Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 31, Seite 481
Reprint Seite 184


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

Die kleine Gesellschaft hatte sich erst sehr ernsthaft in der Halle umgeschaut. Bei näherer Betrachtung der lachenden Götter verloren die Gesichter mehr und mehr ihren Ernst. Die Züge des Gottfried von Bouillon begannen ins Heitere hinüberzuspielen; der Mijnheer biß sich in die Lippen; Turnerstick kratzte sich bedenklich neben seinem falschen Zopfe; er vermochte es fast nicht mehr, seine Heiterkeit zurückzuhalten, und wußte doch nicht, ob hier an dieser heiligen Stätte das Lachen erlaubt sei. Der Bonze sah das und wurde angesteckt. Er kniff die Aeuglein halb zu und zog den Mund breiter, indem er auf einen Gott deutete, welcher der lustigste von allen zu sein schien, denn er lachte, wenn auch unhörbar, so, daß man glauben konnte, die Thränen aus seinen Augen rinnen zu sehen. Das brachte die befürchtete Wirkung hervor: Gottfried platzte los und rief aus vollem Halse lachend:

»Nichts für unjut, meine Herren Jötter, aberst ich kann mich nicht helfen; ich fühle mir in Ihre jeehrte Jesellschaft so kannibalisch wohl, daß ich unmöglich weinen kann. Sie sind die prächtigsten Jeburtstagsonkels, die mich jemals vorjekommen sind. Tsching, tsching, tsching!«

Der Mijnheer stimmte in das Gelächter ein; Turnerstick folgte nach; Methusalem und Richard accompagnierten; Liang- ssi lachte herzlich, und als die heiteren Besucher nach dem Bonzen blickten um zu sehen, wie er sich zu ihrer so wenig ehrerbietigen Lustigkeit verhalte, sahen und hörten sie, daß er sich aus vollem Herzen ganz derselben Sünde befleißigte, - er lachte nicht weniger als sie.

Rings um die Doppelhalle zogen sich die Wohnungen der Bonzen. Der Führer geleitete die Fremden in einige derselben, um ihnen zu zeigen, wie die Hüter der fünfhundert Geister sich eingerichtet hatten. Ueberall wurden ihnen Räucherstäbchen und beschriebene bunte Zettel, auf denen Gebete standen, angeboten, denn die Bonzen handeln mit derlei Gegenständen. Der Methusalem verteilte eine Handvoll Li unter diese Leute, gab dem Führer ein Com-tscha1) und wurde infolgedessen von der ganzen Schar unter einem vielstimmigen »Tsching tsching tsching« bis vor den Tempel geleitet, wo die noch immer sehr heiteren Besucher in ihre Sänften stiegen.

Von da aus ging es durch mehrere Gassen, in einen finstern, tunnelartigen Bau, dann eine Stufenreihe hinan, und nun befanden sich die Reisenden auf der Mauer, welche die Stadt umzieht. An alten, verrosteten Kanonen vorüber ging es nach der roten Pagode, einem wegen seiner Aussicht viel besuchten Riesenbau. Sie ist vierseitig und hat fünf Stockwerke mit weit vorspringenden Simsen, aber keine schlanke, wohlgefällige, sondern eine gedrungene, schwerfällige Gestalt. Die Simse und Schnörkel sind keineswegs nach der Art, wie man sich bei uns eine Pagode vorzustellen pflegt, mit Glocken und Glöckchen behängt.

Die Gesellschaft stieg auf hölzernen Treppen zum oberen Stockwerke empor und genoß dort einen Ausblick, welcher weit über das Weichbild der Stadt hinausreichte.

Im Süden dehnte sich das gewaltige Häusermeer der Stadt aus. Auf den Dächern der Gebäude sah man gefüllte Wasserkrüge stehen, ein von der Behörde gebotenes Mittel gegen Feuersgefahr. Darüber ragten Pagoden und die Dächer zahlreicher Tempel, auch hohe Holzgerüste, welche als Warten und Ausluge dienen.

Im Osten stiegen die Berge des Tian-wang-ling empor und im Südwesten die Höhen des Sai-chiu. Im Norden lag eine weite, wohlbewässerte und dörferreiche Ebene, welche nahe der Stadt in jene Sandhügel überging, in denen Kanton schon seit Jahrtausenden seine Toten begräbt.

Von dieser Pagode aus wurden die Reisenden nach dem Sing-gu, dem Kriminalgebäude getragen. Sie stiegen vor einer offenen Pforte aus, an welcher spießtragende Soldaten Wache hielten, schritten durch einen engen Hof und gelangten dann in eine weite Halle, deren Dach von Säulen getragen wurde.

Es waren viele Menschen da, welche die fremden Ankömmlinge mit erstaunten Blicken betrachteten. Diese aber kehrten sich nicht an die Aufmerksamkeit, welche sie erregten, und drängten sich so weit vor, als es möglich war.

Da saß an einem Tisch ein alter Mandarin, welcher eine riesige Brille auf dem Näschen trug; sein Zopf hing hinter dem Stuhle bis zur Erde herab. Von Akten und Schreibrequisiten war nichts zu sehen. Der Beamte schien von solchen Ueberflüssigkeiten nicht viel zu halten, sondern die anhängigen Fälle gleich aus dem Stegreife zu behandeln.

Sechs Personen standen vor seinem Tische, zwei als Kläger und vier als Beklagte. Das außerordentlich kurze Verhör ergab, daß die ersteren Compagnons eines Schuhwarengeschäftes waren und die letzteren als säumige Kunden geladen hatten. Die Schuldner gaben zu, geborgt zu haben, behaupteten aber, arm zu sein und nicht bezahlen zu können. Nach kurzem Nachdenken erklärte der Mandarin alle für schuldig, sogar die Kläger, da diese wegen leichtsinnigen Kreditgebens und zweckloser Belästigung der hohen Behörde zu bestrafen seien. Er warf einigen hinter ihm stehenden Vollzugsorganen, welche mit Bambusstöcken versehen waren, einen halblauten Befehl zu, worauf sie sich der sechs Personen bemächtigten, um ihnen gleich am Platze die für sie bestimmte Züchtigung zu erteilen.

Die Helden des Prozesses mußten sich nebeneinander, mit dem Rücken nach oben, lang auf die Erde legen. Zur Verabreichung der Strafe waren drei Polizisten nötig. Der erste hielt den Kopf des Delinquenten nieder, der zweite kniete ihm auf die Beine, und der dritte führte mit dem Bambus jene gefühlvolle Prozedur aus, welche auch manchem nichtchinesischen und sonst braven Manne aus seinen Jugendjahren her noch in gutem Gedächtnisse steht. Jeder erhielt fünfzehn Hiebe und zwar aus voller Kraft. Keiner schrie; vielleicht waren dergleichen Vorkommnisse bei ihnen zu herkömmlichen geworden. Dann standen sie auf, verbeugten sich vor dem Mandarin und trollten von dannen. Als die beiden Kläger an den Deutschen vorüberkamen, sagte eben der eine zum andern:

»Put-ko tschu-san tai, put yit-tschi - nur die ersten drei thun wehe, die andern nicht.«

Jedenfalls besaß der Mann in diesem Fache eine Erfahrung, welcher mancher europäische Kenner desselben Genres vielleicht widersprechen würde.

Sie waren noch nicht verschwunden, so begann bereits die Verhandlung einer neuen Sache. Es traten zwei Männer auf, von denen der eine eine dunkel gefärbte Beule seines Gesichtes unter der Behauptung vorzeigte, daß sie ihm von dem andern geschlagen worden sei. Der Angeklagte stellte das ganz entschieden in Abrede. Es zeigte sich sofort, daß es für beide besser gewesen wäre, wenn sie sich den vorher verhandelten Fall zur Warnung hätten dienen lassen. Sie wurden von ganz demselben Schicksale, natürlich in Gestalt der Polizisten, ergriffen und erhielten vierzig Hiebe zu ganz gleichen Hälften, worauf sie ihre Verbeugungen machten und mit sehr befriedigten Mienen, aber die Hände zärtlich auf die in Mitleidenschaft gezogene Gegend gelegt, hinter dem Kreise der Zuschauer verschwanden.

»Wollen jehen!« meinte Gottfried. »Mich wird angst und bange, denn dieser Mandarin bestreicht alles aus einem Topfe. Dat is mich zu jefährlich. Ich will mir nicht der Jefahr aussetzen, auch mir als Partei betrachten und behandeln zu lassen. Tsching tsching!«

Sie entfernten sich, um sich nach dem Hing-miao, dem Tempel des »Schreckens und der Bestrafungen«, tragen zu lassen.

Dieser ist der besuchteste Tempel der Stadt und sein Idol der Schutzgeist von Kanton. Man gelangt durch ein verschnörkeltes Thor in einen Hof, in welchem Hunderte von Bettlern stehen, um die Besucher mit wildem Heulen anzufallen. Die ganze Schar stürzte sich förmlich auf die Sänften, so daß die Insassen kaum auszusteigen vermochten.

Da kam dem Methusalem der Gedanke, die Wirkung seines T'eu-kuan zu erproben. Er zog das winzige Büchelchen aus der Tasche, öffnete es und hielt es, ohne ein Wort zu sagen, den ihm am nächsten stehenden zerlumpten Gestalten vor die schmutzigen Gesichter. Der Erfolg war ein augenblicklicher.

»T'eu-kuan-kiün - der Besitzer eines T'eu-kuan!« rief ein starker Kerl, dem ein Arm fehlte.

»T'eu-kuan-kiün!« schrieen andere ihm nach.

Der Ruf pflanzte sich fort, und die Leute zogen sich ehrerbietig bis an die Mauern zurück. Auf das wüste Geschrei vorher war eine tiefe Stille eingetreten.

Degenfeld sah, welche erstaunliche Wirkung der Paß ausübte; aber er hatte nicht die Absicht gehabt, die Bittenden von sich zu weisen. Jedenfalls war es geraten, den Armen zu beweisen, daß auch der Besitzer eines Passes des Bettlerkönigs sich ihnen nicht entziehe. Er winkte einen Mann herbei und fragte ihn, ob es ein »Haupt« unter ihnen gebe, dem die andern zu gehorchen hätten. Die Frage wurde bejaht, und als der Methusalem den betreffenden zu sich wünschte, wurde eben jener Einarmige herbeigerufen. Er gab diesem einen Silberdollar, eine Münze, welche in Kanton gerne gewechselt wird, und bat ihn, diese Gabe unter die Leute zu verteilen. Der Mann bedankte sich mit einer Ehrfurcht, als ob er einen König vor sich habe, und entfernte sich, indem er als Zeichen seiner Hochachtung rückwärts ging.

Außer diesen Bettlern gab es noch andere Leute in dem Hofe, Quacksalber, Taschenspieler, Zahnkünstler, Zauberer, bei denen man einen Blick in die Zukunft thun konnte, Kuchenbäcker, Garköche und andere Händler. Der Tempel ist sehr stark besucht und also ein Ort, an welchem diese Leute auf guten Absatz rechnen können.

Seinen Namen hat der Tempel von den da zu sehenden bildlichen Darstellungen der Schrecken, welche den Sünder nach seinem Tode erwarten. Man sah da alle Strafen, welche sich die Phantasie des Menschen zu denken vermag.

Da wurde ein Sünder, welcher als Klöppel in einer Glocke hing, zu Tode geläutet; der Leib eines andern wurde wie ein Korkzieher aufgeschraubt; ein dritter lag zwischen zwei Brettern, von denen er zu Teig gepreßt wurde. Man sah Seelen, welche in Oel gesotten, durch Messer zerstückelt, durch angespannte Ochsen zerrissen, in Mörtel erstickt, auf Pfählen gespießt, auf Rosten gebraten, verkehrt aufgehängt und von Rädern zermalmt wurden. Der Anblick war so grauenhaft, daß der Methusalem dem begleitenden Priester sehr bald das Com-tscha reichte und die Gefährten aufforderte, mit ihm diesen Ort des Schreckens zu verlassen.

»Aber wohin nun?« fragte Turnerstick. »Ich denke, wir wollen nach dem 'Hause der hundert Himmelsherren', in welchem gestern abend der Diebstahl ausgeführt worden ist?«

»Das wollen wir allerdings,« antwortete Degenfeld. »Ich werde die Träger instruieren.«

Begleitet von dem dankbaren Tsching tsching der Bettler durchschritten sie den Hof, um sich nun nach dem Pek-thian- tschu-fan bringen zu lassen.

Der Weg führt bis in den Stadtteil, in welchem der Tong- tschi wohnte, woraus zu ersehen war, daß die Diebe gestern gar nicht weit von dem Orte ihrer That bis nach dem Garten des Juweliers zu gehen gehabt hatten. Im andern Falle wäre ihnen die Ausführung des Raubes, wenn nicht unmöglich, so doch viel schwerer geworden.

Auch hier mußte man vor dem Thore aussteigen. Als sie die Sänften verlassen hatten, machte der Methusalem den Vorschlag, nur noch diesen Tempel zu besichtigen und dann das Mittagsmahl entweder in einem Speisehause oder daheim bei dem Mandarinen einzunehmen, da es nun Zeit dazu geworden sei. Der Vormittag war längst vorüber.

Der Vorhof, durch welchen sie mußten, war leer von Menschen. Ein einziger Bonze stand da. Er begrüßte sie und fragte, ob sie auch gekommen seien, die Stätte zu sehen, an welcher gestern eine so grausige That begangen worden sei.

»Der Tempel ist heut nicht leer geworden,« fuhr er fort. »Nun aber sind alle Menschen gegangen, um die Götter zurück zu begleiten, welche unsere Priester feierlichst einholen. Das wird ein großer Triumphzug werden. Nur der große Tong-tschi ist da, dem wir das Ergreifen der Diebe verdanken. Er will sehen, welche Vorbereitung wir zum Empfange des Zuges getroffen haben.«

Der Tempel besteht aus zwei Teilen, der größere war nach rückwärts gelegen und enthielt die bedeutendere Anzahl der Götterbilder. Die Deutschen traten in den kleineren, nach vorn gelegenen ein. Da standen achtzehn Figuren; zwei Postamente, auf denen die Geraubten gethront hatten, waren leer. In der Nähe derselben sahen sie den Tong-tschi stehen, welcher, als er sie erblickte, ihnen rasch und erfreut entgegenkam.

»Sie sind da!« sagte er, sie begrüßend. »Haben Sie eine Tour durch die Stadt gemacht?«

»Durch einen Teil derselben,« antwortete der Methusalem. »Dieser Tempel soll vor Tische der letzte Ort sein, den wir besuchen.«

»Das ist recht. Aber leider kann ich Sie nicht begleiten, da ich noch in der Götterangelegenheit beschäftigt bin. Man wird sie baldigst bringen und Sie können Zeuge der Feier sein, unter welcher sie ihre Plätze wieder erhalten. Es sind gestern um die Zeit des Raubes gar keine Besucher hier gewesen, der einzige Grund, daß die That gelingen konnte. Kommen Sie weiter! Ich will Ihnen den Haupttempel zeigen.«

Bei den beiden hatten nur der Wichsier, Richard und Liang-ssi gestanden. Sie folgten ihnen in den Hauptteil des Tempels, und der Bonze ging ihnen langsam nach.

Turnerstick und der Mijnheer waren gewöhnt, die letzten im Zuge zu sein. Sie hatten sich, als sie über den Hof schritten, nicht allzu sehr beeilt. Sie schauten sich da sehr gemächlich um und traten infolgedessen in den vorderen Tempel ein, als die andern denselben bereits verließen.

Sie hatten auch die Rede des Bonzen nicht verstanden und wußten also nicht, daß der Zug der Priester mit den zurückkehrenden Göttern erwartet wurde.

Nun blickten sie sich im Vortempel um. Als sie die beiden leeren Plätze sahen, sagte Turnerstick:

»Ach Mijnheer, da haben die beiden gestohlenen Gottheiten gesessen. Meinen Sie nicht auch?«

»Wat ik zeg?« antwortete der Dicke. »Ja, daar hebben zij gestaan.«

Sie traten näher und betrachteten sich die Plätze. Die Fläche derselben war so groß, daß ein Mann ganz behaglich da sitzen konnte. Turnerstick legte unternehmend den Kopf zur Seite und meinte:

»Gar kein übler Sitz. Habe schon öfters schlechter gesessen. Bin aber auch kein Gott. Möchte wissen, wie es so einem Götzenbilde zu Mute ist. Muß gar nicht so übel sein, angebetet zu werden und Räucherstäbchen unter die Nase zu bekommen! Nicht?«

»Ja, het moet zeer heerlijk zijn - ja, es muß sehr vortrefflich sein.«

»Nun, man kann hier ja sehen, wie es ist. Die Gelegenheit ist vortrefflich. Ich werde mich mal auf diesem Postamente niederlassen und mir einbilden, daß ich ein chinesischer Götze sei. Bin neugierig, ob die anderen Gottheiten etwas dazu sagen.«

So schnell ihm dieser Gedanke gekommen war, so schnell wurde er auch ausgeführt. Der Kapitän setzte sich nieder, rückte sich zurecht, nahm eine bequeme Haltung an, kreuzte die Beine übereinander, wie die anderen Götter es thaten, und fragte dann:

»Nun, Mijnheer, wie nehme ich mich aus?«

»Zeer goed.«

»Und nun den Fächer dazu! Jammerschade, daß wir allein sind! Ich wollte, es käme ein Chinese. Möchte wissen, ob er mich für Buddha oder für Heimdall Turnerstick hielt. Ich glaube, für Buddha. Schade, daß keiner da ist. Und der Schreck, wenn ich ihn dann mit meinem prachtvollen Chinesisch anreden würde! Diese Verbeugungen!«

»Ik word u eene maken - ich werde Ihnen eine machen!«

Turnerstick hatte den Riesenfächer ausgespannt und hielt ihn graziös in der Rechten, während er durch die Linke seinen Zopf gleiten ließ. Auf seiner Vorlukennase saß der Klemmer. Der Dicke stellte sich vor ihn hin, verbeugte sich und sagte:

»Mijne komplimenten, Mijnheer Buddha! Hoe staat het met uwe gezondheid?«

»Wie es mit meiner Gesundheit steht? Ganz vortrefflich, besonders seitdem ich einer von den hundert Himmelsherren bin. Aber, Mijnheer, es sitzt sich hier als Gott wirklich ganz ausgezeichnet. Wollen Sie es nicht auch einmal versuchen?«

Der Dicke streichelte sich bedenklich das Kinn und antwortete:

»Wordt men want mogen - wird man denn dürfen?«

»Dürfen? Warum denn nicht? Was fragen Sie noch! Sie sehen ja, daß ich darf, daß ich hier sitze! Oder fürchten Sie sich etwa?«

»Neen!«

»Nun, so folgen Sie meinem Beispiele! Ich möchte auch Sie einmal als Gott sehen.«

»Als god? Mij? Goed, ik word het verzoeken - als Gott? Mich? Gut, ich werde es versuchen.«

Die beiden hatten in ihrem Eifer gar nicht auf ein erst sehr entferntes Geräusch geachtet, welches aber schnell näher kam. Man konnte jetzt deutlich die Töne von Gongs, Pfeifen, Klingeln, Glocken und anderen chinesischen Musikinstrumenten hören.

Der Dicke ließ sich krächzend auf das andere Postament nieder, schob sich richtig in Positur und fragte dann:

»Ziet zij mij, Mijnheer Turnerstick - sehen Sie mich, Herr Turnerstick?«

»Ja, natürlich! Sie sitzen ja gleich neben mir.«

»Ben ik even zoo hoe een god - sehe ich ebenso aus wie ein Gott?«

»Ganz genau so. Nur würden Sie einen noch viel göttlicheren Eindruck machen, wenn Sie den Regenschirm aufspannten.«

»Dat kan ik maken. Derhalve heb ik het regenscherm en parasol ja metgenommen.«

Er spannte das Familiendach auf und blickte stolz umher. Dabei gab er sich die größte Mühe, die Stellung Turnersticks nachzuahmen, brachte aber die kurzen, dicken Beinchen nur mit großer Anstrengung übereinander.

Nun war die Musik und der Lärm so stark geworden, daß die beiden darauf achten mußten.

»Wat is dat voor een fluitenspel?« fragte der Mijnheer.

»Für ein Flötenspiel? Hm! Es wird irgend ein Aufzug sein, die Feuerwehr vielleicht, oder die Kommunalgarde, die Bürgerschützen, welche Vogelschießen haben,« antwortete Turnerstick sehr unbesorgt.

»Vogelschießen? In China?«

»Ja? Warum denn nicht? Sie scheinen vorüber zu ziehen. Schade darum! Wie hübsch wäre es, wenn einer hereinkäme und wir könnten sehen, ob er uns für Götter hält! Sie bringen einen Tusch. Jedenfalls müssen sie das vor jedem Tempel thun. Wir wollen annehmen, daß es uns zur Ehre geschieht. Nicht?«

»Ja, wij willen zoo denken.«

»Horchen Sie! Jetzt ziehen sie weiter.«

Draußen vor dem Thore war der erwartete Zug angelangt. Er bestand aus Bonzen mit ihren Oberpriestern, zahlreichen behördlichen Personen und einem nach Hunderten zählenden Gefolge von Civilisten. Die mit Blumen geschmückten Götter wurden auf mit Teppichen behangenen Bahren von Oberpriestern getragen. Die Musiker, welche an der Spitze marschiert waren, blieben draußen stehen, schmetterten eine tuschartige Fanfare und begannen dann ein neues Getöse, welches einen Marsch vorstellen sollte, um den Zug an sich vorüber und in den Tempel gehen zu lassen.

Da sich die Musik nicht näherte, so hatte der unglückselige Kapitän geglaubt, daß die »Kommunalgarde« weiter ziehe.

Einer chinesischen Musikantentruppe darf man keine europäische Kammermusik zumuten. Da gibt es Gongs, Schellen, Glocken und Klingeln, auch Triangeln, Metallplatten, Musikurnen, Faßtrommeln, hölzerne Totenköpfe zur Tempelmusik, Flöten, Castagnetten, zweisaitige Geigen, drei- und viersaitige Guitarren, kreischende Trompeten, welche weder im Kammer- noch im Kabinettstone stehen, und sonderbar geformte, mit kleinen Schellen behangene Bambusgestelle, deren einheimischer Name in das Deutsche mit »Musikgeklimper« zu übertragen ist. jeder bearbeitet sein Instrument aus Leibeskräften, ohne Noten und ohne Takt. Von einer Harmonie ist keine Rede. Die Melodie, wenn es je eine gäbe, würde in dem allgemeinen Lärm verschwinden, denn derjenige, welcher das größte Getöse hervorbringt, gilt als der beste Musikant.

Darum war es kein Wunder, daß bei dem Heidenskandale, welchen die Musiker verübten, die Schritte des nahenden Zuges nicht zu hören waren, und daß die Spitze desselben am Eingange des Tempels erschien, während die beiden falschen Idole sich noch vollständig sicher fühlten und der Kapitän sogar noch immer den Wunsch hegte, es möge jemand kommen, mit dem er sich einen Spaß machen könne.

Indessen hatte der Tong-tschi den andern die größere Abteilung des Tempels gezeigt und war dann mit ihnen durch ein Hinterthor nach einem Hofe gegangen, um welchen die Wohnungen der Bonzen standen. Dort nahm er den Methusalem beiseite und fragte ihn:

»Wissen Ihre Gefährten alles, was am gestrigen Abende geschehen ist?«

»Ja.«

»Das ist sehr unrecht. Sie hätten es ihnen nicht erzählen sollen!«

»Es ging nicht anders; sie mußten es auf alle Fälle erfahren, um sich danach richten zu können.«

»So erwarte ich wenigstens, daß sie nichts verraten?«

»Das darf Ihnen keine Sorge machen. Diese Leute sind verschwiegen. Ich wünsche, daß die Ihrigen es nicht weniger sind.«

» O, diese wagen nicht, ein Wort zu sagen. Und Hu-tsin werde ich nochmals auf das strengste zum Schweigen ermahnen.«

»Ich war am Morgen bei ihm und er hat mir versprochen, gegen niemand ein Wort zu äußern. Man wird also die Götter bringen. Wie aber steht es mit den drei Missethätern?«

»Die sollten eigentlich mitgenommen werden, um den Triumphzug zu verherrlichen. In diesem Falle wären sie wahrscheinlich vom Publikum zerrissen worden.«

»So haben Sie es verhütet?«


1) : Theegeld, Trinkgeld.


(Fortsetzung folgt.)



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