Die Sklavenkarawane.

Von K. May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", "Geist der Llano estakata", "Kong-Kheou, das Ehrenwort".


Heft 3
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(Fortsetzung.)

Die Sklavenkarawane - No. 3 »Du selbst bist schuld daran. Denke an die Karawane, welche uns folgt! Es ist vielleicht die Gum, welche mich überfallen soll. Es gelüstet euch nach meiner Habe, welche ihr nicht erhalten könnt, so lange ich lebe. Auf euerm Gebiete könnt ihr mich nicht töten, der Verantwortung wegen, die euch sicherlich nicht erspart bleiben würde. Darum führt ihr mich durch unwegsame Gegenden nach dem einsamen Bir Aslan, wo die That geschehen soll, ohne daß ein Zeuge die Mörder verraten kann. Findet man dann meine Leiche, so geschah der Mord auf dem Gebiete der Schilluk und wird diesen zur Last gelegt. Auf diese Weise habt ihr dann zwei Vorteile zugleich erreicht, nämlich meine Habe und die Rache an den Schilluk.«

Er hatte das in einem so gleichmütigen, ja sogar freundlichen Tone gesagt, als ob es sich um etwas ganz Alltägliches und Angenehmes handle. Seine Worte machten einen ungeheuren Eindruck auf die Araber. Nach ihren Waffen zu greifen wagten sie nicht. Was waren ihre langen Feuersteinflinten gegen seine Waffen! In dieser Beziehung war er, der einzelne, ihnen überlegen. Aber sie mußten doch etwas thun, um


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sich den Anschein zu geben, als ob sie sich durch seine Anklage ganz unschuldig beleidigt fühlten. Darum hielten sie ihre Kamele an und erklärten, daß sie keinen Schritt weiterreiten, sondern die Lasten abladen und heimkehren würden.

Der Fremde lachte laut auf.

»Das werdet ihr nicht thun,« meinte er. »Wie wollt ihr ohne Wasser zurückkehren? Ihr müßt unbedingt nach dem Brunnen des Löwen. Übrigens habe ich euch mit Absicht nicht vorher bezahlt. Ihr sollt erst in Faschodah euer Geld erhalten, und wenn ihr mich nicht bis dorthin bringt, so bekommt ihr keinen einzigen Piaster. Was meinen Verdacht betrifft, so habe ich denselben ehrlich ausgesprochen, um euch zu beweisen, daß ich euch nicht fürchte. Ich habe es mit weit schlimmeren Gesellen zu thun gehabt, als ihr seid, und es ist euch gar nichts als der kleine Fehler vorzuwerfen, daß ihr mich nicht kennt. Ist meine Vermutung falsch, so bitte ich euch um Verzeihung. Aus Erkenntlichkeit werde ich in Faschodah ein Rind schlachten lassen und es unter euch allein verteilen. Und zu der Bezahlung, welche wir für eure Dienste festgesetzt haben, werde ich ein Bakschisch fügen, welches ihr zum Schmucke eurer Frauen und Töchter verwenden könnt.«

Das war eine nach hiesigen Verhältnissen sehr gute Aussicht, welche er ihnen eröffnete; aber ihr Groll wurde durch dieselbe keineswegs beseitigt, obgleich sie sich den Anschein gaben, als ob sie sein Versprechen mit ihm versöhnt habe. Sie wußten ja genau, daß er den kommenden Morgen nicht erleben werde. Um ihn sicher zu machen, erklärten sie, ihn weiterbegleiten zu wollen, wenn er seinen Verdacht fallen lasse und sein Versprechen zu halten beabsichtige. Er war damit einverstanden, bewies aber schon im nächsten Augenblicke, daß sein Mißtrauen noch fortbestehe, denn er ritt von jetzt an als letzter in der Reihe, während er sich bisher mit dem Schech stets an der Spitze befunden hatte.

Sie thaten, als ob sie das nicht beachteten, aber einige Zeit, nachdem der Zug sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, that der Schech so, als ob er dem jetzt an seiner Seite reitenden Homr die Gegend erkläre; er deutete mit dem erhobenen Arme bald nach vorn, bald nach rechts oder links, sagte aber dabei in verbissenem Tone:

»Dieser Hund ist weit klüger, als es den Anschein hatte. Er kennt dieses ganze Land, alle Bewohner desselben und auch alle Ereignisse, welche hier geschehen sind.«

»Und hat alles, was wir beabsichtigen, ganz genau erraten,« fügte der andre hinzu. »Möge der Schetan ihn beim Schopfe nehmen!«

»Am liebsten möchte ich das thun!«

»Wer verwehrt es dir?«

»Seine Waffen.«

»Kann nicht einer von uns zurückbleiben und ihm von hinten eine Kugel in das Herz jagen?«

»Versuche es! Das Beste wäre es. Wir brauchten nicht bis früh zu warten und hätten die Beute nicht mit Abu el Mot zu teilen. Seine Leiche ließen wir liegen, ritten nach dem Brunnen, füllten unsere Schläuche und kehrten während der Nacht zurück. Morgen wären wir schon weit von hier, und kein Mensch wüßte, wessen Kugel den Hund getroffen hat.«

»Soll ich ihn erschießen?«

»Ich wollte nicht, daß er von uns getötet werde; nun er uns aber das Gesicht in solcher Weise schamrot gemacht hat, mag er von deiner Kugel sterben.«

»Was erhalte ich dafür?«

»Die goldene Kette an seiner Uhr.«

»Natürlich außer dem Beuteanteil, welcher überhaupt auf mich kommt?«

»Natürlich. «

»So mag es geschehen. Ich drücke das Gewehr so nahe hinter ihm ab, daß ihm die Kugel zur Brust herauskommt.«

Er hielt sein Kamel an und stieg ab; dann schnallte er an dem Sattelgurte herum, als ob derselbe sich gelockert habe. Die andern ritten an ihm vorüber. Der Fremde aber hielt bei ihm an und sagte in freundlich mahnendem Tone:

»Du mußt dir merken, daß man das stets vor dem Aufbruche thut. Durch das Absteigen verminderst du unsre Eile. Folge uns also, wenn du fertig bist, schnell nach. Dein Tüfenk1) ist fast unter das Kamel geraten; es könnte leicht zerbrochen werden, und ich will es lieber einstweilen an mich nehmen.«

Er langte von seinem hohen Sitze mit dem Metrek2) herab, steckte denselben unter den Riemen der am Sattelknopfe hängenden Flinte und hob dieselbe zu sich herauf. Dann ritt er lächelnd weiter.

Der Araber machte ein unbeschreiblich enttäuschtes Gesicht. Die Flinte war fort und eine Pistole hatte er nicht. Ein Überfall mit dem Messer vom hohen Kamelsattel aus war aber ganz unmöglich.

»Ob er es ahnt, dieser Sohn und Enkel des Teufels!« knirschte er. »Dieser Versuch ist mißglückt; aber bald wird es Nacht. Dann sieht er es nicht, wenn man auf ihn zielt, und ich kann ihn doch noch erschießen, ehe wir den Brunnen erreichen.«

Er folgte, nachdem er wieder aufgestiegen war, den Vorangerittenen. Als er an dem Fremden vorüberkam, reichte ihm dieser die Flinte mit den Worten zurück:

»Der Feuerstein ist ja zerbrochen und ausgefallen. Du kannst also heute nicht schießen. Morgen aber werde ich dir einen neuen geben. Ich habe welche im Gepäck.«

Es war klar, daß er den Stein heraus geschraubt hatte. Der Schech erkannte nun abermals, daß er durchschaut sei, und brannte nun förmlich darauf, dem Giaur die tödliche Kugel geben zu lassen oder auch selbst zu geben. Dieser aber ritt mit dem gleichmütigsten Gesicht hinterdrein, doch hatte er das eine Gewehr, welches vorher am Sattelknopfe hing, schußbereit in der Hand und beobachtete jede Bewegung seiner Begleiter mit scharfem Auge.

Die Zeit verging, und das Land wurde hügelig. Eine wenn auch unbedeutende Höhenkette zog sich hier von Norden nach Süden und brachte einige Abwechselung in das Landschaftsbild. Als sie durchquert war, kamen die Reiter wieder in die Ebene, wo, wie sie sahen, ein spärliches Gras gestanden hatte, welches aber von der Sonne vollständig versengt war. Mehr und mehr neigte sich diese dem Horizonte zu. Als sie ihn erreichte, hielt der Schech sein Tier an und rief im Tone eines Muezzin:

»Haï es sala - auf zum Gebete! Die Sonne taucht in das Meer des Sandes, und die Zeit des Moghreb ist gekommen!«

Sie stiegen alle ab und beteten in der bereits beschriebenen Weise. Fünfmal täglich hat der Moslem seine Andacht zu verrichten und sich dabei zu waschen, mag er sich nun zu Hause oder sonstwo befinden. Diese Gebete sind: el Fagr früh beim Aufgange der Sonne, el Deghri um die Mittagszeit, el Asr drei Stunden später, die Aufbruchszeit aller strenggläubigen Reisenden, el Moghreb beim Sonnenuntergange und endlich el Aschia eine Stunde später.


1) Flinte.
2) Stock zum Leiten des Kamels.


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Es versteht sich, daß diese Zeiten nicht stets und überall streng eingehalten werden, und je weiter die abendländische Kultur im Osten vorschreitet, desto schwerer wird es dem Muselmann, diesen Vorschriften Folge zu leisten.

Als die Fathha gesprochen worden war, stiegen alle wieder auf, und der Ritt wurde fortgesetzt. Der Fremde war im Sattel geblieben. Es war ihm nicht zuzumuten, an ihrem Gebete teilzunehmen oder auch nur nach europäischer Sitte durch Entblößung des Hauptes ein Zeichen der Ehrfurcht zu geben. Er hätte sich damit entehrt, da der Mohammedaner es für eine Schande hält, den Kopf unbedeckt sehen zu lassen. Nur allein der Mezaijin1) hat das Vorrecht, den Anblick frommer, kahl geschorener Schädel, auf denen nur die mittelste Locke stehen bleiben darf, zu genießen. Diese Locke ist für den Muselmann sehr notwendig, weil ihn, wenn er auf dem Pfade strauchelt, welcher nach dem Tode in das Paradies führt und der nur so breit ist wie die Schärfe eines Barbiermessers, der Engel Gabriel bei diesem Haarschopfe faßt, um ihn fest zu halten und nicht in die Hölle hinabstürzen zu lassen.

Wenn die Sonne in südlichen Gegenden hinter dem Horizonte verschwunden ist, so tritt die Nacht sehr schnell herein. Eine Dämmerung wie bei uns ist dort unbekannt. Darum trieb Abu 'l arba ijun, der Vater der vier Augen, die Araber jetzt zu größerer Eile an. Noch waren sie nicht weit gekommen, so sahen sie einen kleinen Reiterzug von Norden her sich im spitzen Winkel auf ihre Richtung zu bewegen. Es war eine Dschelaba, eine Handelskarawane, und zwar eine der anspruchslosesten, ja ärmlichsten Art.

Die acht Männer, aus denen sie bestand, saßen nicht etwa auf stolzen Rossen, auf hohen, langbeinigen Hedschins oder wenigstens auf gewöhnlichen, ordinären Lastkamelen, o nein, sondern sie hingen in den verschiedensten und keineswegs eleganten Stellungen auf jener Art von Tieren, deren Abbild früher unfleißigen Schuljungen als abschreckende Auszeichnung auf Holz gemalt um den Hals gehängt wurde - auf Eseln .

Der Zug glich also keiner jener großen, aus mehreren hundert Kamelen bestehenden Handelskarawanen, welche die Mittelmeerstaaten mit den großen Oasen der Sahara verbinden; es war vielmehr eine echt sudanesische Dschelaba, deren Anblick meist geeignet ist, Mitleid zu erwecken. Diese Handelszüge entstehen folgendermaßen:

Der Sudanese ist kein Freund der Arbeit und Anstrengung. Hat er sich als Matrose, als Diener oder in irgend einer andern leichten und vorübergehenden Stellung einige Mariatheresiathaler verdient, so wird er Handelsherr, welcher schöne Beruf ihm am meisten zusagt. Dazu ist vor allem andern der Ankauf eines Esels notwendig, welcher nur einen Teil des Kapitals verschlingt. Dann müssen zwei Gurab, lederne Säcke, angeschafft werden, welche die Handelsartikel aufzunehmen haben und auf der Reise zu beiden Seiten des Esels am Sattel hangen. Und drittens werden die im Lande gangbarsten Waren, durch welche der Handelsherr Millionär werden will, eingekauft. Diese bestehen in Khol, der bekannten Augenschwärze, in kleinen Stücken Rindstalg, mit denen sich die Stutzer des Sudans die Adonisgestalt einschmieren, um ein glänzendes Aussehen zu erhalten, in ebenso kleinen Salzwürfeln, die in Gegenden, wo es kein Salz gibt, eine sehr gesuchte und gut bezahlte Ware bilden, in einigen Stecknadeln, dem höchsten Schatze der Negerinnen, in wohlriechenden Sächelchen, bei deren Duft wir uns aber die Nase zuhalten würden, in andern ähnlichen Kleinigkeiten und vor allen Dingen in einigen Ellen Baumwollenzeug, da dies im Süden als Münze gilt. Je weniger man zu bezahlen hat, desto kleiner ist das Stückchen, welches von dieser Münze abgeschnitten wird.

Zum Schutze dieses Kauf- und Spezereiladens ebenso wie zum Schutze seines hoffnungsvollen Besitzers wird nun irgend eine fürchterliche Waffe angekauft, ein Schleppsäbel ohne Schneide, eine alte, entsetzlich weite Luntenpistole, welche in der Rumpelkammer des Trödlers von Mäusen bewohnt wurde, die vergnügt zum Zündloche herausschauten, oder gar ein flintenähnliches Mordinstrument, welches neben unzählichen andern guten Eigenschaften auch diejenige hat, nicht loszugehen, selbst wenn man sie ganz mit Pulver füllt und in einen glühenden Ofen steckt. Notabene nimmt an diesem Erfolge das Pulver ebenso großen Anteil wie die Mordmaschine selbst. Diese Waffen werden von ihrem Besitzer natürlich für unbeschreiblich wertvoll gehalten, aber nie im Ernst gebraucht. Er ist ein Anhänger der Abschreckungstheorie und wünscht, daß der etwaige Feind beim Anblicke dieser lebensgefährlichen Gegenstände die Flucht ergreife; geschieht dies nicht, nun, so reißt er einfach selber aus, was in neunundneunzig unter hundert Fällen mit aller Energie geschieht.

Nun ist die Ausrüstung beendet und der Dschelabi, der Händler fertig. Er könnte beginnen; aber sich allein in die weite, schlimme Welt zu wagen, das fällt ihm gar nicht ein. Er sucht nach gleichgestimmten Herzen und gleichgesinnten Seelen, die er auch unschwer findet. Bald sind sechs, acht, zehn solcher zukünftigen Kommerzienräte beisammen. Jeder hat einen Esel, aber was für einen! Viel haben die Tiere nicht kosten sollen, und darum sind sie alle mehr oder weniger lädiert und ramponiert. Dem einen fehlt ein Ohr, dem andern der Schwanz, den dritten haben die Ratten angefressen, und der vierte wurde blind geboren. Diese äußerlichen Mängel werden aber durch innerliche, durch Seelen- und Charaktereigenschaften reichlich aufgewogen, welche den Besitzer zur Verzweiflung bringen können. Trotzdem ist er stolz auf sein Reittier und belegt es mit den schmeichelhaftesten Namen und Stockhieben.

Um die Reise antreten zu können, werden die berühmtesten Fuqara2) aufgesucht und um wunderthätige Amulette angegangen. Die Welt ist schlecht, und es hausen böse Geister überall in Menge; da muß man an Brust und Armen mit Amuletten behangen sein, um allen Gefahren ruhig entgegensehen und im geeigneten Augenblicke mutig den Rücken kehren zu können.

Nun werden die beiden Gurab dem Esel aufgeladen. Der Dschelabi nimmt einen tüchtigen Knüppel in die Hand, um mit demselben dem Langohr zuweilen einen beherzigenswerten Wink geben zu können, und steigt auch mit auf. Das Schwert wird mittelst eines Kamelstrickes umgeschnallt oder die Pistolenhaubitze beigesteckt, und dann setzt sich der imposante Zug in Bewegung, von sämmtlichen Freunden und Anverwandten bis vor den Ort hinaus begleitet.

Thränen fließen, Herzen zerrinnen. »Be ism lillahi - in Allahs Namen!« erklingen die schluchzenden Segenswünsche. Der Zug kommt zehn und hundertmal ins Stocken, denn hier bockt ein Esel und wirft Ladung und Reiter ab; ein andrer wälzt sich im tiefen Kote, um sich von der Last


1) Barbier.
2) Plural von Faqir (Fakir), heilige Derwische.


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zu befreien, und ein dritter stemmt sich mit allen Vieren ein, schreit wie am Spieße und ist weder durch Liebkosungen noch durch Schläge von der Stelle zu bringen, bis sich zehn Anverwandte vorn anspannen, um ihn am Maule zu ziehen, und zehn Freunde hinten am Schwanze schiebend und schwitzend nachhelfen. So gelangt die Dschelaba endlich glücklich ins Freie und bockt, stolpert, rennt, schreit, heult und flucht ihrem Glücke entgegen.

Sie trennt sich von Zeit zu Zeit, um sich an gewissen Orten wieder zusammenzufinden. Glänzende Geschäfte werden gemacht, großartige Abenteuer erlebt; manche gehen auch zu Grunde, während andre ihr kleines Anlagekapital durch Schlauheit und Ausdauer schnell vervielfältigen und wirklich zu reichen Männern werden.

Mancher Dschelabi wagt sich in den tiefsten Sudan hinein und kommt erst nach Jahren als ein gemachter Mann zurück. Mancher andre ist früher vielleicht ein angesehener Beamter gewesen und hat zum Esel greifen müssen, um im Sumpflande am Fieber oder anderswo am Hunger zu Grunde zu gehen. Niemand erfährt, wo seine Gebeine und diejenigen seines Esels bleichen. Vielleicht hat er den letztern vorher noch aufgezehrt.

Eine solche Dschelaba war es, welche der Karawane jetzt begegnete. Sie kam den Arabern höchst ungelegen, und der Schech murmelte einen Fluch zwischen die Lippen. Dem Fremden aber waren diese Leute sehr willkommen. Er ritt auf sie zu, rief ihnen einen freundlichen Gruß entgegen und fragte:

»Wohin geht euer Weg? Die Sonne ist gesunken. Wollt ihr nicht bald Lager machen?«

Die Leute waren nur sehr notdürftig gekleidet. Die meisten trugen nichts als nur die Lendenschürze; aber alle waren guten Mutes. Sie schienen gute Geschäfte gemacht zu haben. Sie gehörten nicht einer und derselben Rasse an. Es gab mehrere Schwarze unter ihnen. Voran ritt ein kleiner, dünner und, so viel man bei dem scheidenden Tageslichte sehen konnte, blatternarbiger Bursche, dessen Schnurrbart aus nur einigen Haaren bestand. Er hatte Hosen an, war sonst unbekleidet und trug ein riesiges Schießgewehr am Riemen auf dem Rücken. Eine Kopfbedeckung schien für ihn überflüssig zu sein; sein Haar hing ihm dick und voll vom Haupte bis auf den Rücken herab, fast ganz in der Weise, wie die in Deutschland als Blechwarenhändler und Drahtbinder umherziehenden Slowaken das ihrige zu tragen pflegen. Er war es, der die Antwort übernahm:

»Wir kommen vom Dar Takala herab und wollen nach Faschodah.«

»Aber nicht heute?«

»Nein, sondern erst morgen. Heute bleiben wir am Bir Aslan.«

»Das wollen wir auch. So können wir uns also Gesellschaft leisten.«

»Herr, wie könnten wir armen Dschelabi es wagen, den Hauch deines Atems zu trinken? Wir machen uns ein Lager fern von Euch. Erlaube uns nur ein wenig Wasser für uns und unsre Tiere?«

»Alle Menschen sind vor Allah gleich. Ihr sollt bei uns schlafen. Ich wünsche es.«

Das sagte er in bestimmtem Tone. Dennoch fragte der Dschelabi:

»Du scherzest, Herr, nicht wahr?«

»Nein. Es ist mein Ernst. Ihr seid mir willkommen.«

»Und deinen Leuten auch?«

»Warum diesen nicht?«

»Ihr seid Beni Arab. Darf ich erfahren, von welchem Stamme?«

»Von dem der Homr.«

»Allah kerihm - Gott ist gnädig, aber die Homr sind es nicht. Erlaube, daß wir fern von Euch bleiben.«

»Warum ?«

»Weil wir euch nicht trauen dürfen.«

Er hielt den Fremden auch für einen Homr, ja für den Anführer derselben. Um so mutiger war es von ihm, daß er so aufrichtig sprach. Der Europäer antwortete:

»Hältst du uns für Diebe?«

»Die Homr sind Feinde der Schilluk, in deren Gebiete wir uns hier befinden,« meinte der Dschelabi ausweichend. »Wie leicht kann es zu einem Kampfe kommen, und da ziehen wir es vor, fern zu bleiben.«

»Dein Herz scheint keinen großen Mut zu besitzen. Wie ist dein Name?«

Der Kleine richtete sich im Sattel höher auf und antwortete:

»Ob ich furchtsam bin, das geht dich gar nichts an. Wenn du meinen Namen wissen willst, so steige ab und hole dir ihn!« Er sprang von seinem Esel, warf das Gewehr weg und zog das Messer. Die Homr waren weiter geritten. Die Dschelaba hielt noch am Platze. Hinter dem bisherigen Sprecher befand sich ein ebenso kleiner Bursche, welcher befürchten mochte, daß die Scene sich zum Schlimmen wenden könne. Er wollte dem vorbeugen, indem er sagte:

»Verzeihe, Herr, dieser Mann hat stets einen großen Mund und ist doch nur ein kleiner Mensch, der nichts versteht. Er wird von uns Ibn el dschidri1) oder wohl auch Abu el hadascht scharin2) genannt.«

»Warum dieser letztere Name?« erkundigte sich der Fremde.

»Weil sein Schnurrbart nur aus elf Haaren besteht, rechts sechs und links fünf. Und doch ist er außerordentlich stolz auf ihn, so daß er ihn gerade so sorgfältig pflegt wie eine Nuer Negerin ihr Durrhafeld.«

Er bemühte sich, dem drohenden Konflikte eine heitere Bahn zu brechen, kam aber bei seinem Kollegen schlecht an, denn dieser rief ihm zornig zu:

»Schweig, du Vater des Unverstandes! Mein Schnurrbart ist hundertmal mehr wert als dein ganzer Kopf. Du selbst hast den großen Mund. Du rühmst dich


1) Sohn der Blattern.
2) Vater der elf Haare.


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deines Stammbaumes, aber niemand glaubt an ihn!«

Das war eine Beleidigung, welche den andern nun auch in Harnisch brachte. Er antwortete:

»Was weißt du von meinem Stammbaum! Wie lautet mein Name, und wie klingt der deine!«

Und sich zu dem Fremden wendend, fuhr er fort:

»Herr, erlaube mir, dir zu sagen, wer ich bin! Ich heiße nämlich Hadschi Ali ben Hadschi Ishak al Faresi Ibn Hadschi Otaiba Abu 'l Ascher ben Hadschi Marwan Omar el Gandesi Hafid Jacub Abd' Allah el Sandschaki.«

Je länger der Name eines Arabers, desto mehr ehrt ihn derselbe. Von berühmten Vätern abzustammen, geht ihm über alles. Darum reiht er ihre Namen bis ins dritte und vierte Glied aufwärts aneinander und bringt so eine Riesenschlange fertig, über welche der Europäer heimlich lächelt.

Dieser Hadschi Ali blickte den Fremden erwartungsvoll an, was er zu dem berühmten Namen sagen werde.

»Also Hadschi Ali heißt du?« fragte der 'Vater der vier Augen'. »Dein Vater war Hadschi Ishak al Faresi?«

»Ja. Hast du von ihm gehört?«

»Nein. Dein Großvater hieß also Hadschi Otaiba Abu 'l Oscher?«

»So ist es. Ist dieser dir bekannt?«

»Auch nicht. Und dein Urgroßvater war Hadschi Marwan Omar el Gandesi?«

»So ist es. Von ihm hast du doch jedenfalls vernommen?«

»Leider nicht! Und endlich war dieser letztere der Urenkel und Nachkomme von Jacub Abd' Allah el Sandschaki, also des Fahnenträgers?«

»Ja, er trug den Sandschak1) des Propheten in den Kampf.«

»Diesen Namen habe ich allerdings gelesen. Jacub Abd' Allah soll ein mutiger Streiter gewesen sein.«

»Ein Held war er, von dem noch heute die Lieder erzählen!« stimmte Ali stolz bei.

»Aber dein Ahne ist er nicht!« fiel der erste Dschelabi ein. »Du hast ihn dir unrechtmäßigerweise angeeignet!«

»Bringe mir nicht immer diesen Vorwurf! Ich muß doch besser als du wissen, von wem ich stamme!«


1) Die Fahne.

(Fortsetzung folgt.)

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