Die Sklavenkarawane.

Von Karl May.

Verfasser von "Der Sohn des Bärenjägers", "Geist der Llano estakata", "Kong-Kheou, das Ehrenwort".


Heft 38
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(Fortsetzung.)

Da es nun galt, keine Zeit zu verlieren, sondern wieder aufzubrechen, um Abu el Mot zuvorzukommen, so wurden sämtliche Kähne mit Leuten bemannt, welche die durch das Schilffeld führende schmale Bahn verbreitern mußten. Indessen konnten die beiden Deutschen den Verwundeten Hilfe leisten. Als sie in die Kajüte gingen, um die chirurgischen Utensilien zu holen. kamen sie an dem »Sohne des Geheimnisses« vorüber, und Schwarz nahm die Gelegenheit wahr, ihn zu fragen:

»Du kennst den Fluß. Wir müssen nach dem Maijeh Husan el bahr. Weißt du, wo dieser Ort liegt?«

»Ja, Effendi, ich kenne ihn. Ich bin mit Ben Wafa einigemale, wenn wir von der Seribah Abu el Mots kamen, dort gewesen. Er ist berühmt wegen der vielen Nilpferde, welche es dort gibt.«

»Wann denkst du, daß wir hinkommen werden, falls wir guten Wind behalten?«

»Fahren wir auch während der Nacht, was wir ja thun können, da es in dieser Jahreszeit weder Regen noch Stürme gibt und von hier aus der Fluß wieder stets offen ist, so kommen wir morgen abend an.«

»Könnte auch ein Fußgänger bis zu dieser Zeit dort sein?«

»Ja, wenn er sich beeilt. Er kann die gerade Richtung einschlagen, während wir den Krümmungen des Stromes folgen müssen.«

»Das zu hören, ist mir nicht lieb. Es ist möglich, daß Abu el Mot nach dem Maijeh geht.«

»So müssen wir es machen wie in der vergangenen Nacht. Wir spannen die Boote vor. Das wird uns nicht anstrengen, denn wir sind zahlreich genug, um einander oft ablösen


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zu können. Die Nuehr werden uns dabei sehr nützlich sein, da sie weit bessere Ruderer als die Asaker sind.«

»Komm mit in die Kajüte, um uns die Medizinkästen zu tragen! Du bist geschickt und kannst uns bei dem Verbinden der Verwundeten helfen.«

Diese Worte hörte der Slowak. Er trat sofort herzu und sagte:

»Effendi, auch ich besitzte Geschicklichkeit, bedeutende. Ich hatt verbindete schon Wunden, vielige. Ich hatt Ihnen schon einmal erzählte von Storch, beingebrochtem und von mir verbindetem; ich will auch helfen bei Nuehr, geschießten und blessierteten!«

»Gut, warte!«

Während Schwarz mit Abd es Sirr in die Kajüte ging, blieb der Graue bei dem Slowaken stehen, um diese Gelegenheit zu benutzen, sich mit ihm auszusöhnen. Der Kleine strafte ihn, indem er ihn gar nicht beachtete; er stand neben ihm und that so, als ob er ihn gar nicht sehe und bemerke. Er hatte nicht nur einen, sondern zwei Gründe, über den Grauen zornig zu sein. Erstens war dieser ihm auf dem Felde der Wissenschaft beleidigend begegnet, und zweitens nannte er ihn du. Der »Vater der elf Haare« hatte Schwarz, den er liebte und verehrte, gebeten, ihn doch du zu nennen, da er von Wagner, seinem früheren Herrn, auch geduzt worden sei, und Schwarz war dieser Aufforderung gefolgt. Pfotenhauer hatte dieses Beispiel befolgt, ohne nach der Ansicht des Kleinen ein Recht dazu zu besitzen. Der in Beziehung auf seine Ehre sehr empfindliche »Sohn der Blattern« ließ es gelten, im Arabischen du genannt zu werden, denn da konnte er dieses du zurückgeben; aber sobald man sich der deutschen Sprache bediente, meinte er, die höfliche Form der dritten Person pluralis verlangen zu dürfen, und daß Pfotenhauer dies nicht that, ärgerte ihn gewaltig.

»Also du kannst auch verbinden?« fragte der letztere in freundlichem Tone. »Das freut mich; das wird uns die Arbeit sehr erleichtern.«

»Ich kann verbindete viel besser als mancher andre, sich Gelehrsamkeit einbildende,« antwortete der Kleine in wegwerfendem Tone, den Deutschen gar nicht ansehend. »Ich kann kochte und aufschmierte Kataplasma und Salben, wohlthätige und zerteilende für Karbunkel.«

»Was! Du weißt, was Kataplasma ist?«

Er sagte das in der allerbesten Absicht; aber da kam er dem Kleinen schön an! Dieser antwortete zornig:

»Halten Sie das für Wunder, großartiges? Bei Reichtum von Bildung, meiniger, seinte Kataplasma und Pflaster mir Wurst, leichtigkeitige! Ich hab' lernte kennen Kataplasma, Katalog und sogar Katastrophe!«

»So! Nun, was ist denn ein Katalog?«

»Katalog seinte ein erschütterte Ereignis, trauriges, zum Beispiel Erdbeben, unterirdisches.«

»Und Katastrophe?« erkundigte sich der Graue weiter. Er nahm sich vor, dieses Mal trotz der Verwechselung des Katalogs mit der Katastrophe nicht zu opponieren.

»Katastrophe seinte Buch und Verzeichnis über Acker, besitzender, und Flur, angehöriger.«

Da die Verwechselung noch weiter um sich griff, als er vorher angenommen hatte, entfuhr es dem Deutschen:

»So ein Buch ist doch keine Katastrophe, sondern man nennt es Kataster! Du bist wirklich dera reinste Verwechselungskünstler! Ich kann wirklich nit begreifen, wie du dich nur mit solchen - -«

»Schweigte still!« fuhr ihn der Slowak an, indem er sich nun zu ihm herumdrehte und ihn flammenden Blickes ansah. »Wenn Sie nicht begreifte mich, so kannt auch ich nicht begreifte Sie! Ich hatt gelaßte Ihnen Gelehrtesamkeit, Ihrige, und nun kann auch Sie gelaßte mir Kenntnisse, meinige! Wenn ich auch hatt gemachte einmal Verwechstelung, unschuldige, so seinte ich doch ein Mann, stets höflicher und herablassender; Sie aber seinte währenddem immer geweste ein Mann von Unhöflichkeit, grober und beleidigender!«

»Ich?« fragte Pfotenhauer, ganz betroffen infolge des ungewöhnlichen Zornes, welcher aus den Worten und Blicken des Kleinen sprach. »Wegen eines kleinen Widerspruches brauchst doch nit gleich so grimmig zu sein!«

»Ich seinte nicht nur zornig wegen Entgegnung, widersprüchiger, sondern auch wegen Verstößen, oftigen und titulaturigen! Hatt Sie mich verstehente?«

»Nein, ich versteh' dich nit. Was redest du da von Titulatur?«

»Das wüßte Sie nicht? Das begreifte Sie nicht? Ich hatt Ihnen gebte stets das Sie, pluraliges; Sie aber hatt gebte mir stets du, singulariges. Wir hatt noch nicht machte miteinander Brüderschaft. Wenn Sie auch von jetzt an noch gebliebte bei du, einzahliges, so wernte auch ich nicht mehr sprechte Sie, mehrzahliges. Ich hatt studiumtierte, und Sie hatt studiumtierte; wir stehen also auf Stufe, ganz gleichfüßiger. Jetzt hatt Sie die Wahl, entscheidende! Ich sprechte Sie, und ich sprechte du, ganz so, wie Sie sprechte mit mir!«

Das kam dem Grauen so unerwartet, daß er für den ersten Augenblick gar keine Antwort fand. Er machte ein Gesicht, welches sicher noch verblüffter war als damals, wo sein Professor ihm die berühmte Frage vorlegte. Die Antwort wäre nun auch zu spät gekommen, denn der Slowak wandte sich von ihm ab und ließ ihn in »seines Nichts durchbohrendem Gefühle« stehen. Da kehrte Schwarz aus der Kajüte zurück; er sah das Gesicht des Grauen, dessen Nase schlaff herniederhing, als ob sie beim Naschen erwischt worden sei und deshalb einen Verweis bekommen habe; er sah auch den Kleinen stolz von dannen schreiten; da wußte er, was geschehen sei, und fragte lachend:

»Haben Sie sich wieder einmal nicht mit ihm vertragen?«

»Ja, er hat mich ganz g'hörig angepfiffen,« antwortete Pfotenhauer. »Der Kerl hat Haar auf allen Zähnen, und was für welche! Er hat g'meint, ich soll ihn nit mehr du, sondern Sie nennen, sonst will er mich auch duzen.«

»Hat er das? Nun, so ganz unrecht kann ich ihm da nicht geben, lieber Freund.«

»Danke sehr! Jetzund fehlt nur noch, daß er mich Naz oder kurz weg Vogel-Nazi nennt! Das wär' das richtige Kataplasma!«

Viertes Kapitel.

El Hamdulillah.

Am nächsten Tage, zwischen dem Asr- und Mogreb-Gebete, also vielleicht kurz nach der vierten Nachmittagsstunde, erreichten die fünf Schiffe eine Stelle, an welcher der Strom sich so verbreiterte, daß er einen See bildete, dessen Ufer wohl eine volle Ruderstunde voneinander entfernt waren.

»Das ist der Ort,« sagte der »Sohn des Geheimnisses« zu Schwarz und Pfotenhauer, mit denen er vorn am Bug der Dahabiëh stand. »Laß nach dem Ufer


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halten, damit wir dort anlegen! Wir dürfen nicht weiter, da wir sonst gesehen werden könnten.«

»Liegt der Feldwebel mit seinen Leuten denn am See?«

»Nein. Biegen wir rechts in den See ein und fahren wir bis nach dem hintern Teile desselben, so kommen wir an eine Stelle, wo ein schmaler Eingang in einen Busen führt, welcher nicht fließendes, sondern stehendes Wasser hat. Er ist an einigen Punkten sehr tief, weshalb er selbst im heißesten Sommer nicht austrocknet. An den seichteren Stellen wächst Schilf und Rohr; an andern gibt es Grasinseln, welche auf der Oberfläche schwimmen, sich aber nur dann bewegen, wenn der Wind sie treibt oder ein Flußpferd, an ihren Wurzeln naschend, sie in Bewegung setzt. Das ist der Maijeh Husan el Bahr.«

»So brauchen wir doch nicht hier am Flusse zu bleiben, sondern können in den See einbiegen, um dort zu ankern.«

»Der Feldwebel lagert am Ufer des Maijeh. Es ist möglich, daß einer seiner Leute nach dem See kommt. In diesem Falle würden wir gesehen, und das willst du doch wohl vermeiden?«

»Allerdings. Ich werde also den Befehl zum Ankern geben, und dann mag der Onbaschi uns Auskunft erteilen.«

Onbaschi heißt Korporal, Unteroffizier. Bei den Nuehr hatte sich nämlich der Unteroffizier befunden, welcher dem Feldwebel entflohen war, um Abu el Mot das Lager desselben zu verraten. Auch er war im höchsten Grade zornig darüber, daß sein Herr die Flucht ergriffen hatte, ohne ihn mitzunehmen. Er hatte, als er die Waka'a en nahr verloren sah, mit großer Sorge dem entgegen gesehen, was nun mit ihm geschehen werde, und war dann freudig überrascht gewesen, sich mit den Nuehr begnadigt zu wissen. Freilich hatte er Schwarz versprechen müssen, von jetzt an diesen als seinen Herrn zu betrachten und ihm treu und ohne Hintergedanken zu dienen.

Die Dahabiëh ging so nahe wie möglich an das Ufer und ließ dort die Anker fallen. Die beiden Noqers thaten dasselbe. Die Schiffe aus Diakin segelten nicht so gut; sie waren zurück, kamen aber nach einiger Zeit auch und legten hinter den andern an.

Schwarz hatte den Onbaschi zu sich auf die Dahabiëh genommen. Er ließ ihn jetzt kommen und fragte ihn:

»Kennst du die Stelle, an welcher wir jetzt liegen?«

»Nein, Effendi.«

»Aber den See, an dessen Eingang wir uns befinden?«

»Auch nicht.«

»Ich glaubte, du seist am Ufer desselben gewesen. In ihn mündet nämlich der Maijeh, an welchem der Feldwebel lagert.«

»Solange ich bei ihm war, ist keiner von uns nach dem See gekommen. Der Maijeh bot uns alles, was wir brauchten: Schilf zum Brennen, Wasser und auch Fische, so viel wir haben wollten.«

»Aber wenn ich mit dir nach dem Maijeh ruderte, so würdest du die Stelle finden, wo deine frühern Kameraden sind?«

»Ganz gewiß. Sie lagern an der Spitze desselben, an der Stelle, welche am weitesten in das Land hineinragt. Die ist selbst in der Dunkelheit leicht zu finden.«

»Steht der Wald bis dicht ans Wasser?«

»Ja.«

»Und ist er licht, oder gibt es Strauchwerk, welches das Gehen erschwert?«

»Sträucher gibt es nur außerhalb des Waldes, welcher schmal ist und nur aus Bäumen besteht, zwischen denen man leicht fortkommen kann. Soll ich dich führen?«

»Ich will es mir überlegen,« antwortete Schwarz zurückhaltend.

»Effendi, du traust mir nicht!«

»Allerdings. Das will ich dir ganz offen gestehen. Du hast deine Kameraden verraten.«

»Weil sie selbst Verräter waren!«

»Aber du warst ihr Mitschuldiger, und sie verließen sich auf dich!«

»Ich hatte mich geweigert. Ich war der einzige Onbaschi, welcher mit dem Feldwebel zurückgelassen worden war Er war Gefangener, und ich hatte ihn zu bewachen. Da beredete er mich, mit ihm und meinen fünfzig Asaker eine neue Seribah zu gründen.«

»Wo?«

»Bei den Niam-niam.«

»Das fehlte noch! Müßt ihr denn das Verderben weiter und immer weiter tragen? Und welch ein Wagnis! Fünfzig Mann wollen nach Süden gehen, um ein ganzes Volk in ihre Netze zu ziehen! Da sieht man, wie wenige Teufel dazu gehören um ganze Völkerschaften unglücklich zu machen. Aber weiter!«

»Ich ließ mich bereden, denn er versprach mir, daß ich mit ihm Gebieter sein solle; aber schon am ersten Tage gebärdete er sich als der alleinige Herr, und da ging ich fort.«

»Also nicht aus Reue, sondern aus Rache?«

»Verkenne mich nicht, Effendi! Du darfst mir trauen. Zu Abu el Mot kann ich nicht wieder und gehe ich nicht wieder. Ich habe heute früh mit Hasab Murat gesprochen. Er nimmt mich mit nach der Seribah Madunga, wo ich mit demselben Range, als Onbaschi, bei ihm eintreten werde. Daraus magst du ersehen, daß ich dir treu dienen werde«

»Ich will versuchen, dir zu glauben. Du magst uns also führen, wenn wir an das Land gegangen sind.«

Indem er das sagte, fiel sein Auge auf einen kleinen Punkt, welcher sich von dem jenseitigen Ufer des Sees aus näherte. Er hielt ihn für ein Boot und ging, sein Fernrohr zu holen. In den Verhältnissen, unter denen er sich hier befand, mußte ein Kahn seine Aufmerksamkeit, ja, sein Mißtrauen erregen. Das Rohr zeigte ihm, daß er sich nicht geirrt hatte. Es war ein Boot, ein sehr kleines, in welchem ein einzelner Mann, ein Schwarzer, saß.

Was wollte dieser Mann hier? Es war möglich, daß Abu el Mot seinen Weg nicht auf dem diesseitigen, sondern auf dem jenseitigen Ufer zurückgelegt hatte, um seinen Feinden ja nicht etwa während der Überfahrt zu begegnen. In diesem Falle mußte er den Fluß weiter oben durchqueren. Dabei konnte er an ein Negerdorf gekommen sein und von dort einen Boten abgesandt haben, um den Feldwebel zu warnen, freilich ohne diesen wissen zu lassen, von wem die Botschaft eigentlich komme. Schwarz nahm sofort die zwei kräftigsten Ruderer in das kleine Boot, bewaffnete sich mit seinem Gewehre - die Revolver trug er stets im Gürtel - und stieg selbst mit ein, um den Schwarzen abzufangen.

Dieser hatte jetzt die Mitte des Sees, also den eigentlichen Strom erreicht und hielt ein wenig aufwärts, um den durch die Strömung verursachten Abtrieb auszugleichen. Dadurch wurde seine Absicht klar, den diesseitigen Teil des Sees zu erreichen und dann vielleicht nach dem Maijeh zu rudern.

Schwarz ließ ihn noch näher kommen und stieß dann vom Schiffe ab. Sein Boot befand sich in ruhigem Wasser und gehorchte den Rudern also mit weit größerer


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Schnelligkeit als dasjenige des Schwarzen. Es war klar, daß dieser die abwärts am Ufer liegenden Schiffe noch gar nicht gesehen hatte; bald aber erblickte er das Boot. Er hielt für einige Augenblicke im Rudern inne, wohl um sich zu überlegen, was er thun solle. Dann wendete er sich zur Flucht dem südlichen Ufer der diesseitigen Seehälfte zu. Das konnte das Zeichen eines bösen Gewissens, aber auch die einfache Folge des Mißtrauens sein, welches jeder einsam wohnende Mensch, zumal Neger, gegen jede fremde Erscheinung hegen muß.

Er war von dem Punkte, welchem er zustrebte, viermal so weit entfernt, als von dem Boote des Deutschen. Obgleich er seine Kräfte bis auf das Äußerste anstrengte, kam ihm dieses immer näher und näher.

»Ein Abaka-Neger!« sagte einer der beiden Niam-niam. »Ich sehe es am Kopfputz.«

Schwarz rief dem Manne ein gebieterisches Halt zu, doch ohne Erfolg. Schießen wollte er nicht, einesteils weil er dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zog, falls einer oder mehrere Leute des Feldwebels am See sich befanden, und andernteils weil er den Mann sicher erreichen mußte, denn die Entfernung zwischen den beiden Booten verringerte sich von Augenblick zu Augenblick.

Als dieselbe höchstens noch dreißig Ellen betrug, legte er sein Gewehr auf ihn an und drohte:

»Halt an, sonst schieße ich dich tot!«

Jetzt zog der Mann die Ruder ein. Sein Atem flog und seine Brust keuchte vor Anstrengung. Einige Augenblicke später war er erreicht. Schwarz zog das kleine Boot Bord an Bord und fragte:

»Wer bist du?«

»Ich sein Hahli,« antwortete der Neger in gebrochenem Arabisch.

»Von welchem Stamme?«

»Abaka.«

»Wo wohnst du?«

»Dort am Wasser.«

Er zeigte nach dem rechten, östlichen Ufer des Sees und Flusses.

»Allein?«

»Die Abaka wohnen auf Murrh1)

»Wohin willst du?«

»Hahli darf nicht sagen.«

»Warum?«

»Es ihm verboten.«

»Von wem?«

»Darf auch nicht sagen.«

»Ich weiß es dennoch. Ein Weißer hat es dir verboten?«

»Woher das wissen?«

»Es sind fünf Araber zu euch gekommen?«

Der Mann antwortete nicht, machte aber ein sehr erstauntes Gesicht, welches leicht erraten ließ, daß Schwarz das Richtige getroffen hatte. Er war groß, kräftig und noch jung, wurde aber durch eine große entzündete Wulst auf der einen Wange, welche dicker als eine Männerfaust war, entstellt.

»Der eine dieser fünf Männer war sehr lang und sehr dürr?« fragte Schwarz weiter.

»Woher das wissen?«

»Er hat dich da hinüber nach dem Maijeh gesandt?«

»Warum fragen, wenn schon wissen?«

»Ich weiß nur, daß du ein Bote dieses Mannes bist, und ich will wissen, was du den Asakern da drüben zu berichten hast.«

»Darf nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Sonst Hahli müssen sterben.«

»So! Dann steig einmal zu uns herüber!«

»Warum? Hahli freilassen!«

Er sagte das in ängstlichem Tone.

»Wir thun dir nichts. Du wirst bei uns zu essen bekommen; auch will ich dir ein wenig Duhchan2) schenken; dann kannst du wieder gehen.«

Bei dem schönen Worte Duhchan begann das Gesicht des Mannes zu glänzen. Er fragte:

»Wohin Hahli soll mit?«

»Auf unser Schiff.«

Sofort wurde seine Miene wieder ängstlich.

»Schiff?« fragte er. »Haben drei Schiff? Dahabiëh und zwei Noqer?«

Durch diese Frage verriet er, daß Abu el Mot ihn vor diesen drei Schiffen gewarnt hatte. Schwarz antwortete:

»Nein. Wir haben nicht drei, sondern fünf Schiffe.«

»Das sein gut, sehr gut! Wenn hätten bloß drei Schiffe, dann sein schlimme Menschen.«

»Wir sind gute Menschen; das werde ich dir beweisen. Ich werde dir nicht nur Tabak geben, sondern dich auch gesund machen. Macht dir der Duhdi3) im Gesicht nicht große Schmerzen?«

»Sehr! Sehr Viele bei uns haben Duhdi.«

»Womit heilt ihr ihn?«

»Mit heiß Wasser.«

»Das genügt nicht; da frißt er sich nur noch tiefer ein. Ich werde dir zeigen, wie man ihn entfernt.«

»Dann Hahli gern mit dir gehen. Duhchan erhalten und Wurm heilen! Wollen schnell auf Schiff!«

Er stieg herüber, band seinen Kahn an das Boot, und dann lenkte Schwarz nach der Dahabiëh um.

Die Filaria, der Guinea- oder Medinawurm, wird im Sudan Frendit genannt. Er ist so dick wie eine Violinsaite und kann bis zwei Meter lang werden. Er scheint nur mit dem Trinkwasser in den Menschen zu kommen, wandert durch den Körper desselben und verursacht an den Ausbruchstellen dicke Eiterbeulen. Durch einen einzigen Schluck unreinen Wassers können mehrere dieser berüchtigten Tiere in das Innere des Menschen gelangen, und dann ist die Wirkung eine grauenhafte. Arme, Beine, Brust und Rücken bilden dann eine einzige geschwollene und mit Geschwüren bedeckte Masse, welche dem Betreffenden entsetzliche Schmerzen verursachen und sehr oft den Tod zur Folge haben.

Daß der Abaka-Neger den Wurm im Gesicht hatte, war ein Fall, welcher glücklicherweise nur selten vorkommt.

Dieser Mann stieg mit großem Vergnügen an Bord, und Schwarz nahm ihn sogleich mit sich zur Kajüte, um ihm durch das Messer das Geschwür zu öffnen. Das muß sehr vorsichtig geschehen, damit die Filaria nicht zerschnitten wird. Das beste Mittel, sie zu entfernen, ist nämlich, sie nach und nach auf ein Hölzchen aufzuwickeln, eine Procedur, welche mehrere Tage erfordert. Es gelang Schwarz, den Kopf mit dem vorderen Teil des Körpers zu erwischen. Er wickelte ihn auf, befestigte ihn, so daß er nicht zurückschlüpfen konnte, und gab dann dem Neger die Unterweisung für sein weiteres Verhalten.

»Das sehr gut!« lobte der Schwarze. »Wurm heraus und Hahli gesund. Hahli auch andern sagen, wie Wurm entfernen. Aber nun ihm auch Duhchan geben!«

Er bekam eine kleine Quantität Tabak, welche aber für ihn einen solchen Wert


1) Viehweide.
2) Tabak.
3) "Wurm" = Filaria.


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hatte, daß er einen Freudensprung machte und entzückt ausrief:

»Oh, oh, ah! Jetzt Hahli rauchen und stolz sein, denn andre nicht Duhchan haben! Weißer Manner gut sein, nicht so bös wie Leute auf Dahabiëh und zwei Noqer!«

»So! Was sind das denn für Leute?«

»Das sein Sklavenjäger und Diebe.«

»Das hat der lange, dürre Araber gesagt?« erkundigte sich Schwarz, wohl wissend, daß er und seine Leute mit diesen Dieben gemeint seien.

»Ja, dieser.«

»Wann kam er denn zu euch?«

»Nicht lange Zeit her.«

»Ist er noch dort?«

»Nein.«

»Wohin ging er mit den andern fünf Männern?«

»Immer am Fluß, weiter nach Süd.«

»Und weißt du, wer er war?«

»Armer Mann. Diebe ihm alles genommen. Wollen auch nach Maijeh, wo Asaker sind, und ihnen alles rauben. Darum Hahli hinüber und es ihnen sagen.«

»Sollst du ihnen denn auch sagen, daß der lange Mann dich sendet?«

»Nein, das verschweigen.«

»Aber sie werden dich doch fragen, wer dich schickt!«

»Dann Hahli sagen, daß er zufällig hinkommen, daß er gesehen drei Schiffe, er hören sprechen Diebe am Ufer und daß sie sagen, nach Maijeh gehen wollen.«

»Und was hat der Mann dir für einen Lohn gegeben?«

»Nichts. Er sagen, daß Asaker mir etwas geben. Vielleicht mir geben Mikajil1), dann Hahli sehr glücklich sein.«

»Trinkst du ihn so gern?«

»Oh, oh, ah, sehr!«

Er zog dabei ein Gesicht, welches trotz der Geschwulst vor Wonne glänzte.

»Ich habe auch Mikajil, echten, guten Mikajil. Willst du ihn einmal kosten?«

»Sehr, sehr, viel sehr!«

Schwarz hatte von dem Mudir von Faschodah mehrere Flaschen starken Araki geschenkt bekommen. Er goß ein großes Glas voll, führte den Neger an einen Ort, wo er nicht gestört werden konnte, gab ihm das Glas und sagte ihm, daß er ihm nun erlaube, alle Viertelstunden einen ganz, ganz kleinen Schluck zu nehmen. Dort ließ er ihn allein, überzeugt, daß der Schwarze von dem ihm ungewohnten und sehr starken Traubenbranntwein schnell einen tüchtigen Rausch bekommen und dann in tiefen Schlaf versinken werde.

»Dieser Besitzer der Filaria wird den Feldwebel heute nit warnen,« sagte Pfotenhauer, welcher zugehört und zugesehen hatte. »Er wird schlafen bis in den späten Tag hinein.«

»Das beabsichtigte ich,« antwortete Schwarz. »Ich wollte ihm nicht gern Zwang anthun und habe mit dem Araki das gleiche Ziel erreicht.«

»Also ist Abu el Mot da drüben in einem Dorf g'wesen Nun ist's klar, daß er oberhalb über den Fluß gehen und sich nach Ombula wenden wird. Vielleicht kommen wir dort noch vor ihm an!«

»Ich hoffe es. Zwar werden wir diese Nacht am Maijeh zubringen, aber Abu el Mot muß auch schlafen und kann nicht in der Dunkelheit seinen Weg fortsetzen.«

»Leider müssen wir zu Fuß hinauf. Das wird langsam gehen.«

»Aber doch schneller, als Abu el Mot laufen wird. Er ist, da er mit uns Schritt gehalten hat, von gestern an bis jetzt die ganze Nacht hindurch gegangen, was ungeheuer beschwerlich gewesen sein muß; eine zweite Nacht wird er es nicht versuchen, denn er muß sehr ermüdet sein. Wir aber sind frisch und munter und können also gut marschieren. Mehrere von uns können sich doch auch mit Hilfe der


1) Branntwein.


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Tiere, welche wir bei dem Feldwebel finden werden, beritten machen.«

»Wann überfallen wir diesen?«

»Nicht eher, als bis es dunkel geworden ist. Er darf uns natürlich nicht kommen sehen.«

»Gehen wir zu Fuß?«

»Nur den halben Weg. Wir rudern in den Booten über den See bis an den Eingang des Maijeh, den der 'Sohn des Geheimnisses' uns zeigen wird. Dann steigen wir aus, und der Onbaschi wird uns am Ufer des Maijeh hin nach dem Lager des Feldwebels führen. Sehen Sie sich einmal diesen Abaka-Neger an!«

Als der Graue in den Winkel blickte, sah er den Schwarzen mit geschlossenen Augen und verklärtem Gesichte lang hingestreckt dort liegen. Er hatte den Araki in einem einzigen Zuge hinuntergegossen, und der Rausch war nun viel schneller über ihn gekommen, als Schwarz gedacht hatte.

»Der schläft gut und bis morgen früh,« lachte der Graue. »Es ist g'wiß, daß er uns keinen Schaden thut.«

(Fortsetzung folgt.)

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