Der Gute Kamerad
3.Jahrgang, No. 43, Seite 673
Reprint Seite 245


oder

Kong-Kheou, das Ehrenwort.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", Geist der Llano estakata".

(Fortsetzung.)

»Gut, daß ihr kommt, und ich also keine Zeit zu verlieren brauche,« sagte er. »Hier habe ich die Zeichnung unseres chinesischen Freundes, welche, wie ich sehe, sehr genau angefertigt worden ist. Sie ist freilich schon acht volle Jahre alt, stimmt aber ganz gut auf diesen Ort. Die kleine Veränderung, welche die Situation erlitten hat, ist auf den Einfluß dieser Zeit zurückzuführen und bezieht sich nur auf das Wachstum der Pflanzen. Als Hauptmarke ist ein großer, über tausend Jahre alter Ging-ko-baum1) angegeben, bei dem fünf Keime zu einem einzigen Stamme verwachsen sind. Das ist der riesige Nadelbaum, unter welchem wir hier stehen und dessen Stamm einen Umfang von über neun Metern hat und sichtlich aus fünf einzelnen Stämmen zusammengesetzt ist. Daneben sind, genau im Westen von ihm stehend, zwei andere Bäume verzeichnet, nämlich ein Ti-mu2), um welchen sich die Pflanze Lo3) windet, und ein wilder Sang4); das alles ist, wie ihr sehen könnt, vorhanden, der Eisenbaum mit dem Epheu und auch der Maulbeerbaum. In der Richtung, in welcher diese Bäume stehen, also nach Westen, hat man vierzig Schritte zu gehen, um an die sogenannte Hoei-hoei-keu5) zu kommen, wo eine Ku-tsiang6) stehen soll, welche wir jetzt zu suchen haben, denn genau von ihr aus müssen wir gerade abwärts in das Thal steigen, um den Lao-hoei-hoei-miao7) zu finden, um welchen es sich handelt.«

Sie schritten die angegebene Entfernung in der betreffenden Richtung ab und gelangten an den Rand des Thales, über welchem in der Entfernung von vierhundert Schritten rechter Hand von ihnen die bereits erwähnte steinerne Bogenbrücke führte. Da, wo sie die Kante desselben erreichten, sahen sie mehrere halbverwitterte Mauersteine aus dem weichen Humusboden blicken. Das war der Mauertest, von welchem aus sie abwärts stiegen.

Noch hatten sie die Sohle der Schlucht und den dort fließenden Bach nicht erreicht, so trafen sie auf ein altes, eigentümliches Gemäuer, welches so von Büschen und hohen Farnen umgeben wurde, daß man es von weitem gar nicht bemerken konnte. Die Mauer bildete einen Kreis, dessen Durchmesser nicht mehr als zehn Fuß betrug. Das Dach, welches man mit der Hand erreichen konnte, war, entgegen dem chinesischen Stile, von Steinen rund gewölbt, und der Eingang war so niedrig, daß man ihn nur in sehr gebückter Haltung passieren konnte. Das Gebäude hatte die halbkugelige Form einer Kaffern- oder Hottentottenhütte und konnte unmöglich ein mohammedanischer Tempel, d. h. eine Li-pai-sse, wie die Moscheen in China genannt werden, gewesen sein.

»Wir sind an Ort und Stelle,« sagte der Methusalem, »und wollen zunächst nach dem Tscha-dse suchen, welches Ye-kin-li hier vergraben hat. Ein Tscha-dse ist ein langes, starkes Messer, mit welchem man Häcksel schneidet. Aus einem solchen bestand die einzige Waffe, welche der Händler bei sich trug. Mit ihrer Hilfe konnte er die Grube machen, in welche er seine Barren versteckte, und um dieses Werkzeug später gleich an Ort und Stelle zu haben, verscharrte er es an einer Stelle, welche genau zehn Schritte von dieser Thür aus abwärts liegt, und wo die Wurzel einer Lieu8) zu Tage tritt.«

Er schritt die Strecke ab und traf auf den Baum und die Wurzel, unter welcher er mit seinem Messer grub. Schon nach kurzer Zeit brachte er das Tscha-dse hervor, welches zwar stark angerostet, aber noch fest war.

Die beiden anderen hatten ihn bisher still, aber erwartungsvoll angehört und ihm zugesehen. Jetzt fragte Richard:

»Und wo soll denn der Schatz vergraben sein?«

»Dort im Gebäude. Ich vermute, daß dasselbe die Begräbnisstelle eines frommen Mohammedaners gewesen ist, also ein sogenannter Marabu, denn Ye-kin-li hat, um Platz für seine Barren zu finden, menschliche Gebeine, welche fast ganz verwest waren, ausgegraben und da unten in das Wasser geworfen. In dieser Gegend des Landes gibt es viele Bekenner des Islams und hat früher deren noch mehr gegeben. Kommt mit in das Mausoleum!«

Sie krochen hinein. Der Raum war so hoch, daß sie in demselben aufrecht stehen konnten, und der Boden mit dicht schließenden, behauenen Steinen belegt. Der Methusalem sah auf seinem Plane nach und sagte dann:

»Wir müssen die sechs Steine, welche zusammen ein Rechteck bilden, entfernen. Dann wird es sich zeigen, ob das Gold und Silber noch vorhanden ist, woran ich übrigens jetzt nicht mehr zweifle.«

Die Steine waren so genau gefügt, daß es ziemliche Anstrengung kostete, den ersten derselben herauszunehmen; als das dann geschehen war, konnte man die anderen fünf ohne Mühe entfernen. Die Unterlage bestand aus fester Erde, welche der Methusalem aufgrub.

Es war den dreien dabei wirklich wie Schatzgräbern zu Mute. Sie fühlten eine Art fieberhafter Aufregung, welche desto mehr wuchs, je tiefer das Häckselmesser in den Boden drang. Endlich, endlich zeigten sich zwei Gegenstände, welche nicht in die Erde gehörten, nämlich zwei lederne Säcke, welche lackiert waren. Nur diesem letzteren Umstande war es zu verdanken, daß sie sich noch in gutem Zustande befanden.

Der Methusalem hob den einen heraus, was einiger Kraftanstrengung bedurfte, und öffnete ihn. Da glänzten ihnen die kleinen, länglichen Barren goldig entgegen. Sie waren alle mit dem obrigkeitlichen Stempel versehen, als Beweis, daß die Legierung die gesetzlich vorgeschriebene sei.

»Gott sei Dank!« sagte Degenfeld, indem er tief aufatmete. »Dieser Teil unserer Aufgabe wäre also glücklich gelöst.«

»Das freut mich außerordentlich!« fügte Richard hinzu. »Ye-kin-li hat nur ein sehr geringes Anlagekapital gehabt; nun werden ihm die Barren sehr zu gute kommen.«

»Dat glaube ich, dat sie zu jute kommen!« meinte Gottfried. »Mich, wenn ich sie hätte, kämen sie auch zu statten. Ich würde schleunigst meine Oboe und mir selbst verjolden lassen und den Rest sodann in Zacherlbräu und sauren Heringen anlegen. So aber muß ich mir ohne Verjoldung weiter durch mein frugales Dasein schleichen. Wat soll nun jeschehen? Hucken wir die Säcke auf, um sie nach dat Ruhehaus zu bringen?«

»Nein,« antwortete der Methusalem. »Wir lassen sie hier liegen.«

»Liegen lassen? Sind Sie bei Troste? Dat würde nicht 'mal ein Spitzbube thun, ich noch viel weniger!«

»Und doch können wir nicht anders. Wir haben uns überzeugt, daß die Barren da sind. Das genügt. Mitschleppen aber können wir sie nicht, da wir nicht wissen, welchen Wechselfällen wir noch unterworfen werden. Wir verbergen sie hier wieder und richten es später so ein, daß uns der Rückweg hier vorüberführt. Dann nehmen wir die beiden Säcke mit.«

Die beiden andern waren nicht sofort einverstanden, mußten aber doch die Triftigkeit seiner Gründe anerkennen. Der Sack wurde wieder in die Grube gelegt und mit der ausgeworfenen Erde bedeckt, welche man mit den Füßen fest stampfte, um dann die Steine wieder einzufügen. Das geschah so genau, und der kleine Rest übrig gebliebener Erde wurde so sorgfältig entfernt und verwischt, daß kein andrer das Vorhandensein des Verstecks ahnen konnte.

Nun verließen sie das Gebäude, um auch das Häckselmesser wieder zu vergraben. Noch war der Methusalem damit beschäftigt, da ertönte plötzlich hart bei ihnen eine befehlende Stimme aus dem Gebüsch:

»Ta kik hia - schlagt sie nieder!«

Und zu gleicher Zeit drangen wohl gegen zehn bewaffnete Männer auf die drei ein. Ihre Armierung war keine sehr furchterweckende, alte Säbel, einige noch ältere Flinten und Piken; einer schwang eine Keule.

Der Methusalem hatte sich, als der Ruf erscholl, blitzschnell aufgerichtet. Er faßte die Gefährten bei den Armen und riß sie, um Raum zu gewinnen und den dicken Stamm der Weide zwischen sich und die Angreifer zu bringen, mehrere Schritte zurück. Ebenso schnell zog er seine beiden Revolver hervor und richtete sie auf die Feinde, welchem Beispiele Gottfried und Richard augenblicklich folgten. Die Chinesen stutzten und blieben stehen. Einem von ihnen, welcher sein Gewehr zum Schusse anlegte, rief Degenfeld drohend zu:

»Weg mit der Flinte, sonst trifft meine Kugel dich eher, als mich die deine! Was haben wir euch gethan, daß ihr uns in dieser Weise überfallt?«

Der Angeredete, welcher der Anführer zu sein schien, mochte seinem Schießholze kein großes Vertrauen schenken; er senkte den Lauf und antwortete mit finsterer Miene:

»Ihr entheiligt unser Ma-la-bu? Was habt ihr hier zu graben?«

Also war, wie Degenfeld vermutet hatte, das Gebäude wirklich ein Marabu, das Grab eines durch seine Frömmigkeit ausgezeichneten Mohammedaners. Da dem Chinesen das r nicht geläufig war, verwandelte er es in das leichtere l, also Ma-la-bu.

»Seid ihr Hoei-hoei?« erkundigte sich der Student.

»Ja.«

»So habt ihr keine Veranlassung, uns feindselig zu behandeln. Wir achten euren Glauben und ehren Mohammed als euren Propheten.«

»Und doch grabt ihr diese heilige Erde auf!«

»Nicht um sie zu entweihen. Wir gingen in den Wald, um nach den Vorschriften der Yithung9) Pflanzen zu suchen. Da sahen wir hier den Griff dieses Messers aus dem Boden ragen. Wir zogen es heraus, um es zu betrachten, und eben stand ich im Begriff, es wieder an seine Stelle zu legen, als ihr erschient. Nun sagt, ob wir eine Sünde begangen haben!«

»Zeige das Messer!«

Er nahm es in Empfang, betrachtete es prüfend, untersuchte dann die aufgegrabene Stelle und sagte, als er nichts fand:

»Das ist ein ganz gewöhnliches Tscha-dse, welches jedenfalls ein Arbeiter hier versteckt hat, um es später, wenn er es braucht, zu finden. Ich dachte, ihr wolltet nach einem Pao-ngan10) suchen, welcher bei einem armen Ma-la-bu unmöglich vorhanden sein kann. Die Buddha-min11) sind alberne Menschen, welche unsere Gebräuche und heiligen Orte nicht achten.«

»Wir gehören nicht zu ihnen.«

»Nicht? Was seid ihr denn?«

»Wir sind Tien-schu-kiao-min12)

»Wenn das wahr ist, so sind wir Freunde, denn wir und die Christen verehren einen wirklichen Gott, dessen Propheten Mohammed und I-sus (Jesus) waren. Aus eurem Glauben schließe ich und an eurer Kleidung erkenne ich, daß ihr aus einem fernen Lande kommt. Habt ihr denn einen Paß bei euch?«

»Ja, ich habe einen großen, besondern Kuan des erhabenen Herrschers.«

Wie unvorsichtig diese Mitteilung war, sollte Degenfeld sofort erkennen, denn der Chinese sagte:

»So hast du mich betrogen, denn einen solchen Kuan bekommt nur ein Chinese. Ich werde das streng untersuchen, und ihr habt uns jetzt zu folgen.«

»Als Gefangene etwa?«

»Ja. Eine Gegenwehr würde nur zu eurem Schaden sein, denn blickt einmal hinauf nach der Brücke!«

Erst jetzt bemerkten die drei Gefährten, daß oben eine Schar von wohl fünfzig Reitern hielt. Diese konnten von ihrem hohen Standpunkte aus die Scene überblicken. Dennoch antwortete der Student:

»Wir fürchten uns gar nicht vor euch, denn wir haben in diesen kleinen Waffen so viele Kugeln, daß wir euch alle töten können. Aber da wir euch die Wahrheit gesagt haben, so ist für uns nichts zu besorgen. Wir gehen also mit.«

»So kommt zum Einkehrhause! Aber versucht ja nicht, uns zu entfliehen; es würde euch nicht gelingen.«

Er wendete sich nach der Brücke und gab mit dem erhobenen Arme ein Zeichen, auf welches seine Reiter sich nach dem Hause hin in Bewegung setzten. Die drei wurden in die Mitte genommen. Während man an der Seite des Thales emporstieg, sagte der Anführer:

»Es sind Soldaten in dem Hause, welche einen meiner Leute töten wollten. Er ist ihnen entkommen und hat uns, die wir in der Nähe lagen, herbeigeholt, damit sie bestraft werden.«

»Hat er erzählt, auf welche Weise er der Gefahr entrann?« fragte der Methusalem.

»Ja. Ein seltsam gekleideter Mandarin hat ihn in Schutz genommen.«

»Kein Mandarin, ich selbst war es.«

»Du? Wenn es sich zeigt, daß dies wahr ist, so ist es gut für dich.«

Man hatte die Höhe erreicht und konnte nun zwischen den Bäumen hindurch das Einkehrhaus an der Straße liegen sehen. Vor demselben standen einige Soldaten. Sie sahen die Reiter kommen und eilten augenblicklich hinter das Haus, indem sie riefen:

»Kuei-tse lai, kuei-tse lai. Suk tschu-kiü ni-men - Kuei-tse kommen, kuei-tse kommen. Reißt schnell aus!«

Die andern kamen aus dem Hause gerannt und liefen auch in höchster Eile hinter das Haus nach ihren Pferden. Im nächsten Augenblicke sah man sie im Galopp fliehen, und zwar nach der Richtung, aus welcher sie, die tapferen Beschützer, mit ihren Schützlingen vorher gekommen waren.

»Da jeben unsere Helden Fersenjeld,« sagte der Gottfried. »Wer weiß, ob wir ihnen jemals wiedersehen!«

»Wohl schwerlich,« meinte Degenfeld. »Ein Glück, daß sie unsere Pferde und die Packtiere nicht mitgenommen haben!«

»Dazu haben sie sich nicht die Zeit jegönnt. Ich wünsche ihnen Jesundheit und ein langes Leben, uns aberst einen Ausweg aus die Tinte, in welche wir jeraten sind.«

Die Mehrzahl der mohammedanischen Reiter war den Soldaten nachgaloppiert. Die übrigen hielten auf der Straße, um den Anführer zu erwarten. Unter ihnen befand sich derjenige, den Degenfeld in Schutz genommen hatte. Als er den letzteren erkannte, drängte er sein Pferd herbei und sagte:

»Sind diese drei Herren gefangen? Sie sind meine Wohlthäter, denn sie haben mich vom Tode errettet.«

»So haben sie mich also nicht betrogen,« antwortete der Kommandierende. »Es gilt nun, zu untersuchen, ob sie wirklich Christen sind, was ich nicht glaube, da sie einen besonderen Kuan des Kaisers besitzen.«

Die auf der Straße haltenden Reiter waren in gleicher Weise bewaffnet wie ihre Gefährten, deren Pferde sie am Zügel führten. Sie stiegen ab.

Turnerstick, der Mijnheer und die beiden Brüder waren aus dem Hause getreten.

»Was soll das heißen?« rief der erstere dem Studenten entgegen. »Das sieht ja ganz so aus, als ob Sie gefangen seien!«

»Es ist auch so,« antwortete der Genannte.

»So hauen wir Sie heraus!«

»Nein. Die Sache wird sich friedlich lösen. Kommt nur mit herein!«

Man band die Pferde vor dem Hause an und begab sich in die Stube, deren Besitzer sich aus Angst vor den »Teufelssöhnen« nicht sehen ließ. Dort mußte der von Methusalem in Schutz Genommene erzählen, wie er von den Soldaten überfallen worden war, und in welcher Weise sich der Retter seiner angenommen hatte. Das Gesicht des Anführers wurde dabei immer freundlicher. Er musterte die Fremden mit prüfendem Blicke und fragte dann:

»Aus welchem Lande seid ihr denn nach der Mitte der Erde gekommen?«

»Aus dem Lande der Tao-tse-kue,« antwortete Degenfeld.

»Ist das wahr? Ich kenne einen Tao-tse-kue, welcher sehr reich und uns freundlich gesinnt ist. Er hat die Unserigen, welche vertrieben wurden und sich in Not und Gefahr befanden, oft unterstützt.«

»Wie heißt dieser Mann?«

»Er nennt sich hierzulande kurzweg Schi13), hat aber in seiner Heimat Sei-tei-nei geheißen.«

»Ah! Er ist der Besitzer eines Ho-tsing14)

»O, mehrerer Ho-tsing. Es gehört ihm eine Gegend, in welcher eine Flüssigkeit aus der Erde dringt, welche Schi-yeu15) genannt wird und in Lampen gebrannt werden kann.«

»Er wohnt in Ho-tsiang-ting?«

»Ja. So hat er den Ort, aus welchem eine Stadt geworden ist, genannt, der Ho-tsing wegen, welche dort zu Tage treten. Kennst du ihn?«

»Jawohl. Dieser mein Gefährte, welcher Liang-ssi heißt, ist bei ihm angestellt.«

»Den Namen Liang-ssi kenne ich, denn er wurde mir von Genossen, welche dort Wohlthat empfingen, rühmend genannt.«

»Und dieser Jüngling ist der Bruderssohn von Sei-tei-nei, der ihm geschrieben hat, daß er zu ihm kommen soll.«

»Das stimmt, denn ich weiß, daß er keinen Sohn hat und in sein Land nach einem Sohn des Bruders geschrieben hat. So wollt ihr zu ihm?«

»Ja.«

»Dann möchten wir euch gern als gute Freunde betrachten, wenn nur der Kuan nicht wäre, von dem du gesprochen hast. Der Kaiser von Tschin ist unser Unterdrücker, und wen er liebt, den müssen wir hassen.«

Degenfeld beeilte sich, den Fehler, welchen er begangen hatte, wieder gut zu machen, indem er erklärte:

»Ich habe mich vielleicht nicht richtig ausgedrückt, da ich der hiesigen Sprache nicht vollständig mächtig bin. Ich wollte nicht Kaiser, sondern König sagen. Hier ist der Kuan.«

Er zog anstatt des kaiserlichen Passes den Kuan des Bettlerkönigs hervor und gab denselben hin. Als der Mohammedaner einen Blick darauf geworfen hatte, rief er überrascht aus:

»Ein T'eu-kuan! Das ist ja etwas ganz anderes! Der T'eu ist unser bester Freund und Beschützer, und sein Paß wird bei uns heilig gehalten. Aber, da du« - - - er stockte verlegen und fuhr dann, sich tief verneigend, fort: »Da Sie diesen so seltsamen Kuan von ihm besitzen, so müssen Sie ein sehr hervorragender und hoher Gebieter sein und ihm große Dienste geleistet haben. Betrachten Sie uns als Ihre Sklaven und befehlen Sie, was wir für Sie thun sollen.«

»Ich befehle nichts,« antwortete Degenfeld nun auch in höflicherem Tone als vorher. »Es freut uns, Sie als Freunde von Sei-tei-nei kennen zu lernen, und ich bitte Sie nur um das eine, mir zu sagen, ob ich ihm vielleicht eine Botschaft von Ihnen überbringen kann.«

»Ich danke dem erlauchten Fremdling! Von einem so hohen Erretter kann ich das nicht verlangen. Also sind Sie unser nicht bedürftig?«

»Nein.«

»Sie kennen den Weg von hier nach Ho-tsing-ting?«

»Liang-ssi muß ihn kennen.«

»So gestatten Sie uns, unsern Ritt fortzusetzen, dessen Ziel ich freilich nicht gern sagen würde?«

»Ich habe kein Recht, nach demselben zu fragen. Reiten Sie in Allahs Namen!«

»So werden wir sofort aufbrechen und sagen Ihnen unsern geringfügigen Dank. Ich hatte den, welchen Sie erretteten, vorausgesandt, um zu erfahren, ob der Weg für uns und unsere Zwecke frei sei. Dabei wollte ich dem Ma-la-bu einen ehrfurchtsvollen Besuch abstatten und war so verblendet, Sie dort für Feinde und Schänder des Heiligtums zu halten. Ihre beglückende Gnade wird mir das verzeihen. Die Soldaten, welche Ihre Reise verunzierten, sind entflohen und werden nicht wiederkehren. An ihrer Stelle mag Ihr Erretteter bei Ihnen bleiben und Sie bis an das Ziel begleiten. Seine Anwesenheit wird Ihnen, falls Ihnen streitfertige Genossen von uns begegnen, mehr nützen als ein ganzes Heer von feigen Soldaten. «

Degenfeld nahm dieses Anerbieten natürlich dankbar an, dann entfernten sich die zu Freunden gewordenen Feinde unter wiederholten Verbeugungen und ritten davon. Ob die Kuei-tse, welche übrigens chinesischer Abkunft waren und sich auch chinesisch kleideten, die flüchtigen Soldaten ereilten, das war nun freilich nicht zu erfahren.

Als sie sich entfernt hatten, ließ der Wirt sich sehen, um demütig nach den Befehlen der Herren zu fragen. Es gab für ihn nicht viel zu thun, da der Mohammedaner die Bedienung übernahm, und alles Nötige, was die Soldaten nun allerdings im Stiche gelassen hatten, mitgebracht worden war. Nur für kochendes Theewasser hatte der Wirt zu sorgen.


1) : Die Salisburya adiantifolia unserer Gärtner.
2) : Eisenholzbaum.
3) : Epheu.
4) : Maulbeerbaum.
5) : Mohammedanerschlucht.
6) : Mauerreste.
7) : Mohammedanischer Tempel.
8) : Chinesische Weide.
9) : Heilkunde.
10) : Verborgener Schatz.
11) : Buddhisten.
12) : Anhänger der Religion des Himmelsherrn = Christen.
13) : Stein.
14) : Feuerbrunnen.
15) : Wörtlich »Steinöl«.


(Fortsetzung folgt.)



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