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Zweites Kapitel.

Am Makik-Natun.

Zunächst und vor allen Dingen mußte ich darauf bedacht sein, keine sichtbaren Fußeindrücke zu hinterlassen. Bis zum Walde hin brauchte ich mir in dieser Beziehung keine große Mühe zu geben, denn ich suchte die kahlen, graslosen Stellen auf, welche es da gab; sie waren von der Sonne hartgebrannt, so fest wie Stein, und nahmen keine Spur auf. Uebrigens stand fast mit Sicherheit zu erwarten, daß die Indianer nicht nach dieser Seite kommen würden.

   Aber dann im Walde wurde die Sache schwieriger. Der Boden war weich, und ich sah mich gezwungen, auf allen Vieren zu gehen, das heißt aber nicht auf den Händen und Füßen, sondern auf den Finger- und Zehenspitzen. Was das heißt und wie außerordentlich anstrengend das ist, das weiß freilich bloß Der, der es ausgeführt hat. Ich kenne keine körperliche Anstrengung, welche soviel Kraft und Ausdauer erfordert, wie dieses Gehen auf den Zehen und Fingern. Dazu kam, daß ich diese Bewegung rückwärts machen mußte, weil es nötig war, die Eindrücke, welche ich doch nicht vermeiden konnte,


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sogleich wieder auszulöschen. Ich ging also mit den Fußspitzen voran und mit den Fingern hinterdrein, trat mit den letzteren stets genau in die Spur der ersteren und wischte nach jedem Schritte diese Spur mit der Hand wieder aus. Es ist selbstverständlich, daß diese Fortbewegung darum eine höchst langsame war.

   Wohin ich mich zu wenden hatte, darüber war ich nicht im Zweifel. Ich wußte die Richtung, aus welcher die Comantschen kamen, und kannte also die Stelle, an welcher sie den Wald erreichen mußten. Von dieser aus suchten sie höchst wahrscheinlich geraden Weges das Regenbette auf, um Wasser zu haben, und dort war es, wo ich mich zu verstecken hatte.

   Diese Stelle hätte ich nach höchstens fünf Minuten erreichen können, wenn es mir erlaubt gewesen wäre, in gewöhnlicher Weise zu gehen, so aber brachte ich über eine Stunde zu, ehe ich an das Wasser kam. Dort sah ich mich um; ich mußte mich verstecken, aber wo? Ich brauchte nicht lange zu suchen. Ich sah eine Baumleiche liegen, welche ganz von wildem Epheu übersponnen war. Der Epheu bedeckte nicht nur den Baum, sondern er wucherte weiter und hatte auch das benachbarte Gesträuch so um- und überrankt, daß es abzusterben begann und er eine dichte, grüne Decke bildete, unter welcher ich mich sehr gut verstecken konnte.

   Freilich war anzunehmen, daß ich nicht das erste Wesen sein würde, welches da eine Zuflucht suchte. Ich kroch hin und stocherte mit dem Bärentöter hinein; wirklich stöberte ich da allerlei Viehzeug auf; ich sah sogar zwei Klapperschlangen, welche die Flucht ergriffen. Das wäre eine sehr schlimme Gesellschaft für mich gewesen, und es war nur gut, daß sie nicht angriffsweise gegen den Ruhestörer vorgingen. Sie hatten wohl vor kurzem gefressen


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gehabt, und wenn diese Tiere gesättigt sind, hat man sie nicht so sehr zu fürchten, wie wenn sie Hunger haben.

   Nun schob ich mich soweit wie möglich unter den Epheu hinein, hütete mich dabei aber sehr, irgend eine Ranke abzureißen, was mich den Roten sehr leicht hätte verraten können. Da vorauszusehen war, daß mein Aufenthalt an dieser Stelle kein kurzer sein werde, machte ich es mir möglichst bequem und wartete dann der Dinge, welche kommen würden. Ganz selbstverständlich sorgte ich dafür, daß ich durch den Epheu sehen und alles beobachten konnte.

   Ein anderer wäre im Zweifel darüber gewesen, ob die Roten überhaupt kommen würden; ich aber war überzeugt, daß meine Vermutung richtig sei. Leider lag ich im Walde und nicht am Rande desselben, wo ich sie schon von weitem hätte sehen können.

   Die Zeit vergeht einem unter solchen Umständen sehr langsam; die Minuten werden zu Stunden. Es war auch möglich, daß die Indsmen nicht die gerade Richtung einhielten und also den Wald an einer andern Stelle betraten. Wenn das der Fall sein sollte, so wurde mir die Ausführung meines Vorhabens erschwert.

   Darum war ich herzlich froh, als ich endlich ein Geräusch hörte, welches sich mir näherte. Sie kamen, Erst sah ich zwei Rote, welche vorausgeritten waren, um nach einem geeigneten Platze zu suchen. Sie sahen sich um, und der eine sagte zum andern:

   »Hier ist eine gute Stelle. Mein Bruder kann absteigen; ich werde die andern holen.«

   Er ritt zurück, während sein Kamerad aus dem Sattel stieg und sein Pferd nach dem Wasser führte, um es trinken zu lassen. Nach kurzer Zeit kam der ganze Trupp, doch ohne den Häuptling. Ich sah die zwei


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Diener und die zwei Führer des Persers, welche gebunden waren, und ich sah zu meiner Freude auch die beiden Snuffles. Sie waren unverletzt und ritten ihre Maultiere. Meine List war also gelungen; man hatte diese beiden Tiere gefunden. Nur fragte es sich, ob die Snuffles so klug gewesen waren, nicht zu verraten, daß sie sich in Gesellschaft befunden hatten.

   Die Gefangenen wurden aus den Sätteln gehoben und auf die Erde gelegt. Auch die Roten setzten sich und ließen ihre Pferde im Buschwerke nach Laub und Gras suchen. Erst jetzt durfte ich sicher sein, daß meine Spur unentdeckt bleiben werde.

   Daß der Häuptling nicht gleich mitgekommen war, bekümmerte mich nicht im geringsten; es war mir im Gegenteile sehr lieb. To-kei-chun fühlte seine Würde und hielt es für derselben angemessen, nicht unter den gewöhnlichen Kriegern zu reiten, sondern ein Stück zurückzubleiben. Wenn er dies später ebenso that, stand zu erwarten, daß er nicht zu gleicher Zeit mit den andern aufbrechen, sondern noch einige Minuten warten werde. In diesem Falle bekam ich dadurch Gelegenheit, ihn in meine Gewalt zu bringen, wenn sich nicht schon vorher eine andere dazu fand.

   Endlich kam er, wohl eine volle Viertelstunde später als die andern. Er stieg ab und setzte sich ganz nahe an den umgestürzten Baum, unter dessen Epheudecke ich lag. Er stopfte sich seine Friedenspfeife und rauchte sie in langsamen Zügen aus, ohne ein Wort zu sprechen. Seine Leute Waren ebenso schweigsam. Als er den letzten Zug gethan hatte, hing er sich die Pfeife wieder um den Hals und sagte zu den beiden Roten, welche zuerst gekommen waren:

   »Mein Brüder mögen mir die beiden Bleichgesichter herbringen, welche Snuffles genannt werden.«


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Jim und Tim wurden wie Säcke herbeigeschleppt und vor To-kei-chun niedergelegt. Dieser fixierte eine Zeitlang ihre Gesichter und sagte dann:

   »Die beiden Snuffles mögen hören, was ich ihnen zu sagen habe, und mir endlich eine wahre Antwort geben. Sie sollen am Makik-Natun den Tod des Marterpfahles erleiden; aber wenn sie offen und ehrlich sprechen, werden wir ihnen die Freiheit geben. Haben sie den weißen Mann gekannt, der unser Gefangener war und gestern abend auf so unbegreifliche Weise verschwunden ist?«

   Jim antwortete:

   »Du legst uns diese Frage nun zum fünftenmal vor, und ich antworte zum fünftenmal ganz dasselbe: Wir haben ihn nicht gekannt.«

   »Aber ihr wißt, wohin er ist?«

   »Nein.«

   »Er war gebunden, so fest gebunden, daß er sich nicht selbst losmachen konnte!«

   »Du wirst dich irren; er wird eben nicht fest gebunden gewesen sein und hat sich selbst befreit.«

   »Ich habe kurz vorher selbst seine Fesseln untersucht; sie waren gut.«

   »So ist er wahrscheinlich ein Zauberer. Die Bleichgesichter haben ja auch ihre Medizinmänner und Tausendkünstler. So einem ist es sehr leicht, sich aus den festesten Banden zu befreien.«

   »Nein. Es muß jemand dagewesen sein, der ihm die Riemen geöffnet hat.«

   »Ganz unmöglich! Er lag ja mitten unter euch und wurde von euch allen bewacht.«

   »Als wir dich und deinen Bruder fingen, gaben wir nicht auf ihn acht; in diesem Augenblicke ist er fort.«

   


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»Trotzdem ihm die Hände und Füße gefesselt waren?«

   »Ja. Es ist ein Bleichgesicht in der Nähe gewesen, welches den Augenblick benutzt und ihn fortgeschafft hat.«

   »Einen Gefangenen aus siebzig Indianern herausgeholt? Das müßte ein verwegener, ja ein tollkühner Mann sein. Es gibt keinen vernünftigen Menschen, der dies wagen würde.«

   »Es gibt einen, aber auch nur einen einzigen.«

   »Wer wäre das?«

   »Old Shatterhand. Ich kenne diesen weißen, räudigen Hund; ich weiß alles, was er gethan und gewagt hat. Er war einst mein Gefangener und hat uns gezwungen, ihn loszulassen. Das, was gestern abend geschah, ist ganz genau so, als ob er es gethan hätte. Wenn ich nicht wüßte, daß er weit von hier im Norden ist, um den Tod Winnetous, seines ebenso räudigen Bruders, zu rächen, so glaubte ich, er sei hier. Du hast mit deinem Bruder unser Lager beschlichen, als uns der Gefangene abhanden kam; ihr müßt den kennen, der ihn befreit hat.«

   »Wir wissen nichts.«

   »Das ist eine Lüge, welche euch das Leben kosten wird. Wenn ihr uns die Wahrheit sagtet, würden wir euch die Freiheit schenken.«

   »Das ist auch eine Lüge!«

   »Es ist keine!«

   »Ich weiß, daß es nicht wahr ist und daß du uns durch dieses Versprechen zum Reden bringen willst.«

   »Was To-kei-chun verspricht, das hält er!«

   »Pshaw! Wenn du mit uns das Kalumet darauf rauchst, wollen wir es glauben.«

   »To-kei-chun raucht mit keinem Gefangenen die Pfeife des Friedens.«


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  »Da hast du es; du willst uns täuschen! Ihr habt das Beil des Krieges ausgegraben; folglich ist jeder Weiße verloren, der in eure Hände fällt. Selbst wenn das wahr wäre, was du denkst, und wir es dir geständen, würdest du dein Wort nicht halten und uns hinrichten lassen.«

   »So wollt ihr also nicht reden?«

   »Nein.«

   Der Häuptling hatte bis jetzt in ruhigem Tone gesprochen; er war der Meinung gewesen, daß er Jim zum Reden bringen werde. Nun sah er sich getäuscht und fuhr zornig auf:

   »Was sagt der andere Snuffle dazu? Will auch er nichts gestehen?«

   »No,« antwortete Tim in seiner kurzen, wortkargen Weise.

   »So will ich euch sagen, daß ihr allerdings richtig gedacht habt: Ich hätte euch nicht freigegeben; ihr hättet dennoch sterben müssen; aber wir hätten euch eine Kugel gegeben, so daß euer Tod ein schneller gewesen wäre. Doch da eure Mäuler das Sprechen verlernt haben, werden wir sie euch zum Heulen und jammern, zum Klagen und Stöhnen öffnen. Ihr werdet alle Qualen erleiden, welche wir uns aussinnen können!«

   »Pshaw, das werden wir nicht!«

   »Ihr werdet es! Ich sage es euch, und in solchen Dingen halte ich Wort!«

   »Ja, wenn du kannst; diesmal aber kannst du nicht!«

   »Wer will mir verwehren, zu thun, was ich will?«

   Jim sah ihm mit einem schlau forschenden Blicke in das Gesicht und antwortete dann:

   »Nicht wahr, das möchtest du gern wissen? Das glaube ich! Die beiden Snuffles so am Marterpfahl


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schinden, das wäre für euch so das höchste der Gefühle; aber so wohl wird es euch nicht werden; dafür ist schon gesorgt!«

   »Das sagst du nur aus Furcht vor uns!«

   »Ich mich fürchten? Jim Snuffle und Furcht? Hahahaha! Ich sage dir, wenn ihr uns nur ein Haar krümmt, so seid ihr alle verloren!«

   »Uff, uff! Kann so ein stinkender Hund, wie du bist, uns drohen?«

   »Das kann ich, obgleich ich kein Hund bin. Es ist einer hinter euch her, der unsern Tod blutig rächen würde.«

   »Wer?«

   »Der, den du vorhin genannt hast.«

   »Wen meinest du? Wen habe ich genannt?«

   »Du erwähntest seinen Namen und daß er allein fähig sei, den verschwundenen Gefangenen befreit zu haben.«

   »Meinst du etwa Old Shatterhand?«

   »Ja.«

   »Der soll hier sein?«

   »Ganz in der Nähe!«

   »Uff, uff! Glaubst du wirklich, mich betrügen zu können?«

   »Ich will dich nicht täuschen, sondern was ich sage, das ist wahr.«

   »To-kei-chun blickt in dein Herz und errät deine Gedanken. Was du sagst, hast du dir soeben erst ausgesonnen. Ich erwähnte vorhin Old Shatterhand; nur dadurch bist du auf den Gedanken gekommen, zu sagen, daß er sich in der Nähe befinde.«

   »Nein, er ist wirklich da!«

   »Wer hat es dir erzählt?«

   »Niemand brauchte es mir zu sagen. Ich habe ihn gesehen.«

   


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»Pshaw!« antwortete der Häuptling in verächtlichem Tone.

   »Und mit ihm gesprochen!«

   »Pshaw!«

   »Ist es nicht wahr, alter Tim?«

   »Yes,« nickte der Gefragte.

   »Ihr lügt beide!«

   »Nein!« beharrte Jim auf seiner Aussage. »Wir haben ihn nicht nur gesehen und mit ihm gesprochen, sondern wir sind sogar mit ihm geritten.«

   »Früher, aber nicht jetzt!«

   »Jetzt! Er war auch gestern abend bei uns und stieg mit mir zu euch hinab, um euch zu belauschen. Da stürzte mein Bruder von oben herunter und ich sprang vor, um ihn zu befreien. Das war eine große Dummheit von mir. Old Shatterhand war klüger; er blieb im Dunkeln. Da sah er eure Verwirrung und war so kühn, dieselbe zur Befreiung des Gefangenen zu benutzen.«

   Dies war wahr und klang so wahr, daß der Häuptling doch stutzte. Ich stutzte nicht nur auch, sondern ich wußte gar nicht, was ich von diesem Jim Snuffle denken sollte. Er konnte alles, alles verderben. Wenn ihm der Häuptling Glauben schenkte und schnell seine Maßregeln darnach einrichtete, war nicht nur die Ausführung meines Vorhabens unmöglich, sondern es konnte sogar um mich geschehen sein. Es konnte für Jim nur einen Grund geben, meine Anwesenheit zu verraten, nämlich den Roten Furcht vor mir einzuflößen und sie dadurch abzuhalten, die Gefangenen zu töten.

   To-kei-chun sah ihm eine ganze Weile still und forschend in das Gesicht; dann machte er eine wegwerfende Handbewegung und fragte:

   »Old Shatterhand ist also wirklich bei euch gewesen?«

   


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»Ja.«

   »Und mit dir von der Höhe zu uns herabgestiegen?«

   »Ja.«

   »Kröte, die du bist! Glaubst du denn wirklich, To-kei-chun den ältesten und erfahrensten Häuptling der Comantschen, betrügen zu können? Wäre das wahr, was du sagest, so hätte Old Shatterhand nicht diesen Mann, der ihm fremd war, sondern dich oder deinen Bruder oder euch beide herausgeholt!«

   »Das war nicht möglich!«

   »Das andere war ebenso unmöglich! Und weißt du nicht, daß zwanzig meiner Krieger nach Spuren gesucht haben, als der Tag anbrach?«

   »Sie waren blind!«

   »Sie waren sehr sehend, denn sie haben eure Maultiere gefunden, aber keine Spur von Old Shatterhand und dem Gefangenen.«

   »Grad das sollte dir beweisen, daß Old Shatterhand dagewesen ist. Die Spur eines jeden andern Mannes hättet ihr entdeckt; er aber versteht es, wie kein zweiter, die seinige zu verwischen.«

   »Des Nachts? Soll ich über dich lachen? Wer eine Spur auswischt, muß dieselbe sehen können; aber selbst diesem weißen Hund ist es in der Finsternis nicht möglich, seine eigene Fährte zu erkennen. Aus dir spricht die Angst vor dem Martertode. Um dich zu retten, willst du uns auch in Angst versetzen. Old Shatterhand ist weit, sehr weit von hier. Ja, wie würde ich mich freuen, wenn das wahr wäre, was du dir ausgesonnen hast! Ich würde dieses Stinktier ergreifen und ihm das Fell bei lebendigem Leibe vom Körper ziehen. Leider aber ist es Lüge und Erfindung, durch die du dich retten willst.«

   »Es ist die Wahrheit; ich kann es beschwören.«


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»Schweig, Feigling! Ich bin mit dir fertig. Der Gefangene ist fort, wir können sein Verschwinden nicht begreifen; mag es sein! Wir haben an seiner Stelle euch beide erwischt und also nichts eingebüßt. Heute abend kommen wir nach dem Makik-Natun, und morgen früh werdet ihr dort an den Marterpfahl gebunden.«

   »Wenn dies wirklich geschähe, würdet ihr alle es mit dem Leben bezahlen!«

   »Pshaw! Diese Drohung ist das Angstgeschrei eines Vogels, der sich in den Krallen des Adlers befindet. Ich lache darüber und mag nichts mehr hören.«

   Er stand auf, um sich stolz zu entfernen, befahl aber, bevor er dies that, mit lauter Stimme:

   »Meine roten Brüder können aufbrechen, denn ihre Pferde haben getrunken. Ich werde bald nachfolgen.«

   Als Jim Snuffle mich erwähnte, hatte ich mein Messer gezogen. Hätte der Häuptling ihm geglaubt und in Beziehung auf mich irgend eine Vorkehrung getroffen, so wäre ich aus meinem Verstecke hervorgesprungen, hätte ihn gepackt und ihm das Messer an die Gurgel gelegt. Seine Leute hätten aus Rücksicht auf ihn und sein Leben es sehr wahrscheinlich nicht gewagt, sich an mir zu vergreifen, und dann wäre ich daran gewesen, meine Bedingungen zu stellen. Verwegen wäre dies allerdings gewesen, und so fühlte ich mich sehr erleichtert, als ich hörte, daß der Rote dem Snuffle keinen Glauben schenkte. Diese Erleichterung verwandelte sich sogar in Freude, als der Häuptling den Befehl zum Aufbruche gab. Er wollte nachkommen, blieb also noch hier, und ich hatte allen Grund, anzunehmen, daß mein Unternehmen einen guten Ausgang nehmen werde.

   Die Gefangenen wurden wieder auf die Pferde gebunden; die Comantschen stiegen auf und ritten fort.


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Der Häuptling war nicht zu sehen; sein Pferd stand hinter meinem Verstecke und fraß das Laub von den Zweigen. Falls er aus der Richtung zurückkehrte, in welcher er sich entfernt hatte, und zu ihm hinwollte, mußte er bei mir vorüber.

   Ich wartete in großer Spannung fünf Minuten, zehn Minuten, fast eine Viertelstunde; da kam er, ganz so, wie ich es wünschte, von da her, wohin er gegangen war. Er hatte sein Gewehr in der rechten Hand und hielt mit der linken die Decke vorn zusammen, die er um die Schultern geworfen hatte. Ich ließ ihn vorbei; er griff nach seinem Pferde; diesem schmeckte das saftige Laub; es verweigerte den Gehorsam; das Geräusch der stampfenden Hufe übertönte dasjenige, welches dadurch entstand, daß ich unter dem Epheu hervorkroch. Einige Schritte brachten mich hinter ihn. Er riß das Pferd am Zügel an sich und hob den linken Fuß, um in den Bügel zu steigen, da legte ich ihm die linke Hand, während ich ihm mit der rechten den Revolver entgegenstreckte, auf die Schulter und sagte:

   »To-kei-chun mag noch warten; ich habe mit ihm zu sprechen.«

   Er fuhr herum. Wegen meines sonderbaren Anzuges erkannte er mich im ersten Augenblicke nicht, dann aber flog der Ausdruck des Schreckes über sein Gesicht und er rief:

   »Old Shatterhand! Old - - Old - - -!«

   »Ja, Old Shatterhand ist's,« nickte ich; »der räudige Hund, den du im fernen Norden glaubtest. Bewege dich nicht, sonst schieße ich!«

   Aber er war kein Mann, der sich länger als nur einen Augenblick vom Schreck beherrschen ließ; sein Gesicht nahm schnell den Ausdruck des Gleichmutes an, und er sagte im Tone der größten Ruhe:

   


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»Uff! Du bist es wirklich. Ich höre, daß du uns belauscht hast. Was wünschest du, mit mir zu reden?«

   Mit mir zu kämpfen wagte er nicht, denn erstens war ich ihm da weit überlegen; das wußte er gar wohl, und zweitens sah er die Mündung des Revolvers und mußte annehmen, daß ich bei der geringsten Bewegung, die auf einen Angriff deutete, schießen würde. Ich blickte ihm fest in das Gesicht, denn sein Auge mußte mir seine Gedanken verraten. Es glitt von mir ab; er drehte den Kopf ein wenig um und sah nach hinten. Ah, er wollte entwischen, mit einem schnellen Sprunge ins Gebüsch hinein! Sollte ich mir den Spaß machen und ihn fortlassen? Ja! Er war mir ja auf alle Fälle sicher. Darum that ich keinen Griff, um ihn festzuhalten, und antwortete:

   »Ich will mit dir über deine Gefangenen sprechen, die du freigeben sollst.«

   »Freigeben? Welch ein Verlangen! Was gehen sie dich an?«

   »Sie sind meine Freunde.«

   »Aber meine Feinde. Wir haben den Tomahawk des Krieges gegen die Bleichgesichter ausgegraben, und jeder Weiße, den wir einfangen, wird von uns an den - - - «

   Weiter sprach er nicht; vielmehr drehte er sich bei dem letzten Worte blitzschnell um und sprang in das Gebüsch. Ich ging ihm nach, nicht schnell, sondern langsam, schlug dabei, um Geräusch zu machen, mit den Händen in das Gesträuch und rief, als ob ich in höchster Eile sei:

   »Halt, halt! Bleib stehen, sonst schieße ich dich nieder!«

   Meine Schläge in die Büsche, die er hören mußte,


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sollten in ihm den Glauben erwecken, daß ich hinter ihm herlaufe; dann aber ging ich zu seinem Pferde zurück und zog einen von den Riemen aus der Tasche, die ich gestern abend nach der Befreiung Dschafars eingesteckt hatte. Mit diesem Riemen band ich den einen Hinterfuß des Pferdes an der nächsten Buschwurzel fest und kroch hierauf schnell in mein Versteck zurück. Das Pferd stand ruhig und knupperte an dem Laube weiter.

   Ich hätte To-kei-chun sehr leicht am Entweichen hindern können, aber es machte mir nun einmal Spaß, ihn nochmals zu überlisten. Ich nahm an, daß er eine Strecke fliehen und dann vorsichtig zurückkehren werde, um sein Pferd zu holen, denn dieses war ihm unentbehrlich und trug seine Medizin am Halse, für die ein Indianer hundertmal sein Leben wagt. Und selbst wenn diese Annahme eine irrige gewesen wäre und er auf das Pferd verzichtet hätte, so mußte er seinen Leuten zu Fuß nach und ich konnte auf seinem eigenen Tiere hinter ihm her und ihn einholen.

   Ich lag also wieder unter dem Epheu und hatte zwischen den Blättern eine Oeffnung, welche mir erlaubte, nach allen Seiten zu blicken. Natürlich kam er nicht von derjenigen, in welcher er geflohen war und mich hinter sich glaubte; diese ließ ich also unbeachtet. Desto schärfer spannte ich nach den andern drei Seiten.

   Da, nach ungefähr fünf Minuten, sah ich, daß sich gerade vor mir ein Busch bewegte, leise, sehr leise. Die Zweige teilten sich, und sein Gesicht erschien zwischen ihnen. Er blickte nach dem Pferde, sah mich nicht am Platz, glaubte also, daß ich noch nach ihm suche, und sprang nun eiligst herbei, um sich aus dem Staube zu machen.


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Er gewahrte den Riemen nicht, stieg auf und wollte fort; das Pferd konnte nicht gehorchen; er forschte nach dem Grunde, bemerkte, daß es mit dem Beine festhing, und stieg wieder ab, um das Hindernis genauer zu betrachten. Als er sich dabei bückte, stand ich schon hinter ihm und sagte:

   »Ich wußte es doch, daß To-kei-chun nur spazierengehen wolle; drum ließ ich ihn fort und folgte ihm nicht, sondern wartete auf seine Rückkehr.«

   Jetzt war sein Schreck noch größer, als das erste Mal. Er fuhr empor und starrte mich ganz fassungslos an. Ich sah ihm lächelnd in das verzerrte Gesicht und fuhr fort:

   »Damit er aber nicht wieder spazieren gehe, will ich ihm zeigen, daß er sich bei Old Shatterhand befindet.«

   Er hatte sein Gewehr aus der Hand gleiten lassen, griff aber jetzt nach dem Gürtel, um das Messer zu ziehen; da traf ihn meine Faust an den Kopf; er stürzte nieder. Ein zweiter Hieb raubte ihm vollends das Bewußtsein; ich hatte ihn.

   Nun band ich zunächst sein Pferd los und stieg auf, um zu sehen, ob es mir gehorchen werde. Mit den drei Gewehren und dem Indianer in den Armen konnte ich mich auf keine Reiterkünste einlassen. Es weigerte sich nur kurze Zeit; dann sah es ein, daß Widerstreben nutzlos sei. Ich stieg also wieder ab, hing mir meine Gewehre und das seinige auf den Rücken, hob ihn selbst hoch und legte ihn dann, als ich wieder aufsaß, quer vor mir auf das Pferd, um in dieser Weise zu Dschafar und Perkins zurückzukehren.

   Erst ging es schwierig durch die Büsche; als ich dann den Wald hinter mir hatte, ritt ich Galopp. Die beiden sahen mich kommen. Sie saßen auf der Erde, sprangen aber auf und kamen mir entgegen.


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»Gott sei Dank! Da seid Ihr wieder,« rief mir Perkins schon von weitem zu. »Ah, Ihr habt einen Roten auf dem Pferde! Wohl gar ein Gefangener? Wer ist's?«

   »Seht ihn an,« antwortete ich, bei ihnen angekommen.

   »Allah, Allah!« stieß Dschafar hervor. »Das ist ja der Häuptling mit dem weißen Haar, der uns ermorden wollte!«

   »Natürlich der! Den wollte ich doch haben. Ein anderer könnte uns nichts nützen. Nehmt ihn mir ab, damit ich aus dem Sattel kann! Wir müssen ihn binden.«

   Sie hoben ihn herunter und legten ihn auf die Erde nieder. Dabei sagte Perkins:

   »Wahrhaftig, er hat ihn gefangen! Und sogar sein Pferd bringt er! Das ist ein Streich, den Euch nicht gleich ein anderer nachmacht, Mr. Shatterhand! Wie habt Ihr denn das angestellt?«

   »Sehr einfach. Es ist ganz leicht gewesen.«

   »Einfach! Leicht! Siebzig Indianer! Und er holt ihren Häuptling aus ihrer Mitte! Wer nicht dabei war, glaubt es nicht!«

   Während wir den Comantschen fesselten, erzählte ich, wie mir seine Gefangennahme gelungen war. Sie ergingen sich in allen möglichen Ausrufungen, denen ich ein Ende machen mußte, weil ich sah, daß To-kei-chun wieder zu sich kam. Er öffnete die Augen, sah uns einen nach dem andern an und schloß sie dann wieder; er mußte sich besinnen; bald aber riß er sie plötzlich wieder auf, bohrte einen Blick des unversöhnlichsten Hasses in mein Gesicht und stieß zwischen den knirschenden Zähnen hervor:

   »Der Hund hat mich ergriffen, doch meine Krieger


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werden mich befreien, indem sie zurückkehren und ihn mit Knütteln totschlagen!«

   Auf diese Beleidigung antwortete ich in ruhiger Weise:

   »Es wäre sehr klug von dem alten Häuptling der Comantschen, wenn er sich einer höflicheren Rede bediente. Sein Leben liegt in meinen Händen.«

   »Du nimmst es mir nicht, denn meine Leute werden kommen und dich zwingen, mich freizugeben!«

   »Deine paar Comantschen? Pshaw!«

   »Es sind ihrer zehnmal sieben!« donnerte er mich wütend an.

   »Das weiß ich.«

   »Sie werden euch zermalmen!«

   »Pshaw! Was sind siebzig Comantschen gegen Old Shatterhand!« entgegnete ich, mich der selbstbewußten Ausdrucksweise bedienend, welche gegenüber diesen Leuten ganz am Platze ist, weil sie dieselbe selbst so oft in Anwendung bringen.

   »Siebzig starke Büffel gegen einen kranken Hund!« fuhr er fort.

   »Soll ich über dich lachen, der auf dem Kopfe den Schnee des Alters trägt? Die Wut der Ohnmacht spricht aus dir. Ich habe mitten unter diesen siebzig Comantschen gelegen, ohne mich zu fürchten, ohne daß mein Herz einen einzigen Schlag mehr gethan hat, drei Schritte nur von dir; der kranke Hund unter siebzig Büffeln! Sie haben ihm nichts anhaben können; er aber hat den größten und stärksten Büffel in seinen Zähnen davongetragen. Wie muß es unter deinen grauen Haaren aussehen! Da sollte der Verstand der reifen Jahre wohnen, doch giebt es da nichts als den Unverstand der Knabenzeit. Warum hast du nicht geglaubt, was dir Jim Snuffle sagte? Es ist wahr.«

   


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»Ich glaubte dich nicht hier,« zischte er mich an.

   »Und doch sagtest du, daß der Verschwundene nur von Old Shatterhand befreit worden sein könne! Du widersprichst dir also selbst. Du wünschtest, daß meine Anwesenheit Wahrheit sei; dann würdest du das Stinktier, nämlich mich, ergreifen und ihm bei lebendigem Leibe das Fell vom Körper ziehen, Jetzt zieh' einmal; du hast mich ja.«

   Er antwortete nicht; er war beschämt und sah finster vor sich hin. Ich benützte diese Pause, die Taschen zu untersuchen, welche zu beiden Seiten seines Pferdes hingen. Die eine enthielt getrocknetes Fleisch und andern Proviant, auch Munition und verschiedene Gegenstände, welche dem Indianer auf Kriegszügen unentbehrlich sind. In der zweiten steckten ganz andere Sachen. Zuerst zog ich eine Brieftasche hervor.

   »Die gehört mir,« rief Dschafar. »Die Indianer haben mir alle Taschen ausgeleert. Diese Brieftasche enthält wichtige Notizen, Papiergeld und Anweisungen.«

   »So seht einmal nach, ob alles noch vorhanden ist!«

   Ich gab sie ihm; er untersuchte den Inhalt und fand zu seiner Freude, daß nichts fehlte. Hierauf brachte ich seine Börse und seine Uhr zum Vorscheine. Dann kamen allerlei Dinge, welche seinen Dienern, den Führern und zuletzt den beiden Snuffles abgenommen worden waren. Der Häuptling hatte diesen ganzen Raub für sich behalten, ob für stets oder nur einstweilen, um ihn später zu verteilen, das fragten wir ihn natürlich nicht. Die Blicke, mit denen er uns zusah, verrieten den Grimm, der in ihm kochte. Er konnte sich schließlich nicht länger beherrschen und schrie mich an:

   »Nehmt es immer! Sobald meine Krieger kommen, müßt Ihr es doch wieder hergeben!«

   


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»Deine Krieger werden nicht zu uns kommen,« antwortete ich ihm.

   »Sie kommen! Wenn sie merken, daß ich ihnen nicht folge, kehren sie um.«

   »Pshaw! Sie kommen nicht, sondern ich reite zu ihnen.«

   »Reite hin, so zerreißen sie dich, wie wachsame Hunde einen Coyoten zerfleischen!«

   »Sie werden mir ebensowenig thun wie damals, als ich dein Gefangener war und ihr, so viele hundert Krieger, es doch nicht wagtet, euch an mir zu vergreifen.«

   »Damals hattest du meinem Sohne das Leben geschenkt, und er bat für dich; dadurch wurde das deinige gerettet.«

   »Das ist unwahr. Ja, dein Sohn war mir dankbar; aber das Leben habe ich mir und uns dadurch gerettet, daß ich dich gefangen nahm. Wären wir nicht freigegeben worden, so hätte ich dich getötet, und viele deiner Krieger hätten ihr Leben lassen müssen. Du kennst ja die Gewehre, mit denen ich schieße. So ähnlich wie damals ist es heute. Du bist mein Gefangener, und ich werde dir sagen, was du zu thun hast.«

   »Ich gehorche nicht! Ich bin To-kei-chun, der Häuptling der Comantschen, und gehorche keinem Bleichgesichte.«

   »Dann bist du verloren!«

   »Pshaw! Du wirst es doch nicht wagen, mir das Leben zu nehmen!«

   »Rede nicht von einem Wagnisse! Wer kann und will mich hindern, es zu thun?«

   »Du selbst.«

   »Ich?«

   »Ja, du,« nickte er mir mit höhnischem Grinsen zu. »Ich sehe, daß du das nicht glauben willst?«

   


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»Ich glaube es allerdings nicht.«

   »Dann ist Old Shatterhand, welcher glaubt, wunder welche Berühmtheit er besitze, kurzsichtig oder gar blind, wenn es seine eigene Person gilt. Bist du denn nicht stolz auf den Ruhm, daß du niemals ohne Not einen Menschen tötest?«

   »Stolz zwar nicht, aber ich freue mich, daß man dies von mir sagt.«

   »So bin ich also sicher vor dir, denn du wirst nicht den Vorwurf auf dich laden, daß du To-kei-chun, den Häuptling der Comantschen, ermordet habest.«

   »Du irrst, denn von einer Ermordung kann hier nicht die Rede sein.«

   »Doch!«

   »Nein! Wenn ich dir eine Kugel gebe, so habe ich dich bestraft, aber nicht ermordet.«

   »Bestraft? Wofür?«

   »Daß du Bleichgesichter fängst und töten willst.«

   »Das ist nicht wahr!«

   »Willst du es etwa leugnen?«

   »Ja.«

   »So lache ich darüber.«

   »Nicht du hast, sondern ich habe zu lachen. Du kannst mich nach den Gesetzen der Prairie nur dann töten, wenn ich Blut vergossen habe. Habe ich das?«

   »Du willst es thun.«

   »Ich will es thun, hahahaha!« Er stieß ein höhnisches Gelächter aus, dem man es anhörte, wie sicher er darauf rechnete, sich bei mir nicht in Lebensgefahr zu befinden. Dann fuhr er fort: »Was ich will, das gilt hier nichts. Gieb Beweise, daß ich es gethan habe!«

   »Du hast den Gefangenen mit dem Martertode gedroht. Ich selbst habe es gehört.«

   


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»Das war eben eine Drohung, und du hast zu warten, bis sie ausgeführt worden ist.«

   »Nun gut, wenn du die Gefangenen wirklich nicht töten lassen willst, so gieb sie frei!«

   »Das thue ich nicht; sie bleiben meine Gefangenen.«

   »So kommst auch du nicht frei!«

   »Habe ich dich denn schon gebeten, mir die Freiheit zu geben? Behalte mich immerhin!«

   Das vorige höhnische Grinsen trat wieder auf sein Gesicht. Ich sagte im ruhigsten Tone, obwohl er glaubte, mich geärgert zu haben:

   »Du hältst dich jedenfalls für einen außerordentlich pfiffigen Patron und glaubst, mich überlistet zu haben. Ihr behaltet eure weißen Gefangenen, die Euch keine Last sind, und ich soll dich behalten, was mir gar nicht möglich ist, da ich dich doch nicht mit mir schleppen kann. Also gebe entweder ich dich frei oder deine Leute finden bald Gelegenheit, dich loszumachen. Das ist dein Gedanke, deine Berechnung - - - «

   Ich wollte weitersprechen; aber er hatte die Frechheit, mich mit dem mehr als offenen Bekenntnisse zu unterbrechen:

   »Ja, das denke und das hoffe ich! Old Shatterhand ist kein Mörder. Selbst wenn er strafen will, thut er dies nur dann, wenn vollständige Beweise vorhanden sind. Und diese fehlen dir.«

   Es war ein außerordentlich überlegener Ton, in welchem er sprach. Er pochte auf meinen guten Ruf, denn er war überzeugt, daß ich alles unterlassen würde, was geeignet sei, denselben zu schädigen. Er warf mir einen triumphierenden Blick zu wie einer, der dem andern eine sehr schwere Partie Schach abgewonnen hat. Ich aber blieb trotzdem bei meiner bisherigen Ruhe, als ich ihm entgegnete:


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»Du irrst dich allerdings nicht und irrst dich doch. Du irrst dich nämlich nicht in mir, aber du irrst dich in der Lage, in welcher du dich befindest. Ich kann freilich nicht behaupten, daß du einen Weißen getötet habest; aber du hast mehrere gefangen genommen.«

   »Darauf steht aber nicht der Tod!«

   »Was denn?«

   »Das Gesetz der Prairie erwähnt dazu gar nichts.«

   »O doch, wenn auch nicht direkt. Wie wird der Diebstahl, der Raub eines Pferdes bestraft?«

   »Mit dem Tode.«

   »Und der Raub eines Menschen? Soll der etwa gelinder oder vielleicht gar nicht bestraft werden?«

   »To-kei-chun treibt keinen Menschenraub.«

   »Was denn?«

   »Ich habe die Bleichgesichter gefangen genommen, aber nicht geraubt!«

   »Pshaw! Ueber den Sinn von Worten streite ich mich nicht mit dir. Wenn ich ein Pferd, welches nicht mir gehört, fange und fortschaffe, so ist dies Pferderaub; du hast die Bleichgesichter gefangen und fortgeschafft, das ist Menschenraub. Du hast ihnen sogar alle Taschen geleert und damit bewiesen, daß du sie und ihre Habe als dein Eigentum betrachtest. Auf Menschenraub aber steht bei mir der Tod. Wenn ich dich dafür mit einer Kugel bestrafe, kann mich nicht der leiseste Vorwurf treffen. Du hast dich also sehr verrechnet, als du auf meine Gerechtigkeit pochtest. Du hast den Tod verdient.«

   »Und du wirst mich doch nicht töten!« behauptete er beharrlich.

   »Irre dich ja nicht länger! Meine Kugel wird dich unbedingt treffen, wenn du nicht auf den Vorschlag eingehst, den ich dir jetzt machen werde.«


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»Ich kenne ihn. Du brauchst ihn mir gar nicht zu sagen.«

   Auch aus diesen Worten klang dieselbe Unverfrorenheit wie vorher; ich freute mich darüber, anstatt mich über sie zu ärgern, denn die Festigkeit, mit welcher er meinem guten Rufe vertraute, war ja eigentlich eine Ehre für mich.

   »Welcher Vorschlag wird es sein?« fragte ich.

   »Du willst die gefangenen Bleichgesichter zurückhaben und dafür mich freigeben.«

   »Das ist allerdings richtig. Was sagst du dazu?«

   »Was ich schon gesagt habe: Du behältst mich, und wir behalten sie.«

   »Ist das dein letztes Wort?«

   »Ja.«

   »So bist du verloren!«

   »Nein!«

   »Pshaw! Du verrechnest dich eben. Auf Menschenraub steht der Tod; sie aber haben nichts gethan, was euch berechtigt, ihnen das Leben zu nehmen. Wenn ich dich nicht begnadige, so töte ich dich. Rechne ja nicht darauf, daß ich dich mit mir herumschleppen werde! Die Comantschen aber dürfen sich nicht an dem Leben der Bleichgesichter vergreifen.«

   »Sie würden es aber doch thun, denn sie hätten meinen Tod zu rächen.«

   »Das wäre ein Verbrechen, denn du hast ihn verdient. Und noch eins: Glaubst du denn, daß ich sie in den Händen deiner Krieger lassen würde? Ich hätte im Gegenteile nichts Eiligeres zu thun, als sie zu befreien.«

   »Pshaw!« antwortete er in wegwerfendem Tone.

   »Pshaw? Verstelle dich nicht! Du täuschest mich nicht. Du bist innerlich überzeugt, daß mir ihre Befreiung ge-


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lingen [gelingen] würde. Ich hätte eigentlich gar nicht so viele Worte mit dir machen sollen; aber ich bin - - -«

   »Du bist Old Shatterhand,« unterbrach er mich, »der kein Blut vergießen wird. Und eben diese deine vielen Worte beweisen, in welcher Verlegenheit du dich befindest. Du magst und wirst mir nicht das Leben nehmen und weißt also nicht, wie du es anzufangen hast, uns die Bleichgesichter aus den Händen zu locken. Sie bleiben in unserer Gewalt.«

   Er glaubte, mir überlegen zu sein, doch war ich meiner Sache zu gewiß. Perkins aber fühlte sich empört über diese freche Beharrlichkeit und konnte nicht länger schweigen. Er sagte in zornigem Tone:

   »Es ist ganz richtig, Sir. Die vielen Worte, welche Ihr mit ihm macht, bestärken ihn in seiner Unverschämtheit. Faßt Euch also kürzer! Er bekommt die wohlverdiente Kugel, und dann eilen wir seinen Leuten nach, um die Weißen zu befreien. Ist es Euch eine Leichtigkeit gewesen, ihn aus ihrer Mitte herauszuholen, so wird es uns nicht viel schwerer fallen, ihnen die Freiheit zu verschaffen. Geschehen kann ihnen nun auf keinen Fall etwas; ihres Lebens sind sie vollständig sicher. Wir brauchen die Roten nur zu benachrichtigen, daß wir ihren Häuptling ergriffen haben; dann sind sie gezwungen, die Gefangenen um seinetwillen zu schonen. Daß wir ihm inzwischen eine Kugel durch den harten Schädel gejagt haben, brauchen sie natürlich nicht zu wissen. Also, ich bitte Euch, Sir, macht kurzen Prozeß mit dem Kerl!«

   Ich nickte zustimmend und wendete mich zu dem Häuptlinge:

   »Du hast gehört, was dieser Weiße sagte. Er hat vollständig recht, und ich werde thun, was er begehrte.


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Ich frage dich also zum letztenmal: Gehst du auf die Auswechslung der Gefangenen ein?«

   »Nein,« antwortete er spöttisch. »Schießt mich immer tot!«

   »Das werden wir thun, obgleich du es nicht glaubst. Wir werden dich überhaupt noch viel toter machen, als du denkst.«

   »Thue es! Schieß, und rede nicht! Old Shatterhand ist ein altes, schwatzhaftes Weib geworden!«

   »Warte mit deinem Urteile nur noch einen Augenblick! Ich kenne deine Gedanken. Du glaubst, daß ich zwar drohen und die Waffe auf dich richten, aber doch nicht schießen werde; aber - - - «

   »Ja, ja,« fiel er mir triumphierend in die Rede, »so wird es geschehen, genau so, wie du jetzt gesagt hast.«

   »Das dachte ich mir! Du kennst Old Shatterhand genau, aber doch noch nicht ganz. Du meinst, daß ich dich nicht erschießen werde, und hast sehr recht damit; aber das ist gar kein Grund für dich, so höhnisch dreinzublicken, wie du es thust. Ich habe ja gesagt, daß ich dich viel toter machen werde, als du denkst. Du kennst meine Menschlichkeit, aber Old Shatterhands List scheint dir noch unbekannt zu sein. Du glaubst, mich jetzt besiegt zu haben, und bist doch selbst besiegt. Ich werde dich töten, aber nicht deinen Leib, sondern deine Seele.«

   »Meine Seele?« fragte er erstaunt. »Wie kann man der Seele eines Menschen eine Kugel geben!«

   »Das weißt du nicht? Ich werde es dir zeigen. Man kann die Seele eines roten Mannes so zerschießen und zerfetzen, daß sie für die ewigen Jagdgründe vollständig tot und verloren ist. Mr. Perkins, ich möchte mir den Spaß machen, ein wenig mit dem Revolver zu


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knallen. Wollt Ihr wohl so gut sein, das Ding zu halten, nach welchem ich schießen werde?«

   »Well,« antwortete er. »Wenn Ihr wollt, werde ich es thun, Sir. Möchte Euch aber fragen, ob wir jetzt Zeit zu solcher Spielerei haben.«

   »Ihr werdet gleich erfahren, ob es Spielerei ist oder nicht. Stellt Euch hierher, und streckt den Arm hübsch aus, damit ich Euch nicht in den Leib treffe.«

   »Pshaw! Von Old Shatterhand hat man keinen Fehlschuß zu befürchten,« sagte er, indem ich ihn ungefähr dreißig Schritte seitwärts von dem Häuptling postierte und seinen Arm in wagrechte Haltung brachte. Dann ging ich zum Pferde des Häuptlings, nahm den Medizinbeutel weg, trug ihn zu Perkins, dem ich ihn in die Hand gab, und sagte:

   »So, Mr. Perkins. In dieser Medizin steckt die Seele, der Geist To-kei-chuns, des Häuptlings der Comantschen. Ich werde sie erst mit meinen Kugeln durchbohren und dann den Beutel gar verbrennen, um ganz sicher zu sein, daß der Häuptling die ewigen Jagdgründe nie betreten wird. Dann lassen wir ihn laufen. Seinem Körper ist dann nichts geschehen; er kann nicht sagen, daß Old Shatterhand ihn ermordet habe; aber er darf nicht zu den Seinen zurückkehren, denn sein Name ist in den Fluten der Schande erloschen, und er kann ihn nicht dadurch wiedererlangen, daß er sich eine neue Medizin verschafft; er hat die alte ja nicht im Kampfe verloren, sondern sie ist ihm durch List abgenommen und so beschimpft worden, daß die Ehre ihres Besitzers niemals wiederhergestellt werden kann.«

   Ich that, als ob ich bei diesen Worten den Häuptling gar nicht ansähe, warf aber einen verstohlenen Blick auf ihn und bemerkte zu meiner großen Genugthuung,


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daß meine Berechnung richtiger gewesen war, als die seinige. Seine Augen nahmen vor Entsetzen einen starren, gläsernen Ausdruck an; er wollte reden, brachte aber zunächst nichts hervor; dann entquoll seinem Munde ein heiserer, gurgelnder Schrei; er versuchte, sich in den Fesseln aufzubäumen, und rief dann endlich, als ich den Revolver hob und auf den Medizinbeutel zielte, in furchtbarer Angst und mit schriller Stimme:

   »Halt, halt ein! Weg mit der Waffe! Ich bitte dich um des guten Manitou willen, schieß nicht - schieß nicht - schieß ja nicht!«

   Ich ließ die Hand nicht sinken, sondern behielt den Revolver im Anschlage, wendete dem Häuptlinge aber das Gesicht zu und fragte:

   »Du giebst also zu, daß deine Ehre und deine Seele für immer und ewig verloren wäre, wenn ich jetzt schösse?«

   »Ja, ja, ja!«

   »Und bittest mich, dies nicht zu thun?«

   »Ja.«

   »Du giebst ganz ausdrücklich zu, daß du mich darum bittest?«

   »Ja doch, ja! Aber nimm doch die Waffe weg!«

   Da ließ ich die Hand mit dem Revolver sinken und erklärte:

   »Du siehst wohl ein, daß du Old Shatterhand doch noch nicht vollständig kanntest; aber in meiner Güte hast du dich nicht getäuscht. Ich bin bereit, Gnade walten zu lassen, wenn du das thust, was ich verlange.«

   »Ich thue es; ich thue es. Die Bleichgesichter sollen freigegeben und gegen mich ausgewechselt werden!«

   »Pshaw! Das war es, was ich vorhin forderte; jetzt aber verlange ich mehr.«

   


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»Was denn, was?« erkundigte er sich, aufs neue erschrocken.

   »Du glaubtest, klüger zu sein, als ich, und hast meinen gerechten und billigen Vorschlag zurückgewiesen und Worte des Hohnes und Spottes zu mir gesprochen; ich bin ruhig dazu geblieben, denn ich wußte, daß du unterliegen würdest. Nun dies geschehen ist, verzichte ich zwar darauf, den Spott meinerseits zu erwidern, verlange aber, daß er gesühnt werde. Old Shatterhand ist nicht der Mann, den man übertölpeln kann und auslachen darf. Meine Forderung geht jetzt weiter als vorhin.«

   »Was willst du von mir? Doch nichts weiter, als die Gefangenen?«

   »Ja, weiter nichts; aber die Bedingung ist eine andere geworden, zur Strafe und zur Warnung für dich. Auch müssen die Beleidigungen gutgemacht werden, welche du gegen mich ausgesprochen hast. Also, gieb schnell die Antworten, welche ich von dir verlange, sonst schieße ich dennoch!«

   Ich legte den Revolver wieder auf den Medizinbeutel an, den Perkins noch hochhielt, und fuhr fort:

   »Du giebst also zu, jetzt ein Bittender zu sein?«

   Man muß die Heiligkeit kennen, in welcher die Medizin bei den Indianern steht, um die große Angst zu begreifen, mit welcher To-kei-chun schnell antwortete:

   »Ja, ich bitte!«

   »Du hast mich einen stinkenden Hund und auch noch anders genannt; jetzt aber sag, wer und was ich bin!«

   »Du bist Old Shatterhand, der tapferste unter den weißen Männern!«

   »Ferner hast du das Andenken meines toten Bruders Winnetou geschändet, indem du sagtest, auch er sei ein Hund. Wer war Winnetou? Sag es rasch, sonst drücke ich los!«

   


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»Warte doch, warte! Winnetou war der größte und berühmteste Häuptling der Apatschen.«

   »Füg hinzu, daß er ein edler Mensch gewesen sei und im Kampfe nie einem Comantschen den Rücken gezeigt habe!«

   »Ich sage es; ich gebe es zu!«

   »Du bist einverstanden, daß die gefangenen Bleichgesichter sofort freigegeben werden und ihr Eigentum bis auf den kleinsten Gegenstand zurückerhalten?«

   »Ja,«

   »Du fertigst mir jetzt und hier ein Totem aus, welches ich nur vorzuzeigen brauche, um sie ohne alle Gefahr für mich ausgeliefert zu erhalten und mich mit ihnen entfernen kann, wobei jede Verfolgung von eurer Seite ausgeschlossen ist?«

   »Ich werde es thun.«

   »Du wirst gegen keinen dieser Männer und auch gegen mich nie wieder etwas Feindseliges unternehmen?«

   »Uff! Du verlangst zuviel!«

   »Sag ja! Ich warte nicht. Eins - zwei - dr - -!«

   »Halt, nicht schießen! Ich verspreche auch das.«

   »Das bloße Versprechen genügt mir nicht. Was wir jetzt bestimmen, werden wir mit der Pfeife des Friedens besiegeln.«

   »Der große Geist hat seine Hand gewendet und mich in deine Gewalt gegeben; ich muß thun, was du von mir verlangst. Wann giebst du mich frei?«

   »Frei? Davon haben wir jetzt nicht zu sprechen.«

   »Nicht? Du bekommst die Bleichgesichter; also muß doch ich wissen, wann ich meiner Bande ledig werde.«

   »Davon ist eben keine Rede. Ich machte dir den Vorschlag, dich gegen sie auszuwechseln; du gingst in deiner Verblendung nicht auf denselben ein, sondern gabst


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mir die Antworten des Hohnes und des Spottes; darum sage ich dir dann, daß meine Forderung nun anders geworden sei. Du giebst die Gefangenen dafür frei, daß ich deine Medizin nicht beschimpfe und vernichte, bleibst aber mein Gefangener. Was ich mit dir thue und ob ich dich später freilasse, das kommt ganz auf meine Güte und Gnade an.«

   »Uff, uff, uff!« rief er erschrocken. »Darauf kann ich nicht eingehen. Ihre Freiheit gegen die meinige; das ist nicht richtig; sie sind sechs Männer, und ich bin einer; ich gebe also so schon mehr als du.«

   »Das sagst du, der da glaubt, daß er der größte Häuptling der Comantschen sei? Ich würde nicht zögern, meine Freiheit gegen diejenige von einigen hundert roten Kriegern einzutauschen. Und du hältst dich für weniger wert als sechs! Ich erfahre da zu meinem Erstaunen, wie tief ein Comantschenhäuptling im Preise steht.«

   Diese Worte mußten ihn tief beschämen; darum versuchte er, den begangenen Fehler dadurch zu verbessern, daß er sagte:

   »Du weißt ebensogut, wie ich, daß es nicht gewöhnliche Bleichgesichter sind, die wir ergriffen haben; es sind sehr hervorragende Krieger unter ihnen.«

   »Grad darum mußt du dich dadurch geehrt fühlen, daß mir dein Besitz höher steht, als meiner Ansicht nach euch der ihrige stehen kann. Ich gehe auf keinen Fall von dieser meiner letzten Forderung ab.«

   »Und ich kann nicht auf sie eingehen, sondern fordere Freiheit gegen Freiheit.«

   »Das hätte ich vorhin gelten lassen; dein Verhalten aber hat meine Ansprüche erhöht. Du selbst bist schuld daran. Old Shatterhand läßt sich nicht ungestraft verhöhnen. Also, bist du einverstanden oder nicht?«

   


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»Nein.«

   »So sieh zu, was geschieht. Mr. Perkins, haltet hoch!«

   Er that es, und ich drückte ab. Der Medizinbeutel bekam einen Stoß; meine Kugel hatte ihn durchbohrt. Da schrie der Häuptling nicht, sondern er brüllte förmlich:

   »Halt, schieß nicht! Ich bitte dich um des großen Manitou willen, schieß nicht weiter!«

   »Ergiebst du dich in meine Wünsche?«

   »Ja, ja!«

   »Well! Hättest du das eher gethan, so hätte meine Kugel dein Heiligtum nicht berührt. Du willst also das Totem ausstellen?«

   »Ja.«

   »Und alles niederschreiben, was ich verlangt habe, so daß es deine Krieger lesen können?«

   »Ja. Aber ich habe nichts da, worauf ich die Schrift malen kann. Hast du etwas?«

   »Ja. Ihr pflegt eure Zeichen in Leder einzuschneiden und mit roter Farbe einzureiben. Leder ist da, nämlich die beiden Hasenfelle, welche hier liegen; aber es fehlt die Farbe, ohne welche die Schrift nicht zu erkennen ist. Darum werde ich dir Papier und Bleistift geben.«

   »Ich habe nicht gelernt, nach der Art der Weißen zu schreiben; ich kann kein »sprechendes Papier« (*So nennen die Indianer unsere Briefe) machen.«

   »Das ist auch nicht nötig, denn nicht Weiße, sondern deine Krieger sollen es lesen. Ich gebe dir ein Blatt oder einige Blätter aus meinem Notizbuche; auf sie kannst du mit dem Bleistifte deine Figuren noch viel leichter malen, als sie sich in Leder schneiden lassen.«

   Er sah mich nachdenklich an; es ging ein Zug von


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Befriedigung über sein Gesicht, für welchen mir leider erst später das Verständnis kam; dann bemerkte er:

   »Ganz wie du willst; ich werde es versuchen; aber jetzt kann ich es nicht thun, weil ich gefesselt bin.«

   »Ich werde dich losbinden und dir nicht nur die Hände, sondern auch die Füße freigeben, denn du wirst stehend schreiben müssen.«

   »Warum stehend? Man muß doch sitzen, wenn man Figuren macht.«

   »Auf Leder, ja. Aber du weißt nicht mit Papier umzugehen und mußt eine Unterlage haben, und weil es hier keine andere oder bequemere, als den Sattel eines Pferdes giebt, so wirst du bei deinem Pferde stehen und das Papier auf den Sattel legen.«

   Wieder ging ein Zucken über sein Gesicht, welches ich aber dieses Mal gleich verstand. Er sollte die Arme und Beine frei bekommen und bei seinem Pferde stehen; wie leicht war es da, einen schnellen Sprung in den Sattel zu thun und zu fliehen! Er sagte sich, daß er dabei wenigstens nicht sein Leben wage, weil mir sein Tod nichts nützen werde, denn nur wenn er lebte, konnte ich die gefangenen Weißen gegen ihn auswechseln. Es stand also zu erwarten, daß ich nicht auf ihn schießen, sondern besorgt sein werde, ihn unverletzt wieder zu ergreifen, und da erschien es ihm als sehr wahrscheinlich, daß er uns entkommen werde. Er hatte ein gutes Pferd; seine plötzliche Flucht mußte uns überraschen, und ehe wir uns besannen und uns an seine Verfolgung machten, mußte er einen Vorsprung gewinnen, den wir wohl schwerlich einholen würden.

   Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf; wenigstens vermutete ich das und traf meine Vorkehrungen darnach. Ich band ihn los, gab ihm mehrere Papier-


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blätter [Papierblätter], die ich aus meinem Notizbuche riß, und einen Bleistift in die Hand und zeigte ihm, wie beides zu gebrauchen sei. Dann trat er zu seinem Pferde, nahm den Sattel als Unterlage und begann zu zeichnen. Ich brauchte mich nur mit hinzustellen und die Zügel in die Hand zu nehmen, so konnte er nicht fort; aber ich hatte gar nichts dagegen, daß er den Fluchtversuch unternahm; ich wollte ihn nämlich gern abermals beschämen.

   Darum beaufsichtigte ich ihn gar nicht, und als Perkins zu ihm treten wollte, um ihn im Auge zu behalten, winkte ich ihm, dies nicht zu thun. Ich entfernte mich vielmehr von ihm, schlenderte scheinbar sorglos zu meinem Schwarzschimmel hin und legte mich in das Gras. Dort that ich, als ob ich nicht die geringste Besorgnis hegte, beobachtete ihn aber sehr scharf und war bereit, in jedem Augenblicke empor- und auf mein Pferd zu springen.

   Er mochte wohl zwei oder drei Minuten gezeichnet haben, da warf er einen forschenden Blick zu mir herüber; ich that, als ob meine Aufmerksamkeit gar nicht auf ihn gerichtet sei. Da ließ er Papier und Stift fallen, ergriff den Zügel, schwang sich auf und stieß seinem Pferde mit einem schrillen Jubelschrei die Fersen in die Weichen. Es schoß mit ihm fort.

   »Alle Teufel, da jagt er hin!« rief Perkins. »Welche Dummheit, es ihm so leicht zu machen, Sir! Schnell ihm nach!«

   Er wollte aufs Pferd steigen, Dschafar ebenso; ich saß bereits im Sattel, trieb meinen Schwarzschimmel fort und befahl den beiden:

   »Bleibt getrost hier! Ich bringe ihn.«

   Das war so schnell gegangen, daß der Häuptling beim ersten Sprunge meines Pferdes nicht mehr als höchstens zwanzig Meter Vorsprung besaß. Ich nahm


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den Lasso vor, hakte das eine Ende an den Sattelknopf, legte die Schlingen zum Werfen locker und rief dem Roten zu:

   »To-kei-chun mag schneller reiten, sonst hole ich ihn!«

   Er blickte sich um; schon war ich nur fünfzehn Meter hinter ihm, denn mein Pferd war doch ein besserer Renner, als das seinige. Daß die Verfolgung eine so schnelle sein werde, das hatte er nicht gedacht; dennoch stieß er ein höhnisches Lachen aus und trieb sein Tier zu größerer Eile an; ich kam ihm aber bei jedem Sprunge näher. Als er sich zum zweitenmal umdrehte, hatte ich ihn nur noch zehn Meter vor mir und schwang den Lasso zum Wurfe. Da warf er sich nach Indianerart halb aus dem Sattel, so daß er nur noch mit der Kniekehle des einen Beines in diesem hing und sich mit einer Hand an dem Halsriemen seines Gaules festhielt. Er lag also am Leibe seines Pferdes lang hin, und ich konnte ihm infolgedessen den Lasso nicht überwerfen.

   Sobald ein Indianer sich in dieser Weise eng an die Seite seines Pferdes hängt, weiß dieses, daß Gefahr vorhanden ist und entwickelt ganz von selbst die möglichste Schnelligkeit.

   Dies that auch sein Tier, und da er es außerdem durch Schläge und Geschrei antrieb, so wurde sein Vorsprung für den Augenblick ein größerer. Da aber ließ ich meinem Schimmel die Sporen fühlen, und sofort schoß er in solchen Sätzen weiter, daß ich den Raumverlust rasch einholte.

   Der Häuptling war vor meiner Schlinge sicher, aber nicht sein Pferd. Ich hielt mich darum nicht gerade, sondern seitwärts hinter ihm, wirbelte die Schlingen über dem Kopfe, ersah den geeigneten Augenblick und ließ den Lasso fliegen. Ich hatte gut gezielt. Der Gaul schoß förmlich mit dem Kopfe in die Schleife hinein, die sich


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ihm um den Hals legte. Mein Schimmel war auf das Lassowerfen ausgezeichnet dressiert; er wußte, was geschehen mußte, und verminderte seine Schnelligkeit; ein leiser Schenkeldruck von mir genügte; da warf er sich herum und stemmte sich fest ein. Dadurch wurde der Lasso straff angezogen; wir bekamen einen starken Ruck, welchen der Schimmel aushielt; das Pferd des Roten aber stürzte nieder, und To-kei-chun wurde weit fortgeschleudert.

   Ich schnellte mich von meinem Sitze herunter, sprang zu ihm hin und erreichte ihn grad in dem Augenblicke, als er sich aufrichten wollte. Mit der rechten Hand mein Messer ziehend, drückte ich ihn mit der linken nieder und gebot ihm:

   »Rühre dich nicht, sonst steche ich!«

   Er nahm, wie schon gesagt, an, daß sein Tod mir nichts nützen könne, und beachtete darum diese Drohung nicht, sondern antwortete:

   »Hund, mich sollst du doch nicht halten; ich erwürge dich!«

   Bei diesen Worten krallte er mir die beiden Hände um den Hals. Da ließ ich allerdings das Messer fallen, legte ihm das Knie auf die Brust, riß mich mit einem kräftigen Rucke los, ergriff seine beiden Hände, hielt sie mit der Linken fest und legte ihm die Rechte an die Kehle. Er wollte sich aufbäumen, es gelang ihm aber nicht; er schlug und stieß mit den Beinen um sich, doch ohne mich zu treffen; sein Widerstand erlahmte um so mehr, je fester ich ihm die Kehle zusammendrückte - - zuletzt ein gurgelndes Röcheln, dann lag er still und bewegungslos.

   Nun stand ich auf und sah zurück. Dschafar und Perkins waren doch nicht am Platze geblieben, sondern uns nachgeritten; da sie meine Gewehre mitbrachten, konnte


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ich ihnen keine Vorwürfe darüber machen. Als sie herankamen, rief der erstere aus:

   »Allah sei Dank, daß wir ihn wieder haben! Welch ein Schaden für uns, wenn er uns entkommen wäre!«

   »Daran war gar nicht zu denken,« antwortete ich.

   »Oho!« fiel Perkins ein. »Es konnte irgend ein Zufall eintreten, welcher - - - «

   »Pshaw!« unterbrach ich ihn. »Was für einen Zufall hätte es hier geben können? Ich wußte, daß er fliehen wollte.«

   »Und habt ihn nicht gehindert? Ihr ließet mich ja gar nicht hin zu ihm! Ich hätte ihn festgehalten.«

   »Das habe ich nun hier gethan. Ihr habt die Riemen mitgebracht, wie ich sehe?«

   »Ja. Wir binden ihn natürlich wieder!«

   »Nein, jetzt noch nicht; er muß doch erst das Totem schreiben.«

   »Und wieder ausreißen!«

   »Wird ihm nicht einfallen. Holt sein Pferd und das meinige her!«

   Das Comantschenpferd hatte, da der Lasso nicht mehr angespannt war, Luft bekommen und war aufgesprungen, hing aber noch mit dem Schwarzschimmel zusammen. Perkins nahm ihm die Schlinge vom Halse, rollte den Lasso auf und brachte dann beide her. Unterdessen kam der Häuptling wieder zu sich. Er holte laut rasselnd Atem, öffnete die Augen, stierte uns an, bewegte wie probierend die Glieder und stand dann langsam auf, woran ich ihn nicht hinderte.

   »To-kei-chun ist ein sonderbarer Krieger,« sagte ich zu ihm. »Da drüben an dem Regenbette ging er spazieren, um mir wieder in die Hände zu laufen, und jetzt ist er spazieren geritten, um meinen Lasso kennen zu lernen.


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Vielleicht kommt es ihm gar noch in den Sinn, einmal spazieren zu fliegen! Wenn er das thut, wird er sicher freikommen, denn ich habe das Fliegen nicht gelernt.«

   Er stand unbeweglich und sah zur Erde nieder; die Scham verbot ihm, ein Wort zu sagen.

   »Der Häuptling der Comantschen wird da fortfahren, wo er aufgehört hat,« fügte ich hinzu. »Er mag an seinem Totem weitermalen, nun aber keinen Scherz mehr treiben, denn von jetzt an ist's mir Ernst!«

   Dschafar hatte die weggeworfenen Blätter und den Bleistift aufgehoben und mitgebracht; er hielt sie dem Häuptlinge hin; dieser nahm sie stumm und ohne sich zu weigern, trat zu seinem Pferde und setzte die unterbrochene Arbeit fort, wobei ihm Perkins mit gezücktem Messer zur Seite stand. Es dauerte ziemlich lange, bis er fertig war; dann gab er mir die Papiere, ohne ein Wort dazu zu sagen.

   Es galt natürlich, das Totem genau zu studieren, denn wenn ich ein einziges hinterlistiges Zeichen nicht verstand, brachte ich uns in Gefahr; aber ich fand nichts, was Argwohn erregen konnte; das Totem war ehrlich. Es bestand aus kleinen Figurengruppen, ähnlich denen, welche kleine Kinder mit ihren ungeübten Händen zeichnen. Die erste Gruppe zeigte einen am Boden liegenden Mann mit einer Feder am Kopfe, einen Indianerhäuptling also. Er war gebunden; darüber sah man das Zeichen To-kei-chuns. Neben ihm stand eine Figur, welche in jeder Hand ein Gewehr hatte; ihre Hände waren im Verhältnisse ungeheuer groß gezeichnet, und über ihrem Kopfe gab es noch eine, auch sehr große Hand. Damit war ich, Old Shatterhand, gemeint. Zu meiner Seite saßen zwei Figuren; die eine hatte eine hohe, runde Mütze auf; das sollte Dschafar sein; die andere war einfach durch


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hohe Stiefel als Weißer bezeichnet. Diese Gruppe sollte sagen: Old Shatterhand, Dschafar und noch ein Bleichgesicht haben To-kei-chun gefangen genommen.

   In ähnlicher Weise waren auch die übrigen Gruppen gehalten, mit denen der Häuptling sagen wollte und auch wirklich sagte, was nach unserer Vereinbarung zu geschehen hatte. Freilich gehörte, da die Figuren unendlich kindlich gezeichnet waren, mehr als gewöhnlicher Scharfsinn dazu, zu enträtseln, was jede einzelne vorstellen sollte; hatte man aber das entziffert, so ergab sich die Bedeutung ganz von selbst. Die Hauptsache dabei war, daß ich nichts fand, was auf die Absicht, uns zu betrügen, hätte schließen lassen.

   To-kei-chun hatte sich niedergesetzt und wartete auf die Beurteilung seines Kunstwerkes; ich gab ihm dieselbe mit den Worten:

   »Ich bin mit diesem Totem zufrieden; es enthält alles, was ich wünsche. Wir werden den Häuptling der Comantschen auf sein Pferd binden und dann weiterreiten.«

   »Wohin?« fragte er.

   »Wir folgen seinen Kriegern.«

   »Weiß Old Shatterhand, wohin sie reiten?«

   »Nach dem Makik-Natun. Vielleicht holen wir sie ein, ehe sie dort ankommen.«

   »Du wirst sie nicht einholen, denn sie reiten sehr schnell.«

   »Ich denke, daß sie sich zunächst nicht zu sehr beeilen werden, damit du sie einholen kannst.«

   »Sie warten nicht auf mich; sie wissen, daß ich gern zurückbleibe und gern allein reite. Du wirst nicht eher als am Makik-Natun mit ihnen sprechen können.«

   Die Offenheit, mit welcher er mir dies sagte, war


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zwar ungewöhnlich, aber ich hatte keinen Grund, sie für unwahr zu halten. Schaden konnte es uns nichts, wenn wir uns nach dieser Mitteilung richteten; darum sagte ich:

   »So müssen wir uns beeilen. Ich will die gefangenen Bleichgesichter wo möglich noch heut frei haben und wünsche darum, daß ich noch vor der Dunkelheit des Abends mit den Kriegern der Comantschen reden kann.«

   Er ließ sich ohne allen Widerstand auf sein Pferd binden; dann suchten wir die Fährte seiner Leute auf, um ihr möglichst schnell zu folgen. Als wir sie erreichten, untersuchte ich sie und fand, daß die Indsmen allerdings ziemlich rasch geritten waren. Ihr Häuptling hatte also die Wahrheit gesagt.

   Er ritt mit Perkins voran und ich mit Dschafar hinterdrein, weil ich ihn stets im Auge haben wollte.

   Der Perser sprach über unser heutiges Erlebnis und über unsere Hoffnung, die Gefangenen zu erlösen. Dabei meinte er:

   »Der Häuptling versteht das Englische; er hört, was wir hinter ihm sprechen; er braucht aber nicht zu wissen, was wir reden. Wollen wir uns nicht lieber einer andern Sprache bedienen"?«

   »Mir recht; aber welcher?«

   »Da Ihr der Emir Kara Ben Nemsi Effendi seid, ist Euch das Arabische geläufig. Nehmen wir also dieses.«

   »Warum nicht das Persische?«

   »Versteht Ihr auch dieses?«

   »Leidlich. Wenigstens denke ich, daß ich mich Euch verständlich machen kann.«

   Wie erfreut war er, sich seiner Muttersprache bedienen zu können! Er wurde außerordentlich lebhaft, wie er sonst gar nicht zu sein schien, und sprach natürlich vorzugsweise von seinem Vaterlande und den Verhältnissen


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desselben. Ich wartete darauf, daß er auch die seinigen in Erwähnung bringen werde; er that es indessen nicht, schien aber doch eine Ahnung von dieser meiner Neu- oder Wißbegierde zu haben, denn er sagte im Laufe des Gespräches.

   »Du wirst erwarten, daß ich auch von mir spreche; aber was soll ich von mir hier in diesem Lande sagen, wo ich fremd und gar nichts bin?«

   Man hört, daß er mich mit dem vertraulichen orientalischen Du anredete; das war mir ganz recht; ich freute mich darüber, obgleich ich in der Heimat kein Freund desselben bin; ich habe nie mit irgend jemandem Brüderschaft gemacht. Als ich auf diese seine Worte nichts bemerkte, hielt er es für angezeigt, fortzufahren:

   »Ich will dir aber mitteilen, daß ich unter dem Schutze unsers Herrschers stehe. Er ist ein Freund abendländischer Bildung und sendet zuweilen einige seiner jungen Unterthanen nach dem Occidente, um sich dort Kenntnisse zu erwerben.«

   »Natürlich sucht er sich da nur begabte Personen aus.«

   »Kann Old Shatterhand auch Komplimente machen? Ich fand die Gnade, die Augen des Beherrschers auf mich gerichtet zu sehen, und wurde nach Stambul, Paris und London gesandt. Dort, in England, war ich längere Zeit. Vielleicht hast du gehört, daß der Schah vor kurzer Zeit in London war?«

   »Ich habe in Zeitungen darüber gelesen.«

   »Bei dieser seiner Anwesenheit in der Hauptstadt Englands erinnerte er sich meiner, und ich bekam den Befehl, vor seinem Angesichte zu erscheinen. Die Folge dieser Audienz war, daß ich die Weisung erhielt, auch die Vereinigten Staaten kennen zu lernen. Als ich herüberkam, ahnte ich nicht, daß ich das Glück haben


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würde, hier den mutigen Kara Ben Nemsi kennen zu lernen, von dem mir Hadschi Halef Omar so viel berichtet hat. Und noch weniger hätte ich geträumt, daß ich dir meine Freiheit und mein Leben zu verdanken haben würde. Ich sehe, daß es sehr gefährlich ist, hier zu reisen; ich wollte es erst nicht glauben. Wird die Gefahr aufhören, wenn wir den Bereich der Prairie hinter uns haben?«

   »Nein; sie wird sich im Gegenteile in den Felsenbergen jenseits derselben eher steigern als verringern.«

   Da er nun dieses Thema festhielt, erfuhr ich über ihn nichts weiter als das Wenige, was er mir jetzt gesagt hatte. Ich mußte ihm Auskunft über den Westen geben; sich selbst erwähnte er nicht mehr.

   Warum diese Verschwiegenheit? Sie war mir gegenüber auffällig, denn er kannte mich schon längst, wenn auch nur vom Hörensagen, und war mir, wie er ja soeben auch zugegeben hatte, zu Dank verbunden. Hatte er irgend eine Mission zu erfüllen, von welcher er nichts sagen durfte? Das war nicht wahrscheinlich, denn welche Mission konnte einen Perser quer durch Amerika führen? Oder befand er sich nur auf einer Art von Studienreise? Sollte er vielleicht hier sein Wissen bereichern, um es dann in seinem Vaterlande in irgend einer Anstellung zu verwerten? Dann hatte er es nicht nötig, so heimlich zu thun. Oder war er so zurückhaltend, um sich ein Relief zu geben, sich wichtig zu machen? Das wäre mir gegenüber wenn nicht lächerlich, doch auch nicht verständig gewesen. Wenn ein Orientale fünfundzwanzighundert geographische Meilen von seiner Heimat entfernt einen Mann trifft, mit dem er sich in seiner Muttersprache unterhalten kann, so ist es wohl thöricht von ihm, sich gegen diesen Mann zuzuknöpfen. Ich nahm mir vor,


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ihn ja nicht wieder zur Sprache auf sich selbst zu bringen.

   Unser Ritt nahm einen raschen Verlauf. Die Fährte der Comantschen war stets deutlich und hielt uns also gar nicht auf. Die Indsmen waren wenigstens ebenso rasch geritten, wie wir ihnen folgten, und schienen, da sie nicht auf ihren Häuptling gewartet hatten, für die Sicherheit desselben gar keine Besorgnis zu hegen. Wir hatten noch zwei Stunden bis zum Abende, als ich den beiden Gefährten mitteilte, daß wir in der Nähe des »gelben Berges« angekommen seien. Da fragte mich Perkins:

   »Werden wir direkt hinreiten?«

   »Nein. Das hieße ja unser Spiel verloren geben!«

   »Wieso?«

   »Weil der Häuptling bei uns ist. Den dürfen die Roten nicht eher zu sehen bekommen, als bis sie ihre Gefangenen freigegeben haben, vielleicht auch dann noch nicht einmal, denn ich habe ihm die Freiheit nicht versprochen.«

   »Sie müssen aber doch erfahren, daß er unser Gefangener ist!«

   »Natürlich!«

   »Wer soll es ihnen sagen?«

   »Ihr, Mr. Perkins,« antwortete ich in ernstem Tone, obgleich ich es scherzhaft meinte.

   »Ich?« rief er erschrocken aus. »Ich soll etwa das Totem hinschaffen?«

   »Ja.«

   »Warum ich? Kann das nicht Mr. Dschafar thun?«

   »Nein, denn er kennt den Westen und die Indianer nicht, während Ihr nicht leugnen könnt, in dieser Beziehung Erfahrung zu besitzen.«

   


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»Was das betrifft, so giebt es einen, der viel mehr Erfahrung hat als ich!«

   »So?«

   »Ja. Wißt Ihr, wen ich meine, Mr. Shatterhand?«

   »Nun?«

   »Euch selbst. Wenn es darauf ankommt, so seid Ihr der richtige Mann, die Comantschen aufzusuchen.«

   »Nein, der bin ich nicht.«

   »Möchte wissen, warum!«

   »Weil ich bei dem Häuptling bleiben muß. Der ist mir so wichtig, daß ich ihn keinem andern anvertrauen darf.«

   »Da muß ich Euch widersprechen. Ihn gut zu bewachen ist zehnmal leichter als seine Krieger aufzusuchen, um mit ihnen zu verhandeln. Ich fürchte sehr, daß ich da Dummheiten machen würde, durch die ich Euch in Gefahr brächte.«

   »Hm, das befürchte ich freilich auch!«

   »Nicht wahr? Ich halte es also für das Beste, daß Ihr es selbst übernehmt, die Roten zu benachrichtigen. Wir werden inzwischen irgendwo auf Eure Rückkehr warten.«

   »Well! Wollte nur sehen, wieviel Mut Ihr habt.«

   »O, Mut habe ich! Hierzu aber gehört außer dem Mute auch eine Klugheit, eine Verschlagenheit, welche - - welche - - welche - - - «

   »Welche Ihr nicht besitzt? So! Das ist einmal so ehrlich aufrichtig gesprochen, wie ich es gern habe. Aber wenn Ihr so wenig klug seid, wie kann ich Euch da den Häuptling anvertrauen? Ich muß gewärtig sein, daß er nicht mehr bei Euch ist, wenn ich zurückkehre.«

   »Nein, das habt Ihr doch nicht zu befürchten, Sir! Wir werden doch nicht so dumm sein, ihn loszubinden und laufen zu lassen!«


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»Das wäre freilich nicht nur unklug, sondern geradezu verrückt. Aber es kann noch anderes passieren. Ich denke zwar, daß die Roten, wenn sie einmal bei den Gräbern ihrer Häuptlinge angekommen sind, sich heut nicht mehr von dort entfernen werden; aber es können doch einige von ihnen aus irgend einem Grunde die Gegend durchschwärmen und Euch entdecken.«

   »Die schießen wir nieder!«

   »Und wenn sie Euch überraschen?«

   »Wir lassen uns nicht überraschen. Wir passen auf! Wir werden uns doch wohl eine Stelle aussuchen, wo es unmöglich ist, uns zu beschleichen.«

   »Well! Aber wenn so viele kommen, daß sie Euch überlegen sind?«

   »So brauchen wir uns dennoch nicht zu fürchten, denn wir thun das, was wir von Euch gelernt haben.«

   »Was?«

   »Wir drohen ihnen, den Häuptling sofort zu erschießen, wenn sie uns angreifen.«

   »Das würde allerdings das Richtige sein. Ich weiß freilich recht gut, daß ich keinen von Euch beiden zu den Comantschen schicken kann; ich muß selbst zu ihnen und will hoffen, daß ich mich unterdes auf Euch verlassen kann.«

   »Das könnt Ihr, Sir!« beteuerte er erleichtert. »Wir werden Euch den Häuptling bei Eurer Rückkehr genau so übergeben, wie Ihr ihn bei uns gelassen habt.«

   »Ja, das werden wir,« bestätigte Dschafar. »Ich bin kein Feigling und auch nicht das, was man hier einen Dummkopf nennt. Sollten da einige Rote kommen, so stehe ich dafür, daß sie uns ihren Häuptling weder durch List noch durch Gewalt entreißen.«

   Ja, er war wohl weder dumm noch feig; zu ihm hatte ich mehr Vertrauen als zu Perkins. Und was


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hätte ich auch machen wollen? Einer von uns mußte zu den Indianern, und das war keine Kleinigkeit, sondern ein Wagnis, zu dem ein ganzer Mann gehörte. Dazu paßte weder der Perser, dem es vollständig an Kenntnis der Verhältnisse mangelte, noch Perkins, welcher keinen Mut besaß. Ich war also gezwungen, ihnen den Häuptling anzuvertrauen.

   Ich kannte die Stelle, an welcher sich die Häuptlingsgräber befanden. Der Makik-Natun hat an seiner Südseite eine Einbuchtung, deren Wände ziemlich steil ansteigen. Die Gräber, vier an der Zahl, lagen nebeneinander an der Westseite der Bucht, in welcher es keine Bäume, sondern nur Büsche gab. Im Hintergrunde der Bucht rieselte ein Quell aus dem gelben Gestein; dort hatten sich die Indsmen wahrscheinlich gelagert. Der Platz war in der Nähe der Gräber frei; die einst dortstehenden Sträucher waren infolge der öfters da stattfindenden Totenfeierlichkeiten verschwunden. Dagegen lief das Gebüsch noch außerhalb der Bucht nach rechts und links, also nach Osten und nach Westen am Fuße des Berges weiter, ein Umstand, welcher, wie man sehen wird, mir großen Vorteil bot. Diese Eintiefung oder Einbuchtung des Makik-Natun also war es, wo das Schicksal der Gefangenen heut entschieden werden sollte. Natürlich hing dabei mein Leben auch nur an einem einzigen Haare, denn selbst wenn der Indianer an jedem anderen Orte zum Frieden geneigt wäre, an den Gräbern seiner im Kampfe gefallenen Anführer regiert ihn nur der Haß, erfüllt ihn nur das Gefühl der Rache, und darum war dieser Ort eigentlich für unser Vorhaben schlecht gewählt. Freilich gab es keine andere Wahl, denn wir konnten nicht bis später warten, weil vorauszusehen war, daß die Gefangenen morgen hingerichtet würden.


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Wir folgten der Fährte der Comantschen soweit, bis wir den »gelben Berg« genau nördlich vor uns liegen und vielleicht noch eine halbe Stunde zu reiten hatten, um ihn zu erreichen. Da wichen wir von ihr westlich ab, ritten zunächst parallel mit dem Berge und lenkten dann auf ihn zu, hielten aber an, ehe wir ihn erreichten.

   »Sollen wir etwa hier schon absteigen?« fragte Perkins.

   »Ja,« antwortete ich.

   »Und hier auf Euch warten?«

   »Ja.«

   »Aber, Sir, nehmt es mir nicht übel, das ist ja der größte Fehler, den wir machen können!«

   »Warum?«

   »Wir sind in der Nähe der Feinde, und da so auf offenem Felde kampieren, ist doch wohl eine Unvorsichtigkeit?«

   »Es ist im Gegenteile eine Klugheit, welche mir als sehr geboten erscheint. Wenn wir bis hinüber zum Berge reiten, wo es Büsche und Bäume giebt, könnt Ihr während meiner Abwesenheit beschlichen und ganz unversehens überfallen werden. Es genügt da ein einziger Roter, um Euch beide aus dem Hinterhalte zu erschießen und den Häuptling zu befreien.«

   »Hm, das ist vielleicht richtig!«

   »Nicht nur vielleicht! Wir haben uns ja schon vorgenommen, jeden Ort zu vermeiden, an dem Ihr überrumpelt werden könnt. Hier ist die Gegend frei, und Ihr könnt jeden Menschen, der sich Euch nähert, schon von weitem sehen; von einem plötzlichen Ueberfalle kann also keine Rede sein. Und sollten mehrere Rote kommen, was gar nicht zu erwarten steht, so könnt ihr Eure Gewehre nach allen Seiten richten und sie in Schach halten. Selbst den schlimmsten Fall gesetzt, daß Ihr


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Euch ihrer großen Ueberzahl wegen ihrer nicht erwehren könntet, so genügt die Drohung, ihren Häuptling zu töten, sie von Euch abzuhalten. Ihr selbst habt das vorhin zugegeben.«

   »Well! Ich sehe ein, daß Ihr recht habt, Sir. Bleiben wir also hier an diesem Orte! Wann sucht Ihr die Roten auf?«

   »Sobald ich den Häuptling sicher weiß.«

   »Werdet Ihr gehen oder reiten?«

   »Reiten.«

   »Euch also nicht anschleichen?«

   »Nein. Es ist am hellen Tage, und die Oertlichkeit eignet sich nicht dazu. Uebrigens komme ich als Parlamentär, als Abgesandter ihres Häuptlings und mit dem Totem desselben zu ihnen; das kann Old Shatterhand nur zu Pferde thun.«

   »Und Eure Gewehre nehmt Ihr mit?«

   »Ja.«

   »Das ist viel gewagt. Es ist möglich, daß sie sie Euch abnehmen.«

   »Pshaw! Ohne die Gewehre würde ich wahrscheinlich nichts, gar nichts ausrichten; jedenfalls sind sie in meinen Händen sicherer als anderswo. Jetzt herunter von den Pferden!«

   Wir stiegen ab und nahmen To-kei-chun aus dem Sattel. Dann fesselte ich selbst ihn so, daß ich mich unbesorgt um ihn entfernen konnte. Als Dschafar und Perkins ihre Pferde angepflockt und sich zu dem Comantschen gesetzt hatten, ermahnte ich sie, eigentlich wohl ganz überflüssigerweise:

   »Also haltet gut Wache! Hört auf keine Reden, Bitten und Versprechungen des Gefangenen, und laßt keinen Menschen zu Euch heran.«


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»Macht Euch keine unnützen Gedanken, Sir!« antwortete Perkins. »Ich wollte, wir brauchten um Euch so wenig Sorge zu haben, wie Ihr um uns!«

   »Umgekehrt, Mr. Perkins! Mir sollen die Roten nichts anhaben. Also Ihr wißt, wie Ihr Euch in jedem Falle zu verhalten habt?«

   »In einem noch nicht.«

   »Welchen meint Ihr?«

   »Den, daß sie Euch festnehmen und Ihr nicht wiederkommt.«

   »Dieser Fall tritt nicht ein, denn ich werde sagen, daß der Häuptling getötet wird, wenn ich nicht in einer bestimmten Zeit zurück bin. Ich wiederhole noch einmal: Laßt keinen Menschen zu Euch heran, ganz gleich, ob er es mit Gewalt oder mit List versucht! Der Häuptling darf nur durch mich selbst losgebunden und freigegeben werden!«

   »Schon gut! Wir wissen nun alles. Wir wünschen Euch für Euer Vorhaben genau so großes Glück, wie groß hier unsere Wachsamkeit sein wird.«

   Solche Reden hätten mich zwar beruhigen sollen, aber als ich mich nun wieder auf das Pferd setzte und weiterritt, geschah es doch nicht ohne alle Sorge.

   Die Frist bis zum Anbruche der Dunkelheit betrug nun nur noch anderthalbe Stunde. In dieser Zeit mußte ich die Weißen frei haben; da ich aber wußte, wie langsam und bedächtig die Indianer bei solchen Verhandlungen zu sein pflegen, mußte ich mich jetzt sputen. Ich hielt also im Trabe auf die Häuptlingsgräber zu und untersuchte dabei vorsichtigerweise meine Gewehre und Revolver; ich mußte mich auf sie verlassen können, falls es zu Feindseligkeiten kommen sollte, was ich aber keineswegs erwartete.

   Ich erwähnte vorhin, daß sich das Gebüsch auch


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westwärts an dem Berge hinzog. Um so spät wie möglich bemerkt zu werden, hielt ich mich zwischen den Ausläufern desselben, wo jeder einzelne Strauch mir Deckung bieten mußte. So kam ich an die Einbuchtung und bog um die Ecke derselben. Den Platz rasch überblickend, sah ich die Roten im Hintergrunde am Wasser lagern, also so, wie ich es vermutet hatte. Nur einige von ihnen befanden sich links bei den vier Gräbern; sie waren beschäftigt, diese für die morgende Feier dadurch zu schmücken, daß sie an da eingesteckten Lanzen ihre Medizinen aufhingen. Ihre Pferde weideten im Vordergrunde.

   Natürlich wurde ich gesehen, sobald ich um die Ecke gebogen war. Ein Weißer hier an dieser ihnen so heiligen Stelle! Jetzt, wo sie das Kriegsbeil ausgegraben hatten! Das war geradezu unerhört, so unerhört, daß zunächst ein tiefe, tiefe Stille eintrat; dann aber brach die Rotte in ein um so wilderes, wahrhaft markerschütterndes Gebrüll aus. Die Kerle sprangen auf, ergriffen ihre Waffen und kamen auf mich zugesprungen. Sie zückten ihre Messer, schwangen ihre Flinten und Lanzen und umringten mich in allen möglichen drohenden Stellungen.

   »Still, seid still!« überschrie ich ihr Geheul. »Hört, was ich euch zu sagen habe!«

   Dabei wirbelte ich den schweren Bärentöter nach rechts und links, nach hinten und vorn, um einige Bursche, welche sich zu nahe an mich machten, von mir abzuhalten. Dadurch kam der eine und der andere mit dem Kolben in unangenehme Berührung; sie verstärkten ihr Geschrei und machten Miene, im Ernst auf mich einzudringen; da überbrüllte ein alter Kerl alle die andern:

   »Uff, uff, uff! Schweigt, ihr Krieger der Comantschen! Der gute Manitou hat uns einen großen Fang gesandt. Dieser Mann ist das berühmteste unter allen


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Bleichgesichtern; er wird morgen mit denen, die dort hinten liegen, am Marterpfahle sterben.«

   Ich sah über die Roten hinweg nach dem Hintergrunde; dort lagen die sechs weißen Gefangenen.

   Als die Roten dem Alten gehorchten und schwiegen, fuhr er in triumphierendem Tone fort:

   »Ich habe diesen weißen Mann nicht sogleich erkannt, weil er nicht den Anzug eines Jägers trägt. Hört seinen Namen, ihr Krieger der Comantschen! Es ist Old Shatterhand!«

   »Old Shatterhand - - Old Shatterhand!« ertönte es rundum in erstauntem, aber auch drohendem Tone, aber die mir zunächst standen, wichen unwillkürlich zurück.

   »Ja, ich bin Old Shatterhand, der Freund und Bruder aller roten Männer, welche das Gute lieben und das Böse hassen,« ließ ich mich nun wieder hören. »Hier bei euch am Marterpfahle sterben, das werde ich nicht, denn To-kei-chun, euer Häuptling, hat mich zu euch gesandt. Ich komme als sein Bote, und wer es wagen sollte, sich an mir zu vergreifen, den brauche ich nicht zu töten, denn To-kei-chun wird ihn bestrafen.«

   Das klang so wahr und so zuversichtlich, daß es den beabsichtigten Eindruck nicht verfehlte. Sie wichen noch weiter zurück und flüsterten sich leise Bemerkungen zu. Die Augen waren zwar feindselig auf mich gerichtet, aber wie auf einen Feind, den man nicht anzugreifen wagt. Nur der Alte trat einen Schritt näher und rief mir zu:

   »To-kei-chun hat dich gesendet? Das ist eine Lüge!«

   »Wer kann sagen, daß Old Shatterhand jemals gelogen habe?« fragte ich.

   »Ich!« antwortete er.

   »Wann und wo?«


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»Damals als du unser Gefangener warst und uns doch entkamst.«

   »Das lügest du selbst! Sprich, welche Lüge soll ich damals gesagt haben?«

   »Nicht mit Worten, sondern durch die That hast du damals gelogen. Du gebärdetest dich als unser Freund und handeltest doch als unser Feind!«

   »Dein Mund ist voller Unwahrheit. Hatte ich nicht den Sohn To-kei-chuns in meiner Gewalt? Sollte er nicht sterben? Habe ich ihm nicht das Leben geschenkt und ihn sicher zu euch geführt? Aber welchen Lohn bekam ich dafür? Ihr behandeltet mich als Gefangenen! Wessen Thun war da verwerflich? Das meinige oder das eurige?«

   »Du durftest fort und befreitest auch die andern Gefangenen!« antwortete er, schon weniger zuversichtlich.

   »Sie waren meine Gefährten, und die Versammlung eurer weisen Männer gab sie frei.«

   »Weil du sie durch deine Faust und mit deinen Gewehren dazu zwangst. Du bist nicht unser Freund und Bruder, und To-kei-chun hat dich nicht zu uns gesandt!«

   »Es ist genau so, wie ich sage: er schickt mich her!«

   »Kannst du es beweisen?«

   »Ja.«

   »Uff! Wie will die Klapperschlange beweisen, daß sie nicht giftig ist! Oeffne deinen Mund, und erfahre dann, ob wir dir Glauben schenken!«

   »Ihr werdet mir glauben, denn ich habe euch ein Totem zu übergeben.«

   »Ein Totem? Von To-kei-chun? Er ist zurückgeblieben. Warum sendet er einen Boten? Warum kommt er nicht selbst?«

   »Weil er nicht kann.«


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»Warum kann er nicht? Gieb das Totem her!«

   »Wer ist in seiner Abwesenheit der Anführer? Der soll es erhalten.«

   »Ich bin es.«

   »Kannst du ein Totem lesen?«

   »Ja. Mehrere von uns können das.«

   »Da hast du es.«

   Ich zog die Blätter aus der Tasche und gab sie ihm. Er nahm sie und gebot seinen Leuten:

   »Umringt dieses Bleichgesicht, und laßt es nicht von der Stelle! Es will uns betrügen. Ein Totem wird auf Leder gemacht, aber nicht auf so ein Ding, was die Weißen Papier nennen. So ein Papier kann nie als Totem gelten.«

   Ah! Nie als Totem gelten! Also darum der befriedigte Blick des Häuptlings, als ich ihm sagte, er solle auf Papier schreiben! Diese Zeichnung galt nicht als Totem; sie schützte mich nicht! Nun, ich hatte trotzdem des Schutzes genug. Infolge der Aufforderung drängten sich seine Leute wieder näher an mich. Da nahm ich den Stutzen zur Hand und rief:

   »Zurück von mir! Habt ihr nicht von diesem Zaubergewehre gehört, mit welchem ich ohne Aufhören schießen kann, ohne zu laden? Wer seine Hand nach einer Waffe oder gar nach mir selbst ausstreckt, der bekommt eine Kugel! Macht Platz! Ich will nicht fort, aber ich gehe dahin, wohin es mir gefällt!«

   Ich spannte den Hahn des Stutzens, nahm das Repetiergewehr par pistolet in die rechte Hand, ließ meinen Schwarzschimmel, um mir Raum zu machen, mit ausschlagenden Hufen im Kreise springen und lenkte ihn dann nach dem Hintergrunde, wo die Gefangenen lagen.

   Ich wußte wohl, was ich that, was ich riskieren


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durfte. Es gab wohl keinen unter den Comantschen, der nicht von diesem meinem »Zaubergewehre« gehört hatte. Ihr Aberglaube ließ ihnen den Stutzen als eine Waffe erscheinen, welcher gegenüber es keinen Widerstand gab. Sie sahen ihn schußfertig in meiner Hand und wichen zurück. Erst als ich durch ihren Haufen war, kamen sie hinter mir her, doch in für mich genügender Entfernung. Nur der Alte wagte sich näher und rief mir zu:

   »Wo willst du hin? Zu den gefangenen Bleichgesichtern?«

   »Ja.«

   »Das darfst du nicht!«

   »Wer will es mir untersagen?«

   »Ich.«

   »Pshaw!«

   Ich antwortete nur dieses eine Wort und ritt weiter. Da kam er noch näher, streckte die Hand nach meinem Zügel aus und schrie:

   »Nicht weiter, sonst nehme ich dich gefangen!«

   »Versuche es! Wer wagt es noch von euch, Old Shatterhand etwas zu verbieten, was ihm zu thun gefällt?«

   Ich hielt mein Pferd an und richtete den Lauf des Stutzens auf den Alten.

   »Uff, uff!« erscholl da sein Angstruf, mit welchem er im Haufen der Seinen verschwand. Ein anderer an meiner Stelle wäre von den Comantschen vom Pferde gerissen und sofort getötet oder wenigstens gefesselt worden; mir geschah dies nicht. Warum? Das hatte mehrere Gründe. Erstens wußten sie nun doch, daß ich von ihrem Häuptling gesandt worden war. Zweitens wirkte die Furcht vor meinem Gewehre. Drittens stand ich überhaupt bei ihnen in einem Rufe, der mir ein solches Wag-


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nis [Wagnis] ermöglichte. Was bei einem andern Tollkühnkeit hätte genannt werden müssen, war bei mir nur einfache Berechnung und Ausnützung dieser Umstände. Und endlich viertens wußte ich, daß mein Auftreten geradezu verblüffend wirken mußte. Ich zeigte, um den richtigen Ausdruck zu gebrauchen, eine Frechheit, die ihnen aber als etwas ganz anderes erschien. Das, was ich that, war in ihren Augen nicht das Verhalten eines verwegenen Menschen, sondern die Handlung einer mit einer »höhern Medizin« ausgestatteten und vom »großen Manitou« bevorzugten Persönlichkeit.

   Ich lenkte mein Pferd wieder nach dem Hintergrunde, von woher mir der laute Ruf entgegenscholl:

   »Old Shatterhand! Gott sei Dank! Euch hier zu sehen, ist das höchste der Gefühle!«

   Ich hatte für diese Worte Jim Snuffles keine Erwiderung, weil ich die Roten nicht noch mehr aufregen wollte, hielt in der Nähe der Weißen an der Felswand an, stieg vom Pferde und setzte mich so nieder, daß ich an der Wand lehnte und den Rücken also frei hatte. Die Indianer bildeten einen Halbkreis um mich, doch in respektvoller Entfernung, weil ich den Stutzen noch immer schußfertig hielt. Ich befand mich, wenigstens einstweilen, in vollständiger Sicherheit.

   Der vorhin eingeschüchterte Alte ließ sich jetzt wieder sehen; ich winkte ihm zu und forderte ihn auf:

   »Mein roter Bruder mag nun das Totem lesen! Er wird aus demselben ersehen, daß ich gekommen bin, To-kei-chun, den Häuptling der Comantschen, vom Tode zu erretten.«

   »Vom Tode?« fragte er schnell und erschrocken. »Befindet er sich in Gefahr?«

   »In einer sehr großen. Wenn ich nicht von jetzt


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an in der Zeit, welche wir Weißen eine halbe Stunde nennen, zu ihm zurückgekehrt bin, muß er sterben.«

   »Uff - uff - uff - - uff!« ertönte es erschrocken im Halbkreise.

   Der Alte setzte sich mir grad gegenüber nieder und nahm die Blätter vor, um sie zu entziffern. Ich betrachtete dabei sein Gesicht aufmerksamer, als ich es bisher gethan hatte; er wohl ein kluger, vielleicht gar ein pfiffiger Kerl. Schon nach kurzer Zeit hob er schnell den Kopf empor und warf einen langen, stechenden Blick auf mich. Er hatte die erste Figurengruppe enträtselt und wußte nun, daß sein Häuptling sich in meiner Gefangenschaft befand. Dann setzte er das mühsame Studium des Totems fort.

   Von jetzt an verzog er keine Miene mehr; er verstand es, den Eindruck, den das, was er erfuhr, auf ihn machte, vollständig zu verbergen. Als er das letzte Blatt weglegte, blickte er lange und nachdenklich zur Erde nieder; er überlegte; ich hielt es nicht für gut, ihn dabei zu stören. Dann sah er mich wieder an, und zwar in einer Weise, welche, wenn ich meiner Sache nicht so sicher gewesen wäre, mich wohl um mich besorgt gemacht hätte.

   Hierauf winkte er einen Roten herbei, einen starken, gewandt aussehenden Kerl, der sich zu ihm setzen mußte. Sie sprachen leise, sehr leise miteinander, wobei weder der eine noch der andere zu mir herübersah. Das dauerte eine ziemliche Weile, bis der zweite aufstand und wieder in den Halbkreis zurücktrat.

   Diese sonderbare Wirkung des Totems wollte mir gar nicht gefallen. Ich hatte große Aufregung mit wütender Bedrohung meiner Person erwartet, und nun diese Ruhe! Sie wurde mir nachgerade unheimlich, zumal sie solange anhielt; denn der Alte sagte noch immer nichts,


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sondern blickte wieder wortlos und still vor sich nieder, und die Roten standen um uns her und hingen mit verlangenden Blicken an ihm, ohne daß er ihrer gespannten Wißbegierde ein Ende machte. Da mußte ich ihn denn doch nun fragen:

   »Hat mein roter Bruder das Totem des Häuptlings verstanden?«

   »Ja,« antwortete er.

   Und nun stand er langsam auf und richtete an die Seinen die mir wieder sonderbare Aufforderung:

   »Es ist etwas geschehen, was man für unmöglich halten sollte. Meine Brüder werden es sogleich hören; sie mögen aber nichts sagen, sondern sich ganz ruhig dabei verhalten; dies ist mein Befehl und geschieht um unsers Häuptlings willen!«

   Hierauf wendete er sich mir wieder zu und fragte:

   »Old Shatterhand hat To-kei-chun gefangen genommen?«

   »Ja,« antwortete ich.

   »Ist der Häuptling dabei verletzt worden?«

   »Nein.«

   »Es ist kein Blut geflossen?«

   »Nein.«

   »Es waren zwei Weiße dabei, darunter derjenige, der uns gestern am Flusse so heimlich entkommen ist?«

   »Ja.«

   »Was wird mit To-kei-chun geschehen?«

   »Er muß sterben, wenn ich nicht in einer Viertelstunde bei ihm bin. Also bedenke wohl die Befehle, welche er dir auf seinem Totem giebt.«

   »Er sagt mir, daß du ihn freilassen willst. Wofür?«

   »Für die sechs Gefangenen hier. Doch ist es eigentlich anders. Um seine Medizin zu retten, will er mir


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diese sechs Weißen geben. Wann auch er die Freiheit erhält, das soll auf meine Güte ankommen.«

   »So ist es; es steht auf dem Totem. Aber wir brauchen diesem Totem nicht zu gehorchen, weil es nicht von Leder ist; das weiß er gar wohl.«

   »Dann verliert er das Leben!«

   »Er wird nicht sterben. Old Shatterhand ist sonst ein kluges Bleichgesicht; diesmal aber hat er sich verrechnet.«

   »Meine Rechnung ist richtig; darauf kannst du dich verlassen!«

   Ich sagte das, um ihn zu einer unvorsichtigen Aeußerung zu verleiten. Sein Verhalten ließ auf irgend eine Hinterlist schließen, die ich entdecken wollte. Es glückte mir, meine Absicht zu erreichen, denn er antwortete:

   »Sie ist falsch; das wirst du in kurzer Zeit einsehen. Warte nur, bis ich mich mit den ältesten dieser Krieger beraten habe!«

   »So beeilt euch, denn wenn die angegebene Frist verstrichen ist, kann der Häuptling nicht mehr gerettet werden.«

   Er suchte trotz dieser Aufforderung zur Schnelligkeit nur sehr langsam einige Rote aus, mit denen er sich niedersetzte, um leise mit ihnen zu verhandeln. Die übrigen verhielten sich nach seinem Befehle ruhig, aber die funkelnden Blicke, die sie einander zu- und auf mich warfen, zeugten von der Erregung, in der sie sich befanden.

   »Sie ist falsch; das wirst du in kurzer Zeit einsehen,« lautete also seine Antwort, die mir von großer Wichtigkeit war. Er hatte etwas vor, was ich nicht wissen sollte. Vielleicht war es schon im Gange! Aber was? Es konnte nur die Befreiung des Häuptlings sein.


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Wenn diese gelang, gerieten Dschafar und Perkins in Gefangenschaft, und ich wurde hier überwältigt.

   Wenn er diesen Plan wirklich hegte, so war derselbe gar nicht schwer auszuführen. Aus dem Totem wußte er, daß nur zwei Wachen bei dem Häuptling sein konnten. Die Frist, welche ich ihm gestellt hatte, sagte ihm die ungefähre Entfernung des Ortes, an welchem To-kei-chun zurückgehalten wurde. Und dieser Ort war leicht zu finden; man brauchte ja nur meine Spur von hier aus rückwärts zu verfolgen. Wenn meine Vermutung richtig war, so kam es nur darauf an, wie Dschafar und Perkins sich verhielten, ob sie so handelten, wie ich ihnen befohlen hatte.

   Er sprach leise auf die andern Berater ein, die sich nicht enthalten konnten, mir triumphierende Blicke zuzuwerfen. Dies und sein pfiffiges Gesicht bestärkten mich in der Ueberzeugung, daß ich richtig dachte. Dabei spielte er mit den Papierblättern, nahm sie auseinander und legte sie wieder zusammen. Gewohnt, auf alles zu achten, bemerkte ich, daß jetzt ein Blatt fehlte.

   Ah, sollte er es dem Roten gegeben haben, mit dem er zuerst gesprochen hatte? Es war das leicht möglich gewesen, ohne daß ich es sehen konnte. Durch dieses Papier konnten meine beiden Gefährten leicht zu einer Unvorsichtigkeit verleitet werden. Es brauchte nur ein Roter sich ihnen zu nähern, das Blatt emporzuhalten und dabei zu sagen, daß es von mir komme und eine Weisung enthalte. Mir wurde bange. Ich mußte wissen, woran ich war. Ich wußte, wieviel Rote sich hier befanden; ich mußte sie zählen. Weil ich an der Erde saß, konnte ich sie nicht überblicken; ich stand also auf. Um diese Bewegung möglichst harmlos erscheinen zu lassen, griff ich in die Satteltasche und nahm ein Stück Hasen-


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fleisch [Hasenfleisch] heraus, welches ich mir aufgehoben und da hineingethan hatte. Ich aß es, indem ich stehen blieb und mein Auge über die Indianer gleiten ließ.

   Diese waren durch mein Aufstehen aufmerksam geworden; als sie mich aber essen sahen, legten sie dieser Veränderung meiner Stellung keine Bedeutung bei. Ein Weißer, welcher ruhig ißt, obwohl er sich in einem feindlichen Indianerlager befindet, hat sicherlich nichts Besorgniserweckendes vor. Also ich zählte; es fehlten fünf Mann, darunter der Rote, mit welchem der Alte zuerst gesprochen hatte. Waren sie fortgegangen oder fortgeritten? Wahrscheinlich das letztere, um keine Zeit zu verlieren. Daß sie zu den Pferden gegangen waren, hatte ich nicht sehen können, weil ich umringt war. Durfte ich ruhig abwarten, was geschehen würde? Nein! War der Häuptling frei, und fand er Zeit, das Lager zu erreichen, so hatten wir das Spiel verloren. Gelang es mir aber, ihm unterwegs zu begegnen, konnte ich den Fehler vielleicht noch ausgleichen. Da mußte ich mich aber beeilen!

   Ich hatte, obgleich ich vorhin saß, den Bärentöter quer auf dem Rücken und den Stutzen in der Hand behalten; ich war also nicht durch das Ergreifen der Gewehre gezwungen, die Aufmerksamkeit vorzeitig auf mich zu ziehen. Daß der Alte nur fünf Krieger fortgeschickt hatte, war jedenfalls in der Erwägung begründet, daß ich das Fehlen einer größeren Anzahl hätte bemerken müssen. Fünf nur, das beruhigte mich einigermaßen; aber desto mehr standen hier, deren Kugeln sehr wahrscheinlich hinter mir herpfeifen würden!

   Da winkte der Alte noch einigen Roten, die sich auch zu ihm setzen sollten; das lenkte die Blicke nach der betreffenden Stelle hin, während auf mich niemand sah.


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Diesen günstigen Augenblick benutzte ich sofort, schwang mich in den Sattel, gab dem Pferde die Sporen und flog davon, mitten unter die Indianer hinein. Ich lenkte den Schimmel absichtlich nach dem Punkte, wo sie am dichtesten standen, denn je größer die Verwirrung war, welche ich anrichtete, desto später besannen sie sich darauf, mir zu folgen.

   Ich überritt fünf oder sechs, riß ebensoviele um und lenkte dann nach der Ecke, um welche ich gekommen war. Im ersten Augenblicke vor Ueberraschung still, erhoben sie dann ein Geheul, welches wie von wilden Tieren klang. Wahrscheinlich sprangen sie hierauf zu ihren Pferden; aber schon flog ich um die Ecke und auf meiner Fährte weiter; ein einziger Blick auf sie sagte mir, daß die fünf Comantschen ihr wirklich gefolgt waren.

   Säumen gab es da nicht. Ich trieb meinen Schimmel zur höchsten Eile an; wir flogen wie ein Wetter durch das lichte Gebüsch. Nach einiger Zeit lenkte ich aus demselben hinaus, um einen Blick auf die freie Ebene werfen zu können. Ah, da draußen kam ein Reitertrupp im Galopp auf den Berg und das Buschwerk zu! Den fünf Comantschen war ihr Streich also gelungen. Sie hatten ihren Häuptling befreit und Dschafar und Perkins gefangen genommen. Nun hatte ich also sechs Rote vor mir und eine Rotte von über sechzig hinter mir, doch gab es kein Bedenken.

   Es galt, den Häuptling wieder zu ergreifen und die beiden Gefährten zu befreien. Das wäre gar nicht schwer gewesen, wenn ich die fünf Roten hätte erschießen wollen; aber dies widerstrebte mir selbst in dieser mehr als peinlichen und bedrängten Lage. Nur kein Menschenblut vergießen! Die Pferde freilich konnte ich nicht schonen; sie mußten fallen, wenn ich meinen Zweck erreichen wollte.


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Die Gefahr, welcher ich mich auszusetzen hatte, war nicht gering. Auch abgesehen von den vielen Verfolgern hinter mir, hatte ich vor mir Feinde, welche ich nicht unterschätzen durfte. Man schickt nicht schlecht ausgerüstete Leute aus, um Feinde zu fangen; die fünf Comantschen waren also jedenfalls gut bewaffnet, und der Häuptling hatte sein Messer und sein Gewehr zweifelsohne wieder in den Händen; dazu kamen die Waffen, welche Dschafar und Perkins abgenommen worden waren. Ich hatte mich sehr in acht zu nehmen!

   Alle diese Erwägungen flogen mir durch den Kopf, während ich wieder durch das Gebüsch galoppierte, denn ich war, nachdem ich die Nahenden gesehen hatte, natürlich nicht draußen im Freien geblieben, weil sie mich nicht sehen durften. Ich jagte weiter bis zu der Stelle, an welcher die Spur aus den Sträuchern auf das offene Feld hinausführte. Dort hielt ich mein Pferd an und streichelte ihm den Hals, um es zum ruhigen Stehen zu veranlassen, denn ich durfte keinen Fehlschuß thun, und ebensowenig durfte ich absteigen, weil ich vielleicht gezwungen war, einen oder einige Rote niederzureiten. Ich selbst war nicht im geringsten aufgeregt und konnte mich auf meine sichere Hand verlassen.

   Ich nahm den Stutzen vor. Hinter dem äußersten Gesträuch haltend, lugte ich hinaus. Würden die Erwarteten nach der Stelle kommen, an welcher ich mich befand? Ja, sie kamen im Trabe gerade auf dieselbe zu. Schon konnte ich ihre Gesichter erkennen.

   Voran ritt der Häuptling mit dem auf das Knie gestemmten Gewehre in der Hand. Hinter ihm folgten drei Rote nebeneinander, und dann kamen zwei, welche die Pferde an den Zügeln führten, auf denen Perkins und Dschafar saßen. Als sie bis auf etwa vierzig Schritt


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herangekommen waren, legte ich den Stutzen an. Mein Pferd stand still wie eine Mauer. Der erste Schuß traf das Tier des Häuptlings; es that noch einige Sätze und überschlug sich dann; in welche Lage To-kei-chun dabei kam, das durfte ich nicht beobachten, denn ich hatte meine Augen auf die Pferde seiner Leute zu richten; fünf weitere Schüsse, und sie stürzten eins schnell nach dem andern. Jetzt erst sah ich wieder nach dem Häuptling. Er lag unter seinem Tiere und bemühte sich, hervor und aus dem Bügel zu kommen, in dem er hängen geblieben war; sein Gewehr war ihm aus der Hand und weit fortgeschleudert worden. Zwei Indianer wälzten sich noch auf der Erde; die andern drei hatten sich aufgerafft und starrten erschrocken nach der Stelle, von welcher die Schüsse gekommen waren. Ich stieß den Kriegsruf der Indianer aus und galoppierte hinaus und auf sie zu. Als sie mich sahen, dachten sie an keinen Widerstand und rannten davon. Die beiden andern waren nun auch aufgekommen und liefen laut schreiend hinter ihnen her. Ich war sie los und schickte ihnen noch zwei Schreckschüsse nach.

   Nun zu dem Häuptling! Eben war er losgekommen und richtete sich auf. Ich trieb mein Pferd an ihm vorbei und gab ihm dabei einen Kolbenschlag, der ihn wieder niederwarf; er blieb bewußtlos liegen. Jetzt konnte ich an die Gefährten denken. Sie hielten nebeneinander auf ihren Pferden, die sie nicht lenken konnten, weil ihnen die Hände nach hinten gefesselt waren; die Füße hatte man ihnen an die Bügel gebunden. Ich sprang schnell ab, durchschnitt ihnen die Riemen und sagte:

   »Sprechen wir später; jetzt müssen wir fort! Ich habe wahrscheinlich über sechzig Rote hinter mir, die


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mich verfolgen. Gebt mir nur rasch den Häuptling herauf!«

   Ich schwang mich wieder in den Sattel; sie aber stiegen ab und hoben To-kei-chun zu mir empor. Ich legte ihn wie schon einmal quer vor mich herüber, und dann ging es fort, im Galopp auf die Ebene hinaus. Keine halbe Minute später hörten wir hinter uns ein vielstimmiges Geheul. Mich umblickend, sah ich die Verfolger, welche soeben das Gebüsch verlassen hatten, bei den erschossenen Pferden angekommen waren und ihre fünf Kameraden bemerkten, welche in ihrer Flucht innegehalten und mein Beginnen von weitem beobachtet hatten. Sie sahen natürlich nicht nur uns, sondern auch den Häuptling in meinen Armen, verdoppelten ihr Wutgeschrei und kamen hinter uns hergestoben.

   »Alle Teufel, sie werden uns einholen!« rief Perkins voller Angst.

   »Das werde ich mir verbitten,« antwortete ich. »Eure Furcht ist ohne allen Grund, denn wir haben nun gewonnen.«

   »Das mag der Himmel geben, wenn ich auch nicht weiß, auf welche Weise!«

   »Beeilen wir uns nicht zu sehr! Es ist vielmehr meine Absicht, sie näherkommen zu lassen.«

   Die Verfolger waren so weit hinter uns, daß ich sie mit dem Bärentöter aber nicht mit dem Stutzen erreichen konnte. Da begann der Häuptling sich zu regen. Wir mußten anhalten, um ihn zu binden, und stiegen darum ab. Wir befestigten ihm die Hände auf dem Rücken, wobei er vollends zu sich kam. Er sah seine Leute kommen und wollte sich sträuben, um uns um die kostbare Zeit zu bringen; da richtete ich den Stutzen auf ihn und drohte:


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»Noch eine einzige Bewegung, und ich erschieße dich! Es ist mein Ernst! Setzt ihn aufrecht auf das Pferd, und bindet ihn da fest!«

   »Warum aufs Pferd?« fragte Perkins.

   »Weil da seine Halunken deutlich sehen, was für ein schönes Ziel er meinem Gewehre bietet. Wir spielen unsern Trumpf jetzt aus.«

   Er mußte einsehen, daß es mir jetzt mit meiner Drohung Ernst war, und fügte sich. Sein Widerstand hatte uns doch so aufgehalten, daß uns die Comantschen beträchtlich näher gekommen waren.

   »Sie kommen, sie kommen; sie werden sogleich da sein!« klagte Perkins.

   »Sie werden im Gegenteile sogleich halten bleiben,« antwortete ich. »Ich werde sie sogleich darum ersuchen.«

   Ich legte den Bärentöter an und schoß die beiden Läufe desselben ab; zwei Pferde stürzten und ihre Reiter mit; natürlich hatte ich nur die ersteren getroffen. Die Roten ritten dennoch weiter. Da richtete ich den Stutzen auf sie und warf mit sechs schnell aufeinander folgenden Schüssen ebensoviele Pferde nieder. Da hielten sie freilich an und sandten uns ein Wutgeheul zu. Ich benützte dies, um wieder zu laden, und sagte dabei in drohendstem Tone zu To-kei-chun:

   »Schau nach der Sonne, wie tief sie bereits steht! Sobald sie den Horizont berührt, erschieße ich dich, wenn die gefangenen Bleichgesichter mir nicht bis dahin ausgeliefert worden sind. Old Shatterhand schwört nie; dieses Wort aber ist wie ein Schwur. Rechne ja nicht länger auf meine Nachsicht; sie ist zu Ende!«

   Er lächelte mit überlegenem Grinsen zu mir vom Pferde herunter und antwortete:

   »Old Shatterhand wird mich nicht erschießen!«

   


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»Meinst du? Welche Gründe könnte ich wohl haben, dies nicht zu thun?«

   »Zwei Gründe.«

   »Nenne sie!«

   »Old Shatterhand vergießt nie Blut, außer im Kampfe, und auch da nur dann, wenn es sein Leben gilt und er gar nicht anders kann.«

   »In diesem Falle befinde ich mich doch jetzt!«

   »Nein!«

   »Doch! Stehe ich nicht deinen Leuten gegenüber? Wollen sie mich nicht angreifen? Ist das nicht Kampf? Sie wollen auf mich schießen. Gilt es da nicht mein Leben?«

   »Sie wollen dich nur fangen.«

   »Das ist Ausrede. Wenn es ihnen gelänge, mich festzunehmen, müßte ich am Marterpfahle sterben. Es handelt sich also sehr um mein Leben. Und der andere Grund?«

   »Die Klugheit verbietet dir, mich zu erschießen. Ich bin ein Geisel in deinen Händen, den du nicht vernichten darfst. Du willst die Bleichgesichter retten; das kannst du nur dadurch, daß ich mich in deiner Gewalt befinde. Ich lache also über deine Drohung.«

   Bei diesen Worten grinste er mich wieder triumphierend an. Jetzt lachte ich ihm auch in das Gesicht und entgegnete:

   »To-kei-chun hält sich für sehr klug und ist überzeugt, jetzt durch seine Pfiffigkeit Old Shatterhand überwunden zu haben; aber was du für List hältst, ist nicht List, sondern Kurzsichtigkeit. Ja, ich betrachte dich als einen Geisel, den ich gegen die Bleichgesichter austauschen will. Ich habe dich darum aufgefordert, jetzt die Auswechslung zu bewerkstelligen; du weigerst dich, weil du


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glaubst, daß ich meine Drohung, dich im Weigerungsfalle zu töten, nicht ausführen werde. Dadurch wirfst du deine beiden eigenen Gründe über den Haufen. Freiheit gegen Freiheit, Leben um Leben! Giebst du mir die Gefangenen, so lasse ich dich los. Giebst du mir sie nicht, so willst du ihren Tod; dann habe ich keine Ursache mehr, dich zu schonen, und werde dich erschießen.«

   »Dann müssen auch die Bleichgesichter sterben!«

   »Sie werden ohnedies getötet, weil du sie nicht herausgeben lassen willst.«

   »Sie würden augenblicklich erschossen!«

   »Du noch eher als sie! Und es ist besser, sie werden gleich jetzt erschossen, als daß sie langsam am Marterpfahle sterben.«

   »Und meine Leute würden auch euch hier überfallen und umbringen!«

   »Pshaw! Dort halten sie. Wagen sie sich zu uns heran?«

   »Sie werden es, wenn mich deine Kugel getroffen hat!«

   »Das glaube nicht! Sie werden, wie gewöhnlich, ein ohnmächtiges Wutgeheul erheben, aber sich vor dem Zaubergewehre Old Shatterhands fürchten. Ich halte mein Wort: Du stirbst, wenn die Sonne herunter ist, falls die Bleichgesichter noch nicht freigegeben worden sind. Verhandle also nicht, sondern benutze die Zeit, die sonst verstreicht. Die Sonne hat nur noch zwei Hand breit niederzugehen, dann geht auch die deinige unter!«

   Da fiel Dschafar mit kräftiger Betonung ein:

   »Gebt Euch doch keine solche Mühe mit diesem roten Kerl, Sir! Wir fürchten uns vor seinen Halunken nicht. Wenn die Frist verstrichen ist, die Ihr ihm gegeben habt, so bekommt er eine Kugel, und wir wollen sehen, ob diese


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Kerls es wagen, uns anzugreifen. Ich sage Euch, ich warte nur darauf, daß die Sonne den Horizont berührt. Wenn Ihr dann nicht schießt, so schieße ich; das schwöre ich Euch zu! Der Halunke hat es nicht um mich verdient, daß ich ihn schone! Solches Ungeziefer muß man von der Erde vertilgen, daß es fernerhin weiter keinen Schaden machen kann!«

   »Hast du es gehört?« warnte ich den Häuptling. »Es ist uns ernst; also besinne dich schnell!«

   Er wäre ganz und gar ohne Verstand und Ueberlegung gewesen, wenn er jetzt nicht eingesehen hätte, daß die beiden Trümpfe, die er gegen mich ausgespielt hatte, bei uns keine Geltung besaßen. Dennoch ließ er es bis zum Aeußersten kommen, denn er wartete, finster vor sich niederblickend und ohne ein Wort zu sagen, bis die Sonne in höchstens einer Minute den Horizont berühren mußte. Da nahm Dschafar sein Gewehr auf und sagte:

   »Jetzt wird es Zeit, Mr. Shatterhand. Wer soll schießen? Ihr oder ich?«

   »Alle beide,« antwortete ich.

   »Nein, alle drei,« fiel Perkins ein. »Ihr sollt nicht allein den Vorzug haben, die Menschheit von diesem Schufte befreit zu haben. Gebt nur das Zeichen, Sir!«

   Diese Aufforderung war, indem er sein Gewehr auf den Häuptling anlegte, an mich gerichtet. Ich hob meinen Stutzen, richtete das Auge auf die Sonne und antwortete:

   »Gut, ich bin einverstanden; mag er also drei Kugeln bekommen anstatt nur eine. Zielt nicht auf sein Herz, sondern auf seinen Kopf! Der Tod mag ihn in sein schwaches Gehirn treffen. Dann nehmen wir ihm die Skalplocke die Medizin und werfen beides den Prairiewölfen vor, damit seine Seele nicht in den ewigen Jagdgründen erscheinen darf.«


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Als er die Mündung der drei Gewehre auf seine Stirn gerichtet sah, gab er den Widerstand auf und rief aus:

   »Schießt nicht! Ich bin bereit, zu thun, was ihr wollt!«

   »Ohne allen Hintersinn?« fragte ich.

   »Ja. Der große Geist ist diesmal gegen mich; er will, daß ich nachgebe, und ich gehorche ihm.«

   »Ob du ihm oder aus Angst vor uns gehorchest, ist ganz dasselbe. Ruf deinen Kriegern zu, die Gefangenen loszubinden und sie uns herzuschicken! Vorher aber müssen sie ihnen alles zurückgeben, was sie ihnen abgenommen haben. Wenn nur der geringste Gegenstand fehlt, bekommst du die drei Kugeln, welche dir zugedacht waren.«

   »Sie sollen alles wiederhaben; aber dann giebst du mich auch frei?«

   »Dazu bin ich nicht verpflichtet.«

   »Du hast aber doch gesagt: Freiheit gegen Freiheit!«

   »Allerdings; aber vergiß nicht, was geschehen ist und was wir ausgemacht haben! Du hast uns die Gefangenen nur dafür auszuliefern, daß wir deine Medizin schonen, bleibst jedoch unser Gefangener. Einen Mord wollen wir nicht begehen, und ich halte es für einen Mord, wenn wir dir nachträglich das Leben nähmen. Du sollst also die Freiheit erhalten, aber wann, das ist meiner Güte anheimgestellt.«

   »So wollt ihr mich mit euch schleppen?«

   »Nein. Ich werde vielmehr so gnädig sein, dich heut schon freizugeben, und nicht nur heut, sondern sofort dann, wenn die Bleichgesichter mit allem, was ihnen gehört, hier bei uns eingetroffen sind. Wir werden dies mit der Pfeife des Friedens bekräftigen.«

   


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»So will ich einen meiner Krieger herbeirufen und ihm befehlen, was geschehen soll.«

   »Thue es! Das ist besser, als wenn du deine Befehle aus der Ferne giebst.«

   Er rief seinen Leuten einen Namen zu, befahl dem Träger desselben, zu uns zu kommen, und gab ihm die Versicherung, daß ihm nichts geschehen werde. Der Betreffende gehorchte der Aufforderung und kam, freilich langsam und mißtrauisch, herbeigeritten. Als er in einiger Entfernung zögernd anhielt, forderte ich ihn auf:

   »Komm vollends heran! Wir werden dich nicht als Feind behandeln.«

   »Ist das keine List von dir?« fragte er vorsichtig.

   »Nein. Ich gebe dir mein Wort, und Old Shatterhand hat noch nie sein Wort gebrochen.«

   Da kam er vollständig heran, und To-kei-chun sagte ihm, was zu geschehen hatte. Er war sichtlich nicht entzückt darüber, ließ aber kein Wort des Widerspruches, nicht einmal eine Bemerkung hören, und ritt dann wieder fort. Wir sahen ihm nach, sehr gespannt darauf, welchen Eindruck seine Botschaft auf die Indsmen hervorbringen werde.

   Sie scharten sich im Kreise um ihn; bald entstand eine unruhige Bewegung unter ihnen, aber zu hören gab es nichts; sie sahen ein, daß sie gehorchen mußten, und ergaben sich schweigend in das Unvermeidliche. Nach einer Weile öffnete sich ihr Kreis, und wir sahen die Gefangenen auf ihren Pferden erscheinen. Sie hatten ihre Gewehre und kamen schnell auf uns zugeritten; kein Roter folgte ihnen.

   Die beiden Snuffles waren auf ihren Maultieren voran. Noch ehe sie uns erreicht hatten, rief mir Jim zu:


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»Endlich mußten die Kerls Verstand annehmen! Es war aber auch Zeit dazu, denn morgen früh sollten wir ausgelöscht werden!«

   »Hättet es eigentlich auch nicht anders verdient,« antwortete ich kurz. »Kommt her; steigt ab, und seid Zeugen des Abkommens, welches ich mit To-kei-chun treffen werde!«

   »Abkommen? Was für ein Abkommen soll da noch zu treffen sein? Wir sind frei; er aber ist noch gefangen und wird ausgelöscht! Das ist doch ganz selbstverständlich!«

   »Nicht so sehr, wie Ihr denkt. Habt Ihr Euer Eigentum zurückerhalten?«

   »Ja.«

   »Alles? Wem etwas fehlt, der mag sich melden.«

   Es ergab sich, daß die Roten nur einige Kleinigkeiten behalten hatten. Das waren Gegenstände, auf welche leicht verzichtet werden konnte; ich sah also von Reklamationen, welche ja doch nur Weitläufigkeiten und Zeitversäumnis ergeben hätten, ab, denn es begann schon zu dunkeln, und ließ dem Häuptlinge die Fesseln abnehmen, sodaß er frei vom Pferde steigen konnte. Jim Snuffle wollte dagegen Einspruch erheben, ich bemerkte ihm aber in einem keineswegs freundlichen Tone:

   »Ihr habt hier gar nichts zu befehlen, Mr. Snuffle, sondern Euch ruhig in das zu fügen, was ich bestimme!«

   »Aber bedenkt doch, Sir, was Ihr da für einen Fehler begeht!« entgegnete er. »Dieser Schurke hat den Tod verdient und soll doch, wie es scheint, freigelassen werden. Das muß für ihn doch das allerhöchste der Gefühle sein!«

   »Bekümmert Euch einstweilen nicht um seine Gefühle, sondern um die Eurigen! Ihr werft mir einen Fehler vor. Was habt denn Ihr gemacht?«


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»Ich? Wann denn?«

   »Als Euer Bruder so schön mitten in das Lager der Roten hinein Schlitten fuhr!«

   »Ich wollte ihn heraushauen. War das etwa ein Fehler?«

   »Was denn sonst?«

   »Meine Pflicht war es, aber kein Fehler. Ich werde doch meinen Bruder nicht stecken lassen sollen!«

   »Das solltet Ihr auch nicht; ich wenigstens hätte es Euch nicht zugemutet. Aber war es da grad notwendig, ihm so kopflos und kopfüber nachzustürzen und Euch den Roten auch gefangen zu geben?«

   »Hm! Wurde so hineingetrieben; konnte mich nicht halten; mußte hin zu meinem alten Tim. Da fielen die Kerls über mich her und nahmen mich bei allen meinen Gliedern. Ich wehrte mich zwar so gut, wie ich konnte, kam aber nicht los. Habe tüchtige Püffe erhalten, ganz gewaltige Püffe, und wurde dann gebunden; thun mir noch jetzt alle Glieder weh!«

   »Seid froh, daß Ihr mit nur den Püffen davongekommen seid! Sie sind Euch zu gönnen, denn Ihr habt sie verdient. Redet also ja nicht zu mir von einem Fehler, den ich mache! Ich gebe den Häuptling frei, weil Ihr Eure Freiheit zurückerhalten habt. Oder mutet Ihr mir zu, ihn abzuschlachten?«

   »Abschlachten? Fällt mir nicht ein! Bin nie ein Menschenschlächter gewesen. Aber eine Kugel hat er verdient; das ist gewiß. Doch thut meinetwegen, was Ihr wollt. Und wenn Ihr ihn in einer Staatskarosse nach Hause fahren laßt, ich habe nichts dagegen.«

   Sein Bruder war so klug, gar nichts zu sagen. Die andern Befreiten wollten sich gegen Dschafar und Perkins in Mitteilungen ergehen; ich machte sie darauf auf-


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merksam [aufmerksam], daß dies für später aufzuheben sei, und forderte den Häuptling auf, sich niederzusetzen. Er that es; ich setzte mich zu ihm und stopfte meine Friedenspfeife. Die Bedingungen, welche ich ihm gestellt hatte, wurden wiederholt, und ich betonte ganz besonders die, daß er sich gegen einen jeden von uns in Zukunft aller Feindseligkeiten zu enthalten hätte. Dann that ich die bekannten sechs Züge aus der Pfeife, blies den Rauch nach den vier Windrichtungen, gegen den Himmel und die Erde und forderte ihn auf, es nachzumachen. Er kam diesem Verlangen nach, gab mir die Pfeife zurück, stand auf und fragte mich:

   »Das Calumet ist zwischen uns ausgetauscht worden. Bin ich nun frei?«

   »Ja,« antwortete ich. »Du kannst zu deinen Kriegern zurückkehren.«

   Er stieg auf sein Pferd und ritt einige Schritte weit; da hielt er an, drehte sich zu mir um und sagte:

   »Old Shatterhand ist das listigste unter allen Bleichgesichtern; er kennt die Gebräuche der roten Männer fast so gut wie sie selbst; aber etwas weiß er doch noch nicht.«

   »Was?«

   »Er mag darüber nachdenken und nicht verlangen, daß ich ihn belehre!«

   Nach diesen Worten galoppierte er davon.

   »Habt ihr es gehört, Sir?« sagte Jim. »Das klang genau wie eine Drohung. Schickt ihm schnell eine Kugel nach!«

   »Fällt mir nicht ein! Ich habe ihm das Leben und die Freiheit geschenkt und halte mein Wort.«

   »Aber ob er das seinige halten wird!«

   »Das ist seine Sache. Mich kümmert es jetzt nicht.


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Wir haben vor allen Dingen zu machen, daß wir fortkommen. Steigt also auf!«

   »Wohin soll's gehen?«

   »Zunächst den Roten aus den Augen.«

   Diese empfingen ihren Häuptling mit demselben Schweigen, mit welchem sie vorhin seinen Befehl entgegengenommen hatten, und keiner von ihnen machte, als sie uns den Platz verlassen sahen, Miene, uns zu folgen. In kurzer Zeit waren wir ihnen aus den Augen.

   Ich hatte, weil das Terrain es so gebot, die Richtung nach Westen eingeschlagen und behielt dieselbe bei, bis es vollständig dunkel geworden war und wir, falls die Comantschen doch hinter uns her kommen sollten, nicht von ihnen gesehen werden konnten. Da hielt ich an und sagte:

   »Jetzt müssen wir uns zunächst darüber verständigen, wohin wir uns zu wenden haben. Mr. Dschafar, Ihr wollt hinauf nach Neu-Mexiko. Hattet Ihr einen bestimmten Weg im Auge?«

   »Ja,« antwortete Perkins an Stelle des Gefragten.

   »Welchen?«

   »Wir wollten vom Beaver-Creek nach den Hazelstraits, wenn Ihr diese kennt, Sir.«

   »Ich kenne sie; bin schon einigemal dort gewesen.«

   »Meint Ihr, daß dies richtig gewesen wäre?«

   »Ja.«

   »Well. Aber wir befinden uns nicht mehr am Beaver-Creek, sondern am Makik-Natun, und es ist also, zumal jetzt des Nachts, nicht leicht, uns zurecht zu finden.«

   »Was das betrifft, so braucht Ihr keine Sorge zu haben; ich werde Euch führen, bis Ihr Euch von selbst dann weiterfindet.«


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Da lenkte Dschafar sein Pferd zu mir heran und fragte:

   »Bis wir uns von selbst weiterfinden, Sir? Nicht weiter?«

   »Nein.«

   »So wollt Ihr uns dann verlassen?«

   »Ja. Ich muß nach Süden, und wenn Ihr den Weg kennt, braucht Ihr mich nicht mehr.«

   »Möglich, daß wir auf Eure Ortskenntnis verzichten können, aber doch nicht auf Euch selbst. Denkt, welchen Gefahren wir eben erst entgangen sind, und welche uns noch erwarten!«

   »Daß es hier Gefahren giebt, war Euch wohl bekannt, Mr. Dschafar, und Ihr habt Euch ja auch ganz gut vorbereitet. Es sind drei Führer und zwei Diener bei Euch; rechnet dazu die Snuffles, so seid Ihr acht Männer, die sich nicht so leicht zu fürchten brauchen. Acht Männer! Ich komme ganz allein von den Gros Ventre Bergen herunter, fast stets durch das Gebiet feindlicher Indianer, und habe mich nicht gefürchtet.«

   »Ja, das seid auch Ihr! Könntet Ihr denn nicht wenigstens so lange bei uns bleiben, bis wir vor den Comantschen sicher sind?«

   »Hm! Habe eigentlich keine Zeit dazu.«

   »Ich bitte Euch dennoch darum. Ich bin für Euch ein Fremder und meinetwegen werdet Ihr kein solches Opfer bringen; aber thut es um Eures Hadschi Halef Omar willen, dessen Gast ich gewesen bin!«

   »Yes, thut das, Sir!« fiel da Tim Snuffle ein, der sonst so wenig sprach. »Kann es Euch beweisen, daß wir Euch sehr notwendig brauchen.«

   »So? Na, dann beweist es einmal, alter Tim!«

   »Ist sehr leicht zu machen. Nehmt diese fünf Gent-


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lemen [Gentlemen] an, diesen Fremden, seine zwei Diener und die drei Scouts! Sind sie nicht den Roten in die Hände geraten?«

   »Allerdings.«

   »So gebt Ihr also zu, daß ihnen eine Hilfe willkommen sein muß?«

   »Sie haben doch Euch!«

   »Uns? Pshaw! Die beiden Snuffles! Habe freilich bisher immer wunder gedacht, was für außerordentlich tüchtige Kerls wir sind, möchte es aber jetzt nicht mehr behaupten. Bin wie ein Schuljunge den Roten in die Hände gerutscht, und mein Jim hat auch nicht klüger gehandelt. Sind wir zwei alte Narren da die rechten Helfer für diese fünf Gentlemen? Ohne Euch würden wir alle morgen totgepeinigt werden; das ist der Beweis, daß wir Euch noch länger brauchen. Habe ich recht oder nicht?«

   »Aber alter Tim, was fällt dir ein!« rief da Jim ganz erstaunt. »Ich kenne dich nicht mehr. In deinem ganzen Leben hast du noch nie so viele Worte hintereinander gesprochen!«

   »Well! Ist mir auch nicht leicht geworden. Will lieber mit einem Grizzlibären in seinem Lager schlafen, als eine Rede halten; habe aber geglaubt, daß es hier nötig ist. Oder meint Ihr nicht, Mr. Shatterhand?«

   Dschafar wiederholte seine Bitte, welcher sich die andern alle anschlossen, und so erklärte ich endlich:

   »Nun gut, Ihr sollt Euern Willen haben; ich will Euch bis an die Grenze von Neu-Mexiko begleiten, thue das aber nur unter einer Bedingung.«

   »Welche ist das?« fragte Jim.

   »Daß Ihr Euch möglichst nach mir richtet und nichts unternehmt, ohne mich vorher zu fragen.«


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Jim zögerte, auf diese Forderung einzugehen. Er hielt sich für einen tüchtigen Westmann und glaubte, daß es gegen seine Ehre sei, sich so aller Selbständigkeit zu begeben. Dafür ließ sich aber sein Bruder sofort hören:

   »Das versteht sich doch ganz von selbst! Wenn Old Shatterhand bei uns ist, haben wir unsern Willen dem seinigen zu unterordnen.«

   Dschafar war gern einverstanden; die beiden Diener hatten nichts zu sagen; Perkins wußte, wie er gefehlt hatte, und widersprach nicht; die andern beiden Scouts waren überhaupt bescheidene Leute, die sich freuten, aller Verantwortlichkeit enthoben zu sein; sie stimmten sehr gern ein, und so sah Jim sich schließlich zu der Bemerkung gezwungen:

   »Habe auch nichts dagegen, hoffe aber, daß wir, wenn es sich um etwas Wichtiges handelt, auch mit zu Rate gezogen werden!«

   »Dieses Verlangen brauchtet Ihr gar nicht zu stellen. Ich habe keineswegs die Absicht, wie ein absoluter Fürst oder gar wie ein Tyrann über Euch zu herrschen; wir stehen einander gleich; keiner soll mehr gelten als die andern, doch glaubte ich, daß es besser sei, wenn wir im Augenblicke einer Gefahr nicht vielköpfig handeln, und da muß es also Einen geben, nach dem sich die andern richten. Als diesen habe ich mich vorgeschlagen, gebe aber zu, daß auch ein jeder von Euch das Recht hat, sich in Vorschlag zu bringen. Wollt Ihr der Anführer sein, Jim?«

   »Nein, danke, Sir! Mag nichts zu verantworten haben; dachte nur, daß ich auch einen Mund besitze, zuweilen ein Wort mitzusprechen. Also Ihr seid überzeugt, trotz der Nacht den rechten Weg zu finden?«

   »Ja.«


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»Und wie lange reiten wir? Etwa in einer Tour fort bis zum frühen Morgen?«

   »Nein. So eine Anstrengung darf ich Euch nicht zumuten. Ihr seid gefesselt gewesen und habt jedenfalls nicht viel geschlafen.«

   »Das ist richtig; wenigstens ich habe das Auge keinen Augenblick geschlossen und muß gestehen, daß ich heut unbedingt eine Stunde oder zwei schlafen muß.«

   »Ihr sollt noch länger schlafen. Wir reiten nur so weit, bis wir annehmen können, daß wir morgen vor den Comantschen sicher sind.«

   »Ah! ihr traut ihnen also nicht?«

   »Nein.«

   »Trotz der Friedenspfeife, welche geraucht worden ist?«

   »Trotz derselben. Die Worte des Häuptlings, die er mir zuletzt zurief, sollten wirklich eine Drohung sein.«

   »Dachte es mir! Er behauptete, daß Ihr etwas doch noch nicht wüßtet. Wenn man nur erraten könnte, was er gemeint hat!«

   »Ich brauche es nicht zu erraten, denn ich weiß es schon.«

   »Wirklich? Was ist es denn?«

   »Wir haben mein Calumet geraucht, aber nicht das seinige.«

   »Macht dies denn einen Unterschied?«

   »Eigentlich nicht. Zwischen ehrlichen Leuten ist es ganz gleich, ob die eine oder die andere Partei das Calumet liefert, welches geraucht wird. Hat aber der Rote eine Heimtücke im Nacken, so giebt er nicht seine Friedenspfeife zu der Ceremonie her, sondern es wird diejenige seines Gegners geraucht. Dann gebraucht er gegebenen


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Falles die Ausrede, daß ein Uebereinkommen nur dann Geltung besitze, wenn er es mit seinem eigenen Calumet besiegelt habe. Der Treubruch, den er gleich von vorn herein beabsichtigte, ist seiner Ansicht nach dann vollständig gerechtfertigt oder wenigstens entschuldigt.«

   »Das also ist's? Das hat er gemeint? Daran hättet Ihr freilich denken sollen!«

   »Ich habe daran gedacht.«

   »Aber doch Eure Pfeife genommen und nicht die seinige! Warum?«

   »Weil ich mit Recht annahm, daß er sie nicht gleich hergeben, sondern allerlei Ausflüchte machen werde. Dabei wäre die Zeit vergangen, und er hätte seine Absicht erreicht.«

   »Welche Absicht?«

   »Daß es finster werden solle. Es wäre uns nicht mehr möglich gewesen, seine Leute zu beobachten, und sie hätten sich nähern und uns angreifen können. Er wollte Zeit gewinnen. Dies zu verhüten, habe ich ihm seine Pfeife lieber gar nicht abgefordert.«

   »Aber nun wird er nicht Wort halten, sondern uns folgen!«

   »Sehr wahrscheinlich. Doch wird er uns nicht finden, denn wir reiten jetzt so weit, daß unsere Fährte morgen früh nicht mehr gesehen werden kann.«

   »Hm! Ich verstehe und begreife Euch nicht. Wenn die Spur zu sehen ist, kann man sie doch sehen, wir mögen so weit reiten, wie wir wollen!«

   »Mr. Snuffle, Ihr wollt wirklich ein Westmann sein?«

   »Yes, ich bin einer. Möchte den kennen lernen, der dies nicht glauben will!«


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»Ich möchte es beinahe nicht glauben, weil Ihr meine Worte nicht begreift.«

   »Na, wie Ihr so weit reiten wollt, daß Eure Fährte nicht zu sehen ist, das ist mir freilich ein Rätsel. Wenn man den ersten Teil derselben sieht, sieht man doch auch den übrigen Teil, Ihr mögt noch so weit fortreiten!«

   »Das ist eben nicht der Fall. Jetzt ist es dunkel; die Comantschen können uns also erst folgen, wenn es früh hell wird. Das ist ungefähr sechs Uhr. Jetzt haben wir sieben Uhr abends. Wenn wir nur drei Stunden reiten und also schon um zehn Uhr lagern, sind die Roten morgen früh um neun Uhr an unserm Lagerplatze, den sie wahrscheinlich noch ziemlich deutlich erkennen können. Reiten wir aber fünf Stunden lang, so lagern wir um zwölf Uhr, und die Indianer kommen erst um elf Uhr an die betreffende Stelle, oder vielmehr sie würden hinkommen, wenn unsere Fährte noch zu erkennen wäre. Das wird sie aber nicht sein, denn eine Spur, welche sich möglicherweise von jetzt bis morgen früh neun Uhr hält, wird gewiß zwei Stunden später nicht mehr zu sehen sein. Je weiter und länger wir also heut noch reiten, desto sicherer können wir sein, daß die Verfolger uns nicht entdecken werden. Seht Ihr das nicht ein?«

   »Hm, jetzt ist mir's allerdings deutlicher, als vorher. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

   »Yes,« antwortete sein nun wieder einsilbig gewordener Bruder.

   »Und weiter!« fuhr ich fort. »Da der Anfang unserer Fährte morgen früh wahrscheinlich noch zu sehen ist, weil wir hier weichen Boden haben, so führen wir die Roten dadurch irre, daß wir sie in eine falsche Richtung locken. Die Hazelstraits, welche unser nächstes Ziel


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sind, liegen westlich von hier; wir werden aber nach Süden reiten, und zwar so weit, bis wir harten Boden finden, an welchem wir nach Westen umbiegen.«

   »Well! Das ist pfiffig, Sir! Die Comantschen werden uns nach Süden folgen. Hört dann unsere Spur auf, so denken sie natürlich, daß wir nach Süden weitergeritten sind, und werden diese Richtung beibehalten. Dann sind wir sie los. Es ist wahr, Ihr seid der richtige Mann für uns, Mr. Shatterhand. Stellt Euch also an die Spitze und führt uns, wohin Ihr denkt! Es ist nicht gut, uns hier noch länger aufzuhalten.«

   »Nein, wir müssen fort. Die Indsmen haben gesehen, daß wir uns westlich entfernten, und es ist immerhin möglich, daß sie auf den Gedanken gekommen sind, wenigstens eine Strecke weit in dieser Richtung nachzufolgen.«

   »Ja, und das müssen wir berücksichtigen, obgleich sie uns nichts anhaben könnten, weil wir sie schon von weitem hören würden.«

   »Wenn sie zu Pferde kämen, ja. Aber wenn sie den guten Gedanken hätten, uns zu Fuße nachzuschleichen?«

   »Wetter! Da könnten sie uns unbemerkt umzingeln und niedermachen. Wir müssen fort!«

   Ich trat jetzt also mein Amt als Führer an. Wir ritten bis Mitternacht, also sehr weit, nach Süden und bogen dann im rechten Winkel nach Westen ab. Ich war überzeugt, daß, wenn die Roten morgen vormittags elf Uhr an diese Stelle kommen sollten, sie unsere Spur nicht mehr sehen und also auch nicht bemerken könnten, daß wir wie der fliehende Fuchs einen Haken geschlagen hatten. Dann ging es noch über eine Stunde weiter fort, bis die Reiter so ermüdet waren, daß wir anhalten mußten. Wir lagerten uns.


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Die Männer hatte sich schon unterwegs, ohne daß ich mich daran beteiligte, über ihr letztes Abenteuer ausgesprochen, und es stand zu erwarten, daß sie schnell einschlafen würden. Ich bestimmte nur zum Scheine die Reihenfolge der Wache und übernahm die ersten zwei Stunden. Als diese vergangen waren, weckte ich den Nächstfolgenden nicht, sondern blieb auf meinem Posten, bis der Tag anbrach. Dann weckte ich die Schläfer, welche mir für dieses kleine Opfer sehr dankbar waren.

   Dschafar hatte sich sehr reichlich mit Proviant versehen gehabt, der von einem Packtiere getragen worden war. Natürlich war auch dies mit in die Hände der Comantschen gefallen. Sie hatten einen guten Teil des Proviantes verzehrt, aber doch davon übrig gelassen und wieder hergeben müssen. Wir hatten also zu essen und brauchten keine Zeit auf die Jagd zu verwenden, konnten vielmehr nach einem kurzen Frühstücke sogleich aufbrechen.

   Gestern abend war ich allein vorangeritten, ohne mich an dem Gespräch der andern zu beteiligen; ich konnte auch nicht sehr auf dasselbe achten, weil ich der Dunkelheit wegen meine ganze Aufmerksamkeit der Gegend, durch welche wir kamen, und den wenigen Sternen, welche am Himmel standen und mir als Wegweiser dienen mußten, zuzuwenden hatte. Ich brauchte eigentlich auch gar nicht zu hören, was sie sprachen und sich erzählten, denn ich wußte doch, wie alles gekommen war. Was ich nicht selbst gesehen und gehört hatte, das konnte ich leicht erraten. Heute früh aber, als Perkins einmal neben mir ritt, benutzte ich die Gelegenheit, ihn zu fragen:

   »Ihr hattet gestern wohl ganz vergessen, um was ich Euch so dringend gebeten hatte?«

   »Wann?«


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»Als ich allein zu den Comantschen ritt.«

   »Daß wir ihren Häuptling gut bewachen sollten?«

   »Ja. Das war aber noch nicht alles. Ihr solltet ihn nicht nur bewachen.«

   »Sondern ihn auch verteidigen; ich weiß es gar wohl!«

   »Und Euch weder durch Gewalt noch List bewegen lassen, ihn freizugeben!«

   »Dachte es, daß die Vorwürfe noch kommen würden, Mr. Shatterhand!«

   »Habt Ihr sie etwa nicht verdient?«

   »Nein.«

   »Dann begreife ich es nicht!«

   »Well! Und wenn sie verdient wären, warum macht Ihr sie mir und nicht auch Mr. Dschafar?«

   »Weil er ein Fremder ist und den Westen nicht kennt; Ihr aber seid sein Scout und solltet wissen, was man zu thun und zu lassen hat!«

   »Das weiß ich auch; gewiß weiß ich es; aber wenn Euch einmal ein so außerordentlicher Fall vorkäme, würdet Ihr auch nicht wissen, was Ihr thun solltet.«

   »Ich wüßte es sicherlich!«

   »So? Nun, was würdet Ihr thun?«

   »Das, was Old Shatterhand mir gesagt hätte.«

   »Hm! Ihr könnt heut gut reden. Nun, da Ihr seht, wie der Stock geschwommen ist, wißt Ihr natürlich ganz genau, wie er in das Wasser geworfen worden ist. Wir aber konnten das nicht sehen.«

   »Pshaw! Ihr befandet Euch auf freiem Felde und konntet jeden Menschen sehen und mit einer Kugel abwehren. Der Gefangene war sehr gut gefesselt und Euch also sicher. Nun könnt Ihr Euch denken, was ich für Augen machte, als ich auf meinem Rückweg so plötzlich


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die Bescherung sah! Er war frei, und Euch hatte man gefangen genommen und gebunden. Und wer hatte das fertig gebracht? Ein paar armselige Comantschen, die Ihr mit den Gewehren so leicht wegblasen konntet. Und selbst dies war nicht notwendig. Ihr brauchtet ihnen nur die Flinten zu zeigen, so hätten sie sich gar nicht auf Schußweite herangewagt!«

   »Wir haben sie ihnen doch auch gezeigt!«

   »Und seid dennoch überrumpelt worden! Wie habt Ihr dieses Meisterstück denn eigentlich fertig gebracht?«

   »Das dumme Papier ist schuld daran.«

   »Ah, dachte es mir!«

   »Die Roten machten uns damit irre und kirre. Als wir ihnen zuriefen, halten zu bleiben, wenn sie keine Kugeln haben wollten, stiegen sie in Schußweite von den Pferden, und einer von ihnen zeigte ein Papier, welches er mit der Hand hochhielt. Er rief uns zu, ihr hättet dieses >sprechende Papier< für uns geschrieben, und er solle es uns bringen.«

   »Das glaubtet Ihr?«

   »Warum nicht? Er sagte, es sei alles in Ordnung gebracht, Ihr befändet Euch bei den Gefangenen, welche sogleich freigegeben würden, sobald wir den Häuptling brächten: das alles hättet Ihr für uns auf das Papier geschrieben. Wir mußten also das Papier lesen und erlaubten den Kerlen, zu uns zu kommen.«

   »Welche Unvorsichtigkeit! Es genügte doch, wenn einer es Euch brachte. Den anderen mußtet Ihr unbedingt verbieten, sich Euch zu nähern.«

   »Ganz richtig; aber wer denkt so etwas, wenn die Schufte eine schwarz auf weiß geschriebene Legitimation vorzeigen! Ich nahm sie in Empfang, und eben als ich sie lesen wollte und meine Augen also auf das Papier


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und nicht auf die Roten gerichtet hielt, fielen sie über uns her. Sie waren dabei so schnell, daß wir gar keine Zeit zur Gegenwehr fanden und in den Fesseln steckten, ehe wir nur recht wußten, wie wir hineingekommen waren. Daß sie dann den Häuptling losmachten, könnt Ihr Euch wohl denken.«

   »Das kann ich mir freilich denken; undenkbar aber ist mir, daß so etwas überhaupt geschehen kann! Doch es ist vorbei und der Fehler wieder gut gemacht; es wiederzukäuen, hat also keinen Zweck. Ich werde mich aber, so lange wir beisammen sind, hüten, mein Vertrauen wieder in dieser Weise wegzuwerfen.«

   Er brummte eine mißmutige Bemerkung in den Bart und machte, daß er von mir fortkam. Die andern besaßen kein besseres Gewissen als er; sie alle hatten Fehler gemacht, und weil sie dachten, daß ich darüber sprechen würde, hielten sie sich möglichst fern von mir, und ich blieb allein voran. Nur Dschafar kam einigemal an meine Seite, um mir eine besonders schöne Stelle aus seinem Hafis mitzuteilen oder mich um meine Meinung über sie zu befragen. Er hatte das Buch oft in der Hand und blieb darum häufig zurück, was ihm zuweilen einen warnenden Zuruf von mir einbrachte.

   Am Mittag gönnten wir den Pferden zwei Stunden Ruhe, und am Abende lagerten wir an einem stehenden Wasser, welches das einzige in dieser Gegend war. Wenn wir es auch nicht genießen konnten, so erlaubten wir doch den Pferden, davon zu trinken.

   Heut verteilte ich die Wachen so, daß ich übergangen wurde und die ganze Nacht hindurch schlafen konnte, was mir ein unbedingtes Bedürfnis war. Ich war gestern ebenso angegriffen und ermüdet gewesen wie die andern und konnte diese Rücksicht heut nun fordern, besonders


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auch weil sie heut während des ganzen Tages die Sorge für den Weg und seine Sicherheit mir allein überlassen hatten.

   Eigentlich hätten wir uns schon heut abend bei den Hazelstraits befinden können; aber der Umstand, daß wir erst fünf Stunden weit südwärts geritten waren, hatte einen solchen Zeitverlust für uns zur Folge gehabt, daß wir die genannte Gegend erst morgen um Mittag erreichen konnten.

   Als wir unser heutiges Lager erreicht hatten, war es schon ziemlich dunkel gewesen, sodaß es mir nicht möglich war, die Umgegend desselben zu untersuchen. Sogar im Boden befindliche Spuren hätte ich nicht erkennen können. Aber das Gesträuch, welches an dem Wasser stand, hatte ich umstrichen und mich überzeugt, daß wir uns allein in dieser Gegend befanden.

   Nach dem Erwachen am nächsten Morgen wurde gegessen. Unsere Pferde hatten während der Nacht in der Umgebung gegrast und sich an den Büschen gütlich gethan. Mein Schwarzschimmel war jetzt noch damit beschäftigt, die Blätter und jungen Triebe abzuraufen. Ich ging zu ihm hin, um das gestern gelockerte Riemenzeug wieder fest anzuziehen. Bei dieser Beschäftigung fiel mein Blick auf den Strauch, von dem das Pferd gefressen hatte, und sofort bemerkte ich, daß kurz vor uns schon Leute und Pferde hier gewesen sein mußten. Ich ging von Strauch zu Strauch und fand meine Vermutung bestätigt. Dann suchte ich an der Erde nach Spuren. Meine Gefährten bemerkten das, und Jim Snuffle fragte mich:

   »Ihr habt etwas verloren, Sir? Wir wollen Euch suchen helfen.«

   »Verloren habe ich nichts,« antwortete ich; »aber dennoch suche ich.«


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»Was?«

   »Spuren.«

   »Von wem?«

   »Von Reitern, welche gestern vor uns hier gewesen sind.«

   »Reiter? Hier? Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?«

   »Betrachtet die abgebissenen Zweige an den Büschen!«

   »Die haben unsere Pferde gefressen.«

   »Nicht alle. Seht Euch nur die Stellen an, wo die Zweige abgebissen oder abgerissen worden sind; Ihr werdet da einen Unterschied bemerken.«

   Er folgte dieser Aufforderung und erklärte dann:

   »Ihr habt recht, Mr. Shatterhand; es giebt einen Unterschied. Die Bruchstellen sind teils neu, teils älter; aber das läßt sich doch sehr leicht erklären.«

   »Womit?«

   »Die alten sind die Stellen, wo unsere Pferde gestern abend, und die neuen die, wo sie heut früh davon gefressen haben. Es ist also falsch, anzunehmen, daß vor uns Leute dagewesen sind.«

   »Es ist nicht falsch, sondern richtig; ich sehe es jetzt sehr genau. Schaut diesen Zweig! Der Kenner schwört darauf, daß er nicht gestern abend, sondern schon vorher abgerissen worden ist, denn der Bruch ist schon dunkel gefärbt.«

   »Da müßte der Boden doch Fuß- und Hufspuren zeigen!«

   »Die hat es jedenfalls gegeben, aber sie sind vor den Eindrücken, welche wir und unsere Pferde gemacht haben, nicht mehr zu erkennen. Und wenn dies auch nicht wäre, so kann man überhaupt heut Spuren von gestern mittag nicht mehr sehen, außer sie befänden sich


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am weichen Rande des Wassers. Laßt uns einmal dort suchen!«

   Kaum waren wir von verschiedenen Seiten, da, wo wir eben gestanden hatten, an das Wasser getreten, so ließ dieser und jener von uns einen Ruf der Ueberraschung hören. Wir fanden Menschen- und Pferdespuren. Die Menschen hatten Mokassins angehabt, und die Pferde waren barfuß, also unbeschlagen gewesen.

   »Indianer, das sind Indianer gewesen!« rief Jim Snuffle. »Meinst du nicht auch, alter Tim?«

   »Yes,« nickte der Gefragte, indem er sich niederbückte, um einen der Eindrücke mit andächtiger Genauigkeit zu betrachten.

   »Und zwar scheinen es viele gewesen zu sein, sehr viele! Was sagt Ihr dazu, Mr. Shatterhand?«

   »Ja, es sind nicht wenige gewesen,« antwortete ich. »Schade, daß wir gestern hier ankamen, als es schon zu dunkel war, diese Spuren zu bemerken! Wir hätten zählen können.«

   »Können wir das nicht jetzt noch?«

   »Schwerlich!«

   »Wir nicht, aber Ihr?«

   »Auch ich nicht. Ich schätze aber, daß es weit mehr als dreißig gewesen sind. Genauer läßt es sich unmöglich bestimmen.«

   »Wer mag es gewesen sein?«

   »Comantschen natürlich, denn andere befinden sich hier in dieser Gegend nicht, wenigstens jetzt.«

   »Doch nicht etwa die unserigen? Ich meine To-kei-chun mit seinen Leuten.«

   »Hm! Es wäre die Möglichkeit. Aber das könnte nur dann der Fall sein, wenn er uns nicht verfolgt hätte, sondern gleich, als wir von ihm fort waren, ohne


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Säumen und die Nacht hindurch direkt nach den Hazelstraits geritten wäre.«

   »Was hätte er dort zu suchen gehabt?«

   »Ja, so frage auch ich. Er wollte doch bei den Häuptlingsgräbern den Kriegstanz tanzen und die Medizin befragen, und von den Hazelstraits ist gar keine Rede gewesen!«

   »Also müssen es andere Comantschen sein!«

   »Wahrscheinlich. Aber, da kommt mir ein Gedanke!«

   »Welcher?«

   »Er kann erfahren haben, wohin wir wollen.«

   »Das müßte ihm einer von uns gesagt haben!«

   »Allerdings.«

   »Aber wer? Es wird doch niemand so dumm gewesen sein, es ihm zu verraten!«

   »O, was Dummheiten anbelangt, so sind deren so viele und so unglaubliche vorgekommen, daß auch diese nicht undenkbar ist. Haben die Gefangenen vielleicht in Gegenwart ihrer roten Wächter miteinander von den Hazelstraits gesprochen?«

   »Nicht ein Wort!« antwortete einer der beiden gefangen gewesenen Führer; der andere bestätigte es, und die beiden Diener schlossen sich dieser Aussage an.

   »Ihr auch nicht, Jim und Tim?«

   »Nein,« erklärte Jim. »Wir haben gar nicht davon sprechen können, weil wir das von den Hazelstraits erst erfuhren, als wir gestern frei und nicht mehr bei den Comantschen waren.«

   »So wäre noch eins möglich, nämlich daß Mr. Dschafar und Mr. Perkins davon geredet haben, als ich sie gestern, während ich zu den Roten ritt, allein bei dem Häuptling zurückließ.«


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Da rief Perkins eifrig:

   »Was denkt Ihr von mir, Sir! Ich werde doch nicht so wahnsinnig sein, diesem roten Teufel unsern Weg zu verraten!«

   »Also auch nicht. So haben wir es denn mit einer andern Comantschenabteilung zu thun.«

   »Das ist gewiß,« stimmte Jim mir bei; »ich kann es beweisen.«

   »Beweisen! Womit?« fragte ich.

   »Nicht wahr, jetzt fragt Ihr mich!« lachte er vergnügt. »O, Jim Snuffle hat auch gelernt, scharf nachzudenken! Wenn es To-kei-chun mit seiner Schar wäre, so müßten wir unterwegs schon früher auf seine Fährte getroffen sein, denn er käme doch grad daher, woher wir auch gekommen sind.«

   »So, das nennt Ihr scharf nachdenken?«

   »Ja.«

   »Das ist überhaupt nicht nachgedacht und noch viel weniger scharf.«

   »Oho!«

   »Ja, ja, Mr. Snuffle! Ihr vergeßt, daß wir erst fünf Stunden lang südwärts geritten sind und er also, wenn er direkt und in gerader Linie geritten wäre, gar nicht auf unsere Spur treffen konnte.«

   »Ah, das ist freilich wahr!«

   »Und sodann müßt Ihr Euch in die Gedanken so eines roten Häuptlings versetzen. Angenommen, er hätte erfahren, daß wir nach den Hazelstraits wollen, so hätte er es unbedingt unterlassen, uns zu folgen, sondern wäre uns vorangeritten, um uns zu erwarten und vollständig zu Ueberraschen, zu überrumpeln. Da durfte er aber nicht die gerade Linie einschlagen, von der er annehmen mußte, daß wir sie würden benutzen, denn da hätten wir doch


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gleich am frühen Morgen seine Fährte entdeckt und sein Vorhaben erraten. Er mußte vielmehr einen Umweg machen, was er sehr wohl konnte, weil er eine ganze Nacht vor uns voraus hatte. Verstanden?«

   »Well!«

   »Ihr seht also, wie es um Euer >scharfes Nachdenken< steht. Woher die Roten, welche hier waren, gekommen sind, das können wir nicht entdecken, weil die Spuren nicht mehr gelesen werden können. Es bleibt uns also nur übrig, zu erfahren, wohin sie geritten sind, und auch dies wird schwer oder gar unmöglich sein.«

   Ich umschritt in einem weiten Kreise den ganzen Platz, doch vergeblich; der Boden zeigte nicht den geringsten Eindruck mehr. Wir hatten trotzdem keinen Grund, größere Besorgnisse zu hegen, als die, zu denen uns der Umstand berechtigte, daß überhaupt Indianer hier gewesen waren. Sie waren aus irgend einer beliebigen Richtung gekommen, und sie hatten sich nach irgend einer ebenso beliebigen Richtung wieder entfernt. Aber anzunehmen, daß sie grad nach den Hazelstraits geritten seien, dazu hatten wir keine Ursache. Es galt, unterwegs gut aufzupassen; das war alles, was wir thun konnten und auch so schon gethan hätten, wenn wir hier auf keine Spuren getroffen wären.

   Wir verließen also den Lagerplatz und gelangten auf eine Ebene, welche wie eine weite, sich von Norden nach Süden dehnende Platte westwärts allmählich aufwärts stieg. Ich kannte sie und hatte sie schon öfters durchquert; sie führte nach den Hazelstraits, so genannt nach den Haselnußsträuchern, welche dort in Masse vorkamen und so hoch waren, daß selbst ein bedeutender Reitertrupp zwischen und unter ihnen verschwinden konnte.

   Unterwegs hatte ich Dschafar wieder einigemal zur


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Eile zu mahnen. Dieser persische Schöngeist hatte ganz besonders heut mehr Auge für seinen Dichter als für die Gegend, durch welche wir kamen.

   Wir ritten bis gegen Mittag, ohne eine Spur von der heutigen oder gestrigen Anwesenheit eines Menschen zu bemerken; das machte meine Gefährten sicher, mich aber nicht. Ich hegte nämlich einen Verdacht.

   Perkins hatte auf meine Frage, ob vielleicht er von den Hazelstraits gesprochen hätte, gar zu eifrig geantwortet, während Dschafar still geblieben war. Das fiel mir auf. Hatten sie geplaudert, so war To-kei-chun uns vorausgeeilt, um uns ganz unerwartet in Empfang zu nehmen. Ich kannte die Stelle gar wohl, welche dazu am besten geeignet war, und beschloß, allein vorauszuschleichen, um sie zu untersuchen. Als wir das erste Haselgrün vor uns auftauchen sahen, konnte ich damit noch warten, denn wir hatten wohl noch eine Stunde zu reiten, ehe wir hingelangten.

   Die Haseln traten erst vereinzelt auf und vereinigten sich dann zu kleineren, später größeren Gruppen, um schließlich ein ununterbrochenes Ganzes zu bilden, welches die beiden Seiten einer hoch ansteigenden Thalenge bildete. Auf dem Grunde derselben floß ein Bach. Noch von der glorreichen Büffelzeit her gab es hier ausgetretene Bisonpfade, welche es dem Reiter ermöglichten, durch den Haselwald zu kommen. Diese Enge war es, wo To-kei-chun uns jedenfalls auflauerte, wenn er sich überhaupt hier befand. Wir konnten da, ohne es zu ahnen, mitten unter die hinter den Büschen versteckten Indianer geraten und in einem einzigen Augenblicke von ihnen niedergerissen und überwältigt werden, wenn sie es nicht vorzogen, uns lieber von den Pferden zu schießen, was noch viel leichter war.


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Also nach meiner Ansicht hatten wir nicht eher etwas zu befürchten, als bis wir in diese Enge oder wenigstens in ihre Nähe gekommen waren, dennoch verdoppelte ich meine Vorsicht und Aufmerksamkeit schon vorher, sobald wir an die ersten Büsche gelangten. Aus diesem Grunde konnte ich mich nicht um das bekümmern, was hinter mir geschah. Ich hatte die Gefährten auf die Gefahr aufmerksam gemacht und mußte es nun ihnen überlassen, auf sich selbst achtzugeben.

   Wir ritten still. Der weiche Boden ließ die Schritte unserer Pferde kaum hören, und nur zuweilen rauschte und raschelte ein Strauch, den einer von uns streifte. Nicht nur meine Augen, sondern meine Ohren waren in angestrengter Thätigkeit; darum geschah es, daß ich plötzlich etwas hörte, was mir sonst gewiß entgangen wäre. Es konnte irgend ein Naturlaut sein, aber es kam mir vor wie eine menschliche Stimme, welche, durch die Entfernung und das Gesträuch gedämpft, einen Ruf ausstößt.

   »Pst, still, ich hörte etwas!« gebot ich, indem ich mein Pferd anhielt.

   Ja, da erklang es wieder, deutlich, hinter uns:

   »Faryahd - - faryahd - - -!«

   Dieses Wort ist der Hilferuf in persischer Sprache. Man weiß, daß der Mensch, selbst im fremden Lande und wenn er sich der dortigen, fremden Sprache vollständig bedienen kann, im Augenblicke der Ueberraschung, des Schreckens, der Gefahr den Schrei, den Ausruf, welchen er ausstößt, meist seiner Muttersprache entnimmt.

   »Himmel! Wo ist Mr. Dschafar?« fragt ich, denn ich sah ihn nicht.

   »Fort - - wieder zurückgeblieben,« antworteten die andern, und Perkins, welcher als der letzte ritt, fügte hinzu: »Ich glaubte, er sei eng hinter mir.«


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»Der Unvorsichtige! Er befindet sich in Gefahr; er hat um Hilfe gerufen! Ich muß zurück, um ihm zu helfen.«

   Ich wendete mein Pferd, um umzukehren.

   »Und wir?« fragte Jim Snuffle. »Was sollen wir thun? Etwa hier bleiben und warten?«

   »Nein. Ich darf euch nicht hier lassen, denn ihr seid unvorsichtige Leute.«

   »Oho!«

   »Ja; ihr habt es bewiesen. Wir wissen nicht, wo die Roten stecken; sie können sich ganz in der Nähe, grad hier vor uns befinden. Kommt also mit.«

   Wir ritten im schnellsten Tempo, welches die Büsche uns erlaubten, zurück, kamen aber doch zu spät. Als wir da anlangten, wo die Sträucher noch weit auseinander standen, sah ich an einer Stelle unserer Fährte den Boden zertreten, ja sogar von Pferdehufen aufgewühlt.

   »Bis hierher ist Mr. Dschafar gekommen, und da hat ein Kampf stattgefunden,« sagte ich.

   »Wetter!« rief Jim Snuffle aus. »Sollte er überfallen worden sein?«

   »Ja, denn er hat um Hilfe gerufen.«

   »Von Roten?«

   »Natürlich! Sonderbare Frage! Wer anders soll es gewesen sein!«

   »Aber wie viele?«

   »Es müssen mehrere gewesen sein.«

   »Gewiß; denn einen hätte er von sich abwehren können. Suchen wir nach Spuren!«

   »Das thue ich ja schon, wie ihr seht. Schaut, da geht eine Fährte rechts ab in die Büsche. Das sind die Spuren eines Pferdes und dreier Männer, welche Mokassins anhatten.«


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»Also von dreien ist er angegriffen worden. Die haben ihn allerdings überwältigt.«

   »Sie haben als Posten hier gestanden, um unsere Annäherung zu beobachten. Uns durften sie nichts thun, weil wir mehr Personen waren als sie; aber sie sahen, daß er weit hinter uns war, und beschlossen, ihn festzunehmen.«

   »Diese Schurken, die pfiffigen!«

   »Unsinn! Es war nichts weniger als pfiffig von ihnen, denn sie haben sich dadurch verraten. Es war ihnen jedenfalls befohlen worden, wenn sie uns kommen sähen, dies sofort dem Häuptlinge zu melden. Anstatt dies zu thun, sind sie stecken geblieben, um den unvorsichtigen Nachzügler zu ergreifen.«

   »Was thun nun wir, Sir?«

   »Wir müssen ihn befreien.«

   »Wie? Indem wir diese Kerls offen angreifen?«

   »Ja, falls es nicht anders geht. Vielleicht helfen wir uns auch mit List. In beiden Fällen müssen wir wissen, wo die Comantschen stecken.«

   »So müssen sich einige von uns auf die Suche machen. Ich und mein Bruder wollen gehen. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

   »Yes,« nickte dieser.

   »Nein, nicht ihr!« erklärte ich. »Ihr habt wiederholt gezeigt, wie man sich auf euch verlassen kann. Ich werde selbst gehen,«

   »Well, wie Ihr wollt. Aber es ist ja gar nicht gesagt, daß wir immer solches Pech haben müssen wie bisher.«

   »Von Pech ist keine Rede. Ihr seid nicht Unglücklich, sondern unvorsichtig und voreilig gewesen; das ist es, Mr. Snuffle. Ihr bleibt hier und geht nicht von der Stelle, bis ich wiederkomme.«


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»Und wenn Ihr nicht wiederkommt?«

   »Ich komme gewiß.«

   »Sie können Euch ergreifen!«

   »Pshaw! Wer mich festnehmen will, der muß mich überrumpeln, und das ist hier nicht möglich, weil ich ja weiß, daß wir die Feinde vor uns haben. Paßt aber gut auf, daß sie euch nicht überfallen! To-kei-chun wird, wenn er erfährt, welche Dummheit seine Späher begangen haben, annehmen, daß wir das Fehlen von Mr. Dschafar bemerken und umkehren; er weiß, daß wir die Spur des Ueberfalles finden und also gewarnt sind und uns infolgedessen zurückziehen. Er wird höchst wahrscheinlich einige Leute vorschicken, um zu erfahren, wo wir uns befinden. Wenn diese Kundschafter hierher kommen, so haltet sie fest; macht aber keinen Lärm dabei! Meine Gewehre sind mir jetzt im Wege; ich lasse sie bei euch. Ihr wißt wohl, was ich euch da anvertraue!«

   Dieser Gedankenaustausch hatte in höchster Eile stattgefunden, denn ich durfte keine Zeit versäumen. Es war ja möglich, daß ich die drei Roten mit Dschafar einholen konnte, noch ehe sie das versteckte Lager der Comantschen erreicht hatten. Wenn mir dies gelang, zweifelte ich nicht daran, daß es mir nicht schwer fallen würde, ihnen ihren Gefangenen wieder abzunehmen. Ich gab also den Gefährten meine Gewehre und machte mich an die Verfolgung der Spur, welche seitwärts in die Büsche führte.

   Die drei Indianer wußten uns sicher voraus; sie konnten also nicht auf dem geraden Wege zu den Ihrigen gelangen, weil sie da auf uns gestoßen wären, sondern sie waren zu einem Umwege gezwungen, welcher jedenfalls einen Bogen bildete. Wenn ich ihnen auf ihrer Fährte folgte, mußte ich diesen Umweg auch machen und holte sie also nicht ein. Darum entschloß ich mich, dies nicht


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zu thun, sondern den Bogen auf seiner Sehne abzuschneiden.

   Zunächst freilich blieb ich auf ihrer Spur, um die wahrscheinliche Größe und Ausbiegung dieses Bogens kennen zu lernen; dann aber, als ich mir hierüber klar war, wich ich von ihren Fußeindrücken ab und drang in gerader Richtung in das Gebüsch ein. Dabei mußte ich so rasch wie möglich sein und durfte mich doch nicht hören lassen. Das war nicht leicht.

   Als ich eine Strecke, welche ungefähr fünfhundert Schritte betragen konnte, zurückgelegt hatte, traf ich wieder auf die Spur, welche also von der Seite zurückkehrte; ich hatte den Bogen abgeschnitten und befand mich höchst wahrscheinlich in der Nähe der Comantschen. In dem Augenblicke, als ich die Fährte wieder sah, hörte ich vor mir ein Geräusch und horchte auf. Es entfernte sich. Sollten die drei Roten mit Dschafar soeben erst hier gewesen sein? Ich folgte so schnell und so leise wie möglich hinterdrein. Schon nach kurzer Zeit war ich gezwungen, anzuhalten, denn ich hörte Stimmen.

   »Uff, uff!« rief jemand. »Ihr kommt von dieser Seite und - - - «

   Er hielt inne, wahrscheinlich vor Erstaunen darüber, daß sie einen Weißen mitbrachten. Dieser Sprecher war der Häuptling To-kei-chun; das hörte ich.

   »Ja, wir kommen von links,« antwortete einer von den drei, »und bringen dieses Bleichgesicht.«

   »Uff! Das ist ja der Weiße, der so plötzlich und unbegreiflich von uns verschwand! Nehmt ihn vom Pferde, und bindet ihn! Wo habt ihr ihn ergriffen?«

   »Hinter Old Shatterhand.«

   »Hinter ihm? Wie soll ich das verstehen?«

   »Wir sahen Old Shatterhand kommen; die andern


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Weißen waren bei ihm; dieser aber war zurückgeblieben und allein. Da warteten wir, bis er kam, und nahmen ihn gefangen!«

   »Uff! Da meint ihr nun wohl, daß ich euch dafür loben werde?«

   »Wir glauben, recht gehandelt zu haben!«

   »Falsch habt ihr gehandelt, ganz falsch! Wo habt ihr euer Gehirn und eure Gedanken gehabt! Nun ist unser ganzer schöner Plan zu nichte! Wir werden Old Shatterhand nicht fangen!«

   »Wir glaubten, ihn schon als Gefangenen hier zu finden, denn er muß längst hier sein.«

   »Ihr habt gehandelt wie kleine Knaben, die noch nicht gelernt haben, nachzudenken! Er wird nun gar nicht kommen!«

   »Er wird kommen, denn er ritt an uns vorüber und in gerader Richtung nach hier. Er wird aus irgend einer Ursache angehalten haben und dann bald erscheinen. To-kei-chun mag befehlen, daß niemand sprechen darf, sonst hören uns die Bleichgesichter, wenn sie sich nähern.«

   »Uff! Ihr seht also selbst jetzt noch nicht ein, daß ihr alles verdorben habt!« rief der Häuptling, anstatt zu schweigen, zornig. »Was ging euch dieses Bleichgesicht an! Als ihr die Weißen von weitem erblicktet, mußtet ihr sofort hierher kommen, um es mir zu melden; das hatte ich euch befohlen. Sie mußten hier vorüber, und wir hätten sie alle ergriffen, denn sie ahnten nicht, daß wir uns hier befinden. Nun aber wissen sie es!«

   »Woher sollen sie es erfahren haben?« verteidigte sich der Gescholtene.

   »Durch euch! Sie haben gemerkt, daß dieser Weiße fehlte, und auf ihn gewartet. Als er nicht kam, kehrten sie um, denn sie mußten den Grund seines Ausbleibens


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wissen. Da kamen sie an die Stelle, wo ihr ihn ergriffen habt. Hat er sich gewehrt?«

   »Ja, doch nur mit den Händen; es hat ihm aber nichts gefruchtet.«

   »Durch diese Gegenwehr sind aber Spuren entstanden, welche seine Gefährten finden werden.«

   »Wir gaben uns Mühe, keine deutlichen Eindrücke zu machen!«

   »Pshaw! Und wenn niemand sie bemerkte, Old Shatterhand würde sie doch sehen! Nun sind sie gewarnt, und es wird uns wohl nicht möglich sein, sie zu fangen. Der böse Geist hat euch den schlechtesten Gedanken eingegeben, den es geben kann. Am liebsten möchte ich euch zur Strafe eure Medizinen nehmen! Was sollen wir nun thun?«

   Es war kurze Zeit nichts zu hören; wahrscheinlich dachte er nach. Ich befand mich jedenfalls ganz nahe bei dem Verstecke der Roten; es konnten nur einige Sträucher zwischen mir und ihnen stehen. Wäre ich nur eine einzige Minute gekommen, so hätte ich die drei noch unterwegs getroffen und Dschafar befreien können!

   Da hörte ich die Stimme des Häuptlings wieder:

   »Ihr sehr, daß niemand kommt. Old Shatterhand ist gewarnt. Wahrscheinlich wird er uns mit seinen Leuten entgehen, denn unter allen Füchsen, welche auf der Savanne umherstreichen, ist er der listigste. Dafür aber halten wir diesen Weißen hier um so fester; wenigstens er soll am Makik-Natun bei den Häuptlingsgräbern sterben! Jetzt müssen wir vor allen Dingen erfahren, wo die Bleichgesichter stecken.«

   »Soll ich gehen, sie zu suchen?« fragte einer. »To-kei-chun mag es mir erlauben.«

   »Nein; ich gehe selbst. Meine roten Brüder mögen


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sehr vorsichtig sein und sehr aufpassen, während ich fort bin! Old Shatterhand wird auch Späher senden, um uns aufzusuchen; ja, er wird das wohl selbst thun. Wenn wir vorsichtig sind, läuft er uns dabei in die Hände. Also ich gehe jetzt und - - - «

   Mehr hörte ich nicht, denn ich durfte keinen Augenblick länger bleiben; ich mußte schleunigst fort, obgleich ich gern noch näher gekrochen wäre, weil ich bis jetzt zwar gehört, aber nichts gesehen hatte.

   Ich kalkulierte in folgender Weise: Der Häuptling wollte nach uns spähen; es fragte sich, welche Richtung er dabei einschlagen würde. Er hatte angenommen, daß auch ich mich auf die Suche machen würde, und mußte sich dieselbe Frage nach der Richtung vorlegen. Es war ganz selbstverständlich, daß ich nicht auf das Geratewohl suchen, sondern der Spur folgen würde, welche die drei Comantschen mit Dschafar gemacht hatten. Das mußte er sich sagen, und wenn er mich erwischen oder überhaupt uns entdecken wollte, so mußte auch er sich nach dieser Fährte richten. Es stand also mit voller Sicherheit zu erwarten, daß er grad da, wo ich lag, erscheinen werde. Ich wollte ihn festnehmen; aber da, wo ich jetzt lag, konnt dies nicht geschehen; es war zu nahe bei den Roten, die auf seinen Ruf ihm schnell zu Hilfe gekommen wären. Darum kehrte ich jetzt schnell so weit zurück, daß sie, wenn ich mit ihm zusammentraf, seinen Ruf nicht so leicht hören konnten.

   Nun lag ich still und wartete. Es vergingen fünf Minuten, zehn Minuten - er kam nicht. Sollte er doch eine andere Richtung eingeschlagen haben? Das war kaum zu denken. So ein alter, erfahrener Krieger mußte doch genau so kalkulieren, wie ich berechnet hatte. Vielleicht stand er noch bei seinen Leuten, um ihnen über ihr


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Verhalten Befehle zu erteilen. Ich wartete also noch weitere fünf Minuten, und als er sich da noch immer nicht sehen ließ, wurde ich besorgt. Er hatte doch gesagt: »Ich gehe jetzt - - « und ich durfte nicht annehmen, daß er noch eine volle Viertelstunde stehen geblieben sei. Darum blieb ich nicht länger nutzlos auf der Lauer, sondern beeilte mich, zu meinen Gefährten zu kommen, die leider nicht mein volles Vertrauen besaßen. Wie leicht konnten sie sich, oder wenigstens einer von ihnen, zu irgend einer neuen Dummheit verleiten lassen!

   Ja, richtig! Wie gedacht, so geschehen! Als ich sie erreichte, sah ich, daß Jim fehlte.

   »Was ist denn das, Mr. Snuffle? Euer Bruder ist nicht da! Wo ist er hin?« fragte ich Tim.

   »Fort,« antwortete er in seiner einsilbigen Weise.

   »Das sehe ich! Aber wohin denn?«

   »Zu den Roten. Will sehen, wo sie stecken.«

   »Wer hat ihm das befohlen?«

   »Niemand.«

   »Ja, niemand! Was seid ihr doch für Menschen! Es giebt eine Dummheit nach der andern! Es durfte sich keiner entfernen; er hatte unbedingt hierzubleiben!«

   »Wird wiederkommen!«

   »Das wäre ein Glück, auf welches ich fast nicht hoffe. Ich war doch Mann genug, zu erfahren, was ich wissen wollte! Der Häuptling der Comantschen ist unterwegs, uns zu suchen. Wenn er auf Euern Bruder trifft, geschieht etwas, was dieser nicht verantworten kann.«

   »Er kann es verantworten!«

   »Was?«

   »Daß er den Kerl gefangen nimmt.«

   »Oder dieser ihn, was viel wahrscheinlicher ist. Wäre er hier geblieben, so brauchten wir nur ganz ruhig zu


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warten, bis der Häuptling kam; da nahmen wir ihn fest. Ich muß fort, muß Euerm Bruder nach. Vielleicht ist es noch möglich, die Sache - - - «

   Ich hielt inne, denn wir hörten in der Richtung nach den Indianern die Sträucher knacken, knicken und rauschen; laut schnaufend kam jemand näher, und dann erschien - - - eben Jim Snuffle. Er war sehr aufgeregt und blutete an der rechten Hand. Als er mich sah, rief er aus:

   »Da seid Ihr, Sir! Ah, wenn Ihr dabeigewesen wäret, so hätten wir ihn jetzt!«

   »Wen?«

   »Den Häuptling. Ihn zu bekommen, das wäre das höchste der Gefühle gewesen!«

   »Hört, das höchste der Gefühle wäre für mich jetzt, Euch einmal meine Hand hinter das Ohr legen zu können, aber wie! Ihr wißt wohl, was ich meine?«

   »Hm! Eine Ohrfeige doch nicht etwa?«

   »Habt's erraten, Sir!«

   »Wetter! Macht keinen solchen Spaß! Jim Snuffle ist nicht der Mann, der sich in dieser Weise etwas hinter die Ohren schreiben läßt!«

   »Hättet es aber sehr verdient!«

   »Oho! Womit?«

   »Damit, daß Ihr ohne meine Erlaubnis von hier fortgelaufen seid!«

   »Brauche keine Erlaubnis, Mr. Shatterhand; bin mein eigener Herr!«

   »Wenn Ihr das denkt, so habt doch auch die Güte, für Euch zu bleiben. Wir brauchen keinen Gefährten, der so oft und gern wie Ihr auf eigene Faust handelt und uns dadurch immer nur Verlegenheiten bereitet!«

   »Verlegenheiten? Wieso? Welche Verlegenheit habe


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ich Euch denn jetzt bereitet? Ihr seht gar nicht verlegen aus!«

   »Das fehlte auch noch, daß ich Euch gegenüber verlegen wäre! Wie kamt Ihr denn auf den Gedanken, von hier fortzugehen?«

   »Wollte sehen, wo die Roten stecken.«

   »Das war doch meine Sache!«

   »Sollte auch die meinige sein!«

   »So! Habt Ihr denn Euern Zweck erreicht?«

   »Und wie!«

   »Ihr habt also ihr Versteck ausgekundschaftet?«

   »Das nicht.«

   »Also unnütze Mühe!«

   »Das nicht. Habe vielmehr großes Glück gehabt.«

   »Welches?«

   »Bin mit dem Häuptling zusammengetroffen.«

   »Also doch! Fatal, höchst fatal!«

   »Nein, sondern vortrefflich, ganz vortrefflich! War nur das Fatale dabei, daß ich Euch nicht mithatte. Wäre unbedingt in unsere Hände gefallen; hätten ihn festgenommen, den roten Halunken!«

   »Wir hätten ihn viel leichter und sicherer bekommen, wenn Ihr hier geblieben wäret! Wo traft Ihr denn auf ihn?«

   »Dreihundert Schritte von hier, nicht weiter.«

   »Und wie?«

   »Ich kroch leise durch die Büsche hinzu; er kroch leise durch die Büsche herzu; wir hörten uns also nicht und bekamen uns also so plötzlich zu sehen, daß wir beinahe mit den Köpfen zusammengestoßen wären.«

   »Weiter! was thatet Ihr?«

   »Ich packte ihn.«

   »Und er?«


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»Packte mich auch.«

   »Warum rieft Ihr nicht?«

   »Fiel mir nicht ein! Werde doch nicht die Roten herbeischreien!«

   »Er rief aber wohl?«

   »Nein. Wollte wahrscheinlich die Weißen nicht herbeischreien. Wir rangen still, ganz still miteinander. Er wollte mich, und ich wollte ihn haben.«

   »Wie es aber scheint, hat keiner von euch den andern bekommen!«

   »Well, ist allerdings so. Aber besser ist es, ich habe ihn nicht, als daß er mich hätte. Der Kerl war glatt wie Schweinefett; schlüpfte mir immer wieder aus der Hand. Er hatte sein Messer; ich aber hatte keine Zeit gefunden, meine Klinge zu ziehen; mußte also sehr aufpassen, von ihm keinen Stich zu erhalten.«

   »Ihr blutet aber doch!«

   »Ist nicht gefährlich. Wollte ihm das Messer entreißen und bekam dabei die scharfe Klinge in die Hand anstatt das Heft. Ist nur ein kleiner Schnitt, der schnell heilen wird.«

   »Wie kamt ihr denn auseinander?«

   »Mit gegenseitiger Genehmigung. Er sah ein, daß er mirnichts anhaben konnte, und ich bemerkte ebenso, daß es besser sei, ihn laufen zu lassen; da rissen wir uns voneinander los; er sprang da ins Gebüsch hinein, und ich sprang dort ins Gebüsch hinein, und so waren wir einander los, ohne Farewell gesagt zu haben. Wie gesagt, wäret Ihr dabeigewesen, so hätten wir ihn wahrscheinlich gefangen genommen. Schade, jammerschade, daß dies nicht geschehen konnte!«

   »Es konnte gar wohl geschehen, wenn Ihr es unterlassen hättet, nach Eurem eigenen Kopf zu handeln!«


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»Muß doch nach ihm handeln, weil ich keinen andern habe. Meinst du nicht auch, alter Tim?«

   »No,« antwortete der Gefragte ganz wider das Erwarten Jims.

   »Nicht? Wieso?« fragte dieser.

   »Mr. Shatterhand ist unser Kopf. Konntest dableiben!«

   »Ah! Willst dich also auch gegen mich auflehnen?«

   »Yes,«

   »Sei lieber still, und sieh, wie ich blute! Nimm Leinwand aus der Satteltasche, und binde mir die Schramme zu! Das Geschehene ist nun nicht ungeschehen zu machen; warum also räsonnieren? Was meint Ihr wohl, Mr. Shatterhand? Werden die Roten bei der Absicht bleiben, uns zu überfallen?«

   »Ich glaube kaum.«

   »So drehen wir den Spieß um und überfallen sie!«

   »Wir paar Männer? Und sie sind siebzig!«

   »Was schadet das? Es ist ja sehr erwiesen, daß sie sich vor uns fürchten.«

   »Ob Furcht oder nicht, darum handelt es sich ja gar nicht.«

   »Um was sonst?«

   »Darum, daß ich kein Blut vergießen möchte.«

   »Wir können aber doch Mr. Dschafar nicht in ihrer Gewalt lassen!«

   »Fällt mir auch gar nicht ein! Aber das erfordert doch nicht, daß wir uns in einen Kampf einlassen. Ich bezweifle gar nicht, daß wir siegen würden; aber es würden dabei nicht nur viele Rote, sondern höchst wahrscheinlich auch einige von uns ihr Leben oder wenigstens ihr Blut lassen müssen. Und was eben so wichtig ist: ein Kampf könnte grad für den, den wir befreien wollen, verhängnisvoll werden.«


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»Wieso?«

   »Weil zu befürchten steht, daß die Roten ihn einfach niederstoßen würden, sobald einige von ihnen gefallen wären.«

   »Also lieber wieder List? Eure Lieblingsart und -Weise!«

   »Das ist noch nicht bestimmt. Ich befürchte, daß die List nachgerade ihre Wirkung verliert, denn ich habe sie zu oft anwenden müssen. Kaum hat man einen befreit, so ist der andere so dumm, ihnen in die Hände zu laufen. Wenn das so fortgeht, so hört bis zum jüngsten Tag die Befreiung der Gefangenen nicht auf!«

   »Well. Aber was mich betrifft, so werdet Ihr nicht wieder in die Lage kommen, mich zu befreien; mich bekommen sie nicht wieder.«

   »Pshaw! Eben jetzt fehlte nicht viel, so nahm Euch der Häuptling fest!«

   »Das wollte ich mir verbitten! Bei so einem Ringen Mann gegen Mann weiß ich, was ich leiste. Er ist nicht stärker und gewandter als ich.«

   »Aber wenn er nicht allein war, sondern nur einen einzigen Roten bei sich hatte, war es um Euch geschehen. Es ist noch gut abgelaufen; ich aber habe neue Sorge und neue Arbeit davon.«

   »Ihr?«

   »Ja doch! Neue Sorge, denn ich hätte den Häuptling hier ergriffen und ihn gegen Mr. Dschafar umgewechselt; nun aber zermartre ich mir das Hirn, auf welche Weise ich den letzteren befreien kann. Und neue Arbeit, das brauch' ich Euch doch wohl nicht erst zu erklären. Ich muß nun wieder nach dem Verstecke der Roten schleichen, um zu erfahren, wie es dort steht. Je nach dem, wie ich es dort finde, haben wir zu handeln.


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Ich gehe also jetzt abermals fort, gebe euch aber mein Wort darauf. Wenn ich zurückkehre und es fehlt wieder einer von euch, so reite ich meine Wege und lasse euch machen, was ihr wollt. Richtet euch hiernach!«

   Ich hatte also das Versteck der Comantschen abermals aufzusuchen, doch durfte ich das nicht auf demselben Wege, wie vorhin, thun, denn To-kei-chun konnte auf den Gedanken kommen, mir diesen Weg zu verlegen. Da ich jetzt ganz genau wußte, wo die Indsmen steckten, so konnte ich mich von jeder mir beliebigen Seite an sie schleichen. Ich zog es vor, von hinten, also von der entgegengesetzten Seite, an sie zu kommen, ein Umweg, welcher zwar Zeit kostete, aber größere Sicherheit für mich bot.

   Es dauerte wohl fast eine halbe Stunde, ehe ich der betreffenden Stelle so nahe kam, daß ich die Indianer, falls sie miteinander sprachen, hören mußte; es herrschte aber die tiefste Stille ringsum. Das war ein Grund, doppelt vorsichtig zu sein. Ich bewegte mich nicht Schritt um Schritt, sondern Zoll um Zoll weiter, bis ich, den Kopf langsam aus den Zweigen vorschiebend, den Platz vor mir liegen sah. Er war - - - leer.

   War das etwa eine Finte? Ich schlug einen Kreis um die Stelle und sah da, daß sie allerdings fortgeritten waren. Ich mußte ihnen wenigstens so weit folgen, bis ich überzeugt sein konnte, daß sie die Hazelstraits wirklich und ganz verlassen hatten. Es konnte sich ja auch um eine Kriegslist handeln, nämlich daß sie uns nur glauben machen wollten, sie seien fort, und uns wieder einen Hinterhalt legten. Ich nahm allerdings als sicher an, daß sie sofort den Rückweg nach dem Makik-Natun angetreten hatten; aber es war für alle Fälle besser, mir vollständige Gewißheit zu holen.


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Eben war ich, ihrer neuen Fährte folgend, hinaus an das Wasser gekommen, als ich den zweimaligen Ruf Jims »Mr. Shatterhand, Mr. Shatterhand!« hörte. Da er so laut rief, mußte er überzeugt sein, von den Indianern nicht gehört zu werden; darum antwortete ich ebenso laut:

   »Was giebt es? Warum ruft Ihr mich?«

   »Ihr sucht vergeblich. Kommt schnell her, wenn Ihr etwas sehen wollt!«

   Ich folgte dieser Aufforderung, indem ich am Wasser hinuntereilte. Als Jim mich kommen sah, deutete er hinaus nach der offenen Ebene und sagte:

   »Sir, da draußen jagen sie. Sie haben die Flucht ergriffen. Ist das nicht jämmerlich feig von ihnen?«

   [»]Ja, da draußen ritten sie so schnell, wie ihre Pferde sie tragen konnten, in genau nördlicher Richtung davon.

   »Feig ist es allerdings,« antwortete ich; »doch bezieht sich ihre Angst nur auf mein Repetiergewehr. Besäße ich dieses nicht, so würden sie sich ganz gewiß über uns hergemacht haben.«

   »Pshaw! Sie fürchten sich nicht bloß vor Eurem Stutzen, sondern vor uns überhaupt. Mit den beiden Snuffles bindet nicht gern ein Roter an, wenn er nicht grad dazu gezwungen ist. Ob sie wohl Mr. Dschafar mithaben?«

   »Natürlich!«

   »Das ist nicht so ganz natürlich, wie Ihr zu denken scheint. Sie können ihn auch umgebracht haben, um ihn nicht mit sich herumschleppen zu müssen.«

   »Sie haben ihn mit; ich weiß es gewiß.«

   »Well. Wenn Ihr es behauptet, wird es wohl so sein. Was aber thun wir? Wir müssen ihn doch retten?«


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»Allerdings.«

   »Also wollen wir ihnen nach?«

   »Ja.«

   »Wann? Gleich?«

   »Sogleich, nachdem unsere Pferde getrunken haben werden. Es wird wahrscheinlich bis morgen abend für sie kein Wasser geben.«

   »Das glaube ich nicht. Die Roten reiten grad nach Norden, und wenn ich mich nicht irre, stoßen sie dort auf den Cimaronefluß, an den wir ja auch kommen werden, wenn wir ihnen folgen. Dort giebt es Wasser.«

   »Wie Ihr das nur so wißt!« lächelte ich.

   »Dazu gehört keine sehr große Klugheit, Sir. Die Pfiffigkeit wird erst morgen früh von uns verlangt.«

   »Warum?«

   »Weil die Roten es sich wieder einmal ausgerechnet haben, daß wir morgen ihre Spur nicht mehr sehen können. Sie werden es so machen, wie wir es gestern gemacht haben: sie reiten von jetzt an die Nacht hindurch, während wir beim Anbruche der Dunkelheit zu halten gezwungen sind. Dadurch bekommen sie Vorsprung, und wenn es morgen früh Tag wird, ist ihre Fährte für uns verschwunden. Mir ist um Mr. Dschafar bange.«

   »Mir nicht.«

   »So? Wie können wir ihn befreien, wenn wir nicht wissen, wohin sie mit ihm sind?«

   »Ich weiß, wohin sie wollen.«

   »Ah, wirklich? Wohin denn?«

   »Nach dem Makik-Natun zurück.«

   »Unmöglich.«

   »Warum unmöglich?«

   »Weil sie nordwärts reiten, während der >gelbe Berg< von hier aus genau im Osten liegt.«


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»Das ist doch grad ein Grund, mir recht zu geben!«

   »So? Erklärt mir das, Mr. Shatterhand! Wer nach rechts will, dem kann es doch nicht einfallen, nach links zu laufen!«

   »Unter Umständen, ja. Meint Ihr nicht, daß die Comantschen annehmen, daß wir ihnen folgen werden?«

   »Das thun sie sicher.«

   »Werden sie da so dumm sein, zu zeigen, wohin sie wollen?«

   »Ah, richtig! Sie haben die Absicht, uns irre zu führen.«

   »Gewiß. Ihr habt ganz richtig gesagt, daß ihre Fährte morgen nicht mehr zu finden sein wird; wenn wir uns täuschen ließen, würden wir dann immer weiter nordwärts reiten und Mr. Dschafar wäre verloren und würde bei den Häuptlingsgräbern totgemartert.«

   »Beabsichtigen sie das also doch mit ihm?«

   »Ja.«

   »Ihr vermutet es?«

   »Nein, ich weiß es. Als Ihr den außerordentlich klugen Gedanken ausführtet, nach den Indsmen zu suchen, lag ich ganz in ihrer Nähe und belauschte sie. Da sagte der Häuptling, daß, wenn wir nicht auch ergriffen würden, doch wenigstens Mr. Dschafar nach dem >gelben Berge< geschafft und dort totgemartert werden solle.«

   »Wetter! Da müssen wir hin, sofort hin, um womöglich noch eher dort zu sein als sie. Denkt Ihr nicht, daß dies besser ist, als wenn wir nach ihnen dort ankommen?«

   »Natürlich ist es besser.«

   »Und dann holen wir Mr. Dschafar heraus! Wenigstens was an mir und meinem Bruder liegt, den Gefangenen zu befreien, das wird unbedingt geschehen. Meinst du nicht auch, alter Tim?«


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»Yes,« antwortete Tim in seiner bekannten kurzen Weise.

   »Was an Euch liegt?« fragte ich. »Ich wünsche sehr, daß an Euch gar nichts liegen möge, denn sonst muß ich gewärtig sein, daß wir alle noch in die Hände der Comantschen geraten, anstatt daß wir Mr. Dschafar befreien.«

   »Macht es doch nicht schlimmer, als es ist, Sir!« entgegnete Jim. »Es läuft in der Welt nicht alles so glatt ab, wie es gehobelt ist. Wenn einem einmal etwas nicht so recht gelingt, so wird immer davon gesprochen; aber von dem, was gut gelungen ist, wird nichts erwähnt. Es wird bei Euch auch nicht alles so gelaufen sein, wie Ihr wünschtet, daß es laufen möge.«

   So war er. Er sah seinen Fehler wohl ein, gab aber nicht gern zu, ihn gemacht zu haben. Wir tränkten unsere Pferde tüchtig und traten dann den Rückweg an. Dies ergab eine Zeitversäumnis, über welche ich mich im stillen ärgerte. Wenn man sich nur nach mir gerichtet hätte, wir wären schon längst mit den Comantschen zu Ende gewesen. Was konnten aber nun die nachträglichen Vorwürfe helfen? Ich nahm mir im stillen vor, an dem »gelben Berge« meine Anordnungen so zu treffen, daß mir niemand wieder einen solchen Strich durch die Rechnung machen konnte. Freilich mußte ich dann auf jede Beihilfe von seiten meiner Gefährten von vornherein verzichten.

   Wir kamen, als es dunkel geworden war, wieder bei dem Wasser an, an welchem wir gestern übernachtet hatten, und machten da eine kurze Rast, um die Pferde verschnaufen zu lassen. Dann ging es wieder weiter, die ganze Nacht hindurch, bis es Tag wurde und wir wieder eine Stunde ruhten. Wir waren diesmal ge-


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zwungen [gezwungen], von unsern Pferden viel zu verlangen. Auf meinen Schwarzschimmel schien die Anstrengung gar keinen Eindruck zu machen; die andern aber ermüdeten mehr und mehr, und als wir nach einem wirklichen Parforceritte am Spätnachmittage den Makik-Natun wieder vor uns sahen, war es mit ihren Kräften ganz zu Ende.

   »Da sind wir wieder,« seufzte Perkins, indem er auf den Berg deutete. »Ich bin so müde wie ein gehetzter Hund. Mit nur drei kurzen Unterbrechungen zwei Tage lang und auch während der Nacht im Sattel zu hängen, das ist selbst für einen Westmann eine Leistung. Reiten wir direkt nach den Gräbern hinüber, Sir?«

   »Ja,« antwortete ich.

   »Das dürfte wohl ein Fehler sein!«

   »Sprecht doch nicht von Fehlern, Mr. Perkins! Seht, da links liegt die Stelle, an welcher Ihr mit dem Häuptlinge lagt. Da ließet Ihr Euch übertölpeln. Das war ein Fehler. Wenn ich aber jetzt sogleich den Gräberplatz aufsuche, so weiß ich, was ich thue. Unsere Pferde müssen unbedingt Wasser haben, und dort ist der einzige Platz, an welchem es hier welches giebt. Wir müssen also auf alle Fälle hin.«

   »Ich gebe Euch ja vollständig recht, Mr. Shatterhand; aber wir können uns dadurch sehr leicht verraten.«

   »Nein.«

   »Doch! Wir werden dort Spuren machen, die von den Roten bemerkt werden, wenn sie dann kommen.«

   »Dann? Was versteht Ihr unter diesem dann?«

   »Die Zeit ihrer Ankunft natürlich.«

   »Wann wird das sein?«

   »Jeder Augenblick kann's sein. So gut wie wir da sind, können die Roten auch bald kommen.«


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»Nein. Erstens haben sie keine Veranlassung, einen solchen Hetz- und Dauerritt zu machen wie wir, denn sie sind gewiß der Ansicht, daß sie uns irregeführt haben und wir nach Norden geritten sind. Und zweitens müßt Ihr bedenken, daß sie, eben um uns irre zu leiten, einen weiten Umweg nach dieser Richtung gemacht haben. Sie könnten, selbst wenn sie so schnell wie wir geritten wären, noch nicht hier sein.«

   »So nehmt Ihr wohl an, daß sie erst morgen kommen?«

   »Entweder heut in der Nacht oder gar erst morgen. Wenn sie heut noch Lager machen, können sie natürlich erst morgen kommen; aber da sie kein Wasser für sich und ihre Pferde finden, ist anzunehmen, daß sie nicht erst noch lagern, sondern gleich hierher reiten. Darum möchte ich lieber annehmen, daß wir sie noch während der Nacht zu erwarten haben.«

   »Wenn sie überhaupt kommen!« bemerkte Jim Snuffle.

   »Sie kommen ganz gewiß!«

   »Wollen es also hoffen, Sir! Es wäre eine sehr verteufelte Angelegenheit, wenn wir uns da verrechnet hätten und sie gar nicht die Absicht gehabt hätten, hierher zurückzukehren. Da wäre Mr. Dschafar unbedingt verloren. Habt Ihr denn auch recht verstanden, als Ihr glaubtet, gehört zu haben, daß sie hierher wollten?«

   »Ja. Und selbst dann, wenn ich das nicht gehört und der Häuptling nicht davon gesprochen hätte, würde ich nach dem >gelben Berge< zurückgekehrt sein. Es ist ja ganz und gar selbstverständlich, daß sie ihren Gefangenen hierher schaffen werden!«

   »Hm! Selbstverständlich?«

   »Ja.«


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»Zu vermuten wäre es vielleicht; aber selbstverständlich, das ist ein anderes Ding! Wenn es sich, wie hier, um ein Menschenleben handelt, darf man sich ja nicht auf bloße Vermutungen verlassen.«

   »Danke für die gute Lehre, die Ihr mir da erteilt, Mr. Snuffle! Auf diesen weisen Gedanken wäre ich von selbst wohl kaum gekommen!«

   »Wollt Ihr Euch etwa über mich lustig machen, Mr. Shatterhand?«

   »Fast möchte ich es. Nach allem, was bisher geschehen ist, habe ich Euch wohl keine Veranlassung gegeben, mir Rat und Unterricht zu erteilen. Ich weiß wenigstens ebenso genau wie Ihr, daß es sich um ein Menschenleben handelt, und grad weil ich das weiß, bin ich hierher geritten, um den Roten zuvorzukommen. Es unterliegt für mich nicht dem geringsten Zweifel, daß sie sich nach dem Makik-Natun gewendet haben. Ich kann es Euch sogar beweisen, wenn Ihr es verlangt.«

   »Beweisen? Das wäre viel, sehr viel, selbst von Euch!«

   »Pshaw! Es ist sehr leicht. Die Comantschen wollten hierher, um ihre toten Häuptlinge zu verehren und den Tanz des Krieges zu tanzen, wobei die heilige Medizin nach dem Ausgange des jetzigen Krieges gefragt werden sollte. Wenn Ihr die Sitten und Gebräuche der Roten kennt, so werdet Ihr wissen, daß sie ein solches Vorhaben, wenn sie es einmal gefaßt haben, unbedingt auch ausführen.«

   »Weiß es gar wohl.«

   »Sie wollen mehrere Ansiedelungen von Weißen überfallen und werden das ganz gewiß nicht eher thun, als bis sie diese Ceremonien vorgenommen haben. Oder ist das vielleicht schon geschehen?«

   »Nein.«


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»So wird es noch geschehen; ja, es muß geschehen; sie kommen auf alle Fälle hierher. Sie wollten alle ihre Gefangenen hier opfern; da Ihr ihnen aber entkommen seid, werden sie wenigstens diesen einen, den sie wieder erwischt haben, hierher schleppen, um ihn am Marterpfahle sterben zu lassen.«

   »Well! Jetzt habt Ihr mich überzeugt, Sir. Auf welche Weise meint Ihr wohl, daß wir ihn losbekommen werden?«

   »Das kann ich jetzt noch nicht wissen.«

   »Jedenfalls nur durch einen plötzlichen Ueberfall?«

   »Den möchte ich, wenn es halbwegs möglich ist, doch lieber vermeiden. Es soll womöglich kein Blut vergossen werden.«

   »Also List und wieder List? Ihr sagtet doch gestern selbst, daß da wohl kaum wieder auf einen Erfolg zu rechnen sei! Die Roten werden sich wahrscheinlich hüten, sich noch einmal übers Ohr hauen zu lassen.«

   »Ja, List allein wird's freilich nicht thun; es wird auch ein gut Teil Wagemut dazu gehören; aber jetzt schon zu sagen, was geschehen wird, das ist unmöglich. Wir müssen warten, bis sie da sind; dann erst können wir sehen, wie der Kahn gesteuert werden muß.«

   »Da scheint es aber doch, als wenn Ihr gar nicht die Absicht hättet, hier bei den Gräbern zu lagern und sie zu empfangen?«

   »Kann mir gar nicht einfallen! Wir tränken unsere Pferde und machen uns dann, wenn das geschehen ist, wieder fort.«

   »Wohin?«

   »Werde es mir überlegen. Jedenfalls nach einem Orte, von welchem aus wir ihr Kommen bemerken können, ohne daß sie uns entdecken.«


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Wir waren jetzt bei den vier Häuptlingsgräbern angelangt und stiegen von den Pferden. Während diese tranken und die Reiter hin und her gingen, um ihre von dem langen Ritte steif gewordenen Glieder in Bewegung zu bringen, unterwarf ich die Oertlichkeit einer genauen Prüfung mit den Augen.

   Ich hatte nämlich die Absicht, mich in das Lager der Roten zu schleichen und Dschafar herauszuholen. Ob da List und Gewandtheit allein ausreichend waren, das konnte ich nicht wissen; ich war aber fest entschlossen, nötigenfalls auch Gewalt zu brauchen und mich meiner Waffen zu bedienen. Die Mithilfe meiner Gefährten war gleich von vorn herein vollständig ausgeschlossen; ich wollte mir das Spiel nicht abermals verderben lassen.

   Daß es mir gelingen werde, mich an- und zu dem Gefangenen zu schleichen, bezweifelte ich nicht; die Roten vermuteten uns gar nicht hier in der Nähe, und wenn sie ja Wachen aufstellten, so war die Aufmerksamkeit derselben sehr wahrscheinlich nur nach außen, das heißt hinaus auf die Savanne gerichtet, weil sie annehmen mußten, daß eine etwaige Störung nur von dorther kommen könne. Denn auf der andern Seite war, wie bereits früher erwähnt, der Platz von einem Halbkreise steil aufragender Felsen eingefaßt, welche wenigstens für die Nachtzeit unzugänglich zu sein schienen. Ich zog dabei mit in Betracht, daß die Indianer als Prairievolk keine guten Kletterer sind und also diese Felswände für unpassierbar halten konnten, während ich vielleicht eine Stelle fand, an welcher es möglich war, von oben herunterzukommen. Diesen Weg mußte ich einschlagen; von der Savanne her durfte ich mich nicht nähern.

   Bald fand ich auch, was ich suchte. Grad da, wo bei meinem letzten Hiersein im Hintergrunde die Gefan-


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genen [Gefangenen] gelegen hatten, war der Fels höchstens zwanzig Fuß hoch und trat dann soweit zurück, daß eine breite Stufe, oder nenne ich es Altan, gebildet wurde, auf welcher einige ziemlich starke Bäume standen. Ueber diesem Altane bestand an dieser Stelle die Bergwand nicht aus Felsen, sondern aus fruchtbarer Erde, welche Bäume und Sträucher trug. Sie ging zwar auch ziemlich steil in die Höhe, doch sah ich, daß es selbst in der Nacht keine allzu schwierige Aufgabe war, da hinauf- oder herunterzuklettern. Der Holzwuchs bot für die Hände Anhalt mehr als genug. Befand man sich einmal auf dem Altane, so konnte man dort an einen der Bäume einen Lasso befestigen und sich an demselben vollends herunterlassen.

   Als die Pferde getränkt waren, stiegen wir wieder auf und ritten fort, am Fuße der Höhen hin, bis wir eine Stelle fanden, welche sich ganz ausgezeichnet zu einem Versteck eignete.

   »Ich lasse Euch hier, Mesch'schurs,« sagte ich, »und vertraue Euch mein Pferd und meine Waffen an. Geht ja nicht fort von diesem Orte! Ich erwarte ganz bestimmt, daß Ihr wenigstens diesesmal das, was ich sage, achtet! Wenn Ihr das nicht thut, so ist's um Mr. Dschafar gewiß geschehen.«

   »Ihr wollt fort?« fragte Jim besorgt.

   »Ja.«

   »Wohin?«

   »Ich will mir eine Stelle suchen, wo ich die Roten, wenn sie kommen, beobachten kann.«

   Ich verschwieg ihm mein Vorhaben, weil ich sonst gewärtig sein mußte, wieder einen dummen Streich gespielt zu bekommen. Er bemerkte auch sofort:

   »Da können wir doch auch mitgehen!«

   »So! Kaum habe ich meine Warnung ausgesprochen,


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so wollt Ihr mir schon wieder quer über den Weg! Wird es Euch denn gar so sehr schwer, einmal zu thun, um was ich Euch bitte?«

   Da holte Tim Snuffle tief Atem, als ob er eine große und lange Redeanstrengung beabsichtige, und sagte:

   »Habt keine Angst, Sir! Jim wird diesmal dableiben müssen!«

   »Wollt Ihr mir das versprechen?«

   »Yes.«

   »Und ihn zurückhalten, wenn er fort will?«

   »Yes.«

   »Auch kein anderer darf fort!«

   »Well! Wer ausreißen will, bekommt mein Messer zwischen die Rippen. Ich heiße Tim Snuffle und halte Wort!«

   Er holte nach dieser großen Leistung wieder sehr tief Atem und schlug, um seiner Drohung Nachdruck zu geben, mit der Hand an die Stelle, wo sein Messer im Gürtel steckte.

   »Habt Dank, alter Tim! Das war einmal vernünftig gesprochen. Ich hoffe, daß dieser Euer guter Vorsatz bis zu meiner Rückkehr nicht ins Wanken kommt!«

   »Wann wird das sein?«

   »Vielleicht schon in der Nacht, spätestens aber kurz nach Tagesanbruch.«

   »Ist verteufelt lange!«

   »Kann nicht dafür. Also Ihr verlaßt diese Stelle nicht, es mag geschehen, was da will! Ich bitte Euch, Euer Gewissen nicht durch eine Nachlässigkeit zu beschweren, welche die schlimmsten Folgen haben kann. Es handelt sich nicht nur um Mr. Dschafar, sondern jedenfalls auch um mein Leben!«

   Da versprachen auch die andern, mir zu gehorchen,


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und ich ging in der Ueberzeugung fort, daß heut von ihrer Seite keine Störung zu erwarten sei. Den Lasso nahm ich natürlich mit und steckte auch mehrere feste Riemen ein.

   Es war für mein Vorhaben gar nicht zu früh, denn die Sonne verschwand soeben und ich hatte mich zu sputen, wenn ich noch vor dem Einbruch der völligen Dunkelheit auf den Felsenaltan kommen wollte.

   Ich wendete mich wieder den Häuptlingsgräbern zu, ging aber nicht ganz bis zu ihnen, sondern nur bis in ihre Nähe, wo das Terrain mir erlaubte, emporzusteigen. Auf halber Höhe angekommen, nahm ich die Richtung nach dem über den Gräbern liegenden Hange und kletterte an demselben wieder nieder. Von unten aus hatte das viel schwieriger ausgesehen, als es in Wirklichkeit war. Wenn ich mich in acht nahm, konnte ich den Rückweg auch in der Nacht vornehmen, ohne einen Unfall zu befürchten. Als ich den Felsenaltan erreichte, gab es grad noch so viel Helligkeit, daß ich den unter mir liegenden Thalboden noch erkennen konnte. Ich untersuchte die Bäume. Sie waren für mein Vorhaben fest genug eingewurzelt, und ich band das eine Ende meines Lasso an den stärksten von ihnen. Dann legte ich mich nieder.

   Trotz der Ueberzeugung, welche ich hegte, lag es doch im Bereiche der Möglichkeit, daß meine Berechnung sich als falsch erwies. Was konnte nicht alles geschehen sein, was die Comantschen hinderte, hierher zu kommen, oder mir es unmöglich machte, mein Vorhaben auszuführen! Aber ich befand mich in jenem Gefühle der Sicherheit, welches mich noch niemals getäuscht hatte.

   Stunde um Stunde verging, und mit ihnen wurden die Sterne heller. Nach dem Stande derselben war es ziemlich Mitternacht, als endlich von weitem her ein


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Geräusch an mein Ohr schlug. Ich lauschte. Waren sie es? Das Geräusch kam näher; es war Hufschlag, Hufschlag vieler Pferde im weichen Savannenboden. Ja, sie waren es!

   Bald hörte ich auch schon ihre Stimmen, und dann waren sie da, stiegen von den Pferden und brannten mehrere Feuer an. Bei dem Scheine derselben konnte ich meine Beobachtungen machen.

   Diese Leute fühlten sich so sicher, daß es ihnen gar nicht einfiel, die Oertlichkeit erst abzusuchen. Die Pferde wurden erst getränkt und dann ein Stück fortgetrieben, wo sie sich zerstreuen und weiden und zugleich als Wachen dienen konnten, um die Annäherung eines fremden Wesens durch Unruhe und Schnauben zu verraten. Dann gruppierten sich die Indsmen um die Feuer, von denen bald ein kräftiger Bratengeruch zu mir heraufstieg. Sie waren also unterwegs auf Wild getroffen.

   Den Gefangenen sah ich auch; er war gefesselt und befand sich zu meinem Leidwesen nicht in meiner Nähe, sondern war nach dem Feuer geschafft worden, welches am entferntesten von mir brannte. Desto näher war mir der Häuptling, denn er hockte an dem Feuer, welches als das erste seitwärts unter mir brannte.

   Die Indsmen waren ermüdet, denn ihr Ritt war weiter als der unserige und fast ebenso anstrengend gewesen. Sie verhielten sich darum still, und es war anzunehmen, daß sie sich nach dem Essen sogleich schlafen legen würden. Dies geschah auch wirklich. Der Häuptling gab seine Befehle, verteilte die Wachen und zog sich von dem Feuer nach dem Fuße des Felsens zurück, wo er sich ganz abgesondert von seinen Leuten niederlegte und in seine Decke hüllte.

   Meine Aufmerksamkeit war natürlich am gespann-


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testen auf den Gefangenen gerichtet, und da mußte ich leider einsehen, daß mein Vorhaben sehr schwierig auszuführen war. Alle Feuer verlöschten; das seinige aber wurde weiter unterhalten, und es saßen zwei Wächter bei ihm, welche sich nicht niederlegten. Die Wachen hatten sich entfernt; es waren ihrer drei; sie sollten jedenfalls zugleich die Pferde beaufsichtigen und postierten sich wohl so, daß sie den Lagerplatz nach der Savanne hin absperrten.

   Ich hatte Dschafar heimlich herausholen wollen. Unter mir war es dunkel; es war also möglich, an dem Lasso unbemerkt hinabzukommen, aber dann! Die beiden Wächter mußten mich unbedingt kommen sehen, wenn ich mich dem Feuer näherte. Und wenn mich da ein rascher Sprung zu ihnen brachte und ich sie niederschlagen konnte, Zeit zum Schreien fanden sie doch. Blieb mir aber so viel Zeit, Dschafars Fesseln zu lösen? Und wie wollte ich mit ihm fort? Hinaus auf die Savanne? Da standen ja die Posten! Oder am Lasso hinauf? Selbst wenn Dschafar gut klettern konnte, was ich aber bezweifelte, kamen die Roten gewiß alle über uns, ehe es nur dem ersten von uns beiden möglich war, die Felsenplatte zu erreichen. Ich war also gezwungen, meinen Plan aufzugeben, wenn ich nicht mich und ihn der größten Gefahr aussetzen wollte.

   Aber was sonst thun? Dschafar mußte befreit werden! Sehr einfach! Da seitwärts unter mir lag ja der Häuptling. Ich wagte zwar auch mein Leben, wenn ich versuchte, mich seiner zu bemächtigen, aber er war doch leichter zu bekommen, als der Perser, und wenn mir der Streich gelang, so war der Gefangene so gut wie gerettet, beide konnten gegen einander ausgelöst werden. Lächerlich! Wieder Auslösung! Ich hatte nur immer die Fehler anderer gut zu machen.


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Ich zauderte nicht lange. Nachdem ich mich noch einmal überzeugt hatte, daß es hier unter mir dunkel genug war und niemand seine Aufmerksamkeit nach dieser Stelle richtete, ließ ich das freie Ende meines Lasso, welcher mehr als lang genug war, hinab und turnte mich an demselben hinunter. Unten angekommen, lauschte ich eine Weile; es regte sich nichts; der Häuptling lag nur wenige Schritte von mir entfernt. Er mußte schlafen, denn wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, so hätte er das von mir verursachte Geräusch hören müssen. Ich hatte es nicht vermeiden können, im Hinabklettern an den Felsen zu streifen, zwar nicht sehr laut, aber doch so, daß es für ein wachsames Ohr in dieser geringen Entfernung vernehmlich war.

   Nun legte ich mich auf die Erde nieder und kroch zu ihm hin. Er lag mit dem Kopfe an dem Felsen. Als ich mein Ohr nahe an sein Gesicht gebracht hatte, hörte ich seine leisen, regelmäßigen Atemzüge. Jetzt richtete ich mich halb auf, legte ihm die linke Hand fest um den Hals und gab ihm zu gleicher Zeit zwei Faustschläge gegen die rechte Seite seines Kopfes. Es ging ein krampfhaftes Zucken durch seinen Körper; dann lag er still. Auch als ich meine Hand von seinem Halse nahm, regte er sich nicht.

   Die erste Hälfte meines beabsichtigten Streiches war gelungen; nun galt es, ihn unbemerkt nach oben zu schaffen. Ich richtete mich also ganz auf, hob ihn empor und trug ihn nach der Stelle, an welcher der Lasso hing. Dort legte ich ihn wieder nieder und sah nach dem Wachtfeuer hin. Man hatte dort jedenfalls nichts bemerkt, aber ich sah, daß grad in diesem Augenblicke ein Roter vom Feuer aufstand und sich langsamen Schrittes so ziemlich in der Richtung, in welcher ich mich befand, von


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demselben entfernte. Das war gewiß nur Zufall, konnte mir aber verderblich werden.

   Ich hatte den Häuptling vor allen Dingen fesseln und knebeln wollen; dazu gab es aber jetzt keine Zeit, denn ehe ich damit fertig wurde, konnte der Wächter bei mir sein. Zwar wäre es mir wohl möglich gewesen, ihn unschädlich zu machen, aber ob dies ohne alles Geräusch geschehen würde, das war zweifelhaft; ich mußte also schnell fort.

   Darum zog ich dem Häuptling das Lassoende unter den Armen hindurch, machte einen Knoten und kletterte dann an dem festen, fünffach geflochtenen Riemen in die Höhe. Oben angekommen, sah ich mich zunächst nach dem Wächter um. Er befand sich schon in der Nähe. Wenn er so wie jetzt weiterging, kam er nicht ganz nahe an den Felsen heran, sondern in einer Entfernung von vielleicht fünfzehn Schritten an demselben vorbei. Ich dachte zunächst, ihn vorüber zu lassen, gab aber diesen Gedanken schnell wieder auf, denn sein scharfes Auge konnte den Häuptling doch vielleicht bemerken. In diesem Falle mußte er sich sagen, daß To-kei-chun sich jetzt an einer andern Stelle befand, was doch einen Grund haben mußte; es war also anzunehmen, daß er herbeikommen werde. Darum beeilte ich mich, den betäubten Häuptling zu mir heraufzuziehen.

   Er war nicht leicht, und leider bestand die Felskante, über welche der Lasso streifte, nicht aus hartem Gestein; sie war verwittert; es löste sich ein Stück ab und fiel hinunter. Das gab ein Geräusch, welches der Rote hörte. Er kam sofort mit raschen Schritten näher. Der Häuptling hing vielleicht noch zwei Ellen unter mir; ich beeilte mich, ihn vollends heraufzubringen, was nicht ohne Geräusch geschehen konnte. Der Rote hörte es und sprang


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schnell bis zum Felsen hervor. An demselben emporblickend, mußte er trotz der Dunkelheit den am Lasso über ihn hängenden Körper sehen.

   »Uff!« stieß er überrascht hervor und eilte nach der Stelle hin, wo der Häuptling gelegen hatte. Als er sah, daß dieser fort war, kam er wieder herbei.

   »Was thut To-kei-chun da oben?« fragte er, grad als ich den Genannten über die Kante auf den Felsen zog. »Kann der Häuptling der Comantschen fliegen?«

   Es erfolgte natürlich keine Antwort. Das mußte sein Mißtrauen erregen, denn wenn der Mensch, welcher soeben da oben in der Höhe verschwand, wirklich der Häuptling gewesen wäre, so hätte er auf die Frage doch gewiß ein Wort gesagt. Der Indianer wußte augenscheinlich zuerst gar nicht, wie er sich verhalten solle; es war unmöglich, den senkrechten Felsen zu erklettern, und doch hatte er gesehen, daß jemand hinaufgekommen war. Dies mußte der Häuptling sein, der aber nicht geantwortet hatte. Wie war dies zu erklären? Was war da zu thun? Lärm machen? Der Häuptling hatte keinen Laut von sich gegeben und wünschte also wahrscheinlich, daß seine unerklärliche Besteigung des Felsens geheim bleiben solle. Der Wächter wußte also nicht, ob er zu schweigen oder das Lager zu alarmieren habe.

   Während er sich in diesem Zweifel befand, band ich To-kei-chun vom Lasso los und schnürte ihm die Füße zusammen und die beiden Arme an den Leib. Dabei kam er leider zu sich. Beim Stillliegen wäre er wahrscheinlich länger bewußtlos geblieben, aber indem ich ihn emporzog, war er mit dem Gestein in eine Berührung gekommen, welche die Betäubung, in der er sich befand, abkürzte. Noch hatte ich seine Arme nicht ganz festgebunden, da bewegte er sich. Daß ihm seine Gliedmaßen nicht ge-


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horchten [gehorchten], brachte ihn noch schneller zur Besinnung, und er öffnete die Augen. Ich war über ihn gebeugt und hatte mein Gesicht so nahe an dem seinigen, daß er mich trotz der Dunkelheit grad in dem Augenblicke erkannte, als der unten stehende Wächter, noch immer mit sich im unklaren, abermals, doch mit unterdrückter Stimme, herauffragte:

   »Warum antwortet To-kei-chun nicht? Wie ist er da hinaufgekommen, und was will er oben? Soll vielleicht niemand wissen, daß er sich entfernt?«

   Da schrie der Häuptling mit weithin schallender Stimme:

   »Old Shatterhand ist da, Old Shatterhand! Er hat mich entführt und gefesselt; helft, helft! Lauft schnell um die Ecke des - - - «

   Ich drückte ihm die linke Hand fest auf den Mund, setzte ihm mit der rechten das Messer auf die Brust und raunte ihm drohend zu:

   »Schweig! Sag noch ein Wort, so ersteche ich dich!«

   Er wußte, daß ich das nicht thun würde, denn erstens kannte er mich als einen Feind des unnützen Blutvergießens, und zweitens durfte ich ihn nicht töten, wenn ich mich seiner als Geisel bedienen wollte. Es kam ihm darauf an, seinen Leuten zu sagen, wie sie sich zu verhalten hatten, und das war für ihn nicht unmöglich, weil er den Kopf bewegen konnte. Indem er ihn schnell auf einander von einer Seite nach der andern drehte, bekam er den Mund frei; ich verschloß ihm denselben zwar schnell wieder mit der Hand, doch kam er immer wieder von derselben los, und so gab es eine Reihe von Momenten, in denen sein Mund bedeckt und unbedeckt war, und er benutzte jeden der letzteren Augenblicke, um in wiederholten Unterbrechungen hinunterzuschreien:


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»Lauft um die Ecke - - - bis wo man - - - herauf kann - - ich liege - - - hier auf - - - ich liege - - - hier auf - - - dem Felsen - - - und - - - «

   Weiter ließ ich ihn nicht kommen. Ihm jetzt einen Knebel in den Mund zu stecken wäre unmöglich gewesen, weil er die Zähne fest zusammengebissen hätte; ich mußte ihn wieder betäuben, was durch einen tüchtigen Fausthieb geschah.

   Die Comantschen waren natürlich alle wach geworden. Es wäre mir sehr lieb gewesen, wenn sie, wie ich von ihnen als Indianern eigentlich erwartete, geschrieen hätten; aber sie verhielten sich klugerweise zunächst so ruhig, daß sie jedes Wort ihres Häuptlings verstanden. Da ich ihm immer den Mund wieder bedeckte, so klangen seine Rufe außerordentlich gefährlich; das versetzte sie in Aufregung, und darum ließen sie, als er nun schwieg, ein Wutgeheul hören, wie man es von menschlichen Lippen für unmöglich halten sollte. Ich hörte, daß sie nach der Richtung liefen, welche er ihnen angegeben hatte. Es lag mir selbstverständlich daran, daß sie seinen Befehl nicht ausführten; darum rief ich, ihr Geschrei übertönend, hinunter:

   »Halt! Bleibt stehen, und hört, was ich euch sage!«

   Ich horchte; es war nichts zu hören; sie standen also still, und ich fuhr fort:

   »Ich bin Old Shatterhand und habe To-kei-chun gefangen genommen. Bleibt ihr ruhig hier im Lager, so wird ihm nichts geschehen; kommt ihr aber herauf, so ersteche ich ihn. Ich will das gefangene Bleichgesicht frei haben. Wenn es Tag geworden ist, werdet ihr hören, was ich von euch und euerm Häuptling verlange!«

   Für kurze Zeit herrschte die tiefste Stille unten; sie überlegten. Dann hörte ich eine Stimme:


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»Uff! Old Shatterhand tötet keinen wehrlosen Gefangenen. Meine Brüder mögen thun, was To-kei-chun befohlen hat!«

   »Uff, uff, uff, hiiiiiiiiiih!« antworteten ihm die andern, indem sie das Kriegsgeheul erschallen ließen, und ich hörte, daß sie fortrannten.

   Die Lage, in der ich mich nun befand, war nicht beneidenswert. Es war richtig: ich hatte nicht die Absicht, mich an dem Leben des Häuptlings zu vergreifen; meine Drohung, ihn zu töten, hatte keinen Erfolg; sie kamen herauf. Aber den Häuptling tragen und mit dieser Last in dunkler Nacht und bei dem außerordentlich schwierigen Terrain den Verfolgern entgehen, das war keine Kleinigkeit. Ja, wenn es mir gelungen wäre, ihn unentdeckt zu entführen, so hätte ich mir Zeit nehmen können; nun aber mußte ich mich beeilen, und das machte die Sache gefährlich.

   Ja, wenn sie alle fortgelaufen wären, so hätte das Entkommen für mich gar keine Schwierigkeiten gehabt. In diesem Falle wäre ich mit meinem Gefangenen wieder von dem Felsen hinunter, um die Flucht über den verlassenen Lagerplatz hinaus auf die Ebene zu nehmen und in einem Bogen die Stelle zu erreichen, wo meine Gefährten sich befanden. So kühn dies klingen mag, so ungefährlich wäre es gewesen. Leider aber war eine Anzahl von ihnen zurückgeblieben; fünf oder sechs befanden sich am Feuer bei dem Gefangenen, um diesen nun um so strenger zu bewachen, und die andern, wohl mehr als zehn, standen unten, dem Felsen gegenüber, und richteten ihre Aufmerksamkeit herauf zu mir. Da konnte ich freilich nicht hinab.

   Es blieb mir also nichts übrig, als die gefährliche Kletterpartie zu unternehmen. Dabei mußte ich die Arme


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frei haben, um mich meiner Hände bedienen zu können; ich war gezwungen, den Häuptling auf dem Rücken zu tragen, ihn mir dort festzubinden. Als dies mit Hilfe des Lassos und nach Ueberwindung der dabei erklärlichen Schwierigkeiten geschehen war, trat ich den Rückzug an, und zwar auf demselben Wege, der mich heraufgeführt hatte und den ich kannte.

   Das Geheul der Indianer war verstummt, und ich hörte nichts als das Geräusch, welches ich selbst verursachte und welches zu vermeiden eine Unmöglichkeit war. Wie oft mußte ich mich an Felsenzacken und Bäumen anhalten, um nicht zu stürzen! Da krachten dürre Aeste, da rollten Steine, die ich lostrat, in die Tiefe. Das mußten die Roten hören, die sich jetzt so ruhig verhielten. Sie kamen lautlos heraufgestiegen, und der von mir verursachte Lärm zeigte ihnen den Weg zu mir. Die einzige Hoffnung, welche ich hatte, beruhte auf der Beschaffenheit der Oertlichkeit. Ich kannte meinen Weg, und ihnen mußte es viel schwerer werden, die Hindernisse, welche ihnen das unbekannte Terrain entgegenstellte, zu überwinden.

   So kam ich weiter und weiter, bald aufrecht gehend, bald unter und zwischen den Bäumen kriechend, bald Felsen erkletternd und bald steile Senkungen hinabrutschend, und das alles mit dem Häuptlinge auf dem Rücken.
 
Unglücklicherweise hatte dieser noch immer keinen Knebel im Munde. Vorhin, als ich ihn zum zweitenmal betäubte, hatte ich versucht, ihm den Mund zu öffnen; dieser war aber so fest zu, daß ich ihn nur mit dem Messer hätte aufbrechen können, und das wollte ich nicht. Nun kam ihm das Bewußtsein zurück; das merkte ich aus den Bewegungen, welche er machte. Die Arme vom


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Körper zu nehmen und die Füße auseinander zu bringen, das vermochte er nicht; aber er konnte die Beine, trotzdem sie zusammengebunden waren, auf und nieder bewegen, indem er die Kniee bog, und das that er so kräftig wie möglich, um mir seine Füße von hinten in die Kniekehlen zu stoßen. Dies erschwerte mir die Kletterei bedeutend, aber ich kam doch vorwärts. Da fiel es ihm ein, daß es besser sei, mit dem Munde zu arbeiten, als mit den Beinen, und er schrie:

   »Hierher, hierher, ihr Krieger der Comantschen! Hier bin ich; hier schleppt er mich!«

   »Schweig!« herrschte ich ihm zu. »Es ist mir Ernst; wenn du nicht ruhig bist, so ersteche ich dich!«

   »Stich doch zu!« antwortete er in höhnischem Tone. »Wie willst du den Gefangenen frei bekommen, wenn du mich ermordet hast?«

   Er schrie also weiter, nur zuweilen eine Pause machend, um Atem zu holen und dann um so lauter zu brüllen. Da mußte ich freilich seinen Leuten in die Hände laufen. Darum zog ich das Messer, setzte ihm die Schneide desselben an die Kehle und drohte:

   »Hörst du nicht sofort auf, so schneide ich dir die Gurgel durch!«

   Wie sehr der Kerl sich auf meine Menschlichkeit verließ, bewies er dadurch, daß er, obgleich er die scharfe Klinge an seinem Halse fühlte, doch antwortete:

   »Schneiden? Du wolltest doch stechen! Du wirst weder das eine noch das andere thun! Hier bin ich, ihr Comantschen, hier! Kommt hierher; hierher müßt ihr kommen!«

   Das mußte anders werden; so durfte es nicht weiter gehen, denn dieses Gebrüll zeigte nicht nur seinen Leuten an, wo ich mich befand, sondern machte es mir auch un-


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möglich [unmöglich], ihre Schritte zu hören, wenn sie in meine Nähe gelangten. Sollte ich ihn zum drittenmal betäuben? Das war eine ungewisse Sache; es gelingt nicht jedesmal, und ich konnte ihn auch erschlagen; außerdem hätte ich ihn losbinden müssen, weil ich ihn auf dem Rücken trug, und dabei wäre eine kostbare Zeit vergangen. Ich langte also mit dem Messer über meine Schulter hinunter, setzte ihm die Spitze auf den oberen Teil der Brust und sagte:

   »Ich steche wirklich, wenn du nicht gleich schweigst!«

   »Stich zu, stich zu!« war seine Erwiderung.

   »Gut, du willst es so!«

   Ich stach, doch nicht tief.

   »Hund!« brüllte er.

   »Noch ein Wort, so fährt dir die Klinge bis ans Heft in den Leib!«

   Da war er still, und ich blieb einige Augenblicke stehen, um zu lauschen. Es regte sich nichts. Aber jetzt - - ja, da klangen unterdrückte Stimmen zu mir herauf, nicht von der Lehne des Berges, sondern vom Fuße desselben her. Das verriet mir die Absicht, welche die Roten verfolgten. Der Aufstieg war ihnen zu beschwerlich, vielleicht gar unmöglich gewesen, und die Stimme ihres Häuptlings hatte ihnen verraten, daß ich nicht oben blieb, sondern mit ihm abwärts stieg. Da brauchten sie ja nur unten zuwarten, bis ich hinunterkam, um mich dann zu empfangen. Aber sie wußten die Stelle nicht, an welcher das zu geschehen hatte, und so mußten sie sich verteilen und eine Linie bilden, welche bei meinem Erscheinen schnell zusammengezogen werden konnte. Daher die Stimmen, welche einander jetzt zuriefen.

   Jetzt kam es darauf an, ob sie die Linie bis dahin ausdehnten, wo meine Gefährten versteckt lagen. Wenn


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dies der Fall war, so konnten die letzteren leicht etwas thun, was nicht gutzuheißen war, und darum hatte ich von jetzt an weit mehr Sorge um sie als um mich.

   Ich hatte allerdings nun den schwierigsten Teil des Weges zurückgelegt, und der Abstieg ging viel schneller und besser von statten als bisher. In zehn Minuten konnte ich unten sein; da krachte plötzlich ein Schuß, und eine Stimme rief:

   »Da hast du etwas für deine Neugierde, roter Schuft! Nun weißt du, wer wir sind.«

   Das war Jim Snuffles Stimme. Die Indianer hatten also unser Versteck entdeckt. Sollte ich diesen Schuß und Jims Schreien gutheißen oder nicht? Das wußte ich jetzt noch nicht; jedenfalls folgte die Wirkung sofort, denn zunächst erhoben einige Rote ihr Geheul, und dann fielen die andern in dasselbe ein; man hörte daraus die Länge der Linie, welche sie bildeten.

   Nach kurzer Zeit hörte ich einen zweiten Schuß, und zwar ein großes Stück von der Stelle entfernt, wo der erste gefallen war, und gleich darauf erklang die Stimme Jims:

   »Dieses Krachen kenne ich. Nicht wahr, du hast geschossen, alter Tim?«

   »Yes!« lautete die allbekannte kurze Antwort.

   »Recht so! Gieb es ihnen! Wollen doch sehen, ob sie uns an den Leib können! Das wäre für sie das höchste der Gefühle!«

   Es fielen noch einige Schüsse, auf welche die Roten mit Geschrei antworteten, und ich hörte aus demselben, daß sie sich entfernten. Sie hatten eine Lehre erhalten, welche sie beherzigten. Dann kam ich glücklich unten an. Ich fand nur die Pferde vor und einen der beiden Diener Dschafars.


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»Ihr seid allein hier? Wo sind die andern?« fragte ich.

   »Fort,« antwortete er. »Die Roten kamen uns zu nahe, und Jim Snuffle war der Ansicht, daß sie vertrieben werden müßten.«

   Da hörte ich das Rauschen von Zweigen; es nahten Schritte, und der soeben Genannte kam.

   »Sie sind fort,« sagte er, mich nicht sogleich sehend, »und werden wohl nicht gleich wiederkommen. Wenn nur auch Mr. Shatterhand bald käme! Man weiß ja gar nicht, wie es steht. Man konnte aus dem Geschrei da oben nicht so recht klug werden. Es klang beinahe, als ob - - - «

   Da fiel sein Auge dahin, wo ich stand; er hielt inne, trat zwei Schritte näher und fuhr dann fort:

   »Wetter! Wer ist denn das? So einen dicken Kerl, wie dieser ist, hat man - - - «

   »Er scheint nur so dick,« unterbrach ich ihn; »es sind aber zwei Kerls, Mr. Snuffle.«

   »Ah, Ihr seid es, Ihr?« rief er erfreut aus. »Gott sei Dank, daß Ihr - - - «

   »Still, still!« warnte ich ihn. »Ihr schreit ja so, als ob man Euch unten in Texas hören solle. Wißt Ihr denn nicht, wie nahe uns die Roten sind?«

   »Nahe?« lachte er. »Fällt ihnen nicht ein! Ja, sie waren nahe, sind es aber nicht mehr.«

   »Wißt Ihr das genau?«

   »Yes! Habe sie mit diesen meinen eigenen Augen ausreißen sehen. Kamen so am Fuße des Berges entlang, immer einer hinter dem andern. Wollten wahrscheinlich eine Kette bilden, um Euch aufzufangen; wir aber rollten sie auf.«

   »Und das ist gelungen?«


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»Yes, vorzüglich gelungen. Mein alter Tim ist mit den andern hinter ihnen her; ich aber kam hierher, um Euch zu erwarten. Wer ist denn der Kerl, den Ihr auf dem Rücken habt?«

   »Sollt es gleich sehen. Habe ihn Euch noch nicht gezeigt, weil ich vor allen Dingen wissen mußte, ob wir hier sicher sind.«

   »So sicher wie die Sardine im Olivenöl. Ihr könnt Euch darauf verlassen.«

   »So nehmt ihn mir vom Rücken herunter! Habt Ihr ihn denn nicht an seiner Stimme erkannt, als er vorhin schrie? Er hat doch laut genug gebrüllt.«

   »Weiß ich denn, ob es derselbe ist! Vorhin schien es der Häuptling zu sein.«

   Er faßte den Gefangenen an und ließ ihn, als ich den Lasso aufgeknüpft hatte, langsam auf den Boden nieder; dann blickte er ihm in das Gesicht und rief erstaunt aus:

   »Wetter! Das ist ja To-kei-chun, der alte Teufel! Wie seid Ihr denn zu dem gekommen?«

   »Werde es Euch erzählen, wenn wir Zeit dazu haben.«

   »Durch Zufall wohl?«

   »Nein.«

   »Also mit Absicht?«

   »Ja.«

   »Unmöglich! Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß Ihr in der bestimmten Absicht von uns fortgegangen seid, den Roten ihren geliebten Häuptling zu stehlen?«

   »Das nicht. Ich ging, um Mr. Dschafar herauszuholen; dies war aber unmöglich, weil er zu scharf bewacht wurde. Da habe ich mir den Häuptling ausgebeten, was ganz dasselbe ist, denn wenn wir ihn haben, so ist es grad so gut, als ob wir Mr. Dschafar hätten.«


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»Das ist wieder so ein Meisterstück, ja, ganz gewiß ein Meisterstück von Euch, Mr. Shatterhand!«

   »Bin leider dazu gezwungen.«

   »Gezwungen? Wieso?«

   »Weil andere Leute nur Gesellen- oder gar bloß Lehrlingsstücke liefern.«

   »Wem gilt das, Sir? Doch nicht etwa mir?«

   »Auch mit.«

   »Oho! Ist es etwa ein Lehrbubenstreich, daß ich die ganze Linie der Roten mit so wenig Mann aufgerollt habe?«

   »Wenn es wirklich so ist, wie Ihr sagt, so will ich es loben.«

   »Es ist so, Mr. Shatterhand. Ihr seid also mit mir zufrieden?«

   »Ja und nein.«

   »Warum nein?«

   »Die Indsmen kamen vorhin doch wohl nicht ganz bis hierher?«

   »Nein.«

   »Wie nahe waren sie?«

   »Wohl an die fünfhundert Schritte weit von hier; da wollten sie sich häuslich niederlassen, bis Ihr kommen würdet.«

   »Warum seid Ihr denn eigentlich hin, um sie von dort zu vertreiben?«

   »Natürlich Euertwegen!«

   »Meinetwegen? Das kann ich leider nicht begreifen.«

   »Nicht? Ihr seid doch sonst nicht so schwer von Begriffen! Wir haben sie fortgejagt, weil sie es auf Euch abgesehen hatten.«

   »Ihr glaubtet also, daß sie mich erwischen würden?«

   »Yes.«


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»Sonderbarer Knabe, der Ihr seid, Mr. Snuffle! Von wo aus habe ich denn eigentlich meinen Weg angetreten?«

   »Von hier aus.«

   »Und nach welchem Orte wollte ich denn zurückkehren?«

   »Nach hier.«

   »Well! Was gingen Euch da die Roten an?«

   Er starrte mich, ganz verwundert über diese Frage, eine Weile an und antwortete dann:

   »Was sie uns angingen? Sir, ich weiß da wirklich nicht, was Ihr wollt!«

   »Hm! Die Indianer bildeten eine lange Linie. Derjenige von ihnen, welcher Euch am nächsten war, befand sich an die fünfhundert Schritte weit von hier. Konnten sie mich da fassen?«

   »Ob sie - - fassen? - - hm! - - Wetter! - - - eigentlich nicht, Mr. Shatterhand,« erklärte er verlegen.

   »Hattet Ihr also Grund, sie zu vertreiben?«

   »So wichtigen Grund wohl nicht. Aber es kommt Euch doch wohl nicht bei, das, was ich gethan habe, einen Fehler zu nennen?«

   »Ja, grad das kommt mir bei!«

   »Hört, das möchte ich mir verbitten! Das, was andre Leute, als Ihr seid, thun, braucht nicht deswegen immer und stets fehlerhaft zu sein!«

   »Fällt mir gar nicht ein, so etwas zu behaupten; aber höchst wahrscheinlich seid Ihr vernünftig genug, einzusehen, daß ihr durch Euer Vorgehen unser Versteck verraten habt?«

   »Verraten? Unser Versteck? Hm, hm, hm! Meint Ihr das wirklich?«

   »Gewiß! Wenn Ihr Euch hier ruhig verhalten hättet, wüßten die Indianer gar nicht, wo wir uns befinden.«


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»Mag wohl so sein!«

   »Ja, noch mehr: sie wüßten gar nicht, ob ich allein hier bin oder Euch auch mitgebracht habe. Das gebt Ihr hoffentlich zu?«

   »Gern nicht, Sir.«

   »Nicht gern, aber doch. Ihr seid ja dazu gezwungen.«

   »Ich meine aber doch, es ist ganz egal, ob sie wissen oder nicht, wo wir stecken.«

   »Da irrt Ihr Euch. Es ist ganz und gar nicht egal, ob sie das wissen oder nicht. Wenn sie es nicht erfahren hätten, so wüßten sie nicht, wohin sie ihre Aufmerksamkeit zu richten haben; nun aber haben sie es erfahren, und wie ich sie kennen gelernt habe, werden sie sich das zu nutze machen.«

   »Möchte wissen, wie?«

   »Denkt nach, so werdet Ihr darauf kommen!«

   »Ich meine, daß ich es auch ohne Nachdenken von Euch erfahren kann.«

   »Ja, es würde mir aber lieber sein, wenn Ihr es durch Euern eigenen Genius fändet.«

   »Geht mir mit dem Genius! Ein Stück gute Büffellende ist mir lieber.«

   »Das glaube ich Euch, ohne daß Ihr es mit einem Eid bekräftiget. Die Roten haben Mr. Dschafar in ihren Händen, und ich habe ihren Häuptling gefangen genommen. Was werden sie denken, daß nun geschieht?«

   »Daß beide gegeneinander ausgewechselt werden sollen.«

   »Richtig!«

   »Dabei kommen sie noch sehr gut weg, denn ihr Gefangener ist ein gewöhnlicher Mann, wenigstens nach ihren Begriffen, während der unserige ein Häuptling ist. Sie werden also gern auf unser Verlangen eingehen.«

   »Sobald es Tag geworden ist, ja, eher aber nicht.«


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»Meint Ihr? Warum nicht eher?«

   »Am Tage können sie nichts mehr gegen uns thun; die Nacht aber können sie zu einem Streiche gegen uns ausnützen.«

   »Uns etwa überfallen?«

   »Gewiß. Wenn es ihnen gelingt, ihren Häuptling zu befreien, brauchen sie Mr. Dschafar nicht herzugeben.«

   »Das sollen sie nur einmal versuchen!«

   »Warum nicht?«

   »Wir würden sie mit zerschossenen Köpfen fortschicken. Ich wollte sehr, sie thäten es; das wäre mir das höchste der Gefühle.«

   »O, ich bin überzeugt, daß sich in diesem Falle noch ganz andere Gefühle einstellen würden, die nicht zu den höchsten gehören. Bei Tage können sie uns nicht überfallen, sich nicht an uns wagen; da fürchten sie sich vor uns; das ist ja längst erwiesen. Aber des Nachts kann ihnen ein solcher Streich gelingen.«

   »Nein!«

   »Doch!«

   »Wir werden aufpassen!«

   »Das nützt uns nichts. Was hilft uns alle Aufmerksamkeit, wenn sie uns einschließen?«

   »Einschließen? Hm! Und wenn sie das thäten, würden wir uns wehren!«

   »Am Tage, ja; aber wie wollt Ihr Euch des Nachts gegen einen Feind wehren, den Ihr nicht sehen könnt?«

   »Aber Sir, wir sind ja geschützt, wir sind rückenfrei!«

   »Ja, wir haben hier hinter uns den steilen, bewaldeten Berg, von welchem aus sie uns des Nachts nicht angreifen können.«

   »Und der uns auf alle Fälle eine Zuflucht bietet.«


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»Ihr seid wirklich ein großer Stratege, Mr. Snuffle, und ein noch viel größerer Taktiker!«

   »Pshaw! Wenn Ihr Euch über mich lustig machen wollt, so thut es immerhin; es ist ein sehr billiges Vergnügen!«

   »Ich treibe keinen Scherz, sondern ich spreche sehr im Ernste. Die Roten wissen, wo wir stecken. Wir liegen hier am Rande der Ebene, am Fuße des Berges. Sie brauchen nur eine Linie zu bilden, welche links von uns einen Halbkreis hinaus in die Ebene zeichnet, der rechts von uns wieder an den Berg stößt, so sind wir eingeschlossen.«

   »Und Ihr meint, sie greifen uns dann an?«

   »Ja.«

   »Das sollen sie nur wagen!«

   »Sie wagen gar nicht viel. Sie ziehen den Halbkreis enger und enger zusammen, bis er keine Lücke mehr aufweist, und fallen dann plötzlich über uns her.«

   »Da wehren wir uns!«

   »Pshaw! Womit?«

   »Mit den Gewehren.«

   »Schießt doch einmal des Nachts auf jemanden, den Ihr nicht seht!«

   »So lassen wir sie so nahe herankommen, daß wir sie sehen.«

   »Dann ist es für die Gewehre zu spät; sie nützen uns nichts mehr.«

   »So nehmen wir die Messer!«

   »Also Nahekampf? Da sind sie uns überlegen, siebzig Krieger gegen unsere wenigen Leute! Euern Mut und Eure Tapferkeit in allen Ehren; ich stelle auch meinen Mann; aber wenn in der Nacht in einem einzigen Augenblicke siebzig Indianer auf uns eindringen, so sind wir


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verloren; wir werden zwar einige von ihnen erstechen oder erschießen, werden aber gewiß binnen wenigen Minuten niedergemacht.«

   »So fliehen wir in den Wald, da den Berg hinauf; da können sie uns nicht folgen!«

   »Und die Pferde lassen wir zurück?«

   »Die könnten wir freilich nicht mitnehmen.«

   »Ich wiederhole es: Ihr seid ein sonderbarer Heiliger, Mr. Snuffle! Das günstigste, was von uns hier geschehen kann, ist, daß wir fliehen. Seht Ihr ein, daß wir nicht hier bleiben können?«

   »Vielleicht doch. Es fragt sich sehr, ob sie auf den Gedanken kommen werden, uns einzuschließen und zu überfallen.«

   »Sie kommen darauf; das mögt Ihr nur immer glauben. Wir müssen fort, weil Ihr durch Euern Angriff unser Versteck verraten habt.«

   »Es ist doch zum Teufel, daß ich immer unrecht haben muß!« knurrte er.

   »O, das würde noch gehen; aber unrecht thun, das ist schlimmer. Fehlerhaft denken, das kann vorkommen, aber fehlerhaft handeln, das soll nicht vorkommen. Ich sage - - - «

   Meine Rede wurde dadurch unterbrochen, daß Tim Snuffle kam.

   »Höre, alter Jim,« sagte er, »es scheint, als ob die Roten - - - ah, da seid Ihr ja selbst, Mr. Shatterhand! Wer liegt hier?«

   »To-kei-chun,« antwortete ich.

   »Wetter! Habt ihn gefangen?«

   »Ja.«

   »Well, großartig, unvergleichlich! Wißt wohl schon alles?«


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»Ja. Ihr kommt, um etwas zu melden?«

   »Yes.«

   »Was?«

   »Es scheint, die Indsmen haben was vor.«

   »Woraus schließt Ihr das?«

   »Kriechen langsam in die Ebene hinaus.«

   »Ah, dachte es! Hört Ihr es, Jim, daß ich recht hatte. Sie beginnen, den Plan auszuführen, von dem ich sprach. Macht schnell, daß Ihr die andern holt. Sie sollen leise hierherkommen und sich zum Aufbruche fertig machen. Ich will den Indsmen indessen einen Zaum anlegen.«

   Ich nahm den Henrystutzen und ging fort, zwischen den Sträuchern hinaus auf die offene Prairie. Dort legte ich mich nieder und kroch weiter, gerade fort, auf dem Radius des Halbkreises, den nach meinem Vermuten die Indianer zu bilden im Begriffe standen. Als ich weit genug gekommen zu sein glaubte, hielt ich an und wartete. Ja, richtig, da kamen sie von links herüber in gebückter, hockender Körperhaltung, langsam, einer hinter dem andern. Als der vorderste von ihnen noch vier Schritte entfernt war, gab ich, doch ohne auf ihn oder einen andern zu zielen, drei oder vier Schüsse ab und rief:

   »Zurück! Hier ist Old Shatterhand! Wer wagt sich weiter?« Ein mehrstimmiger Schreckensruf erscholl, und die Kerls verschwanden. Ich gab noch einige Schüsse hinter ihnen her, stand dann auf und eilte nach unserm Verstecke zurück.

   Dort waren die Gefährten jetzt alle beisammen. Sie hatten natürlich meine Schüsse gehört, und Tim Snuffle fragte:

   »Ihr habt geschossen, Sir. Auf wen?«


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»Auf die Roten natürlich! Oder meint Ihr etwa, daß ich mir das Vergnügen gemacht habe, einige Fixsterne vom Firmament herunterzuschießen?«

   »War freilich eine überflüssige Frage! Die Comantschen kamen also wirklich?«

   »Ja.«

   »Und dann?«

   »Sie rissen aus.«

   »So können wir also nun hier bleiben?«

   »Nein, denn ich bin überzeugt, daß sie den Versuch wiederholen werden, nur in weiterer Entfernung von hier. Machen wir also, daß wir fortkommen!«

   Der Häuptling hatte alles gehört, was gesprochen worden war; ich glaubte, keinen Grund zu haben, es vor ihm geheim zu halten. Er hatte weder ein Wort gesagt, noch sonst ein Lebenszeichen von sich gegeben. Ich ließ ihn mir, nachdem ich meine Gewehre übergehängt und mein Pferd bestiegen hatte, heraufgeben und nahm ihn quer vor mir auf das Tier; dann ritten wir fort, hinaus auf die Ebene, bis wir die Stelle erreichten, wo wir bei unserer vorigen Anwesenheit den jetzt wieder gefangenen Häuptling schon einmal ausgetauscht hatten. Dort stiegen wir ab, hobbelten unsere Pferde an und setzten uns nieder. Den Comantschen nahmen wir in unsere Mitte. Jetzt erst fand ich Zeit, zu erzählen, auf welche Weise ich den Häuptling in meine Gewalt bekommen hatte. Die Gefährten hörten mir staunend zu, denn keiner von ihnen hätte das gewagt, was mir so leicht geworden war. Das Schwierigste dabei war ja der Rückweg gewesen. Es wurde mir allgemeines Lob zu teil; To-kei-chun aber, der jedes Wort auch gehört hatte, knirschte mit den Zähnen.

   »Horch, alter Tim!« forderte Jim Snuffle seinen Bruder auf. »Hat dein Ohr es auch vernommen?«


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»Was?«

   »Wie die Kauwerkzeuge dieses alten, roten Sünders soeben aufeinander gerieten?«

   »Yes.«

   »Er ärgert sich gewaltig. Es ist aber auch ganz und gar keine Ehre, wenn so ein berühmter Kriegshäuptling eines noch berühmteren Stammes sich immer und immer wieder fangen und mit Riemen umwickeln läßt! Pfui Teufel! Eine dumme Maus, welche einmal in eine Falle geraten und wieder aus derselben entkommen ist, die geht gewiß nie wieder hinein. Sie ist pfiffiger als dieser große Kriegsanführer des Comantschenvolkes.«

   »Schweig, Hund!« brauste da, sein bisheriges Schweigen aufgebend, To-kei-chun auf. »Deine Worte sind wie die Losung eines Coyoten auf der Savanne: kein Mensch achtet auf sie! Du wirst sie aber dennoch zu bereuen haben!«

   »Wann denn wohl?«

   »Wenn du dich in meiner Hand befindest.«

   »Wetter! Du glaubst also, mich noch einmal fangen zu können?«

   »Ich glaube es nicht, sondern ich weiß es.«

   »So? Höchst sonderbar! Weißt du es auch, alter Tim?«

   »No.«

   »Schön! So wird er sich also wohl irren. Er und mich einmal fangen! Der Kerl ist verrückt! Es liegt in unserer Hand, ihn auszulöschen wie ein Licht, das nicht mehr brennen darf, und da hat er die Frechheit, mir zu drohen! Man sollte - - - - horch!«

   Vom Berge scholl ein vielstimmiges Geheul herüber.

   »Das sind die Roten,« fuhr Jim fort. »Was mag wohl dieser ihr schöner Gesang zu bedeuten haben, Mr. Shatterhand?«


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»Das wißt Ihr nicht?«

   »Nein. Es ist mir keine Veranlassung für sie bekannt, jetzt ein solches Lied anzustimmen.«

   »Die Antwort ist aber sehr einfach. Wie ich Euch schon sagte, haben sie, obgleich sie durch mich vertrieben wurden, ihre Absicht, uns zu überfallen, nicht aufgegeben, sondern sie doch noch ausgeführt. Sie haben unser Versteck umzingelt und sind auf ein gegebenes Zeichen alle auf einmal in dasselbe eingebrochen.«

   »Die Vögel waren aber ausgeflogen!«

   »Ein Glück für uns, daß es so ist. Sie aber sind so wütend darüber, daß sie heulen.«

   Das konnte der Häuptling nicht ruhig anhören, er zischte mich an:

   »Du sagst, sie heulen vor Wut; ich aber sage dir, daß sie noch vor Freude heulen werden!«

   »Pshaw!« antwortete ich. »Ihr Geheul ist eine Dummheit und deine jetzigen Worte sind noch viel dümmer.«

   »Schweig! Was To-kei-chun sagt, ist niemals dumm; er weiß, was er spricht!«

   »Und ich weiß, was du denkst! Ist dir die Mahnung unbekannt, daß man nicht immer sagen soll, was man weiß? Wären deine Krieger jetzt still gewesen, so wüßten wir nicht, daß sie den vergeblichen Ueberfall unternommen haben. Und hättest auch du geschwiegen, so wüßten wir nicht, auf was du wartest.«

   »Glaubt Old Shatterhand vielleicht, allwissend zu sein?«

   »Nein; aber wenn ein dummer Mensch seine Zunge nicht halten kann, so pflege ich zu sehen, was auf derselben liegt. Soll ich dir deine Gedanken sagen?«

   »Du kennst sie nicht!«


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»So höre! Du hast uns soeben gedroht. Du glaubst also, freizukommen, ohne zum Frieden verpflichtet zu sein. Das kann aber nur dadurch geschehen, daß deine Krieger dich befreien. Und weil ihnen dies am Tage unmöglich ist, so meinst du, daß sie dich noch in dieser Nacht holen werden.«

   »Uff!« höhnte er. »Old Shatterhand scheint in die Haut des großen Geistes gefahren zu sein, der alles weiß!«

   »Spotte immerzu! Grad dieser Spott sagt mir, daß ich das Richtige getroffen habe.«

   »Wie kann ich denken, daß meine Krieger mich befreien! Sie wissen ja gar nicht, wo ich mich jetzt befinde.«

   »Sie wissen es!«

   »Nein, denn sie sind nicht so allwissend, wie Old Shatterhand, welcher einem sagen kann, was jeder Wurm und jeder Käfer für vortreffliche Gedanken hat!«

   »Dein Hohn nützt dir nichts. Die Krieger der Comantschen wissen, daß ich das gefangene Bleichgesicht austauschen will und also am Morgen mit ihnen sprechen muß; ich werde mich also nicht weit von ihrem Lager entfernen. Sie fragen sich jetzt, wo ich bleiben und mit ihnen verhandeln werde, und die Antwort wird ganz natürlich lauten: da, wo er schon einmal mit uns verhandelt hat. Wenn deine Krieger sich das nicht sagten, so hätten sie kein Gehirn. Sie werden also die Nacht benutzen, noch einmal einen Ueberfall zu versuchen.«

   »Uff!«

   Jetzt klang dieser Ausruf nicht mehr höhnisch, sondern wie zornige Enttäuschung.

   »Er wird ihnen aber nicht gelingen,« fuhr ich fort, »obgleich du deine ganze Hoffnung auf ihn setzest. Wenn du diese Hoffnung nicht hegtest, würdest du es unterlassen


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haben, uns zu drohen. Du siehst also ein, daß deine Rede eine ebenso große Albernheit wie vorhin ihr Geheul da drüben war.«

   Ich bediente mich mit voller Absicht der beiden sonst verpönten Worte dumm und albern. Er hatte sein Wort gebrochen und mußte nun so tief beschämt werden, wie es mit meiner sonstigen Gesinnung zu vereinbaren war. Er antwortete nur mit einem zornigen Schnaufen, und ich sprach weiter.

   »Du bist es eigentlich gar nicht wert, daß ein Krieger mit dir redet, denn du hast das Calumet entweiht und den Frieden nicht gehalten, den du uns versprachst. Du solltest eigentlich die Strafe - - - «

   »Mir ist nur mein Calumet heilig, das deinige aber nicht,« fiel er mir in die Rede. »Warum hast du nicht das meinige geraucht? Old Shatterhand ist noch viel dümmer, als er andere Leute schimpft!«

   »Ich habe nicht dumm und vertrauensselig gehandelt. Hätte ich aus deiner Friedenspfeife geraucht, so wäre mir das dabei gegebene Versprechen ebenso heilig gewesen, als wenn es aus meinem Calumet gekommen wäre. Ich habe deine Verschlagenheit gar wohl gekannt und sogar meinen Gefährten gesagt, was du im Schilde führtest, und dich dennoch nicht gezwungen, dich deiner Pfeife anstatt der meinigen zu bedienen. Ich unterließ das nicht etwa aus Dummheit, sondern weil ich weiß, daß ich dich nicht zu fürchten brauche; du bist ein kleiner Wurm gegen mich, den ich in jedem Augenblicke zertreten kann. «

   »So zertritt mich doch! Kannst du es wirklich?«

   »Ja.«

   »Was wird dann aus dem Bleichgesichte, welches sich bei uns befindet?«

   »Pshaw! Poche ja nicht zu sehr darauf! Ich würde


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diesen Weißen befreien, auch wenn du dich nicht in unserer Gewalt befändest. Ich will jetzt da weitersprechen, wo du mich vorhin unterbrochen hast. Mit deiner Treulosigkeit hast du eigentlich die Strafe der Lügner verdient, nämlich einen Schlag in das Gesicht, der dich für alle Zeit entehrt, so daß keiner deiner Krieger mehr etwas von dir wissen mag; aber Old Shatterhand weiß, daß Liebe besser ist, als Haß, und so will ich auf eine solche Rache verzichten und noch einmal freundlich mit dir sprechen.«

   »Ich mag nichts hören!«

   »Ich will dir einen Vorschlag machen, von dem ich erwarte, daß du auf ihn - - - «

   »Ich mag von dir nichts hören!« wiederholte er, mich unterbrechend.

   »Das ist natürlich nicht dein letztes Wort. Du weißt ja noch gar nicht, was - - - «

   »Schweig!« fiel er mir wieder in die Rede. »Ich weiß alles!«

   »Gut, so werde ich schweigen; es wird die Zeit kommen, in welcher du gern mit mir sprechen wirst. Ob und wie ich dann reden werde, das wirst du erfahren.«

   »Sir, soll ich dem Halunken für seine Frechheit eine Ohrfeige geben?« fragte mich Jim.

   »Nein,« antwortete ich. »Einen Wehrlosen schlägt man nicht, und ich habe ihm gesagt, daß er keinen Schlag bekommen soll.«

   »Darauf fußt er eben! Ah, ihm so einen tüchtigen Box ins Gesicht oder auf den Magen zu geben, das wäre für mich das höchste der Gefühle! Denkst du nicht auch, alter Tim?«

   »Yes!« erklang es im tiefsten Brusttone der Ueberzeugung; mehr als dieses Wort aber sagte er nicht.


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Ich war überzeugt, daß wir bald abermals beschlichen würden. Was wir dagegen thaten, das sollte der Häuptling nicht sehen; darum ließ ich ihm eine abgewendete Lage geben und besprach mich leise mit den Gefährten. Die beiden Snuffles, Perkins, die andern beiden Führer und ich wollten uns gegen die etwaigen Späher wenden, während die zwei Diener bei dem Häuptlinge sitzen blieben. Wir sechs krochen, auf der Erde liegend, eine Strecke vor; dann postierte ich sie so, daß sie ungefähr vierzig Schritte auseinander lagen und eine gegen den Berg gerichtete gerade Linie bildeten, deren Mitte in noch weiter vorgerückter Lage ich selbst einnahm. Auf diese Linie mußte der oder mußten die Kundschafter treffen, welchen oder welche man aussandte, um zu erfahren, wo wir lagerten.

   Wie so oft, hatte ich mich auch diesesmal nicht getäuscht. Wir lagen noch keine halbe Stunde, so hörte ich Jim Snuffle rufen:

   »Da will jemand zwischen uns hindurch. Halte ihn fest, alter Tim!«

   »Yes.«

   Die beiden Brüder lagen zu meiner rechten Hand hinter mir, erst Tim und dann Jim. Ich blickte mich um und sah Tim auf eine Gestalt zurennen, welche sich soeben vom Boden erhob und schnell zu entkommen trachtete. Sie sprang in weiten Sätzen fast genau auf die Stelle zu, an welcher ich lag, ein Stück vor den anderen, wie bereits gesagt. Es war natürlich ein Roter. Ich ließ ihn bis auf zehn Schritte herankommen und sprang dann plötzlich auf. Er blieb erschrocken stehen, nur einige Augenblicke lang; aber das war Zeit genug für mich, mit zwei Sprüngen bei ihm zu sein und ihn niederzureißen und festzuhalten, bis die Snuffles kamen und mir


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halfen, ihn zu binden. Er ließ dies lautlos und ohne Widerstand geschehen, so sehr war er erschrocken.

   »Den haben wir!« freute sich Jim. »Ob wohl noch andere bei ihm waren?«

   »Wie ich die Indsmen kenne, nein, denn sie wären zu gleicher Zeit mit ihm bemerkt worden; er ist allein,« antwortete ich. »Schaffen wir ihn zu seinem Häuptlinge, und machen wir uns dann fort.«

   »Fort? Wohin?«

   »Nicht sehr weit, an einen andern Ort, wo man uns nicht sucht.«

   »Warum?«

   »Mir ist soeben ein Plan gekommen. Ich sagte vorhin dem Häuptlinge, daß ich das gefangene Bleichgesicht auch ohne Auswechslung befreien würde; das will ich jetzt thun.«

   »Wetter! Begebt Euch ja nicht wieder so in Gefahr!«

   »Es ist gar keine Gefahr dabei. Ich will bloß nach den Häuptlingsgräbern, wo der Gefangene liegt.«

   »Allein?«

   »Ja, allein.«

   »Da lauft Ihr aber doch den Indsmen in die Hände, denn sie sind dort!«

   »Sie sind nicht dort.«

   »Wer hat Euch das gesagt?«

   »Der Kundschafter hier.«

   »Habe kein Wort davon gehört!«

   »Ich auch nicht; aber gesehen habe ich es.«

   »Gesehen? Wieso?«

   »Er floh vor Euch. Es war natürlich seine Absicht, zu seinen Gefährten zu entrinnen, und diese müssen sich da befinden, wohin er seine Richtung nahm. Er kam von Euch auf mich zu, von rechts herüber; sie müssen


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also links da drüben sein, nicht in ihrem Lager, sondern bei unserm Verstecke, wo sie geblieben sind, seit sie uns nicht dort fanden.«

   »Das scheint freilich richtig zu sein.«

   »Es ist richtig. Ferner ziehe ich folgenden Schluß: Als ich mich oben auf dem Felsen befand, stellten sich mehr als zehn Rote unten gegen mich auf, und sechs standen bei Mr. Dschafar. Sobald ich mich entfernt hatte, war das nicht mehr nötig. Es werden höchstens nur zwei Wächter bei dem Gefangenen sein, und mit denen werde ich leicht fertig; die übrigen haben sich den andern angeschlossen, die uns überfallen wollen. Ich gehe also nach den Häuptlingsgräbern, und vorher nehmen wir eine andere Stellung ein, damit wir vorkommenden Falles nicht gefunden werden.«

   Die Snuffles fuhren fort, mich zu warnen; ich blieb aber bei meinem Vorsatze und zog die andern Posten ein. Als wir bei To-kei-chun ankamen und er den neuen Gefangenen sah, stieß er einen Ruf des Zornes aus, ohne aber weiter etwas zu sagen.

   »Nun, wie steht es jetzt mit deiner Zuversicht?« fragte ich ihn. »Werden dich deine Krieger befreien? Ihren Späher haben wir aufgefangen.«

   Das war ihm doch zu viel. Er vergaß sich vor Aerger und antwortete: »Sie werden dennoch kommen!«

   »Hierher vielleicht, aber nicht dorthin, wo wir sein werden. Du wirst sehen, daß deine Hoffnung dich betrügt, so wie du uns hast betrügen wollen.«

   Ihm und dem Späher wurden die Füße freigegeben, daß sie laufen konnten; dann suchten wir einen Ort auf, welcher fast eine englische Meile entfernt lag. Das that ich auch aus dem Grunde, daß ein etwaiger Hilferuf des


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Häuptlings nicht von den Comantschen gehört werden konnte. Nachdem ich meinen Gefährten sehr ernst gesagt hatte, wie sie sich zu verhalten hatten, verließ ich sie, um meinen neuen Plan in Ausführung zu bringen. Ich nahm die beiden Gewehre mit, von denen ich gegebenen Falles entweder das eine oder das andere gebrauchen konnte. Unsere neue Haltestelle lag etwas weiter als die vorige von den Häuptlingsgräbern entfernt. Ehe ich dort anlangte, mußte also seit der Gefangennahme des Kundschafters ungefähr eine Stunde vergangen sein; dennoch war ich nicht darüber im Zweifel, daß die Roten ihre von mir vermutete Stellung noch immer inne hatten. Daß ihr Späher eine Stunde lang fortblieb, war noch kein Grund, sie mit Besorgnis oder gar Mißtrauen zu erfüllen. Es war also anzunehmen, daß sie noch immer oben bei unserm früheren Verstecke hielten und ich unten bei den Gräbern keinen großen Widerstand finden würde.

   Diese Voraussetzung erwies sich als richtig, denn als ich an dem letztgenannten Orte ankam und mich durch die licht stehenden Sträucher gewunden hatte, so daß ich das noch immer brennende Feuer vor mir sah, gewahrte ich nur zwei Wächter, welche bei dem Gefangenen saßen; es kam mir sogar der für mich sehr günstige Umstand zu statten, daß sie Dschafar ihre Gesichter, mir aber die Rücken zukehrten; sie konnten mich also nicht kommen sehen. Wenn ich nun dafür sorgte, daß sie mich auch nicht hörten, so mußte mir mein Vorhaben gelingen.

   Ich legte mich nieder und kroch vorsichtig weiter, immer gerade auf sie zu. Das war nicht leicht, denn es gab nun keine Büsche mehr, und das Gras war so niedrig, daß es mir keine Deckung gewährte, Ich mußte mich in dem Schatten halten, welchen die beiden Indianer nach


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meiner Richtung warfen. Auch in der Person dessen, den ich befreien wollte, lag eine Gefahr für mich. Er war mit dem Leben des wilden Westens unbekannt; ich wußte, daß ihm die Gabe fehlte, sich im Augenblicke der Ueberraschung zu beherrschen. Wenn er mich kommen sah und durch eine Bewegung oder gar einen Ausruf dies verriet, so konnte ich eine Kugel bekommen, ehe ich den Platz ganz erreicht hatte. Ich mußte also meinen Weg so nehmen, daß er mich nicht zu früh bemerkte, was nur dadurch erreicht werden konnte, daß ich stets einen der Indianer in gerader Linie zwischen ihm und mir hatte.

   Das war schwierig, aber es ging; ich kam näher und näher und befand mich endlich nur wenige Schritte von ihnen, so daß ich hörte, was sie sprachen. Sie redeten nämlich miteinander. Dschafar verstand englisch genug, und einer der Roten war dieser Sprache so weit mächtig, daß er das, was er sagen wollte, wenigstens einigermaßen zum Ausdrucke bringen konnte.

   Der Perser schien guten Mutes zu sein, denn sein Gesicht zeigte keine Spur von Besorgnis, und eben als ich in Hörweite herangekommen war, hörte ich ihn sagen:

   »Nein, ihr bekommt ihn nicht wieder!«

   »Der Häuptling wird befreit,« behauptete dagegen der Indianer.

   »Old Shatterhand giebt ihn nicht wieder her!«

   »Hat er ihn nicht schon gefangen gehabt und doch wieder hergeben müssen?«

   »Müssen? Kein Mensch hat ihn gezwungen; er hat es freiwillig gethan.«

   »Er war dazu gezwungen, denn er wollte die weißen Gefangenen freihaben.«

   »Dabei ist er ehrlich mit euch verfahren; ihr aber habt hinterlistig gehandelt.«


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»Die roten Krieger sind klüger als die weißen.«

   »Was du meinst, das war keine Klugheit, sondern Unehrlichkeit. Ihr werdet das entgelten müssen, denn Old Shatterhand wird euern Häuptling ganz gewiß dafür bestrafen.«

   »Das kann er nicht, denn wir werden To-kei-chun befreien.«

   »Wann?«

   »Jetzt.«

   »Glaube das ja nicht! Ihr werdet ihn nicht wieder losmachen können.«

   »Alle unsere Krieger sind fort, dies zu thun!«

   »Wenn es ihnen überhaupt gelingen könnte, wären sie jetzt schon damit fertig. Sie müßten längst wieder hier sein.«

   »Sie warten, um Old Shatterhand sicher zu machen; dann fallen sie über die Bleichgesichter her.«

   »Pshaw! Old Shatterhand ist nicht der Mann, der so leicht überfallen werden kann. Zumal nach dem, was in der letzten Zeit geschehen ist, wird er doppelt vorsichtig sein.«

   »Und wenn er vorsichtig wäre, was würde er dadurch erreichen? Er müßte unsern Häuptling doch wieder freilassen!«

   »Wer soll ihn zwingen?«

   »Wir. Wenn er ihn nicht freigibt, wirst du getötet.«

   »Gut! Also wieder eine Auswechslung! Du giebst also zu, daß ich mich in keiner Gefahr befinde. Ihr könnt mir nichts thun.«

   Der Indianer wollte sich nicht als geschlagen bekennen und behauptete:

   »Wir werden den Häuptling holen und dich doch nicht losgeben!«

   


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Dschafar antwortete nun seinerseits auch mehr, als er eigentlich behaupten konnte:

   »Und Old Shatterhand wird mich holen und den Häuptling nicht loslassen.«

   »Uff! Wir bewachen dich!«

   »Das kann einen Mann, wie Old Shatterhand ist, nicht abhalten!«

   »Er mag es nur wagen, zu kommen!«

   »Er ist schon da,« antwortete ich, indem ich hinter ihm aufsprang und die beiden Revolver zog.

   Er und sein Kamerad drehten sich nach mir um; sie brachten vor Ueberraschung kein Wort hervor, hatten aber die Geistesgegenwart, nach ihren Messern zu greifen und auch aufstehen zu wollen.

   »Bleibt sitzen, und rührt euch nicht, sonst erschieße ich euch!« gebot ich ihnen.

   »Uff, uff!« stieß da der eine von ihnen, der bisher gesprochen hatte, hervor.

   »Ja, uff, uff!« antwortete ich. »Dieses Bleichgesicht hier hat sehr recht gehabt: Old Shatterhand ist nicht der Mann, der sich vor euch fürchtet. Wenn ihr mir nicht Wort für Wort gehorcht, seid ihr des Todes und auch Euer Häuptling ist verloren. Legt die Messer weg!«

   Sie thaten es.

   Ich ging zu Dschafar und durchschnitt seine Fesseln, während ich mit der andern Hand die Wächter durch die Revolver in Schach hielt. Als dies geschehen war, forderte ich Dschafar auf:

   »Nehmt diese Riemen und bindet damit den beiden roten Gentlemen die Hände und die Füße zusammen!«

   Er stand auf, um diese Weisung auszuführen; da aber erklärte der eine Rote:

   »Wir lassen uns nicht binden!«

   


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»Was wollt ihr dagegen thun?« fragte ich. »Ihr befindet euch in meiner Gewalt!«

   »Lieber sterben wir! Eine solche Schande kann kein Krieger ertragen.«

   »Es ist keine Schande. Ich selbst bin auch oft gefesselt gewesen.«

   »Aber wir hatten dieses Bleichgesicht zu bewachen und haben uns überraschen lassen. Das ist eine Schande.«

   »Pshaw! Wißt ihr, was für einen roten Krieger die größte Schande ist?«

   »Was meint Old Shatterhand?«

   »Wenn er seine Medizin oder seine Skalplocke verliert. Ihr habt eure Medizinen am Gürtel hängen, und auf euern Häuptern sehe ich die Büschel eurer Haare. Wenn ihr nicht gehorcht, so erschieße ich euch nicht nur, sondern nehme euch die Medizinen und die Skalplocken, und werfe sie in das Feuer hier. Dann seht zu, ob ihr nach dem Tode in die ewigen Jagdgründe eingelassen werdet!«

   »Uff!«, rief er erschrocken.

   »Also gehorcht! Gebt eure Hände und Füße her, haltet still!«

   Jetzt weigerten sie sich nicht mehr. Meine Drohung hatte ihren Widerstand vollständig gebrochen. Während ich sie mit den Revolvern bedrohte, wurden sie von Dschafar gebunden.

   »Man hat Euch ausgeraubt, Sir?« fragte ich diesen dann.

   »Ja,« antwortete er.

   »Wer hat die Sachen?«

   »Der Häuptling.«

   »Alles?«


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»Alles. Aber es sind nur die Kleinigkeiten. Was Wert hatte, habe ich in den Packsattel gethan.«

   »Den haben wir; der Häuptling wird aber dennoch alles herausgeben müssen.«

   Und mich wieder zu den beiden Wächtern wendend, sagte ich:

   »Ihr seht, was eure Hinterlist und Wortbrüchigkeit euch für Früchte bringt. Euer Gefangener ist wieder frei, und dafür habe ich To-kei-chun abermals in meine Gewalt gebracht; er wird nicht so leicht wieder loskommen. Wir verlassen jetzt diesen Ort. Einer von euch wird uns begleiten, um Zeuge dessen zu sein, was ich mit dein Häuptlinge verabrede, und dann als sein Bote nach hier zurückzukehren. To-kei-chun wird mit uns reiten, bis wir uns in Sicherheit befinden. Darum nehme ich sein Pferd jetzt mit. Ob wir ihn später töten oder nicht, das wird ganz auf sein Verhalten ankommen.«

   Dschafar holte sein Pferd und auch dasjenige des Häuptlings herbei, dazu die Waffen und sonstigen Gegenstände, welche an der Stelle lagen, wo To-kei-chun gelegen hatte. Ich gab einem der Wächter die Füße frei und band ihn mit den Händen an den Steigbügel fest; seinen Gefährten knebelte ich, daß er nicht rufen konnte; dann trat ich das Feuer aus. Als das geschehen war, ritten wir fort.

   Sobald der Lagerplatz und das hindernde Gebüsch hinter uns lagen und wir uns draußen auf der freien Ebene befanden, machte der Perser seinem Herzen Luft.

   »Sir, was habe ich Euch nicht alles zu danken! Meine Schuld gegen Euch ist von Tag zu Tag größer geworden. Jetzt habt Ihr mich wieder befreit.«

   »Aber zum letztenmal!« sagte ich ernst.


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»Gewiß! Ich denke doch, daß ich nicht wieder in die Hände dieser Teufel fallen werde!«

   »Wenn Ihr so unvorsichtig bleibt, wie Ihr bisher gewesen seid, so wird das sicher geschehen. Dann laß ich Euch aber stecken; darauf könnt Ihr Euch heilig verlassen!«

   »Ihr scheint zornig zu sein, Mr. Shatterhand?«

   »Ist auch kein Wunder! Ich scheine nur zu dem Zwecke mit Euch zusammengetroffen zu sein, die fortgesetzten Fehler anderer Leute immer wieder gutmachen zu müssen. Das geschah vom ersten Augenblicke bis jetzt und scheint gar nicht anders werden zu wollen.«

   »Was mich betrifft, so soll so etwas gewiß nicht wieder vorkommen.«

   »Das hoffe ich. Horcht!«

   Es ertönte hinter uns ein lautes Geheul.

   »Warum brüllen sie so?« fragte der Perser. »Sie haben doch nicht etwa unsere Gefährten gefangen?«

   »Nein. Diese befinden sich nicht hinter, sondern da vor uns. Es ist das Wutgeheul der Comantschen, welche eingesehen haben, daß sie ihren Häuptling nicht befreien können. Sie sind nach dem Lager zurückgekehrt und haben da zu ihrem Schreck bemerkt, daß Ihr noch obendrein gerettet worden seid und dazu auch noch ein Krieger von ihnen mit fortgeführt worden ist. Da ist es kein Wunder, wenn sie so schreien.«

   »Sie werden uns nachkommen!«

   »Mögen es versuchen! Ihr könnt übrigens froh sein, daß mir mein Streich gelungen ist; denn wenn dies nicht gelungen wäre, so hättet Ihr heut Euern letzten Tag erlebt.«

   »Glaubt Ihr denn wirklich, daß sie mich getötet hätten?«


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»Ohne alle Gnade und Barmherzigkeit.«

   »Sind das schreckliche Menschen! Bei uns wohnen doch auch halbwilde Völker, vor denen man sich in acht zu nehmen hat; aber so blutgierig wie die Indianer sind sie doch nicht!«

   »Da irrt Ihr Euch!«

   »Irren? Schwerlich!«

   »Ich kann Euch mit meinen eigenen Erfahrungen das Gegentheil beweisen. Wie oft ist mir im Oriente nur deshalb nach dem Leben getrachtet worden, weil ich kein Moslem war. Ich hatte diesen Leuten nicht das mindeste gethan, sie mit keinem Worte beleidigt. Der Indianer aber kennt gar keinen Religionshaß und ist nur deshalb der Feind der Weißen, weil diese mit unversöhnlicher Feindschaft an seinem Untergange arbeiten. Er wehrt sich seines Lebens; das ist alles.«

   »So sagt, was habe denn grad ich diesen Comantschen gethan?«

   »Wohl nichts?«

   »Nein!«

   »Das denkt Ihr nur. Erstens seid Ihr ein Weißer, also ein Feind von ihnen. Wie Ihr persönlich zu ihnen steht, darnach fragen sie nicht. Sodann reist Ihr jetzt durch ihr Gebiet, ohne zu fragen, ob es ihnen recht ist oder nicht.«

   »Was können sie dagegen haben?«

   »Etwa nichts? Darf ich zum Beispiel in Persien so reisen, wie Ihr es hier thut?«

   »Natürlich!«

   »Wirklich? Lagern und schlafen, wo ich will? Mich ernähren, wie ich will? Rinder, Hirsche und dergleichen schießen, wie es mir beliebt? Den rechtmäßigen Besitzern


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des Landes die Nahrung wegnehmen, ohne daß sie etwas dagegen thun oder sagen dürfen?«

   »Hm!«

   »Ja, hm! Hat nicht schon an Eurer Grenze jeder Scheik das Recht, von jedem Fremden, der durch sein Gebiet will, eine Abgabe, einen Tribut zu verlangen?«

   »Das ist richtig.«

   »Wenn hier ein Häuptling so etwas forderte, bekäme er anstatt der Zahlung eine Kugel. Die Roten zählten einst nach vielen, vielen Millionen, und das ganze weite Land, der ganze Kontinent war ihr Eigentum. Aus diesen Millionen ist ein armseliges Häuflein geworden, welches nur nach Tausenden zählt und ohne alles Erbarmen von Stelle zu Stelle gejagt und verjagt wird. Wer ist da der Grausame, der Blutdürstige - der Rote oder der Weiße?«

   Der Perser schwieg, aber der an meinem Steigbügel hängende Comantsche, welcher meine Rede leidlich verstanden haben mochte, rief aus:

   »Uff, uff! Das sagt Old Shatterhand, obgleich er ein Bleichgesicht ist!«

   »Ich habe es stets gesagt.«

   »So bist du ein wahrer Freund aller roten Männer!«

   »Ja, das bin ich, und ihr thätet besser, mich und diejenigen, die bei mir sind, mit eurer Verfolgung und euern Wortbrüchen zu verschonen.«

   »Ich möchte das meinen Kriegern sagen; aber ich weiß nicht, ob ich zu ihnen zurückkehren darf. Wird Old Shatterhand mich töten?«

   »Nein.«

   »Mich freilassen?«

   »Ja. Du sollst dabei sein, wenn ich nachher mit euerm Häuptling rede. Ist das geschehen, so gebe ich


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dich frei, damit du den Kriegern der Comantschen sagen kannst, was ich zu To-kei-chun gesprochen habe.«

   Wir waren indessen in der Nähe der Stelle angekommen, an welcher ich die Gefährten zurückgelassen hatte. Da es hier bei Nacht und auf der offenen Prairie keinen Punkt gab, nach dem ich mich richten konnte, so pfiff ich laut; es wurde mir geantwortet; ich hatte die Richtung genau eingehalten. Die Stimme Jims schallte mir entgegen:

   »Halloo, Sir! Pfeift ihr, oder pfeift etwa ein anderer?«

   »Ich bin es. Wer sollte sonst hier pfeifen?«

   »Die Patti nicht; das ist wohl wahr. Habt Ihr - - - ah, das sind ja drei Personen anstatt einer! Ist - ist - ist die Sache - - - «

   »Ich bin frei!« unterbrach ihn Dschafar, indem er vom Pferde sprang. »Mr. Shatterhand hat mich herausgeholt!«

   »Alle Wetter! Das ist nun wieder so ein Streich! Und wer ist der dritte Gentleman? Ein Roter? Ein Comantsche? Das ist ja weit mehr, als man erwarten konnte! Meinst du nicht auch, alter Tim?«

   »Yes,« antwortete sein Bruder. Aber ganz entgegen seiner sonstigen lakonischen Weise fügte er dieses Mal hinzu: »So ein Streich ist großartig zu nennen, rein großartig. Ich gestehe, daß mir der Verstand darüber still stehen will!«

   »Stillstehen? Well, das ist gut; das ist viel besser, als wenn er dir davonlaufen wollte. Das müßte ich mir verbitten, denn einen Bruder Snuffle ohne Verstand, das wäre für mich keineswegs das höchste der Gefühle.«

   Ich war indessen auch abgestiegen. Als To-kei-chun nun sah, daß ich wirklich seinen Gefangenen und einen


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Comantschen mitgebracht hatte, ließ er ein grimmiges »Uff!« hören, sagte aber sonst weiter nichts. Die Gefährten wollten wissen, auf welche Weise ich Dschafar losbekommen hatte; ich erklärte ihnen:

   »Wartet bis später! Wenn wir mehr Zeit haben, werdet ihr es erfahren. Jetzt habe ich vor allen Dingen mit To-kei-chun zu reden. Ich muß mich gegen einen wiederholten Wortbruch sicher stellen.«

   »Sicher stellen?« fragte Perkins. »Ja, das werden wir thun, Das ist das Notwendigste, was geschehen muß. Ich werde da gleich meinen Antrag stellen.«

   Er sagte das in einem Tone, als ob alles auf seine Meinung ankäme und wir uns nur so nach seinem Willen zu richten hätten; darum antwortete ich ihm:

   »Habe ich einen Antrag von Euch verlangt?«

   »Verlangt? Nein.«

   »So wartet, bis ich das thue!«

   »Aber, Sir, es versteht sich doch ganz von selbst, daß wir uns darüber verständigen müssen, wie wir diesen roten Häuptling endlich unschädlich machen!«

   »Was wollt Ihr mit dem Worte >verständigen< sagen? Es hat nie einer Verständigung bedurft, denn To-kei-chun ist Euch nur durch Eure Dummheiten schädlich geworden. Hättet Ihr von vornherein mit mehr Klugheit gehandelt, so hätten die Comantschen Euch gar nichts anhaben können.«

   »Hm!« brummte er mißvergnügt. »Jeder Mensch begeht einmal einen Fehler.«

   »Mag sein; hier aber ist Fehler auf Fehler vorgekommen.«

   »Wenn das wahr ist, so können wir uns am besten gegen weitere Fehler dadurch schützen, daß wir den Häupt-


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ling [Häuptling] einfach niederschießen. Wenn wir das nicht thun, wird er uns wieder nachreiten.«

   »Unendlich klug gesprochen, Mr. Perkins! Ihr wollt keine Fehler mehr begehen und schlagt in demselben Atem etwas vor, was ein noch größerer Fehler sein würde als alles, was bisher vorgekommen ist. Der Häuptling bleibt leben!«

   »Das ist wieder Eure Humanität, mit der Ihr Euch und uns nur stets - - - «

   »Schweigt!« unterbrach ich ihn. »Hier wird überhaupt nicht geschossen! Und ich werde dafür sorgen, daß kein Mord begangen wird, solange ich mich bei euch befinde. Es hat niemand notwendig, Anträge zu stellen, denn ich werde jetzt sagen, was zu geschehen hat, und dann sind wir fertig.«

   »All devils! Giebt es hier etwa einen Kaiser, dessen Unterthanen wir sind?«

   »Nein. Aber es giebt hier einen Westmann, der nicht noch monatelang mit euch herumreiten will, um bald den einen, bald den andern von euch aus den Händen der Indianer zu holen. Das müßte ich nämlich thun, wenn ich mich nach euch richten wollte.«

   »Well! Ich bin hier nicht allein maßgebend. Es giebt noch mehr Personen, welche sich darüber auszusprechen haben, ob wir nach gemeinsamer Vereinbarung handeln oder die gehorsamen Diener eines einzelnen von uns sein wollen.«

   »Mir gleich! Ich aber sage euch, daß ich augenblicklich von hier fortreiten werde, wenn ihr etwas anderes thut, als was ich beabsichtige.«

   »Das klingt wirklich außerordentlich befehlshaberisch, Sir! Ich möchte wissen, was die beiden Snuffles dazu sagen?«


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Jim antwortete verständiger Weise:

   »Was wir dazu sagen? Die beiden Snuffles haben eigentlich gar nichts mit Euch zu thun, haben gar keine Verpflichtung gegen Euch. Wir haben Euch getroffen und sind mit Euch geritten, um Euch gegen die Roten beizustehen. Dabei haben wir freilich dieses und das gethan, was Mr. Shatterhand Dummheiten nennt. Ich kann nicht sagen, daß er da unrecht hat. Sollen wir denn hier immer hin und her reiten, um bald diesen und bald jenen aus der Patsche zu befreien, in die er selbst hineinreitet? Nein! Mr. Shatterhand hat uns allen immer wieder herausgeholfen, und so denke ich, er kann verlangen, daß wir uns jetzt nach ihm richten. Was meinst du wohl, alter Tim, habe ich recht oder nicht?«

   »Yes.«

   »Wir halten zu Mr. Shatterhand?«

   »Yes.«

   »Well! So mag er uns also sagen, was nun geschehen soll.«

   Da niemand widersprach, wendete ich mich an den gefangenen Häuptling:

   »To-kei-chun mag meine Worte hören! Er ist wortbrüchig gewesen, und ich sollte ihn dafür töten. Ich habe sein Leben in meiner Hand, will es ihm jedoch schenken. Aber freilassen werde ich ihn jetzt noch nicht, denn da würde er uns wieder folgen.«

   »Ich folge euch nicht!« warf er ein.

   »Das sagst du wohl; aber ich glaube keinem deiner Worte. Wer Old Shatterhand belügt, dem schenkt er niemals wieder sein Vertrauen. Du wirst mit uns reiten, natürlich auf das Pferd gefesselt. Deine Krieger werden uns nicht folgen, sondern deine Rückkehr hier er-


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warten [erwarten]. Sobald ich bemerke, daß sie uns nachkommen, wirst du erschossen.«

   »Uff! Sie werden nicht bleiben wollen!«

   »Sie werden bleiben müssen, denn du wirst es ihnen befehlen.«

   »Sie werden nicht gehorchen!«

   »Hat To-kei-chun, der oberste Häuptling der Comantschen, kein Ansehen bei seinem Volke und keine Macht über seine Krieger?«

   »Sie werden gegen meinen Willen handeln, weil sie glauben, ich befinde mich in Gefahr.«

   »Du und ich, wir beide werden ihnen sagen lassen, daß dies nicht der Fall ist.«

   »Wer soll es ihnen sagen?«

   »Hier dieser Krieger, den ich deshalb mitgebracht habe.«

   »Uff! Du wirst ihn freigeben?«

   »Ja. Ich habe ihn aus keinem andern Grunde, als nur zu diesem Zwecke mitgebracht. Wir werden jetzt, sofort aufbrechen; vorher aber nehme ich deine Medizin zu mir.«

   »Uff! Was willst du mit ihr thun?«

   »Sie gut aufbewahren, weiter nichts. Wenn ich mit dir zufrieden bin, bekommst du sie wieder und darfst zu den Deinen hierher zurückkehren. Handelt ihr aber nicht nach meinem Willen, so wirst du erschossen und deine Medizin vernichtet; ich verbrenne sie.«

   Er schwieg; darum fragte ich ihn:

   »Hast du meine Worte gehört?«

   »Ja.«

   »Was sagst du darauf?«

   »Was thust du, wenn ich nicht auf deinen Willen eingehe?«


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»Sonderbare Frage! Kannst du überhaupt nicht darauf eingehen? Bist du nicht mein Gefangener, den ich zwingen kann? Old Shatterhand giebt dir jetzt sein Wort, daß du nach drei Tagen mit deiner Medizin hierher zurückziehen darfst. Glaubst du, daß ich mein Versprechen erfülle?«

   »Ja. Old Shatterhand lügt nicht.«

   »Gut! Dafür befiehlst du deinen Kriegern durch diesen Boten hier, daß sie uns nicht folgen, sondern hier bleiben, um auf dich zu warten. Wenn du darauf eingehst, wird dir nichts geschehen. Weigerst du dich, diesen Befehl zu erteilen, so warte ich gar nicht, was meine Gefährten mit dir thun werden, sondern ich gebe dir selbst die tötende Kugel aus meinem eigenen Gewehre. Nun sprich! Ich habe keine Zeit, zu warten.«

   Er zögerte. Da hielt ich ihm die Mündung des Stutzens an den Kopf und befahl ihm:

   »Antworte, sonst schieße ich! Ich sage es nicht noch einmal. Eins - - zwei - - - «

   »Uff! Nimm das Gewehr weg! Du wirst dein Wort wirklich halten und mich mit meiner Medizin zurückkehren lassen?«

   »Ja.«

   »Was werden die andern Bleichgesichter thun? Dir glaube ich; aber werden sie sich nach deinem Willen richten?«

   »Ich verspreche dir, daß ich demjenigen von ihnen, der gegen mein Versprechen handelt, eine Kugel durch den Kopf jagen werde.«

   »Ich glaube dir! Laß es uns mit der Pfeife des Friedens bekräftigen!«

   »Das ist eigentlich gar nicht nötig, denn Old Shatterhand hält sein Wort auch ohne Calumet; aber du sollst


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deinen Willen haben; wir werden die Pfeife des Friedens rauchen, doch nicht die meinige, sondern die deinige; du wirst wohl wissen, warum!«

   Eigentlich hätte ich es nicht thun sollen, denn beim Anzünden konnte das kleine Flämmchen den Comantschen, falls sie in der Nähe nach uns forschten, unsern Aufenthaltsort verraten. Ich that es aber doch. Nach Beendigung der Zeremonie erteilte er seinem Krieger den von mir geforderten Befehl; ich band den Mann los, und er huschte fort, in das nächtliche Dunkel hinein. Der schon vorher gefangene Späher begleitete ihn. Dann steckte ich die Medizin des Häuptlings zu mir; er wurde auf sein Pferd gebunden, und wir ritten fort, die ganze Nacht hindurch, bis am Vormittage unsere Pferde so ermüdet waren, daß wir ihnen Ruhe gönnen mußten.

   Während dieser Pause machte Jim Snuffle den Vorschlag, daß einer von uns zurückkehren solle, um zu erforschen, ob die Comantschen uns nachkämen oder nicht; ich hielt dies aber nicht für nötig, denn ich war vollständig überzeugt, daß sie dem Befehle ihres Häuptlings dieses Mal Gehorsam leisten würden. Es handelte sich nicht nur um sein Leben, sondern, was weit wichtiger war, auch um seine Medizin.

   Drei Tage später erreichten wir die Grenze von Neu-Mexiko, und es wurde für mich die höchste Zeit, mich von der Truppe zu trennen, um meine ursprüngliche Richtung aufzusuchen. Ich löste die Fesseln To-kei-chuns, gab ihm seine Medizin wieder und sagte ihm, daß er frei sei. Er ritt fort, ohne ein Wort, weder des Dankes noch des Undankes, zu sagen. Ich hatte ihm das Leben wiederholt geschenkt, war aber überzeugt, daß er mich bei einer etwaigen Begegnung als Feind behandeln würde.

   Der Abschied von Perkins und den beiden andern


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Führern, die gar nichts geleistet hatten, war kurz; es wäre schade um jedes Wort gewesen. Jim Snuffle streckte mir beide Hände entgegen und sagte:

   »Sir, wir sind unterwegs zuweilen verschiedener Meinung gewesen; aber ein verständiger Mensch muß Verstand haben, wenn er als vernünftiger Mann vernünftig sein will; darum haben wir eingesehen, daß Ihr stets im Rechte gewesen seid. Wollt Ihr uns verzeihen?«

   »Gern, lieber Jim.«

   »Danke Euch! Wie sagt Ihr da? Lieber Jim? Dafür danke ich Euch noch ganz besonders, denn von Old Shatterhand >lieber Jim< genannt zu werden, das ist das höchste der Gefühle. Meinst du das nicht auch, alter Tim?«

   »Yes!«

   »Well! So scheiden wir also in Freundschaft voneinander, und es soll uns eine große Freude und Ehre sein, wenn wir Euch einmal wiedersehen, Sir. Wir reiten noch eine Strecke mit Mr. Dschafar, vielleicht bis Santa Fé, wo er gute Führer nach San Francisco findet. Also, lebt wohl, Mr. Shatterhand, und vergeßt die beiden alten Snuffles nicht!«

   Ich drückte ihm die Hand, reichte die meinige auch seinem Bruder hin und versprach:

   »Werde gern an euch denken. Oder soll ich euch vergessen, lieber Tim?«

   »No!« antwortete er kurz, aber in bewegtem Tone, wendete sein Pferd und ritt davon, den andern nach.

   Jetzt hielt nur noch Dschafar bei mir.

   »Sir,« sagte er, »ich will jetzt nicht wieder alles aufzählen, was ich Euch zu verdanken habe; aber ich wünsche sehr, es Euch einmal vergelten zu können. Darf ich das für möglich halten?«


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»Man sagt, daß alles möglich sei.«

   »Kommt Ihr vielleicht wieder einmal zu den Schammar-Arabern?«

   »Ich will es nicht verreden.«

   »Wohl gar nach Persien?«

   »Das ist gar nicht unwahrscheinlich.«

   »Könnt Ihr mir wohl die Zeit angeben?«

   »Nein. Ich bin wie ein Vogel ohne Nest: er fliegt bald hier und bald dort.«

   »So ist nicht zu bestimmen, wo und wann wir uns treffen können. Was ich jetzt bin, das ist Nebensache; was ich dann sein werde, das weiß ich nicht. Aber ich bin überzeugt, daß Ihr von Mirza Dschafar hören werdet, der ein Sohn von Mirza Masuk ist. Merkt Euch diesen Namen! Und damit Ihr zuweilen an mich denken möget, erlaubt mir, Euch diese Waffe als Andenken anzubieten. Sie ist eigentlich die Veranlassung, daß ich Euch kennen gelernt habe und von Euch gerettet worden bin. Wollt Ihr mir den Gefallen thun, sie anzunehmen?«

   Er hielt mir den Chandschar hin, den ich ihm nach seiner Befreiung natürlich wiedergegeben hatte,

   »Ich sollte den Dolch eigentlich zurückweisen, weil er zu kostbar ist; aber ich will - - - «

   »Für meinen Lebensretter zu kostbar?« fiel er mir in die Rede. »Ich wollte, ich könnte Euch noch reicher beschenken! Vielleicht kann dies später geschehen. Auf alle Fälle aber verspreche ich Euch: derjenige, der mir, früher oder später, sei es, wo es sei, diesen Chandschar zeigt, kann darauf rechnen, daß ich alles für ihn thue, was er nur wünscht, wenn es im Bereiche der Möglichkeit liegt. Lebt wohl, mein Freund! Die andern sind schon soweit fort, daß ich sie kaum noch sehe.«

   »Lebt wohl! Dank für den Dolch! Doch will ich


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nicht wünschen, daß er mir einst als eine Anweisung an Euch zu dienen hat.«

   Wir reichten uns die Hände und ritten dann nach verschiedenen Richtungen fort, er nach Westen und ich nach Süden. Ich steckte den Dolch in den Gürtel und ahnte damals nicht, von welcher großen Wichtigkeit er später für mich sein würde.

   Die letzte Rede Dschafars hatte etwas selbstbewußt geklungen, grad so, als ob er ganz genau wisse, daß er einst ein Mann von Macht und Einfluß sein werde. Was war er jetzt? Ich wußte es nicht; ein Rätsel war er mir. Er hatte von sich, seinen Verhältnissen, seinen Aufgaben nicht gesprochen, und ich war nicht so zudringlich gewesen, ihn zu fragen. Eigentlich hätte er ein wenig offener gegen mich sein können, denn er verdankte mir sein Leben; aber es war so auch recht und gut, denn - - - ob wir uns wiedersehen würden? - Ma scha Allah kan wama lam jascha lam jekun - was Gott will, geschieht; was er nicht will, geschieht nicht! - - -


Kapitel 3


Einführung zu "Im Reiche des silbernen Löwen I/II"


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