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9. Kapitel.

Die Schlacht am Dschebel Allah.

Der Einzug des 'Mir war vorüber. Nichts, aber auch gar nichts hatte ihn gestört, obwohl wir wenigstens auf sporadische Ausdrücke oder Ausbrüche der Unzufriedenheit oder des Hasses gefaßt gewesen waren. Wie sonderbar: Es war Revolution gewesen; man hatte den Herrscher ab- und einen andern eingesetzt, und doch fanden wir im Schlosse alles ganz genauso, wie wir es verlassen hatten. Die Ecke meines Teppichs war noch genauso umgebogen, und der Wassernapf meiner Hunde stand noch genau an derselben Stelle wie in dem Augenblicke, an dem ich fortgegangen war. Ganz dieselbe Beobachtung machte bei sich auch der 'Mir. Man hatte den Eindruck, als ob während unserer Abwesenheit ganz und gar nichts Unregelmäßiges oder Außerordentliches geschehen sei.

Freilich, so wie hier im Schlosse, so war es leider nicht auch außerhalb desselben. Hier hatte die Leibgarde dafür gesorgt, daß niemand gewagt hatte, Hand anzulegen. Glücklicherweise aber hatte es auch draußen einen gegeben, der mit kluger, verständiger Ein- und Voraussicht bemüht gewesen war, den Verwicklungen eine derartige Richtung zu geben, daß sie nur von kurzer Dauer waren und seine schwer zu lösenden Knoten hinterlassen hatten. Dieser Mann war der Oberpriester. Ihm hatte der 'Mir außerordentlich viel zu verdanken. Darum ernannte er ihn jetzt trotz seiner geistlichen Würde ebenso zum Oberkommandanten der Stadt, wie der > Panther < dasselbe mit dem Basch Islami getan hatte.

Dieser letztere war bis gestern abend der höchste Mann der Residenz gewesen; er hatte geglaubt, dies auch in Zukunft sein zu können, denn er betrachtete den > Panther < nur als Marionette; nun aber war er in einen tiefen Keller des Schlosses eingesperrt und wurde heraufgeholt, um vernommen zu werden. Man hatte ihn mitten aus seiner Familie geholt und alle seine Fragen unbeantwortet gelassen. So war er also ohne alle Ahnung davon, daß die Ausführung seiner Pläne eine für ihn so unheilvolle Wendung genommen hatte. Es war der Wunsch des 'Mir, daß ich bei dieser Unterredung zugegen sei und daß womöglich Halef das Wort zu führen habe. Er hatte Wohlgefallen an der Art und Weise gefunden, in welcher der kleine Hadschi Personen, die er nicht liebte, abzufertigen pflegte, und er meinte, daß grad dem Basch Islami eine solche Abfertigung sehr wohl zu gönnen sei. Darauf war Halef nun ungeheuer stolz.

Der Basch Nasrani war nicht anwesend. Er hatte es in wohlberechtigtem Zartgefühle abgelehnt, als > oberster Christ < des Landes bei der Demütigung des > obersten Mohammedaners < zugegen zu sein. Aber Abd el Fadl hatte teilzunehmen und ebenso auch der von dem > Panther < vom Major zum Oberst beförderte Offizier, der aber einstweilen in einem Nebengemach zu warten hatte.

Der Verschwörer wurde von zwei riesigen Ussul hereingebracht, die sich aber nicht entfernten, sondern ihm zur Rechten und zur Linken stehen blieben. Er kam hocherhobenen Hauptes und mit einer Miene, der man es sofort ansah, daß er stolz aufbegehren und Rechenschaft fordern wolle. Das währte aber nur einen Augenblick, denn sobald er uns sah, stutzte er erst wie über etwas ganz Unglaubliches und sank dann in sich selbst zusammen, als ob er plötzlich ein ganz anderer geworden sei. Sein Schreck mußte ein außerordentlich großer sein, denn er sah wie mit einem Schlage aus, als ob er in dieser halben Minute um Jahrzehnte älter geworden sei und gar kein Rückgrad, keine Körperstütze mehr habe. Seine Augen erschienen tiefer liegend und seine Wangen eingefallen. Er griff, nach einem Halte suchend, mit den Händen um sich und bog das Knie, um sich im Gefühle der ihn überkommenden Schwäche auf den Boden niederzusetzen, wurde aber von den beiden schnell zugreifenden Wächtern gezwungen, stehen zu bleiben. Ich habe ihn als fanatisch und bigott, im Grunde aber auch wohlwollend und gerecht geschildert. Diese beiden letzteren Eigenschaften waren es ja gewesen, die mich bestimmten, auf den 'Mir derart zu wirken, daß er ihn entkommen ließ. Übrigens mußte ihm als einem gerechtsinnigen Manne seine gegenwärtige Lage doppelt peinlich erscheinen.

(Seite 292B) Und nun muß ich zur Ehre meines kleinen Halef berichten, daß seine Vorsätze, diesen Mann möglichst rücksichtslos zu quälen, ebenso schnell in ihm zusammenbrachen, wie er ihn selbst zusammenbrechen sah. Er schüttelte den Kopf und rief aus:

" Allah beschütze mich vor dem Unglück, einmal eine solche Jammergestalt zu bilden wie dieser oberste aller Schächer und Sünder in Ardistan! Ich wollte ihn demütigen; er tut es aber selbst! Ich wollte mich an seinen Qualen weiden, wen aber kann der Anblick solcher Kraftlosigkeit ergötzen! Ich wollte ihn mit Beweisen niederschmettern; er zittert aber schon ohne Beweis an allen Gliedern! Darum bitte ich um die Erlaubnis, es mit ihm möglichst kurz machen zu dürfen. Es ist weder für Euch noch für mich ein Ruhm, mit allen unsern vereinten Kräften einen Menschen niederschlagen zu wollen, der vor lauter Angst von selbst zusammenbricht! Ich denke, es genügt ein kleiner Stoß, so fällt er vollends um, und diesen Stoß will ich ihm hiermit geben. "

Er nahm den Brief des > Panther <, der vor dem 'Mir auf dem Tische lag, reichte ihn dem Basch Islami zu und sagte:

" Komm her und lies! "

Der oberste der Muselmänner kam langsamen Schrittes heran, nahm das Schreiben, öffnete es und begann zu lesen. Seine Augen wurden größer und größer; das Blut wich aus seinem Gesicht; er trat einen Schritt zurück und wankte, wankte sichtlich vor unsern Augen, als ob er umfallen wolle. Aber er wankte nicht allein, sondern wir wankten auch; wir wankten mit. Der Boden bewegte sich unter unsern Füßen. Ein zitterndes Rollen ging durch das Schloß, ging auch durch unsere Körper. Wir fühlten es bis an die Spitzen unserer Finger. Ein sonderbarer, leiser, aber äußerst beängstigender Ton, der wie ein ferner, fauchender Windstoß klang, fuhr durch alle Mauern.

" Ein Erdbeben! " rief der 'Mir, indem er von seinem Sitze aufsprang.

" Ein Erdbeben! Allah beschütze uns! " stimmte Halef bei und griff nach meinem Arme.

Grad in diesem Augenblick wurde von draußen der Türvorhang zurückgeschlagen, und wir sahen den Schech el Beled von El Hadd, der, in der geöffneten Tür stehen bleibend, wie ein Bild von Meisterhand in klar hervorhebendem Rahmen erschien. Sein Gesicht war verhüllt; auch sprach und grüßte er nicht; aber er gab uns allen, die wir ihn sahen, mit der Hand ein Zeichen, so zu tun, als ob er nicht vorhanden sei. Nur einer sah ihn nicht, nämlich der Basch Islami, der mit dem Rücken nach der Türe stand. Er hatte die Hände halb erhoben, wie einer, der auf das tiefste erschrocken ist, und rief grad in dem Augenblicke, an dem der Schech el Beled uns winkte:

" Einer! "

Was er mit diesem Worte sagen wollte, wußten wir nicht. Er stand mit erhobenen Händen und seitwärts geneigtem Kopfe, als ob er lausche. Auf was? Wir horchten unwillkürlich mit. Da war es plötzlich, als ob wir auf Wasser ständen, welches sich leise fließend von der einen Seite nach der andern bewegte. Wir faßten uns an, um uns aneinander zu halten. Da war es, als ob wir uns auf einem nicht federnden Leiterwagen befänden, der, von galoppierenden Pferden gezogen, über schlechte, ungepflegte Wege rattert, aber nur für einen Augenblick. Hätte es länger gedauert, so wären wir verloren gewesen; es wäre alles eingestürzt.

" Zwei! " rief der Basch Islami mit dem Ausdrucke des Entsetzens.

Er sank auf das Knie nieder, behielt aber seine lauschende Haltung bei. Es kam ein spitziges Zischen und Knirschen von weitem her und ging unter uns hin und vorüber, worauf wir das Gefühl hatten, als ob die Erde einen tiefen, tiefen Atemzug der Erleichterung und Befreiung tue, der aber uns alle fast zu Boden warf. Nur der Schech el Beled stand fest und unbewegt, als ob ein Zittern und Beben der Erde ihm etwas ganz Gewöhnliches sei.

" Drei Stöße! " rief der Basch Islami, indem er wieder aufsprang. " Nun ist die Gefahr vorüber, die kleine, die kleine! Aber noch nicht die große, die große, die noch niemand sieht, die nur von denen vorausgesehen wird, die es wissen! Seit (Seite 293A) drei Monden sprühen die Vulkane von Dschinnistan; seit drei Monden schmelzen die Firnen und Gletscher zu Tal, und nach diesen drei Monden geht ein dreimaliges Beben durch die Erde, um die Menschen vorzubereiten auf das, was kommen soll! Das ist die Sage, die Sage! Vom zurückgekehrten Flusse! Von dem nach je hundert Jahren sich öffnenden Paradiese! Von der Frage des Erzengels, ob endlich Friede sei! Von dem Erscheinen der Engel unter den Menschen! Von der Wiederkehr des Flusses! Und von der abermaligen Ankunft Gottes in Ardistan und Ard! "

Seine Wangen hatten sich gerötet, und seine Augen funkelten. War das ein irrer oder war es ein begeisterter Blick, mit dem er uns jetzt betrachtete, einen nach dem andern?

" Ihr wißt nicht, was ich weiß, " fuhr er fort. " Ihr, die ich für vernichtet hielt seid gerettet, seid hier versammelt, um über mich zu richten. Ich bin in Eurer Hand, aber nicht etwa durch Eure Macht, sondern durch eine höhere, der ich zu gehorchen habe. Ich bin bereit, mich ihr zu fügen und für das, was ich tat, zu sterben; aber ich bitte Euch, mir Auskunft zu geben über das, was ich Euch frage. Ihr waret in der > Stadt der Toten <. Ist der Fluß noch trocken dort? "

" Nein, " antwortete der 'Mir. " Er hat Wasser bekommen, viel Wasser. Er fließt bereits! "

" Da Ihr aus dem Kanal entkommen seid, müßt Ihr die Türen kennen. Waret Ihr vielleicht am Maha-Lama-See? "

" Ja. "

" Wohl gar auch in der > Dschemmah der Toten und der Lebenden

Der Oberste der Moslemin schwieg eine Weile. Er schaute wie verzweifelt zur Erde und bewegte seine Hände, als ob ein innerer Drang ihn zwingen wolle, sie zu ringen. Dann wendete er sich an Abd el Fadl, der jetzt den blauen Anzug seiner Lanzenreiter trug. Er war ebenso wie Merhameh gleich am Morgen unsers Fortzugs aus der > Stadt der Toten < in dieser Kleidung erschienen, welche die Augen des Basch Islami ganz besonders auf sich zu ziehen schien. Dieser fragte ihn:

" Du bist Abd el Fadl, der mit seiner Tochter Merhameh im Weihnachtsgottesdienste der Christen die Stimme der > Güte < und der > Barmherzigkeit < erhoben hat? "

" Ja, " antwortete der Gefragte.

" Und bist etwa der Fürst von Halihm? "

" Der bin ich. "

" Allah, Allah! Welch ein Verhängnis! Wer hätte das geahnt! Ihr habt gesehen, daß ich erschrak, als ich hier diesen Raum betrat. Ich erschrak über Euch, die ich für tot hielt. Noch mehr aber erschrak ich über den Anzug von Halihm, den ich erblickte, weil er mich sofort das ganze Schicksal ahnen ließ, dem wir, die > mit dem Schwerte Widerstrebenden <, wie unser Islam sagte, verfallen sind. Ich bitte Dich, mir zu sagen: Sind etwa Deine Lanzenreiter hier? "

" Sie sind hier. Der 'Mir von Ardistan ist mit ihnen eingezogen, beim Klange der Glocken, vom Jubel seines Volkes begrüßt. "

" Maschallah! Sind etwa auch die Ussul und die Tschoban schon gerettet? Das ganze Heer des Dschirbani? "

" Ja. "

" So wehe uns! Dann brauchen nur noch die Lanzenreiter von El Hadd und Dschinnistan zu erscheinen, so - - - "

Er wurde unterbrochen:

" Sie sind da! " klang es von der Türe her.

Er drehte sich um. Er sah den Schech. Die Wirkung war eine außerordentliche. Einen lauten, fast überlauten Schrei ausstoßend, retirierte er nach der Wand, lehnte sich dort an und rief:

" Das ist der > Schwur von Dschinnistan <, der > Schwur von Dschinnistan <, dem niemand widersteht! Wer bist Du, der Du Dich verhüllst? Bist Du der Schech el Beled von El Hadd? Bist Du der 'Mir von Dschinnistan? Oder bist Du beides? Wo hast Du Deine Scharen? "

" Meine Scharen sind überall da, wo Hilfe nötig ist, " erklang es aus dem Munde des Schech el Beled, indem er aus der Türeinfassung langsam herein in das Zimmer trat. " Heut (Seite 293B) sind sie bei dem, den Du verrietest. Morgen werden sie sich an die Krallen des > Panther < heften und ihn jagen, bis er zusammenbricht. "

" So ist er verloren! " rief der Basch Islami. " Und er hatte sich doch grad auf den 'Mir von Dschinnistan verlassen! "

" Auf diesen? Welch ein Wahnsinn! Wie konnte er das wagen? "

" Der 'Mir von Ardistan hatte dem 'Mir von Dschinnistan den Krieg erklärt, und dieser schickte sofort seine Scharen über die Grenze. Das konnte doch nur gegen den 'Mir von Ardistan sein, und so hofften wir, in dem Beherrscher von Dschinnistan einen Verbündeten zu finden. "

" Und war er Euch nicht zu Willen, was dann? "

" Dann war es unser Plan, ihn als Feind zu betrachten und einfach niederzuschlagen. "

" Als Feind zu betrachten! Niederzuschlagen! Ihn! "

Es war ein ganz eigenartiger, lachender und doch auch klagender Ton, in dem der Schech el Beled dies sagte. Dann fuhr er fort:

" Ihr Toren! Weil Ihr so schwach und kurzsichtig seid, auf Feindschaft mit Feindschaft zu antworten, glaubt Ihr, der 'Mir von Dschinnistan müsse ebenso tun. Ich sage Euch: Seine Gedanken sind nicht Eure Gedanken, und seine Wege sind nicht Eure Wege! Seine Siege nahen sich Euch auf den Flügeln der Liebe, nicht auf den Flatterhäuten des Hasses und der Gewalt. Er sandte seine Scharen über die Grenze, den Feind zu beschützen, nicht aber, ihn zu vernichten. Er will nicht durch die Niederlage, sondern durch den Sieg des Gegners siegen. Das lernt von ihm, Ihr, die Ihr darnach trachtet, nicht mehr Gewaltmenschen, sondern Edelmenschen zu sein! Nur die Niedrigkeit, die Roheit unterliegt, das Tier im Menschen, die Bestie, der > Panther <, der gegen seinen eigenen Bruder wütet und stündlich auf der Lauer liegt, seine Wohltäter zu zerfleischen! "

" Wie richtig, wie richtig! " stimmte der Basch Islami bei. " Er ist der Feind seines eigenen Bruders und seines eigenen Vaters! Er umschlich den 'Mir von Ardistan, der ihm nur Liebe erwies, und sprang dann auf ihn ein, ihn zu zerfleischen. Und ebenso umschlich er mich. Er versprach, mein Kind zur Herrscherin zu machen, und wir glaubten ihm. Seine Absicht aber ging auf die Prinzessin von Halihm. Uns hätte er später fallen und verschwinden lassen, wie der 'Mir in der > Stadt der Toten < verschwinden sollte! Ich sage mich von ihm los, vollständig los! "

" Glaubst Du, dadurch Deiner Strafe zu entgehen? " fragte der Schech el Beled.

" Nein. Daran dachte ich nicht. Ich bin empört über seinen Verrat und seine Schurkerei, und ich sage nur das, was diese Empörung mir diktiert. Eine Berechnung ist nicht dabei. Ich bin Euer Gefangener, und ich kenne das Schicksal, welches meiner wartet. Einmal hat mich der 'Mir entkommen lassen; zum zweiten Male wird er das nicht wieder tun, denn ich habe es ihm schlecht gelohnt. Aber ich spreche trotzdem eine Bitte aus, nicht um meinet-, sondern um Euretwillen. Sie mag wahnsinnig klingen, ist aber ebenso wohlbedacht wie wohlbegründet. "

" Sprich sie aus! " forderte der 'Mir ihn auf.

" Ich bin der Oberste der mohammedanischen Geistlichkeit, also das, was man in andern Ländern den > Scheik ul Islam < nennt. Was ich befehle und was ich tue, hat Gültigkeit für alle, die unter mir stehen. Ich habe den Aufstand gegen den Herrscher anbefohlen; ich kann ihn ebenso auch wieder abbefehlen, und ich bin gewillt, dies sofort zu tun. Gebt mir Feder und Papier zu den Verordnungen für meine Oberbeamten, die sie augenblicklich weiter verbreiten werden! Und laßt mein Siegel holen, durch welches diese Dokumente Gültigkeit erlangen! Wollt Ihr das? "

" Das, was Du forderst, ist nur zu billigen, " antwortete der 'Mir. " Aber nach den hiesigen Gesetzen gilt das, was nur geschrieben steht, trotz aller Siegel nichts, wenn Du es nicht öffentlich, persönlich und mündlich in der ersten Moschee des Landes verkündest und bestätigest. Und diese liegt hier in Ard. "

" Das ist es ja, was ich bitten möchte. Und das meinte ich, als ich sagte, daß diese Bitte wahnsinnig klinge. Laßt die (Seite 294A) Gebetsbretter läuten; ruft die Gläubigen nach der Moschee und führt mich dann hinein, damit ich zu ihnen spreche und es allen Moslemin sage, daß der > Panther < ein Betrüger und Verräter und der bisherige 'Mir der wahre, von Allah gewollte Herrscher sei! Aber ich weiß, daß ich diesen Wunsch vergeblich ausspreche. Ihr könnt ihn mir nicht gewähren. "

" Du bist Gefangener und müßtest, falls er Dir gewährt würde, dabei Gefangener bleiben, " sagte der Schech el Beled.

" Ich bin bereit. Schafft mich in meinen Kerker zurück und laßt mich dort die Verordnungen schreiben. Und führt mich dann mit gefesselten Händen in die Moschee und auf die Kanzel. Ich werde sagen, was ich zu sagen habe, und dann in das Gefängnis zurückkehren, ohne mich zu weigern! "

" Was sagst Du dazu? " fragte der Schech den 'Mir. " Wie wirst Du hierüber entscheiden? "

Dieser stand am Fenster und schaute hinaus nach Westen. Er antwortete nicht gleich, sondern erst nach einer Weile, indem er mit der Hand in diese Richtung deutete:

" Dort führt der Weg nach der > Stadt der Toten <. Ich denke jetzt an sie und an alles, was ich dort versprach. Ich halte Wort; ja, ich halte Wort! "

Er drehte sich zu dem Basch Islami herum und sprach weiter:

" Du sollst nicht gefangen sein, sondern frei, vollständig frei, bis heute abend. Du sollst nicht im Kerker schreiben, sondern daheim in Deinem Hause, bei Deinem Kinde, welches so arg betrogen worden ist. Und Du sollst an der Spitze Deiner Geistlichkeit als freier Mann nach der Moschee ziehen und zu den Gläubigen sprechen können. Die Würde Deines Amtes verlangt das so. Kein Mensch, keine Polizei, kein Wächter soll Dich dabei beaufsichtigen. Aber genau drei Stunden vor Mitternacht kommst Du wieder hierher zurück, um Dich bei mir zu melden und in Dein Gefängnis zurückzukehren. Du kannst gehen! "

Da trat der Schech el Beled mit einigen raschen Schritten auf ihn zu, ergriff seine Hand und sagte:

" Das, das hatte ich erwartet. Ich danke Dir! Und noch viele, viele andere werden es Dir danken! "

Der Basch Islami stand still und bewegungslos, als sei er starr, so überrascht war er. Dann - - - ging er nicht, nein, sondern er schoß oder flog förmlich hin zu ihm, kniete vor ihm nieder, küßte seine beiden Hände und rief begeistert aus:

" Handulillah, Handulillah! Preis sei Allah, der mir jetzt plötzlich die Augen öffnet und mich erkennen läßt, wie blind ich bisher war! Ich sehe heut zum ersten Male, wer, was und wie Du bist. Ich klage nicht mehr Dich an, sondern mich und uns, uns alle. Wir waren Sklaven, Sklaven unserer Irrtümer und angelernten Vorurteile; Du aber bist ein Herrscher, den nur Untertanen, die freie Männer, keine Knechte sind, befriedigen und beglücken können. Darum hast Du uns verachtet. Ich nehme Deine Güte und Deine Gnade an und gehe jetzt, um in Deinem Sinne und für Dein Wohl zu handeln und dann in die Gefangenschaft zurückzukehren. Ich würde die Aufgabe, welche ich mir für heut stelle, besser lösen können, wenn ich wüßte, was in der > Stadt der Toten <, solange Ihr Euch dort befandet, geschehen ist. Das darf ich aber wohl nicht erfahren? "

" Wir haben nichts zu verschweigen, " antwortete der 'Mir. " Der Dschirbani, welcher spätestens morgen hier eintreffen wird, hat bei seinem Wegzuge von dort den Maha-Lama-See wieder verschlossen und in der Zitadelle eine Besatzung zurückgelassen. Der treue Zisternenwärter wurde einstweilen zum Flußmeister ernannt; er hat regelmäßig über den Stand des Wassers zu berichten. Was Du über dort wissen willst, kann Dir ein jeder sagen, der mit uns anwesend war. Am besten aber könnte Dich unser Hadschi Halef Omar unterrichten, der Scheik der Haddedihn, der Zeuge von allem gewesen ist, was geschah. Ich hoffe, er nimmt es an, wenn Du ihn einladest, Dein Gast zu sein und mit Dir zu gehen, um Dich zu unterweisen. Und noch einen Zweiten gibt es, der imstande ist, Deine Fragen zu beantworten. Du kennst ihn schon. Hier hast Du ihn, nimm ihn mit! "

Er ging zur Türe des Nebenzimmers, schob den Vorhang zurück und winkte dem Oberst, einzutreten. Der Basch Islami (Seite 294B) kannte diesen allerdings, und zwar sehr gut. Aber er wurde keineswegs verlegen, sondern es war ihm im Gegenteile sehr lieb, grad diesen früheren Vertrauen des > Panther < als Gewährsmann zugewiesen zu erhalten. Der 'Mir bewies durch die Auswahl dieses Offiziers und Hadschi Halefs seine Begabung zum Diplomaten. Niemand konnte so geeignet wie diese beiden sein, im Sinne des 'Mir auf den Basch Islami einzuwirken, und besonders Halef freute sich darüber, daß die Wahl auf ihn gefallen war.

" Ja, ich gehe mit, " sagte er; " sehr gern gehe ich mit. Ich werde ihm Bericht erstatten. Vorher aber muß ich nach meinem Pferde sehen. Heut abend komme ich wieder mit. "

Die drei entfernten sich.

(Seite 295A) Als wir uns unterwegs von dem Schech el Beled und seinen Reitern trennten, hatten wir mit ihm ausgemacht, daß wir genauso wie er heut, drei Stunden nach Mittag, in die Stadt einziehen würden, um am Schlosse, also in der Mitte derselben, mit ihm zusammenzutreffen. Wir hatten ja nicht gewußt, daß man auf uns wartete und uns veranlassen werde, das, was wir erst am Nachmittag tun wollten, schon am frühen Morgen zu tun. So wunderte sich der 'Mir, daß der Schech schon jetzt erschien. Er hatte jetzt schnell nur das Allernötigste zu erledigen und ihm dann mit uns entgegenreiten wollen, um ihn hereinzuholen. Abd el Fadl aber und ich, wir beide wunderten uns nicht. Abd el Fadl wußte zwar mehr, viel mehr als ich, der ich nur ahnte, aber soviel bemerkte ich doch, daß der alles wissende und alles könnende Schech el Beled auch hier der Vorausbestimmende gewesen war und den Plan des Basch Nasrani wenn nicht entworfen, so doch aber ganz gewiß gekannt und befördert hatte. Er teilte uns mit, daß er den ersten Teil seiner Aufgabe ausgeführt und den >Panther< von der Stadt vollständig abgeschnitten habe. Es sei eine zusammenhängende Postenkette vom Bette des ausgetrockneten Stromes im Westen bis an das östliche Hochland gezogen worden, so daß eine jede vom Feinde kommende oder etwa an ihn gerichtete Botschaft in unsere Hände geraten müsse. Er hatte schon während der Nacht und auch noch am Morgen eine ganze Menge von Personen festgenommen, welche auf die Nachricht von der plötzlichen Gegenrevolution und daß der gerettete 'Mir heute früh zurückkehren werde, die Stadt eiligst verlassen hatten, um sich zu dem >Panther< in Sicherheit zu bringen. Das waren natürlich alles Leute von bösem Gewissen, die man peinlich zu befragen hatte, um ihre noch zurückgebliebenen Komplizen zu erfahren. Denn da die Hauptstadt der Mittelpunkt unserer Operationsbasis war, galt es vor allen Dingen, sie von allen zweifelhaften Charakteren zu säubern, und es wurde beschlossen, diese Leute alle nach der >Stadt der Toten< zu transportieren und dort in der Zitadelle zu isolieren und bewachen zu lassen.

Es stellte sich hierbei heraus, daß unser jetziger Aufenthalt in Ard unmöglich von so kurzer Dauer sein konnte, wie wir uns vorgenommen hatten. Es wäre der unverantwortlichste Leichtsinn gewesen, nur einen Tag zu bleiben und uns bei unserem Weiterritt auf völlig ungeordnete Zustände stützen zu wollen. Darum wurde beschlossen, daß der Vormarsch nach Norden zwar schon morgen beginnen solle, aber einstweilen nur von seiten der Reiter von El Hadd und Halihm. Die Ussul und Tschoban sollten erst übermorgen folgen, weil ihnen ein Rasttag in der Stadt zu gönnen war. Der 'Mir aber entschloß sich, noch einige Tage länger zu bleiben und dafür zu sorgen, daß die Verwaltung von Stadt und Land für die Zeit seiner Abwesenheit in treue und zuverlässige Hände kam.

Damit, daß das Heer der Ussul und Tschoban einen Tag (Seite 295B) in der Stadt liegen bleiben sollte, verfolgten wir nebenbei auch den Zweck, der Bevölkerung zu imponieren und unsern alten, lieben Basch Nasrani als Stadtkommandanten in Respekt zu setzen. Aus ganz demselben Grunde hielten die Scharen von El Hadd am Nachmittage nachträglich ihren Einzug in die Stadt, obgleich es weder strategisch noch taktisch mehr als nötig erschien. Die prächtigen, hellen und doch so ernst blickenden Gestalten der Lanzenreiter verfehlten nicht, den von uns beabsichtigten Eindruck auf die Bewohnerschaft zu machen, und als sie am andern Morgen fort waren und sich dafür die Ussul und Tschoban einstellten, die mehr durch ihre materielle Wucht und Schwere wirkten, konnten wir überzeugt sein, daß der 'Mir, für den das alles geschah, jetzt nun genug in Achtung stand.

Was den Basch Islami betrifft, so schien er völlig umgewandelt zu sein. Ich hatte mich nicht in ihm geirrt: er war im Grunde genommen ein gerecht denkender Mann, und nun er eingesehen hatte, was für eine tiefe Wandlung mit dem Herrscher vorgegangen war, trat er jetzt in derselben Weise für ihn ein, wie er sich vorher ihm feindlich erwiesen hatte. Wir lasen seine Verordnungen. Sie waren sehr ernstlich gemeint und flogen in die Hände der gesamten mohammedanischen Geistlichkeit des Landes. Und ich selbst ging in die Moschee, um seine Rede zu hören. Ich stellte mich so, daß er mich nicht sehen konnte. Er kam an der Spitze des ganzen Imamates der Stadt gezogen. Die Moschee war so voller Menschen, daß man kaum einen Zoll breit des steinernen Fußbodens zu sehen bekam. Halef hatte wieder einmal gewirkt, und zwar in ganz vorzüglicher Weise. Unser begeisterter Basch Nasrani hätte nicht besser für den 'Mir sprechen können, als der Basch Islami jetzt für ihn sprach, und als die Feierlichkeit zu Ende war, strömten alle diese Moslemin aus der Moschee in die Straßen und Gassen der Stadt hinaus, um das Lob des zurückgekehrten Herrschers zu verkünden.

Am Abende stellte sich der hohe, geistliche Würdenträger des Islam zur angegebenen Stunde mit seinen beiden Begleitern wieder bei dem 'Mir ein und erklärte sich bereit, in sein Gefängnis zurückzukehren. Der 'Mir nickte ihm lächelnd zu und sagte:

"Von jetzt an bist Du nur noch mein persönlicher Gefangener; für andere aber bist Du frei. Du wirst mich in das Feld und in die Schlacht begleiten, damit ich Deines Rates nicht entbehre, so oft ich seiner bedarf. So wirst Du an mich gebunden sein, bis Du mir beweisen kannst, daß ich dieses Deines Rates weder wert noch würdig bin. Dann gebe ich Dich frei. Geh heim in Allahs Namen, und sprich morgen früh wieder vor bei mir. Du sollst mir helfen, die vom >Panther< Verführten zum Gesetz und zur Ordnung zurückzubringen."

Ich unterlasse es, die Wirkung zu beschreiben, welche dieser (Seite 296A) unerwartete Bescheid auf den, dem er galt, machte. Der Basch Islami war für immer zurückgewonnen.

Als der Dschirbani mit seinen Ussul und Tschoban angekommen war und militärfestlichen Einzug gehalten hatte, wohnte er als Gast des 'Mir im Schlosse, er, der ausgezogen war, ihn zu besiegen. Er kannte Ard noch nicht. Darum wurde ein Ritt durch die Stadt unternommen, der sich beinahe zu einem Triumphzug gestaltet hätte, wenn wir der Begeisterung, wo sie groß werden wollte, nicht fleißig ausgewichen wären. Am Abend gab es eine fürstliche Tafel, zu der alle hervorragenden Ussul, Tschoban und Ardistaner, die diesen Vorzug verdient hatten, geladen waren.

Dann besuchte mich der Dschirbani, ehe er schlafen ging, noch auf ein halbes Stündchen in meiner Stube. Wir rekapitulierten die Ereignisse, wobei ganz selbstverständlich der >Stadt der Toten< ganz besonders zu gedenken war.

"In der letzten Nacht am Maha-Lama-See hatte ich einen eigentümlichen Traum" sagte er. "Oder war es kein Traum, sondern eine Vision? Ich weiß es nicht. Ich sah nämlich meine Mutter."

"Wo?" fragte ich.

"Im Mondesstrahl."

"Im Mondesstrahl? Also draußen, auf dem freien Platze? Ich denke, Du hast geschlafen und geträumt!"

"Nicht draußen, sondern in meinem Zimmer. Du kennst die schmalen, spaltenförmigen Fenster in den Mauern. Ihre Öffnungen fallen nach innen abwärts. Der Mond stand am Himmel; nicht voll, sondern nur ein Viertel seiner Gestalt. Aber dieses Viertel leuchtete hell. Es sandte zwei seiner klarsten Strahlen durch die beiden Fensterscharten. Sie fielen mir grad in das Gesicht. Sie hatten mich aus dem Schlaf geweckt. Schon wollte ich mich umdrehen, um ihnen auszuweichen, da spürte ich einen feinen, köstlichen Duft, der mich wie ein Gruß aus glücklicher Zeit berührte. Ich kannte ihn. Es ist der Blütenduft der wohlriechenden Ssafßahf, der Lieblingswohlgeruch meiner verstorbenen Mutter. Indem ich an sie dachte, stand sie vor mir, ganz plötzlich, mit einem Male, mitten zwischen den beiden Strahlen, also nicht hell, sondern so seltsam und so geheimnisvoll beschienen, wie die Seelen der Entschlafenen, wenn sie dem Grabe entsteigen, um das, was sie im irdischen Dunkel glaubten, im himmlischen Licht in Erfüllung gehen zu sehen.

(Seite 296B) >Mein Sohn, mein Sohn, mein lieber, lieber Sohn!< flüsterte es zwischen den Mondesstrahlen. Dann war sie weg, verschwunden. Aber einige Augenblicke später fühlte ich zwei Lippen. Sie beugte sich zu mir herab. Sie küßte mich, erst auf die Stirn, dann auf den Mund.

>Mutter, meine Mutter!< rief ich aus, indem ich mich aufrichtete, um nach ihr zu greifen und sie festzuhalten. Aber ich griff in die Luft, in das Nichts. Ein Schrei, ein unterdrückter, kaum hörbarer Schrei erklang. Es huschte etwas quer durch die beiden Mondesstrahlen. Mir war, als vernehme ich leise, ganz leise Schritte, die sich schnell entfernten. Dann war der Traum vorüber und - - - ich schlief weiter."

"War das auch Traum, als Du riefst?" fragte ich.

"Nein. Das war Wirklichkeit," antwortete er.

"Wie war sie gekleidet?"

"Weiß, nur weiß."

"Stand Dein Zimmer offen?"

"Ja. Ich hatte den Stein nicht zugeschoben, um den Weckruf früh nicht zu überhören. Noch nie habe ich einen solchen Traum gehabt, der so deutlich war, daß mich früh, als ich erwachte, dünkte, als ob der süße Duft der Weidenblüte mein Lager noch immer umschwebe. Ich frage mich sogar, ob es nicht vielleicht kein Traum, sondern ein wirkliches Gesicht gewesen ist."

Ob Wirklichkeit oder Traum, das hätte ich ihm wohl sagen können, doch hütete ich mich, dies zu tun. Nachdem sie ihn verlassen hatte, war sie von ihrem Weg bei mir vorübergeführt und von mir gesehen worden. Die Sehnsucht, ihren Sohn nur ein einziges Mal berühren zu dürfen, war größer gewesen als die Vorsicht, zu der sie auf alle Fälle verpflichtet worden war. Wo befand sie sich jetzt? War sie dort geblieben? Diese Frage wollte sich mir aufdrängen; ich wies sie aber von mir ab, da ich keine Berechtigung und auch keinen triftigen Grund besaß, mich mit ihr zu beschäftigen oder etwa gar sie lösen zu wollen. Mein Schweigen fiel mir nicht schwer, denn er brach von diesem Thema ab und ging auf andere Gegenstände über. Einer der Hauptpunkte, die er erwähnte, waren die Relais, ich möchte sogar sagen Postrelais, welche er vom Lande der Ussul bis nach Ard gelegt hatte. Sie standen in der Entfernung von je zwei Reitstunden auseinander und ermöglichten mit der Heimat eine Verbindung, welche den Verhältnissen angemessen als eine sehr schnelle und sichere bezeichnet werden konnte. Es verstand sich ganz von selbst, daß diese Verbindung von Ard auch nordwärts, (Seite 297A) je nachdem wir weiter vorrückten, herzustellen war. -

Am nächsten Tage zog der Dschirbani mit seinen Truppen ab, um in die Mitte der Aufstellung einzurücken. Der 'Mir blieb noch drei Tage, und wir mit ihm nämlich, Halef und ich; er wünschte nicht, sich von uns zu trennen. Uns war das recht. Da in seinen Händen alle Fäden zusammenliefen, wurden wir bei ihm am allerbesten auf dem Laufenden erhalten.

Während dieser drei Tage ging zweimal wichtige Nachricht von dem Heere ein. Das eine Mal meldete der Dschirbani und das andere Mal der Schech el Beled, daß ein Bote aufgegriffen worden sei, den der >Panther< an den Basch Islami nach Ard geschickt habe. Natürlich wurden uns diese beiden Boten zugeführt und von dem 'Mir noch einmal ganz besonders vernommen. Der erste hatte zu berichten, daß der >Panther< glücklich bei seinem Heere eingetroffen sei und die Operationen sofort beginnen werde. Er befinde sich noch in der gut bebauten Provinz Schimalistan, wo ihm die Unterhaltung seiner Truppen keine Sorge bereite. Später aber, wenn er über diese hinaus und in das hochliegende, ganz entwässerte und also kaum Gras produzierende Bergland eingedrungen sei, müsse er sich auf die Pünktlichkeit der Lieferungen verlassen, die er mit dem Basch Islami vereinbart habe. Der zweite Bote sollte dem letzteren sagen, es sei durch Kundschafter festgestellt, daß der 'Mir von Dschinnistan mit seinen schwarz gepanzerten Scharen schon bis über den Dschebel Allah herabgekommen sei und sich nicht mit ihm, dem >Panther<, verbinden wolle, sondern dem alten 'Mir von Ardistan zu Hilfe eile. Aber das schade nichts, sei vielmehr vorteilhaft für das neue Regiment, welches sich durch einen schnellen und energischen Sieg über Dschinnistan das Vertrauen und die Dankbarkeit von ganz Ardistan wie im Nu erringen werde. Der 'Mir von Dschinnistan scheine lächerlicherweise nur Kavallerie zu haben, und zwar die leichteste, die man sich denken könne. Ardistan suche ganz im Gegenteile hiervon seine Überlegenheit in den schweren Truppen, besonders in der Artillerie, die man nur aufzustellen brauche, um sich die windigen Reiter von Dschinnistan vom Leibe zu halten und sie einfach niederzuknallen. Man werde den Feind sofort bis an den Fuß des Dschebel zurücktreiben und ihn dort vollständig vernichten.

Auf diese Nachricht hin erkundigte ich mich bei dem 'Mir nach diesem wichtigen Berge, von dem ich bei Marah Durimeh gelesen hatte, ohne aber nähere Details zu erfahren. Er antwortete:

"Der Dschebel Allah ist der südlichste der Vulkane von Dschinnistan, gehört aber nur geologisch, nicht auch politisch zu ihnen, denn er liegt nicht in Dschinnistan, sondern an der Grenze zwischen El Hadd und Ardistan. Er hat seit Menschengedenken keinen Ausbruch mehr gehabt; in diesem Jahre aber erglüht auch er, doch nur in friedlichem Lichte. Er leuchtet in drei Flammen, die ein ruhiges, intensives Licht, aber keine Spur von Rauch oder Asche geben. Er war in früherer Zeit, als der Hauptstrom unseres Landes noch Wasser hatte, bis zu seiner Mitte bewaldet und weiter oben mit grünen Matten und Weiden geschmückt. Jetzt aber ist er kahl, wie das ganze Land umher. Er bildet eine einzige, mächtige, kompakte Felsenmasse, die aber da, wo früher der Wald aufhörte, sich in drei hochaufragende Kuppen teilt, von denen jede auf ihrer Zinne einen Krater trägt, der im jetzigen Jahre leuchtet. Man nennt diese drei Kuppen den Vater, die Mutter und den Sohn. Der Sohn ist der Mittlere; er steht zwischen den beiden andern. Ein breiter Weg führt hinauf. Da oben, wo der Berg sich teilt, teilt sich auch dieser Weg. Er bildet einen rechten und einen linken Pfad. Der erstere führt zwischen dem Vater und dem Sohne und der andere zwischen der Mutter und dem Sohne hindurch. Hinter dem Sohne vereinigen sie sich wieder, indem sie eine große, weite Platte oder Hochebene bilden, von welcher aus man in das erste, niedrige Tal von El Hadd hinuntersteigt. Auf dieser Platte können viele, viele tausend Menschen Platz finden. Man sagt, daß im grauen Altertume da oben Gottesdienste abgehalten worden seien, zu denen die drei Kuppen leuchteten. Auch der Weg von da in das Tal hinab ist breit, aber trotzdem gefährlich. Zu beiden Seiten gähnen Schluchten und Abgründe, aus denen für einen jeden, der da hinunterstürzt, keine Rettung möglich ist. Man sagt, der Dschebel Allah habe niemals Asche und (Seite 297B) Schlacken, sondern stets nur reines, friedliches Licht gegeben. Aber in großen Abständen und zu gewissen Zeiten, wenn der Schmutz der andern Vulkane sich auch auf ihn niedergesenkt und da angesammelt hat, da werde er zornig, da schüttle er sich, da erbebe er in seinen Grundfesten und stoße kochendes Wasser aus, um sich von der Verunreinigung zu befreien. Was sagst Du zu diesem Märchen, Effendi?"

"Daß es kein Märchen ist. jedenfalls hat es einen tieferen, viel tieferen Sinn, als Du denkst."

"Man behauptet sogar," fuhr er fort, "daß es nur guten Menschen möglich sei, von Ardistan aus über den Dschebel Allah nach El Hadd und Dschinnistan hinüberzukommen. Wenn ein Böser es wage, sich den Übergang mit List oder mit Gewalt zu erzwingen, so sei er unbedingt verloren. Entweder verschwinde er in den Abgründen des Grenzgebietes, oder er ertrinke in den Fluten der Wasserfälle von El Hadd."

"Von denen habe ich gehört. Sie kommen von Dschinnistan herab?"

"Ja. Sie sind die größten, die es auf Erden gibt. Sie stürzen sich vom hohen Dschinnistan herab und bilden einen gewaltigen See, dessen Tiefe noch niemand ermessen hat. An diesem See liegt das Schloß des Schech el Beled von El Hadd; aber noch kein Mensch, der nicht nach El Hadd gehört, hat es je betreten dürfen. Wenn das alles so ist, wie man erzählt, mag der >Panther< sich vor dem Dschebel Allah hüten!"

Das war es, was ich einstweilen über diesen Punkt erfuhr. Als wir dann unterwegs waren, um die vorausgerittenen Ussul und Tschoban einzuholen, kam uns ein dritter Bote entgegen, den der Fürst von Halihm sandte, um uns mitzuteilen, daß der >Panther< in Eilmärschen nach Norden rückte und in der Einbildung zu leben scheine, daß er die Scharen von Dschinnistan vor sich her jage, während es doch grad ihre Absicht war, ihn in dieser Richtung hinter sich herzulocken.

Und als wir das Lager des Dschirbani, also unser Zentrum, erreichten, hatte man soeben wieder einen Abgesandten des >Panther< festgehalten, der dem Basch Islami nach Ard melden sollte, daß man über den Dschebel Allah gehen und in El Hadd eindringen werde, um den Schech el Beled zu züchtigen, von dem man gehört habe, daß er mit dem 'Mir von Dschinnistan verbündet sei, den neuen 'Mir von Ardistan wieder abzusetzen. Dazu brauche man aber bedeutende Nachlieferungen von Proviant, die der Basch Islami schleunigst besorgen solle.

Am Abend dieses Tages, also unserer Ankunft bei unserem Zentrum, stellten sich die Kommandanten der beiden Flügel bei uns ein, um den 'Mir beim Heere zu begrüßen und mit ihm zu beraten, obwohl es eigentlich gar nichts zu beraten gab. Denn der >Panther< marschierte geradezu sinnlos seinem Verderben entgegen, und wir brauchten ihm nur zu folgen, um unsern Zweck auf das allereinfachste zu erreichen. Er eilte wie geblendet geraden Weges voraus und machte nicht den geringsten Versuch, nach rechts oder links auszuweichen. Darum wurde er von unsern beiden Flügeln schnell überholt, so daß Abd el Fadl und der Schech el Beled mit den >schwarzgepanzerten< Reitern des 'Mir von Dschinnistan Fühlung bekamen, als der >Panther< noch gar nicht ahnte, was in seinem Rücken vorgegangen war und daß er von uns verfolgt wurde.

Bei dieser Unterredung mit den beiden genannten Verbündeten erfuhren wir, daß nicht allein der oben beschriebene >breite< Weg auf den Dschebel Allah hinauf- und jenseits wieder hinunterführe. Es gab noch zwei andere Wege, die aber nur dem Eingeweihten bekannt waren; sie wurden geheimgehalten. Während der >breite< Weg, nachdem er sich oben geteilt hatte, zwischen dem Vater und dem Sohne und der Mutter und dem Sohne hindurchführte, also den Sohn von beiden Seiten umschloß, gingen die beiden heimlichen Wege an der Außenseite des Vaters und der Mutter nach El Hadd hinüber, so daß sie also alle drei Kuppen zwischen sich liegen hatten. Sie lagen höher als der eigentliche Weg, der von ihnen aus also überschaut und beobachtet werden konnte. Auf diesen beiden verborgenen Saumpfaden, die selbst in ihren niedrig liegenden Anfängen von jemand, der sie nicht kannte, nicht entdeckt werden konnten, sollten unsere Heeresflügel dem >Panther< folgen, während das Zentrum auf dem >breiten< Wege zu bleiben und nachzudrängen (Seite 298A) hatte. Für leichte Reiter waren diese Seitenpfade grad noch gangbar, nicht aber für schweres Last- und Fahrzeug oder wohl gar für Kanonen. Und was nun die >schwarzgewappneten< Scharen des 'Mir von Dschinnistan betraf, von denen der >Panther< berichten ließ, so sahen auch sie nur von weitem wie gewappnet oder gepanzert aus, denn das, was sie trugen, war keine Rüstung, sondern ein genau ebenso geflochtener Lederanzug wie bei den Lanzenreitern von Halihm und El Hadd, nur daß er nicht naturfarben oder blau war, sondern schwarz. Für den Zweck, den sie verfolgten, nämlich die Niederlage des Feindes vorzubereiten, oder, unfachmännisch ausgedrückt, ihn zu verführen, war diese dunkle Farbe die geeignetste.

Der Feldzug hatte also begonnen. Er gestaltete sich viel leichter und schneller, als wir es für möglich gehalten hatten. Es fiel, wie bereits gesagt, dem >Panther< nicht ein, links nach dem alten Strome oder rechts nach dem belebten Hochland auszubrechen, sondern er stürmte immer geradeaus und wir hinter ihm her. Das ging alles so selbstverständlich und zu unseren Gunsten, daß ich mich fast gar nicht mehr mit den direkt kriegerischen Angelegenheiten beschäftigte, sondern meine Aufmerksamkeit auf andere, meiner Persönlichkeit näherliegende Dinge richtete. Die Niederwerfung des Aufrührers wurde mir nebensächlich. Dieser Mensch hatte nicht die geringste Begabung, die Rolle durchzuführen, für die er in seiner Selbstüberhebung geglaubt hatte, geeignet zu sein. Meine Aufmerksamkeit wurde dreifach in Anspruch genommen. Nämlich erstens von der gewaltigen Natur, durch welche der Marsch uns führte. Zweitens von den eigenartigen Menschen, bei denen ich mich befand. Und drittens von dem tiefen Zusammenhang der Dinge, den ich in allem erkannte, was in dieser Natur und mit diesen Menschen geschah. Ich lernte in dieser Zeit mehr als je erkennen, wie leicht es einem jeden, der guten Willen und offene Augen hat, gemacht wird, das höhere Leben im niederen Leben vorgebildet zu sehen. Daß der Gewaltmensch sich zum Edelmenschen emporzubilden habe, ist eines meiner Ideale. Dazu gehört vor allen Dingen, daß das Niedrige in uns, das Tierische, überwunden wird. Tausende klagen, das sei so schwer. Sie haben recht, und doch auch wieder nicht recht. Man suche die >Schwarzgewappneten< des 'Mir von Dschinnistan, welche die Bestie in uns, den >Panther<, nach dem Dschebel Allah zu locken verstehen. Man bitte um die Panzerreiter von El Hadd und Halihm, die den Empörer in uns aufstören und vorwärtstreiben, ihn jagen und nicht zur Ruhe kommen lassen, bis er, militärisch ausgedrückt, von seiner Operationsbasis völlig abgeschnitten ist und dann nur noch das eine vor sich hat, an sich selbst zugrunde zu gehen. Wer den rechten Weg gefunden hat, solchen Hilfstruppen zu begegnen, also den Weg zu Gott, dem wird es fort an leicht, mit dem >Panther< zum Abschluß zu kommen.

Nach einigen Tagesmärschen hatten wir das eigentliche Ardistan hinter uns und ritten durch Schimalistan. Der Weg, den der >Panther< genommen hatte, wurde durch Verwüstung bezeichnet. Die Bewohner waren geflohen, nach rechts und links, wie ein Schneepflug die Massen nach beiden Seiten treibt, wo sie hinter ihm liegen bleiben. Dort wurden sie von unseren Flügeln aufgefunden, beruhigt und veranlaßt, wieder heimzukehren. Vor uns der Krieg, hinter uns sofort wieder Friede.

Schimalistan steigt ununterbrochen in nördlicher Richtung an. Einst war es außerordentlich fruchtbar; aber als der Strom, der seine westliche Grenze bildet, das Wasser verlor, verödete es im Laufe der Jahrhunderte, und nur in seinem östlichen Teile gab es einige bedeutendere Wasserläufe, welche Schimalistan und Ardistan mit ihrem Netze befruchten, und dann aber in Dschunubistan immer kleiner werden und in der Wüste der Tschoban versiechen. Durch diesen östlichen Teil des Landes hatte der >Panther< seinen Weg genommen und Schrecken um sich her verbreitet. Unser Kommen erweckte hierauf das Gegenteil, nämlich Freude. Dies zu bewirken, fiel uns gar nicht schwer. Wir brauchten nur das eine zu verkünden, daß der Strom wieder Wasser habe, so lohnte uns dankender Jubel.

Die äußerste Spitze unseres linken Flügels blieb während unseres Vorwärtsrückens mit dem Strom fortwährend in Berührung. Von daher erfuhren wir, daß das neue Wasser sich nicht etwa verliere, sondern sich im Gegenteile von Tag zu Tag (Seite 298B) verbreitere und steige. Infolgedessen wurden nun unsere bis hinab nach Ussulia gehenden Relais von der bisherigen Linie weg an den Fluß verlegt, was ihre Erhaltung außerordentlich erleichterte und einen, ich will sagen, >flußamtlichen< Nachrichtendienst ermöglichte, der uns von großem Vorteil war.

Wir näherten uns jetzt zusehends den Bergen, die wir früher aus weiter Ferne hatten leuchten sehen. Sie stiegen vor uns auf wie ein Heer von Riesen, von denen der eine immer größer, breiter und massiger als der andere ist. Schon konnten wir erkennen, daß sie alle bewaldet waren, und zwar umso mehr, je weiter sie von unserer Grenze entfernt lagen. Das bestätigte die oft gehörte Behauptung, daß es unmöglich sei, in Dschinnistan eine unfruchtbare Stelle zu finden. Je näher sie aber der Grenze lagen, desto vegetationsärmer wurden sie, bis derjenige, der sich unserem Auge als der nächste zeigte, nämlich der Dschebel Allah, kein einziges Gräschen und keinen einzigen Halm mehr trug. Wenigstens auf der uns zugekehrten Seite, wie ich, wie man bald sehen wird, verpflichtet bin, besonders hinzuzufügen.

Bis jetzt hatten wir uns sorgfältig gehütet, den >Panther< wissen zu lassen, daß er verfolgt werde. Dies war uns dadurch erleichtert worden, daß er keine Arrieregarde hatte. Für seine Sicherheit nach rückwärts zu sorgen, hatte er nicht für nötig gehalten. Jetzt aber wurde es anders. Es bildete sich eine Nachhut, aber nicht zum Schutze des Heeres, sondern aus anderen Gründen. Das waren die Maroden und die Unzufriedenen. Der Mangel begann sich fühlbar zu machen. Der Proviant ging aus. Und Wasser gab es nur in einzelnen, weit umher zerstreuten Pfützen, welche in einstigen, ausgetrockneten und vollständig versandeten Wasserläufen lagen, in denen jetzt die Feuchtigkeit nach einer jahrhundertelangen Dürre sich plötzlich wieder zu zeigen begann. Der >Panther< sah sich durch die Not gezwungen, nach solchen Stellen suchen zu lassen. Infolgedessen konnten wir es nicht umgehen, auf solche Suchende, auf zurückgebliebene Marode und auf Unzufriedene, die dem Heere entlaufen wollten, zu stoßen. Wir hüteten uns aber wohl, diese Leute zu ergreifen und sie bei uns auf- oder gar uns ihrer anzunehmen. Dies zu tun, hätte doch gar nichts anderes geheißen, als ihn von ihnen zu befreien, um uns mit ihnen zu belasten. Nein, wir jagten sie einfach wieder zu ihm zurück, um seine Sorge und Bedrängnis zu vermehren. Dadurch erfuhr er freilich, daß er Truppen hinter sich hatte, die ihn verfolgten, aber es war für uns die Zeit gekommen, in der er das überhaupt erfahren mußte. Das war eine Folge, die wir zwar vorausgesehen hatten, ohne sie uns aber in der Weise zu denken, in der sie sich einstellte. Nämlich, als es wiederholt geschehen war, daß wir Ausreißer und Liegengebliebene zu ihm zurücktrieben, sahen wir drei Reiter erscheinen, von denen der mittlere ein weißes Tuch an seiner Lanze trug. Er hatte sich bei unsern äußersten Vorposten eingestellt und den Wunsch geäußert, zum obersten Kommandanten unseres Heeres geführt zu werden. Man hatte ihn entwaffnet und uns dann durch die beiden anderen Reiter, welche Tschoban waren, zugeschickt. Der 'Mir wollte nicht erkannt sein, denn es lag nicht in unserm Interesse, daß der >Panther< die Wahrheit sogleich erfuhr. Darum wurde bestimmt, daß ich allein den Parlamentär empfangen und mit ihm sprechen solle. So geschah es. Ich sonderte mich ab und ließ ihn mir vorführen. Er war ein ziemlich alter, starkknochiger, vollbärtiger Mensch, dessen Gesicht kein allzu großes Vertrauen erweckte. Er musterte mich scharf, indem er sich mir näherte, grüßte kurz und fragte:

"Wer bist Du? Ich sah Dich noch nie!"

"Auch ich habe Dich noch nie gesehen, frage Dich aber trotzdem nicht, wer Du bist," antwortete ich. "Steig ab!"

Wir waren nämlich nicht unterwegs, sondern hatten Lager; darum war ich nicht zu Pferde.

"Warum soll ich nicht im Sattel bleiben?" erkundigte er sich.

"Weil es mir nicht gefällt, so von oben herab mit mir sprechen zu lassen. Hat man Dir freies Geleit versprochen?"

"Ja. Was tust Du, wenn ich nicht absteige?"

"Ich würde Dich einfach herunterschießen, wenn man Dir nicht Freiheit und Sicherheit Deines Lebens zugesichert hätte. (Seite 299A) So aber erschieße ich nur Dein Pferd. Also, kommst Du freiwillig herunter oder nicht?"

Da stieg er langsam und einen halblauten Fluch ausstoßend, herab und sagte:

"Ich muß wissen, was für Leute das sind, die es wagen, hier hinter uns - - -"

"Schweig!" unterbrach ich ihn. "Hier hat kein anderer zu fragen als ich! Am allerwenigsten Du! Wer ist es, der Dich sendet?"

"Der neue 'Mir von Ardistan."

"Das ist nicht wahr!"

"Oho! Willst Du sagen, daß ich lüge?"

"Ja. Der neue 'Mir von Ardistan ist bei uns, nicht aber bei Euch. Meinst Du vielleicht den sogenannten >Panther<, den zweitgeborenen Prinzen der Tschoban?"

"Ja."

"Den Empörer! So wisse, daß er verloren ist, und Ihr alle seid es mit ihn! Er gefiel wohl Euch, doch aber den Christen nicht; darum gaben diese dem Lande einen anderen 'Mir, der von ganz Ard und Ardistan mit Jubel bestätigt wurde. Dieser wirkliche 'Mir von Ardistan ist dem >Panther< nachgeeilt, ihn niederzuschlagen."

Der Mann sah mir mit ungewissen, flackernden Augen in das Gesicht und fragte:

"Ist das wahr?"

"Oho! Willst Du etwa sagen, daß ich lüge?" antwortete ich mit seinen eigenen Worten.

"So führe mich zu ihm!" begehrte er. "Ich habe verlangt, mit Eurem obersten Kommandanten zu sprechen!"

"Du hast nichts zu verlangen. Er hat mir aufgetragen, mit Dir zu reden. Wenn Dir das nicht paßt, so mache Dich sofort wieder auf das Pferd, damit ich Dich nach dort zurückbringen lasse, woher Du gekommen bist!"

Er hütete sich wohl, dies zu tun. Er hatte sich die Sache ganz anders ausgedacht, als sie sich nun gestaltete. Und er sagte sich, daß es jetzt seine Aufgabe sei, soviel wie möglich zu erfahren, um es dem >Panther< berichten zu können. Diesen Zweck konnte er aber gewiß nicht erreichen, wenn er den jetzigen Ton beibehielt. Darum bat er nun in höflicher Weise:

"Verzeih Herr! Hättest Du mir gesagt, wer Du bist, so würde ich Dir wohl keine Veranlassung gegeben haben, mich in dieser Art abzufertigen!"

"So sei bescheiden, und mach es kurz! Was läßt uns der >Panther< sagen?"

"Daß er mit dem Kommandanten dieses Heeres sprechen will."

"Wann?"

"Sofort!"

"Wo?"

"In seinem Zelte."

"Unser Kommandant soll also zu ihm kommen? In Euer Lager?"

"Ja."

"Zu einem solchen Lügner und Verräter? Und ihm nachlaufen? Nein, nein! Es sei dem >Panther< eine Unterredung gewährt, aber nur aus Gnade und Barmherzigkeit, aus keinem anderen Grunde. Eigentlich hätte er hierher zu uns, in unser Lager zu kommen, aber er gehört zu denjenigen Menschen, die in einem solchen Geruche stehen, daß man mit ihnen nicht im Zelte, sondern nur in freier Luft verkehren kann. Darum soll diese Unterredung genau auf halbem Wege zwischen unserm und Eurem Lager stattfinden. Unser 'Mir kommt unbewaffnet und bringt fünfzig unbewaffnete Begleiter zu Pferde mit, und dem >Panther< sei gestattet, ganz ebenso zu tun. Ist bei ihm oder bei einem seiner Leute eine einzige Waffe zu sehen, wird er eine schlimme Abrechnung erleben. Das sage ihm ja; ich warne Dich und ihn! Jetzt ist die Hälfte zwischen Morgen und Mittag. Genau drei Stunden nach Mittag wird unser 'Mir an Ort und Stelle sein. Ist der >Panther< noch nicht da, so kehrt der 'Mir augenblicklich wieder um, und das Schicksal, welches Euch bestimmt ist, wird keinen Augenblick mehr aufzuhalten sein. Jetzt steig wieder auf, und folge mir! Ich werde Dir die Stelle bezeichnen, an welcher der >Panther< sich einzufinden hat."

(Seite 299B) "Ich soll also fort?" erkundigte er sich.

"Ja," antwortete ich.

"Ich habe aber noch so viel zu fragen!"

"Das laß nur bleiben! Hier gibt es keine Knaben, die man ausfragen kann, wie man will. Steig also auf und komm!"

Ich ging zur nächstruhenden Tschobanabteilung und ließ mir eines der dortigen Pferde geben. Auf meinen Rappen mußte ich verzichten, denn wenn der Parlamentär dem >Panther< dieses Pferd beschrieben hätte, so wäre dieser sofort imstande gewesen, zu sagen, mit wem der erstere gesprochen hatte. Ich ritt mit ihm und seinen beiden Begleitern nicht nach der Richtung, in welcher die von mir zu wählende Stelle war, sondern ich machte einen Umweg, und zwar in der Weise, daß er ein möglichst imponierendes Bild von unserer Stärke und Aufstellung bekam. Er sah die Ussul und die Tschoban, und er sah die weit nach Ost und West hinauslaufenden Ketten der Reiter von El Hadd und Halihm. Das genügte für einstweilen. Als wir dann den Punkt erreichten, der mir für die geplante Zusammenkunft geeignet erschien, mußte er, um ihn wiederzufinden, seine Friedenslanze in die Erde stecken. Als er dies getan hatte, ritten die beiden Tschoban von dannen. Sie hüteten sich ganz selbstverständlich, ihm meinen Namen zu sagen. Ich kehrte zu dem 'Mir zurück, bei dem sich der Dschirbani mit Halef befand. Als ich ihnen mitgeteilt hatte, wer der Mann gewesen war und was für einen Auftrag er jetzt mit sich nahm, sagte der 'Mir:

"Ich bin gern mit allem einverstanden, was Du getan und bestimmt hast. Der >Panther< wird kommen; mich aber ekelt es an, diesem Menschen mein Angesicht zu zeigen."

"Das sollst Du auch nicht," erwiderte ich.

"Wer sonst?"

"Halef."

"Ich?" rief der kleine Hadschi aus, indem er eine Bewegung machte, als ob er elektrisiert worden sei. "Wie meinst Du das, Effendi?"

"Du reitest den köstlichen Schimmelhengst des 'Mir, empfängst den >Panther< oder begrüßest ihn in Deiner Weise und sagst ihm, daß Du zum Herrscher von Ardistan erwählt worden seiest und diese Würde angenommen habest. Du forderst ihn auf, sich Dir augenblicklich zu ergeben."

Da sprang Halef von seinem Sitze auf, machte eine Bewegung, als ob er mit beiden Beinen in die Luft wollte, beherrschte sich aber und rief aus:

"Allah sei Dank! Schon wollte ich vor Freude einen glänzenden Sprung meiner jubelnden Füße machen, aber ich besann mich noch zur rechten Zeit, daß sich das für einen 'Mir von Ardistan, zu dem Du mich erhoben hast, nicht schickt. Ich danke Dir, Effendi, ich danke Dir von ganzem Herzen! Nun bekomme ich doch endlich wieder einmal etwas zu tun, was mir geziemt und meiner Seele gefällt. Ich werde die mir anvertraute Rolle in einer Weise spielen, daß Euer Lob über mich kein Ende nimmt. Hat jemand von Euch in Beziehung auf das, was ich dem >Panther< sagen soll, einen Wunsch, so bitte ich, ihn mir mitzuteilen; ich erfülle ihn sehr gern!"


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