Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 27, Seite 417
Reprint Seite 166


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

»Was ist's?« fragte Degenfeld, welcher aber wohl wußte, um was es sich handelte.

»Aus dem Pek-thian-tschu-fan sind zwei Götter geraubt worden.«

»Heute?«

»Vor kurzer Zeit. Beim Beginne des Siüt-schi sind sie noch da gewesen. jetzt aber vermißt man sie. Zwei Menschen, welche eine Sänfte draußen stehen hatten, sind als Thäter verdächtig. Der Ausrufer beschreibt sie.«

Die Gefährten warfen ihre forschenden Blicke schnell auf den Methusalem. Sie ahnten, daß es sich um die beiden Männer handle, welche er belauscht hatte. Er that, als ob er ihre Blicke nicht bemerke, und sagte:

»Götter rauben! Das sollte man nicht für möglich halten! Kann so etwas denn wirklich geschehen?«

»Es ist geschehen, folglich kann es geschehen,« antwortete der Tong-tschi. »Hoffentlich entdeckt man die Tempelschänder, und dann wehe ihnen! Man wird alle Gassen, Straßen und Plätze mit Polizei und Militär besetzen, so daß keine Ratte hindurch kann. Wenn die Thäter sich nicht bereits aus der Stadt geflüchtet haben, so sind sie verloren.«

»Aber zu welchem Zwecke könnten Menschen sich an Göttern vergreifen?«

»Das wissen Sie nicht? Das ahnen Sie auch nicht?«

»Nein.«

»Um Glück zu haben, um reich zu werden. Wer so einen Gott ins Haus zu bringen vermag, dem muß derselbe natürlich dienen. Aber sie sind nicht für einen, sondern für alle da. Darum werden sie in den Tempeln aufgestellt, damit ein jeder zu ihnen kann, um ihnen seine Bitten vorzutragen. Wer aber - was gibt es?«

Diese letztere barsche Frage galt einem Diener, welcher eingetreten war.

»Hohe Exzellenz,« antwortete dieser, »der ganz unwürdige Juwelier Wing-kan bittet in tiefster Demut eine Meldung machen zu dürfen.«

»Der? Er mag heimgehen; ich habe nichts mit ihm zu schaffen.«

»Er sagte, daß es sehr notwendig sei, daß es unserer Exzellenz den größten Nutzen bringen werde.«

Man verspreche einem Chinesen einen Vorteil, so wird er sofort bereit sein, die Hand nach demselben auszustrecken! Der Tong-tschi machte keine Ausnahme.

»Laß ihn herein!« befahl er. »Aber sage ihm vorher, daß ich ihm die Finger und Zehen zusammenpressen lasse, wenn er mich ohne Grund belästigt hat!«

Der Genannte trat ein, senkte den Kopf fast bis zum Boden herab und blieb in dieser Stellung an der Thüre stehen.

»Was willst du so spät?« fuhr der Beamte ihn an.

»Allmächtiger Kuan-fu,« antwortete der Gefragte im Tone knechtischer Furchtsamkeit, »ich muß in die Strahlen Ihrer Sonne eilen, weil kein Sing-kuan in unserer Gasse residiert.«

»Sing-kuan? So ist es eine Kriminalangelegenheit?«

»Ja.«

»Was habe denn ich mit solchen Sachen zu thun! Ich sehe, daß ich dich einsperren lassen muß.«

»Ihre leuchtende Gnade wird mir die Freiheit lassen, wenn sie erfährt, daß es sich um die gestohlenen Götter handelt.«

Der Mandarin hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, da es mit seiner Würde nicht zu vereinigen gewesen wäre, wenn er stehend mit diesem Manne gesprochen hätte. Jetzt aber sprang er auf und rief:

»Um diese Götter? Richte dich empor, und sprich frei und schnell zu mir. Was weißt du über diese hochwichtige Angelegenheit?«

»Ich glaube den Mann zu kennen, bei dem die Geraubten sich befinden.«

»Du? Wer ist es?«

»Hu-tsin, mein Nachbar.«

Die Brauen des Tong-tschi zogen sich finster und drohend zusammen.

»Der? Dein Feind?« fragte er. »Dieser Mann ist ehrlich und kein Dieb. Von ihm könntest du lernen, zu sein, wie man sein muß. Er stiehlt nicht; am allerwenigsten aber raubt er Götter! Weißt du, was du thust, wenn du ihn einer solchen That beschuldigst?«

»Ich weiß es; aber ich habe ihn noch nicht beschuldigt, sondern nur eine Vermutung ausgesprochen.«

»Nun, warum vermutest du, daß er der Thäter ist? Aber hüte dich, ein Wort mehr zu sagen, als du verantworten kannst! Du bist nicht der Mann, mit dem ich Nachsicht haben würde!«

Der Juwelier nahm diese harten Worte demütig hin und sagte:

»Ich will niemand anklagen und niemand beschuldigen; aber ich halte es für meine Pflicht, Ihrer Erleuchtung zu sagen, was ich gesehen habe.«

»Nun, was?«

»Ich hatte heut am Tage viel gearbeitet, darum ging ich, als der Abend anbrach, in den Garten, um mich zu erholen und frische Luft zu atmen. Ich stand an der Mauer. Es war schon dunkel; dennoch sah ich zwei Männer kommen, welche einen Palankin trugen und an dem Garten meines Nachbars hielten. Sie gaben ein Zeichen, und er antwortete ihnen, denn er hatte auf sie gewartet. Ich sah, daß sie zwei schwere Gegenstände aus der Sänfte nahmen und über die Mauer hoben. Dann stiegen sie nach und gruben mit ihm ein Loch, in welches sie die Gegenstände vergruben. Ich schlich mich hin, denn das Treiben dieser Leute kam mir verdächtig vor. Als ich über die Mauer blickte, erkannte ich, daß es Figuren seien. Sie legten dieselben in das Loch und machten es wieder zu. Die beiden Männer sprangen über den Zaun; Hu-tsin aber blieb noch in seinem Garten. Das ist's, was ich gesehen habe.«

»Himmel! Ist es möglich!« rief der Mandarin. »Eine Sänfte mit zwei Männern, zwei Figuren, gerade um diese Zeit! Das stimmt ja alles sehr genau! Sollte Hu-tsin doch ein Verbrecher sein?«

»Ich kann das nicht beantworten. Ich habe nur erzählt, was ich gesehen habe.«

»Was thatest du dann?«

»Ich überlegte. Hu-tsin mußte etwas Verbotenes vorhaben, weil alles so heimlich geschah. Sollte ich ihn anzeigen, den ehrlichen Hu-tsin, und mich in Gefahr bringen? Ich wußte keinen Rat und begab mich darum zu dem anderen Nachbar, dem ich alles erzählte. Da hörten wir ausrufen, daß zwei Götter gestohlen worden seien, und nun wußte ich auf einmal, wer die beiden Figuren gewesen waren. Ich sah ein, daß ich reden müsse. Auch der Nachbar trieb mich zu Ihrer Mächtigkeit zu eilen, um derselben diese Mitteilung zu machen.«

Der Mandarin schritt erregt auf und ab und rief dabei:

»Hu-tsin, Hu-tsin! Hätte ich mich in ihm so sehr geirrt! Mensch, du hast mir doch die Wahrheit gesagt?«

»Ihre Herrlichkeit mag mich zu Tode prügeln lassen, wenn ein einziges Wort erfunden ist.«

»Das würde ich auch thun; darauf kannst du dich verlassen! Hast du dir die Stelle gemerkt, an welcher das Loch gegraben worden ist?«

»Ganz genau.«

»Und kannst du es mir zeigen?«

»Ja.«

»Du wirst mich augenblicklich zu Hu-tsin begleiten. Aber wehe dir, wenn ich dich bei einer Lüge ertappe! Wehe dir, wenn du dir diese Geschichte nur ausgesonnen hast, um deinem Nachbar Schaden zu bereiten! Du hättest die Summe der Qualen von zehn Menschen, welche zu Tode gemartert werden, zu erleiden!«

Wing-kan verbeugte sich und antwortete im zuversichtlichsten Tone:

»Ich bin zu allem bereit. Mein Gewissen ist rein und mein Herz gerecht. Meine Seele sträubt sich dagegen, daß der Heuchler gerade durch mich entlarvt werden soll, aber ich folge dem Gebote der hohen Religion.«

»So warte hier; ich komme gleich zurück!«

Er wollte fort, kehrte aber unter der Thür wieder um, kam auf den Methusalem zu und fragte ihn.

»Sie sind ein großer Gelehrter Ihres Landes. Haben Sie auch die Gesetze der Gerechtigkeit studiert?«

»Ja.«

»So sollen Sie erfahren, wie man es bei uns versteht, den Verbrecher zu ergreifen und zu bestrafen. Wollen Sie mich jetzt begleiten?«

Nichts konnte dem Methusalem willkommener sein als diese Frage. Als er sie bejahend beantwortete, bestimmte der Tong-tschi:

»Gut, Sie gehen also mit, und Ihre Gefährten ebenso. Ich werde nach Polizisten oder Soldaten senden.«

Er ging hinaus.

Der Juwelier fand erst jetzt Zeit, den Anwesenden seine Aufmerksamkeit zu schenken. Er musterte sie mit frech neugierigen Blicken, rümpfte, wohl über ihre ungewöhnlichen Erscheinungen, die breite Stumpfnase und trat dann zu Turnerstick, um ihn zu fragen:

»Tsche-sié sing-song-tschin - diese Leute sind wohl Schauspieler?«

»Sing-song« heißt nämlich Theater, Schauspiel. Da die Schauspieler zur unehrbaren Klasse gehören, lag in dieser Frage eine Beleidigung. Er hatte den Kapitän gefragt, wohl weil er diesen infolge seiner Kleidung für den Vornehmsten hielt. Turnerstick verstand ihn nicht und antwortete:

»Willst du die Güte habeng, den Mund zu haltung, Spitzbubing! Wir habeng mit dir nichts zu schaffang.«

Der Juwelier verstand kein Wort, erkannte aber aus der abwehrenden Handbewegung des Kapitäns, daß dieser ihn abgewiesen habe und sagte in stolzem Tone:

»Tsen-kam ni yen, ni tuan-schan ye sing-song-tschin - wie dürfte ich mit dir reden, du bist sicherlich auch ein Schauspieler!«

»Wat hat er jesagt?« fragte Gottfried von Bouillon, dem der Ausdruck, in welchem diese Worte gesprochen worden waren, nicht gefallen hatte.

»Er hält uns für Schauspieler, welche hier dem Schinder gleich geachtet werden,« antwortete Methusalem.

»Potztausend! Hätte ich mein Fagott mit da, so wollte ich ihm eine Quadrille ins Jesicht blasen, die sich jewaschen haben sollte. Soll ich ihm eins auf die Hühneraugen widmen?«

»Nein. Laßt ihn! Er ist nicht wert, daß wir ihm überhaupt antworten.«

»Dat ist wahr, und es widerstrebt meinem Standesjefühl als Wichsier, mir mit ihm zu verunreinigen. Der Löwe darf sich nicht mit dem Ijel abjeben. Lassen wir ihn also seitwärts liejen. Er wird ja sehr bald erfahren, wat wir von ihm denken.«

Der Tong-tschi trat wieder herein, und bald folgten ihm mehrere bewaffnete Polizisten mit kegelförmigen Mützen. Sie sind fast die einzigen, welche noch diese von der altchinesischen Tracht übrig gebliebene, von den Tataren verdrängte Kopfbedeckung tragen.

Nun wurde aufgebrochen. Unten stand ein Peloton Soldaten, mit Luntenflinten bewaffnet und auf der Brust und dem Rücken je einen schildförmigen Einsatz, auf welchem das Wort »Ping«, d. i. »Soldat«, zu lesen war.

Der Mandarin mußte auch diese wenigen Schritte der Würde seines Standes angemessen zurücklegen. Voran schritten vier Läufer. Dann kam er in seiner Staatssänfte, hinter ihm seine Gäste auch in Sänften, dann der Ankläger, von den Polizisten umgeben, und schließlich die Soldaten, bei denen aber von einem Gleichschritte keine Rede war. Sie hielten ihre Gewehre ganz wie es ihnen paßte und liefen dabei nach Belieben durcheinander. Vor dem Hause Hu-tsins wurde angehalten. Die Herrschaften stiegen nicht eher aus den Sänften, als bis geöffnet worden war.

Die Straße war nicht erleuchtet, und doch war es ziemlich hell, denn es befanden sich viele Leute, welche Laternen trugen, auf derselben. Zwar dürfen nur Bevorzugte aus einer Gasse in die andere; aber die Bewohner aus einer und derselben Straße dürfen auch des Abends unter gewissen Umständen miteinander verkehren. Nur ist jeder einzelne angewiesen, eine Papier- oder sonstige Laterne bei sich zu tragen.

Ueberhaupt ist die Beaufsichtigung der Bevölkerung in China eine sehr weit durchgeführte. Es gibt Beamte, welche für eine gewisse Anzahl von Straßen und für alles, was in denselben passiert, verantwortlich sind. Unter ihnen stehen die »Straßenhäupter«, deren jeder eine einzelne Straße beaufsichtigt, welche wieder in verschiedenen Abteilungen von »Häuserhäuptern« bewacht wird. Unter diesem stehen dann die Familienväter, welche alles, was in ihrer Familie geschieht, zu verantworten haben.

Wird ein Verbrechen begangen, so wird die ganze Familie des Verbrechers, das betreffende »Häuserhaupt«, das »Straßenhaupt« und unter Umständen auch das Haupt des betreffenden Stadtteiles mit in Strafe gezogen.

Die Kunde, daß zwei Götter geraubt worden seien, hatte viele Leute auf die Straße gelockt, wo sie in stillen Gruppen beisammenstanden, um die entsetzliche Neuigkeit leise zu besprechen. Die Häuserhäupter standen dabei, um sorglich darüber zu wachen, daß ja weder Lärm noch Unordnung entstehe.

Hu-tsin hatte vom Methusalem genaue Anweisung erhalten, wie er sich verhalten solle. Er wußte, daß der Tong-tschi kommen werde, und hatte denselben hinter seiner verschlossenen Thür erwartet. Kaum war das Klopfen erschollen, so öffnete er dieselbe.

Er war so klug, sich zu stellen, als ob er in hohem Maße erstaunt über den Besuch des Mandarins sei, verbeugte sich bis zum Boden nieder und fragte im Tone tiefster Unterwürfigkeit nach der Veranlassung desselben.

»Du wirst es erfahren,« antwortete der Beamte. »Jetzt mach vor allen Dingen Platz und hole deine unwürdige, übel riechende Familie herbei!«

Zwei der Polizisten ergriffen den Juwelier beim Zopfe und zerrten ihn hinaus. Der Mandarin begab sich beim Scheine der mitgebrachten Papierlaternen nach dem Garten, wohin ihm die andern folgten.

Bald brachten die Polizisten den Mann wieder. Er hatte seine Frau, seine Kinder und Dienerschaft bei sich. Er selbst blieb in tief gebeugter Haltung stehen; seine Angehörigen warfen sich auf die Kniee nieder und blieben in dieser Stellung vor dem Beamten liegen. Dieser wandte sich im strengsten Tone an den Angeklagten:

»Weißt du, weshalb wir kommen?«

»Meine große Niedrigkeit ahnt nicht, aus welchem Grunde Ihr Glanz mein dunkles Haus erleuchtet,« antwortete der Gefragte.

»Das lügst du! Standest du nicht an deiner Thür, als wir kamen?«

»Ja.«

»Was hast du da zu stehen? Dein böses Gewissen hat dich hingetrieben.«

»Ich hörte, daß viele Leute auf der Gasse seien, und wollte nachsehen, was sie da treiben. Da aber kam Ihre hohe Gerechtigkeit, um bei mir abzusteigen.«

»Ja, meine hohe Gerechtigkeit! Das hast du ganz richtig gesagt. Dieser Gerechtigkeit wirst du verfallen. Weißt du denn, weshalb sich so viele Menschen auf der Straße befinden?«

»Ich vermute es.«

»Nun?«

»Wegen den beiden Göttern, welche geraubt worden sind.«

»Woher weißt du, daß diese That geschehen ist?«

»Wir hörten den Ausrufer, welcher es bekannt machte.«

»Nur daher weißt du es? Hast du es nicht schon vorher auf eine andere Weise erfahren?«

»Nein.«

»Das ist eine Lüge, für welche ich die dich treffende Strafe verschärfen werde. Du hast von dem Raube gewußt, noch bevor überhaupt ein anderer etwas davon erfuhr, denn du selbst bist der Räuber!«

Ein guter Inquirent hütet sich bekanntlich, dem Inquisiten das Verbrechen in dieser Weise auf den Kopf zu sagen. Er versucht vielmehr, denselben mit einem Netze von scheinbar unwesentlichen Fragen zu umgeben, aus welchem dann, wenn die letzte Masche zugezogen ist, der Angeschuldigte nicht zu entrinnen vermag. Eine solche ins Gesicht geschleuderte Behauptung aber kann die Ueberführung des Verbrechers leicht zur Unmöglichkeit machen. - Hu-tsin stellte sich erschreckt und antwortete:

»Was waren das für Worte! Was sagt Ihre Herrlichkeit! Ich soll es sein, welcher die Götter geraubt hat, ich, der ich der gläubigste und eifrigste Anhänger des großen und heiligen Unterrichtes bin? Welch eine Anschuldigung! Ich kann beweisen, daß ich von früh bis jetzt meinen Laden, meine Wohnung nicht verlassen habe!«

»Das kannst du beweisen, ja; aber du hast zwei Männer mit der That beauftragt, welche dir die geraubten Götter dann gebracht haben!«

»Ich? Ehrwürdigster Herr, ich weiß nichts davon!«

»Lüge nicht! Du hast die Götter in deinem Garten vergraben lassen!«

»Wer hat das gesagt? Wer will das behaupten?«

»Wing-kan, dein Nachbar, welcher alles gesehen hat und nun als Ankläger hier vor dir steht.«

»Dieser? Meine demütige Bewunderung Ihrer hohen Würde wagt es, Ihnen zu sagen, daß dieser Mann bekanntlich mein Feind ist. Er hat dieses Märchen erdacht, um mich in Schaden zu bringen.«

»Es ist kein Märchen, sondern die Wahrheit. Willst du leugnen, daß du nach Einbruch der Dunkelheit in deinem Garten gewesen bist?«

»Nein; das leugne ich nicht.«

»Siehst du, daß ich dich sofort überführen werde! Was hast du da vergraben?«

»Nichts, das ich wüßte, nichts!«

»Hast du nicht mit zwei Männern gesprochen, welche die beiden Götter in einer Sänfte gebracht haben?«

»Nein.«

»Das ist abermals Lüge, wie ich dir sogleich beweisen werde. Weißt du, mit welcher Strafe der Raub eines Gottes geahndet wird?«

»Ja, mit dem Tode.«

»Dieser Strafe bist du verfallen, und nicht du allein, sondern deine Familie mit dir. Auch die Häupter dieser Straße und deiner Abteilung derselben werden sich zu verantworten haben, weil ihre Wachsamkeit eine so unzureichende war, daß eine solche That hier geschehen konnte. Ich weiß genau, wo du die Götter versteckt hast, und werde jetzt nachgraben lassen.«

»Ihre Erhabenheit mag dies thun; ich will und kann es nicht verhindern. Meine Unschuld wird dann an den Tag kommen.«

Er sagte das im Tone der größten Ueberzeugung. Der Mandarin kannte ihn als einen ehrlichen Mann; er hatte nur schwer an seine Schuld glauben können. Er sah ihm forschend in das Gesicht und sagte dann:

»Dein Ruf ist bisher gut und unbefleckt gewesen; darum möchte ich deinen Versicherungen gern Glauben schenken. Doch wehe dir, wenn wir die Götter bei dir finden! Wing-kan hat alles gesehen. Er weiß, wo du die Heiligen vergraben hast, und wird uns jetzt die Stelle zeigen. Laß die zum Graben nötigen Werkzeuge herbeibringen!«

Sie wurden gebracht und untersucht. Hu-tsin war so vorsichtig gewesen, sie sorgfältig zu reinigen. Es haftete ihnen keine Spur des Schmutzes an, den man an ihnen zu sehen erwartete. Sie waren im Gegenteile so blank und rein, daß der Mandarin kopfschüttelnd sagte:

»Die sind heut nicht im Gebrauch gewesen. Hast du noch andere?«

»Nein.«

»So haben wohl die Diebe ihre eigenen Werkzeuge mitgehabt. Vorwärts, Wing-kan, zeige uns den Ort!«

Der Genannte schritt eiligst voran. Er war vollständig überzeugt, daß sein Anschlag gelingen werde. Bei der betreffenden Stelle angekommen, blieb er stehen, nahm einem der Polizisten die Laterne aus der Hand, ließ das Licht derselben zur Erde fallen und sagte in triumphierendem Tone:

»Hier ist es! Ihre Erhabenheit wird bemerken, daß hier vor ganz kurzer Zeit gegraben worden ist. Man suche nach!«

»Ja, man suche nach!« befahl der Mandarin. »Jetzt wird es sich entscheiden, welchen von euch beiden ich bestrafen zu lassen habe, ihn als Götterdieb oder dich als Verleumder gegen ihn und Lügner gegen die Obrigkeit.«

Es wurde ein Halbkreis um die an der Mauer liegende Stelle gebildet, und zwei Polizisten griffen zu Spaten und Schaufel, um die Nachgrabung zu beginnen.

Wing-kan war seiner Sache ganz gewiß, wie man aus seiner zuversichtlichen Miene ersehen konnte; aber auch Hu-tsin zeigte keine Spur von Angst. Aber sehr bald war in dem Gesicht des ersteren eine Veränderung zu bemerken, welche immer größer wurde, je tiefer die Polizisten in die Erde kamen.


(Fortsetzung folgt.)



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