Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 28, Seite 433
Reprint Seite 171


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

Die beiden Figuren waren nur oberflächlich eingescharrt worden. jetzt besaß das Loch bereits eine Tiefe von zwei Ellen, und noch war nichts von ihnen zu sehen. Der Methusalem trat herzu, blickte hinab und sagte dann:

»Hier können die Götter nicht vergraben worden sein. An der Oberfläche war die Erde weich, wie bei jedem Beete; nun aber ist sie hart und fest, was nicht der Fall wäre, wenn man vor kurzem hier gegraben hätte.«

»Das ist richtig,« stimmte der Mandarin bei. »Weißt du ganz gewiß, daß diese Stelle es gewesen ist?«

Diese Frage war an Wing-kan gerichtet. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren, und er stierte mit dem Ausdrucke des Entsetzens in das leere Loch.

»Ja, es war hier,« stieß er hervor.

»Aber du siehst doch, daß die Götter nicht vorhanden sind.«

»So sind sie indessen entfernt worden!«

»Das wird dir niemand glauben. Wer einen Raub in die Erde versteckt, gräbt ihn nicht einige Minuten später schon wieder aus. Vielleicht hast du dich geirrt, und die Stelle ist anderswo.«

»Nein, sie ist hier; ich weiß es ganz gewiß!«

»Dann ist es erwiesen, daß du gelogen hast, um deinen ehrlichen Nachbar zu verderben!«

»Nein, nein! Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe ganz genau gesehen, daß die Götter hier eingegraben wurden.«

»Lüge nicht! Ich kenne dich! Du bist ein Verleumder. Von Hu-tsin aber weiß jeder Mensch, daß er ein ehrlicher Mann ist!«

»Ja, der bin ich,« bemerkte der Genannte, indem er vortrat. »Ich habe bis jetzt geschwiegen, weil ich es nicht für möglich hielt, daß jemand gar so schlecht sein könne. Nun aber will ich sprechen. Ihre Gnade wird meine Worte anhören!«

»Sprich!« befahl der Mandarin. »Was hast du zu sagen?«

»Ich hatte heute viel gearbeitet und wollte mich, als ich den Laden schloß und es dunkel geworden war, im Garten erholen. Indem ich - - - «

»Du fängst ja ganz genau so an wie er,« unterbrach ihn der Mandarin. »Das sind fast dieselben Worte, welche ich von ihm hörte. Sprich weiter!«

»Indem ich still an meiner Mauer stand und die frische, reine Luft genoß, sah ich trotz der Dunkelheit zwei Männer kommen, welche eine Sänfte trugen.«

»Genau so wie er, ganz genau! Weiter!«

»Sie hielten an der Mauer seines Gartens an,« fuhr Hu-tsin fort, »nahmen zwei schwere Gegenstände aus der Sänfte und warfen dieselben zu ihm herein.«

»Das ist nicht wahr! Das ist Lüge!« rief Wing-kan aus. »Was er erzählt, das ist an seiner eigenen Mauer und in seinem eigenen Garten geschehen!«

»Schweig!« donnerte der Mandarin ihn an. »Ich habe deine Lügen gehört und will nun auch hören, was Hu-tsin zu sagen hat. Du antwortest nur, wenn ich frage! Wir haben hier nichts gefunden, also ist es erwiesen, daß du gelogen hast. Fahre fort, Hu-tsin!«

Der Genannte erzählte weiter:

»Die beiden Männer, deren Gesichter ich nicht erkennen konnte, schafften die Sänfte zur Seite, wo sie jetzt noch stehen wird. Dann kamen sie zurück und stiegen in den Garten des Nachbars, welcher sie wohl erwartet hatte, denn ich hörte seine Stimme; er sprach mit ihnen. Dann vernahm ich das Geräusch einer Hacke oder eines Spatens. Man machte ein Loch; man wollte also etwas vergraben. Ich lauschte lange Zeit, bis das Geräusch verschollen war. Dann hörte ich einen Riegel und eine Thür gehen; Wing-kan kehrte in sein Haus zurück. Ich war überzeugt, daß nun auch die zwei Männer sich entfernen würden. Ich hörte auch, daß sie zur Mauer kamen, um über dieselbe hinauszuspringen. Da aber geschah etwas, was ich noch nie gehört habe und was mich in größten Schreck versetzte.«

»Was?« fragte der Mandarin.

»Es ertönten zwei gewaltige Stimmen miteinander. Ich konnte nicht genau unterscheiden, ob sie aus der Luft oder aus der Erde kamen; aber ich hörte ganz deutlich die Worte: »Halt, zurück, ihr Buben! Ihr habt uns entweiht. Ihr hieltet uns für tote Wesen; wir aber besitzen Leben über Leben und halten euch fest, bis der Rächer kommt, um euch an der Stätte eurer That zu ergreifen!« Darauf hörte ich ein Geräusch, wie wenn jemand mit Gewalt fortgeschleppt und auf der Erde hingeschleift wird; ein kurzes, ängstliches Wimmern folgte, und dann war es still.«

»Zwei Stimmen?« fragte der Mandarin. »So waren also außer den beiden Sänftenmännern noch andere Leute da?«

»Leute? Menschen? O Herr, das waren keine menschlichen Stimmen! Das waren entweder über- oder unterirdische Worte. So können nur Geister oder Götter sprechen. Es war entsetzlich anzuhören!«

Der Mandarin sah nachdenklich zur Erde. Er war jedenfalls überzeugt, daß Götzenbilder nicht sprechen können, aber er durfte das nicht wissen lassen; er mußte sich den Anschein geben, als ob er an solche Wunder glaube. Höchst wahrscheinlich stieg in ihm ein Verdacht gegen Hu-tsin auf, doch sagte er in salbungsvollem Tone.

»Die Ueberirdischen sind voller Macht; was ist die Schwäche der Menschen gegen sie! Was hast du dann weiter noch gesehen oder gehört?«

»Im Garten des Nachbars keinen Laut mehr. Ich stand stumm und entsetzt. Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Dann hörte ich den Schall des Gong auf der Gasse und die laute Stimme des Ausrufers. Ich konnte aber die Worte nicht verstehen. Darum kehrte ich in das Haus zurück, um die Meinen zu fragen, was verkündigt worden sei. Ich erfuhr, daß zwei Götter geraubt worden sind und wurde vom Entsetzen gepackt. Sollten es diese sein, welche man zu Wing-kan gebracht und deren Stimme ich gehört hatte? In diesem Falle war ich verpflichtet, schnell Anzeige zu erstatten.«

»Warum hast du das nicht sofort gethan?« fragte der Mandarin.

»Weil ich doch eigentlich nicht genau wußte, was im Garten des Nachbars geschehen war. Ich hatte nicht sehen können, welche Gegenstände über die Mauer geworfen worden waren. Ich konnte also nicht sagen, daß es die Götter gewesen seien. Jedermann weiß, daß Wing-kan mir feindlich gesinnt ist. Meine Anzeige konnte also leicht als Racheakt erscheinen. Ich beriet mich also mit meiner Familie und wollte dann auf die Gasse gehen, um Genaueres zu erfahren. Ich hatte die Absicht, nachzusehen, ob noch Menschen draußen seien. Eben wollte ich öffnen, so wurde geklopft, und als ich die Thür aufmachte, da trat Ihre Hoheit herein und beschuldigte mich, die Götter geraubt zu haben. Wing-kan hat mich dieser That verdächtigt, und nun erst ist es mir gewiß, daß die beiden Gegenstände, welche ihm in den Garten gebracht wurden, die gestohlenen Götter gewesen sind.«

Als er geendet hatte, trat eine kurze Pause ein, welche zuerst von Wing-kan unterbrochen wurde. Dieser rief, obgleich er von dem Mandarin zum Schweigen aufgefordert worden war, in zornigem Tone:

»Welch eine Niederträchtigkeit! Er will die Schuld seiner That auf mich wälzen! Wir alle haben gesehen, daß die Erde hier aufgelockert war, und daß man also vor kurzem hier gegraben hat!«

Dieses Argument war so richtig, daß der Mandarin es unterließ, ihm abermals das Wort zu verbieten.

»Er wird die Götter ausgegraben und an einem anderen Orte versteckt haben,« fuhr Wing-kan fort. »Ihre Hochwürdigkeit wird vielleicht den Befehl erteilen, sorgfältig nachzuforschen und dann bin ich überzeugt, daß der Raub gefunden wird.«

»Ich werde thun, was mir beliebt, nicht aber das, was dir gefällt,« entgegnete der Tong-tschi. »Es wird sich sofort zeigen, wem ich glauben darf, dir oder ihm. Sagtest du nicht, daß die beiden Sänftenträger sich entfernt hätten?«

»Ja.«

»Hu-tsin aber behauptet, daß sie noch hier sind. Man sehe nach, ob die Sänfte zu finden ist!«

Einige Polizisten stiegen über die Gartenmauer, um zu suchen. Nach Verlauf von nur einigen Minuten hatten sie den Palankin gefunden und brachten ihn bis an die Mauer, um ihn da stehen zu lassen, selbst aber wieder in den Garten zurückzusteigen.

»Hu-tsin hat recht,« erklärte der Mandarin. »Die Sänfte ist noch da, also sind auch die Träger noch nicht fort. Nehmt Wing-kan in eure Mitte und seht darauf, daß er nicht entkommt! Wir werden uns in seinen Garten verfügen, um dort nachzusuchen.«

Die Polizisten bemächtigten sich des Anklägers, welcher sich nicht im geringsten dagegen sträubte. Zwar konnte er sich das Verschwinden der beiden Statuen keineswegs erklären, aber es fiel ihm gar nicht ein, anzunehmen, daß sie bei ihm selbst zu finden seien. Er war vielmehr überzeugt, daß der Gang nach seinem Garten ohne jeden Erfolg sein werde. Dann aber wollte er verlangen, daß man wieder in denjenigen Hu-tsins zurückkehre, um dort nachzusuchen, wo dann der Raub ganz gewiß gefunden werden mußte.

Abermals verschmähte der Tong-tschi, von einem Hause nach dem andern zu gehen. Er bestieg die Sänfte; Wing-kan wurde von den Polizisten in die Mitte genommen. Drüben angelangt, begab man sich sofort in den Garten, welcher so klein war, daß er von den mitgebrachten Laternen vollständig erleuchtet ward.

Da bot sich den Ankömmlingen ein Anblick, welcher von Wing-kan gewiß nicht erwartet worden war. Nämlich zwischen zwei Zwergbäumen war die Erde aufgegraben und wieder zugeworfen, so daß sie nun eine kleine Erhöhung bildete. Auf dieser letzteren saßen die zwei Sänftenträger, an den Händen und Füßen gefesselt und mit dem Rücken an zwei starke Pfähle gebunden, welche da eingeschlagen worden waren. Zwischen den Zähnen hatten sie abgerissene Fetzen ihrer Kleidung stecken, so daß sie nicht zu rufen vermochten.

Wing-kan brach vor Schreck beinahe in die Kniee, als er diese Gruppe erblickte. Der Mandarin aber rief, indem er die beiden Kerls genau in Augenschein nahm:

»Das sind ja die Diebe, ganz genau so, wie man sie beschrieben hat! Wing-kan, wie kommen sie in deinen Garten?«

»Das - - weiß ich nicht,« stammelte der Gefragte mit blutleeren Lippen.

»Wie? Du weißt es nicht? So weiß ich es desto besser. Du selbst hast die That begangen, deren Schuld du auf deinen ehrlichen Nachbar werfen wolltest!«

»So ist es, ganz gewiß!« stimmte Hu-tsin bei. »Und die Stimmen, welche ich vernahm, sind diejenigen der geraubten Götter gewesen, durch deren Macht die Missethäter hier zurückgehalten worden sind. Die Erde ist aufgegraben. Wenn der hochehrwürdige Tong-tschi hier nachgraben lassen wollte, so bin ich überzeugt, daß man die Verschwundenen finden wird.«

»Wollen sehen! Bindet die Kerle los, und grabt nach!« befahl der Mandarin.

Die Sänftenträger wurden von den Pfählen, nicht aber von ihren weiteren Fesseln befreit und zur Seite geschafft. Kaum hatte man dann die obere dünne Bodenschicht entfernt, So kamen die beiden Götzenbilder zum Vorschein. Sie wurden aus der Grube genommen, sorgfältig abgewischt und dann aufgestellt.

Fast hätten die Reisenden laut aufgelacht, als sie nun die Göttergestalten vor sich sahen. Es waren zwei sitzende, sehr wohlbeleibte hölzerne und mit Bronzefarbe angestrichene Puppen, welche sich in der heitersten Stimmung zu befinden schienen, denn sie lachten im ganzen Gesichte so, daß die kleinen mongolischen Schlitzaugen fast ganz verschwanden.

»Dat ist drollig!« meinte Gottfried von Bouillon. »Wenn alle Jötter von China so jemütliche olle Schwedens sind, so will ich es mich jern jefallen lassen. Sie scheinen ihr jutes Auskommen zu haben und sich sogar jetzt in die allerbeste Laune zu befinden. Wat meinen Sie dazu, Mijnheer?«

»Wat ik zeg? Zij zijn ontzettend veel dik. Zij moeten zeer goed gegeten hebben - was ich sage? Sie sind entsetzlich viel dick. Sie müssen sehr gut gegessen haben.«

»Was meinen diese beiden Herren?« fragte der Mandarin, welcher diese Bemerkungen natürlich nicht verstanden hatte.

»Sie wundern sich darüber, daß ein Mensch auf den schrecklichen Gedanken kommen kann, solche Götter aus ihrer Ruhe und Beschaulichkeit zu reißen,« antwortete Methusalem.

»Es ist das das größte Verbrechen, welches ein Mensch begehen kann. Bindet den Götterschänder! Seine Strafe wird der That angemessen sein!«

Da warf sich Wing-kan vor ihm nieder und schrie voller Angst:

»Gnade, Gnade, allerhöchster Herr! Ich bin unschuldig! Ich weiß nicht, wie diese Männer und diese Götter in meinen Garten gekommen sind!«

»Du wärest verloren, selbst wenn du das wirklich nicht wüßtest, denn die Gottheiten sind auf deinem Grund und Boden gefunden worden. Aber niemand wird dir glauben. Du hast sie stehlen lassen!«

»Nein, nein, sondern Hu-tsin hat es gethan und sie hier eingraben lassen, um mich zu verderben.«

Jetzt hielt der Methusalem es für angezeigt, nun auch seinerseits eine Bemerkung zu machen, weil der unschuldige Hu-tsin sonst doch noch in die Untersuchung verwickelt werden konnte. Er fragte den Juwelier:

»Du kennst diese beiden gefesselten Männer nicht?«

»Nein.«

»Hast nie mit ihnen gesprochen?«

»Niemals!«

»Hast du heute dein Haus verlassen?«

»Auch nicht.«

»Das ist eine Lüge! Du warst drunten in Scha-mien und hast hinter dem Gasthause des Portugiesen gestanden!«

»Sie irren sich, edler Urahne!«

»Ich irre mich nicht, denn ich stand in der Nähe hinter der Mauer und habe gehört, was du mit dem älteren dieser Männer sprachst. Sie haben die Götter in deinem Auftrage gestohlen, und das Geld, welches du ihnen dafür bezahlt hast, muß sich noch in ihren Taschen befinden. Der edle und mächtige Tong-tschi mag sie aussuchen lassen und wird sich überzeugen, daß ich die Wahrheit sage!«

Da ergriff der Mandarin den Methusalem beim Arme, zog ihn zur Seite und fragte ihn leise:

»Herr, haben Sie wirklich eine solche Unterredung belauscht?«

»Ja,« flüsterte der Gefragte als Antwort.

»Und Sie erkennen die beiden wieder?«

»Genau. Ich kann beschwören, daß sie es sind.«

»So wissen Sie, weshalb Wing-kan die Götter stehlen ließ? Um seinen Nachbar zu verderben?«

»Ja.«

»So hat er sie drüben vergraben, und sie sind dann ohne sein Wissen in seinen eigenen Garten versenkt worden. Das ist gut, denn dadurch ist ein Unschuldiger gerettet worden; aber diejenigen, welche die Gottheiten herübergebracht haben, sind verloren, wenn es so zur Sprache kommt. Ich bin ein freisinniger Kuan-fu und weiß, was ich von diesen Figuren zu halten habe; aber andere denken nicht so wie ich und die Gesetze sind blutig streng. Sie sind mein Gast und ich selbst würde dem Verderben nicht entgehen können, wenn die Untersuchung alles genau an das Tageslicht brächte. Schweigen Sie also; schweigen Sie, sonst sehen Sie Ihre Heimat niemals wieder, obgleich Sie dort ein mächtiger Kuan-fu sind! Sie würden hier auf eine Weise verschwinden, daß keinen eine Verantwortung treffen könnte. Niemand, auch ich selbst nicht, darf erfahren, wie die Sache eigentlich zugegangen ist. Ich muß dafür sorgen, daß Sie dabei gar nicht in Rede kommen. Sie haben mir das Leben gerettet, und ich freue mich, Ihnen dankbar sein zu können. Aber schweigen müssen Sie, sonst sind wir alle mit verloren!«

Der Mandarin wendete sich nach dieser Warnung mit ernstem Gesicht an die Polizisten und befahl ihnen, die Sänftenträger auszusuchen. Das Geld wurde bei ihnen gefunden. Er ließ ihnen die Knebel abnehmen und fragte sie in drohendem Tone:

»Soll ich euch die Hände und Füße zerquetschen lassen, oder wollt ihr mir meine Fragen freiwillig beantworten? Bedenkt, daß ihr auf der That betroffen seid und nicht leugnen könnt! Gebt ihr mir nicht die Auskunft, die ich haben will, so trifft euch allein die Strafe und zwar zehnfach hart!«

Das Zerquetschen der Finger und Zehen war in China bis in die neueste Zeit eine sehr oft in Anwendung gebrachte und außerordentlich schmerzhafte Tortur. Die beiden Männer sahen ein, daß es besser sei, freiwillig ein Geständnis abzulegen, als es sich durch solche Qualen entreißen zu lassen. Darum antwortete der eine im demütigsten Tone:

»Der hohe Mächtige mag fragen und wir Unwürdigen werden antworten.«

»Ihr habt die Götter aus dem Tempel geholt?«

»Ja.«

»Wing-kan hat euch dazu verführt und dafür bezahlt?«

»So ist es. Hätte er uns nicht verführt, so hätten wir es nicht gethan, denn wir sind sonst ehrliche Leute und fürchten und ehren die Gottheiten.«

»Hat er euch gesagt, wozu er sie haben will? Bedenkt wohl, ihr stinkenden Ratten, daß eure Strafe eine doppelt harte sein wird, wenn es sich herausstellt, daß ihr ihm helfen wolltet, andere zu verderben!«

Die Diebe waren klug genug, einzusehen, daß er recht hatte, und welche Aussage er von ihnen hören wollte. Darum antwortete der ältere, welcher auch bisher gesprochen hatte:

»Er verlangte sie, um sie in seinem Hause anzubeten. Wir haben sie geholt; aber wir haben sie unterwegs tausendmal um Verzeihung gebeten und ihnen versprochen, sie später ganz gewiß wieder zurückzubringen.«

»Hättet ihr das gethan?«

»Ja. Wir wollten sie schon morgen wieder holen.«

»So ist es euer Glück, daß ihr sie mit Ehrfurcht behandelt habt, denn das wird eure Strafe mildern. Ihr habt sie also keinem andern und nur ihm gebracht?«

»Nur ihm. «

»Und sie ihm also über seine Mauer hereingegeben?«

»Ja.«

»Dann seid ihr nachgestiegen, um sie in seine Wohnung zu tragen?«

»Genau so ist es, Urahne der Ehrwürdigen.«

»Wie aber ist es gekommen, daß sie nun vergraben waren und wir euch dabei in Fesseln gefunden haben?«

»Das wissen wir nicht, denn kaum waren wir über die Mauer, so faßten uns die Götter bei den Kehlen und raubten uns das Bewußtsein. Als wir dann erwachten, waren wir hier angebunden.«

»So haben die beleidigten Gottheiten euch selbst überwältigt, um euch der Strafe zu überliefern. Ihr mögt daraus erkennen, wie stark und mächtig sie sind. Da ihr aber ein so offenes Geständnis ablegt, werde ich, aber nur wenn ihr bei demselben bleibt, dafür sorgen, daß euch eine möglichst milde Strafe treffe.«

Wing-kan hatte sich bemüht, dieses kurze Verhör zu unterbrechen, um der Aussage seiner Mitschuldigen zu widersprechen. Er war aber von dem Mandarinen zum Schweigen verwiesen worden und sah schließlich auch ein, daß es die ihn erwartende Strafe verschärfen werde, wenn er sage, daß er das Verbrechen begangen habe, um einen andern zu verderben. Daran dachte er jetzt im Augenblicke freilich nicht, daß er diese Absicht dadurch deutlich zu erkennen gegeben habe, daß er vorhin die That auf Hu-tsin hatte schieben wollen. Der Tong-tschi wendete sich jetzt an ihn:

»Auch du kannst deine Lage nur durch ein offenes Geständnis verbessern. Gibst du zu, daß du diese Leute veranlaßt hast, die Götter zu stehlen?«

»Ja, hoher Herr, ich gestehe es ein!« antwortete der Gefragte, indem er sich vor dem Mandarin niederwarf.

»So will ich vergessen, was du vorhin in meinem Hause zu mir gesagt hast. Weshalb wolltest du die Segenspendenden bei dir haben?«

»Sie sollten mir Glück bringen, da jetzt niemand mehr bei mir kauft. Dann aber wollte ich sie wieder in den Tempel tragen lassen.«

»Du hast sie direkt hier in deinem Garten empfangen?«

»Ich nicht. Ich war nicht dabei. Ich glaubte nicht, daß sie so früh kommen würden. Als ich dann ausrufen hörte, daß Götter gestohlen worden seien, dachte ich nicht, daß es die von mir begehrten seien; ich glaubte vielmehr, ein anderer sei auf denselben Gedanken wie ich gekommen. Dann aber kam Ihre Herrlichkeit und führte mich hierher, wo ich zu meinem Schreck diese beiden Männer fand. Wie die Gottheiten in die Erde gekommen sind, kann ich nicht sagen.«

»Die Priester werden es zu erklären wissen. Bleibe bei deiner jetzigen Aufrichtigkeit; dann wirst du vielleicht dem schrecklichen Tode entgehen, welcher dich gewiß erwartet, wenn es dir einfallen sollte, im Sing-pu eine andere Aussage zu thun!«

»Ich habe die Wahrheit gesagt und werde bei diesen meinen Worten bleiben.«

»Das ist sehr wohl gedacht. Uebrigens ist es von der größten Bedeutung, zu welcher Lehre ihr euch bekennt. Seid ihr vielleicht Anhänger des Lao-tse?«

»Ja, ja, ja!« riefen alle drei fast einstimmig.

Sie sagten da die Unwahrheit, aber sie begriffen sofort, daß er ihnen mit dieser Frage einen Rettungsanker hinwarf.

»Also nicht Buddha verehrt ihr? So seid ihr ja gar nicht im stande, zu begreifen, welch ein großes Verbrechen ihr begangen habt. Ihr wißt nicht, was es heißt, Gottheiten aus ihren Tempeln zu entfernen. Vielleicht wird euch mit Rücksicht hierauf nur die Strafe der Verbannung treffen. Weiter habe ich euch jetzt nichts zu sagen. Ihr werdet mit samt den Göttern jetzt nach dem Sing-pu transportiert. Verhaltet euch hochachtungsvoll gegen die Obrigkeit und bleibt bei der bisherigen Aussage. Da ihr mir ein so offenes Geständnis abgelegt habt, werde ich euch der Gnade des Richters, dem ich alles zu melden habe, empfehlen. Und damit auf unserer Gasse kein Aufsehen erregt werde, sollt ihr mit den Polizisten hier über die Mauer steigen und euch mit ihnen hinter den Gärten entfernen.«

Er hatte, ganz gegen das Erwarten der Anwesenden, in ziemlich mildem Tone gesprochen. Nur der Methusalem wußte, daß dazu ein sehr triftiger Grund vorhanden sei.

Die Götter und Spitzbuben mußten über die Mauer hinüber. Die ersteren wurden in die Sänfte gesetzt, in welcher sie gebracht worden waren, und die letzteren von den Soldaten und Polizisten in die Mitte genommen. Dann verschwanden sie im Dunkel der Nacht.


(Fortsetzung folgt.)



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