[- 450 -]

3. Eine Piratenjagd

Wenn die gefangenen Elefanten die erste Nacht im Corral verbracht haben, so ist ihr Widerstand gebrochen; sie sind erschöpft und still und voll Furcht und Staunen über alles, was sich um sie her zuträgt.

Die Feuer sind ausgegangen, und die Umzäunung ist eng umgeben von Knaben und Männern, welche mit Spießen und langen, weißgeschälten Ruten bewaffnet sind. Jetzt werden Vorbereitungen getroffen, die zahmen Elefanten in den Corral zu führen, um die gefangenen in Sicherheit zu bringen. Seile und Schlingen befinden sich in Bereitschaft, und weit getrennt von allen andern steht ein Trupp von dem verachteten Stamme, dessen Angehörige ein totes Tier anrühren dürfen und welchem daher das Geschäft zugewiesen wird, die dünnen, aber sehr festen und elastischen Seile für die Schlingen aus frischen Wild- und Büffelhäuten zu fertigen.

Wenn alles so weit ist, so werden die Pfosten, welche den Eingang verschließen, behutsam hinweggezogen und zwei gezähmte Elefanten geräuschlos hineingelassen, geritten von ihren Mahouts (Wärtern), die auf Ceylon Ponnekalla genannt werden. Jeder von ihnen trägt ein breites und starkes Halsband aus Geflecht von Kokosnußfaser, an welchem an beiden Seiten Seile von Elentierhaut mit fertigen Schlingen angebracht sind. Hinter diesen Elefanten schleichen sich die Kuruwi (Schlingenfänger) in die Umzäunung, begierig, den ersten Elefanten


- 451 -

zu fesseln. Dies ist eine Ehre, welche mit einer besonderen Belohnung bedacht wird.

ist der zahme Elefant ein guter Lockelefant, so geht er, mit dem Mahout auf den Schultern und dem Schlingenfänger hinter sich, mit dem angenommenen Scheine der größten Gleichgültigkeit vorwärts; wie müßig schlendert er in der Richtung nach den Gefangenen hin und macht dann und wann Halt, um ein Büschel Gras oder eine Handvoll Blätter abzurupfen. Wenn er sich der Herde nähert, so tritt der Leiter derselben näher und läßt seinen Rüssel ihm in sanfter Untersuchung über den Kopf gleiten. Merkwürdig ist, daß dabei und während des ganzen nun folgenden Vorganges dem Mahout nicht das geringste Leid zugefügt wird. Ist der Leiter zu seinen niedergeschlagenen Genossen zurückgekehrt, so folgt ihm der Lockelefant und stellt sich neben ihn. Der Schlingenfänger hält die Schlinge bereit, und sobald das wilde Tier den Fuß nur ein wenig hebt, befestigt er sie an demselben. Natürlich springt der Mann sofort zurück; ein oder zwei zahme Elefanten kommen herbei, teils um den in der Schlinge steckenden zu isolieren, teils um ihn mit sich nach einem Baume zu ziehen, an welchen er mit der Schlinge gefesselt wird. Eine zweite Schlinge wird nun um den anderen Hinterfuß gelegt, dann fesselt man die Vorderfüße ebenso, welche an einen gegenüberstehenden Baum gebunden werden, und die Gefangennahme ist vollendet.

Auf diese Weise wird jeder einzelne der wilden Elefanten überwältigt. So lange die zahmen Genossen neben ihm stehen, bleibt der Gefangene gewöhnlich ruhig und passiv; sobald sie aber fortgehen und er sich allein sieht, macht er die erstaunlichsten Anstrengungen, sich zu befreien. Er betastet die Seile mit dem Rüssel und ver-


- 452 -

sucht [versucht], die zahlreichen Knoten aufzuknüpfen; er zieht rückwärts, um die Vorderfüße zu befreien, und lehnt sich dann wieder nach vorn, um die Hinterfüße los zu bekommen, bis jeder Zweig des mächtigen Baumes, an den er gefesselt ist, von seinen Anstrengungen zittert. Er heult wütend, den Rüssel hoch in die Luft streckend; dann legt er, auf die Seite fallend, den Kopf zur Erde, erst die Wange, darauf die Stirn, und drückt den zusammengerollten Rüssel nieder, als wolle er ihn in den Boden zwängen, und jetzt erhebt er sich plötzlich und balanciert auf Stirn und Vorderfüßen, die Hinterbeine frei von sich streckend.

Dieses wechselnde Schauspiel dauert mehrere Stunden mit gelegentlichen Pausen augenscheinlicher Betäubung, nach denen sich der Kampf von Zeit zu Zeit krampfhaft und wie auf plötzlichen Antrieb erneuert; endlich aber legt sich das eitle Bemühen und das arme Tier bleibt vollkommen regungslos, ein Bild der Erschöpfung und Verzweiflung.

Bei diesen Vorgängen tritt die Verschiedenheit des Temperamentes in augenfälliger Weise zu Tage. Einige Tiere unterwerfen sich mit verhältnismäßig geringem Widerstande, während andere sich in ihrer Wut mit einer Gewalt zu Boden stürzen, die jedem schwächeren Geschöpfe verderblich werden müßte. Sie lassen ihren Ingrimm an jedem Baum und jeder Pflanze in ihrem Bereiche aus; ist die Pflanze klein, so reißen sie dieselbe mit dem Rüssel nieder, streifen Blätter und Zweige ab und werfen sie in wilder Unordnung über ihren Kopf nach allen Seiten hin. Die einen geben während ihrer Kämpfe keinen Ton von sich, während andere wütend brüllen und trompeten, dann kurzes, krampfhaftes Geschrei ausstoßen und zuletzt erschöpft und hoffnungslos ihrem Kummer in einem leisen,


- 453 -

kläglichen Geheul Luft machen. Einige liegen nach ein paar heftigen Anläufen regungslos am Boden, ohne ein anderes Schmerzenszeichen als das der Thränen, welche ihren Augen unaufhörlich entquellen. Andere zeigen in der ganzen Macht ihres Zornes die seltsamsten und wunderbarsten Verdrehungen. Eine Manipulation kehrt fast bei allen wieder: in den Zwischenräumen zwischen den Kämpfen schlagen sie den Boden mit ihren Vorderfüßen, und indem sie die trockene Erde mit einer Windung des Rüssels packen, schleudern sie dieselbe geschickt über alle Teile des Körpers; dann stecken sie die Spitze des Rüssels in das Maul und ziehen daraus eine Quantität Wassers, das sie über den Rücken hin entladen. Diese Operation wiederholen sie immer von neuem, bis der Staub vollständig durchnäßt ist. -

Ich hatte mich darauf vorbereitet, alle diese Vorgänge in Augenschein nehmen zu können, und war daher keineswegs gleichgültig bei der plötzlichen Abreise, zu welcher wir uns durch den geheimnisvollen Raub der Mädchen veranlaßt sahen.

Das transportable Kanoe, welches uns zur Verfügung stand, wurde auf die Schultern von sechs Männern geladen; eine Reihe von Kulis trug unsere Effekten, den Proviant und die Munition, und den Schluß des Zuges bildeten Raffley, ich und Kaladi.

Der erstere folgte seiner Ahnung und war vollständig überzeugt, daß die Räuber identisch mit der Besatzung des Haiang-dze seien; ja, er ging noch weiter und nahm als sicher an, daß der Kapitän der Dschonke jener Pirat sei, von welchem das Gerücht so viel Schlimmes erzählte.

Der Gouverneur sah uns nur ungern scheiden und bot uns eine so zahlreiche Begleitung und Bedeckung an,


- 454 -

als wir nur wünschen konnten. Wir wiesen sie zurück und baten ihn, die Verfolgung der Verbrecher nur uns zu überlassen.

»Nehmt Fackeln mit, und sucht den Ort auf, an welchem der Ueberfall stattgefunden hat,« meinte er. »Dann wird es euch leicht sein, ihren Spuren zu folgen.«

»Ist nicht notwendig, Sir!« antwortete Raffley. »Wo sie hingehen, das wissen wir bereits, und daß wir sie treffen, ist so sicher, als ich hier stehe. Oder wollen wir wetten, Sir?«

Der Gouverneur lächelte.

»Ich setze hundert Pfund auf die Behauptung, daß Ihr sie nicht fangt, wenn Ihr meinen Rat nicht befolgt.«

»Und ich wette fünfhundert Pfund dagegen, Sir. Dieser Herr ist Zeuge unseres Uebereinkommens, obgleich er selbst niemals zu einer Wette zu bewegen ist. Ich muß sie finden, denn wie könnte ich mich im Traveller-Club, Near Street 47, London, sehen lassen, ohne meine Chair-and-umbrella-pipe, welche mir die Halunken mitgenommen haben, Go on, Charley, vorwärts!«

Die Nacht war dunkel, aber mit Hilfe der Fackeln überwanden wir alle Schwierigkeiten und kamen wohlbehalten an dem Orte an, wo wir die zwei Boote entdeckt hatten.

»Seht Ihr's, daß ich recht hatte?« meinte Raffley. »Hätten wir die Kähne leck gemacht, so wäre es ein wahrer Spaß, des Mädchens und meiner Pipe wieder habhaft zu werden!«

»Laßt es gut sein, Sir! Vielleicht glückt es uns auch so noch, Euern Schirm wieder zu erlangen,« beruhigte ich ihn.

Das Kanoe wurde in das Wasser gesetzt und nahm


- 455 -

alle Effekten auf. Dann stiegen wir ein, Raffley, ich, Kaladi und zwei Ruderer, welche den Lauf des Flusses so genau kannten, daß wir uns ihnen getrost anvertrauen durften. Die übrigen wurden zurückgeschickt; hierauf befestigten wir Fackeln an das Spriet und den Stern des Bootes, dann wurde die nächtliche Fahrt begonnen.

Das Wasser des Flusses war nicht sehr tief, aber reißend. Das kleine Fahrzeug schoß mit der Geschwindigkeit des Dampfes dahin, während wir so genau wie möglich die Ufer beobachteten. So verfloß die Nacht, der Tag brach an, und die Fackeln erloschen. Der Fluß war durch zahlreiche Zuflüsse breiter geworden; die Fahrzeuge wurden zahlreicher, und als es fast Mittag war, befanden wir uns in Tschilah, ohne eine Spur der Räuber gefunden zu haben.

Draußen im Hafen lag unsere Dampfjacht. Ohne anzuhalten, ruderten wir ihr zu und stiegen an Bord. Der Steuermann stand am Fallreep, uns willkommen zu heißen, und ein leises Zischen, welches unten im Maschinenraume ertönte, bewies, daß der umsichtige Maat die Maschine zu sofortiger Aktion bereit gehalten habe.

»Feuer unter dem Kessel?« war Raffleys erste Frage.

»Yes, Sir!« »Den Haiang-dze gesehen?«

»Yes

»Wo?«

»Bin seit Kolombo hinter ihm her bis hinauf nach der Kalpetti-Insel. Dann aber mußte ich zurück hierher, um Euch aufnehmen zu können, sobald Ihr kamt. Da warf der Chinese auch hier die Anker und schickte zwei Boote stromauf.«

»Ah! Sind sie zurück?«


- 456 -

»Schon mit Sonnenaufgang.«

»Was hatten sie geladen?«

»Weiß nicht. Hatten Bastdecken über die Bords gelegt.«

»Die Dschonke lichtete dann sofort die Anker?«

»So ist es.«

»Nach welcher Richtung ging sie?«

»Grad nach Nord. Ich bin ihr mehr als über eine Stunde nachgedampft und habe die Ueberzeugung, daß sie die Palksstraße gewinnen will. Wäre sie nach Süden gegangen, so hätte ich einen Verdacht, der - der --- «

»Nun, der - -?«

»Der wohl einiges für sich gehabt hätte. Kaum war ich nämlich zurückgekehrt, so brachte eine Kohlenbarke die Nachricht, daß auf der Insel Karetiwu vorgestern abend ein ganz außerordentlicher Perlenraub verübt worden ist. Ein Schiff hat am dunklen Abend in der Nähe der Küste beigedreht und drei Boote ausgesandt, welche voll wilder Gestalten gewesen sind, die über die Office herfielen und alle Vorräte nebst dem vorhandenen Gelde mit sich nahmen.«

»Was waren es für Leute?«

»Malayen, angeführt von einem Chinesen.«

»Und das Schiff?«

»War in der Dunkelheit nicht genau zu erkennen, doch stimmt die ungefähre Beschreibung ganz genau mit dem Haiang-dze.«

»Er ist es!«

»Würde er wohl dann wieder nach Nord gegangen sein?«

»Maske! Er wird wenden und nach Süden einhalten, darauf kannst du dich verlassen, Tom. Der Chinese


- 457 -

ist ein kühner Kerl, das hat er gezeigt, indem er da oben bei Karetiwu, wo es konträre Winde giebt und die Strömung reißend ist, bloß beidrehte, statt die Anker zu werfen. Ein solches Manöver darf man eigentlich bloß einem Yankee zutrauen, dem es nicht darauf ankommt, ob das Fahrzeug vor einer Bö kentert oder durch die Strömung wrack gemacht wird. Nimm die Sachen aus dem Kanoe und mache, daß wir aus dem Hafen kommen. Wir gehen grad nach Westen.«

»Nach West! Warum?« fragte Tom erstaunt.

»Darum,« antwortete Raffley kurz. Er konnte es nicht leiden, wenn seine Absichten nicht verstanden wurden.

Unsere in dem Kanoe befindlichen Sachen wurden an Bord gebracht, und die beiden Ruderer ruderten, nachdem sie ihre Bezahlung in Empfang genommen hatten, der Stadt wieder zu. Dann dauerte es nicht lange, so knarrte die Ankerwinde, die Schraube bohrte sich in die widerstrebende Flut und das kleine, schmucke Fahrzeug strebte zwischen den im Hafen liegenden Schiffen in graziösen Windungen dem Ausgange zu. Wir stachen in See.

Als wir das offene Meer erreicht hatten, trat Raffley zu mir.

»Wißt Ihr, Charley, warum ich nach West halten lasse?«

»Ich denke es.«

»Nun?«

»Ihr wollt den Kurs des Chinesen schneiden, welcher sicher von Nord nach Süd wenden wird.«

»So seid Ihr auch meiner Ansicht?«

»Vollständig. Erst wollte ich zweifeln; nach allem aber, was wir bisher gehört und beobachtet haben, halte auch ich den Chinesen für einen Piraten. Daß wir ihm folgen, versteht sich von selbst, aber ob wir dies allein


- 458 -

thun wollen oder uns nach Hilfe umsehen, muß wohl erst noch beantwortet werden.«

»Fürchtet Ihr Euch, Charley?«

»Pshaw!«

»Nun also! Wir nehmen die Dschonke für uns allein. Gehen wir sechzig Knoten nach West, ohne sie gesehen zu haben, so ist sie bereits vorüber, nach meiner Rechnung. Dann sind wir gezwungen, nach Süd umzulegen.«

»Selbst in diesem Falle hat sie einen Vorsprung von vielleicht fünf Stunden, welche, da sie mit dem Winde segelt, nur schwer einzuholen sind.«

»Glaubt Ihr wirklich, daß ich mich dadurch irre machen lasse? Der Haiang-dze darf nicht nahe am Lande segeln, und über seinen Kurs herrscht nicht der mindeste Zweifel.«

»Er wird die Insel nach Osten umsegeln.«

»Und zwar im Süden, da er im Norden wegen des Nord-Ostmonsuns nicht gut durch die Palksstraße gelangen kann.«

»Und dann Kurs grad auf Ost nehmen,« fuhr ich in meiner Expektoration fort.

»Grad auf Ost? Das glaube ich nicht. Er wird nach Nordost halten, in welcher Richtung sich jedenfalls sein Schlupfwinkel befindet.«

»Ihr vergeßt den Passat, Sir, welcher ihm dann grad in die Zähne streichen würde. Er wird nach Ost gehen und dann einen rechten Winkel nach Nord herumschlagen.«

»Very well, Charley, ich sehe, daß Ihr auch zur See nicht ganz unbeholfen seid.«

»Denkt Ihr? So geht mein Rat dahin, nicht weiter nach West zu gehen, sondern ihm seinen Vorsprung da-


- 459 -

durch [dadurch] abzugewinnen, daß wir in gerader Linie auf Point de Galle, welches er im weiten Bogen umfahren muß, schneiden, hart an der Küste Kap Thunder-Head, Tangalle und Hambantotte umsegeln und dann auf dem achtzigsten Längengrade kreuzen, um ihn zu erwarten.«

»Good lack, seid Ihr ein scharfsinniger Kopf, Charley! Ich beginne zu begreifen, daß Ihr recht gute Anlagen zu einem Marineoffizier besitzt. Ihr habt vollständig recht, und ich werde Euern Rat auch befolgen. Kommt!«

Wir schritten zum Hinterdeck, wo Tom im Häuschen am Rade stand.

»Leg um nach Ost-Süd-Ost, Tom!«

»Well, Sir; aber das hieße ja, Point de Galle anrennen!«

»Nicht anrennen, sondern nur hart vorüberstreichen wollen wir. Wie steht es mit der langen >Harriet<, Tom?«

»Wie soll es stehen, Sir?« antwortete der Gefragte. »Blank geputzt ist sie, das seht Ihr ja selbst,« meinte er, auf den schimmernden Lauf der Drehkanone deutend, welche auf dem Mitteldeck der Jacht angebracht war; »aber was nützt der Staat, der Putz und Plunder, wenn die rechte Arbeit fehlt? Wenn nicht bald eine Gelegenheit kommt, eine Kugel auf den Wogen tanzen zu lassen, so verwende ich für keinen Penny Hammerschlag mehr auf die Harriet; sie mag verrosten! «

»Dir kann geholfen werden, mein Junge! Lade sie einmal, aber blind einstweilen!«

»Wirklich, Sir?«

»Wirklich!« nickte Raffley.

Der Steuermann fixierte das Rad und eilte zu seiner Kanone. Es war wirklich eine Lust, die Andacht


- 460 -

und Hingebung zu beobachten, mit welcher er sie gleich einer Braut bediente, deren Lächeln beglückt.

»Erwartet Ihr einen Kampf?« fragte er dabei.

»Möglich!«

»Prächtig, Sir! Ich denke, es soll kein Schuß daneben gehen, wenn meine Harriet zu reden beginnt.«

»Aber wie steht es dann mit dem Steuern? Steuern und Feuern zugleich ist unmöglich.«

»O, da giebt es Abhilfe. Der Bill ist nicht auf den Kopf gefallen und steuert nach Kommando ganz prachtvoll. Ihr könnt Euch auf ihn verlassen.«

»Auch im Kampfe, wo es auf Schnelligkeit und Genauigkeit sehr ankommt?«

»Auch dann.«

»So mag es sein!«

Der Nachmittag verging, und der Abend brach herein mit den leuchtenden Sternen des Südens. Wir legten uns zur Ruhe, und als wir uns am andern Morgen erhoben hatten und das Deck betraten, fand es sich, daß wir Tangalle bereits hinter uns hatten. Seitwärts im Lee kam hinter uns ein französischer Steamer herangedampft. Wir ließen der Maschine nur halbe Kraft, und auch er legte an zur langsameren Fahrt, als er uns bemerkte. Sein Kapitän stand an der Reiling des Quarterdeckes und fragte, da es stille Luft hier gab, ohne Sprachrohr, nur durch die vorgelegten Hände:

»Holla! Was ist das für ein Dampfer?«

»Dampfjacht Swallow aus London.«

»Welcher Kapitän?«

»Eigenes Schiff. Lord John Raffley, wenn es Euch beliebt!«

»Ah, danke!«

»Und Euer Schiff?«


- 461 -

»Dampfer >la bouteuse< aus Brest, Kapitän Jardin, geht über Battikaloa und Trinkomali nach Kalkutta. Und ihr?«

»Küstenfahrt. Ist Euch nicht ein Chinese begegnet?«

»O doch. Dschonke Haiang-dze, Kapitän Ri-fong, bestimmt nach den Baniacksinseln.«

»Habt Ihr ihn untersucht?«

»Nein; wir sind nicht im Orlogdienst. Adieu und gute Fahrt!«

Der Franzose gab wieder vollen Dampf und schoß rauschend an uns vorüber. Wir aber brauchten unsere Maschine nicht anzustrengen, da wir den Chinesen nun hinter uns wußten, vielmehr setzten wir mit mittlerer Geschwindigkeit unsern Kurs fort, befanden uns sehr bald auf der Höhe von Hambantotte und begannen dann nach Verlauf von ungefähr zwei Stunden zu kreuzen.

Zahlreiche Segel belebten den Gesichtskreis; sie gehörten Fahrzeugen an, welche entweder von Trinkomali und Battikaloa oder aus Indien, China und Japan kamen, um vor dem günstigen Passat nach West zu steuern. Wir kümmerten uns nicht um sie; der Haiang-dze war jedenfalls nicht unter ihnen. Die brave Jacht schnitt, leicht zur See geneigt, mit reißender Schnelligkeit fast vor dem Winde südwärts durch die Fluten und legte erst nach Mittag wieder herum. Raffley ließ jetzt alle Segel setzen, und es war zum Erstaunen, mit welcher Schnelligkeit wir nun trotz des widrigen Passates genau der geographischen Länge folgten.

Jetzt winkte Raffley Kaladi herbei.

»Du willst Molama wiederhaben?«

»Sihdi, wenn ich sie verliere, so sterbe ich!«

»Well! Hast du gute Augen?«

»Meine Augen sind scharf wie die des Falken.«


- 462 -

»So klettere hinauf zum Mast-Head und halte scharfen Ausguck nach den Fahrzeugen, deren Kurs wir durchschneiden. Der Chinese wird unter ihnen sein, wenn ich mich nicht irre.«

Wie eine Katze kletterte der gewandte Singhalese am Mast empor und machte es sich droben so bequem wie möglich. Das Verhalten Raffleys schien mir nicht tadellos zu sein; ich mußte ihn warnen:

»Wie wollt Ihr kreuzen, Sir John?«

»Ich verstehe Euch nicht.«

»Ich meine, auf welcher Linie Ihr den Chinesen erwarten wollt?«

»Auf dem achtzigsten Längengrade, ganz wie Ihr selbst es mir vorschlugt.«

»Aber nur südlich vom sechsten Breitengrade?«

»Natürlich!«

»So wird er Euch entgehen.«

»Oho! Warum?«

»Ich glaube nicht, daß er sich bei Tage nach dem, was wir ihm zumuten, so nahe an die Küste wagen wird. Hat er das letztere vor, um vielleicht noch einen Fang zu machen, so wird er die Nacht abwarten. Sodann hat er dem Franzosen gesagt, daß er nach den Baniacksinseln bestimmt sei; diese Richtung ist aber jedenfalls eine Finte; er wird weiter nordwärts gehen. Habe ich in diesen Vermutungen recht, so wird er uns entwischen.«

»Charley, das versteht Ihr nicht, Ihr dürft Euch nun nicht auf einmal für klug und weise halten, weil ich Euch vorhin gelobt habe. Der Haiang-dze kommt ganz genau den Kurs des Franzosen und wird uns grad in die Arme laufen.«

Auch er konnte recht haben, wenn auch seine Aus-


- 463 -

drucksweise [Ausdrucksweise] keine für mich schmeichelhafte war; ich ließ daher meinen Widerspruch fallen.

Jetzt stand der Matrose Bill am Steuer, und Tom war beschäftigt, alles herbeizuschaffen, was zur Bedienung seiner Harriet erforderlich war. Leider aber verging der Nachmittag, ohne daß wir nur einen Segelfetzen von der Dschonke zu sehen bekamen. Auch die Dämmerung brach ein, und nun mußte Raffley doch erkennen, daß ich recht gehabt hatte.

»Charley, ich glaube, der Kerl ist uns entgangen!«

»Ich glaube es nicht.«

»Ihr denkt, er ist noch hinter uns?«

»Nein, er ist sicher bereits längst vor uns.«

»Wie - wo - waa - as?« fragte er erstaunt, indem der Klemmer einen Sprung von der Wurzel der Nase bis auf deren Spitze machte. »Das ist ja eben meine Meinung; er ist längst vor uns und uns also entgangen.«

»Er ist längst vor uns, weil wir ihn durchließen, aber er wird an die Küste zurückkehren, sobald es dunkel geworden ist.«

»Woraus schließt Ihr dies?«

»Der Kurs nach den Baniacksinseln hätte den Chinesen viel weiter im Süden mit dem Franzosen zusammengeführt; daß der Pirat sich weiter nördlich hielt, ist ein sicherer Beweis, daß er ein anderes Ziel hat. Ist dies wirklich eine Insel im Osten, so will er sie auf der Route, welche ich Euch bereits erklärte, nicht erreichen, da er uns sonst begegnet wäre; folglich hat er die Absicht, längs der Küste des bengalischen Meeres hinzugehen, wo der Monsun nicht so kraftvoll pfeift, wie draußen auf der See. Er ist einfach zwischen uns und der Küste hindurchgeschlüpft und ostwärts gesegelt, wird aber umkehren und dann im Schutze des Landes und der Nacht nach


- 464 -

Norden gehen, wenn es ihm nicht etwa einfällt, eine kurze Landung zu bewerkstelligen, um noch einiges mitgehen zu heißen.«

»Charley, es ist möglich, daß Ihr das Richtige trefft. Aber was wollen wir thun?«

»Längs der Küste streichen bis hinauf nach Kap Palmyra; auf dem Rückwege werden wir dann den Chinesen treffen.«

»Denkt Ihr wirklich?«

»Ich meine es.«

»So habe ich heute doch wohl einen Fehler begangen und werde ihn dadurch wieder gut machen, daß ich Euch folge.«

Jetzt gingen wir nach Norden, und da nun ein Ereignis nicht zu erwarten war, so suchten wir die Kajüte auf, um einige Stunden zu ruhen. Mitternacht war bereits vorüber, als wir geweckt wurden. Der Steuermann stand vor uns.

»Wir befinden uns auf der Höhe von Palmyra, Sir,« meldete er.

»Welche Länge?«

»Einundachtzig; ich hielt etwas mehr Ost bei Nord, weil uns das rückwärts zu gute kommt.«

»Ist richtig. Wende! Ich komme gleich hinauf.«

Als wir das Deck erreichten, standen die Leute an den Brassen; das Schiff beschrieb einen Bogen von Nord über Ost und legte dann auf Südwest ein. Jetzt drängte sich der Passat straff in die Leinen; die Maschine arbeitete mit voller Kraft, und wir flogen vor dem Winde dahin, daß der Schaum vorn am Buge empor und auf das Deck hereinspritzte.

Noch immer saß Kaladi auf dem Maste; die Sehnsucht nach der Verlorenen ließ ihn nicht ermüden, und nur


- 465 -

für einen kurzen Augenblick war er unten gewesen, um sich das Nachtrohr des Steuermannes zu holen.

Raffley hatte auf dem Hinterdecke zwei Hängematten befestigen lassen. Da saßen wir und blickten in die milde Nacht hinaus. Eine Nacht wie diese war bei dem jetzt wehenden Monsun, welcher stets gewaltige Regengüsse mit sich bringt, eine große Seltenheit; daher genossen wir sie mit innigem Behagen und hatten dazu nur den einen Wunsch, daß wir den Chinesen bemerken möchten.

»Charley!«

»Sir John!«

»Wollen wir wetten?«

»Hm! Worüber?«

»Daß meine Chair-and-umbrella-pipe verloren ist. Dieser heillose Schurke ist uns total auf und davon gegangen.«

»Ich wette nicht, obgleich ich meine, daß ich diese Wette gewinnen würde.«

»So habt Ihr also noch immer Hoffnung?«

»Noch immer. Wir erreichen jetzt die Höhe von Batticaloa. Bis jetzt haben wir gar nicht erwarten können, den Piraten zu treffen; er wird sich hüten, sich in die belebten Gewässer zwischen hier und Trinkomali zu wagen. Wartet nur noch eine halbe Stunde, dann durchschneiden wir stillere Fluten!«

»Charley, wenn Ihr recht habt, so will ich Euch für einen ganzen Mann halten, trotzdem Ihr niemals zu einer Wette zu bringen seid. Es liegt mir ganz außerordentlich viel daran, meine Umbrella-pipe wieder zu bekommen; ich kann mich ohne sie ja gar nicht in Altengland sehen lassen!«

»Ich denke, daß Ihr sie in einigen Stunden wieder haben werdet.«


- 466 -

»Well! Aber diese Molama soll, wenn ich sie vornehme, an den Schirm denken, so lange diese fatale Insel unter ihren Füßen ist!« zankte er ingrimmig vor sich hin, indem er mit dem Arme eine Bewegung machte, deren Bedeutung leicht zu erraten war.

Und kaum war die erwähnte halbe Stunde vergangen, so ertönte vom Ausgucke der Ruf:

»Feuer, grad im West!«

»Wie weit von hier!« fragte Raffley hinauf.

»Wohl nicht drei Meilen.«

»Was für Feuer?«

»Es muß am Lande sein.«

Während dieser Fragen und Antworten hatte ich in die Wanten gegriffen und schwang mich hinauf zu Kaladi.

»Zeig her das Rohr!«

Ich blickte hindurch. Das Rohr war ausgezeichnet; ich erkannte eine ganze Reihe brennender Hütten und eine Menge Menschen, welche wirr durcheinander wogten. Da - ich zog das Rohr etwas weiter aus - wirklich, dort schleppten einige Männer mehrere Frauenzimmer mit sich fort.

»Hoi - ho!« rief ich hinunter auf das Deck. »Ein Dorf ist überfallen und angezündet worden.«

»Vom Chinesen?«

»Vielleicht. Wir sind zu fern, um deutlich sehen zu können.«

»Schnell an die Reffs; zieht alle ein!« kommandierte Raffley. »Maschinist, halbe Kraft; Mann am Steuer, dreh' um auf Ost nach West!«

Im Nu waren sämtliche Segel eingezogen und die Jacht ging langsam und geräuschlos der Küste zu. Je näher wir derselben kamen, desto mehr wurde das Feuer


- 467 -

auch denen sichtbar, welche sich unten auf dem Decke befanden. Der Himmel rötete sich immer stärker, und endlich waren die Flammen mit bloßen Augen zu erkennen.

Mit dem Rohre konnte ich deutlich sehen, was am Lande vorging; doch kümmerte mich das jetzt nicht; ich mußte suchen, das Schiff zu finden, dem diejenigen angehörten, welche den Ueberfall unternommen hatten. Ich suchte daher sorgfältig den dunklen Vordergrund des Wassers ab, und richtig - da lag ein Fahrzeug, und zwar nicht anders als grad in der Linie, welche wir durch die See zogen.

»Hoi - ho! Ein Schiff in Sicht!« signalisierte ich.

»Wo?« fragte Raffley.

»Grad vor unserm Bug.«

»Geht es vorüber? Welche Richtung dabei?«

Ich sah schärfer hin.

»Es liegt fest.«

»Vor Anker oder beigedreht?«

»Vor Anker, scheint es mir.«

»Well, dann entgeht es uns nicht. Was ist es für eine Nation?«

»Kann es nicht erkennen, doch - es scheint wahrhaftig der Haiang-dze zu sein!«

»Alle Wetter! Fahr es an, Mann am Steuer, fahr es an und dreh bei an seinem Luv!«

Als wir dem Fahrzeuge näher kamen, erkannten wir es als eine chinesische Dschonke und sahen zugleich an der uns wohlbekannten Takelung, daß es der Haiang-dze war.

»Tom, leg Kartätschen ein!« kommandierte Raffley.

Er hatte also die Absicht, den Chinesen nicht durch den gewöhnlichen blinden Schuß zum Flaggenziehen zu


- 468 -

bewegen, sondern sofort zum Angriff überzugehen. Ich glitt so schnell wie möglich auf das Deck nieder und trat zu ihm.

»Sir John Raffley!«

»Charley!«

»Wollt Ihr den Chinesen wirklich anfahren?«

»Natürlich! Die Besatzung ist am Lande, und ich will meine Chair-and-umbrella-pipe so bald wie möglich haben. Die paar Mann, welche sich an Bord befinden, werden überrumpelt.«

»Allerdings, aber sie werden Zeit haben, sich vorzubereiten und ein Alarmsignal zu geben.«

»Das können wir nicht vermeiden.«

»O doch! Noch sind wir von der Dschonke aus nicht bemerkt worden, weil die Jacht keine bedeutende Bordhöhe hat. Wir können beidrehen und den Chinesen unbemerkt besteigen.«

»Egad, Ihr habt wieder recht, Charley. Stopp Maschinist! Mann am Steuer, dreh bei im Augenblick!«

Die Jacht gehorchte dem Steuer und beschrieb, immer langsamer werdend, einen engen Kreis, bis sie, auf dem Ausgangspunkte desselben angekommen, still lag. Raffley wandte sich zu mir. »Ich lasse ein Boot aussetzen!«

»Nein, Sir John. Seht durch das Glas! Es befinden sich bloß zwei Mann an Bord, grad so viel, als zur Vermeidung der Abtrift nötig sind. Ich werde mit Kaladi sofort hinüberschwimmen und sie schweigsam machen.«

»Das ginge; aber seid Ihr denn solch ein guter Schwimmer, Charley?«

»Bis da hinüber komme ich sicher. Kaladi!«

»Sihdi!« rief der Genannte vom Maste herab.


- 469 -

»Komm nieder!«

Er folgte dem Rufe und trat zu uns.

»Du willst deine Molama so bald als möglich wieder sehen?«

»Sihdi, laß mich hinüber! Ich gebe allen, die auf dem Decke sind, den Dolch!«

»Wir gehen miteinander.«

»Aber was dann?« fragte Raffley.

»Geschehen kann uns nichts; ein solcher Fall braucht also gar nicht vorgesehen zu sein. Sobald wir Herren des Schiffes sind, geben wir euch mit einer Signallaterne, deren Licht nur von hier aus bemerkt werden kann, ein Zeichen, und dann legt Ihr eiligst bei uns an. Das übrige versteht sich dann ganz von selbst.«

»Wähl. So macht also los!«

»Bringt auch meine Waffen mit herüber!« bat ich noch; dann legte ich die Oberkleider ab, steckte das Messer zu mir und ließ mich in die Fluten hinab.

Kaladi folgte mir augenblicklich. Er war ein ausgezeichneter Schwimmer und blieb mir immer an der Seite. Je näher wir dem Feinde kamen, desto vorsichtiger wurden wir. Die Wellenthäler möglichst benutzend, ließen wir uns, auf den Wogenkämmen angelangt, mehr treiben als daß wir arbeiteten; so vermieden wir allen verräterischen Schaum und Gischt und gelangten glücklich an die Seite des Chinesen.

Die beiden Männer, welche sich auf dem Decke befanden, standen auf der dem Lande zugekehrten Seite des Deckes und hatten uns also nicht bemerkt. Ein Tau, an welchem ein Eimer befestigt war, hing in das Wasser nieder; dieser Umstand kam uns trefflich zu statten. Ich nahm das Messer zwischen die Zähne, ergriff das Tau und schwang mich empor. Als ich über die Reiling stieg,


- 470 -

befand sich Kaladi bereits hart hinter mir. Wir erreichten das Deck und hielten vorsichtig Umschau.

Wirklich befanden sich nur die beiden Männer an Bord, wenn nicht noch einer unten im Raume war. Wir konnten beginnen.

»Vorwärts, Kaladi!«

Wie ein Schatten glitt der Singhalese dahin, unsichtbar und unhörbar für jeden andern außer mir. In der nächsten Minute tauchte er hinter den beiden Räubern auf, faßte den einen beim Genick und stieß ihm den Kris so tief zwischen die Schultern, daß der scharfe, spitze Stahl das Herz durchbohrte. Der Getroffene brach mit einem Seufzer zusammen.

Der andere wand sich unter meiner Faust; ich hatte guten Grund, ihn nicht zu töten.

»Fesseln!« befahl ich Kaladi.

Dieser hielt schnelle Umschau und brachte im Augenblick das Passende herbei, den Gefangenen zu binden. Ich hielt demselben das Messer auf die Brust.

»Verstehst du das hiesige Malayisch, Kaladi?«

»Ein wenig, Sihdi.«

»Frage ihn, ob jemand unter Deck ist!«

»Nein,« antwortete der Gefangene.

»Wie viele Männer sind am Lande?«

»Dreiundzwanzig.«

»Gut. Schaffe ihn zum Mast, und binde ihn dort fest!«

Ich ging zum Signal- und Flaggenkasten, zog eine gelbe Laterne hervor, umhüllte sie von drei Seiten, brannte die Lampe an und hißte sie dann am Flaggenstocke empor.

Das Zeichen wurde bemerkt, und die Jacht kam heran, um sich Seite an Seite mit dem Haiang-dze zu legen.

»All right?« fragte Raffley herüber.


- 471 -

»Alles wohl, Sir. Kommt herauf, und laßt die Jacht abstoßen, damit sie nicht vorzeitig bemerkt wird.«

Ich vernahm die Befehle Raffleys. Er ließ bloß zwei Mann auf der Jacht, welche von dem Chinesen abstieß und sich in das nächtliche Dunkel zurückzog. Wir waren jetzt allerdings nur sechs Mann, während der Feind dreiundzwanzig zählte, doch schien uns allen der Gedanke, daß wir überwältigt werden könnten, eine Unmöglichkeit.

»Wo ist Molama? Darf ich sie jetzt suchen?« fragte Kaladi.

»Bleib!« gebot ihm der Engländer. »Dort stößt das erste Boot vom Lande; wir brauchen alle Hände an Deck. Schafft Stricke genug herbei, zu fesseln, was nicht stirbt!«

Das Boot, welches Raffley meinte, war mit Frauen und Mädchen beladen und wurde von sechs Matrosen gerudert. Es kam näher und rief das Schiff an. Kaladi antwortete kurz, und das Fallreep wurde niedergelassen. Während ein Mann zur Sicherheit im Kahne blieb, stiegen die andern fünf nach oben. Ihr Erstaunen und die Schnelligkeit unserer Bewegung ermöglichten es, ihrer Herr zu werden, ohne daß sie Lärm zu machen vermochten. Einen Augenblick, nachdem sie das Deck betreten hatten, lagen fünf Leichen an Bord.

Kaladi stieg, ohne einen Befehl dazu erhalten zu haben, in das Boot hinab, um sich auch des sechsten zu versichern. Es gelang, und nun wurden die Frauen auf das Deck befördert. ihr Klagegeschrei war gräßlich, doch wurden sie durch die ernste Stimme Raffleys bald zur Ruhe gebracht, ohne daß sie seine Worte verstanden.

Der zweite Kahn, weicher sich jetzt dem Schiffe nahte,


- 472 -

hatte das gleiche Schicksal, nur mit dem Unterschiede, daß wir jetzt die Malayen nicht töteten, sondern fesselten. Wir konnten dies, da das dritte und letzte Boot noch zu fern war, als daß die Insassen desselben das Getümmel des Kampfes hätten bemerken können. Die zwei Boote wurden, um unten freien Raum zu bekommen, an die andere Seite des Schiffes gelegt.

Endlich nahte das dritte; es mußte den Anführer enthalten. Er kam als der erste zum Fallreep herauf und war eine beinahe herkulische Gestalt, welche bis unter die Zähne in Waffen stak. Es wurde mit ihm ebenso wenig Federlesens gemacht wie mit den andern: Raffley legte ihm die beiden Hände um den Hals und Kaladi wand ihm die Stricke um Arme und Beine. Den andern ging es ebenso; dann waren wir vollständig Herren des Schiffes.

»Laternen an!« gebot Raffley, und bald wurde es hell auf dem Deck.

Die Gefangenen wurden im Vorderraume untergebracht und scharf bewacht, dann ging es an eine Untersuchung des Raumes. Er enthielt eine reichliche und jedenfalls zusammengeraubte Ladung von Zimmet, Reis, Tabak, Kaffee, Ebenholz und - geraubten Frauen. Unter den letztern befanden sich die in Point de Galle Vermißten, und auch Molama, die >Blume des Lebens<, war unter ihnen. Die Freude des Wiedersehens zwischen ihr und Kaladi läßt sich nicht beschreiben, und ebenso unbeschreiblich klangen die Ausdrücke, in denen sie den großen Maharadschas aus Anglistan und Germanistan ihren Dank ausdrückte.

Die heute nacht überfallenen und nach dem Schiffe geführten Frauen merkten bald, woran sie waren, und ihr früheres Verzweiflungsgeheul verwandelte sich daher in


- 473 -

ein helles Jubelgeschrei. Sie erzählten uns das Ereignis. Die Männer waren bei dem Ueberfall einfach davongelaufen. Die Räuber aber hatten nun die Frauen, so vieler sie habhaft wurden, zusammengebunden und mitgenommen, nachdem die primitiven Hütten des Ortes in Brand gesteckt worden waren.

Raffley machte den ohrenzerreißenden Freudenbezeugungen ein schnelles Ende. Nachdem wir die Fesseln der Frauen zerschnitten hatten, gebot er ihnen, an das Land zurückzukehren. Sie gehorchten diesem Befehle schleunigst, denn auf diese Weise kamen die drei Boote des Chinesen in ihren Besitz, und diese waren ihnen jedenfalls mehr wert als die sämtlichen Schilf- und Basthütten ihres niedergebrannten Dorfes.

Als nun der Morgen anbrach, war alle notwendige Arbeit vollbracht, und wir gingen in die Kajüte des gefangenen Kapitäns. Der erste Gegenstand, welcher uns hier in die Augen fiel, war Raffleys Schirm, nach dem sein Besitzer, überhäuft von Beschäftigung, Molama gar nicht gefragt hatte.

»0 wonderful, meine Chair-and-umbrella-pipe!« rief der Engländer, indem er wie ein Stößer auf das Kabinettsstück Zufuhr, um es aufzuspannen und zu prüfen, ob es keinen Schaden genommen habe. Dann blickte er mir über den Klemmer hinweg in die Augen und erhob die drei Finger der Rechten.

»Charley!«

»Sir John Raffley!«

»Ich schwöre bei allen chinesischen Banditen und Seeräubern, daß ich diese prachtvolle Umbrella-pipe nicht wieder aus den Augen lasse, bis ich zurückgekehrt bin zum Traveller-Club, London, Near-Street 47!«


- 474 -

Ich nahm die ernsthafteste Miene an, die mir möglich war, und erwiderte:

»Und ich verspreche, Euch beizustehen Tag und Nacht in der Bewachung dieser kostbaren Pipe, die ihresgleichen sucht, soweit die Erde reicht und die Wolken gehen!«

»Well! Jetzt aber wollen wir uns hier ein wenig genauer umsehen!«

Der kleine Raum war mit orientalischer Pracht eingerichtet, doch wandte sich unsere Neugier ganz besonders einer aus blankem Kupferblech gefertigten Kassette zu, welche wir mit dein Dolche aufsprengten. Sie enthielt außer einer nicht unbedeutenden Summe an Geld eine Menge Perlen, welche jedenfalls keine andern waren, als die auf der Insel Karetiwu gestohlenen.

Jetzt wurden die Gefangenen nach dem Schiffsraume gebracht; die Dschonke zog einiges Segelwerk auf und wurde von der Jacht ins Schlepptau genommen; dann steuerten wir West bei Süd, umschifften Hambantotte, Tangalle und Kap Thunder-Head mit seinen berühmten Tempelruinen zum zweitenmal und langten nachmittags in Point de Galle an, wo unser Erscheinen das größte Aufsehen erregte. Es war ja ganz beispiellos, daß sich ein kleiner Privatdampfer an den berüchtigten Girl-robber gemacht und diesen gekapert hatte, ohne nur einen Schuß zu thun.

Der Mudellier war soeben erst von der Elefantenjagd zurückgekehrt; er konnte vor Erstaunen über unsere Erlebnisse fast keine Worte finden und mußte sich die Vorwürfe gefallen lassen, welche Raffley nicht zurückhielt darüber, daß sein treuer Kaladi dieses Räubers wegen beinahe ersäuft worden war. Der Engländer überantwortete ihm die Gefangenen zur Bestrafung und das Schiff zur Bewahrung, bis der Gouverneur selbst es be-


- 475 -

sichtigen [besichtigen] und seinen Spruch über das Recht des Besitzes fällen werde.

Der beschämte Beamte benahm sich außerordentlich freundlich gegen uns und bat Raffley, der mächtigen Königin von Anglistan von seiner Güte, Weisheit und Gerechtigkeit zu erzählen. Dieser versprach es ihm lächelnd, warf ihm aber dabei über den auf die Nasenspitze vorgerutschten Klemmer einen Blick zu, in welchem etwas ganz anderes als die Anerkennung der gerühmten Weisheit und Gerechtigkeit lag.

Kaladi und Molama erhielten so verhältnismäßig reiche Geschenke von dem über den Wiederbesitz seiner Umbrella-pipe glücklichen Engländer, daß sie nun die Mittel besaßen, Mann und Frau zu werden. Wir waren bei ihrer Hochzeit zugegen.

Später kam der Gouverneur von Kolombo herüber, um den Haiang-dze zu besichtigen. Er suchte uns im Hotel Madras auf, welches wir noch bewohnten, und sprach seine Anerkennung aus über die Energie, welche die kleine Jacht bei der abenteuerlichen Affaire gezeigt hatte. Dann griff er in die Tasche und zog ein wohlgefülltes Portefeuille hervor.

»Und hier sind die hundert Pfund, welche Ihr gewonnen habt, Sir; ich habe meine Wette verloren.«

Raffley griff zu, schob die Banknoten gleichmütig in seine Tasche und fragte mich:

»Seht Ihr nun, Charley, wie gut es ist, wenn man zuweilen eine kleine Wette pariert?«

»Ich sehe es, werde aber dennoch nie wetten.«

»Ja, das ist es ja eben! Ihr seid ein ganz prächtiger Kerl, Charley, aber wenn Ihr es nie --- «

»Stopp! Sagtet Ihr mir gestern nicht, daß Ihr mich für einen ganzen Mann halten wolltet, wenn meine


- 476 -

Meinung richtig sei? Nun wohl, ich hatte recht, und Ihr habt Eure Umbrella-pipe wieder! Also?«

»Yes, ein ganzer Mann seid Ihr, das ist wahr; aber immer noch kein richtiger Gentleman, denn Ihr fürchtet Euch vor dem Wetten, was keinem richtigen Sportsman einfallen wird. Ich habe Euch lieb und muß Euch daher von ganzem Herzen bedauern. Gebt Euch doch Mühe; es kann ja nicht so sehr schwer sein, so zu werden, wie es sich eigentlich für Euch schickt, nämlich noble und gentlemanlike. Ihr habt das Zeug dazu, wenn Ihr nur wollt!« - - -


An der Tigerbrücke


Einführung zu "Am Stillen Ocean"


Verfügbare May-Texte


Titelseite