Die Sklavenkarawane.

Von Karl May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", "Geist der Llano estakata", "Kong-Kheou, das Ehrenwort".


Heft 22
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(Fortsetzung.)

Die Sklavenkarawane - No. 22 Die Nacht verging, und kurz vor dem Morgengrauen weckte Schwarz seinen Gefährten, damit dieser die ihm vorgeschriebene Morgenandacht nicht versäume. Vorher hatte er den Kamelen als Futter Schilf vorgeworfen.

Die unverzehrten Hühner waren mittlerweile vollständig ungenießbar geworden; in jenen Gegenden hält Fleisch sich nur stundenlang. Der Araber hatte sie mitgenommen, weil man sie ihm umsonst gegeben hatte. Es gibt dort Stämme, welche Hühner in Menge haben, aber das Fleisch derselben nicht genießen. Er warf sie in den Sumpf, wo sich augenblicklich ein wahrhaft scheußlicher Kampf um das Aas erhob. Die Krokodile verletzten einander dabei selbst. Schwarz sah, daß dem einen ein Bein herausgerissen, dem andern der Schwanz, und einem dritten ein Stück des Rachens abgebissen wurde.

Nun entfesselte man die Kamele, um den Ritt von neuem zu beginnen. Er war heute nicht so beschwerlich, die Gegend nicht so trostlos wie gestern.

Der Fluß kehrte von seiner großen Krümmung zurück, und die Fährte, welcher man zu folgen hatte, suchte seine Nähe wieder auf. Da gab es Wasser zum Trinken, Grün für die Tiere, und - Enten für die Menschen. Schwarz erlegte auf einen Schuß zwei derselben.

Die Kamele waren, durch die Pfeifen aufgemuntert, heute noch fleißiger gewesen, als gestern. Man erreichte schon kurz nach Mittag die Stelle, an welcher die Sklavenjäger in voriger Nacht Halt gemacht hatten. Das veranlaßte die beiden Reiter, ihren schwachen Tieren eine Ruhestunde zu gönnen. Sie stiegen ab, machten ein Feuer und brieten eine Ente.

Auch während dieses Haltes wurde nur wenig gesprochen. Der Elefantenjäger


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schien ein höchst schweigsamer Mann zu sein, und Schwarz hatte keinen zwingenden Grund, ihn zur Beredsamkeit zu bringen.

Am Nachmittage wurde der bisher ebene Boden wellenförmig, und später sah man zur rechten Hand Höhen liegen, welche nach dem bisherigen Maßstabe ganz respektabel erschienen. Von dorther lief ein Chor1) herab, welchem die Fährte aufwärts folgte. Einige Stellen dieses in der Regenzeit einen Fluß bildenden Bettes waren feucht; in andern stand sogar noch Wasser. Da gab es pflanzliches und tierisches Leben in Menge. Aber zur Beobachtung desselben war keine Zeit vorhanden, da die Sklavenjäger bis spätestens morgen mittag überholt werden mußten. Aus diesem Grunde wurden die Suffarah heute noch anhaltender als gestern benutzt, und die Wirkung war, daß die Kamele fast über ihre Kräfte liefen.

Der weitere Weg führte zwischen den erwähnten Höhen hindurch und senkte sich dann wieder abwärts nach dem Flusse, welcher abermals einen Bogen gemacht hatte, der durch die Fährte abgeschnitten worden war. Doch blieb die Fährte nicht am Flusse, sondern lief am Rande einer Maijeh hin, um deren äußerste Spitze sie bog. An dieser Stelle mußten die beiden Reiter halten, weil der Abend hereinzubrechen drohte.

Der Nil bildet weit in das Land gehende Buchten, ähnlich den Bayous des Mississippi, welche zur Regenzeit mit Wasser gefüllt sind. Kehrt der Nil dann zu seiner ursprünglichen Breite zurück, so bleibt das Wasser in diesen Buchten stehen, wo es eine lebhafte Vegetation erweckt, um dann später mehr oder weniger auszutrocknen. Viele dieser Vertiefungen sind so energisch eingeschnitten, daß sie selbst in den heißesten Monaten Wasser halten. Sie werden Maijeh genannt, und an einem derselben hielten die beiden Reiter.

Mehrere hundert Schritte vom Rande desselben stand eine riesige Homrah2), deren Stamm gewiß über fünfzig Fuß Umfang hatte. Dabei war sie kaum zwanzig Ellen hoch, und ihre jetzt kahlen Äste und Zweige senkten sich mit den Spitzen fast wieder bis zur Erde nieder, so daß der Wipfel eine hohle Halbkugel bildete, in deren Mitte sich der ungeheure Stamm befand. Dorthin leiteten die beiden ihre Tiere, um da die Nacht zuzubringen. Hier konnten sie sich durch das Feuer leichter vor den Nachtmücken schützen, deren Plage am Wasser viel ärger gewesen wäre.

Während Schwarz eine Sporengans zum Mahle schoß, holte der Araber Brennmaterial herbei, welches in großer Menge vorhanden war. Dann verrichtete er sein Gebet, nach welchem er vier Feuer anbrannte, zwischen denen sich die Reiter und Kamele lagerten. Dies letztere war notwendig wegen der hier vorhandenen Mücken, und weil man aus der Nähe der von Tausenden Vögel belebten Maijeh auf das Vorhandensein größerer Raubtiere schließen konnte.

Während der Deutsche die Gans rupfte, sie ausnahm und dann an einen über dem einen Feuer improvisierten hölzernen Bratspieß steckte, sah ihm der Araber zu, ohne ein Wort zu sprechen. Er schien auch heute noch nicht aus sich herausgehen zu wollen.

Die Kamele waren am Maijeh getränkt worden, und hatten dann ihr Futter erhalten. Als die Gans gar war, schritten auch die Reiter zum leckeren Mahle. Der Schein der Feuer drang zwischen den Zweigen der Homrah hinaus ins Freie, doch reichten die Blicke der beiden Männer nicht so weit, da sie von vier Flammen geblendet wurden.

Während sie schweigend aßen, hörten sie vor sich ein Knacken der Äste, und darauf ein tiefes, unruhiges Schnaufen. Sie blickten auf und griffen nach ihren Gewehren.

»Allah akbar, dschamus, dschamus - Gott ist groß, ein Büffel, ein Büffel!« rief der Araber.

Im Nu hatte er den Kolben an der Wange und drückte ab, beide Läufe schnell hintereinander, doch leider ohne den erwarteten Erfolg, da er in seiner Aufregung und von den Feuern geblendet, nicht genau gezielt hatte.

Der afrikanische Büffel ist noch viel stärker, wilder und unbändiger als der indische. Er liebt die Sümpfe, schwimmt ausgezeichnet und bricht sich durch das dichteste Unterholz im schnellen Laufe Bahn. Erfahrene Jäger halten seine Jagd für noch gefährlicher als diejenige des Elefanten, Nilpferdes und Nashornes. Selbst auf den Tod verwundet, kämpft er fort. Besonders gefährlich sind die einzelnen Umherstreicher, welche wegen ihrer wahnsinnigen Wildheit von ihresgleichen nicht geduldet und aus den Herden ausgestoßen werden. Von ihnen sagt der Sudanese: »Wenn du eine Herde Büffel erblickst, so flieht sie vor dir; findest du mehrere Büffel, so brauchst du sie nicht zu fürchten; begegnest du aber einem einzelnen, so sei Gott dir gnädig!«

Und ein solcher einzelner, ein solcher Umherstreicher war es, der so plötzlich seinen dicken Kopf mit den mächtigen Hörnern und niederhängenden Ohren durch die Zweige steckte. Die Feuer hatten, anstatt ihn zu verscheuchen, vielmehr herbeigelockt. Sie erregten seinen Grimm. Er sah die Männer und die Kamele und wollte sich auf sie stürzen, gerade als der Elefantenjäger ihm die beiden Kugeln entgegenschickte. Sie trafen ihn zwar, aber nur leicht. Er stand einen Augenblick unbeweglich, wie erstaunt, daß man es gewagt habe, an Gegenwehr zu denken, dann senkte er den Kopf, und warf sich unter wütendem Gebrüll vorwärts.

»Rette dich hinter den Baumstamm!« rief Schwarz dem Araber zu.

Es bedurfte dieser Aufforderung gar nicht, denn der Jäger war bereits hinter der Homrah verschwunden. Der Deutsche aber blieb kaltblütig stehen, das Gewehr in der Hand. Schon senkte das Tier den Kopf, um ihn mit den Hörnern zu fassen, da sprang Schwarz blitzschnell zur Seite, seine Schüsse krachten - der Büffel stand wie vom Schlage getroffen, unbeweglich; ein Zittern ging durch seine mächtigen Glieder, seine kolossale Gestalt, dann brach er auf demselben Fleck zusammen, auf welchem die Kugeln des Deutschen ihm Halt geboten hatten.

Dieser letztere war nicht von der Stelle gewichen. Um das zu wagen, mußte er seines Schusses außerordentlich sicher gewesen sein. Er griff in die Patronentasche, lud von neuem, und sagte dabei zu dem Araber in so ruhigem Tone, als ob es sich nur um die Tötung einer Fliege gehandelt habe:

»Du kannst nun wiederkommen, denn er ist tot.«

»Tot?« fragte der andre, indem er sehr vorsichtig nur die Nase sehen ließ. »Das ist nicht möglich!«

»Ü:berzeuge dich!«

»So habe ich ihn also doch gut getroffen!«

»Du? Das glaube ich nicht! Du scheinst ja gar nicht zu wissen, wo sich die verletzbarsten Stellen eines Büffels befinden. Wohin hast du gezielt?«


1) Regenbett.
2) Baobab, Affenbrotbaum.


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»Nach der Stirn.«

»So wollen wir sehen, welche Wirkung deine Kugeln gehabt haben.«

Er kniete vor das Ungetüm nieder, um die Stirn desselben zu untersuchen.

»Allah jisallimak - Gott behüte dich!« schrie der Araber entsetzt. »Willst du dich ermorden? Wenn er noch nicht völlig tot ist, bist du verloren!«

»Habe keine Sorge! Ich weiß sehr wohl, was ich thue. Schau her! Deine eine Kugel hat das Ohr durchlöchert, und die andre ist vom Hörnerwulste abgeglitten. Du kannst es ganz deutlich sehen.«

Der andre kam nur zagend herbei; er streckte die Hand weit aus, um das Tier zu betasten; er faßte es am Schwanze und dann am Beine, um sich zu überzeugen, daß es wirklich nicht mehr gefährlich sei; dann erst näherte er sich dem Kopfe, um die Stellen zu betrachten, welche er getroffen hatte.

»Allah, Allah!« rief er aus. »Du hast recht. Ich habe ihn nicht einmal verwundet, denn das Loch im Ohre hat gar nichts zu bedeuten. Wo aber hast du ihn getroffen? Er stand mitten im Laufe, wie von Allahs Faust erfaßt, und sank dann zitternd zur Erde nieder, um sich nicht mehr zu regen.«

»Ich habe ihm den letzten Halswirbel zerschmettert, das hielt ihn fest, und ihn dann ins Herz getroffen, das warf ihn nieder. Ich hatte keine andre Wahl, da er mit gesenktem Kopfe auf mich zukam.«

»Du wolltest ihn wirklich an diesen beiden Stellen treffen?« fragte der Elefantenjäger erstaunt.

»Natürlich ! «

»Aber du hast ja gar nicht gezielt!«

»Besser wie du. Man kann sehr genau zielen, ohne das Gewehr an das Auge zu nehmen. Ich habe die Mündungen gerade an die Stellen gehalten, die ich treffen wollte. Das muß freilich blitzschnell geschehen, wenn man sich nicht von den Hörnern fassen lassen will. Und seines Gewehres muß man absolut sicher sein, sonst ist man des Todes.«

Der Araber stand auf, starrte ihn mit einem geradezu ratlosen Blicke an, und rief dann aus:

»Das begreife ich nicht! Du bist ein Gelehrter. Wie darfst du so verwegen bei dem gefährlichsten der Tiere sein!«

»Es ist dies nicht der erste Büffel, den ich erlege. Ich war mit meinem Bruder in Amerika, einem Lande, wo es Herden von Tausenden von Büffeln gab, die wir verfolgt haben. Von mir selbst will ich nicht sprechen; aber glaubst du auch jetzt noch, daß dein Gewehr besser sei, als das meinige, weil es größer und stärker ist?«

»Herr, was ich glauben soll, das weiß ich jetzt noch nicht. Ich weiß nur, daß ich jetzt eine Leiche wäre, wenn du dieses Ungeheuer nicht so schnell erlegt hättest. Es hätte mich und dich, und dann auch noch die Kamele getötet, die nicht fliehen konnten, weil wir ihnen die Füße gefesselt haben. Wenn das kein Zufall ist, wenn du stets so gut triffst, wie jetzt, so wirst du mich besser beschützen können, als ich dich!«

»Wir sind Gefährten, und auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Keiner darf den andern in der Not verlassen. Wenn wir das zu unsrem Grundsatze machen, so brauchen wir die Gefahren, denen wir entgegengehen, nicht zu fürchten. Jetzt wollen wir unser Mahl fortsetzen. Da liegt die Gans, um welche es jammerschade wäre, wenn wir sie den Geiern oder Schakals überließen.«

Er setzte sich nieder und schnitt sich ein Stück von dem Braten ab. Der Sejad ifjal wußte nicht, was er zu dieser bewundernswerten Ruhe und Kaltblütigkeit sagen solle. Er hielt es für das beste, dem Beispiele des Gefährten zu folgen; darum legte er erst neues Holz in die Flammen, und setzte sich dann nieder, um seinerseits auch der Gans die ihr gebührende Ehre zu erweisen. Er konnte es aber nicht über das Herz bringen, schon nach einiger Zeit zu fragen:

»Was thun wir nun mit diesem Abu kuruhn1)? Wenn er hier liegen bleibt, wird er alle Raubtiere der Umgegend herbeilocken.«

»Jetzt noch nicht. Blut ist fast gar nicht geflossen, und da wir ihn nicht öffnen, wird der Geruch während der Nacht nicht bedeutend sein. Ü:brigens wird kein Löwe sich zwischen diese vier Feuer wagen. Das konnte nur ein so störrisches Tier, wie dieser Ochse war, thun.«

»Aber die Kamele fürchten sich vor ihm.«

»Sie sind jetzt freilich noch ängstlich, werden sich aber bald beruhigen. Das Fleisch dieses alten Kerls ist ungenießbar. Wir müssen es für die Geier liegen lassen. Unter gewöhnlichen Umständen würde ich das Skelett des Kopfes mit den prächtigen Hörnern mitnehmen; das kann ich aber jetzt nicht, da wir uns auf einem nichts weniger als wissenschaftlichen Ausfluge befinden. Also lassen wir diesen Vater der Hörner liegen, wie er ist, und begnügen uns mit dem Bewußtsein, den Plan, den er gegen uns hegte, zu Schanden gemacht zu haben.«

»Effendi, du bist gerade so ein mutiger und zugleich ruhiger Mann, wie Emin Pascha. Ich bewundere und achte dich. Darf ich deinen Namen erfahren, damit ich weiß, wie ich dich nennen soll?«

»Du würdest ihn nicht richtig aussprechen können; darum will ich ihn dir in arabischer Ü:bersetzung sagen. Nenne mich Aswad2); das wird genügen.«

»Ist er nicht länger?«

»Nein. In meiner Heimat führt man nicht so lange Namen, wie bei euch. Ein Mann mit dem kürzesten Namen kann bei uns ein berühmter Held oder Gelehrter sein. Nun darf ich wohl auch deinen Namen erfahren?«

»Noch nicht, Effendi. Als ich Dar Runga verließ, schwor ich bei Allah, meinen Namen abzulegen, bis ich die Spur meines Sohnes finden würde. Da dies noch nicht geschehen ist, darf ich ihn nicht über die Lippen bringen. Man nennt mich überall den Elefantenjäger. Willst du das nicht auch thun, sondern mir einen Namen geben, so nenne mich Bala Ibn3); das ist ein Wort, welches auf mich paßt.«

»Ich werde mich dieses Namens bedienen, wenn ich von oder mit dir spreche. Aber hast du auch geschworen, darüber zu schweigen, unter welchen Umständen du deinen Sohn verloren hast?«

»Nein, Effendi. Wie könnte ich jemals hoffen, ihn wiederzufinden, wenn ich nicht davon sprechen dürfte. Ich habe schon Hunderten mein Unglück erzählt, doch keiner hat vermocht, mir einen Fingerzeig zu geben. Ich glaube nun, daß mein Sohn gestorben ist, aber ich bleibe dennoch meinem Schwur getreu, und werde nach ihm und seinem Entführer suchen, bis Allah mich aus dem Leben nimmt.«

Er legte die Hand über die Augen, wie um die tiefe Trauer, welche in seinem Blicke lag, zu verbergen, und fuhr dann fort:

»Ich war der reichste und angesehenste Mann meines Stammes, der Anführer unsrer Krieger, und der Oberste im Rate der Weisen; ich pries mich glücklicher als


1) "Vater der Hörner" = Büffel.
2) Schwarz.
3) Ohne Sohn.


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alle, die ich kannte, und ich war es auch, bis derjenige kam, welcher mein Unglück verschuldete. Ich liebte mein Weib und mein einziges Kind, einen Sohn, dem wir den Namen Mesuf et Tmeni Sawabi-Ilidschr1) gaben. Da sandte - - -«

»Wie hieß dieser Knabe?« unterbrach der Deutsche ihn. »Mesuf et Tmeni Sawabi-Ilidschr? Warum hast du ihm diesen Namen gegeben?«

»Weil er nur vier Zehen an jedem Fuße hatte. Ich weiß nicht, ob das bei euch auch vorkommt; bei uns ist es selten.«

»Bei uns auch. Aber ich habe Personen gekannt, welchen Finger oder Zehen von der Geburt an fehlten, und auch einen Mann, der sechs Finger, also einen zu viel an jeder Hand hatte.«

»Die Finger meines Sohnes waren vollzählig, doch fehlte ihm die kleine Zehe an jedem Fuße; dafür aber hatte Allah ihm eine um so reichere Seele gegeben, denn er war das klügste Kind im ganzen Stamme. Als er noch nicht drei Jahre zählte, begab es sich, daß ein Baija'l abid2) in unser Duar3) kam, um Sklaven zu verkaufen. Es waren Knaben und Mädchen, auch Frauen, lauter Neger, außer einem Knaben, welcher helle Haut, auch schlichtes Haar und keine Negerzüge besaß. Der Händler errichtete einen Markt bei uns, um seine Waren zu verkaufen, und aus der ganzen Gegend kamen die Beni el Arab herbei, mit ihm zu handeln. Der helle Knabe weinte stets, aber sprechen konnte er nicht, denn man hatte ihm die Zunge herausgeschnitten.«

»Entsetzlich! Wie alt war er?«

»Vielleicht vierzehn Jahre. Als der Händler eine Woche bei uns gewesen war, kam plötzlich ein Mann mit mehreren Begleitern aus Birket Fatma zu uns, und klagte den Händler an, ihm seinen Sohn gestohlen zu haben. Der Vater war der Spur des Schurken gefolgt, und so zu uns gekommen. Der Händler leugnete; er schwor bei Allah, den Mann gar nicht zu kennen. Da er unser Gast war, mußten wir ihn in Schutz nehmen; aber die Erzählung der Männer aus Birket Fatma klang so wahrhaftig, daß wir sie glauben mußten. Es wurde eine Beratung abgehalten, in welcher ich bestimmte, daß der Knabe, welcher eingesperrt gehalten wurde, dem Fremden vorgeführt werden solle. Dieser letztere erhielt den strengen Befehl, dabei ganz ruhig zu erscheinen, und kein Wort zu sagen. Der Knabe wurde gebracht. Als er den Fremden erblickte, stieß er Jubeltöne aus und sprang auf ihn zu, ihn zu umarmen und zu küssen. Auch die übrigen Männer aus Birket Fatma begrüßte er mit großer Freude. War das nicht ein Beweis, daß er der Sohn des Fremden sei?«

»Ganz gewiß!« antwortete Schwarz.

»Außerdem beschworen die Leute die Wahrheit ihrer Aussage. Der Händler hatte den Sohn eines gläubigen Moslem gestohlen und zum Sklaven gemacht, welches Verbrechen mit dem Tode bestraft wird. Sodann hatte er dem Knaben die Zunge geraubt, damit dieser ihn nicht verraten könne; darauf mußte eine weitere Strafe erfolgen. Die große Versammlung trat also wieder zusammen, um ihm das Urteil zu sprechen. Dieses lautete auf den Tod für den Raub. Für das Herausschneiden der Zunge sollte er täglich die Peitsche erhalten. Und für den Verlust seiner Sprache sollte der verstümmelte Knabe die Sklavenware des Verbrechers empfangen.«

»Wurde dieses Urteil vollstreckt?«

»Nur ein kleiner Teil desselben. Nach dem Gesetze mußte der Schuldige dem Vater des Knaben ausgeantwortet werden. Dies konnte erst nach einer Woche geschehen, denn er war unser Gast, als welcher er für vierzehn Tage in unserm Schutze stand. Darum sperrten wir ihn ein, um ihn nach sieben Tagen den Rächern auszuliefern; aber bis dahin sollte er an jedem Tage durchgepeitscht werden. Dies geschah zweimal unter meiner eigenen Aufsicht. Am dritten Morgen war er entflohen, ohne eine Spur zurückzulassen. Unsre Krieger bestiegen sofort ihre Pferde, um ihn zu verfolgen, aber sie kehrten alle zurück; ohne daß einer ihn gesehen hatte. Die Leute aus Birket Fatma kehrten mit dem Knaben und den Sklaven dorthin zurück, auf die Ausführung des Todesurteils hatten sie verzichten müssen.«

»Und dieses Ereignis steht im Zusammenhange mit dem Verluste deines Sohnes?«

»Ja. Nach wenigen Wochen brachte mir ein Bote aus Salamat einen Brief, welcher mit Ebrid Ben Lafsa, dem Namen des Sklavenhändlers, unterzeichnet war. Dieser Hund schrieb, er sei unschuldig verurteilt worden, und er werde sich an mir rächen, daß ich bis an mein Ende an den geraubten Knaben aus Birket Fatma denken solle. Einen Monat später war ich mit meinen Kriegern vom benachbarten Stamme zu einer großen Fantasia4) eingeladen. Kaum befanden wir uns dort, so kam uns ein Bote mit der Nachricht nach, daß mein Sohn verschwunden sei. Er war in der Nacht geraubt worden, und am Morgen hing an der Zeltstange ein Brief, in welchem Ebrid Ben Lafsa mir mitteilte, daß er sich meinen Knaben an Stelle des andern geholt habe, und daß ich das Kind im Leben nicht mehr erblicken solle.«


1) Mesuf mit acht Zehen.
2) Sklavenhändler.
3) Zeltdorf.
4) Kriegerische Festlichkeit.

(Fortsetzung folgt.)

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