsel. »Viel liegt mir gar nicht daran; aber was hindert uns, gleich hier zu bleiben? Das Wenige, was wir am Lande noch zu thun haben, ist bald geordnet, und da ihr mich überstimmt, so will ich mich in eueren Wunsch ergeben.«

Er sagte das dem Kapitän. Dieser ließ sich Instruktion erteilen und sandte dann mehrere Leute ab, welche für die Reisenden einkaufen sollten, was der Methusalem als nötig angegeben hatte. Einer von ihnen mußte in das Hongkong-Hotel gehen, um dort dem Wirte zu melden, daß die Gäste nicht zurückkehren würden; der Mijnheer gab ihm eine schriftliche Bescheinigung mit.

Als diese Veranstaltungen getroffen waren, durften die Passagiere das Innere des Schiffes besichtigen und die Koje oder vielmehr Kajüte in Augenschein nehmen, welche ihnen als Aufenthaltsort dienen sollte.

Die Dschunke machte auch in ihrem Innern ihrem Baumeister und den sie regierenden Offizieren alle Ehre. Sie führte nur zwei Deckkanonen, und der Kapitän versicherte, daß keiner seiner Matrosen bewaffnet sei. Er behauptete, vor den Räubern vollständig sicher zu sein, da die »Königin des Wassers« das am schnellsten segelnde Schiff des chinesischen Meeres sei und von keinem anderen eingeholt werden, im Gegenteile aber jedem leicht ausweichen könne.

Nach Kanton sollte das Schiff in Ballast gehen und erst dort Ladung nehmen, da es hier in Hongkong die bisherige gelöscht hatte. Nur eine Anzahl großer, schwerer Kisten standen im Güterraume. Sie enthielten die Maschinenteile einer großen Brennerei, welche in der Nähe von Kanton gebaut worden war und deren Eigentümer die Maschinen in Europa bestellt hatte. Sie waren von der »Königin des Wassers« in Singapore in Empfang genommen worden.

So erzählte der Ho-tschang und die Reisenden hatten keine nähere Veranlassung, die Wahrheit seiner Angaben in Zweifel zu ziehen.

Nur eins fiel dem Methusalem auf, nämlich die ungewöhnlich große Anzahl der Matrosen, welche mit der Größe des Schiffes und der Einfachheit des Takelwerkes gar nicht im Verhältnisse stand. Das konnte aber, wie Turnerstick meinte, auf chinesischem Brauche beruhen und war also kein Grund, Mißtrauen zu erwecken. Ein chinesischer Matrose bekommt so wenig Lohn und so wenig Essen, welches nur in billigem Reis besteht, daß ein Reeder oder Kapitän sich schon den geringen Luxus einiger überzähliger Mannen gestatten kann.


1) : Engländer.
2) : Deutscher.
3) : Chinesischer Name für Kanton.
4) : Glanz der Vernunft.
5) : Tscha = Thee, Geld für Thee, also Trinkgeld.


(Fortsetzung folgt.)



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