http://www.karl-may-gesellschaft.de/ Karl May: Im Reiche des silbernen Löwen Band II - 1 - [unpaginiert] Erstes Kapitel. Beim Turm von Babel. Am Tage nach dem am Schlusse des vorigen Bandes beschriebenen Abende unternahmen wir den geplanten Ritt nach dem Turm von Babylon, jetzt von den dortigen Beduinen Birs Nimrud genannt. Man rechnet von Bagdad nach Hilla oder Hilleh drei kurze Tagereisen. Mit unsern schnellen Pferden brauchten wir nicht so lange Zeit, und darum fiel es uns nicht ein, den Ritt schon am Vormittag zu beginnen; wir ließen vielmehr grad wie damals die größte Tageshitze vorüber und ritten, nachdem wir uns von unserem Wirte und seinem dicken Onbaschi verabschiedet hatten, den Fluß hinauf und über die Brücke nach dem rechten Tigrisufer. Als wir von dort aus einen Blick zurücksandten, lag die Stadt, grad wie damals, in hellem Sonnenglanz vor unsern Augen. Links sahen wir den Volksgarten, die von Midhat Pascha angelegte Pferdebahn und die Quarantäneanstalt, hierauf das Kastell und hart am Wasser das Gouvernementgebäude; rechts lag die Vorstadt mit der alten Mostansir. Dann dehnte sich die von Minarehs und Moscheekuppeln überragte Häusermasse - 2 - aus, über die sich der Dunst- und Staubschleier breitete, welcher Bagdad eigen ist. Von hier aus wendeten wir uns nach dem Oschach-Kanal, und als wir diesen hinter uns hatten, sahen wir vor uns die freie - - Wüste. Ja, es ist Wüste. Da, wo vor nicht gar langer Zeit Garten an Garten sich reihte, wo Tausende von Palmen winkten, Blumen dufteten und herrliche Früchte glänzten, da dehnt sich eine unabsehbare, trostlose Wüste westwärts bis an das Ufer des Euphrat aus. Durch diese Einöde führte unser Weg erst nach dem Khan Assad und dann nach dem Khan Bir Nust, den wir kurz vor Abend erreichte. Im Khane selbst zu übernachten, fiel uns wegen des dortigen Ungeziefers nicht ein; wir suchten ihn nur auf, um unsere Pferde zu tränken, und ritten dann noch ein Stück in der Richtung nach dem Khan Iskenderijeh weiter, wo wir abstiegen, die Tiere anpflockten und unsere Decken zum Lager ausbreiteten. Wir hatten bis hierher keinen einzigen schiitischen Pilger und keinen einzigen Leichentransport gesehen; dennoch sagte Halef, als wir uns nebeneinander niedergesetzt hatten: »Sihdi, riechst du nichts? Mir ist ganz so, als ob wir uns im Pesthauche der Todeskarawane befänden. Geht es dir nicht auch so?« »Ja, ganz genau wie dir,« antwortete ich. »Die Erinnerung wirkt auf unsere Geruchsnerven. Ich sehe die Todeskarawane nicht bloß an mir vorüberziehen, sondern ich rieche sie auch. Es war entsetzlich damals, ganz entsetzlich, und es ist kein Wunder, daß unsere Nasen den Leichenduft, welcher ihnen damals so grausam mitspielte, heut noch nicht vergessen haben.« - 3 - Todeskarawane, Karwan el Amwat, wie der Beduine sagt, was ist das? Ich glaube, diese Frage am besten und kürzesten mit einer bereits schon früher gegebenen Antwort zu erledigen: Der Muhammedaner schiitischen Glaubens ist überzeugt, daß ein jeder Moslem dieser Sekte, dessen Leiche in Kerbela oder Nedschef Ali begraben wird, ohne alle weiteren Hindernisse sofort in das Paradies komme. Bekanntlich zerfallen die Anhänger des Islam in die beiden Abteilungen der Sunniten und Schiiten. Das Wort Sunna, zu deutsch »Weg« oder »Richtung«, bezeichnet alle auf eine That oder einen Ausspruch Muhammeds bezüglichen Traditionen, welche für solche Fälle, in denen der Kuran sich entweder gar nicht oder undeutlich ausspricht, als Gesetze Geltung haben. Die Sunna bildet also für den Anhänger derselben neben dem Kuran die hauptsächlichste Quelle der Religions- und Lebensvorschriften. Nebenbei, doch ebenso hauptsächlicherweise unterscheiden sich die Sunniten von den andersgläubigen Muhammedanern auch dadurch, daß sie die drei Kauen Abu Bekr, Omar und Othman als rechtmäßige Nachfolger des Propheten anerkennen. Zu ihnen gehören fast alle Moslemin in Afrika, auch Ägypten, in der Türkei, in Syrien, Arabien und in der Tatarei. - Schia heißt soviel wie Partei. Die Schiiten verwerfen die genannten drei Kalifen und behaupten, nur Ali und seinen Nachkommen habe die Kalifenwürde gebührt. Sie sind meist über Persien und Indien verbreitet, während sie in andern Ländern nur vereinzelt vorkommen. Man schätzt sie zu zwanzig Millionen, während es über zweihundert Millionen Sunniten giebt. Die Schiiten widmen Ali und seinen Nachkommen, besonders aber seinen Söhnen Hassan und Hussein, eine - 4 - so übertriebene und dabei leidenschaftliche Verehrung, daß er und alle zu seiner Nachfolge berechtigten Nachkömmlinge von einigen extremen Parteien sogar für Inkarnationen Gottes gehalten werden. Sie haben, obgleich sie das nicht zugeben, die ursprüngliche Lehre durch mystische und pantheistische Hineinlegungen verfälscht und stellen die Behauptung auf, daß die Sunniten zu vernichten oder doch noch viel mehr als die Juden, Christen und Heiden zu hassen und zu verfolgen seien. Daher die Jahrhunderte alten, erbitterten und blutigen Kämpfe zwischen diesen beiden Richtungen. Es ist Blut, sehr viel Blut geflossen; es sind Grausamkeiten verübt worden, welche niederzuschreiben sich die Feder sträubt, und noch heut ist dieser Haß nicht verlöscht. Er glimmt fort und fort und bricht bei jeder Veranlassung in helle, vernichtende Flammen aus. Es versteht sich ganz von selbst, daß diese Erbitterung ihre meisten Opfer in den Gegenden sucht und findet, wo Sunniten und Schiiten vermischt wohnen oder aber öfters aufeinander stoßen, und das findet ganz besonders statt in der Grenzprovinz Irak Arabi mit den beiden nicht weit von Bagdad liegenden heiligen schiitischen Städten Nedschef Ali und Kerbela. Die erstere Stadt hat ihren Namen von dem in der Nähe liegenden Nedschef-See erhalten und wird auch Meschhed Ali, d. h. Grabmal Alis, genannt, weil dieser da begraben worden ist. Sie ist ungefähr fünfzig Kilometer südlich von den Ruinen von Babylon gelegen, auf welchem Wege man auch über das Dorf Kefil kommt, wo sich die Ruhestätte des Propheten Hesekiel befindet. Kerbela, auch Meschhed Husseïn, d. i. Grabmal Husseïns, genannt, ist die Hauptstadt eines Sandschäk, zählt über sechzigtausend Einwohner und soll an Reichtum Bagdad weit übertreffen. Sie wird durch einen Kanal - 5 - mit dem rechten Euphratufer verbunden und bildet den hervorragendsten Wallfahrtsort der Schiiten, von denen es noch heiliger als Nedschef Ali gehalten wird. Es ist nicht meine Absicht, auf die ersten Kämpfe zwischen den Sunniten und Schiiten und den Tod Alis und seiner Söhne Hassan und Hussein einzugehen. Es genügt, zu sagen, daß, wie wir auch noch sehen werden, die Gedenkzeit an Husseins Tod von den Schiiten mit größter Leidenschaft begangen wird, und zu wiederholen, daß die Bekenner der Schia die Überzeugung hegen, ein jeder ihrer Anhänger gehe sofort in den Himmel ein, falls er in einer der beiden Städte begraben werde. Aus diesem Grunde ist es der heißeste Wunsch eines jeden Schiiten, in dieser heiligen Erde ruhen zu dürfen; aber da die meisten Schiiten in Persien und gar Indien leben und der weite Transport der Leichen also ein außerordentlich kostspieliger ist, so ist es nur dem Reichen möglich, nach seinem Tode nach Kerbela oder Nedschef Ali geschafft und dort beerdigt zu werden; der Arme aber muß sich selbst transportieren, d. h. er nimmt von seinen Angehörigen für immer Abschied und bettelt sich unter allen möglichen Anstrengungen und Leiden durch die weiten Länderstrecken nach dem fernen Ziele seiner Wanderungen und seines Lebens, um dort dann seinen Tod zu erwarten. Diese Wanderungen kommen zu jeder Jahreszeit vor und erstrecken sich meist auf ganz bestimmte Wege, weiche gebräuchlich geworden sind, weil sie sich als die besten und kürzesten erwiesen haben; auch sind gewisse Strecken, Richtungen oder Abweichungen von den Behörden vorgeschrieben. Diese Wege gleichen einem Flußsysteme: Das Gebiet der Quellen, Bäche und einzelnen Wasserläufe ist weit ausgebreitet; dann nähern sich die Zuflüsse - 6 - einander nach und nach, um die Nebenarme zu bilden, welche sich später zu dem Hauptstrome vereinigen. je weiter entfernt, desto unbedeutender, aber zahlreicher sind die Wasser, je näher dem Ziele, desto geringer wird zwar ihre Zahl, aber desto bedeutender sind sie geworden, bis sie endlich, alle vereinigt, im Hauptbette als mächtiger Fluß der Mündung entgegenrauschen. Ebenso ist es auch mit dem Menschenstrome, den diese Pilgerwanderungen bilden: Die einzelnen schiitischen Wanderer, denen man in den fernliegenden Gegenden begegnet, finden sich an gewissen Vereinigungspunkten zusammen und bilden da Gesellschaften, die sich an weiterliegenden Knotenpunkten vereinigen, um dann von rechts und links immer neue Zuflüsse aufzunehmen, bis sie zu bedeutenden Zügen anwachsen und schließlich die großen, gefürchteten Todeskarawanen ergeben, gefürchtet deshalb, weil sie nicht nur aus dem verkommensten, zu allen Schandthaten fähigen Menschenmateriale, sondern auch aus den zahlreichen Leichentransporten bestehen, die sich ihnen angeschlossen haben. Man denke sich Hunderte und Hunderte von toten Menschenkörpern, welche nur in dünne Decken gewickelt sind oder in längst zerbrochenen Särgen liegen; seit Monaten unterwegs, sind sie dem glühenden Sonnenbrande und allen Einwirkungen der langen Reise und des Wetters ausgesetzt gewesen; sie befinden sich also in allen möglichen Graden der Verwesung und verbreiten einen Gestank, den jeder Windhauch stundenweit verbreitet. Da ist es wahrlich kein Wunder, daß das hohl- und triefäugige Gespenst der Pest diesen Karawanen auf dem Fuße folgt! Diese Pilgerzüge führen zahllose Leichen mit sich und den Tod hinter sich; darum wird jeder solche Zug mit dem sehr bezeichneten Namen Karwan el Amwat, d. i. Todeskarawane, benannt. - 7 - Diese Zuzüge der Pilger und Leichentransporteure werden am stärksten, wenn der zehnte Muharrem, der Todestag Husseins, nahe ist. Da kommen die Karawanen der Inder, Afghanen, Beludschen und Perser vom iranischen Tafellande herab; von allen Seiten nahen sie, und sogar auf Schiffen werden Pilger und Leichen herbeigeschleppt, denn von Indien her ist der Seeweg kürzer als der beschwerliche Weg über Land. Man versuche es aber einmal, ein solches den Schatt el Arab (* Vereinigung von Euprat und Tigris) heraufkommendes Schiff zu besteigen! Wegen des von ihm verbreiteten Gestankes weicht ihm jedes andere Fahrzeug schon von weitem aus, und einer europäischen Nase würde es vollständig unmöglich sein, sich ihm ohne ein eisernes Muß bis auf Kiellänge zu nähern. Und dabei behaupten die Menschen, welche die Leichen zu begleiten und zu bewachen haben, diese methodischen Ausdünstungen seien nicht Gestank, sondern Hawa es Sema (* Himmelsluft) und Rawaji ed Dschani! (* Gerüche des Paradieses) Wenn ein Schiit gestorben ist und nach der heiligen Begräbnisstätte geschafft werden soll, so bleibt seine Leiche vielleicht monatelang liegen, ehe die Reise beginnen kann. Hat dann der Aufbruch endlich stattgefunden, so ist ein weiter, weiter Weg in qualhaft langsamer Weise zurückzulegen. Die Hitze des Südens brütet mit entsetzlicher Glut auf die Strecken hernieder, welche zurückgelegt werden müssen; die Särge zerplatzen, und die Decken, in denen die Leichen sich befinden, werden von Produkten der Zersetzung durchdrungen oder gar zerstört. Der ehrliche Mann, welcher den Zug kommen sieht, weicht entsetzt zur Seite aus, und nur der Schakal und der räube- - 8 - rische [räuberische] Beduine schleichen sich herbei, der eine, angezogen von dem Geruche der Verwesung, und der andere, herbeigelockt von den Schätzen, welche die Karawane mit sich führt, um sie am Ende der Wallfahrt den Hütern des heiligen Grabes zu übergeben. Da werden diamantenbesetzte Gefäße, perlenbesäte Stoffe, kostbare Waffen und Geräte, gewaltige Mengen vollwichtiger Gold- und Silberstücke, unschätzbare Amulette, aus edlem Metall hergestellte und mit herrlichen Steinen geschmückte Nachbildungen kranker Gliedmaßen, für welche der Spender Heilung sucht, kurz, alle möglichen Gaben und Schätze nach Kerbela und Nedschef Ali gebracht, wo sie in den unterirdischen Kellern verschwinden. Diese Gegenstände werden, um die Räuber zu täuschen, in sargähnlichen Verpackungen verborgen; aber die durch die Erfahrung klug gewordenen Beduinen lassen sich durch diese Vorsicht schon längst nicht mehr täuschen. Sie kommen ganz sicher zu den gesuchten Schätzen, indem sie bei ihren Überfällen alle Särge öffnen. Später bietet dann der Kampfplatz ein wüstes Durcheinander von gefällten Tieren, ermordeten Menschen, umhergeworfenen Leichenresten und zerstreuten Sargtrümmern, und der einsame Reiter, welcher zufälligerweise an diese Stätte des Todes und der Zerstörung kommt, lenkt sein Pferd von ihr ab, um dem Hauche der Pest und Ansteckung zu entgehen, und ruft aus: »Allah ia Allah, schi bikab'bib schar irrahs - Gott, o Gott, da steigen einem die Haare zu Berge!« Und auf dem Wasserwege befinden sich die Pilger und Transporteure in ganz derselben Gefahr. Die Pilgerschiffe kommen aus dem Schatt el Arab in den Euphrat, dann durch den Arm von Semawat und durch den Arm von Bahr-i-Nedschef herauf, oft zu Flotten vereinigt. Auf den Decks und in den Unterräumen lagern Lebende - 9 - und Tote bunt durch- und nebeneinander, und sogar die Schiffsränder sind oft nach außen und innen mit Särgen behangen. Welch eine infernalische Luft da herrschen muß, kann man sich denken! An dem erwähnten Kanale lauern die Beduinen vom mächtigen Stamme der Elbu-Thefir, um die Schiffe abzufangen; jedes muß ihnen den Wert von tausend und noch mehr Mark bezahlen, sonst wird es ausgeplündert und jeder Lebende niedergemetzelt. Man denke aber ja nicht, daß mit der Ankunft an den heiligen Stätten alle Widerwärtigkeiten zu Ende seien! Nun beginnen die ebenso schwierigen wie langwierigen Unterhandlungen mit der bei der Moschee angestellten Geistlichkeit, welche die höchstmöglichen Forderungen stellt und das Wort Nachgiebigkeit weder im Herzen noch auf der Zunge kennt. Je reicher der Tote war und je näher dem Heiligtume er begraben werden soll, desto höher steigt die Summe, welche dafür gefordert wird, und man muß schließlich jeden Betrag zahlen, um nur die Leiche endlich einmal loszuwerden. Auch den armen Pilgern wird es nicht leicht gemacht, in heiliger Erde Ruhe zu finden. Was sie noch besitzen, wird ihnen abgepreßt. Körperlich und geistig und nicht zum wenigsten auch moralisch ganz heruntergekommen, an allen möglichen Krankheiten leidend, irren sie hungernd und dürstend umher, und nur wenigen gelingt es, in einer der zwar viel gelobten, aber doch fast gar nichts leistenden Wohlthätigkeitsanstalten für kurze Zeit Aufnahme zu finden. Da kann es freilich nicht ausbleiben, daß folgt, was Schiller, wenn auch aus anderer Veranlassung, sagt: »Da werden Weiber zu Hyänen.« Von allem entblößt und mit dem Tode des Verschmachtens kämpfend, sind sie auch zu allem fähig, um diesem Tode zu entgehen oder ihn doch so weit wie möglich hinauszuschieben. Diebstahl und Erpressung, - 10 - Raub und Mord müssen ihnen liefern, was ihnen die Gerechtigkeit oder Menschlichkeit versagt, und so kommt es, daß die heiligen Städte und ihre Umgebungen sich keineswegs der Sicherheit erfreuen, welche ihrer Berühmtheit angemessen wäre. Und wer sich vor diesen Verzweifelten sicher fühlen darf, den muß schon der Anblick der Kranken und Sterbenden empören, weiche allerorts herumliegen und auf ihr Ende warten, weil es niemand giebt, der sich ihrer erbarmen will. Wenn von den Abertausenden der herbeigekommenen Pilger nur ein Viertel stirbt, so nennt man das ein ausnahmsweise sehr gesundes Jahr. Das ist jedenfalls mehr als genug gesagt! Zufolge der großartigen Spenden und der ebenso großen Erpressungen besitzen Nedschef Ali und Kerbela mehr Reichtümer als wohl irgend eine andere Stadt des Orientes. Die Kuppel über Alis Grabmoschee wird Kuh-i-Sär (* Persisch = Berg des Goldes) genannt; der Boden des Innern soll aus reingoldenen Platten bestehen, und wenn man der Beschreibung der unterirdischen Gewölbe traut, so müssen diese Schätze enthalten, gegen welche alle Reichtümer von Golkonda keines Vergleiches würdig sind. In Kerbela sollen noch mehr Reichtümer als in Nedschef Ali liegen. Ein mit gediegenem Golde gedeckter Dom leuchtet den nahenden Pilgern entgegen. Wer dort ein Grab findet, dem werden selbst die schwersten Sünden vergeben und alle Thore des Himmels, selbst das siebente, sofort geöffnet. Es werden also wohl nicht die tugendhaftesten Schiiten sein, welche die größten irdischen Opfer bringen, um nach ihrem Tode hierhergebracht zu werden. Aber Kerbela wird auch von lebenden Missethätern aufgesucht. Vornehme Sünder geistlichen und weltlichen Stan- - 11 - des [Standes] fliehen, um der Hinrichtung zu entgehen, nach dieser Stätte, deren Asylrecht sie vor allen Verfolgungen schützt, und bleiben, nachdem sie sich die Erlaubnis dazu mit dem größten Teile ihres Vermögens erkauft haben, bis zu ihrem Ende da. Irdische Schätze und moralische Verworfenheit sind hier an einer und derselben Stelle aufgehäuft; man hat die »heiligen« Orte zu Ansammlungsstätten für körperlich und ethisch Tote gemacht, und nicht der große, Pestgestank verbreitende Pilgerzug allein, sondern auch jeder kleine Reisetrupp, welcher solche moralische Leichen nach dem ihnen einzig nur noch offenen Asyl bringt, müßte eigentlich als »Todeskarawane« bezeichnet werden. In neuerer Zeit ist es der Karwan el Amwat verboten, ihren Weg durch eng bewohnte Ortschaften zu nehmen; früher aber durfte sie mitten durch Bagdad ziehen. Sie kam durch Schedt Omer, das östliche Thor, herein und verließ, die Schiffbrücke benützend, die Stadt auf demselben Wege, den auch ich mit Halef damals und jetzt geritten war. Kaum war sie verschwunden, so ging der Pesthauch über die Kalifenstadt; die Seuche begann zu wüten, und Tausende fielen der muhammedanischen Gleichgültigkeit zum Opfer, welche sich mit der Ausrede behilft, daß »alles im Buche des Lebens verzeichnet stehe«. Im Jahre 1831 hatte die Stadt weit über hunderttausend Einwohner. Als die große Schiiten-Karawane sich näherte, welche diesmal weit größer und also auch gefährlicher als gewöhnlich war, begaben sich die hervorragendsten der dort wohnenden Europäer zum Pascha, um ihn zu bitten, ihr den Durchzug zu verweigern; aber alle ihre Bemühungen und Vorstellungen waren vergeblich. Das einzige, was sie erreichen konnten, war, daß - 12 - die Mullahs (* Hohe Geistlichkeit) gefragt werden sollten. Diese entschieden: »Das Verlangen der Christen ist eine Versündigung gegen den Kuran. Wenn die Pest diese Ungläubigen tötet, so geschieht ihnen recht, weil sie die heilige Lehre des Islam verwerfen. Sollten aber auch Gläubige sterben, so hat es Allah gewollt, welcher die Todesstunde jedes seiner Anbeter kennt, und sie gehen alle in den Himmel ein. Es darf also der Karawane nicht verboten werden, durch die Stadt zu ziehen.« Nach dieser Entscheidung wurde gehandelt, und die Folge war, daß die Seuche sich in einer noch nie dagewesenen Weise über die Stadt verbreitete. Es fielen ihr täglich Tausende zum Opfer; es half nichts, daß man sich vollständig abschloß und verkroch. Die Leichen konnten schließlich nicht mehr begraben werden; sie lagen verwesend auf den Gassen und in den Häuserwinkeln und verbreiteten Miasmen, welche durch die Mauern zu dringen schienen und täglich neue Opfer forderten. Die Stille des Grabes lag auf der unglücklichen Stadt; es gab sogar keinen Mueddin mehr, dessen Ruf zum Gebete vom Minareh herniederklang. Es gab weder Handel noch Wandel, weder Kauf noch Verkauf. Die Bäcker waren verschwunden, die Sakka'in (* Wasserträger) dahingerafft; man konnte selbst für viel Geld nichts Eßbares erhalten - das Gespenst des Hungers ging von Straße zu Straße, von Haus zu Haus, um hinter der Seuche grausige Nachlese zu halten. Unglücklicherweise gesellte sich zu diesem Unheile eine beispiellose Überschwemmung des Tigris, welcher die aus Erde bestehenden Mauern durchweichte und die ganze Stadt überflutet. In einer einzigen Nacht versanken fünftausend Häuser in seinen gierigen Wogen. Als sich die Wasser zurückgezogen - 13 - hatten, bildete der durchtränkte Boden einen einzigen, großen Seuchenherd, das Sterben dauerte noch lange fort, und als es endlich, endlich vorüber war, hatten zwei Drittel der Einwohnerschaft den Bescheid der Mullahs mit dem Tode bezahlt. Später ist das anders geworden. Besonders hat der so viel gepriesene und ebensoviel angefochtene Midhat Pascha unter den alten, unglücklichen Vorurteilen und Gepflogenheiten aufgeräumt. Die Leichenkarawane darf nur die Grenze des nördlichen Stadtbezirkes berühren, um mit möglichster Schnelligkeit über die Brücke zu gehen. Gewöhnlich wird ihr eine hohe Fahne mit dem persischen Wappen, ein Löwe, hinter dem die Sonne aufsteigt, vorangetragen. Dann folgen diejenigen Pilger, welche noch gut bei Kräften sind, hagere Gestalten mit sonnverbrannten Gesichtern, aus deren dunklen Augen die stolzeste religiöse Selbstüberschätzung spricht, Reiter auf Kamelen und Pferden, deren Sättel und Decken mit allerlei gleißendem Schmuck behangen sind, Fußgänger mit eingelegten Waffen, eintönige Gebetsformeln vor sich hinschnarrend und dabei mit haßerfüllten Blicken unter den Zuschauern nach Andersgläubigen suchend, um sie anzuspucken oder mit Schimpfworten zu bewerfen. Schwerbeladene Maultiere oder Esel tragen die Särge, in denen die »Gäste des siebenten Himmels« der islamischen Seligkeit entgegengetragen werden, einstweilen aber eine faulende Gallerte bilden, deren fürchterlicher Duft das Holz durchdringt und nichts weniger als himmlisch ist. Meist sind die kräftigeren Maultiere in der Weise beladen, daß rechts und links je ein Sarg hängt und der Reiter mit hoch emporgezogenen Beinen auf dem Sattel hockt. Die schwächeren Esel pflegen nur eine Leiche zu tragen, die - 14 - sich entweder in einem Sarge befindet oder in eine Decke geschnürt ist. Man erblickt Fußgänger, welche zu zweien eine Leiche tragen, dazwischen oft auch einen einzelnen, der einen Toten mühsam auf dem Rücken schleppt. Indem man für die übermäßig bepackten, unbarmherzig geschlagenen und mißhandelten, wund und blutig geriebenen oder gedrückten Tiere tiefes Mitleid hegt, fragt man sich, ob diese vom fanatischen Übermute aufgeblähten, im Vorüberpassieren auf uns schimpfenden und fluchenden Menschen eines ähnlichen Gefühls wert seien. Sie sind geradezu in Verachtung alles dessen, was nicht schiitisch ist, eingehüllt, und jede Miene ihres Gesichtes, jede Bewegung ihres Körpers oder auch nur ihrer Hand ist eine Beleidigung für den, den sie für andersgläubig halten. Je weiter der Zug vorübergeht, desto fragwürdiger werden die Figuren, die ihn bilden. Es kommen die Ärmeren, die ganz Armen, die Bettler und schließlich die Marodeure, das Gesindel. Sie gehen barfuß; ihre Kleidung ist zerrissen; oft besitzen sie nur einen einzigen Fetzen, um ihre größte Blöße zu verhüllen; an Stöcken und Knütteln, alten Gewehrschäften und Lanzenstücken humpeln oder schwanken sie vorbei; aber ihre Augen blicken stolz, und Verachtung wohnt selbst zwischen den häßlichen Runzeln ihrer Gesichter. Sie sind die von Allah allein Begnadeten, die von ihm für die Seligkeit Auserwählten, die bevorzugten Besitzer des Himmels, und wer nicht mit ihnen humpelt, nicht mit ihnen höhnt und speit, der ist ein verdammter Sohn des Teufels, ein verfluchter Erbe der tiefsten Höllenqualen. Sie haben sich wie indische Fakirs verunstaltet, sich Wunden beigebracht, mit Kamel-, Pferde- und noch anderem Mist beschmiert, als ob der Gestank der Leichen noch keine genügende Wonne für sie sei, und aus diesem Unflate heraus lassen - 15 - sie für Allah ihre Gebete und für die Menschen, an denen sie als Scheusale vorüberschwanken, ihre spott- und hohnvollen Schimpfreden schallen. Als ich bei unserer ersten Anwesenheit in Bagdad mich mit Halef unter den Zuschauern befand, bedeckte dieser infolge des Gestankes die Nase mit dem Zipfel seines Turbantuches. Einer der Perser bemerkte dies und trat herbei. »Sak - Hund,« rief er; »warum verhüllst du dir die Nase?« Halef verstand das Persische noch nicht; darum antwortete ich für ihn: »Glaubst du denn wirklich, daß die Ausdünstung dieser Leichen ein Geruch des Paradieses sei?« Er sah mich verächtlich von der Seite an und meinte: »Weißt du nicht, was der Kuran sagt? Er sagt, daß die Gebeine der Gläubigen nach Amber, Gul, Semen, Musch, Naschew und Nardjin (* Ambra, Rosen, Jasmin, Moschus, Wacholder und Lawndel) duften.« »Diese Worte stehen nicht im Kuran, sondern in Ferid Eddin Attars Pendnameh; merke dir das! Warum übrigens habt ihr euch denn selbst die Nase und den Mund verhüllt?« »Das sind die andern; ich bin es nicht!« »So beklage dich zunächst über die Deinen, und dann magst du zu uns kommen! jetzt haben wir nichts mit dir zu schaffen!« »Mann, deine Rede ist stolz! Du bist ein Sunnit. Ihr habt Herzeleid gebracht über den echten Kalifen und seine Söhne. Allah verdamme euch bis in die finsterste Tiefe der Hölle hinab!« Er wendete sich mit einer drohenden Handbewegung von uns ab, und wir hatten da gleich ein Beispiel des - 16 - unversöhnlichen Hasses, welcher - je länger, desto heller - zwischen Sunna und Schia lodert. Dieser Mensch wagte es, uns in der unmittelbaren Nähe einer Bevölkerung von Tausenden von Sunniten zu beschimpfen; wie erst muß es da einem Manne ergehen, den man in Nedschef Ali oder gar in Kerbela als Nichtschiit entdeckt! Ich will noch ein zweites Beispiel dieses fanatischen Hasses erwähnen. Wir, nämlich der Engländer Lindsay, der persische Prinz Hassan Ardschir Mirza, Halef und ich, folgten nebst noch anderen Personen damals der uns vorangezogenen Todeskarawane, deren Gestank noch auf dem Wege lag, obgleich inzwischen ein Tag vergangen war. Es schien uns ganz so, als ob wir uns in einem ungelüfteten, mit Pockenkranken angefüllten Spital befänden. Zuweilen überholten wir einen Pilger, welcher sich in Kerbela begraben lassen wollte, oder eine Gruppe von Schiiten, welche einem armen, abgetriebenen Tiere mehrere Leichen aufgebürdet hatten, die es schwitzend, keuchend und vielfach strauchelnd weiterschleppte, während hinter ihm die Luft durch den Todeshauch der Verwesung so verschlechtert wurde, daß sie fast nicht zu atmen war. Da saß am Wege ein Bettler, vollständig nackt, bis auf einen schmalen, um seine Lenden gegürteten Schurz. Er hatte seinem Schmerze um den ermordeten Hussein in folgender, höchst widerlichen Weise Ausdruck gegeben: die Oberarme und Schenkel waren mit spitzigen Messern durchstochen, und in die Unterarme, die Waden, in den Hals, durch die Nase, das Kinn und die Lippen hatte er von Zoll zu Zoll lange Nägel getrieben; im Unterleibe und in den Hüften hingen, in das Fleisch eingebohrt, eiserne Haken, an denen schwere Gewichte befestigt waren; alle anderen Teile seines Körpers waren mit - 17 - Nadeln gespickt, und in die nackt rasierte Kopfhaut hatte er lange Streifen geschnitten. Durch jede Zehe und jeden Finger war ein Holzpflock getrieben, und es gab an seinem ganzen Körper keine Stelle, welche nicht eine dieser schmerzhaften Verwundungen aufzuweisen hatte. Ich selbst bin ein durch und durch gesunder, überaus kräftiger Mann, dessen Natur - eine wahre Hippopotamusnatur - weder durch Hunger und Durst, Hitze und Kälte, Nachtwachen oder andere Anstrengungen so leicht angegriffen wird, aber einer solchen Mißhandlung meines Körpers würde ich wohl sehr bald erliegen. Zwar habe ich bei indischen Fakirs oft noch größere Verwundungen gesehen und weiß wohl, daß der religiöse Fanatismus über manchen Schmerz hinweghilft und daß ein Anhänger dieser neuen Lehren hier von Suggestion oder Hypnose sprechen würde, muß aber mein Erstaunen darüber ausdrücken, daß dieser Mensch so und überhaupt noch leben konnte. Es kam mir nicht bei, hier irgend einen Heroismus zu bewundern, sondern ich fühlte mich im Gegenteile und im höchsten Grade angewidert. Gern wäre ich mit abgewendeten Augen an dem blutrünstigen, von einem ganzen Schwarm von Fliegen und Mücken bedeckten Kerl vorübergeritten; aber er erhob sich bei unserem Nahen, streckte uns die Hände entgegen und rief uns an: »Dirigha Allah, waj Mohammed! Dirigha Hassan, Hosseïn!« Er war entsetzlich anzusehen; aber ich fühlte von Mitleid keine Spur in mir, sondern hätte ihm lieber eine Ohrfeige anstatt eines Almosens gegeben. Welch eine Dummheit, welch ein Unverstand, sich wegen des Todes eines Menschen - denn etwas anderes ist Hussein doch nicht gewesen - so scheußliche Martern zuzufügen! Und - 18 - dabei hielt sich dieser ekelhafte Kerl für einen Heiligen, dem nach dem Tode der oberste Rang des Paradieses sicher ist und der auch bereits hier auf der Erde neben reichlichen Almosen die demütigste Verehrung aller Menschen zu beanspruchen hat! Der Prinz, als reicher Perser und Schiit, warf ihm einen goldenen Tuman zu. »Hasgadag Allah - Gott segne dich!« belohnte ihn der Bettler für diese reiche Gabe. Lindsay griff in die Tasche und gab ihm einen Gersch zu zehn Piastern (* ca. 1 Mark 80 Pfennige). »Subhalan Allah - gnädiger Gott!« erklang es jetzt schon weit weniger belobend, denn nicht Lindsay, sondern Allah wurde als Geber bezeichnet. Ich gab nur einen Piaster. Der »Heilige« machte erst ein höchst erstauntes, dann aber ein sehr zorniges Gesicht und schrie mich an: »Azdar - Geizhals!« Dann fuhr er mit der Gebärde des Abscheues und immer steigender Schnelligkeit fort: »Azdari, pendsch Azdarani, deh Azdarani, hezar Azdarani, lek Azdarani - du bist ein Geizhals, du bist fünf Geizhälse, du bist zehn Geizhälse, du bist hundert Geizhälse, du bist tausend Geizhälse, du bist hunderttausend Geizhälse!« Er trat meinen Piaster unter die Füße, spie darauf und zeigte eine Wut, von welcher man nicht wußte, ob man über sie lachen oder sich vor ihr fürchten solle. Das war meinem kleinen, wackeren Halef denn doch zuviel; er duldete niemals eine Beleidigung, mochte sie nun gegen ihn oder gegen mich gerichtet sein; darum fragte er mich: »Sihdi, ich verstehe ihn nicht. Was heißt Azdar?« - 19 - »Geizhals,« antwortete ich ihm. »Allah'l Allah! Und wie heißt ein recht dummer, alberner Mensch auf persisch?« »Bisaman.« »Und ein recht grober Flegel?« »Dschaf.« »Ich danke dir, Sihdi!« Dann drehte er sich dem Schiiten zu, hielt ihm die flache Hand emporgerichtet entgegen, wischte sie am Beine ab, welche Gebärde als größte Beleidigung gilt, und rief: »Bisaman, Bisaman, Dschaf, Dschaf, Dschaf!« Was hierauf erfolgte, spottet jeder Beschreibung. Der »heilige Märtyrer« öffnete die Schleusen seiner Beredsamkeit und zeigte sich im Besitze von Schimpfwörtern und Drastika, welche unmöglich wiederzugeben sind. Wir beugten uns vor seiner Überlegenheit in dieser Beziehung, verzichteten auf die Fortsetzung dieser interessanten Unterhaltung mit ihm und ritten weiter. Was wir dann bei und mit der Todeskarawane erlebten, ist bereits erzählt worden und bedarf der Wiederholung nicht; es ging aber an unserem geistigen Auge vorüber, als wir nun jetzt nach Jahren in tiefer, nächtlicher Einsamkeit an demselben Wege saßen, den wir damals geritten waren. Das Gedächtnis brachte uns die damaligen Begebenheiten mit vollster Deutlichkeit und Schärfe zurück, und so kam es, daß wir auch jene entsetzlichen »Wohlgerüche des Paradieses« in unseren Nasen zu spüren schienen. Wir wußten, daß dies nur Täuschung war; die Luft drang mit balsamischem Hauche in unsere Lungen und verhieß uns einen stärkenden Schlaf. Nachdem wir unser einfaches Mahl verzehrt und auch für die Pferde gesorgt hatten, wickelten wir uns samt unseren Gewehren in die Decken und schlossen die Augen. Wir - 20 - konnten dies thun, denn ich durfte mich auf meinen außerordentlich leisen Schlaf verlassen, und unsere beiden Pferde waren darauf abgerichtet, uns jede Annäherung durch Schnauben zu verraten. An meinen Hengst geschmiegt, dem ich selbstverständlicherweise seine gewohnte Sure in das Ohr gesagt hatte, schlief ich bald ein und erwachte nicht eher, als bis ich von der jetzt im Frühjahre sehr fühlbaren Morgenkühle geweckt wurde. Da es hier am Wege kein Wasser gab, konnten wir die Pferde erst im Khan Iskenderijeh tränken; wir stiegen also auf und ritten zunächst diesem Ziele zu. Unter einem Khan versteht man hier das, was man im Abendlande nicht ganz richtigerweise ein Karawanenserai nennt. Die Khans oder Hans zwischen Bagdad und den Ruinen von Babylon sind von fast gleicher Bauart. Sie wurden von Persien aus zum Besten der Pilgerzüge gestiftet und bilden kleine, mit Mauern umgebene Festungen, welche genügenden Schutz gegen etwaige Überfälle der Beduinen bieten sollen. Unter einem Turme, der eine weite Umschau über die Wüste gestattet, tritt man durch ein starkes Thor in den Hof, welcher von gewölbten Gemächern umgeben ist. In der Mitte erhebt sich eine Plattform, auf welcher man des Nachts schläft und am Tage sich zum Abhalten der Gebete vereinigt. Hinten befinden sich die Unterkünfte für die Pferde und Kamele. Die Aufnahme in diese Khans braucht nicht bezahlt zu werden, doch kommt sie dem an Reinlichkeit gewöhnten Reisenden durch das vorhandene Ungeziefer teuer genug zu stehen und wird noch widerwärtiger für ihn, wenn ihn während seiner Anwesenheit das Unglück trifft, eine Leichenkarawane hereinziehen zu sehen, deren stinkende Särge vor ihm aufgestapelt werden. Und wenn er sofort die Flucht ergriff und erst am Nordpol inne- - 21 - hielt [innehielt], er könnte doch sicher sein, den Leichenduft noch dort auf dem ewigen Eise in seiner gequälten Nase zu spüren! Wir langten nach zwei Stunden bei dem Khane an und ritten durch das Thor. Dieser Ort ist groß genug, Hunderte von Menschen und Tieren zu fassen, war aber heut nicht sehr in Anspruch genommen. Die Anwesenden schenkten uns eine nicht gewöhnliche Aufmerksamkeit, worauf wir freilich uns persönlich gar nichts einzubilden brauchten, denn sie galt nicht uns, sondern unsern Pferden, zu denen man sich drängte, um sie unter Ausrufen der Bewunderung zu betrachten. Da uns dies lästig wurde, wendete ich mich an den Aufseher, welcher uns gegen ein Bakschisch von den Zudringlichen befreite. Als wir an dem Brunnen abstiegen, befanden sich schon zwei Männer dort, welche dasselbe thaten, was wir auch thun wollten; sie tränkten ihre Pferde. Wir wollten sie nicht stören, sondern warteten, bis sie fertig waren. Indem wir ihnen zusahen, bemerkte ich an dem Finger des einen einen silbernen Ring, der mir auffiel. Schärfer hinblickend, erkannte ich, daß die Platte desselben nicht rund oder quadratisch, sondern achteckig war. Ich trat rasch hin und gab mir den Anschein, als ob ich hinunter in das Wasser sehen wolle, ob auch für uns noch genug vorhanden sei, nahm dabei aber seine Hand in die Augen. ja, es war der Ring der Sillan. Die Inschrift bestand aus einem Sâ, welches mit einem Lâm verbunden war, und darüber stand ein Teschdid (* Verdoppelungszeichen), welches ich trotz seiner Kleinheit deutlich erkannte. Ein verstohlener Blick nach der Hand des andern zeigte mir, daß dieser auch einen genau solchen Ring an dem gleichen Finger trug. Diese zwei Männer waren Sillan. - 22 - Indem ich mir dies sagte, stieg in mir der Gedanke auf, ob das nicht eine gute Gelegenheit sei, die Wirkung unserer Ringe einer Probe zu unterwerfen. jetzt, indem ich dies erzähle und die späteren Ereignisse alle kenne, weiß ich freilich, daß die Ausführung dieses Gedankens eine große Unvorsichtigkeit war; damals aber schien sie es nicht zu sein. Was konnte es uns schaden, wenn auch wir für Sillan gehalten wurden! So fragte ich mich. Es konnte gar nichts Schlimmes, sondern höchstens eine Befriedigung unserer Wißbegierde darauf erfolgen, und das war doch jedenfalls nicht bös, sondern im Gegenteile angenehm. Was hätten wir von diesen zwei einfachen, gewöhnlichen Menschen fürchten können! Und wenn doch, so waren wir ja Männer, denen so kleine Unannehmlichkeiten nichts anzuhaben vermochten. Wieder zu Halef zurückgekehrt, zog ich die dem Pädär-i-Baharat und seinen Begleitern abgenommenen Ringe aus der Tasche, steckte mir den goldenen an, gab ihm einen der zwei silbernen und sagte: »Schieb schnell und unbemerkt diesen Ring an den Finger! Diese Männer sind Sillan. Ich bin neugierig, was sie thun oder sagen werden, wenn sie unsere Ringe sehen.« »Maschallah, das ist ein guter Gedanke!« lachte er leise, wobei seine Augen freudig aufleuchteten. »Vielleicht bringt uns diese Begegnung ein Abenteuer, von welchem wir später erzählen können. Wenn sie mich fragen, werde ich ihnen sagen, daß -« »Nichts wirst du ihnen sagen,« unterbrach ich ihn. »Das Sprechen überlässest du mir. Wir können nicht wissen, was wir erfahren und was geschieht, und müssen also vorsichtig sein.« »Aber Sihdi, ich muß doch wohl auch etwas sagen oder thun?!« - 23 - »Du hast mir in allem, was ich sage oder thue, beizustimmen; das ist es, was ich von dir verlange, weiter nichts! Und nun paß auf, und betrag dich ja nicht ungeschickt!« »Ich? Ungeschickt?« fragte er im Tone des Beleidigten. »Sihdi, hast du mich, deinen Freund und Beschützer, jemals ungeschickt gesehen? Hätte meine Hanneh, die holdeste der herrlichsten Rosen und Reseden der Mädchenparadiese, mich jemals als Mann ihres Herzens angenommen, wenn ich ein ungeschickter ---« Weiter hörte ich seine Worte nicht, denn ich hatte schnell meinen Tschibuk gestopft, ging wieder zu den Männern hin und bat den einen von ihnen, welcher rauchte: »Der Tabak ist die Speise der Seele, und sein Rauch trägt die Gedanken von der Erde empor. Ich habe kein Feuer und bitte dich, mein Herz zu erfreuen.« Eine so höfliche Bitte war nicht abzuschlagen. Ich hatte angenommen, daß er sich des gewöhnlichen, hier gebräuchlichen Feuerzeuges bedienen werde; er zog aber Zündhölzer aus dem Gürtel und brannte eins derselben an. Dieser an und für sich so geringfügige Umstand war für mich doch nicht ohne Bedeutung, denn er gab mir Anhalt zu Schlüssen, welche ich sonst nicht hätte ziehen können. Er war so höflich, das Feuer mir nicht in die Hand, sondern auf den Tabak zu geben. Dies benutzte ich, den Tschibuk so zu halten, daß sein Auge auf den Ring an meinem Finger fallen mußte. Was ich beabsichtigte, geschah; er bemerkte ihn, ließ vor Überraschung das noch brennende Hölzchen fallen und rief aus: »Abahraka'Ilah - gesegnet sei Gott! Was muß ich sehen an deiner Hand!« Ich hob die Hand warnend empor und warf einen - 24 - forschenden Blick rundumher. Da fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu: »Verzeih, o Herr! Meine Überraschung, dich schon hier zu finden, war so groß, daß ich die gebotene Vorsicht fast vergessen hätte!« Er hielt mich also für jemanden, der eigentlich nicht hier, sondern anderswo, vielleicht weit von hier, zu suchen war. Ich mußte sehr geschickt verfahren und fragte ihn also: »Wo vermutetest du mich?« »In Bagdad, wo du nicht eher als gestern erst angekommen sein kannst.« »Du hast das Richtige getroffen; ich habe mich aber dort nicht aufgehalten.« »Ist dir die Weisung des Säfir dort sogleich ausgehändigt worden?« »Ja.« Des Säfir! Dieses Wort wirkte wie ein elektrischer Schlag auf mich. Der Säfir war da! War das derselbe Säfir, von welchem der Bimbaschi erzählt hatte? Wo befand er sich? Welchen Zweck verfolgte er? Auf was bezog sich seine Weisung? Wer und was war ich? Oder, deutlicher gesagt, wer und was war der Mann, für den ich jetzt gehalten wurde? Diese und noch andere Fragen gingen mir durch den Kopf. Vielleicht war es möglich, die betreffenden Antworten herauszulocken. Der Mann sah jetzt meinen Halef forschend an, gewahrte den silbernen Ring an dessen Hand und richtete dann in sehr devotem Tone die Frage an mich: »Sei gütig, und verzeih, o Herr, wenn ich zu fragen wage, ob dieser Mann vielleicht Astab ist, von dem mir der Säfir sagte, daß er dich begleite!« »Er ist es,« nickte ich, indem mir die Ahnung auf- - 25 - ging [aufging], daß ich für den Pädär-i-Baharat gehalten wurde. Diese Ahnung verwandelte sich in Gewißheit, als der Mann weiterfragte: »Du hast dich während dieser Reise Kaßim Mirza zu nennen?« »Kaßim Mirza ist mein jetziger Name,« stimmte ich bei. Der Pädär-i-Baharat hatte sich mir gegenüber ganz desselben Namens bedient. Er bekleidete die Stelle eines nicht gewöhnlichen Sill, deshalb nahm ich eine würdevolle Haltung und den Ton eines Vorgesetzten an. Wie neugierig ich war und mein kleiner Hadschi erst, das läßt sich wohl leicht denken! Um nicht lange in Ungewißheit zu bleiben, hing ich meiner Antwort die Frage an: »Der Säfir hat dich also nach Bagdad geschickt, um mich dort aufzusuchen?« »Ja, o Herr.« »Er hat dir eine Botschaft an mich aufgetragen?« »Ja, o Herr.« Dieses »Ja, o Herr« konnte mir leicht gefährlich werden, wenn ich immer nur der Fragende sein und von ihm stets nur so kurze Antworten bekommen sollte. Darum fuhr ich in dringenderem Tone fort: »Welche Botschaft ist es? Sprich! Ich liebe es nicht, überflüssige Fragen zu thun.« »Verzeih, o Herr! Der Säfir ist sehr streng mit uns. Wir dürfen nur antworten, wenn wir gefragt werden, und müssen dann so kurz wie möglich sein. Ich habe dir zu sagen, daß du nicht in Bagdad bleiben, sondern sofort kommen sollst.« »Warum?« »Die Leichen< müssen bald eintreffen; sie werden nicht auf dem Karawanenwege gebracht, sondern sind der - 26 - größeren Sicherheit wegen auf dem Nahr Sersar nach dem Euphrat geschafft worden, wo sie auf Kelleks abwärts kommen.« »Wohin?« Er warf mir einen Blick halben Erstaunens zu und antwortete: »Das mußt du doch besser wissen als ich, o Herr!« Da hatte ich mich also beinahe verdächtig gemacht! Ich lenkte also schnell ein: »Natürlich kenne ich die gewöhnliche Stelle; ich dachte aber, der Säfir habe für diesmal, weil du von einer größeren Sicherheit sprachst, eine andere bestimmt.« »Die bisherige Stelle ist die beste, die es giebt; es ist also kein Grund vorhanden, eine andere zu wählen.« Ich fragte mich im stillen, um welchen Transport es sich eigentlich handle. Um »Leichen«! Er hatte diesem Worte eine eigentümliche Betonung gegeben. Eigentliche, wirkliche Leichen waren wohl nicht gemeint, was aber sonst? Bedienten sich die Sillan etwa einer Geheimsprache, etwa in der Weise, wie unsere Verbrecher untereinander in der Kochemer Loschen (* Diebes- oder Gaunersprache) sprechen? Ich wollte das gern wissen und fragte darum, obgleich ich dabei riskierte, nun einen wirklichen Fehler zu begehen: »Weißt du, was es diesesmal für Leichen< sind?« Ich betonte dabei das Wort »Leichen« genau so wie vorhin er. Er faßte keinen Verdacht und antwortete in gutem Vertrauen: »Wenn du es nicht weißt, so weiß es der Säfir jedenfalls auch noch nicht. Der Absender wird Gründe gehabt haben, es geheim zu halten. Aber diese Leichen< sind nur das Eine, wovon ich dir sagen soll; es giebt noch etwas Anderes, was viel wichtiger zu sein scheint.« - 27 - »Was?« »Die Karwan.« »Welche?« »Das mußt du doch am besten wissen!« Es schien, als ob er wieder Argwohn fassen wolle; darum nahm ich einen strengeren Ton an und sagte: »Drücke dich höflicher aus, sonst zeige ich dir, wie du mit mir zu sprechen hast! Wohl weiß ich es am besten; aber du redest von einer Karwan im allgemeinen, und da wir es oft mit Karawanen zu thun haben, so kannst du in diesem Falle eine ganz gewöhnliche meinen und nicht die, auf welche wir es besonders abgesehen haben. Wenn du etwa nicht klug genug bist, dies einzusehen, und auch ferner nicht deutlicher reden kannst, werde ich für ähnliche Fälle vom Säfir andere Boten verlangen, die weniger dumm und höflicher sind als du!« Da hauchte er vor Schreck förmlich zusammen und sagte in flehendem Tone: »Thue das nicht, o Herr, nur das nicht! Du weißt ja, was es mich kosten würde! Verzeihe mir, verzeihe mir! Ich habe natürlich keine andere, als die Karwan-i-Pischkhidmät Baschi (* Karawane des obersten Kammerherrn) gemeint, von deren Aufbruch du den Säfir unterrichtet hast.« »Khudaya schukr - Gott sei Dank! jetzt wirst du deutlicher! Ich rate dir, es stets zu sein, denn ein Bote, der in Rätseln spricht und den Mund nicht öffnen kann, ist nicht zu brauchen. ja, ich habe ihn von ihr benachrichtigt. Was läßt er mir nun sagen?« »Er hat Späher nach ihr ausgesandt, die ihn benachrichtigt haben, daß sie heut oder morgen in Bagdad eintreffen wird. Du könntest ihr zufällig begegnen und dabei erkannt werden, Darum mußt du schnell von Bag- - 28 - dad [Bagdad] fort und zu ihm kommen. Dies war es, was ich dir noch zu sagen hatte.« »Was noch?« »Weiter nichts.« »Da du mich glücklicherweise schon hier getroffen hast, brauchst du nun nicht nach Bagdad zu reiten. Das wird euch wohl willkommen sein. Ihr reitet also mit mir zu ihm zurück!« Ich sagte das in befehlendem Tone, obwohl ich die Kerle im stillen nun dahin wünschte, wo der Pfeffer wächst und zwar alle beiden Arten, der schwarze und der weiße. Wenn ich sie mitnehmen mußte, setzte ich mich und Halef Widerwärtigkeiten aus, die uns zwar nicht gefährlich zu werden brauchten, uns aber sehr unangenehm werden konnten. Zu meiner Freude aber fiel er schnell ein: »Verzeih, o Herr, daß wir nicht mit dir reiten können, weil wir auch hinüber oder vielmehr hinauf nach Madaïn müssen!« »Nach Madaïn? Also nicht nur hinauf nach Bagdad zu mir?« »Nein. Wir sollten zunächst dich aufsuchen und dann den Tigris abwärts nach Madaïn gehen. Das würde uns erst hier aufwärts und dann drüben wieder abwärts geführt haben, ein sehr langer Weg, den wir uns nun dadurch kürzen können, daß wir von hier aus gleich direkt hinüberreiten.« »Dann kommt ihr wieder zum Säfir?« »O nein. Wir haben dann noch, ehe wir zurückkehren können, eine wichtige Botschaft von ihm nach Kut el Amara zu bringen.« Dieser Säfir schien sehr ausgebreitete Verbindungen zu unterhalten! Dies ging mich aber weiter nichts an, - 29 - als daß es mir in diesem Augenblicke sehr lieb sein mußte. Der Weg von hier nach Madaïn betrug acht Stunden, von da nach Kut el Amara zwölf und von dort nach den Ruinen von Babylon, wo ich den Säfir vermutete, wieder vierzehn Stunden. Selbst wenn die beiden Sillan sich mit ihren nicht sehr kräftig aussehenden Pferden noch so sehr beeilten, mußten sie sich doch Zeit zum Essen und Schlafen nehmen und konnten also, wie ich ihre Leistungen nach ihrem Äußeren schätzte, unter zwei und einem halben Tag nicht bei dem Säfir eintreffen. Indessen waren wir, da wir ja bloß einige Punkte kurz besuchen wollten, längst wieder auf dem Rückwege und hatten also keine zweite, uns in Verlegenheit setzende Begegnung mit ihnen zu erwarten. Dies beruhigte mich so, daß ich die freilich etwas zudringliche Frage wagte: »Welche Botschaften habt ihr nach Madaïn und Kut el Amara zu bringen?« »Nimm es nicht übel, O Herr, das sollen wir verschweigen!« »Auch gegen mich?« »Gegen jedermann, und da der Säfir dich nicht als Ausnahme genannt hat, müssen wir dich als mitinbegriffen halten.« »Recht so! Das gefällt mir von dir! Man darf selbst einem Vorgesetzten zuliebe nicht von seiner Pflicht abgehen. Hat der Säfir euch vielleicht eine gewisse Stelle angegeben, wo ich ihn treffen soll?« »Du kennst sie ja, o Herr!« »Gewiß! Aber er hält sich doch nicht stets dort auf und könnte euch gesagt haben, wo er dann anderwärts zu finden ist.« »Wenn er nicht da ist, wirst du auf ihn warten sollen. Das Tamariskengestrüpp so weit oberhalb von - 30 - Hilleh ist groß und dicht genug, dich und alle, die du dort findest, zu verbergen. Selbst heut noch kommt kein Mensch mehr hin, seitdem die große Mordthat dort begangen wurde. Man hätte doch fast zwei Stunden weit über heißen Sand zu gehen, und die Geister der Erschlagenen gehen Tag und Nacht umher, wie die Bewohner von Hilleh alle glauben. Du bist, o Herr, dort noch sicherer als im Schoße Ibrahims (* Abrahams)!« »Gut! Ihr habt mir also wirklich gar nichts mehr zu sagen?« »Gar nichts; aber --- oh doch! Da fällt mir noch ein: Er sagte, etwas wissest du noch nicht, und diese Unkenntnis könnte dich unterwegs vielleicht zu einem Fehler verleiten. Er ist nämlich wegen der Karwan-i-Pischkhidmät Baschi mit den Ghasai-Beduinen eine Verbindung eingegangen; ein Trupp von ihnen hat sich hier zerstreut und giebt sich, um keinen Verdacht zu erregen, für Solaib-Araber aus. Das sollen wir dir sagen, weil du es wissen mußt. Und nun haben wir dir wirklich gar nichts mehr mitzuteilen, o Herr!« »Gut! Ich bin mit euch zufrieden, und ihr habt ein Bakschisch verdient; das werdet ihr von mir erhalten, wenn wir uns in Hilleh wiedersehen. Wann seid ihr von dort aufgebrochen?« »Gestern abend.« »So werdet ihr in Madaïn euch tüchtig ausschlafen müssen. Säumt also nicht hier, sondern macht, daß ihr hinüberkommt!« »Wir werden sofort aufbrechen, denn unsere Pferde sind satt geworden; wir haben hier nichts mehr zu suchen. Allah sei mit dir! Dour-i sär-ät bigär-där, Agha (* Ausdruck der Höflichkeit gegen Höherstehende) - ich will dein Haupt umkreisen, o Agha!« - 31 - Sie stiegen auf und ritten zum Thore hinaus. Halef führte nun unsere Pferde an das Wasser, und während er ihnen zutrinken gab, blinzelte er mich pfiffig-lustig an und sagte: »Allah macht Köpfe hell und Köpfe dunkel; der deinige strahlte wie die Sonne am Himmel; die ihrigen aber waren umnachtet mit der Finsternis des Unverstandes, sodaß ich in die Tiefen ihrer Klugheit wie in einen dunklen Brunnen schaute, in dem kein Tropfen Wasser zu finden ist. Dein Auge hat sie durchschaut, wie die Sonne durch die Scheiben des Glases blickt; sie hingegen halten dich für einen andern Menschen, von dem wir mit Überzeugung sagen können, daß er weder er ist noch du bist. Sie haben sich einer so albernen Vermischung dreier Persönlichkeiten schuldig gemacht, daß selbst ich sie kaum wieder auseinander bringe, der ich doch Hadschi Halef Omar, der berühmte Oberscheik der Haddedihn bin vom großen Stamme der Schammar!« »Wird. dir dieses Auseinanderbringen denn wirklich gar so schwer?« fragte ich lachend. »Leicht ist es nicht, Sihdi, denn ich habe nicht alles verstanden, weil von drei Personen und vier Ortschaften die Rede war, die ich wieder vermischte. Während von diesen Personen gesprochen wurde, ritt meine Seele zwischen Bagdad, Madaïn, Kut el Amara und Hilleh immer hin und her, ohne Einsicht in die Tiefen der Weisheit zu finden, welche über deine Lippen floß.« »Es handelt sich nicht um drei, sondern nur um zwei Personen.« »Nein, um drei. Du, der Säfir und der Pädär-i-Baharat; ihr seid doch drei Personen; das wirst du mir nicht bestreiten wollen. Diese Leute wurden so durch- und ineinander gemengt, daß ich jetzt nicht weiß, ob du - 32 - der Pädär oder dieser der Säfir oder der Säfir du oder du der Säfir oder aber der Säfir der Pädär sein soll. Mit wem bist du denn eigentlich verwechselt worden, und wie muß ich es anfangen, dich mit ihm, und euch dann mit dem dritten auseinanderzubringen?« »Der Sill hat mich für den Pädär-i-Baharat gehalten; das mußt du doch verstanden haben!« »Mit dem Pädär-i-Baharat? Wenn er das gethan hat, so konnte es nicht verstanden werden, denn es war ja gar kein Verstand dabei! Wer dich, den berühmten Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi, für diesen Schurken hält, der verdient durchgepeitscht zu werden. Hätte ich diese Frechheit des Sill durchschaut, so wäre meiner Kurbadsch eine Arbeit geworden, von welcher der Rücken dieses Menschen noch lange hätte erzählen können! Aber nun du mir das gesagt hast, begreife ich alles andere: Der Säfir, dieser Feind unseres guten Bimbaschi, befindet sich in Hilleh?« »In der Nähe von Hilleh. Sein Versteck liegt in einem Tamariskengebüsch zwei Stunden oberhalb der Stadt. Er ist dort wohlgeborgen, weil man außer der Beschwerlichkeit des Weges auch die Geister der Erschlagenen scheut, welche dort umgehen.« »Gut, sehr gut! Das gefällt mir außerordentlich! Ich werde auch dort umgehen und ihm als Geist erscheinen! Und ich werde einen andern Geist mitnehmen, der aus der Haut eines Nilpferdes gefertigt worden ist! Und dieser Geist wird auch umgehen, sehr umgehen, außerordentlich kräftig umgehen, aber nicht im Wasser oder am Ufer, sondern auf seinem Rücken! Er wird so lange auf diesem Rücken umgehen, bis der Säfir selbst auch ein Geist geworden ist, nämlich ein Geist der Wehmut und der Klage über die Hiebe, die er von mir bekommen hat, - 33 - weil er unsern lieben Bimbaschi um sein Geld und seine Stellung brachte! Was wird der Schurke dort in seinem Versteck wohl treiben?« »Du hast ja gehört, daß er auf Leichen wartet.« »Die gönne ich ihm; ich wünsche, daß er sie bekommt! Mag er sie verzehren in jeder Weise, die ihm beliebt, gekocht, gebacken, gebraten oder gleich frisch aus dem Sarg heraus! Aber war nicht auch von einer anderen Karawane die Rede?« »Ja, von der Karwan-i-Pischkhidmit Baschi.« »Das verstehe ich nicht. Ich spreche jetzt doch ziemlich gut persisch, aber was ein Pischkhidmät Baschi ist, das weiß ich nicht.« »Dieses Wort bedeutet einen Farrasch-Baschi (* Oberster der Kammerdiener) oder wenigstens so etwas ähnliches, also einen Hofbeamten des Schah-in-Schah.« »Also einen hohen Angestellten, der sich jetzt unterwegs bei einer Karawane zu befinden scheint?« »Ja.« »Was hat der Säfir mit diesem vor?« »Das weiß ich nicht.« »Du weißt es nicht? O Sihdi, wie tief betrübst du meine Seele! Dein Auge ist doch sonst so scharf, und dein Ohr pflegt alle Töne zu vernehmen, vom Brausen des Sturmes und dem Schlage des Donners herab bis zum lieblichen Gesange der Ssaraßur (* Plural von Ssarßur - Grille) . Und die Absichten dieses Säfir, der doch tausendmal größer als eine Grille ist, sind dir verborgen geblieben!« »Hast etwa du sie durchschaut?« »Nein. Warum fragst du denn mich? Ich bin nur da, um dein Beschützer, Behüter und Bewahrer zu sein; - 34 - weiter habe ich nichts zu thun; aber wenn es sich um geheime Absichten handelt, welche durchschaut und entdeckt werden sollen, so bist du es, der nachzusuchen und nachzuforschen hat, bis er die im Säfir steckende Grille findet.« »Eine Grille zirpen zu hören und die geheimen Absichten eines voller Arglist steckenden Verbrechers zu durchschauen, daß sind zwei sehr verschiedene Dinge; zu dem einen gehört nur ein offenes Ohr, zu dem andern aber mehr, viel mehr.« »Dieses Mehr< solltest du aber doch besitzen, Sihdi!« »Du ebenso!« »Ich bitte dich, verlange dies jetzt nicht von mir! Du weißt, daß mir alle Gaben des Verstandes und der Weisheit verliehen worden sind; aber seit ich diesen Ring des Sill am Finger habe, ist es mir, als ob ich vor den Kopf geschlagen worden sei. Ich habe dich aus der Verwechslung mit dem Pädär und diesen aus der Vermischung mit dem Säfir befreit; mehr kann ich heut nicht thun. Denke nach, so wirst du es finden!« »Das habe ich schon gethan; du aber verstandest meine Antwort nicht. Was der Säfir mit der Karawane des Kammerherrn will, das kann ich nicht wissen, aber doch vermuten.« »Nun, und was vermutest du?« »Daß er sie mit Hilfe der von ihm angeworbenen Ghasai-Beduinen überfallen will. Aus dieser Verbindung mit den Ghasai ziehe ich übrigens den für uns vielleicht wichtigen Schluß, daß er entweder nicht genug Sillan bei sich hat, oder daß diese sich zum Überfalle einer Karawane nicht hergeben würden, weil sie keine Räuber und Mörder sind, sondern weniger verbrecherische Aufgaben verfolgen.« - 35 - »Aber der Pädär-i-Baharat war auch ein Sill und wollte uns doch morden!« »Das kann eine Ausnahme gewesen sein. Du hattest ihn geschlagen, und wir wissen, daß Schläge nur mit dem Blut abgewaschen werden können.« »Ich glaube nicht an eine Ausnahme, Sihdi. Nun denke ich, wenn der Säfir die Karawane des Kammerherrn überfallen will, muß er sich doch gute Beute von ihr versprechen?« »Allerdings. Daß er dies thut, ist leicht begreiflich, obgleich ich auch da keine Gewißheit, sondern nur eine Vermutung hege. Diese Vermutung hängt mit der Majdana koma (*Ausstellung) in Paris zusammen.« »Paris, die Hauptstadt der Franken? Eine Majdana koma, wo alles gezeigt wird, was ein Volk geschafft und gearbeitet hat? Wie hängt diese mit dem Säfir und dem geplanten Überfalle zusammen?« fragte er erstaunt. »Sihdi, du bist der klügste Mann unter allen, die ich kenne; deine Gedanken sind so scharf und zutreffend, daß ich oft, sehr oft mit Bewunderung geglaubt habe, daß dir nichts verborgen bleiben könne, aber den Säfir kannst du unmöglich mit Paris und der Majdana koma zusammenbringen!« »Ich werde es wenigstens versuchen. Der Schah hat nämlich die Absicht, nach Paris zu reisen, um diese Majdana koma zu sehen; alle seine Beamten sind damit einverstanden; aber die Geistlichkeit ist dagegen; er jedoch weiß ebensogut wie jeder andere Moslem, wie man diese frommen Leute zur bessern Einsicht bringen kann: man muß sie kaufen. Diese schiitischen Geistlichen sind alle für Gold zu haben, vom obersten Imam-Dschuma bis - 36 - herunter zum niedrigsten Mullah. Man beschenkt einige Moscheen, giebt einigen einflußeichen Imams einen klingenden Händedruck, und wenn das noch nicht hilft, so greift man zum untrüglichsten und wirksamsten Mittel, welches noch nie vergeblich angewendet worden ist, nämlich man sendet eine Karwan-i-Raschwa (* Karawane der Bestechungsgeschenke) nach den heiligen Städten und kann dann sicher sein, daß der Erfolg nicht auf sich warten läßt. Die Priesterschaft von Meschhed Ali und Kerbela hat auf die Anhänger der Schia einen Einfluß, mit welchem sich derjenige aller hohen und niederen Imams nicht vergleichen läßt.« »Weiter, Sihdi! Ich beginne jetzt zu begreifen. Du stehst im Begriff, meinen vorhin ausgesprochenen Zweifel zu besiegen.« »Eine solche Karwan-i-Raschwa vertraut man nur einem treuen und wohlgeprüften Manne an, den man genau kennt, von dem man weiß, daß man sich auf ihn verlassen kann. Und wen kennt der Schah bei den an seinem Hofe herrschenden Verhältnissen wohl genauer als seine Kammerherren? Unter diesen Vertrauten sucht er sich den vertrautesten und zuverlässigsten heraus, um ihm die reichen Gaben mit den ebenso wichtigen, wie geheimen Aufträgen zu übergeben, und wenn der Transport dann aufgebrochen ist, kann er ebensogut eine Karwan-i-Raschwa wie eine Karwan-i-Pischkhidmät Baschi genannt werden, weil ein Pischkhidmät Baschi, ein Kammerherr, sich an ihrer Spitze befindet.« »Das klingt freilich so einfach,« gestand der Hadschi, »daß ich mich darüber wundere, es nicht selbst erdacht zu haben.« »Ich werde noch weiter denken, lieber Halef: Warum - 37 - wird der betreffende Reisezug die Karawane des Kammerherrn genannt? Würde sich ein Kammerherr irgend einer Karawane zufällig anschließen, so gäbe es keinen Grund, sie nach ihm zu benennen; sie würde die Hauptsache sein, und er befände sich bloß als Mitglied wie jedes andere bei ihr. Die Bezeichnung als seine Karawane giebt aber Grund zu dem Schlusse, daß er das Haupt und sie von ihm abhängig sei; er ist nicht zufällig gekommen, sondern er hat sie gebildet; er ist ihr Unternehmer und Gebieter. Wenn ich hiermit das Richtige treffe, so muß ich fragen, welchen Grund ein Kammerherr haben kann, eine Karawane zu bilden? Gewiß nicht aus eigenen Mitteln und zu eigenem Zwecke; er handelt jedenfalls im Auftrage eines andern und dieser andere wird mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nur der sein, dessen Kammerherr er ist. Ich bin dabei der Ansicht, daß die Bezeichnung &Karawane des Kammerherrn< keine öffentliche, amtliche oder von dem Unternehmer beabsichtigte ist; ich denke vielmehr, daß sie nur von dem Pädär-i-Baharat und dem Säfir in dieser Weise bezeichnet wird. Und das bringt mich auf einen ferneren Beweis dafür, daß ich nicht falsch geraten habe.« »Es sollte noch einen Beweis geben?« fragte Halef. »Ich fände keinen!« »Es giebt noch mehrere, doch dieser eine genügt zum Schluß. Du hast gehört, daß der Pädär-i-Baharat den Säfir über die Karawane unterrichtet hat; er ist in Persien, wahrscheinlich in der Hauptstadt, gewesen und hat das Vorhaben des Kammerherrn erlauscht. Eine auf Befehl des Herrschers unternommene Reise zum Zwecke der Überbringung wertvoller Geschenke wird gewiß möglichst geheim gehalten, zumal die von ihr verfolgte Absicht gegen die bisherige Stimmung der Geistlichkeit ge- - 38 - richtet [gerichtet] ist. Es hat also jedenfalls viel Zeit, viel Aufmerksamkeit und List, viel Geld, um irgend einen oder mehrere Wissende zu bestechen, also ungewöhnliche Opfer gekostet, in dieses Geheimnis einzudringen, und wenn dies alles dem Pädär-i-Baharat nicht zuviel gewesen ist, so muß es sich um eine außerordentlich lohnende Sache handeln. Er hat dann von Persien aus einen Boten hierhergesandt, und der Säfir hat der Karawane Kundschafter entgegengeschickt; auch das sind Umstände, welche darauf schließen lassen, daß diese Karwan-i-Pischkhidmät Baschi von großer Wichtigkeit für diese beiden ist, wahrscheinlich von größerer noch, als die sogenannten Leichen<, welche auf dem Euphrat herabkommen werden.« »So meinst du wohl, daß sie auch für uns wichtig ist, Effendi?« »Jetzt noch nicht; sie kann es aber unter Umständen werden. Wir beabsichtigen kein Zusammentreffen weder mit dem Pädär-i-Baharat noch mit dem Säfir; aber wenn es dennoch stattfinden sollte, so müssen wir freilich gewärtig sein, mit in diese geheimnisvolle Angelegenheit gezogen zu werden, denn wir haben den Säfir vor und den Pädär hinter uns, und der Ort, an welchem sie sich treffen wollen, ist zugleich derjenige, den wir beabsichtigen, aufzusuchen. Es giebt wahrscheinlich nur ein Mittel, sie zu vermeiden.« »Welches?« »Auf den Besuch der Stätten, welche wir sehen wollen, zu verzichten und nach Bagdad zurückzukehren, wobei wir, um nicht auf den Pädär zu treffen, einen andern Weg einzuschlagen hätten.« »Das fällt mir nicht ein, Sihdi! Was ich mir einmal vorgenommen habe, das wird ausgeführt; am allerwenigsten würde ich wegen dieser Kerls darauf verzichten; - 39 - denn das würde grad so aussehen, als ob wir uns vor ihnen fürchteten. Wir haben beschlossen, nach den Ruinen von Babylon zu reiten, und werden es auch thun. Oder bis du etwa anderer Meinung?« »Nein.« »So laß uns aufbrechen! Die Pferde haben getrunken, und unser kleiner Wasserschlauch ist bald gefüllt. Mag kommen, wer da will, die Sillan oder andere Halunken, ich bin in jedem Augenblicke bereit, ihnen mit meiner Peitsche zu erklären, daß ihnen die Gefühle meines Herzens mit großer Lebhaftigkeit entgegenschlagen; hörst du wohl, Effendi, entgegen --- schlagen, habe ich gesagt!« Er zog bei diesen Worten die Kurbadsch aus dem Gürtel und machte mit ihr einige pfeifende Hiebe durch die Luft. Um diese seine Energie auf das richtige Maß zurückzuführen, antwortete ich: »Laß die Peitsche da, wo sie war! Wir haben uns vor Unbesonnenheiten zu hüten, und du weißt, daß wir deiner Hanneh versprochen haben, alles zu vermeiden, was uns unnötigerweise in Gefahr bringen kann.« »O, was das betrifft, Sihdi, so kenne ich meine Hanneh, welche dem Sonnenaufgange mit allen seinen Schönheiten und seinen wunderbaren Herrlichkeiten gleicht: Sie ist besorgt um die Gesundheit meines Körpers und um die Sicherheit meines Lebens, doch auch um meinen Ruhm. Sie will mich nur mit ganzen, unverletzten Gliedern haben, aber sie will auch stolz sein dürfen auf die Thaten meiner Tapferkeit. Sie verlangt zwar von mir, vorsichtig zu sein, würde sich aber meiner schämen, wenn sie erführe, daß ihr Halef nicht mehr der mutige Krieger sei, der er stets gewesen ist. Du hast mir einmal von einer wackeren Mutter erzählt, welche zu ihrem - 40 - in den Kampf ziehenden Sohne sagte, er solle entweder als Sieger oder auf dem Schilde, also als Leiche, die man auf den Schild gebettet hat, zurückkehren; ich will meiner Hanneh beides bieten- ich werde als lebendiger Sieger auf dem Schilde bei ihr einziehen, denn als verstorbene Leiche meine Arme um ihren verwitweten Hals zu schlingen, das fällt mir gar nicht ein, und das habe ich dir auch bereits einmal gesagt. Ist deine Dschanneh vielleicht anders gesinnt als die holde und unvergleichliche Besitzerin meines Frauenzeltes? Hat sie deinen Körper und die Unverletzlichkeit deiner Glieder etwa lieber als deinen Ruhm, als die Ehre, das Weib eines Mannes zu sein, vor dem alle Schurken zittern und den alle Halunken fürchten?« »Was das betrifft, so kann ich dich beruhigen; meine Dschanneh, mit welcher sich keine Haremsbewohnerin der ganzen Erde vergleichen kann, möchte auch keinen Feigling zum Manne haben.« »Das freut mich um ihretwillen, doch bitte ich dich, in dem Lobe, welches du ihr jetzt brachtest, eine Ausnahme gelten zu lassen. Wenn du sagst, daß keine sich mit ihr vergleichen könne, so mußt du bedenken, daß mich das sehr betrüben muß, indem du deine Dschanneh über meine Hanneh stellst!« »Darf ich meine Frau nicht ebenso loben wie du die deinige?« »Ja; aber es darf nicht so weit gehen, daß meine Hanneh sich vor deiner Dschanneh tief verneigen müßte. Lassen wir es bei dem Übereinkommen, daß sie beide unvergleichlich sind! So, nun habe ich den Wasserschlauch an den Sattel gebunden und wir können fort.« »Ja, reiten wir weiter! Wollen aber nicht vergessen, die Ringe der Sillan von den Fingern zu ziehen und wieder einzustecken.« - 41 - »Warum?« »weil wir nur dann, wenn es uns beliebt, wenn es uns Nutzen bringt, für Sillan gelten wollen. Wenn jeder Sill, der uns begegnet, uns für seinesgleichen hält, können wir in unangenehme Lagen kommen.« »Das ist richtig, Effendi. Stecken wir sie also ein, bis wir sie wieder brauchen, den Sillan zu zeigen, daß unsere List hoch über ihrer Klugheit steht.« Wir stiegen wieder auf und verließen den Khan. Die Karawanen pflegen, wenn sie nach Hilleh gehen, von hier aus noch die Khans Nasrijeh und Mohawid aufzusuchen; wir aber unterließen dies, weil wir jede uns nicht willkommene Begegnung vermeiden und gern auch denselben Weg reiten wollten, den wir damals eingeschlagen hatten, um durch das Umbiegen der Todeskarawane ihren Gestank zu vermeiden. Ich spreche zwar von einem Wege, aber es war keiner vorhanden. Wir ritten über freies Feld oder vielmehr über die offene, ungebahnte Wüste, wobei wir sehr viele alte, längst ausgetrocknete Kanäle und Gräben zu passieren hatten. Zwar hatte ich mich damals schon im Fieberstadium der Pest befunden, in einem traumhaften Zustande, der es mir unmöglich gemacht hatte, mir die Gegend einzuprägen, dennoch aber erkannten wir heut jeden sich nur einigermaßen aus der Öde hervorhebenden Punkt, an welchem wir vorübergekommen waren. »Hier war es, Sihdi,« sagte Halef, indem er sein Pferd anhielt, »wo wir damals abstiegen, um die größte Tageshitze vorüberzulassen und wo mir dein Aussehen aufzufallen begann. Dein Angesicht war grau, und dunkle Ringe zogen sich um deine lieben Augen. Ich mußte dir Wasser und Essig geben, aber dein Blick blieb dennoch ohne Seele, und ich begann zu ahnen, daß du alle deine - 42 - Kräfte anstrengtest, um aufrecht zu bleiben, und mir das verschwiegest, um mein Herz nicht zu betrüben.« »Ja, es war eine schlimme, schlimme Zeit, lieber Halef,« nickte ich. »Ich war kein Mensch mehr, sondern nur ein Schemen. Indem wir über die Wüste jagten, flog sie wie ein trostloses Hirngespinst an mir vorüber, und die Menschen, welche bei mir waren, glichen schattenhaften Phantomen. Wenn es dir recht ist, werden wir uns nach der damaligen Zeiteinteilung richten und heut an derselben Stelle am Birs Nimrud übernachten.« »Ganz wie du willst, Effendi. Wie lange haben wir noch bis Hilleh zu reiten?« »In der Richtung, welche wir genommen haben, sind es wohl vier Stunden.« »So kommen wir in der größten Sonnenglut dort an und können sie vorüberlassen, ehe wir dann weiterreiten.« Ich hatte mich mit der erwähnten Zeitbestimmung nicht getäuscht. Gegen Mittag erreichten wir die am linken Euphratufer liegenden Palmenpflanzungen. Wir sahen die Ruine EI Himmar rechts vor uns liegen, dann die Höhe des Bab el Mudschellibeh und den Hügel Qasr, welcher die Überreste der einstigen Königsburg darstellt, in deren Räumen Alexander der Große starb. Der näher liegende Hügel Amran Ibn Ali trug wahrscheinlich die berühmten hängenden Gärten der Semiramis. Auch links sahen wir eine Menge Ruinen liegen, deren gewaltigste noch heutigen Tages Babel heißt. Die muhammedanische Sage erzählt, daß in ihrem Innern die beiden gefallenen Engel Harut und Marut an den Beinen aufgehängt worden seien und noch jetzt in derselben Stellung dort hängen. Als wir Hilleh erreichten, ritten wir über die Schiffbrücke hinüber und kehrten in einem Menzîl (* Arabisches Gasthaus) ein, - 43 - welches wir dem Khan vorzogen, weil es grad heut keine Gäste hatte, dafür aber ein ziemlich großes, unterirdisches Gemach, dessen Kühle eine wahre Wohlthat war. Als wir die Pferde unter ein Schutzdach gestellt und mit Futter und Wasser versehen hatten, stiegen wir da hinab, wo Halef sich, während ich mich auf ein Kissen legte, mit Erlaubnis des Wirtes in die Matbach (* Küche) begab, um mit eigenen Händen für uns ein Huhn mit Reis zu bereiten. Hilleh ist ganz aus den Ziegeln der babylonischen Trümmerhaufen erbaut worden und bildet den Hauptort des Bezirkes Divanijeh. Hier trennen sich für die Karawanen die Wege nach Kerbela und Nedschef Ali. Unter den öffentlichen Gebäuden ist die Moschee Esch Schems (* Sonnenmoschee) das bedeutendste. Die zehntausend Bewohner sind schiitische Perser und Araber und so fanatisch gesinnt, daß ich mich sehr hütete, dem Wirt zu sagen, daß ich ein Christ sei. Er hätte mich keinen Augenblick bei sich geduldet, und alles, was ich berührt hätte, wäre für unrein erklärt und einer priesterlichen Säuberung unterworfen worden, deren nicht geringe Kosten ich hätte tragen müssen. Da ich von Unreinheit und Säuberung spreche, muß ich bemerken, daß die Bewohner Hillehs gar keine Veranlassung haben, auf ihre Reinlichkeit stolz zu sein; soviel ich sah, scheint die Stadt vielmehr eine Ablagerungsstätte alles möglichen orientalischen Schmutzes zu bilden. Unser Huhn konnten wir zwar mit Appetit verzehren, weil es von Halef selbst gebraten worden war, aber als wir uns hierauf saure Milch bestellten - Hilleh ist nämlich wegen seiner sauren Milch weithin berühmt - mußten wir die obere Schicht abschöpfen, weil sie wegen des - 44 - daraufliegenden Schmutzes für uns ungenießbar war. Der Wirt, welcher dies sah und es übelnehmen wollte, fragte mit gerunzelter Stirn nach der Ursache. Halef, der in solchen Sachen immer Zungenfertige, antwortete: »Verzeihe uns, o Vorbild frommer Gastlichkeit! Wir sind Büßer und haben, um uns zu strafen und in der Enthaltung zu üben, ein Gelübde gethan, von keiner Speise, welche wir genießen, das Beste zu essen, und du wirst doch zugeben, daß das, was wir abgeschöpft und weggeworfen haben, von deiner Milch das Beste war.« »Allah sei euch gnädig und gebe euch Kraft, euer Gelübde bei allen Speisen und nicht bloß bei der Milch auszuführen! Ihr hättet von dem Huhn doch auch das Beste übrig lassen sollen, habt es aber ganz verzehrt!« »Du irrst, denn wir haben es nicht verzehrt.« »Ich sehe aber doch nichts!« »Wirklich nicht? Erlaube, daß mir um das Licht deiner Augen bange wird! Was wäre ein Huhn, wenn ihm nicht die Knochen zur Aufrechterhaltung seines körperlichen Wuchses verliehen worden wären? Und wie könnte es bestehen, wenn es nicht die Federn besäße, welche nicht nur seine Kleidung, sondern auch den Schmuck seiner Schönheit bilden? Wenn Allah dich mit der Gabe der Vernunft gesegnet hat, wirst du also einsehen, daß die Knochen und die Federn am Huhn das Beste sind, was es besitzt. Nun schau hierher! Da siehst du die Knochen liegen, und wenn du in die Küche gehst, wirst du auch die Federn entdecken, von denen wir keine einzige mitgegessen haben. Unser Gelübde ist also erfüllt. Wir hätten auch von der Milch die Knochen und Federn übrig gelassen, haben aber leider keine drin gefunden!« Der Mann wußte nicht, was er dazu sagen sollte, - 45 - und ging verdrießlich brummend zur Thür hinaus. Halef aber lachte lustig vor sich hin und sagte: »Das hätte Hanneh, die lieblichste aller Lieblichkeiten, hören sollen! Habe ich mich mit den Knochen und Federn in der Milch nicht vortrefflich ausgedrückt?« Nach einiger Zeit kam der Wirt mit drei Männern zurück, welche in alte, verschlissene Meschlachs (* Wollmäntel) gekleidet waren und nicht sehr vertrauenerweckend aussahen. Sie betrachteten uns mit auffälliger Neugierde und setzten sich nahe bei uns nieder. Nachdem sie sich Tschibuks und Kaffee bestellt hatten, wendete sich einer von ihnen mit den Worten an uns: »Wir sahen draußen eure Pferde stehen und haben sie bewundert. Wer so ein Tier besitzt, muß reich, sehr reich sein. Darf ich fragen, wo eure Heimat liegt?« Halef warf mir einen fragenden Blick zu; ich nickte leise mit dem Kopfe, und so übernahm er die Antwort: »Wir wohnen im fernen Lande Schibiri (* Sibirien), wo die Berge bis zum Mond hinaufreichen und weiß vom Schnee sind, in welchen sich dort der Regen zu verwandeln pflegt.« »Allah! Wie kalt muß es dort sein! Wir wissen hier nicht, was Schnee ist, haben aber davon gehört. Es wohnen wohl Sunniten dort?« »Nein, lauter Schiiten.« »So segne Allah dieses Land und lasse ihm hunderttausend Palmen für jeden Bewohner wachsen! Sind die Leute dort wohlhabend?« »Ja, alle!« »Das sieht man an euren Pferden. Wenn diese Bewohner auf Reisen gehen, stecken sie wohl nur Gold in ihre Taschen?« - 46 - Halef war, indem er den Reichtum bejahte, sehr unvorsichtig gewesen; er konnte dadurch die Raublust dieser drei Menschen leicht auf uns lenken; jetzt antwortete er klüger: »Nein; sie stecken gar nichts ein, denn man ist dort so gastfreundlich gesinnt, daß niemand Geld zu haben braucht.« »Aber jede Gastfreundschaft muß belohnt werden; sie tragen also wohl Kostbarkeiten mit sich? Vielleicht Perlen oder gar edle Steine?« »Edle Steine? Was für Steine meinst du da?« »Diamanten, Rubine, Smaragde, Türkise.« »Allah'l Allah! Sind etwa diese bei euch hier edel?« »Natürlich!« »Welch ein Land! Und welch ein Volk seid ihr. Bei uns in Schibiri bestehen sämtliche Gebirge massiv aus solchen Steinen. Die werden also gar nicht geachtet; die Wege sind mit Diamanten gepflastert, und die Häuser werden aus Rubinen und Türkisen gebaut. Zum Bau der Moscheen nimmt man nur Smaragde, die so groß sein müssen wie zehn eurer Kieselsteine.« »Maschallah! Soll man das wohl glauben?!« »Natürlich muß man's glauben, denn es ist ja wahr. Wir haben aber auch Steine, welche edel sind und ungeheures Geld kosten.« »Wie heißen diese?« »Kara Tasch, Haßwa, Hattan, Palandiz Taschy (* Schiefer, Kieselstein, Thon, Granit) und noch andere ähnliche.« »Sag, sind die Menschen wahnsinnig dort?!« »Welch eine Frage!« »Das sind ja lauter Steine, aus denen unsere Berge hier bestehen!« - 47 - »So seid ihr und eure Berge verrückt, aber doch nicht wir! Den Wahnsinn kennt man in Schibiri nicht; hier aber scheint er in den meisten Köpfen, besonders in den eurigen, zu wohnen.« »Wieso?« »Weil uns nur verrückte Menschen nach Gold und nach Edelsteinen fragen können. Glaubt ihr denn, daß wir, wenn wir solche Dinge bei uns hätten, es euch sagen würden? Bei uns in Schibiri ist kein Mensch so dumm, wie die Bewohner der hiesigen Gegend zu sein scheinen.« jetzt sah der Mann ein, daß er von Halef gefoppt worden war; er griff nach seinem Messer und rief drohend aus: »Schweig! Wenn du beabsichtigest, uns zu beleidigen, wirst du sofort hier diese Klinge fühlen!« »Laß sie stecken!« antwortete der Hadschi lachend. »Wir haben auch Messer. Deine große und unzeitige Neugierde verdiente eine Lehre, die ich dir gegeben habe. Wir halten unsern Kef und wollen ruhen; da kommst du, uns zu stören. Warum lässest du uns nicht unbelästigt? Woher weißt du, daß wir mit dir sprechen wollen? Wir sind keine Knaben, denen man mit dummen, unvorsichtigen Fragen kommen darf. Das will ich dir noch sagen, und nun laßt uns in Ruhe!« Da sprang der Mann auf, hielt ihm die geballten Fäuste hin und schrie: »Das sind Beleidigungen, für welche ich dich erstechen würde, wenn ich nicht - - - wenn wir nicht - - - wenn wir nicht zum Stamme der Solaib gehörten! Hast du von diesem Stamme gehört?« Nach einem allgemeinen und sehr alten Übereinkommen erfreuen sich die Solaib des ungestörtesten Frie- - 48 - dens [Friedens]. Niemand darf einen Solaib feindlich behandeln; dafür aber sind die Genossen dieses Stammes auch verpflichtet, ihrerseits alles zu vermeiden, was herausfordernd wirken kann. Wir wußten von den zwei Boten des Säfir, daß dieser sich mit Ghasai-Beduinen verbunden hatte, welche sich für Solaib ausgaben; höchst wahrscheinlich gehörten diese drei zu ihnen. Da der Hadschi die Schuld an dieser immerhin unangenehmen Scene trug, ließ ich ihn nicht weitersprechen, sondern richtete nun selbst die warnenden Worte an den Sprecher: »Wenn du wirklich ein Solaib bist, so mach der Friedfertigkeit deines Stammes keine Schande, und setz dich ruhig nieder! Wir sind, wenn wir mit jemand sprechen wollen, gewöhnt, das Wort selbst zu ergreifen. Warte also ab, was uns beliebt!« »Wallahi!« höhnte er. »Ihr scheint euch für sehr vornehme Personen ausgeben zu wollen; ich aber will euch sagen, was ihr seid! Ihr seid ---« Ich sprang rasch auf, trat ganz nahe zu ihm heran und fragte: »Nun, was sind wir? Sprich!« Er hatte den Mund noch offen und vergaß, ihn zuzumachen, obgleich er mit der Antwort zögerte. Während ich seinen Blick mit meinem Auge festhielt, wich er langsam Schritt um Schritt zurück, setzte sich dann nieder, wo er vorhin gesessen hatte, und sagte kein Wort. Auch ich suchte meinen Platz wieder auf und that so, als ob außer uns niemand anwesend sei. Es dauerte nicht lange, so entfernten sich die Beduinen, doch nicht, ohne uns vorher noch drohende Blicke zugeworfen zu haben. »Sihdi, der hatte Angst vor dir!« lachte Halef. »Ich sah ihm die Feigheit gleich am Anfange an.« - 49 - »Das ist kein günstiges Zeugnis für dich! Reizt man einen Feigling zum Zorne?« »Er hat doch mich gereizt und nicht ich ihn!« »Läßt man sich von einem Feigling reizen?« »Wie du nur wieder einmal bist, Sihdi! Du selbst hast mich doch durch deinen Wink aufgefordert, ihm zu antworten!« »Habe ich dich aufgefordert, es in der Weise zu thun, in welcher es geschehen ist?« »Konnte ich anders? Was hatte er nach unserm Vermögen zu fragen? Ein ehrlicher Mann thut das nicht, und von einem unehrlichen Menschen muß es beleidigen, denn er hält mich für dumm genug, es ihm zu sagen. Ich habe zwar gesagt, daß ich ihn für einen Feigling halte, aber ich füge hinzu, daß er dazu ein Schurke ist; es giebt auch feige Schurken. Was denkst denn du von diesen Leuten?« »Ich halte sie für Ghasai-Beduinen, die bei dem geplanten Überfall der Karawane beteiligt sein sollen. Ich wollte, sie wären nicht hierhergekommen.« »Wenn ich dich nicht kennte, so würde ich sagen: Das klingt beinahe wie Angst! Mögen sie sein, wer und was sie sind, mir ist es gleich. Und wenn sie das sind, was du denkst, so haben sie auf die Karawane acht zu geben und also keine Zeit dafür übrig, sich mit uns zu beschäftigen. Wir sind vor ihnen sicher. Doch - - - horch!« Wir hörten das Geräusch scharrender und schlagender Hufe und begaben uns schnell nach dem Hofe. Die Beduinen, bei denen sich auch der Wirt befand, hatten unsere Pferde losgebunden und bemühten sich, aufzusteigen; die Hengste sträubten sich dagegen. Als Halef das sah, griff er nach seiner Peitsche; ich nahm ihn beim Arme und sagte: - 50 - »Nicht schlagen! Es ist frech von ihnen, ja; aber sie sollen ihren Willen haben und ihre Strafe dadurch finden, daß sie abgeworfen werden.« Er bezwang seinen Grimm und antwortete mit. einem nicht etwa freundlichen Lachen: »Ganz recht, Sihdi, ganz recht! Aber sie sollen so herunter, daß sie es nicht bald und leicht vergessen werden. Überlaß das mir! Ich bringe das besser fertig, denn ich habe es mit den Rappen eingeübt.« Er machte ein sehr harmloses, ja beinahe wohlwollendes Gesicht, ging auf die Leute zu und fragte: »Ihr wollt die Pferde wohl einmal probieren?« »Ja, das wollen sie,« nickte der Wirt. »Aber die Tiere haben den Scheïtan (* Teufel) im Leibe und wollen niemand in den Sattel lassen.« »Ja, sie sind gewöhnt, nur gute Reiter zu tragen und scheinen diesen Solaib nichts zuzutrauen.« Da dies etwas höhnisch klang, fiel einer der Beduinen schnell ein: »Das mögen sie nur abwarten! Das Aufsteigen zu verwehren, ist weiter nichts; aber wenn wir erst einmal oben sitzen, dann sollen sie erfahren, ob wir Reiter sind oder nicht! Wir fordern dich auf, sie nur erst zu beruhigen!« »Diese liebe kann ich euch erweisen; aber ich sage euch vorher, daß sie euch abwerfen werden.« »Schwatze nicht, sondern probiere es!« »Wenn ihr wollt, ja; aber gebt mir nicht die Schuld, wenn ihr die Hälse brecht!« »Unsere Hälse gehören uns, aber nicht dir; wir werden sie selbst zu hüten wissen!« - 51 - »Gut! Macht also, daß ihr hinaufkommt! Und haltet euch fest, sonst seid ihr schneller wieder unten als hinauf!« Daß diese Leute sich ohne Erlaubnis an unsere Pferde gemacht hatten, braucht nicht aufzufallen. Der Beduine ist ein geborener Reiter und gerät sehr leicht in Ekstase, wenn er ein selten gutes oder wohl gar reinblütiges Pferd sieht. Sein Verlangen, es einmal zu probieren, ist ein ganz selbstverständliches. Daher die Begeisterung und der Wunsch dieser drei Männer, welch letzteren sie wegen des vorangegangenen Streites gar nicht erst hatten aussprechen wollen. Die Hengste waren aufgeregt; sie schlugen noch jetzt um sich, obgleich wir, ihre Herren, nun zugegen waren. Da hob Halef den Arm und rief das eine Wort »Schusch!« (* »Still!«) Sie standen sofort unbeweglich still; zwei der Beduinen stiegen auf und fanden den gewünschten Gehorsam. Sie ritten die ganze Schule durch und ahmten schließlich die Bewegungen des Barud-Spieles mit den plötzlichen Zickzackbewegungen nach, was hier in dem engen Hofe nicht ungefährlich war. Ich bemerkte, daß die Augen der Pferde fortwährend auf Halef gerichtet waren; die klugen Tiere wußten, um was es sich handelte. Eben jagten beide Reiter von entgegengesetzten Seiten aufeinander los, da erscholl Halefs Ruf »Litaht, litaht!« Der Hadschi trennte beide Worte durch einen schrillen Pfiff. Das war das Zeichen. Die Pferde warfen sich mitten im Galoppe hoch in die Luft - ein katzenartiges Krümmen des Rückens, ein blitzschnelles Auffußen und wieder Hochspringen - - die Reiter flogen in weiten Bogen aus den Sätteln und mit lautem Pralle auf die - 52 - scharfkantigen Ziegel nieder, welche zerstreut umherlagen. Es herrschte kurze Zeit tiefe Stille; die Pferde standen still, und die Abgeworfenen lagen still; auch der Wirt und der dritte Beduine bewegten sich zunächst nicht; dann aber eilten sie zu den am Boden Liegenden hin. Auf dem Gesichte Halefs lag der Ausdruck stolzer Freude. »Was sagst du dazu, Sihdi?« fragte er. »Wie sind die Hengste dressiert?« »Vorzüglich,» antwortete ich. »Aber ich glaube, die Reiter haben Schaden genommen!« »Das ist mir gleich. Was haben sie sich mit unsern Pferden zu schaffen zu machen! Ich habe sie gewarnt, und du bist Zeuge, daß sie für ihre Hälse selbst sorgen wollten. Schau hin; sie haben ihren Lohn!« Der eine wollte sich aufrichten; er konnte nicht, denn er hatte das Bein gebrochen; der andere lag besinnungslos; ob auch er verletzt war, ließ sich jetzt nicht entscheiden. Wir gingen, um unsere Sachen aus der Stube zu holen. Als wir wiederkamen, hatten die Kerls sich miteinander besprochen und einen Beschluß gefaßt, den der Wirt uns mitteilen zu sollen schien, denn er erkundigte sich in feindseligem Tone bei mir: »Sag, ihr scheint fortzuwollen?« »Ja,« nickte ich. »Das geht nicht. Ihr müßt bleiben!« »Warum?« »Du siehst, was hier geschehen ist. Dieser Mann hat das Bein gebrochen, und dieser da ist vielleicht gar tot!« »Was geht das uns an? Wir haben sie gewarnt.« »Aber ihr habt den Pferden ein Zeichen gegeben, sie abzuwerfen!« »Das geht dich nichts an! Du hast uns zunächst zu sagen, was wir dir für das Essen zu bezahlen haben.« - 53 - »Das werdet ihr später erfahren. Ich laß euch nicht fort.« »Pah! Du wirst uns wohl nicht halten!« »Das werde ich ganz gewiß, und wenn ihr mir nicht gehorcht, so werde ich meine Klage bis zum Pascha treiben!« »Damit machst du uns nicht bange! Wenn du denkst, uns dadurch furchtsam zu machen, daß du euerm hiesigen Sandschaki den hohen Titel eines Pascha giebst, so irrst du dich. Wir stehen unter dem direkten Schutze des Padischah, und selbst wenn das nicht wäre, so würden wir uns selbst zu beschützen wissen. Willst du uns sagen oder nicht, was das Essen kostet?« »Nein!« »So bezahle ich, was mir beliebt. Es wird mehr sein, als du zu fordern hast. Hier hast du!« Ich nahm das Geld aus dem Beutel und reichte es ihm hin, da schlug er mir von unten an die Hand, daß die Geldstücke zur Erde flogen. Ich warnte ihn: »Höre, Mann, ich bin nicht gewohnt, daß man nach mir schlägt oder mich in ähnlicher Weise beleidigt. Versuchst du das noch einmal, so zeige ich dir, wie ich solche Frechheiten zu bestrafen pflege! Geh weg!« Er stellte sich mir nämlich in den Weg, weil er sah, daß ich in den Sattel wollte; Halef hatte sich schon aufgeschwungen. Die Beduinen riefen dem Wirte zu, uns nicht fortzulassen. Dieser wagte es auch wirklich, mich am Arme zu packen. »Laß los!« forderte ich ihn auf. »Du bleibst!« herrschte er mich an, indem er mich festhielt. »So flieg dorthin, wo schon die andern liegen!« Ich gab ihm einen Hieb unter das Kinn, daß er - 54 - zurücktaumelte, faßte ihn bei der linken Hüfte und unter dem rechten Arme, hob ihn auf und warf ihn auf den dritten Beduinen, welcher ihm zu Hilfe kommen wollte. Beide stürzten nieder. Ehe sie sich aufraffen konnten, saß ich auf dem Pferde, und wir ritten fort. Hinter uns brüllten die Kerls; wir achteten nicht darauf und trabten, ohne von ihnen verfolgt zu werden, durch den westlichen Stadtteil und der dortigen Palmenwaldung der Gegend zu, in welcher südlich von der Stadt der Birs Nimrud in der Nähe der Ruine Ibrahim Chalil liegt. Die Entfernung beträgt nicht ganz drei Stunden, in welcher Zeit uns nur wenige einsam wandernde Menschen begegneten. Als wir dort anlangten, war die Sonne im Untersinken begriffen, und wir machten am Fuße der Ruine genau an derselben Stelle Halt, an welcher wir damals unser Lager aufgeschlagen hatten. Es war kein Mensch rundum und weithin zu sehen; wir konnten unsere Pferde ohne Aufsicht unten stehen lassen und stiegen auf die Höhe des Turmes, um einen Blick über das weite Feld der Ruinen zu werfen. Oben angekommen, befanden wir uns an einer der berühmtesten Stätten der Religions- und Weltgeschichte. Babel! »Und die Menschen sprachen: Wohlan, lasset uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, damit wir uns einen Namen machen!« So erzählt die heilige Schrift. Die Stadt wurde gebaut und Babel genannt. Der Name ist noch da; aber wo ist die Stadt und wo der Turm? Trümmer und nichts als Trümmer weit umher, und da, wo der Turm bis gen Himmel reichen sollte, stand ich nun zum zweitenmal und gedachte der Worte: »Wo der Herr nicht das Haus baut, da arbeiten die Meister umsonst, und wenn der - 55 - Herr nicht die Stadt behütet, da wachen die Wächter umsonst!« Nach Herodot hatte die zu beiden Seiten des Euphrat liegende Stadt einen Umfang von 480 Stadien, also beinahe 120 Kilometer. Sie wurde von einer 200 Ellen hohen und 50 Ellen starken Mauer umgeben, welche von starken Türmen und einem breiten, tiefen Wassergraben beschützt wurde. Hundert eherne Thore führten durch diese Mauer, und von jedem dieser Thore ging eine gerade Straße durch die ganze Stadt nach dem gegenüberliegenden. Die bis vier Stockwerke hohen Häuser waren aus Backsteinen erbaut, welche untereinander mit Erdharz verkittet wurden. Die Gebäude hatten prächtige Fassaden und wurden durch freie Höfe voneinander getrennt. In dem weiten Häusermeere lagen große Plätze und prachtvolle Gärten, in denen zwei Millionen Menschen Erholung suchen und finden konnten. Auch die Ufer des Stromes waren von gigantischen Mauern eingefaßt, deren erzene Thore des Nachts verschlossen wurden. Über den Fluß führte eine herrliche, dreißig Fuß breite Brücke, deren Dach abgenommen werden konnte. Nach Diodor war sie eine Viertelstunde, nach Strabo eine Stadie lang. Um diese Brücke zu bauen, mußte der Strom abgeleitet werden; man grub also im Westen der Stadt einen See aus, welcher 75 Fuß tief war und einen Umfang von zwölf Meilen hatte; hierein ließ man die Fluten laufen. Dieser auch später beibehaltene See diente zur Verteidigung der Stadt, zur Regulierung der Flußüberschwemmungen und zur Bewässerung der Felder, was mittels vieler Schleusen geschah. An jedem Ende der Brücke stand ein riesiger Palast; beide Paläste waren durch einen unterirdischen Tunnel verbunden. Die hervorragendsten Gebäude von Babel, welches - 56 - keilschriftlich Bab ilu, d. i. Pforte Gottes, heißt, waren das alte, über eine Meile im Umfange haltende Königsschloß, die hängenden Gärten der Semiramis und der von einer dreifachen Mauer umgebene neue Palast, den zahllose Bildhauerarbeiten schmückten. Die berühmten Gärten der Semiramis wurden von einer 22 Fuß dicken Mauer umgeben und bildeten ein Viereck von 160.000 Quadratfuß Flächenraum. Auf hohen, gewölbten Bogen erhoben sich amphitheatralisch gelegene Terrassen, zu denen man auf zehn Fuß breiten Stufen emporstieg. Die Plattformen dieser Terrassen waren mit 16 Fuß langen und 4 Fuß breiten Steinen belegt, damit kein Wasser hindurchdringe. Auf diesen Steinen gab es eine dicke Lage verkittetes Rohr, hierauf zwei Reihen gebrannter Ziegel, welche mit Harz verbunden waren, und dann hatte man noch eine Bleidecke hergestellt, auf welche man die beste Pflanzenerde so hoch aufschüttete, daß die stärksten Bäume tief und bequem Wurzeln schlagen konnten. Auf der obersten Terrasse befand sich ein ungeheurer Brunnen, welcher das nötige Wasser aus dem Flusse sog und dann über die Gärten ergoß. Unter jeder Terrasse waren Hallen angebracht mit prächtigen, des Nachts erleuchteten Gartensälen, in denen man sowohl den Duft der köstlichsten Blumen wie auch die herrliche Aussicht auf alle Teile der Stadt und ihre Umgegend genießen konnte. Das größte Bauwerk der Stadt aber war der Turm zu Babel, von welchem uns die heilige Schrift erzählt. Die Talmudisten behaupten, er sei siebzig Meilen hoch gewesen. Nach orientalischen Überlieferungen betrug seine Höhe 10.000 Klaftern, nach andern Traditionen 25.000 Fuß, und es soll eine ganze Million Menschen zwölf Jahre lang an ihm gearbeitet haben. Während - 57 - dies selbstverständlich übertrieben ist, scheint die Wahrheit zu sein, daß sich allerdings mitten aus dem großen Tempel des Baal ein Turm erhoben hat, dessen Grundfläche ungefähr tausend Schritte im Umfange hatte, während seine Höhe bis 800 Fuß betrug. Er bestand aus acht Stockwerken, deren jedes höhere eine kleinere Basis hatte als dasjenige, auf welchem es stand. Durch ein achtmal um die Außenmauer des Turmes laufendes Treppenwerk gelangte man auf die Höhe des Turmes. jedes dieser Stockwerke enthielt große gewölbte Hallen, Säle, Zimmer und Gänge, deren Bildsäulen, Tafeln, Tische, Stühle und Gefäße von purem Golde waren. Im untersten Stockwerke stand die Bildsäule des Baal, welche tausend babylonische Talente wog und also einen Wert von mehreren Millionen Thalern hatte. Auf dem obersten Stockwerke befand sich eine Sternwarte, in welcher die Astronomen ihre Beobachtungen vornahmen. Alle diese Schätze des Turmes, welche nach Diodorus 6300 goldene Talente wert gewesen sein sollen, wurden von Xerxes geraubt und fortgeschafft. Nach der morgenländischen Mythe soll sich in dem Turme auch ein Brunnen befunden haben, dessen Tiefe genau so groß wie die Höhe des Turmes gewesen sei. Alexander der Große wollte den eingestürzten Turm wieder herstellen und ließ über zehntausend Menschen nur an der Wegräumung des Schuttes und der Trümmer arbeiten, wurde aber durch seinen frühen Tod verhindert, seinen Vorsatz auszuführen. Das w a r Babel. Und jetzt -----? Wie oft hatte ich die Weissagung Jeremias gelesen, welche wie Posaunenschall über das von Gott gerichtete Sinear erklang! An den Wassern Babylons, an den Ufern des Euphrat und an den Rändern der Seen und - 58 - Kanäle saßen die heimatlosen Söhne Abrahams; ihre Saitenspiele, Psalter und Harfen hingen stumm an den Weiden, und ihre Thränen rannen zum Zeichen der Buße über ihre Sünden. Und wenn ja eine der Harfen erklang, so ertönte sie vor Sehnsucht nach der Stadt, die den Tempel Jehovas barg, und der Schluß des Klageliedes war: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen mir Hilfe kommt.« Und der Herr erhörte diese Gebete. Es erklang die gewaltige Stimme Jeromijahus aus Anathot, den wir Jeremias nennen, und das weinende Volk lauschte seinen Worten. »Dies ist das Wort des Herrn wider Babel und das Land der Chaldäer: Es ziehet von Mitternacht ein Volk herauf, das euer Land zur Wüste machen wird; es hat Bogen und Schild und ist grausam und unbarmherzig; sein Geschrei ist wie das Brausen des Meeres. Fliehet aus Babel, damit ein jeder seine Seele errette, denn es ist ein Kriegsgeschrei und großer Jammer im Lande! Es spricht der Herr Zebaoth: Siehe, ich will den König zu Babel heimsuchen; rüstet euch wider Babel! Jauchzet über sie um und um; ihre Grundfesten sind gefallen und ihre Mauern abgebrochen. Kommet her gegen sie! Öffnet ihre Kornhäuser; erwürget alle ihre Rinder; belagert sie, und lasset keinen entfliehen! Sie hat wider den Herrn gehandelt; darum sollen ihre Männer fallen und ihre Krieger untergehen zu derselben Zeit. Schwert soll kommen über Babel und seine Fürsten, über die Weissager und Starken, über Rosse und Wagen und über den Pöbel, der darinnen ist. Gleichwie Gott Sodom und Gomorrha umgekehrt hat, so soll auch Babel zum Steinhaufen werden und ihre Stätte zur Wüste!« Und in wie schrecklicher Weise ist dieses Wort des Propheten in Erfüllung gegangen! Mit 600.000 Streitern - 59 - zu Fuß, 120.000 Reitern und 1.000 Sichelwagen, ungezählt noch Tausende von Kamelreitern, kam Cyrus und eroberte die Stadt trotz ihrer festen Lage und trotzdem sie auf zwanzig Jahre mit Lebensmitteln versehen war. Später ließ Darius Hystaspis die Mauern niederreißen, und Xerxes entblößte sie von allen ihren Schätzen. Selbst der große Alexander konnte das Schicksal der Stadt nicht aufhalten. Es dauerte nicht lange, so wurde auf dem von den Mauern noch eingeschlossenen Teile der Stadt Getreide gebaut; dann benutzten die Partherkönige Babylon als Wildgehege. Seit der Herrschaft der Araber ist der Name Babylon ganz aus der Geschichte verschwunden, und heut ist nichts mehr von ihr zu sehen als ein weites, verwittertes Backsteinchaos, in welchem sich selbst das scharfe Auge des Forschers nicht zurechtfinden kann. - -- »So vergeht die Welt mit aller ihrer Herrlichkeit, und nur Gottes Wort bleibt ewiglich!« Die Sonne wollte untergehen, und so stiegen wir wieder hinab zu unsern Pferden, um die Decken für das Nachtlager auszubreiten. Dabei gelangten wir auf einen Vorsprung des Trümmerkolosses, von welchem aus wir etwas sahen, was uns ganz oben doch entgangen war. Es gab nämlich einen alten Kanal, welcher, im Sommer wohl stets austrocknend, jetzt voll Wasser war und, grad auf den Birs Nimrud zuführend, diesen nicht ganz erreichte, sondern in der Entfernung von vielleicht einer Viertelwegsstunde von demselben endete. Er mußte mit demselben in Verbindung stehen, und wir sahen eine Anzahl von Fahrzeugen sich auf ihm bewegen. »Wer mag das sein, Sihdi?« fragte Halef. »Das weiß ich natürlich ebensowenig wie du,« antwortete ich. »Vielleicht kann es uns gleichgültig sein; - 60 - wir wissen nicht, welche Richtung diese Fahrzeuge haben. Wollen sie betrachten.« Wir thaten das und bemerkten schon nach kurzer Zeit, daß sie sich nicht entfernten, sondern näherten. Da wir auf solche Entfernung nicht von dort gesehen werden konnten, blieben wir noch eine Weile stehen; dann aber mußten wir die Stelle doch verlassen, weil wir sonst in der Gefahr standen, ihnen sichtbar zu werden. Indem wir hinunterstiegen, sagte Halef: »Sihdi, ich habe einen Gedanken; aber ob er der richtige ist, das weiß ich nicht.« »Er betrifft die Leute dort auf den Fahrzeugen?« »Ja.« »Nun?« »Ich denke an das, was die Boten des Säfir sagten, nämlich daß Leichen< den Euphrat herunterkommen würden. Lache mich nicht aus!« »Das fällt mir gar nicht ein, denn ich habe ganz denselben Gedanken, obgleich ich keinen Grund finde, anzunehmen, daß es sich grad um diese Leichen< und um nichts anderes handle.« »Aber bedenke, daß wir, wenn diese Vermutung die richtige ist, es mit dem Säfir zu thun haben!« »Das bedenke ich allerdings.« »Wir müssen vorsichtig sein. Der Ort, wo wir lagern wollen, liegt grad auf der Seite der Ruine, nach welcher diese Leute kommen werden.« »Wenn sie überhaupt kommen, ja, dann freilich. jetzt müssen wir es ruhig abwarten, ob sie dies beabsichtigen. Der Art und Weise nach, in welcher sie sich bewegten, sind die Fahrzeuge nicht Boote, sondern kleine Kelleks, welche man bis an das Ende des Kanales rudern wird. Was dann geschieht, werden wir erfahren. Diese - 61 - Leute können etwas vorhaben, was sie nur nach jener Stelle führt und nicht weiter; sie können die Kelleks aber auch mit Gegenständen beladen haben, welche dann von dem Kanale aus nach den Ruinen geschafft werden sollen. In diesem Falle führt die gerade Linie allerdings auf uns zu, was freilich noch lange nicht besagt, daß sie grad nach dem Punkt kommen müssen, wo wir uns befinden. Wir werden wachsam sein und schon jetzt dafür sorgen, daß wir wenigstens für unsere Pferde eine Stelle finden, wo sie nicht so offen wie jetzt stehen, nämlich zwar am Rande des Schuttberges, aber doch auf der freien Ebene. Es ist glücklicherweise noch hell genug, nach einem solchen Versteck zu suchen.« Als wir unten ankamen, gingen wir am Fuße der Ruine hin, und es dauerte gar nicht lange, so bemerkte ich etwas, was meine Aufmerksamkeit erregte, obwohl es mit unserer Absicht, einen verborgenen Ort für die Pferde zu suchen, nicht zusammenzuhängen schien. Es gab da nämlich eine Halde lockeren Schuttes, aus vollständig verwitterten und zerfallenen Luftziegeln bestehend, welche von oben herabgefallen waren. An dieser Halde führte da, wo wir jetzt standen, eine Fährte empor. Ich glaube nicht, daß sie ein anderer, zumal ein Beduine, entdeckt haben würde; aber für ein in den Prärien und Urwäldern Amerikas geschärftes Jägerauge war sie deutlich genug. Ich deutete auf sie und fragte meinen kleinen Hadschi: »Siehst du diese Spuren, Halef?« »Spuren?« fragte er verwundert. »Ich sehe nichts. Was für Leute sollen da hinaufgestiegen sein?« »Es handelt sich nicht um Menschen, sondern um Tiere, welche öfters hier auf- und abwärts zu spazieren scheinen.« »Wohl gar Löwen!« lachte er. - 62 - »Das nicht. Es sind kleine Tiere, die hier einen oft benützten Pfad zu haben scheinen.« »Möglich! Ich sehe nichts; auch kann uns der Spaziergang dieser kleinen, uns unbekannten Tiere gar nicht interessieren. Komm, wollen weiter!« »Nein. Wir suchen ein Versteck, und die Tiere, welche hier verkehren, sind keine zahmen, sondern wild; wilde Tiere aber pflegen verborgene Lagerstätten zu haben; wir werden diesen Spuren folgen.« Wir stiegen also die Halde empor und kamen an eine von unten nicht bemerkbare Stelle, wo sie einen nach der Ruinenwand führenden Einschnitt hatte, der sich durch die Mauer fortzusetzen schien. Ob hier einst ein Thor gewesen oder die Mauer aus einem besondern Grunde an dieser Stelle verwittert und eingestürzt war, das ließ sich nicht sagen, aber die Lücke war groß genug, nicht nur uns, sondern auch die Pferde durchzulassen. Wir drangen in sie ein. Sie führte lang und schmal durch gewaltige Ziegelmassen nach einem viereckigen Innenraum, der am besten mit einem sogenannten Lichthofe zu vergleichen war, obgleich wir keine Fenster sahen, die sich vor Zeiten nach ihm geöffnet hatten. Seine Umfassungsmauern waren an vielen Stellen zerrissen und abgebröckelt, und der Boden, auf welchem wir uns befanden, bestand aus lockerem Ziegelmehl, welches hier Stockwerke tief zu liegen schien. Es war in diesem Innenhofe dunkler als draußen, dennoch sahen wir die Losung der betreffenden Tiere in ziemlicher Menge herumliegen und entdeckten nun auch, welcher Art sie waren; es schien hier ihr Kampf- und Tummelplatz zu sein, denn wir sahen große Borstenflocken und viele Stacheln rund umher, welche den Besiegten ausgerissen oder abgebrochen worden waren. »Maschallah!« rief Halef aus. »Wir scheinen da - 63 - einen Suk el Kanafid (* Stachelschweinsmarkt) entdeckt zu haben. Meinst du nicht auch, Sihdi?« »Ja,« antwortete ich. »Dieser so tief versteckte Hof, der wohl seit zwei Jahrtausenden von keines Menschen Fuß betreten wurde, paßt einzig gut für diese nächtlichen Stachelborster. Sie können in dem weichen Schutte und den zu Mehl zerbröckelnden Mauern leicht ihre Gänge graben, die oft von bedeutender Tiefe sind --- ah, da fällt mir das Gemach ein, in welches der Bimbaschi eingesperrt worden ist! Er sagte, daß es da Stachelschweine gegeben habe; er sprach von einem Erdhaufen in der Erde, und ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß dieser Haufen aus zerfallenen Ziegeln bestanden habe, durch deren Mehl diese Tiere leicht hineinkommen konnten. Es hat da also einen Gang für sie gegeben. Ob der wohl auch für Menschen weit genug wäre? Und ob dieser Gang vielleicht gar in diesen Hof hier mündet?« »Sihdi, träume nicht! Du willst da Dinge zusammenbringen, welche gar nicht zu einander gehören!« »Woher weißt du, daß sie nicht zusammen gehören?« »Die Höhe stimmt nicht.« »Wieso?« »Nach der Beschreibung des Bimbaschi hat das Gefängnis höher gelegen, als wir uns hier befinden.« »Ja, hier an dieser einen Stelle; aber dort vor uns, von dieser bis zu dieser Ecke steigt der Schutt fast um ein Stockwerk höher an und - - schau hin! Siehst du die Löcher, welche in die zerissene Mauer führen?« »Hm! Ich sehe sie; aber ich wundere mich, daß die Kanafid grad da einen Gang gegraben haben sollen, wo du einen brauchst?« - 64 - »Brauchst? Ich brauche keinen, denn ich bin nicht gefangen. Ich verbinde Umstände, welche im Zusammenhange zu stehen scheinen, vollends miteinander, und ob ich da recht habe oder nicht, das hat keine Folgen für uns; aber dennoch werde ich diesen Hof hier morgen etwas eingehender untersuchen, als es jetzt möglich ist. Wir müssen uns beeilen, denn in zehn Minuten wird es vollständig dunkel sein.« »Und das Versteck für die Pferde ---?« »Ist gefunden. Wir schaffen sie hierher.« »Das denke ich auch. Sie werden zwar etwas klettern müssen, befinden sich dann aber hier so sicher wie im Schoße Ibrahims. Komm, holen wir sie!« Die zehn Minuten waren noch nicht verflossen, so hatten wir die Pferde in dem Hofe untergebracht und suchten dann unsern Lagerplatz wieder auf, weil wir eine etwaige Annäherung dort am leichtesten bemerken konnten. Der Abendwind hatte sich erhoben; er kam aus nördlicher Richtung, und das war uns insofern lieb, als er uns, falls die Leute am Kanale ja die Absicht hegten, nach der Ruine zu gehen, das Geräusch ihrer Schritte zutragen mußte. So vergingen wohl zwei Stunden, da begann Halef zu pusten und verdrießlich vor sich hin zu brummen, bis er dann in höchst ärgerlichem Tone fragte: »Riechst du etwas, Sihdi?« »Ja,« antwortete ich, denn ich hatte dieselbe Bemerkung wie er gemacht. »Es beginnt sich in meiner Nase ein sehr schmerzliches Unbehagen zu entwickeln, und die Grundpfeiler der Gesundheit meiner Geruchsnerven scheinen ins Wanken geraten zu wollen. Ich glaube --- ah - - bah pschah --- pfui! Das wird ja immer schlimmer. - 65 - Das ist schon kein Geruch mehr, sondern ein Höllenduft, grad als ob eine Leichenkarawane hier vorüberzöge!« »Sie wird wohl auch kommen!« »Wer - -? Was ---? Die Leichenkarawane?« »Ja, wenn auch keine große, wie wir damals gesehen haben. Man riecht ganz deutlich, daß sie immer näher kommt. Verhülle deine Nase, aber öffne deine Ohren desto mehr. Horch!« Wir hörten Schritte, welche in nicht sehr beträchtlicher Entfernung an uns vorübergingen; einzelne kurze Worte, wie Kommandorufe, ließen sich vernehmen; dann wurde es wieder still. »Allah sei Dank, sie sind vorüber!« seufzte Halef erleichtert auf. »Der Wind hat ihre Düfte mitgenommen, und wir können nun wieder Atem holen.« »Das magst du thun; ich aber werde diese Wohlgerüche noch länger genießen, denn ich will ihnen folgen.« »Folgen? - Warum?« »Ich muß wissen, wer sie sind und was sie hier treiben.« »Oh, Sihdi, laß sie thun, was ihnen beliebt! Was kann es dir für Nutzen bringen, wenn deine Augen sie sehen, aber deine Nase für immer krank und elend wird!« »Das Wohlbefinden meiner Nase muß mir jetzt leider gleichgültig sein. Ich bin nun überzeugt, daß es sich wirklich um die Leichen< handelt, welche der Säfir erwartet, und möchte gern wissen, was es mit ihnen für eine Bewandtnis hat.« »Gar keine, jedenfalls gar keine weiter, als daß es gewöhnliche Leichen sind, welche nach Kerbela oder Meschhed Ali geschafft werden sollen.« »Nein! Der Bote, welcher von ihnen sprach, betonte das Wort in ganz eigentümlicher Weise. Und gewöhnliche Leichen würde man auch auf dem gewöhnlichen - 66 - Wege transportieren, nicht aber so heimlich den Euphrat hinab, in den Kanal hinein und dann auf Menschenarmen noch hierher.« »So willst du ihnen also wirklich nach?« »Ja.« »Dann laß ich dich nicht allein fort; ich gehe mit.« »Das ist nicht nötig; ich brauche dich nicht.« »Ob du mich brauchst oder nicht, geht mich nichts an. Sollst du etwa den Teufelsgestank allein einatmen, während ich hier in den schönsten, reinsten Lüften schwelge? Ich bin mit dir geritten, um alles, aber auch alles, was dir begegnet, mit zu erleben; also will und muß ich nun auch hier meinen Teil von diesen beglückenden Gaben der Verwesung haben. Wenn du mich nicht freiwillig mitnimmst, laufe ich dir heimlich nach; darauf kannst du dich verlassen!« »Es ist mir nicht lieb, Halef, wirklich gar nicht lieb, daß du mitgehen willst!« »Aber warum?« »Ich habe deiner Hanneh versprochen, daß ---« Da fiel er mir schnell in die Rede: »Schweig, Sihdi, schweig! Was du ihr, der Wonne meines Herzens und der Seele meines Lebens, versprochen hast, das hast du, aber nicht ich ihr zu halten. Erfülle ihr ihren Wunsch, indem du mich nicht mitnimmst! Ich aber laufe hinter dir her, denn ich sehe wirklich nicht ein, weshalb ich hier allein liegen bleiben soll!« »Es ist möglich, daß ich mich Gefahren aussetzen muß, welche dir ---« »Gefahren aussetzen? Du?« unterbrach er mich wieder. »Und da mutest du mir zu, dich ohne die Stärke meines Schutzes zu lassen? Mutest du das mir wirklich zu, Effendi?« - 67 - »Ja.« »So sage ich dir, daß ich mit dir gehen und dich nicht verlassen werde, selbst wenn zehntausend Teufel ihre Krallen nach dir ausstrecken!« Da er so fest auf seinem Vorsatz bestand, mußte ich mit der Wahrheit heraus: »Ich bitte dich dennoch, hier zu bleiben, denn dein Mut ist mir zu flink! Du weißt von früher her, daß du zu Unvorsichtigkeiten geneigt bist, welche uns zuweilen großen Schaden bereitet haben. Es ist jedenfalls besser und gewährt uns mehr Sicherheit, wenn ich den jetzigen Gang allein unternehme.« »O Sihdi, Sihdi, welche tiefe Betrübnis bringst du über meine Seele! Was geschehen ist, das ist vorüber, und ich bin längst nicht mehr der Sausewind, den du meinst, sondern der bedachtsame und kluge Oberscheik der Haddedihn vom Stamme der Schammar. Wenn du mich so schwer und bitter kränken willst, so thue es; ich aber behalte dich dennoch lieb und kenne meine Pflicht, welche mir gebietet, dir in jeder Gefahr treu zur Seite zu stehen. Ich werde sie erfüllen und, wenn du mich nicht mitnimmst, hinter dir herlaufen wie ein Hund, der seinen Herrn beschützt, obgleich er Schläge von ihm bekommen hat!« Was konnte ich da machen? Ich mußte ihm seinen Willen thun, denn er war wirklich imstande, seinen Vorsatz auszuführen und mir ohne meine Erlaubnis zu folgen. Darum sagte ich: »Da du in dieser Weise darauf bestehst, will ich nicht länger widerstreben und wünsche nur, daß du mir keine Veranlassung zu Vorwürfen giebst. Komm, wir wollen unsere Gewehre zu den Pferden schaffen!« »Warum das?« »Wenn man sich anzuschleichen hat, darf man sich - 68 - nicht mit langen, schweren Waffen schleppen. Wärest du hier geblieben, so hätte ich dir meine Gewehre gegeben; da du aber darauf bestehst, mitzugehen, müssen wir sie verstecken.« »Das können wir doch hier thun!« »Nein. Wir wissen nicht, was geschieht, und müssen unsere Sachen an einer Stelle beisammen haben. Komm; wir nehmen auch die Decken mit!« Er sah die Notwendigkeit dieser Maßregel nicht ein; ich aber gehorchte dem Gebote der Vorsicht, gegen welches ich nie zu handeln pflege, und es sollte sich leider später herausstellen, daß ich sehr wohl daran gethan hatte. Nachdem wir also wieder hinauf zu den Pferden gestiegen waren, diese fester angepflockt und die in die Decken gewickelten Gewehre in das Geröll versteckt hatten, machten wir uns auf den Weg, den geheimnisvollen Leuten, welche an uns vorübergegangen waren, zu folgen. Das war nicht leicht, weil seitdem gewiß eine Viertelstunde vergangen war und wir ihre Schritte also längst nicht mehr hören konnten. Glücklicherweise wurde das, was sich unsern Ohren entzogen hatte, unsern Augen bemerkbar gemacht, denn wir waren der Richtung, welche wir einzuschlagen hatten, noch gar nicht lange gefolgt, so sahen wir, indem wir um eine Biegung der Ruine schwenkten, in nicht sehr großer Entfernung einige Feuer vor uns leuchten, und zugleich drang in unsere Nasen ein Gestank, der so unbeschreiblich und dabei scharf und stechend war, daß wir, fast zurückprallend, stehen blieben. »Allah behüte uns vor dem neunmal geschwänzten Teufel!« klagte Halef. »Oh Muhammed, o ihr heiligen Kalifen alle, o ihr Ahnen und Urahnen aller Gerechten und Frommen, die auf Erden leben, welche Qualen der Hölle und welche Leiden der Verdammnis erwarten uns, - 69 - wenn wir dorthin müssen, wo diese Feuer der Vernichtung meiner Nase brennen! Müssen wir denn wirklich hin, Sihdi, wirklich?« »Du nicht, aber ich!« »So gehe ich auch, und wenn ich tausendmal daran ersticke! Zwar wird mich meine Nase dereinst, wenn ich Rechenschaft abzulegen habe, wegen ihres gewaltsamen Unterganges verklagen, und ich werde diesen Mord an ihr sehr schwer zu büßen haben, aber wenn du vorwärts gehst, so kann ich doch unmöglich stehen bleiben! Was mögen diese Unglückseligen dort wohl brennen?« »Ich vermute, daß sie die Feuer mit den Umhüllungen der Leichen, also mit den Särgen und den Decken nähren, die von dem Safte der Toten ganz durchtränkt worden sind und darum nun diesen pestilenzialischen Gestank verursachen.« »Eine größere Dummheit kann es gar nicht geben!« »Es ist keine Dummheit, Halef. Da ihr Thun und Treiben jedenfalls das Licht des Tages zu scheuen hat, brauchen sie Beleuchtung und müssen dann später alles vernichten, was zu ihrer Entdeckung führen könnte; beide Zwecke erreichten sie dadurch, daß sie die Särge verbrennen. Wie sie diesen unerhörten Gestank aushalten können, ist mir fast unbegreiflich. Du mußt bedenken, daß sie sich in der unmittelbaren Nähe der Gestankesquellen befinden, während wir mit dem Winde kommen und jetzt also nur einen geringen Teil der Seligkeit genießen, welche dort bei ihnen auf uns wartet.« »Ich möchte den Euphrat voller Thränen weinen, denn das Herz wird mir schwerer, als alle hiesigen Schutt- und Trümmerhaufen wiegen; aber kein Mensch kann dem, was vor ihm liegt, entgehen, und so wollen wir den ganzen Mut der Seele und alle verfügbaren Kräfte des - 70 - Geistes zusammennehmen und dieser zehntausendfachen Hölle der Teufelsdüfte entgegengehen. Komm!« Er wollte voran; ich aber schob ihn hinter mich und sagte: »Du hast mir zu folgen und nichts, aber auch gar nichts zu thun, was ich dir nicht erlaube; merke dir das!« »Warum bist du plötzlich so streng, Effendi?« »Weil du zu hitzig vorwärts willst. Diese unbedachtsame Schnellfertigkeit muß ich mir verbitten! Ich bin geschickter und erfahrener als du, und wenn du dich nicht ganz genau nach mir richtest, stehe ich für nichts. Wir dürfen uns nicht sehen lassen und müssen also Deckung suchen; wir schleichen uns hier links ins Trümmer-Warr hinein und folgen ihm, bis wir die Feuer erreicht haben. jetzt komm!« Es lagen zahlreiche und verschiedene große Mauerbrocken umher, bestehend aus Ziegelsteinen, welche von dem Erdpechkitt noch fest zusammengehalten wurden; man konnte sich recht gut hinter ihnen verstecken. Bald gehend oder springend, bald schlüpfend, schleichend oder kriechend, bewegten wir uns vorwärts, rechts von uns die dunkle, offene Wüste und links die drohenden Gigantenreste des Babelturmes, an dessen Fuß die herabgestürzten Mauernstücke bald haushoch, bald noch höher lagen. Zwischen solchen Bruchstücken brannten die Feuer; es waren drei, denen wir bald so nahe kamen, daß wir die sich dort bewegenden Gestalten deutlich erkennen konnten. Freilich nahm, je weiter wir vorwärts kamen, die Unerträglichkeit des Gestankes zu, und als wir endlich so nahe waren, daß wir jedes Wort, welches gesprochen wurde, deutlich verstehen konnten, war sie so groß. daß ich das Gefühl hatte, als ob mein Inneres sich umkehren und alle meine Eingeweide nach außen befördern wolle. Ich mußte - 71 - wirklich alle, aber auch alle Kraft aufbieten, um eine gewaltsame und überlaute Eruption des Ekels, welcher in mir arbeitete, zu verhüten. Glücklicherweise trieb der Wind den dicken Qualm, der sich bei ruhiger Luft auf uns gelagert hätte, fort; dennoch hatten die sich beim unstäten Scheine der flackernden Feuer hin und her bewegenden Gestalten das Aussehen von Teufeln, welche die Seelen Abgeschiedener aus den Särgen holten, um sie der Hölle einzuverleiben. Denn es waren wirklich Särge, welche einer nach dem andern geöffnet oder vielmehr aufgesprengt oder aufgerissen wurden; es waren lange, mumienartige Packe, welche aufgewickelt wurden, um zu den Leichen zu kommen, die darin staken. Ich zählte über dreißig Männer, welche bei dieser fürchterlichen Arbeit beschäftigt waren und sie in einer Weise ausführten, welche erkennen ließ, daß sie darin große Übung besaßen. Das Holz der Särge wurde zertreten, um als Feuerungsmaterial zu dienen; die Decken und Matten, welche als Umhüllungen der Leichen nun ihren Zweck erfüllt hatten, gingen denselben Weg. Das Schrecklichste, was sich dem Auge bot, war der Zustand, in welchem sich die Leichen befanden. ja, wenn sie fest und hart wie Mumien gewesen wären, so hätte das, was ich sah, vielleicht nur meine geistige und nicht auch meine körperliche Konstitution empört; aber die Überreste bildeten, von den Knochen abgesehen, eine teils halb, teils ganz flüssige Masse, welche --- doch es ist besser, ich schweige! Es ist nicht zu sagen, in welcher Weise diese Kerls mit den Menschenresten, welche doch für Kerbela oder Nedschef Ali bestimmt waren, umgingen. Die Skeletteile flogen nur so hin und her; sie sollten, wie ich hörte, - 72 - später auch verbrannt werden; das übrige ließ man einfach laufen, wie es lief. Die Verwandten der hier in dieser Weise behandelten Toten hatten große Summen zahlen müssen, um den letzten Wunsch der Sterbenden, an einem der heiligen Orte begraben zu werden, erfüllen zu lassen, und nun ging man mit den Überresten hier in einer Weise um, welche den übernommenen Verpflichtungen geradezu Hohn sprach. Während wir das abscheuliche Gebaren dieser dreißig Männer beobachteten, machten wir die höchst auffällige Bemerkung, daß die Särge und Pakete nicht bloß Leichen enthielten, sondern neben diesen auch noch verschieden gestaltete, größere oder kleinere Bündel, die mit großer Sorgfalt herausgenommen, abgewischt und dann an einer besonders dazu bestimmten Stelle nebeneinander gelegt wurden. Der Inhalt dieser Bündel mußte den Leuten also wertvoller sein als die ihnen anvertrauten Leichen. Worin aber bestand dieser Inhalt? Es versteht sich ganz von selbst, daß uns diese Frage lebhaft interessierte; vielleicht war sie sogar von Wichtigkeit für uns; aber da es unmöglich war, aus der Form auf das darin Befindliche zu schließen, so blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Beobachtungen fortzusetzen und ruhig abzuwarten, was noch geschehen werde. Die Gesichter der Leute wurden von den Feuern derart beleuchtet, daß wir sie deutlich erkennen konnten, doch befand sich keines dabei, welches wir schon einmal gesehen hatten. Dadurch wurde die von mir heimlich gehegte Erwartung, den Säfir unter ihnen zu sehen, zu Schanden. Es dauerte trotz der von ihnen entwickelten Eile lange, ehe sie alle Särge und Pakete geöffnet hatten und alles von der Leichenbrühe durchzogene Holz und Zeug - 73 - in die Flammen geworfen worden war. Zuletzt wurde ein großer Haufe trockenen Tamariskengestrüppes aufgeschichtet, in welchen man, als er in Brand gekommen war, die herumliegenden Knochenteile warf. Da an diesen noch die nicht von der Fäulnis losgelösten Fleischfetzen hingen, wurde der Gestank jetzt ein so höllischer, daß es uns geradezu unmöglich war, ihn länger zu ertragen. Wir zogen uns soweit zurück, bis wir in die Luft kamen, welche wenigstens ohne sofortiges Erbrechen eingeatmet werden konnte, obgleich sie noch keineswegs die Bezeichnung »rein« verdiente. Was nun noch bei den Feuern geschah, konnten wir nicht sehen, weil der zwischen uns und ihnen liegende Pestqualm so dick war, daß sie uns nur als kleine, graue Nebelpunkte erschienen. Halef machte seinem bedrängten Innern durch ein so anhaltendes Husten, Räuspern und Niesen Luft, daß ich ihn zur Vorsicht mahnen mußte. »Vorsicht?« fragte er im Tone der Empörung. »Du verlangst Unmögliches von mir, Sihdi! Es ist jedenfalls ganz gleich, ob ich vorsichtig oder unvorsichtig ersticke. Wie kann ein Mensch an Vorsicht denken, wenn seine Nase im tiefsten Abgrunde der Dschehenna(*Hölle" steckt, während sein übriger Körper noch auf der Erde weilt? Wenn ich der Teufel wäre und für meine lieben Verdammten die schrecklichste der Qualen zu ersinnen hätte, so würde ich ihnen befehlen, die Leichen persischer Schiiten ins Feuer zu werfen und die Düfte dieser von der Sunna abgefallenen Leichen einzuatmen. Ich sage dir, du bringst mich nicht eher wieder dorthin, wo wir jetzt gewesen sind, als bis dieser Gestank der Geruchsverzweiflung sich vollständig verzogen hat!« - 74 - »Habe ich dir zugemutet, mich zu begleiten? Oder hast du nicht vielmehr mich gezwungen, dich mitzunehmen?« »Ja, ich bin selbst schuld daran, Sihdi, daß mein ganzes Dasein sich in heller Empörung befindet; nun aber wird es keiner Macht der Erde gelingen, mich noch einmal dorthin zu locken, wo das Verderben aller wohlriechenden Nerven mir entgegengähnt!« »So wirst du also hier auf mich warten?« »Warten? Wieso?« »Ich gehe natürlich, sobald der dickste Qualm sich verzogen hat, wieder hin.« »Wieder hin? jetzt? Bist du bei Sinnen, Effendi? Bedenke, was du thust! Wenn du dich infolge der entsetzlichen Gerüche so umkehrst, daß deine Innenseite nach außen und deine Haut nach innen kommt, so erwartest du bei mir vergeblich die Geschicklichkeit, mit dir die zum Weiterleben erforderliche Umwendung vorzunehmen!« »Das glaube ich wohl; aber ich muß trotzdem wieder hin, wenn ich erfahren will, was dort geschieht.« »Kannst du das nicht später auch erfahren?« »Nein. Die Leute, welche ich beobachten will, werden, sobald sie dort fertig sind, keinen Augenblick unnötig weilen, sondern sich sofort entfernen; ich aber muß ihnen folgen, um zu erfahren, wohin sie sich wenden.« »Würde es nicht besser sein, wenn wir sie laufen ließen, wohin sie wollen?« »Nein. Ich will nicht nur ihr heutiges Ziel, sondern auch noch anderes erfahren.« »Sihdi, nimm es mir nicht übel, wenn ich dich frage, ob dies nicht bloß eine, wenn auch sehr mutige, Neugierde von dir ist!« »Hast du mich je einmal neugierig gesehen? Denke - 75 - doch an unsern Gastfreund in Bagdad, den Bimbaschi! Du hast jedes von ihm erzählte Wort gehört und mußt also ganz so wie ich ahnen, daß wir jetzt auf dem Punkte stehen, das Geheimnis seines Feindes, des Säfir, zu entdecken. Ich glaube, es liegt die Möglichkeit vor uns, ihm einen großen Dienst zu erweisen, und ich bin der Meinung, daß wir uns diese Möglichkeit nicht durch die Scheu vor den Gerüchen dort zerstören lassen dürfen. Zu dieser Erwägung kommt, aufrichtig gestanden, noch ein weiterer Punkt - - - - -« »Noch ein Punkt!« unterbrach er mich im Tone der Resignation. »Sihdi, wenn du beginnst, Punkte zu bringen, dann ist's mit jedem Widerstande aus; ich kenne dich! Ich weiß, daß dieser Punkt mich überwältigen wird, bitte dich aber trotzdem, ihn mir mitzuteilen.« »Er betrifft den Ort, an welchem wir uns befinden. Wir stehen an einer geschichtlich hochberühmten Stätte. Die heilige Bibel der Christen sogar erzählt vom Birs Nimrud, dessen Ruinen da vor uns wie dunkle Gespenster aus einer noch dunkleren Zeit auf zum nächtlichen Himmel ragen. Sie sagt: Die Menschen sprachen: Kommt, wir wollen eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und lasset unsern Namen berühmt machen, ehe wir in alle Länder zerstreut werden!< Und einer sagte zu dem andern: Kommt, laßt uns Ziegel machen und sie im Feuer brennen!< Und die Ziegel brauchten sie für Steine und Erdpech für Mörtel. Aber der Herr kam herab, um die Stadt und den Turm zu sehen, den die Söhne Adams bauten, und sprach: Siehe, es ist ein Volk und eine Sprache unter allen, und das haben sie begonnen, zu thun und werden von ihren Gedanken nicht ablassen, bis sie selbe im Werke vollbracht haben. Daher kommet, lasset uns niedersteigen - 76 - und daselbst ihre Sprache verwirren, daß einer des andern Rede nicht verstehe!< Und also zerstreute sie der Herr von da in alle Länder, und sie hörten auf, die Stadt zu bauen. Und darum heißt man ihren Namen Babel, (* »Wirrwarr«; babil von balal (assyrisch) = verwirren) weil daselbst die Sprache der ganzen Erde verwirrt worden ist. Und von da zerstreute sie der Herr über alle Gegenden. - - - So erzählt die heilige Schrift, und die seitdem verflossenen Jahrtausende haben das damals verlassene Bauwerk zwar stürzen, aber nicht vollständig zerstören dürfen, weil es gegenwärtig und in ferneren Zeiten emporragen soll als eine zwar steinerne, aber desto beredtere Predigt von der allmächtigen Weisheit Gottes, vor welcher die prahlerische Vermessenheit des Menschengeschlechtes in den Staub zu sinken hat. Dieser Birs Nimrud hat gewaltige Weltreiche entstehen und vergehen sehen, und mächtige Fürsten, welche über viele Millionen herrschten, sind gewillt gewesen, ihn wieder aufzubauen, damit er ein Denkmal ihres Namens und ihrer Größe sei; aber keiner hat es vermocht, diese Absicht auszuführen. Du siehst, wir stehen an einem geschichtlich hochbedeutenden Orte, in dessen Nähe wir beide, du und ich, die trübsten und gefährlichsten Stunden unseres Lebens verbracht haben. Alles, was sich auf ihn bezieht, muß uns im höchsten Grade interessieren, sogar das menschliche Ungeziefer, welches sich durch seine Mauern bohrt, um hinter denselben die Früchte des Verbrechens aufzuhäufen. Menschen, welche den Himmel stürmen und Gott gleich sein wollten, haben an ihm gearbeitet, und nun bildet er ein Versteck der moralischen Armseligkeit und Verkommenheit, die nicht nach der Höhe, sondern nach der Tiefe strebt, weil sie das Licht des Tages und das Auge des - 77 - Gesetzes zu scheuen hat. Begreifst du, daß es mich fortzieht, diesen Leuten nach? Begreifst du, daß ich wissen möchte, was sich heut hinter den Steinen ereignet, welche die Enkel Noahs zusammenfügten, um sich einen Namen zu machen?« »Also doch Neugierde, Sihdi, nichts als Neugierde! Ich fürchtete mich vor deinem Punkte<; zwar weiß ich nicht, ob du schon alles gesagt hast, was du sagen wolltest, aber ich bin jetzt --- horch! Was war das? Wer hat geschossen?« Es war allerdings ein Schuß gefallen, vor uns, in der Gegend, wo die Feuer brannten. Und gleich darauf hörten wir einen zweiten. Der stinkende Qualm war nicht mehr so dicht wie vorher; es ging nicht mehr über Menschenkraft, den Geruch zu ertragen. Ich mußte wissen, wer geschossen hatte und weshalb geschossen worden war. Darum schlich ich, ohne Halef aufzufordern, mir zu folgen, mich wieder der Stelle zu, von welcher aus wir vorhin die unsagbar widerliche Scene beobachtet hatten. Der kleine, wackere Hadschi folgte mir aber doch gleich auf dem Fuße. Zwar hatte er sich vorhin von keiner Macht der Erde dazu bewegen lassen wollen, aber mich der Gefahr allein entgegengehen zu lassen, das brachte er doch nicht über das Herz. Ich hinderte ihn nicht daran, obgleich ich es lieber gesehen hätte, wenn er zurückgeblieben wäre. Als wir unsern frühern Beobachtungspunkt erreichten, war kein Mensch mehr zu sehen. Die Feuer brannten noch, beleuchteten aber nur die verlassene, nach Leichen grausig duftende Stätte, auf welcher noch zahlreiche Sarg- und Körperreste lagen, die den Flammen nicht übergeben worden waren, weil, wie die Schüsse vermuten ließen, der Vorgang ein unerwartetes, vorzeitiges Ende gefunden - 78 - hatte. Aber von wem waren diese Leute gestört und von welcher Seite war geschossen worden? Mochte das sein, wie es wollte, ich nahm als gewiß an, daß die dreißig Leichenschänder sich nach der Stelle der Ruinen entfernt hatten, wo nach dem Berichte unsers Bagdader Bimbaschi der Eingang nach den verborgenen Räumen zu suchen war, in denen man ihn gefangen gehalten hatte. Ihnen jetzt dorthin zu folgen, wäre nicht nur zwecklos, sondern wohl gar gefährlich gewesen, weil sie, mochten die zwei Schüsse von dieser oder von jener Seite gefallen sein, sich nun jedenfalls außerordentlich vorsichtig verhielten und wir ihnen also sehr leicht in die Hände laufen konnten. Darum hielt ich es für geraten, den Platz, wo wir uns befanden, einer kurzen Besichtigung zu unterwerfen und alles übrige bis zum Tagesanbruch aufzuschieben. Unserer Sicherheit wegen aber umschlich ich den Platz erst einmal in sehr vorsichtiger Weise und überzeugte mich, daß sich außer uns beiden niemand in seiner Nähe befand. Als das geschehen war, durften wir uns an die Feuer heranwagen. Wir thaten das, obgleich der Gestank noch so stark war, daß er uns eigentlich hätte soweit wie möglich forttreiben sollen. Es war mir auf meinen Reisen gar manche schwere Beleidigung meiner Geruchsnerven vorgekommen, wenn ich Verhältnisse berührte, von denen man weder mündlich noch gar schriftlich etwas erzählen darf, aber so schlimm, so unbeschreiblich schlimm wie heut war es noch nie und keinesorts gewesen. Die Untersuchung des Platzes hatte nur den einen Zweck, womöglich zu erfahren, was sich in den geheimnisvollen Bündeln befunden hatte. Unser Forschen war nicht ohne Resultat; es mußten zwei von ihnen beschädigt gewesen oder die Verschlüsse aufgegangen sein, denn - 79 - wir sahen an zwei Stellen Proben des Inhaltes, wenn auch nicht viel, an der Erde liegen. Es war Safran, und zwar in Fäden und auch in Pulverform. Als ich diese Bemerkung machte, mußte ich daran denken, daß unser Bimbaschi, der frühere Oberste der Zollbeamten zu uns gesagt hatte: »Jetzt aber würde bei der Höhe des Zolles, der auf ihm liegt, Safran der einträglichste Gegenstand des Schmuggels sein.« Man weiß, daß der orientalische, besonders aber der persische Safran, wenn unverfälscht, von allen Sorten der beste ist; aber seit ich gesehen habe, daß man ihn sogar in den Särgen persischer Schiiten über die dortige Grenze pascht, mag ich von diesem Gewürz nur dann etwas wissen, wenn ich die Überzeugung habe, daß es von unserm abendländischen Crocus sativus gewonnen wurde. Eben machte Halef eine gleichklingende Bemerkung zu mir, als wir durch das Geräusch von Hufschlägen überrascht wurden, welche sich, wie wir hörten, sehr schnell näherten. Es klang, als ob viele Reiter im Trabe geritten kämen. Waren es etwa die Pascher, welche zu Pferde zurückkehrten, um die noch übrigen Reste der Leichen zu verbrennen? »Sie kommen wieder; sie kommen!« warnte mein Hadschi, indem er mich bei der Hand ergriff, um mich mit sich fortzuziehen. »Schnell, schnell! Wir müssen uns verstecken! Der beste Platz ist da oben auf dem Mauerstück. Ich klettere voran!« Er ließ mich wieder los und eilte auf einen Ruinenteil zu, welcher die Höhe eines kleinen Hauses und so viele hervorstehende Zacken und Kanten hatte, daß er allerdings leicht zu ersteigen war. Ich freilich hätte mir einen andern Zufluchtsort gewählt, weil dieser im hellen Schein der Feuer lag; doch konnte man, wenn man sich einmal oben befand, nicht gesehen werden, und da Halef - 80 - bereits am Emporklimmen war und ich es nicht für geraten hielt, mich von ihm, dem leicht Unvorsichtigen, zu trennen, so blieb mir nichts anderes übrig, als sein Beispiel nachzuahmen. Ihn umkehren zu lassen, dazu gab es keine Zeit. Der betreffende Mauerrest bestand aus meist verglasten Ziegeln, welche mit Asphalt verbunden waren. Dieser Kitt hatte Tausende von Jahren festgehalten; warum sollte man sich ihm nicht auch heut anvertrauen können? Leider aber war seine Zuverlässigkeit eine weit geringere, als ich dachte; das sollten wir zu unserm Schaden erfahren. Halef befand sich schon einige Meter hoch über der Erde, und ich hob eben den Fuß, um ihm nachzusteigen, als der Mauervorsprung, über den er kletterte, losbrach und auf mich herabstürzte. Es war ein mehrere Zentner schweres Stück, weiches mich zu Boden riß und auf mir liegen blieb. Ich hörte den Schreckensruf des Hadschi, welcher natürlich nachstürzte; ich fühlte einige Augenblicke lang die Last auf meiner Brust; dann hörte und fühlte ich nichts mehr, denn ich hatte das Bewußtsein verloren, obgleich ich noch heut behaupte, daß mein Kopf nicht mitgetroffen wurde. Als ich wieder zu mir kam, war ich zwar von dem Drucke, aber leider nicht auch in anderer Weise frei, denn ich konnte weder die Arme noch die Beine bewegen; sie waren gebunden. Neben mir lag Halef, ebenso gefesselt wie ich. Um uns saßen wohl zwanzig Asakir (* Plural von Askari = Soldat), deren Anführer ein alter verwetterter Kol Agasi (* Adjutant, Patrouillenführer), war. Sie gehörten zur Kavallerie; ich sah die Pferde in der Nähe stehen. Bei ihnen befanden sich zwei Zivilisten, bei deren Anblick ich sofort wußte, woran ich war, nämlich der Wirt, bei - 81 - dem wir in Hilleh eingekehrt waren, und der dritte Beduine, dessen zwei Gefährten von unsern Pferden abgeworfen worden waren. Diese guten Menschen hatten uns eine so liebevolle Anhänglichkeit bewahrt, daß sie uns doch noch gefolgt waren, wenn auch nicht gleich, aber doch später, und zwar in militärischer Begleitung. Daraus war zu schließen, daß sie uns angezeigt hatten, ein Umstand, welcher mich auf die Vermutung leitete, daß der Beduine, den wir für ohnmächtig gehalten hatten, nicht bloß bewußtlos, sondern tot gewesen war. Beide hielten die Augen auf uns gerichtet, und sobald ich die meinigen geöffnet hatte, rief der Wirt dem Kol Agasi zu: »Er ist wach; er hat die Augen auf. jetzt ist es also Zeit, ihn zu verhören!« Der alte Subalternoffizier bewegte keine Miene und antwortete keine Silbe; aber als die Aufforderung einmal und dann noch einmal wiederholt worden war, wendete er sein Gesicht dem Wirte zu, musterte ihn mit einem Blicke geringschätzigen Staunens und fragte dann: »Mit wem sprichst du denn eigentlich?« »Mit dir!« antwortete der Gefragte. »Mit mir? Das kann ich nicht glauben, denn wenn du mich wirklich meintest, müßte ich dir die Bastonnade geben lassen, weil du mir nicht die Höflichkeit und Achtung zollst, welche ich zu fordern habe.« »Aber wenn ich nicht sprechen darf, wozu bin ich euch da mitgegeben worden?« »Ich mußte euch mitnehmen, um von euch zu erfahren, ob diejenigen, welche wir ergreifen würden, auch wirklich diejenigen seien, welche ihr gemeint habt. Und wer hat dir gesagt, daß du nicht sprechen darfst? Es ist dir nicht verboten; ja, du sollst reden, aber in höflicher Weise und möglichst nur dann, wenn du gefragt wirst. - 82 - Das merke dir! Du gehörst nicht zu uns, denn du bist nicht Soldat; ich aber bin Offizier Seiner gebieterischen Herrlichkeit, des Beherrschers aller Gläubigen, welchem Allah ein tausendfaches Leben schenken möge, und wenn du mir etwas mitteilen willst, so darf dies nur in Form einer unterthänigen Bitte geschehen!« Da fiel der Beduine schnell ein: »Wenn dieser mein Freund schweigen soll, so werde ich desto lauter sprechen. Ich bin ein freier Ben Arab und habe keinem Soldaten zu gehorchen. Ich verlange, daß die Mörder meines Gefährten, welcher beim Sturze vom Pferde den Hals gebrochen hat, sofort verhört werden!« »Wer und was bist du?« fragte der Kol Agasi in verächtlichem Tone. »Ich will es dir sagen: Ihr habt euch zwar für Solaib-Araber ausgegeben, seid aber, wie sich herausgestellt hat, Ghasai-Beduinen, und die Angehörigen dieses deines Stammes sind uns als räuberisches Gesindel und Diebe bekannt. Man sollte euch hängen, ohne eine einzige Ausnahme zu machen! Und da behauptest du, ein solcher Ghasai, daß du keinem Soldaten zu gehorchen habest, und willst mir befehlen, was ich thun soll? Mensch, wenn du noch ein einziges Wort zu mir sprichst, ohne dein Haupt in tiefster Ehrfurcht zu verneigen, so zeige ich dir, wer hier zu gebieten und wer zu gehorchen hat!« »Allah! Du nennst uns Diebe und Gesindel? Ich werde mich augenblicklich entfernen!« Er machte eine Bewegung, als ob er aufstehen wolle; aber der Kol Agasi befahl ihm: »Du bleibst! Ihr seid mir mitgegeben worden; ich bin also für euch verantwortlich, denn ich habe euch wiederzubringen. Nötigenfalls werden unsere Kugeln euch verhindern, uns zu entlaufen. jetzt kein Wort mehr, - 83 - bis ich euch auffordere, zu sprechen! Wir sind tapfere Soldaten des Padischah, dessen Kismet im hellsten Glanze strahlen möge, aber keine Wächter des Zolles, welche Allah verdammt hat, sich von den Abfällen des Schmuggels zu ernähren. Wenn wir heut gezwungen worden sind, einmal in die Fußstapfen der Zöllner zu treten, so haben wir zwar gehorchen müssen, bleiben aber trotzdem, was wir waren.« »Wir haben euch nicht zugemutet, in diese Fußstapfen zu treten!« »Das würde euch auch wohl schlecht bekommen sein! Aber es hat sich doch gefügt, daß diejenigen, welche wir fangen sollten, Schmuggler sind, und da wir sie einzuliefern haben, ist es ganz genau dasselbe, als ob wir mit den Obliegenheiten der Zollaufpasser beleidigt worden seien. Nun aber schweig; ich bin fertig mit dir!« Das Verhalten des Kol Agasi war mir in seinen Gründen nicht ganz klar. Hielt er wirklich so ausschließlich auf seine militärische Ehre, daß ihm der heutige Dienst als eine Beleidigung erschien? Im Grunde genommen konnte mir diese seine Ansicht gleichgültig sein. Interessanter war für mich der Beweis, daß die drei Beduinen, ganz wie ich gedacht hatte, nicht Solaib, sondern Ghasai-Beduinen waren. Das ließ auf die Berechtigung auch meiner andern Vermutungen schließen. Der Unfall mit den auf mich gestürzten Ziegeln schien nicht ohne Folgen zu bleiben. Meine Brust schmerzte, und das Atmen fiel mir schwer. Wie stand es mit Halef? Er lag so still und bewegungslos an meiner Seite, daß ich ihn für schlafend oder gar tot hätte halten können, wenn seine Augen nicht offen und in steter Bewegung gewesen wären. Ich drehte den Kopf nach ihm und flüsterte ihm zu: - 84 - »Bist du verletzt?« »Nein,« antwortete er ebenso leise. »Habe ich lange bewußtlos gelegen?« »Zehn Minuten ungefähr.« »Konntest du nicht fliehen?« »Fliehen? Ohne dich, Sihdi? Bin ich nicht dein Freund, der alles mit dir zu teilen, zu leiden und zu ertragen hat?« »Wenn du frei wärst, könntest du mir mehr nützen als jetzt!« »Sie fielen über mich ebenso schnell her wie über dich. Ich hätte mich verteidigen, also schießen und stechen müssen, und das wollte ich nicht, weil sie kein Gesindel, sondern Soldaten des Sultans sind.« »Das war allerdings recht! Hat dich der Kol Agasi ausgefragt?« »Er sprach bis jetzt kein Wort zu mir. Er hat nach uns gesucht und, als er die Feuer sah, zwei Kundschafter ausgeschickt. Auf diese ist von den Safranschmugglern geschossen worden, und er denkt, daß wir es gewesen sind. Das habe ich aus seinen Reden gehört.« »Wir können ihm beweisen, daß wir es nicht gethan haben.« »Wie denkst du über unsere Lage? Die Kerls waren wirklich Ghasais, wie du ganz richtig vermutetest. Der eine hat das Bein gebrochen, und der andere scheint gar tot zu sein.« »Es ist mir trotzdem gar nicht bange; also brauchst auch du keine Angst zu haben.« »Angst? Das würde mir nicht einfallen, selbst wenn der ganze Ghasai-Stamm sämtliche Beine und Hälse gebrochen hätte. Wie aber steht es mit dir, Effendi? Die Last, welche mich herabriß und auf dich fiel, war sehr schwer.« - 85 - »Die Brust schmerzt mich ein wenig; weiter ist es nichts. Die Rippen sind nicht beschädigt; so viel fühle ich.« »Allah sei Dank! Wenn die Steine auf mich gefallen wären, so hätten meine Rippen gewiß nicht widerstanden, denn die Zusammensetzung meiner harmonischen Körperteile zeichnet sich durch größere Zartheit aus als die Erschaffung deiner festen Knochen.« Er hatte das lauter gesagt, als er beabsichtigte; darum hörte der Kol Agasi, daß wir miteinander sprachen, und rief uns zu: »Ihr habt zu schweigen! Wißt ihr nicht, daß Gefangene nicht miteinander sprechen dürfen?« Ich nahm sogleich die Gelegenheit wahr, ihm im höflichsten Tone zu antworten: »Habe die Güte, o tapferer Jüzbaschi(*Hauptmann" , mir zu erlauben, dich um die Erfüllung eines Wunsches zu ersuchen!« Daß ich ihn als Hauptmann, also einen Rang höher, bezeichnete, brachte ein beifälliges Lächeln auf seinem Gesicht hervor, und seine Stimme klang freundlich, als er mich aufforderte: »Laß mich hören, was du willst!« »Ich sehe dir an, daß du nicht nur ein braver, wohlverdienter Offizier bist, sondern auch die hohen Vorzüge der Gerechtigkeit und Herzensmilde besitzest. Wir wissen nicht, weshalb ihr uns gefangen genommen und gebunden habt, und bitten dich, uns als Kommandant dieser vorzüglichen Truppen mitzuteilen, aus welchem Grunde du die Überwältigung unserer Personen anbefohlen hast.« Er war vielleicht ein Menschenalter lang gewöhnlicher Soldat gewesen; ihm fehlte der Scharfsinn, die - 86 - Absicht meiner höflichen Ausdrucksweise zu begreifen, darum fühlte er sich geschmeichelt und erwiderte in anerkennender Weise: »Allah hat dir die Sprache der Gebildeten verliehen. Deine Worte klingen darum ganz anders als diejenigen, welche ich vorhin aus dem Munde deiner Ankläger vernommen habe. Wie schade, daß grad ein Mörder und Schmuggler diese Gabe der schönen Rede besitzt!« »Erlaube mir, o Jüzbaschi, daß ich dich nicht verstehe! Du hältst uns also für Schmuggler?« »Allerdings. Es ist ja klar erwiesen, daß ihr welche seid. Wir haben die Stege, an welcher wir euch ergriffen, ganz genau untersucht; dann brachten wir euch hierher, wo es nicht so nach Leichen stinkt wie dort. Was es mit diesen Leichen und ihrer verbrecherischen Verbrennung für Bewandtnis hat, das wissen wir nicht; aber wir sahen den Zafarahn (* Safran) den ihr verschüttet habt, an der Erde liegen; der hat uns verraten, daß ihr Schmuggler seid.« »Es thut mir unendlich leid, daß die Umstände zusammengetreten sind, das helle Auge eines sonst so scharfsinnigen Mannes, wie du bist, zu täuschen. Die Schmuggler, von denen du sprichst, gehen uns gar nichts an.« »Nichts? So ist es wohl auch irrtümlich, wenn ich euch für Mörder halte?« »Ja. Deine Güte wird es mir verzeihen, daß ich mich erkundige, warum du eine so kränkende Meinung von uns hast.« »Das will ich dir sagen, weil du so höflich fragst. Wir befanden uns in der Nähe, nämlich da drüben auf dem Hügel der kleinen, aber berühmten Moschee, in weicher die Gebeine Ibrahims (* Abraham) des Erzvaters liegen. - 87 - Da sahen wir mehrere Feuer brennen, und ich sandte zwei meiner Leute aus, nachzusehen, wer sie angezündet habe. Sie führten diesen Auftrag aus, wurden von euch gesehen und hörten die Kugeln, die aus euern Flinten kamen, an sich vorüberpfeifen. Ihr habt auf sie geschossen. Seid ihr da nicht Mörder?« »Nein. Wir wissen, daß auf sie geschossen worden ist, denn auch wir haben die zwei Schüsse gehört; aber ich habe mich schon einmal unterfangen gehabt, deiner freundlichen Einsicht den Umstand mitzuteilen, daß die Schmuggler, welche geschossen haben, uns gar nichts angehen.« »Erlaube mir, daß nun ich es bin, der das, was gesagt wird, nicht begreifen kann! Du behauptest, nicht zu ihnen zu gehören, und wir haben euch doch bei ihnen getroffen.« »Da du ein Liebling Allahs bist, o Jüzbaschi, so wird er dich über diesen Punkt sofort erleuchten. Wenn du die Güte hast, die Gedanken deiner Seele rückwärts zu lenken, so wirst du dich ganz genau erinnern, daß du uns nicht bei ihnen gesehen hast. Als du zu der Stelle des Gestankes kamst, waren sie längst fort, denn sie haben sie augenblicklich verlassen, als sie auf deine beiden Kundschafter geschossen hatten.« »Kannst du das beweisen?« »Ich? Ein Mann von deiner durchdringenden Klarheit weiß ganz genau, daß ich nichts zu beweisen habe. Die Sache liegt vielmehr mit deiner Erlaubnis so, daß derjenige, welcher uns anschuldigt, zu beweisen hat, daß wir schuldig sind.« »Ich muß gerecht sein und dir mitteilen, daß du auch ein Liebling Allahs zu sein scheinst, denn deine Worte enthalten ebensoviel Scharfsinn wie die meinigen. - 88 - Ich gebe zu, daß wir, als wir die erwähnte Stelle erreichten, nur euch beide sahen, leider freilich fliehend. Warum das? Wer gerechte Sache hat, braucht doch nicht die Flucht zu ergreifen!« »Als wir nach dem Birs Nimrud ritten, hatten wir nur die Absicht, die berühmten Ruinen dieser Gegend in Augenschein zu nehmen. Es wurde dabei Abend, und wir suchten einen Platz zum Lagern während der Nacht. Wir sahen Feuer brennen und näherten uns ihnen; der Gestank trieb uns zurück, doch bemerkten wir gegen dreißig Männer, welche Särge öffneten, in denen Leichen und Schmuggelwaren steckten. Die Särge und Leichen wurden verbrannt, die Waren aufgehoben. Dann hörten wir zwei Schüsse, worauf sich die Schmuggler schnell entfernten. Hierauf gingen wir hin, denn die Wißbegierde trieb uns, den Platz zu betrachten. Während wir dies thaten, hörten wir euch nahen. Wir glaubten, es seien die Pascher wieder, und wollten uns eiligst verstecken, denn wir sind ehrliche Menschen, welche die Gesetze Allahs und des Padischah achten, und mögen nichts mit Leuten zu thun haben, die gegen diese Gesetze sündigen. Dabei stürzte mein Gefährte, und ich wurde von den Steinen zu Boden gerissen. Was dann geschah, das weißt du besser als ich. jetzt liegt vor deinen scharfen Augen alles klar, und deine untrügliche Einsicht wird nicht zögern, die auf uns liegenden Vorwürfe von uns zu nehmen.« »Deine Worte besitzen die Unwiderstehlichkeit der Kuransuren; aber ich will dir aufrichtig gestehen, daß ich mich nicht ganz allein auf sie verlassen kann, sondern mich erst bei den Kundschaftern erkundigen muß.« »Bevor du das thust, mag deine Nachsicht mir erst noch eine Bemerkung gestatten! Als wir uns den Feuern - 89 - näherten, hatten wir weder unsere Pferde noch unsere Gewehre bei uns, sondern sie an einem sichern Ort zurückgelassen. Dein wohlgeübtes Denkvermögen aber wird nicht zögern, zu bestätigen, daß man ohne Gewehre unmöglich schießen kann. Und wie ich gehört habe, waren es nicht Pistolen-, sondern Flintenschüsse.« »Es ist sehr einsichtsvoll von dir, daß du dich an mein geübtes Denkvermögen wendest. Wenn ihr eure Gewehre nicht bei euch gehabt habt, müssen es allerdings andere Leute gewesen sein, welche geschossen haben; dennoch aber werde ich nicht versäumen, die Erkundigungen, von denen ich sprach, einzuziehen.« Er that dies, und das Resultat war, daß die Kundschafter erklärten, sie seien zwar nicht so nahe gewesen, wie nötig gewesen wäre, um die Gesichtszüge zu unterscheiden, aber zwei in der Weise und so sauber gekleidete Männer wie wir hätten sie bei den Schmugglern nicht gesehen. Hierauf wendete sich der Kol Agasi uns wieder zu: »Ihr habt gehört, daß der Bericht zu euerm Vorteil ausgefallen ist. Habt ihr noch etwas hinzuzufügen, so erlaube ich euch sehr gern, es zu thun.« »Ich danke dir!« antwortete ich. »Ich habe schon sehr viele und sehr hohe Offiziere des Padischah von Stambul kennen gelernt, aber unter ihnen war keiner, der dich an Scharfsinn, Menschenfreundlichkeit und Gerechtigkeitsliebe übertroffen hätte. Wenn du mir gestattest, werde ich einen Bericht an Hazreti, den Seraskier (* Seine Excellenz, den Kriegsminister) senden und darin deiner so gedenken, daß er sein Auge auf dich richten wird.« »An Hazreti, den Seraskier, den Unüberwindlichen?« - 90 - fragte er, halb freudig, halb erstaunt. »Verzeih, daß ich mich wundere! Kennst du ihn denn? Hast du am Babi humajun (* Hohe Pforte) solchen Einfluß, daß der Gebieter der Kriegsangelegenheiten deinen Bericht überhaupt bekommt, gar nicht zu fragen, ob er ihn lesen oder sogar beachten wird?« Diese Frage brachte Wasser auf die Mühle meines kleinen Halef, der ja stets redefertig war, wenn es galt, mein und also auch sein eigenes Lob zu verkündigen. Sie hatte so lange stillgestanden, daß er jetzt keinen Augenblick zögerte, sie höchst energisch in Bewegung zu setzen. Kaum hatte der Kol Agasi seine Frage ausgesprochen, so fiel der Hadschi, ohne eine Antwort von mir abzuwarten, mit größtem Eifer ein: »Wie kannst du Worte aussprechen, in denen eigentlich eine Beleidigung für uns liegt! Du bist ein tapfrer und ein kluger Mann, aber du hast vergessen, das zu thun, was du gleich anfangs hättest thun sollen, nämlich uns zu fragen, wer wir sind. Ich bin der oberste und also gebietende Scheik der Haddedihn vom großen und weithin bekannten Stamme der Schammar. Mein Name lautet Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas In Hadschi Dawuhd al Gossarah. Und dieser mein Gefährte, dessen Freund und Beschützer ich bin, heißt Emir Kara Ben Nemsi Effendi. Er stammt aus Dschermanistan, welches Land außer den Gebieten des Padischah das größte Reich auf Erden ist und sich über mehr als zehntausend Gebirge, Ebenen, Seen und Flüsse erstreckt. Er hat mit mir alle Gegenden des Westens und Ostens, des Nordens und Südens durchritten, um Wunder des Mutes und der Tapferkeit zu verrichten. Seine - 91 - Freunde lieben und seine Feinde fürchten ihn. Wir haben den Löwen getötet und den schwarzen Panther aus der Welt geschafft. Wir haben ganze Stämme der Beduinen besiegt und bei keinem Angriffe den Rücken nach vorn und den Bauch nach hinten gehabt. Mein Emir spricht alle Sprachen der Völker, nennt alle Sterne des Himmels bei ihren angeborenen Namen und kann dir sagen, wie alle Tiere, Pflanzen und Steine heißen, die es giebt. Er ist der berühmteste Krieger, der weiseste Gelehrte und der herrlichste Mensch, den ich kenne. Sultane, Kaiser, Könige und Fürsten lauschen auf seine Wünsche, denn sie lieben und verehren ihn, und wenn sein Bericht über dich nach Stambul zum Seraskier kommt, so wird dieser die Schrift an seine Stirn drücken und dann, wenn er sie gelesen hat, jedes Wort mit demselben Gehorsam beherzigen, als ob es von der Hand des Beherrschers aller Gläubigen geschrieben worden sei. Daß wir jetzt deine Gefangenen sind, ändert nichts an unserm Ruhme, denn es ist nur der Zerbröckelung der Mauer zuzuschreiben, daß wir jetzt in einer Weise vor dir liegen, welche unserm Stande und unsern Eigenschaften so wenig angemessen ist. Von eurem Sandschaki in Hilleh will ich gar nicht sprechen, aber wenn der Pascha in Bagdad erfährt, daß wir nur noch eine Minute gefesselt geblieben sind, nachdem wir dir unsern Namen genannt haben, so wird aus seiner Kantscheleria (* Kanzlei) ein Wetter über dich ergehen, welches von dir abzuwenden ich dir ernstlich rate, weil du durch die Vorzüglichkeit deiner Eigenschaften unsre Herzen gewonnen hast. jetzt weißt du, wer wir sind und wirst darnach zu handeln wissen!« Der Hadschi hatte mehr als stark aufgetragen, aber - 92 - der Orientale ist das gewöhnt, und der Kol Agasi war zu sehr Orientale, als daß ihn die Übertriebenheiten des Hadschi hätten befremden können; ich sah es ihm vielmehr an, daß sie den beabsichtigten Eindruck auf ihn nicht verfehlt hatten. Der in Aussicht gestellte Bericht an den Kriegsminister und die Drohung mit der Kanzlei des Pascha in Bagdad waren von guter Wirkung, welcher freilich seine Pflicht gegenüber stand. Er sah eine Weile überlegend vor sich nieder; dann schien er einen Entschluß gefaßt zu haben, denn er hob den Kopf und fragte mich: »Ist es so, wie der Scheik der Haddedihn gesagt hat, Emir?« »Ja,« antwortete ich unbedenklich. »So möchte ich der Gerechtigkeit, auf welche ihr euch berufen habt, gern Folge leisten, falls du mir die Möglichkeit bietest, es verantworten zu können.« »Wie denkst du dir diese Möglichkeit?« »Du kannst sie mir geben, indem du dich legitimierst.« »Nichts ist leichter als das. Mach mir die Hände frei, so will ich dir mehr Legitimationen zeigen, als du zu deiner Rechtfertigung brauchst. In meiner Tasche habe ich ein Bujurulti, einen Tezkeresi und sogar auch einen Ferman, mit der Tughra (* Unterschrift des Sultans) des Beherrschers versehen.« »Allah! Wirklich mit der Tughra?« fragte er in ehrfurchtsvollem Staunen. »Natürlich!« antwortete ich in einem Tone, als ob dies etwas ganz Gewöhnliches sei. »So laß diese hohen, kaiserlichen Schriften stecken; ich könnte sie jetzt bei dem schlechten Scheine des Feuers doch nicht lesen; es ist aber ganz genau so, als ob ich sie gelesen hätte, Emir. Ich bitte dich, mir einen Rat - 93 - zu geben! Die Unterschrift des Padischah gebietet mir, euch freizulassen; aber mir ist befohlen worden, euch nach Hilleh zu bringen. Hältst du es für möglich, beiden Pflichten zu gleicher Zeit gerecht zu werden?« »Ja.« »Auf welche Weise?« »Du giebst uns frei, und wir reiten mit euch nach Hilleh.« »Werdet ihr das auch? Wirklich?« »Ja. Ich gebe dir mein Wort.« »Dein Yrza mebni wad?« (* Ehrenwort) »Ja.« »Ich nehme es an und bitte dich um die Erlaubnis, euch selbst loszubinden!« Er war infolge der kaiserlichen Unterschrift so von Hochachtung erfüllt, daß uns kein gewöhnlicher Soldat berühren sollte. Warum er darauf verzichtet hatte, die Legitimationen zu lesen, das war nicht schwer zu erraten. Erstens konnte er höchst wahrscheinlich gar nicht lesen, und zweitens wußte er jedenfalls nicht, wie er ein in seine Hände gelangendes Dokument, mit der Tughra versehen, vorschriftsmäßig zu behandeln hatte. Daß wir frei sein sollten, erregte den Widerspruch des Wirtes und des Ghasai-Beduinen. Als der Kol Agasi uns die Fesseln abnahm, rief ihm der erstere zornig zu: »Halt ein! Du hast nicht das Recht, Leuten, welche Schmuggler und Mörder sind, die Freiheit zu geben, ohne daß du dazu beauftragt bist. Thust du es dennoch, so werde ich dich anzeigen, sobald wir in die Mehkeme (* Gerichtshof) kommen!« Der Alte wollte antworten; ich hielt ihn durch einen - 94 - Wink davon ab, wendete mich selbst an den Sprecher und sagte: »Du hast hier gar nichts zu bestimmen, denn wenn es mir beliebt, so wird man in der Mehkeme nicht über uns zu entscheiden haben, sondern du wirst der Angeklagte sein. Ich sollte eigentlich gar nicht mit dir reden, will dir aber doch in meiner übergroßen Güte einige Bemerkungen machen. Pascher sind wir nicht; das werde ich beweisen. Auch waren wir es nicht, die auf die Soldaten geschossen haben; das steht außer allem Zweifel, weil wir ohne Gewehre sind. Also könnte es sich nur noch um die beiden verunglückten Beduinen handeln. Da behaupte ich, daß sie unsere Pferde stehlen wollten, und du bist mit ihnen im Einvernehmen gewesen. Wären wir nicht noch zur rechten Zeit in den Hof gekommen, so wären sie auf und mit ihnen fortgeritten und wir hätten die Tiere niemals wiedergesehen. Da aber unser Erscheinen dies verhinderte, thaten sie, als ob sie die Hengste bloß probieren wollten. Nur aus unverdienter Höflichkeit und um nicht mit ihnen in Streit zu geraten, gaben wir ihnen die Erlaubnis, aufzusitzen ---« »Ihr sagtet ihnen aber nicht, wie gefährlich dies sei!« fiel mir der Wirt in die Rede. »Das Abgeworfenwerden ist stets gefährlich. Übrigens haben wir sie gewarnt. Der Scheik der Haddedihn hat sie wörtlich aufgefordert, ihm nicht die Schuld zu geben, wenn sie die Hälse brechen sollten. Er erhielt die Antwort, daß sie ihre Hälse, die ihr Eigentum seien, selbst zu hüten wüßten.« »Aber der Scheik hat den Pferden dann das Wort Litaht!< (* Herunter) zugerufen, worauf die Reiter abgeworfen worden und verunglückt sind!« - 95 - »Kannst du das beweisen?« »Ja.« »Nein!« »Ja!« wiederholte er in bestimmtem Tone. »Ich kann es beschwören.« »Daß der Scheik es den Pferden zugerufen hat?« »Ja.« »Wir behaupten dagegen, daß er dieses Wort nicht den Pferden, sondern den Reitern zugerufen hat. Er sah, daß es für diese zu gefährlich wurde und forderte sie durch seinen Ruf auf, abzusteigen. Sie gehorchten nicht und wurden also abgeworfen. Kannst du etwa beschwören, daß nicht die Reiter, sondern die Pferde gemeint gewesen sind?« Er sah mich betroffen an und antwortete nicht, so überraschte ihn meine unerwartete Auslegung. Ich fuhr fort: »Du siehst also, daß wir uns im vollen Rechte befinden und daß das Unrecht nur auf eurer Seite liegt. Übrigens ist das Unglück in deinem Hofe geschehen, und ich bin überzeugt, daß die Mehkeme dich darum zur Verantwortung ziehen wird. jetzt kennst du meine Ansicht, und wenn du noch ein einziges Wort gegen uns zu sprechen wagst, werde ich dir nicht mehr mit dem Munde, sondern in einer andern, fühlbarern Weise antworten!« Der Mann war über das verlorene Wortgefecht wütend, wagte aber infolge meiner Drohung nicht, eine Entgegnung auszusprechen, sondern ließ nur einen halblauten Fluch hören. Sein Gefährte aber, der Beduine, konnte seinen Grimm nicht beherrschen; er fuhr mich zornig an: »Du thust ja, als seist du der Sultan selbst! Bilde dir nicht ein, daß ich mich vor dir fürchte oder vor dem, - 96 - was du in der Mehkeme sagen willst! Du hast die Absicht, uns als Pferdediebe zu bezeichnen. Ich fordere dich auf, mir zu beweisen, daß wir euere Pferde stehlen wollten!« »Du hast hier gar nichts zu fordern!« entgegnete ich. »Wenn ein Beweis für nötig gehalten wird, werde ich ihn vor dem Gerichte führen.« »So habe ich mit dir und mit euch allen jetzt nichts mehr zu thun. Ich mag nichts von euch wissen und gehe fort. In der Mehkeme aber sehen wir uns wieder!« Diese Drohung sollte seinen Rückzug decken. Ich war überzeugt, daß er seine Sache verloren gab und sich gar nicht wieder zeigen wollte. Als er von der Stelle, wo er saß, aufgestanden war, sprang auch der Wirt auf und sagte: »Ich gehe mit. Wo Schmuggler und Mörder freigelassen und ehrliche Leute beleidigt werden, habe ich nichts zu schaffen. Aber es bleibt bei dem, was gesagt worden ist und was ich wiederhole: In der Mehkeme sehen wir uns wieder!« Man hatte uns, als wir ergriffen wurden, nichts von unserm Eigentum genommen; darum konnte ich in den Gürtel greifen und den Revolver ziehen. Ich richtete ihn auf die beiden und drohte: »Die Sache steht jetzt anders, als sie vorhin stand. Vorhin waren wir gefangen, jetzt aber werdet ihr es sein. Ihr wollt euch entfernen und habt allen Grund dazu; uns aber liegt daran, daß ihr bei uns bleibt, und so werden wir dafür sorgen, daß ihr nicht gegen unsern Willen fortgehen könnt.« Und zu dem Kol Agasi gewendet, fuhr ich fort: »Im Namen der Tughra, welche ich bei mir trage und der jeder Beamte und Unterthan des Padischah zu - 97 - gehorchen hat, fordere ich dich auf, diese beiden Männer, damit es ihnen unmöglich ist, zu entlaufen, so zu binden, wie wir vorhin gebunden gewesen sind! Ich erwarte, daß du diesem Wunsche sofort nachkommst!« Der alte Offizier besann sich keinen Augenblick; er gab auf der Stelle den entsprechenden Befehl, und so wurden sie, die unsere Gefangennahme veranlaßt hatten, ganz in derselben Weise gefesselt, wie wir vorher es gewesen waren. Die Tughra that eben Wunder. Es ist das der arabeskenartig verschlungene Namenszug des Sultans, in einer besonderen Schrift geschrieben, welche Diwahni genannt wird. Viele leiten den Ursprung der Tughra auf Murad I. zurück, welcher einst eine Urkunde durch den Abdruck seiner Hand beglaubigte. Andere wieder erzählen dasselbe von dem Sultan Orchan. Hervorragende Kenner aber behaupten, daß die Tughra oder Thogra von dem Sultan Mohammed II., dem Eroberer Konstantinopels, stamme. Als dieser im Jahre 1453 durch Einnahme dieser Stadt das oströmische Reich vernichtete und beim Einzuge in Konstantinopel an die Sophienkirche kam, tauchte er, der Schreibunkundige, seine Hand in Tinte und drückte sie zum Zeichen der Besitzergreifung an die Kirchenthür. Das war die erste Tughra, welches Wort von dem alttürkischen turgai abgeleitet wird. Es heißt soviel wie »es stehe«, »es habe Bestand«. Die Tughra hat allerdings eine entfernte Ähnlichkeit mit einer offenen Hand. Sie wird auf türkische Münzen geprägt, wo sie das Brustbild des Herrschers vertritt und über dem Eingang der von ihm errichteten Paläste und öffentlichen Gebäuden wie Moscheen, Stiftungen, Kasernen, Schulen etc. angebracht. Auf Urkunden wird sie von besonderen Beamten, welche Nischandji's heißen, in Gold, auch in Rot oder Schwarz ausgeführt. Außerordentlich - 98 - selten ist es, daß der Sultan sich herabläßt, seinen Namenszug auf einem ihm vorliegenden Dokumente mit eigener Hand zu zeichnen. Der Betreffende muß bei ihm in höchster Gunst stehen, oder es müssen dabei Umstände obwalten, welche nur der Kenner der jeweiligen dortigen Verhältnisse zu benützen weiß. Es kann da vorkommen, daß ein sehr niedriger Beamter auf einem nur ihm persönlich offenstehenden Wege mehr erreicht, als selbst der Scheik ul Islam oder der Großwesir. So kann ich jetzt, da der Betreffende kürzlich gestorben ist, sagen, daß ich meine türkischen Legitimationen immer durch einen Unterbeamten bezogen habe, dessen Stellung bei uns im Abendlande eine der niedrigsten sein würde. Das war mein Freund Mustapha Moharrem Aga, welcher fünfzig Jahre lang Kapudschi (* Thürsteher) der hohen Pforte gewesen ist. Thürsteher! Das ist doch ein höchst minderwertiger Rang, wird man meinen; aber der Einfluß dieses ebenso braven wie originellen Kapudschi reichte bis in die geheimsten Gemächer hinauf. Er genoß dort ein großes Vertrauen, ein fast beispielloses Wohlwollen, und es galt da fast als ein heiliger Brauch, seinen allerdings bescheidenen und immer in sonderbarer Weise vorgebrachten Wünschen entgegenzukommen. Es sind während seiner langen, in dieser Beziehung einzig dastehenden Amtierung eine Menge großer, berühmter oder einflußreicher Männer an der hohen Pforte erschienen und wieder verschwunden. Mustapha Moharrem Aga aber blieb in seiner Stellung, bis der Tod ihn aus derselben rief. Ob eine erbetene Audienz gewährt wurde oder nicht, das hing gewöhnlich von ihm ab; es genügte ein kleiner, kurzer Wink von ihm, so wurde der Betreffende angenommen, - 99 - oder er mußte, selbst wenn er eine hervorragende Persönlichkeit war, auf die Erfüllung seines Wunsches verzichten. Ich hatte Gelegenheit, mir das Wohlwollen dieses Kapudschi durch meinen vorzüglichen Deschebeli-Tabak zu gewinnen, und er hat es mir bis an sein Ende treu bewahrt. Ich habe es nie mißbraucht, nie eine Bitte ausgesprochen, und grad deshalb stets Legitimationen mit der eigenhändigen Tughra des Großherrn besessen. Es ist mir natürlich nicht eingefallen, ihn zu fragen, auf welche Weise er zu der direkten Unterschrift gelange, doch als er beim erstenmal diese Frage in meinen Augen las, sagte er lächelnd: »Kismet etmeghe ogrenmejen effendilik dahi etmez« = wer nicht den Diener machen kann, der kann auch den Herrn nicht machen. Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, daß eine Legitimation mit der eigenhändigen Tughra beim Vorzeigen einen ganz anderen Eindruck macht als eine gewöhnliche, im Jazy odassy (* Bureau) ausgestellte; ich habe das sehr oft beobachten können. Ein Beispiel davon ist die Ehrfurcht, welche die bloße Erwähnung jetzt dem Kol Agasi abnötigte. Der Wirt war so klug, ruhig zu sein, als er gebunden wurde; der Beduine aber räsonnierte über diese unverdiente und unwürdige Behandlung eines »freien Mannes«. Der Offizier hätte ihn gewiß auch zum Schweigen gebracht; dem kam aber Halef zuvor. Diesem war es bei seinem Temperament unmöglich, solche Reden anzuhören; er zog seine Peitsche aus dem Gürtel, trat zu dem Schimpfenden hin und sagte: »Was nennst du dich? Einen freien Mann? Siehst du nicht, daß du gefesselt bist? Ist ein Gefesselter frei? Wo hast du deinen Verstand? Oder wahrscheinlich ist, - 100 - du hast niemals welchen gehabt, denn wenn nur eine kleine Spur davon in deinem Kopfe wäre, so würdest du dich jetzt hüten, die Thür deines ungewaschenen, flatterigen Mundes zu öffnen. Mein Effendi hat dir schon gesagt, was und wie er von dir denkt; ich werde etwas hinzufügen, was die Größe deiner Erhabenheit sofort in die wahre Null deines Nichtses verwandeln wird. Ihr habt euch uns gegenüber für Solaib ausgegeben, und nun stellt es sich heraus, daß ihr zu den Ghasais gehört. Warum diese Täuschung, diese Lüge? Ein freier, ehrlicher Ben Arab wird niemals seinen Stamm verleugnen. Ich würde lieber sterben, als verneinen, daß ich zu den Haddedihn gehöre. Und nun will der Mund, der uns belog, sich gar in ein großes, weit offenes Maul verwandeln, welches thut, als ob es uns verschlingen möchte! Klappe es zu, und halte es ja verschlossen, sonst zeichne ich dir meine Verachtung mit dieser Kurbadsch so quer über das Gesicht, daß dich jedermann, so lange du lebst, gleich als den Schuft erkennt, der du in meinen Augen bist! Wag nur ein Wort, so haue ich zu!« Er hob die Peitsche zum Hiebe, es war ihm Ernst; der Beduine aber schwieg. Die Drohung des Hadschi hatte ihn doch eingeschüchtert. Nachdem sich die erst für uns so bedrohlich scheinenden Verhältnisse auf einstweilen ganz befriedigende Weise geklärt hatten, galt es nun die Frage unserer Rückkehr nach der Stadt. Ich legte sie dem Kol Agasi vor, und er antwortete: »Wenn es dir recht ist, Emir, brechen wir sogleich auf. Wir brauchen nicht zu warten, bis es Tag geworden ist, denn wir kennen ja den Weg.« »Lieber würde es mir sein, wir warteten.« »Warum?« - 101 - »Der Schmuggler wegen.« »Die gehen mich nichts an. Du hast von mir schon gehört, daß es eine Beleidigung für einen alten, ehrenvoll gedienten Soldaten ist, den Zollspürhund zu machen.« »Ich habe es gehört und mute dir auch nicht zu, diesen Leuten des umgangenen Zolles wegen nachzulaufen. Es würde ein Dienst sein, den du mir erweisest.« »Wieso?« »Wir müssen ihre Spuren sehen, was doch jetzt bei Nacht nicht möglich ist.« »Warum ihre Spuren?« »Um unsere Unschuld feststellen zu können.« »Allah! Du sprichst in Rätseln! Was haben die Stapfen dieser Menschen mit eurer Unschuld zu thun?« »Es handelt sich darum, klarzulegen, daß wir nicht zu ihnen gehören. Wir suchen unsere Spur und dann die ihrige. Indem du, der du ja den dazu nötigen Scharfsinn besitzest, beide miteinander vergleichst, wirst du dich überzeugen, daß sie und wir einander nichts angehen, und kannst in der Mehkeme unser Zeuge sein, wofür ich dir die größte Dankbarkeit widmen werde.« Aufrichtig gestanden, war es mir weniger um sein Zeugnis zu thun, als vielmehr um zu erfahren, ob die Spuren nach der von mir vermuteten Stelle führen würden. Der Alte wiegte nachdenklich den Kopf und erkundigte sich: »Wirst du in deinem Berichte an den Seraskier diesen meinen Scharfsinn mit erwähnen?« »Gewiß!« »So bleiben wir und warten, bis es hell geworden ist. Aber könnt ihr eure Pferde solange ohne Aufsicht lassen?« »Ja. Sie sind Radschi Pack (* Echtestes Blut) und würden lieber - 102 - verschmachten, als ihren Platz verlassen. Wir müssen auch der Spuren wegen hier bleiben, denn wenn ihr in der Dunkelheit auf ihnen herumreitet, die nicht berührt werden dürfen, sind sie dann morgen nicht mehr zu unterscheiden.« »Das mit diesen Fährten ist mir ganz neu. Ich habe stets gedacht, Spur sei Spur.« »Da befandest du dich im Irrtume. Das Lesen der Fährten ist höchst interessant, aber auch nicht leicht. Es bildet geradezu eine Wissenschaft, welche studiert werden muß.« »Beschäftigt man sich in deinem Vaterlande Dschermania mit dieser Wissenschaft?« »Nein, Ich habe es anderswo gelernt.« »Es wird dich freuen, zu erfahren, daß ich Dschermania sehr genau kenne.« »Ah! Du kennst es wirklich?« »Sehr genau, wie ich schon sagte. Es wird auch Dschermanistan genannt. Habe ich recht?« »Ja.« »Es liegt zwischen dem Garb Tarabulus (* Tripolis) und Ustrali (* Australien). In der Mitte liegt der große See Filimenk (* Holland) ,und um die Grenzen laufen die Flüsse Iswitschera (* Schweiz), Londra (* London), Budschdan (* Moldau) und Tschin (* China). Im Norden steht der Berg Dschewwa (* Genua) und im Süden der Berg Danimarka (* Dänemark). Nicht wahr, Emir, du siehst ein, daß ich dein Vaterland sehr genau kenne?« »Ja, sehr genau,« antwortete ich möglichst ernst. Höchst stolz auf diesen geographischen Triumph, warf er einen stolzen Blick im Kreise herum und fuhr fort: »Das sind die Errungenschaften davon, daß ich mich - 103 - in meiner dienstfreien Zeit sehr gern mit der Dscheografia (* Geographie) beschäftige. Die Bewohner von Dschermanistan sind sehr bewegliche Nomaden; sie wohnen in grünen oder blauen Zelten, ziehen bald dahin, bald dorthin und züchten Kamele, welche, wie die unserigen, einen, oftmals aber auch zwei Höcker haben. Ihre Datteln sind zwar nicht so wohlschmeckend wie diejenigen, welche wir verspeisen, dafür aber gedeihen bei ihnen die Ziegen besser als bei uns. Ihre Häuptlinge zahlen dem Sultan von Stambul (* Konstantinopel) einen jährlichen Tribut, welcher in Teppichen und Haremspantoffeln besteht, wofür sie die Erlaubnis haben, zur Erlangung der nötigen Lebensklugheit unsere Makahtib und Mädahris (* Niedere und höhere Schulen) besuchen zu dürfen. Sie sind eifrige und treue Anhänger des Propheten; man findet sie bei jedem Pilgerzuge mit den Kuran in den Händen, und Mekka und Medina sind ihnen die heiligsten Städte der Welt. Du wirst mir bezeugen, Emir, daß diese meine Schilderung den Inbegriff der Wahrheit enthält!« Was sollte ich antworten? Ich wollte ihn nicht kränken und konnte die Dummheiten, welche er vorgebracht hatte, doch unmöglich bestätigen. Da half mir Halef aus der Verlegenheit. Dieser war kein Türke, sondern ein Beduine, und zwar ein in der westlichen Sahara geborener, der sich durch nichts verpflichtet fühlte, dem Beherrscher in Konstantinopel eine besondere Verehrung zu zollen. Dafür aber hatte er, weil er mich liebte, eine ganz besondere Sympathie für mein Vaterland. Seine Kenntnisse über dasselbe waren allerdings auch sehr fragwürdiger Natur, denn was ich ihm von Deutschland erzählt hatte, das war stets sehr schnell von ihm wieder vergessen worden; auch konnte er sich den Occident - 104 - nicht anders als nur unter orientalischen Verhältnissen denken, und so wirkte, wenn er einmal von einem europäischen Lande oder Volke sprach, das, was er vorbrachte, meist sehr Heiterkeit erweckend; aber klüger war er in dieser Beziehung dennoch, als der Kol Agasi. Ganz besonders ärgerte es ihn, daß dieser von Tribut gesprochen hatte. Das war eine Herabwürdigung der deutschen Nation, eine Beleidigung, welche er, weil ich ein Deutscher war, unmöglich dulden konnte. Darum wartete er gar nicht ab, ob oder was ich dazu sagen würde, sondern er fiel sehr schnell und in eifriger Weise ein: »Wie? Du meinst den Inbegriff der Wahrheit gesagt zu haben? Ich muß dir mitteilen, daß dieser dein Inbegriff über alle Begriffe unbegreiflich ist, und daß ich noch nie eine Wahrheit gehört habe, welche in Wahrheit so viele Unwahrheiten enthält, wie die deinige.« »Wie?« fragte der Alte erstaunt. »Das sagst du mir, der ich in der Dscheografia so bewandert bin! Und zwar sagst du es in einer Weise, welche so ganz entfernt ist von der Höflichkeit, die man im Umgange mit Offizieren des Großherrn anzuwenden hat!« »Was du über Dschermanistan gesagt hast, das hast du nicht als Offizier, sondern als Dscheograf gesagt, und wenn ein Dscheograf unrecht hat, so verbietet es mir die Wahrheitsliebe, ihm aus Höflichkeit recht zu geben. Übrigens bist du selbst noch viel unhöflicher gewesen als ich!« »Ich? Inwiefern und gegen wen?« »Gegen meinen Emir Kara Ben Nemsi Effendi. Schaue ihn einmal an! Sieht er so aus, als ob sein Volk die Teppiche und Pantoffeln für eure Harems herzuschenken habe? Ich sage dir, die Deutschen schenken nicht einmal ihren eigenen Frauen Pantoffeln, also noch - 105 - viel, viel weniger fremden Weibern! Und wenn du denkst, daß sie euch Teppiche schicken, so irrst du dich da ebenso, denn sie haben ja selber keine. Dein allergrößter Irrtum aber liegt in dem Tribute, von welchem du gesprochen hast. Das deutsche Volk besteht aus Helden, aus lauter unüberwindlichen Kriegern, die sich selbst vor der Hölle und dem Teufel nicht fürchten. Wollte der Sultan es wagen, mit ihnen zu kämpfen, so würden sie ihn einfach in die größte ihrer Kanonen laden und ihn wieder heim nach Stambul schießen. Es giebt ein unübertretbares Gesetz bei ihnen, durch welches auf das strengste verboten wird, einem fremden Fürsten Tribut zu zahlen, und es ist ganz im Gegenteil der deutsche Sultan, dem ausländische Herrscher Steuern zu entrichten haben. So weiß ich zum Beispiel ganz genau, daß die Beherrscher von Ulah, Midilli, Merakesch, Süwedsch, Dschibeltar und Firangistan (* Wallachei, Mytilene, Marokko, Suez, Gibraltar und Europa) ihm hohe Tribute zu entrichten haben, denn er hat sie alle besiegt und im letzten Kriege sogar die Völker von Brasilli, Sibir memleketi und Prussia (* Brasilien, Sibirien und Preußen) überwunden. Es ist also eine Beleidigung meines Effendi, wenn du behauptest, daß sein Volk Tribut zahlen müsse, während es doch im Gegenteil Tribut gezahlt bekommt. Und ebenso falsch war das, was du von den Deutschen in Beziehung auf die Pilgerzüge und auf Mekka und Medina erzähltest. Du wirst dort niemals einen Deutschen sehen, denn die Bewohner von Dschermanistan sind keine Muhammedaner, sondern entweder Christen oder überhaupt gescheite Leute. Die Kamele haben dort nicht nur einen oder zwei, sondern drei oder gar vier Höcker, und die Datteln wachsen dort so groß und schwer, wie bei euch die Kürbisse sind. In - 106 - ihren Flüssen giebt es Fische, Kadyrga balydschylar (* Walfische) genannt, welche ihren eigenen Schwanz nicht sehen können, weil man von ihm aus bis vor zum Kopfe einen halben Tag lang im Galopp zu reiten hätte, und wenn sie von einer Stadt zur andern reisen, thun sie das nur auf eisernen Straßen, indem sie ihre Wagen von feuerspeienden Pferden ziehen lassen, welche stählerne Glieder haben und mit brennenden Kohlen gefüttert werden.« Der Kohl Agasi saß mit vor Erstaunen offenem Munde da und sah den Sprecher sprachlos an. Er war das, was man vulgär mit dem Ausdrucke »baff« zu bezeichnen pflegt. Seinen Leuten ging es ebenso. »Nun, was sagst du jetzt?« fuhr Halef fort. »In deiner Dscheografia steht wohl nichts davon, daß die Deutschen solche Feuerpferde haben, und keine Muhammedaner sind?« »Wird - - wird - - das Pferd, welches - - welches der Emir mit hat, auch mit glühenden Kohlen gefüttert?« fragte der Offizier, seine Sprache wieder gewinnend: »Nein, dieses nicht. Du brauchst dich also nicht zu fürchten.« »Und - - und ist er - - wirklich kein Anhänger des Propheten, sondern ein Christ?« »Er ist ein Christ, also ein sehr gescheiter Mann.« »Verzeih, O Scheik der Haddedihn, daß ich einen Gedanken ausspreche, der vielleicht nicht voller Achtung klingt! Du nennst ihn einen gescheiten Mann; aber ist es klug von ihm, als Christ hier diese Gegend aufzusuchen?« »Warum sollte das etwa unklug sein?« - 107 - »Weil hier die berühmten Orte der schiitischen Wallfahrten liegen. Es ist für ihn äußerst gefährlich, sich auch nur eine Stunde hier zu verweilen, denn sobald die Schiiten in der Nähe ihrer heiligen Orte jemanden als Christen erkennen, so ist er verloren. Wißt ihr das nicht?« »Wir wissen allerdings, daß furchtsame Leute so denken, wie du sagst; aber wir haben das, was andere Menschen Angst zu nennen pflegen, nicht kennen gelernt. Wir gehen, wohin es uns gefällt, und bleiben dort, solange es uns beliebt. Wir sind hierher gekommen, weil wir den Birs Nimrud besuchen wollten, und es ist uns gar nicht eingefallen, daran zu denken, ob das für uns gefährlich sein kann oder nicht. Wir hegen nicht die geringste Besorgnis um unser Wohl und unsere Sicherheit, und falls wir Schiiten begegnen, welche entdecken, daß der Emir ein Christ ist, so werden sie in demselben Augenblicke zugleich auch die Entdeckung machen, daß es für sie am klügsten ist, sich vor unserem Zorn in acht zu nehmen. Ich sage dir, es ist keine Kleinigkeit, den obersten Scheik der Haddedihn oder den berühmten und unüberwindlichen Emir Kara Ben Nemsi Effendi zum Feind zu haben. Du mußt nämlich wissen, daß wir Zaubergewehre besitzen, mit denen man endlos schießen kann, ohne laden zu müssen. Wir sind überhaupt nicht so wie andere Menschen. Wir denken, reden und handeln anders als sie; wir schießen, stechen und hauen ganz anders als sie; wir werden --- kurz und gut, solange ihr euch bei uns befindet, seid ihr sicher vor jeder Gefahr. Und wenn in diesem Augenblicke hundert Schiiten kämen, um über uns und euch herzufallen, so würden wir uns nicht fürchten, sondern es getrost mit ihnen aufnehmen.« - 108 - »Wie wolltet ihr euch wehren, da ihr eure Flinten nicht bei euch habt?« »Kann man sich nur mit Hilfe von Flinten verteidigen? Ich sage dir, es giebt noch ganz andere Waffen, und man kann sich der Angreifer noch auf ganz andere Weise entledigen, als nur mit Hilfe von Pulver und Blei. Wer Geistesgegenwart, List und Mut besitzt, ist jedem Feinde überlegen, dem eine dieser Eigenschaften fehlt; wir haben das sehr oft erfahren, und um dir das beweisen zu können, wünsche ich fast, daß jetzt eine Schar von Schiiten käme, um mit uns anzubinden.« »Allah verhüte das! Ich bin ein tapferer Soldat und Offizier, aber diese Leute, welche Ali und seine Söhne mehrverehren als den Propheten selbst, sind keine ehrlichen Krieger. Ich pflege dem Feinde gerade offen entgegenzugehen; sie aber lieben die Heimtücke und die Hinterlist. Ist es mir beschieden, im Kampfe zu sterben, so soll es doch wenigstens nicht von einer Kugel sein, die mit feiger Hand von hinten auf mich geschossen wird. Seid ihr wirklich bloß in der Absicht hierhergekommen, den Birs Nimrud zu sehen?« »Ja.« »Ich will nicht in euch dringen, mir mehr zu sagen, als ihr wollt; aber es ist mir unmöglich zu glauben, daß man einen so weiten und gefährlichen Ritt unternehmen kann, nur um einen großen, wüsten Haufen von Trümmern und Ziegelsteinen zu betrachten. Ich bitte um die Erlaubnis, meine Anordnungen für die Nacht erteilen zu dürfen, denn da wir beabsichtigen, erst am Tage nach Hilleh zu reiten, werden wir jetzt zu schlafen versuchen!« Er gehörte zu der großen Zahl der Leute, denen es unverständlich ist, wenn andere etwas thun oder unternehmen, ohne die Absicht auf gewöhnliche, äußerliche - 109 - materielle Vorteile dabei zu hegen. Wahrscheinlich war er trotz allem, was wir gesagt und gesprochen hatten, doch immer noch der Ansicht, daß wir in irgend einer Beziehung zu den Schmugglern ständen. Er bestimmte die Posten, welche natürlich auch die Gefangenen zu bewachen hatten, und wickelte sich in seinen Mantel, damit ein Zeichen oder Beispiel gebend, welchem seine Untergebenen sogleich folgten. Halef streckte sich auch lang aus und fragte mich leise: »Meinst du vielleicht, Sihdi, daß es für uns geraten ist, abwechselnd zu wachen?« »Nein«, antwortete ich. »Der alte Kol Agasi meint es ehrlich. Wir werden auch ohne unsere Decken ganz gut schlafen, denn es ist heut nicht kalt. Gute Nacht!« »Gute Nacht sage auch ich, obgleich ich weiß, daß ich keine Ruhe finden werde. Der Gestank der Leichen liegt noch so fest in meiner Nase, daß mich der Tod heut fliehen würde, also noch viel mehr der Schlaf, sei der deinige um so fester!« Dieser sein Wunsch ging in Erfüllung. Ich schlief sehr gut und so lange, bis der Hadschi mich weckte. Er versicherte mir, kein Auge geschlossen zu haben, denn »die Empörung seiner Nase habe ihn gequält bis jetzt zu diesem Augenblick«. Die Soldaten nahmen ein kurzes, frugales Frühstück und stiegen dann auf, um sich von uns nach der Stelle führen zu lassen, an weicher unsere Pferde sich befanden. Diese begrüßten uns mit frohem Wiehern; sie hatten sich nach uns gesehnt, aber doch keinen Versuch gemacht, sich loszureißen. Als wir sie von der Schutthalde herabgeführt brachten und der Kol Agasi sie sah, rief er bewundernd aus: »Ja, das ist wirklich Radschi Pack! Dergleichen hat selbst der Pascha von Bagdad nicht in seinem Besitze - 110 - und ich begreife es sehr gern, wenn andere lüstern darnach werden. Solche Pferde sind für Diebe eine Versuchung, welcher kaum zu widerstehen ist. Was müßt ihr für reiche Männer sein! Nehmt euch in acht, daß man sie euch nicht einmal heimlich entführt!« War er über die Hengste entzückt, so war er in demselben Grade nun auch neugierig auf meine Gewehre. Ich gab ihm den Bärentöter in die Hand; er kannte die Schwere desselben nicht, obgleich sie ihm anzusehen war, und ließ ihn fallen. »Allah!« rief er aus. »Das ist ja keine Flinte, sondern eine Kanone, eine doppelte Kanone! Wie weit kannst du mit dieser fürchterlichen Barudi (* Büchse) schießen?« »So weit, wie keine Kugel eines Feindes reicht,« antwortete Halef. »Die Kugeln dieser Doppelbüchse gehen so weit, wie wir wollen, und oft auch noch weiter, viel weiter. Und nun betrachte dir auch das andere, kleinere Zaubergewehr! Das schießt ohne Aufhören, immerfort, von heut an bis zum Ende dieses Jahres und, wenn wir es wünschen, auch noch einige Monate länger. Betrachte es!« Der Hadschi nahm mir den Stutzen aus der Hand, um ihn dem Kol Agasi zu geben; dieser aber wehrte mit beiden Händen ab und rief: »Nein, nein; ich danke dir, o Scheik der Haddedihn! Ich bin ein strenggläubiger Anhänger des Propheten und darf also mit meiner Hand keinen Gegenstand berühren, welcher mit irgend einer Zauberei in Verbindung steht. Allah bewahre und behüte mich vor dem Teufel und allen seinen bösen Geistern, welche solche immerfort schießende Flinten machen! Ich brauche diese hier nicht - 111 - anzufassen; ich glaube auch ohnedem, daß sie die Eigenschaft besitzt, von welcher du gesprochen hast. ich weiß, daß es Mächte und Kräfte giebt, welche nicht von dieser Erde stammen, und daß man sie sich dienstbar machen kann; ich aber will nichts mit ihnen zu schaffen haben!« Halef lächelte befriedigt. Er hatte seinen Zweck erreicht und gab mir das Gewehr zurück. Nun galt es, uns mit den Spuren zu beschäftigen. Ich wollte, wie bereits gesagt, sehen, wohin die Schmuggler gestern abend den Safran geschafft hatten. Sie waren fast eine ganze Nacht an diesem Ort geblieben und dann, kurz vor Tagesanbruch, nach dem Kanale zurückgekehrt, denn ich erblickte ihre Kelleks draußen auf dem Wasser; sie ruderten nach Norden zu, woher sie gestern gekommen waren. Das sah ich, ohne aber dem Kol Agasi etwas davon zu sagen. Die Augen des Hadschi aber lenkte ich durch einen verstohlenen Wink auf das, wovon ich nicht sprechen wollte. Zunächst führte ich den Offizier auf die Spuren, welche wir am vergangenen Tage bei unserer Ankunft gemacht hatten, dann auf die von dem Kanale herlaufende Fährte der Pascher. Diese war tief eingedrückt, weil die Leute schwer getragen hatten. Wieder zu unsern Fußeindrücken zurückgekehrt und ihnen bis zu den Feuerstätten folgend, erklärte ich ihm alles, was er nicht von selbst zu finden vermochte, und betonte besonders den Umstand, daß unsere Spur erst hier, wo wir gefangen genommen worden waren, auf diejenige der Pascher stieß und wir also nicht mit ihnen verkehrt haben konnten. »Ich begreife alles sehr leicht, Emir«, sagte er. »Du kannst überzeugt sein, daß ich dir jedes deiner Worte glaube. Du hast mir bewiesen, daß diese Schmuggler - 112 - euch vollständig unbekannt gewesen sind und ihr also keine Ahnung davon hattet, daß sie sich hier befinden würden. Ich werde das, wenn du es wünschest, in der Mehkeme sagen.« »Ich bitte dich darum.« »Du hast nicht zu bitten sondern zu fordern, denn du willst ja einen Bericht an den Seraskier senden. Wenn ich ja vorher noch daran gezweifelt hätte, daß du einen Einfluß bei ihm hast, so würde dieser Zweifel vollständig verschwunden sein, seitdem ich dich zu Pferde sitzen sehe. Wer ein solches Pferd besitzt und es in der Weise wie du reitet, der hat das Zeug dazu, selbst Seraskier zu sein!« Fast hätte ich über dieses Lob laut aufgelacht; ich drückte jedoch die Anwandlung dazu nieder. Mein kleiner Hadschi aber blieb nicht still dazu, sondern griff sofort zum Worte: »Seraskier? Mein Effendi? Kann ihm nicht einfallen, sogar nicht einmal im Traume einfallen!« »Warum?« fragte der Kol Agasi verwundert. »Weil er nicht will.« »Aber der Seraskier ist doch der Gebieter, der höchste Mann im Heere des Padischah!« »Aber wie lange? Er ist bei all seiner Würde ein Diener des Großherrn, der ihn in jedem Augenblick absetzen, fortjagen und sogar aus irgend einem Grunde zum Tode verurteilen kann. Mit ihm tauschen wir nicht; nach seiner Stellung sehnen wir uns nicht. Wir haben es besser als er, denn wir stehen höher. Ich bin der Fürst und Gebieter meiner Haddedihn; wer kann mich absetzen? Und mein Effendi ist auch sein eigner Herr und keines Fürsten Sklave; kein Sultan, kein Schah-in-Schah, kein Kaiser und König kann ihm das rauben, was er ist und - 113 - was er hat. Nein, wir haben keine Lust, Seraskier zu sein, weder er noch ich!« Wir folgten jetzt den Spuren der Schmuggler weiter, von den Feuern weg in südlicher Richtung, bis sie von den Ruinen nach rechts fort in das freie Feld führten. Das sah für den Nichtkenner so aus, als ob sie, immerfort gehend, eine schon vorher beabsichtigte Bogenrichtung eingeschlagen hätten. Ich aber sah ganz deutlich, daß sie da, wo ihre Fährte von dem Gemäuer ablenkte, angehalten hatten. Sie waren hinauf zur Höhe gestiegen, wo die Stelle lag, von welcher unser Bimbaschi in Bagdad gesprochen hatte. Da hinauf hatten sie die Schmuggelware geschafft und dann, wieder herabgekommen, ihren Weg hinaus ins Freie fortgesetzt. Dieser Umweg war notwendig gewesen, weil sie sonst auf die Soldaten gestoßen wären, deren Feuer sie natürlich hatten brennen sehen. Von diesen meinen Gedanken aber erfuhr der Offizier nichts. Wir kehrten an dieser Stelle um, ritten auf unsern eigenen Spuren zurück und schlugen dann den ungefähr dreißig Kilometer langen Weg nach der Stadt ein. Der Wirt und der Ghasai-Beduine, welche sich den Soldaten angeschlossen hatten, um unserer Arretur beizuwohnen, hatten wohl nicht geahnt, daß sie auf dem Rückweg selbst gefangen sein würden. Sie waren jetzt nicht mehr gebunden, doch wurden ihre Pferde von je einem Soldaten an den Zügeln geführt, und Halef ritt eng hintendrein, um sie stets im Auge zu haben, während ich mich neben dem Kol Agasi hielt, welcher den Zug anführte. Jetzt erfuhr ich auch, warum dieser Offizier nicht hatte glauben wollen, daß wir bloß hergekommen waren, um den Turm zu sehen. Nämlich als wir eine ziemlich - 114 - lange Zeit still nebeneinander her geritten waren, legte er mir die etwas schüchtern klingende Frage vor: »Ist es wirklich wahr, Emir, daß du ein Christ bist?« »Es ist wahr.« »So sag einmal: Giebt es bei den Christen auch Schmuggler?« »Leider, ja.« »Du sagst leider; es scheint also, daß du die Schmuggelei für eine Sünde hältst?« »Alles, was das Gesetz verbietet, ist von dem Standpunkte dieses Gesetzes aus eine Sünde.« »Aber wie komme ich als Türke dazu, zum Beispiel für den Safran, der in Persien viel billiger ist als bei uns, hier so viel mehr zu bezahlen, weil es dem Großherrn gefallen hat, einen Zoll auf dieses Gewürz zu legen?« »Ich bin nicht der Großherr und bitte dich also, diese Frage nicht mir, sondern ihm vorzulegen.« »Du willst mir ausweichen. Sag mir einmal aufrichtig, ob es Christen geben kann, welche auch anderswo als in ihrem Vaterlande Schmuggel treiben!« »Ich halte das nicht für unmöglich.« »So ist der Gedanke, den ich hatte, doch nicht so ganz dumm gewesen.« »Welcher Gedanke?« »Ich hielt dich für den Anführer der Pascher.« »Ah! Wirklich?« »Ja. Und ich dachte, du seist nur dadurch, daß wir euch fingen, verhindert worden, dich mit ihnen zu entfernen.« »Hoffentlich bist du jetzt anderer Meinung?« »Ganz anderer. Aber ich gehöre nicht zu den Zollhunden, welche hinter den Paschern hergehetzt werden, - 115 - und wäre dir, falls du zu ihnen gehört hättest, in Beziehung auf diese Zusammengehörigkeit ganz und gar nicht gefährlich geworden. Das wollte ich dir noch sagen, damit du einsiehst, daß ich nur Soldat und sonst weiter nichts bin.« Ich verstand ihn besser, als er dachte. Er war immer noch nicht ganz überzeugt, daß die Pascher mich nichts angingen, und hätte, wenn ich als solcher ertappt worden wäre, gegen ein gutes Bakschisch in Hilleh ganz gern darüber geschwiegen. Das war der versteckte Sinn seiner Rede, auf den ich aber glücklicherweise nicht einzugehen brauchte. Seine Aussage über mich vor der Mehkeme war mir auch ohne Trinkgeld Sicher, weil ich durch die Hoffnung auf meinen Bericht ihn mir zum Freunde gewonnen hatte. Übrigens muß ich erwähnen, daß ich ihn mit dieser Hoffnung nicht etwa belogen hatte, denn ich besaß wirklich die Absicht, etwas für ihn zu thun, selbst wenn ich die Gelegenheit dazu bei den Haaren herbeiziehen mußte. Freilich war ich dabei der Ansicht, daß dies nicht grad durch einen Bericht an den Seraskier zu geschehen brauchte. Bei einem ihm näherstehenden Vorgesetzten war jedenfalls eher etwas zu erreichen, als bei diesem hohen Herrn, dem ein im fernen Hilleh garnisonierender Kol Agasi höchst wahrscheinlich sehr gleichgültig war. Daß man sich den letzteren durch die Verabreichung eines Trinkgeldes nicht zum Todfeind machen würde, konnte man bei seinen armseligen Einkünften leicht denken. Das Einkommen eines Kol Agasi betrug - - wenn es überhaupt gezahlt wurde! - - damals in Hilleh nach unserem Gelde achtzig Pfennige pro Tag, mit welcher Summe er alle seine Bedürfnisse ohne Ausnahme zu bestreiten hatte. Unser weiteres Gespräch, bis wir die Stadt erreichten, - 116 - bezog sich auf unwichtige Gegenstände, doch zeigte die Art und Weise, wie er sich dabei gegen mich benahm, mich fragte oder mir antwortete, daß wir den von uns beabsichtigten Eindruck auf ihn gemacht hatten; er war voller Ehrerbietung und Höflichkeit gegen mich. Daß ich kein Muhammedaner, sondern ein Christ war, schien mir in seinen Augen nichts zu schaden; er kam mit keinem Wort darauf zurück. - - - - 117 - [unpaginiert] Zweites Kapitel. Vor Gericht. Als wir Hilleh erreicht hatten, ritten wir zunächst nach der Wohnung des Wirtes, vor welcher angehalten wurde. »Ich habe euch, meiner Weisung nach, wieder zurückgebracht,« sagte der Kol Agasi zu ihm; »ihr könnt also in dein Haus gehen. Aber ich werde einen Posten an die Thür stellen, welcher euch zu verwehren hat, es zu verlassen, bis ihr nach der Mehkeme geholt werdet, wo ihr eure Anklage vorzubringen und ihre Wahrheit zu beweisen habt. Ich mache euch darauf aufmerksam, daß ihr euch also auch jetzt noch als Gefangene zu betrachten habt. Unterlaßt darum jeden Versuch, euch ohne Erlaubnis von hier zu entfernen!« Sie gefangen, wir aber frei! Das ärgerte sie gewaltig; sie waren aber klug geworden und sagten nichts dazu. Wir ritten unter Zurücklassung eines Postens weiter, der sogenannten Makarri ikamet (* Residenz) des Sandschaki zu. Im Hofe derselben angelangt, wurden wir von dem - 118 - Kol Agasi aufgefordert, abzusteigen. Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, den Grund dieser Aufforderung zu erraten und uns über unsere gegenwärtige Lage klar zu sein. Wie wir uns dazu zu verhalten hatten, das wollte ich nicht von den hiesigen Verhältnissen, sondern von unserm eigenen Willen abhängig machen. Darum fragte ich ihn, ruhig im Sattel sitzend bleibend: »Warum absteigen?« »Weil man doch nicht sitzen bleibt, wenn man nicht weiter reitet.« »Hm! Was das betrifft, so kommt es bei uns zuweilen vor, daß wir zwar anhalten, aber doch nicht absteigen.« Ach habe euch aber abzuliefern!« »Das kannst du auch thun, indem wir uns im Sattel befinden.« »Aber, Emir, ihr könnt doch unmöglich zu Pferde in das Gefängnis kriechen!« »Ah! Ins Gefängnis sollen wir?« »Natürlich! Ihr seid ja gefangen!« »Ich spüre nichts davon!« »Weil ihr nicht gebunden seid? Ich habe euch ja arretiert und euch nur darum ohne Fesseln hierhergebracht, weil ihr mir versprochen habt, mir gutwillig hierher zu folgen. Nun aber muß ich euch in das Gefängnis bringen.« »Du? Ich denke, du bist Offizier, aber nicht ein gemeiner Sindandschi, (* Gefangenwärter) welcher Verbrecher zu bedienen hat!« »Fyrtyna! Ich wollte es keinem Menschen raten, mich für einen solchen Kerl zu halten! Ich bin Offizier - 119 - des Beherrschers aller Gläubigen, aber kein Gefängnisdiener!« »So zürne auf dich selbst! Denn soeben hast du gesagt, daß du die Obliegenheiten eines solchen Kerls< ausüben willst. Ich werde das leider mit in den Bericht an den Seraskier aufzunehmen haben!« »Allah, Wallah, Tallah! Du kannst es getrost weglassen, denn ich werde es nicht thun, wenn du mir die Bitte erfüllst, welche ich jetzt aussprechen werde.« »Ich werde sie erfüllen, wenn ich kann.« »Du kannst.« »So sprich sie aus!« »Ich gehe jetzt zum Sandschaki, um ihm zu melden, daß ich euch gebracht habe und euch ihm übergebe. Bis das geschehen ist, macht ihr keinen Versuch, den Hof hier zu verlassen. Was dann geschieht, das geht mich nichts mehr an. Seid ihr einverstanden?« »Wenn du mir einige Fragen beantwortest.« »Welche?« »Wie ist dein Name?« »Amuhd Mahuli.« »Ich muß ihn wissen, weil ich ihn doch in dem Berichte zu erwähnen habe und es ungewiß ist, ob ich wieder Gelegenheit finde, mit dir zu sprechen. Du kennst die Umgebung dieses Gebäudes?« »Ja.« »In welchem Teile wohnt der Sandschaki?« »Grad vor dir. Da befinden sich auch die Stuben seiner Mamuhrin.« (* Beamten) »Wo ist das Gefängnis?« »Zur ebenen Erde rechts, wo du die kleinen Löcher in der Mauer siehst.« - 120 - »Ich danke! Das sind keine Wohnungen für uns! Da drüben wird der Hof von einer Mauer abgeschlossen. Was liegt hinter ihr?« »Eine freie Gasse.« »Wie breit ist sie?« »Es können fünf oder sechs Personen an dieser Stelle nebeneinander gehen. Warum fragst du das?« »Weil wir zwar gute Reiter sind, aber aus gewohnter Vorsicht uns stets vorher zu erkundigen pflegen, wenn es gilt, die Hälse zu riskieren.« »Die Hälse? Ich verstehe dich nicht!« »Ist auch nicht notwendig. Und nun höre, was ich dir sage! Wir werden genau zehn Minuten auf dich warten. Das ist Zeit genug, dem Sandschaki deine Meldung zu machen. Bist du dann noch nicht wieder da, so reiten wir fort.« »Kann ich mich wirklich auf dieses dein Versprechen verlassen?« »Ich breche nie mein Wort.« »So will ich gehen, denn ich vertraue dir. Ihr braucht nicht zehn Minuten zu warten, denn ich werde schon eher wiederkommen.« Er ging, indem ich darüber lächeln mußte, daß er mir mein Wort abgenommen hatte. Seine Leute waren ja da! Warum hatte er sie nicht aufgefordert, uns zu bewachen und jeden Fluchtversuch zu verhindern? Traute er ihnen weniger als meinem Versprechen? Der Eindruck, den wir auf ihn gemacht hatten, schien ein für uns noch günstigerer zu sein, als ich gedacht hatte. Er glaubte nicht, daß wir uns trotz ihrer Überzahl von ihnen halten lassen würden, und da hatte er auch recht! Das Gebäude bestand, wie alle Häuser der Stadt, aus Ziegeln, welche den Trümmern des einstigen, großen - 121 - Babylon entnommen waren; es sah sehr schmutzig und baufällig aus. Der Hof war nicht groß, bot uns aber hinreichend Platz zu den Bewegungen, welche später vielleicht nötig wurden. Die Mauer, von welcher ich gesprochen hatte, besaß etwas über Manneshöhe, zeigte aber einige Stellen, wo die oberen Ziegellagen, weil verwittert, herabgefallen waren, und es erschien mir ganz und gar nicht als ein Wagnis, an einer dieser Stellen mit unsern Pferden über sie hinwegzukommen. Das war es, warum ich gefragt hatte, was hinter ihr liege. Eigentlich hätte mir bange sein können. Ein Christ, gefangen, in Hilleh, dem Hauptorte schiitischer Unduldsamkeit, der Schuld am Tode eines Menschen und an der Verletzung eines andern, vielleicht auch des Schmuggels angeklagt --das waren Gründe genug, besorgt zu sein. War hier doch schon allein der Umstand, ein Christ zu sein, höchst gefährlich für mich! Aber ich sah dem Kommenden mit größter Seelenruhe entgegen, und als ich mein Auge auf Halef richtete, lächelte er mich getrost und zuversichtlich an und fragte: »Hast du schon einen Plan, Sihdi?« »Nein,« antwortete ich, indem ich mich, um von den Soldaten nicht verstanden zu werden, des moghrebinischen Dialektes bediente. »Um einen Plan zu haben, müßte ich wissen, was sich nun ereignen wird; da ich das aber nicht weiß, können wir nichts thun, als ruhig warten.« »Aber wie wir uns im allgemeinen zu verhalten haben, das kannst du mir mitteilen?« »Ja. Ich werde nicht leugnen, daß ich Christ bin, hier am allerwenigsten; ich bin das mir und meinem Glauben schuldig, du hast dich ganz nach mir zu richten und alles so zu thun, wie ich es thue. Ich vermute, daß wir über die Mauer setzen werden. Das muß, da die - 122 - dahinterliegende Gasse nicht breit ist und um nicht jenseits anzurennen, in schiefer Richtung, und zwar von rechts nach links geschehen, sodaß wir beidem Sprunge nördlich schauen. Das mußt du dir merken, damit wir keinen Augenblick auseinanderkommen und du nicht etwa umzuwenden brauchst.« »Allah! Bin ich etwa blind, Sihdi? Traust du mir zu, in der Weise über die Mauer zu kommen, daß wir uns draußen mit den Rücken anschauen?« »Nein; aber es war nicht unnötig, davon zu sprechen.« »So meinst du, daß wir gar nicht absteigen?« »Wir werden wahrscheinlich doch herunter müssen; aber ins Gebäude gehen wir auf keinen Fall, und von den Pferden trennen wir uns keinen Augenblick, sondern behalten die Zügel stets in den Händen.« »Aber wir sind angeklagt; man will uns verhören, und wir können die Pferde doch nicht mit hinein ins - - - ah, du willst ja gar nicht hinein in die Mehkeme!« »Nein. Wer uns verhören will, der muß zu uns herauskommen.« »Muß herauskommen, muß! Ob er will oder nicht! 0, Sihdi, lieber Sihdi, wie freue ich mich darauf! Das ist doch endlich wieder einmal ein Fall, eine Begebenheit, bei welcher wir zeigen, daß wir gewohnt sind, stets nur das zu thun, was uns beliebt. Ich bin neugierig, außerordentlich neugierig, was alles sich dabei ereignen wird. Vielleicht kommt es dazu, daß wir die Waffen brauchen!« »Auch das müssen wir gewärtig sein, obgleich ich es nicht wünsche. Anfassen darf uns niemand, denn wenn wir es einmal dazu kommen lassen, so haben wir das Spiel schon halb verloren. Wir können noch so kräftig - 123 - sein, wenn uns die Überzahl zusammendrückt, so daß wir keinen Raum mehr zur Verteidigung haben, werden wir überwältigt. Sieh dort an der Thorseite die vielen Menschen! Der gestrige Vorfall ist in der Stadt bekannt geworden; jetzt hat man erfahren, daß wir eingeliefert worden sind, und nun kommen die Neugierigen, um zu erfahren, was mit uns geschieht.« »Das können wir ihnen jetzt schon sagen: Wir reiten fort und lachen Hilleh aus.« »Sei nicht allzu sicher! Es ist ganz und gar nicht ausgeschlossen, daß diese Angelegenheit eine ganz andere, eine schlimmere Wendung nimmt, als wir denken. Schau, die Entscheidung beginnt; man kommt!« Wir sahen den Kol Agasi aus der Thür treten; ihm folgte eine ganze Anzahl von Personen. Hinter ihm kam ein Offizier in der Uniform eines Mir Alai, (* Oberst) der wohl zufälligerweise grad jetzt bei dem Sandschaki gewesen war. Dann traten Diener heraus, welche einen Stuhl und verschiedene Kissen trugen, dann Beamte der Mehkeme, einer von ihnen mit einem monströsen Tintenfasse, Feder und Papier. Das war jedenfalls der Protokollant, woraus wir schlossen, daß das Verhör sofort und zwar sonderbarer-, uns aber sehr willkommenerweise hier im Hofe stattfinden sollte. Wie wir einigen später fallenden Äußerungen entnahmen, war heut überhaupt öffentlicher Gerichtstag, und da unser Fall ein eklatanter war, hatte der Sandschaki beschlossen, ihn gleich zuerst vorzunehmen und, ohne uns erst in einer langen Untersuchungshaft schmachten zu lassen, uns eine desto strengere, exemplarische Strafe zu diktieren. Bei einer Anklage, wie die gegen uns gerichtete war, konnte er sich einmal in seinem ganzen Glanze zeigen; Zuschauer waren ja genug vorhanden. - 124 - Hinter diesen Beamten sahen wir mehrere Personen in sehr würdevoller Haltung schreiten, die Beisitzer des Gerichtes, wie ich später erfuhr. Und nun kam er selbst, der Herr und Gebieter Hillehs und des Sandschak, in welchem es liegt. Man sah es ihm beim ersten Blicke an, daß er ein Alttürke war, also ein Herr, von welchem ich als Christ keine Spur von Wohlwollen oder Schonung zu erwarten hatte. Seine Gestalt war klein und schmächtig, desto größer sein Turban, der mir aber trotz seines Umfanges nicht im mindesten imponierte. Zu seiner Linken ging ein Mann, dem ich zunächst keine Aufmerksamkeit schenkte, dafür aber später um so größere. Er war persisch gekleidet. Alle diese Personen kamen, den Kol Agasi ausgenommen, nicht etwa auf uns zu, sondern sie schritten am Gebäude hin bis zu einer Stelle, wo eine alte, ziemlich zerfetzte Markise an der Mauer niederhing, welche von einem schnell vorausgesprungenen Diener aufgeschoben wurde. Sie bildete das Sonnendach der Stelle, an welcher die öffentlichen Gerichtssitzungen abgehalten wurden. Der schon erwähnte Stuhl wurde unter ihren segensreichen Schutz gestellt, und der Sandschaki nahm auf ihm wie auf einem Throne Platz. Zu seiner Rechten und Linken legte man die Kissen nieder, um den hervorragenden juridischen Koryphäen, Gelegenheit zu bieten, mit untergeschlagenen Beinen so weich wie möglich zu sitzen; die geistig weniger begabten Koryphäen nahmen den Platz, wo und wie sie welchen fanden. Der persisch gekleidete Mann hatte sich unmittelbar neben dem Stuhle niedergelassen. Als sich die Mehkeme in dieser Weise entwickelt hatte, kam die Menge der Zuschauer herbei, um den Mahill el Adl (* Platz der Gerechtigkeit) in einem Halbkreis zu umschließen. - 125 - Mittlerweile hatte der Kol Agasi uns erreicht. Sein Gesicht war sehr ernst, und seine Stimme klang bedenkenschwer, als er uns mitteilte: »Ich habe euch gemeldet, und da die Mehkeme zur heutigen Sitzung versammelt war, beschloß der Sandschaki, sogleich über euch Gericht zu halten. Ihr werdet mit größter Strenge behandelt werden und habt keine Nachsicht zu erwarten.« »Weiß er, daß ich ein Christ bin?« erkundigte ich mich. »Ja; ich habe es ihm gesagt. Ich habe ihm auch mitgeteilt, wer ihr seid.« »Was sagte er dazu?« »Wer ihr seiet, daß gehe ihn gar nichts an; er brauche weiter nichts zu wissen, als daß er es mit Schmugglern und Mördern zu thun habe, und solche Menschen dürfe man nicht schonen.« »Ich danke dir für diese Mitteilung. Du siehst, daß wir Wort gehalten haben und hier geblieben sind. Von jetzt an ist es dir also gleichgültig, was wir thun?« »Nein.« »Du sagtest es doch vorhin!« »Ich wußte nicht, was kommen werde. Der Mir Alai meines Regimentes war bei dem Sandschaki; er befahl mir, mit meinen Leuten das Thor zu besetzen, damit jeder etwa von euch unternommene Fluchtversuch vergeblich sei; mit Mördern könne man nicht vorsichtig genug verfahren. Ich muß natürlich gehorchen. Ich hoffe, daß du mir nicht darüber zürnst, Emir!« »Du besitzest mein Wohlwollen in noch ganz demselben Maße wie vorher.« »Aber wenn ihr fliehen wollt und ich verhindere euch daran, was wird da aus deinem Bericht an den Seraskier?« - 126 - »Ich schreibe ihn und schicke ihn auch ab. Wenn du unsere Flucht unmöglich machst, verdienst du ja das Lob, welches ich dir erteile, doppelt.« »Aber wenn ihr hingerichtet werdet, kannst du den Bericht nicht schreiben!« »Mach dir in dieser Beziehung keine Sorge! Ehe der Sandschaki uns hinrichten läßt, hängen wir ihn am ersten, besten Stricke auf!« »Du kannst bei so ernsten Dingen scherzen?! Aber steigt ab, und kommt mit mir! Ich soll euch vor die Richter bringen.« Ehe ich hierauf antworten konnte, ließ Halef einen unterdrückten Ruf der Überraschung hören. »Was ist's?« fragte ich. »Schau den Mann, der jetzt bei dem Perser steht und mit ihm spricht!« antwortete er. »Er steht mit von uns abgewendetem Gesichte; ich sehe es nicht.« »Aber ich habe es gesehen!« »Kennst du ihn?« »Ja. Auch du wirst ihn sofort erkennen, wenn er sich herumdreht.« »Wer ist's?« »Safi.« »Was? Wer? Etwa Safi, der Sill, der uns dem Pädär in die Hände liefern wollte?« »Und den du begnadigt hast, obgleich ich ihm so gern meine Peitsche hätte schmecken lassen. ja, er ist es.« »Du irrst dich nicht?« »Nein. Paß nur auf! jetzt, jetzt dreht er sich herum!« Ich sah das Gesicht und erkannte ihn. Es war allerdings der Mann aus Mansurijeh. Er hatte uns - 127 - jedenfalls auch erkannt. Was wollte er hier in Hilleh? War er in Angelegenheiten der Sillan hier? Warum sprach er mit dem Perser? Kannte er ihn? Dann gehörte dieser jedenfalls auch zu dem Geheimbunde. Hatte der Verräter ihm gesagt, daß wir diejenigen seien, von denen der Pädär durch Prügel gezüchtigt worden war? Wer war dieser Perser? Welchen Grund oder welchen Zweck hatte seine Anwesenheit? War er nur persisch gekleidet, oder war er persischer Unterthan? Fand dies letztere statt, so hatte er doch wohl kein Recht, in einer Mehkeme zu sitzen, welche den uns betreffenden Fall behandeln wollte! Während mir alle diese Fragen durch den Kopf gingen, drängte der Kol Agasi zum Absteigen. »Wir bleiben sitzen!« antwortete ich. »Aber ihr könnt doch unmöglich zu Pferde vor der Mehkeme erscheinen!« »Warum nicht?« »Es ist verboten.« »Von wem?« »Im Gesetze.« »Es giebt kein Gesetz, welches bestimmt, daß man nur zu Fuß vor den Richtern zu erscheinen hat!« »Wenn es kein Gesetz darüber giebt, so ist ein solches Beginnen doch gegen allen Brauch!« »Du irrst. Es ist ein bei mir alter Brauch, von dem ich niemals lasse. So oft ich in einer Mehkeme zu erscheinen habe, komme ich nicht anders als zu Pferde angeritten.« »Ich auch,« stimmte Halef bei. »Ich bin der oberste Scheik der Haddedihn, bei denen man einen Mörder nur dann zum Tode verurteilen darf, wenn er im Sattel sitzt.« - 128 - »Aber eure Gebräuche haben doch hier in Hilleh keine Geltung!« »So wird es endlich Zeit, daß wir ihnen Geltung verschaffen!« entschied der kleine Hadschi in seinem bestimmtesten Tone. »Ich kann es nicht verantworten! Denkt, wie es mir vom Mir Alai, dem Obersten meines Regimentes, ergehen wird, wenn ich euch geführt bringe, während ihr auf euern Pferden sitzt! Ich kann das unmöglich wagen!« »Das muten wir dir auch gar nicht zu; wir können auf deine Begleitung verzichten,« antwortete ich. »Komm, Halef!« Es wäre mir wohl unmöglich gewesen, mich zu erinnern, jemals in einer solchen Stimmung, wie meine jetzige war, gewesen zu sein. Es lag etwas in mir, was mich nicht dazu kommen ließ, diese Mehkeme ernst zu nehmen. Und Halef schien bei ganz derselben guten Laune zu sein. Er lachte am ganzen Gesicht, als er meine Aufforderung hörte, und antwortete in heiterem Tone: »Wollen wir nicht auf das Verhör verzichten und lieber gleich sofort mitten hineinreiten, so daß die weisen Herren nach allen Seiten auseinanderfliegen?« »Fast hätte ich Lust dazu. Aber ich denke, es ist besser, wenn wir von dieser Tollheit absehen. Wir würden doch nur um den Genuß kommen, den uns der Wortsieg über diese scharfsinnigen Männer des Gesetzes bereiten wird. Also seien wir vernünftig! Komm, vorwärts!« »Ja, vorwärts, Sihdi! Wir wollen in der Weise mit ihnen sprechen, wie wohl noch niemand mit einer Mehkeme gesprochen hat. Komm!« - 129 - Es folgte nun eine Scene, welche mir unvergessen geblieben ist und auch ferner bleiben wird, eine Gerichtsverhandlung, welche ich für unmöglich halten würde, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte. Kenner der dortigen und damaligen Verhältnisse werden allerdings, wenn sie diese Zeilen lesen, nicht in Verwunderung geraten. Der interessante Vorgang ist nur dadurch ungewöhnlich, daß die beiden Angeklagten Männer waren, denen weder eine der beisitzenden Personen noch infolgedessen der ganze hohe Gerichtshof imponieren konnte. Der einzige Grund, bedenklich zu sein, hätte in dem Umstande gelegen, daß wir uns mitten in einer hochfanatischen Bevölkerung befanden und der von dem Publikum gebildete Halbkreis von Minute zu Minute sich vergrößerte. Diese durch das offene Thor hereinströmenden Menschen waren alle bewaffnet, und es gab keinen Grund zu der Annahme, daß die famose Mehkeme gegebenen Falles die erforderliche Macht oder auch nur Bereitwilligkeit besitzen werde, uns gegen Gewaltthätigkeiten in Schutz zu nehmen. Es galt, zu bedenken, daß Halefs sunnitisches und nun gar mein christliches Bekenntnis sehr leicht zu Pulver auf die Pfanne jeder hier vorhandenen Pistole werden konnte. Auf der andern Seite aber kannten wir gar wohl den Eindruck, den ein furchtloses Auftreten grad auf so leicht erregte Menschen zu machen pflegt. Wir sahen also dem uns erwartenden Vorgange zwar mit lebhafter Spannung aber keineswegs ängstlich entgegen und ritten auf den erwähnten Halbkreis zu, welcher sich, als wir ihn erreichten, öffnete, um uns hindurchzulassen. Der Kol Agasi folgte uns nicht, sondern begab sich nach dem Thore zu seinen dort postierten Soldaten, weiche die Aufgabe hatten, unserer etwaigen Flucht entgegenzutreten. Die Lücke der Zuschauer wurde hinter uns sogleich wieder geschlossen. - 130 - Der Herr Vorsitzende hatte sich unser Erscheinen vor seinen Schranken ganz anders gedacht. Er sah uns aus weit geöffneten, erstaunten Augen an und rief uns zornig zu: »Wie könnt ihr es wagen, zu Pferde und bewaffnet vor uns zu erscheinen! Herunter von den Pferden, und weg mit euern Waffen!« »Ich halte es für besser, daß wir sitzen bleiben,« antwortete ich in ruhigem Tone. »Es ist euch hier keine eigene Meinung gestattet; ihr habt nur zu gehorchen!« entgegnete er in demselben befehlenden Tone wie vorher. »Wir sind ja gehorsam, und zwar grad indem wir sitzen bleiben. Wir gehorchen nämlich der Notwendigkeit.<, »Was ist das für eine Ausrede? Ich verstehe dich nicht. Sprich deutlicher!« »Wenn meine Vermutung richtig ist, hat man dir von unsern Pferden erzählt?« fragte ich. »Natürlich! Diese Bestien sind es ja, wegen deren wir euch wahrscheinlich das Todesurteil sprechen werden!« »Wir können diesem Urteile vom Sattel aus ruhig entgegensehen. Stiegen wir aber ab, so könnte leicht etwas geschehen, was euch den Stoff zu einer neuen Anklage gäbe.« »Was meinst du? Was könnte geschehen?« »Du siehst, daß unsere Pferde Radschi Pack sind; sie werden, wie jedes reine Blut, gefährlich, wenn man sie von ihren Herren trennt. Sähen sie, daß man uns zwingt, sie zu verlassen, so würden sie uns dennoch hierher folgen und dabei aber jeden, der sie daran hindern wollte, mit den Hufen niederschlagen. Wir haben sie also, um Unglück zu vermeiden, mit hierhergebracht.« »Ihr könnt aber absteigen und sie an den Zügeln - 131 - halten; das gebietet die Achtung, welche ihr der Mehkeme schuldig seid. Man sitzt nicht vor den Richtern, sondern man steht vor ihnen. Ich verlange, daß auch ihr das thut!« Ich wollte eine verweigernde Antwort geben; da kam mir aber Halef zuvor, indem er den Sandschaki fragte: »Kannst du die Folgen dessen, was du verlangst, verantworten?« Sein Gesicht zeigte dabei jenen pfiffig lauernden Ausdruck, welcher stets dann bei ihm zu beobachten war, wenn ihn ein Hintergedanken leitete. »Was ich befehle, verantworte ich,« lautete die Antwort. »So werden wir nach deinem Willen thun.« Er sprang aus dem Sattel, und ich folgte seinem Beispiele, denn ich wußte, was er beabsichtigte. Nämlich wenn wir die Zügel lang hielten und unsere Pferde also die Köpfe frei hatten, standen sie still; nahmen wir ihnen aber diese Freiheit, indem wir sie kurz hielten, so wehrten sie sich höchst energisch und versuchten alles, um sich loszureißen. Halef gab seinem Hengste beim Absteigen die wohlberechnete Stellung, daß sich grad hinter ihm Safi, der Sill aus Mansurijeh, befand, und rief ihm und seinen Nachbarn warnend zu.- »Geht zurück! Dieses Pferd duldet nicht, daß man ihm so nahe steht!« Es fiel niemandem ein, diesem Rufe zu gehorchen. Er faßte die Zügel nahe am Maule, worauf sein Nedjedi den Kopf hochzuwerfen versuchte, um sich loszureißen. Als ihm dies nicht gelang, schlug er hinten aus und traf den Sill, glücklicherweise nicht gefährlich, aber doch so, daß der Geschlagene zurückgeworfen wurde und einige - 132 - andere mit niederriß. Mein Ben Rih verhielt sich ganz ebenso, denn es war selbstverständlich, daß ich ihn auch kurz genommen hatte. Er traf sogar zwei Männer, welche weit fortgeschleudert wurden, und während sich darüber ein großes Geschrei erhob, ließen wir die unaufhörlich ausschlagenden Pferde im Kreise um uns tanzen, bis der Halbkreis der in allen Tonarten schimpfenden Zuschauer soweit zurückgewichen war, daß niemand von den drohenden Hufen mehr erreicht werden konnte. Die Verletzten wurden noch weiter fortgeschafft, und soviel Köpfe es gab, soviele Stimmen riefen uns alle möglichen Flüche und Verwünschungen zu. Halef aber brüllte, sich an den Sandschaki wendend, noch lauter, sodaß er sie alle überschrie: »Da hast du die Folgen! Nun verantworte sie auch! Wer kein Pferdekenner ist, soll nicht Befehle erteilen, von deren Wirkungen er nichts versteht!« Man, sah es dem Beamten an, daß er diese Beleidigung zornig zurückweisen wollte; aber der Oberst machte eine beruhigende Handbewegung und warf ihm einige Worte zu, welche wir des Lärmes wegen nicht verstanden. Hierauf wurde uns der sehr willkommene und allerdings auch beabsichtigte Befehl: »Steigt wieder auf! Es sei euch einstweilen gestattet. Später werden wir euch samt euern Bestien zu zähmen wissen.« »Wir werden es thun,« nickte ihm Halef in gütiger Weise zu; »aber wir geben dir zu bedenken, daß Reiter und Pferd sich ähnlich zu sein pflegen. Auch wir haben die Gewohnheit, uns nicht nach einem fremden, sondern nach unserm eigenen Willen zu richten. Das darfst du nicht vergessen!« Leider, oder vielleicht auch glücklicherweise, achtete der Sandschaki nicht sehr auf diese Worte, denn er war damit - 133 - beschäftigt, seinen Dienern diejenigen Befehle zu geben, deren Ausführung nötig war, um den Lärm zu stillen und die Aufregung der Anwesenden zu beruhigen. Sie mischten sich unter die Schreienden und wütend Gestikulierenden, und es gelang ihnen auch, ihre Aufgabe zu erreichen. Nur einer schien sich nicht so schnell wie die andern beherrschen zu können; das war der persisch gekleidete Mann, mit welchem Safi vorhin, als wir noch nicht nahe waren, gesprochen hatte. Der letztere war ein Stück fortgetragen worden; da saß er wimmernd und mit den Händen die Körperstelle streichend, an welcher er getroffen worden war. Der Perser stand bei ihm, focht, immer nach uns deutend, mit den Armen drohend in der Luft und war von allen der letzte, welcher seinen vorher innegehabten Platz aufsuchte. Ehe er sich dort niedersetzte, sagte er so laut, daß jedermann es hörte, zu dem Sandschaki: »Du siehst, o Pascha, daß drei Personen schwer verletzt worden sind! Das darf nicht unbestraft geschehen sein, denn nicht die Pferde sind schuld daran, sondern es ist von den Reitern beabsichtigt worden. Dort sitzt Safi, ein treuer Unterthan des Padischah; er ist ein Bekannter von mir und steht unter meinem Schutze; ich hoffe, daß der Huftritt, der ihn getroffen hat, so streng wie möglich geahndet werde. Nur wenn dies geschieht, kann ich in so lobender Weise, wie du es wünschest, von dir zu meinem Herrn, dem königlichen Sillullah (* »Schatten Gottes« = der Schah von Persien), sprechen, dessen Sa'id (* »Unterarm«) ich bin. « Erst jetzt, indem er sprach, fand ich Zeit, den Mann genauer, als vorher möglich gewesen war, an- - 134 - zusehen [anzusehen]. Er war, wie bereits gesagt, nach persischer Weise gekleidet und nicht hoch, aber desto breiter gewachsen. Seine Stimme klang gebieterisch, und zwar so, als ob er gewohnt sei, zu befehlen, und dabei eigentümlich schnarrend. Wangen und Kinn waren rasiert; dafür trug er einen um so längeren Schnurrbart, durch dessen linke Hälfte eine feuerrote Narbe ging, welche von der Stirn bis herab zur Mundspitze reichte. Die Augenhöhle, über welche sie lief, war leer. Der Hieb, dessen Spur diese Narbe war, hatte ihm das linke Auge gekostet. Ich beobachtete, daß er, während er sprach und auch später sehr oft die Hand hob, um die Barthaare über die Narbenlücke zu streichen. Man wird mir glauben, wenn ich sage, daß ich überrascht war. So, wie dieser Mann da vor uns neben dem Sandschaki stand, hatte der Bagdader Bimbaschi uns den Säfir beschrieben. Die ganze Erscheinung war so charakteristisch, daß an einen Zweifel gar nicht gedacht werden konnte. Er war es, der unserm alten Gastfreunde und seinem dicken Kepek im Birs Nimrud den Schwur abgenommen hatte. Der Säfir, der Anführer der Schmuggler, den ich so gern hatte sehen wollen, stand also vor mir! Ihn hier, bei dem Statthalter zu treffen, das hatte ich freilich nicht erwartet. Es war eine Kühnheit oder vielmehr eine Frechheit von ihm, die Stadt und das Haus aufzusuchen, wohin er eigentlich als verurteilter Verbrecher, als Strafgefangener gehörte. Wer diesen Mann zum Feinde hatte, der konnte nicht behaupten, daß er es mit einem schwachen, verächtlichen Gegner zu thun hatte. Aus dem von ihm gebrauchten Worte Sa'id war zu schließen, daß er sich für einen hohen Beamten des persischen Schah ausgegeben hatte; wahrscheinlich behauptete er, im Auftrage desselben unterwegs und hier anwesend zu sein. Welche spezielle Absicht er dabei verfolgte, das konnte mir - 135 - gleichgültig sein; sie betraf wahrscheinlich die Schmuggelei, welche mich nichts anging. Aber aus der Gegenwart Safis und aus dem Umstande, daß er diesen in seinen Schutz nahm, war zu schließen, daß er zu den Sillan gehöre. jedenfalls war er nicht ein gewöhnliches, sondern ein hervorragendes Mitglied dieses geheimen Bundes, und nun ich das wußte, stand es bei mir fest, daß ich Hilleh nicht verlassen würde, ohne den Birs Nimrud wieder aufzusuchen, um an Stelle unsers Bimbaschi mit diesem angeblichen oder auch wirklichen Perser abzurechnen. Grad daß er ein so verwegener Mensch war, vor dem man sich zehnfach in acht zu nehmen hatte, das machte mir erst recht Lust, mit ihm anzubinden. Halef hatte, als wir mit dem Polen auf dessen Dache saßen und dieser uns seine Erlebnisse erzählte, zu ihm gesagt: »Ich wollte, wir würden einmal von dem Säfir in den Turm gesperrt,« und dann hinzugefügt: »Ich würde niemals ohne Peitsche in den Birs Nimrud steigen!« jetzt fand sich für ihn vielleicht die Gelegenheit, zu beweisen, daß diese seine Worte nicht prahlerisch, sondern ernst gemeint gewesen seien. Aber diesen Gedanken im gegenwärtigen Augenblicke nachzuhängen, dazu gab es keine Zeit, denn wir hatten auf den Perser zu achten, welcher in seiner Anklage fortfuhr. »Diese beiden Menschen sind überhaupt gewaltthätige Personen, welche schon längst verdient haben, totgepeitscht zu werden.« »Kennst du sie?« fragte der Statthalter. »Ja. Ich könnte dir sehr viel von ihnen erzählen; es genügt aber vollständig, wenn ich dich über eine ihrer Missethaten unterrichte. Sie sind auf einem Kellek den Tigris herabgekommen und haben des Nachts einige - 136 - Freunde von mir, welche am Ufer gelandet waren und ruhig schliefen, überfallen, gebunden, ausgeraubt und dann noch beinahe totgeschlagen.« »Allah! Weißt du das gewiß?« »Ja, Es ist sogar ein Zeuge anwesend, der es beschwören kann.« »Wer?« »Safi, der dort sitzt. Er ist dabei gewesen.« »Wo ist es geschehen?« »Oberhalb Bagdad.« »So liegt der Thatort nicht in meinem Bereiche, und ich habe leider nicht darüber abzuurteilen.« »Das weiß ich gar wohl; aber ich bin überzeugt, daß diese That als Verschärfung der Strafe heut mit angerechnet werden kann.« »Das versteht sich ganz von selbst. Ich werde dafür sorgen, daß es diesen Hunden unmöglich ist, noch irgend welchen Schaden anzurichten.« »So bitte ich dich, den Umstand, daß der eine von ihnen ein Christ ist, ganz besonders zu beherzigen! Der andere giebt sich für einen Scheik der Haddedihn aus, eine Lüge, wie man sich keine größere denken kann. Du brauchst ihn nur anzuschauen, um sogleich im klaren über ihn zu sein. Ich behaupte, daß er ein von seinem Stamme ausgestoßener Pferdedieb ist. Auf welche andere Weise kämen solche Schufte zu solchen Pferden?! Wer weiß, welchem hohen Herrn sie sie gestohlen haben, denn nur sehr reiche und sehr hochstehende Leute können so reines Blut< besitzen. Wenn du sie ihnen abnimmst und nachforschest, so wirst du sehr bald erfahren, wem sie eigentlich gehören, und dir durch die Rückgabe ein Verdienst erwerben, welches man dir sehr hoch anrechnen wird.« - 137 - Das leuchtete dem Sandschaki sofort ein; er antwortete schnell: »Ich bin ganz deiner Ansicht und werde diese Halunken solange auf die Fußsohlen schlagen lassen, bis sie ein Geständnis ablegen und mir sagen, wo ich den oder die rechtmäßigen Besitzer der Pferde zu suchen habe. Setz dich jetzt wieder nieder, denn es verlangt mich, ihnen so schnell wie möglich zu zeigen, daß ihre verbrecherische Laufbahn hier vor diesem Gerichte ein ebenso gerechtes wie gewaltsames Ende nimmt. - Es mag der Bastonnadschi mit seinen Leuten kommen!« Auf diesen laut ausgerufenen Befehl entfernte sich ein Diener, welcher bald darauf den Genannten brachte. Der Bastonnadschi, ein Wort, welches am besten mit »Stockmeister« übersetzt wird, bekleidet ein Amt, dessen Ausübung für diejenigen, welche ihm übergeben werden, eine sehr schmerzhafte ist, denn wenn er sich auch mit noch anderen Handlungen zu beschäftigen hat, welche mit der irdischen Gerechtigkeit im Zusammenhange stehen, so richtet sich doch seine Lieblingsbeschäftigung vorzugsweise auf Körperteile, welche im höchsten Grade gefühlvoll zu sein pflegen, nämlich auf die Fußsohlen. Es hat zwar nie einen Bastonnadschi gegeben, welchem Gelegenheit geworden ist, die Empfindlichkeit der meinigen einer eingehenden und liebevollen Prüfung zu unterwerfen, aber ich kann mich trotzdem in die Lage eines armen Teufels versetzen, dem es vergönnt ist, einen solchen Akt des orientalischen Strafvollzuges an sich vornehmen zu lassen. Es ist wirklich kein Wunder, daß der Herr Bastonnadschi dort überall in einem ebenso hohen wie gefürchteten Ansehen steht. Dieser hier kam, wohl über ein Dutzend Stöcke unter dem Arme, in würdevoller Haltung herbeigeschritten. - 138 - Ihm folgten seine Untergebenen, die »Stockknechte«. Sie trugen eine hölzerne Vorrichtung, welche einer Bank glich, der zwei Beine fehlten, an deren Stelle zwei Riemen angebracht waren. Diese Bank wird von arabisch sprechenden Sachkundigen Dschamal 'l Alahm (* Kamel der Schmerzen) genannt. Die Anwendung dieses sehr praktischen Werkzeuges geschieht in folgender Weise: Die Bank wird so auf die Erde gelegt, daß die beiden, an der einen Schmalseite befindlichen Beine emporstehen; dann bekommt der Delinquent die Einladung, Platz zu nehmen. Er thut dies entweder freiwillig oder gezwungen in der Weise, daß er sich auf die Bank legt, und zwar mit dem Rücken, welcher dieses Mal nichts zu befürchten hat, nach oben. Hierauf wird ihm der eine Riemen über das Genick und der andere über den Leib und die fest anliegenden Arme geschnallt, die er also nicht bewegen kann. Die Unterschenkel werden aufwärts gebogen und an den Bankbeinen festgebunden, wodurch die Sohlen der nackten Füße in diejenige horizontale Lage kommen, welche in der freundlichen Absicht des Bastonnadschi liegt. Sobald diese Hal el Kabil (* Lage des Empfangens) erreicht worden ist, sind die wichtigen Vorbereitungen beendet, und der Meister verteilt die Stöcke unter die Knechte, welche die Hiebe auf die Fußsohlen in der vorgeschriebenen Weise zu verabreichen haben, während er darüber wacht, daß nichts an der bestimmten Zahl und Stärke fehlt. Also auch für uns wurde so ein trautes »Kamel der Schmerzen« gebracht und vor uns hingelegt, worauf die zur Ausübung Berufenen einige Schritte zurücktraten und dann in erwartungsvoller Haltung stehen blieben. Ich sah, wie die Augen der Umstehenden glänzten und ihre - 139 - Gesichter einen festlich frohen Ausdruck annahmen. Der Sandschaki deutete mit der Hand auf die Marterbank und richtete an uns die Verwarnung: »Ihr seht, was euch erwartet, wenn ihr leugnet. Ich werde euch so lange hauen lassen, bis ihr alles eingesteht. Erspart euch die Hiebe, und gebt mir aufrichtige Antworten auf meine Fragen!« Er machte eine Kunstpause, während welcher er sich einen neugestopften Tschibuk geben ließ. Hierbei muß ich bemerken, daß natürlich sämtliche Beisitzer des Gerichtes rauchten, was ich ihnen übrigens gar nicht übelnahm, weil ich selbst auch ein außerordentlich tapferer Raucher bin. Hierauf trat er der vorliegenden Angelegenheit nicht eigentlich näher, sondern er fiel gleich mitten in den vorhandenen juridischen Stoff hinein, indem er die Frage an uns richtete: »Ihr seid Mörder?« Weil er dabei mich ansah, war ich es, welcher antwortete: »Nein.« »Ihr seid Schmuggler?« »Nein.« »Ihr habt diese Pferde gestohlen?« »Nein.« »Mensch, sag Ja<, sonst bekommt ihr sofort die Bastonnade! Habt ihr oberhalb Bagdad am Ufer des Flusses die Leute, von denen vorhin gesprochen wurde, überfallen?« »Nein.« »Sie beraubt?« »Nein.« »Ihnen Schläge gegeben?« »Ja.« - 140 - »Endlich, endlich ein Geständnis! Das ist euer Glück, denn es wären nur fünf Minuten vergangen, so hättet ihr die Knochen aus dem Fleische eurer Füße hervorragen sehen. Antworte weiter! Du bist ein Christ?« »Ja.« »Dieses Eingeständnis bringt dich um, denn daß du ein Giaur, ein von Allah verfluchter Giaur bist, das ist schlimmer als alles, dessen du außerdem beschuldigt wirst. Hast du gewußt, daß ein Christ sein Leben wagt, wenn er die Gegend der hiesigen heiligen Orte betritt?« »Ja.« »Und das hat dich nicht abgehalten, hierher zu kommen? Wie unrettbar mußt du der Laufbahn des Verbrechens verfallen sein, da du ihr willig bis hierher gefolgt bist, wo dir schon als Christ dein Leben keinen Augenblick sicher ist! Dich erwartet hier ein schreckliches Ende und dort die Verdammnis in alle Ewigkeit, denn die Rache Allahs ist fürchterlich; er vergiebt nie!« »Woher weißt du das?« »Der Kuran sagt es.« »Der Kuran sagt grad das Gegenteil!« »Was kannst du, der Giaur, vom heiligen Buche der Gläubigen wissen!« »Dieses Buch sagt in der 110. Sure: Preise das Lob des Herrn, und bitte ihn um Vergebung, denn er vergiebt gern!< Du scheinst die Sure aber nicht zu kennen.« Er warf den Kopf empor, sah mich eine Weile überrascht an und rief mir dann zornig zu: »Schweig! Ein gläubiger Sohn des Propheten muß sein Buch besser kennen, als du, ein Christ, es kennen kannst. Was du sagst, ist Lüge, muß Lüge sein, weil ihr Isa (* Jesus) verehrt, der ein Sohn der Unwahrheit ist!« - 141 - »Ein Sohn der Unwahrheit? Nimm dieses Wort zurück, denn du schändest damit eure eigene Lehre, deine eigene Religion!« »Hund! Beleidige mich nicht! Beweise, was du gesagt hast!« »Nimm den Kuran, und schlag die neunzehnte Sure auf! Da wirst du lesen: Das ist Jesus, Mariens Sohn, das Wort der Wahrheit!< Und du bezeichnest den, den eure Offenbarung das Wort der Wahrheit nennt, als einen Sohn der Unwahrheit?« »Schweig!.« herrschte er mich an. »Ich schweige nicht! Meinen Christenglauben brauche ich nicht zu verteidigen; er ist so herrlich und erhaben, daß er meiner schwachen Worte nicht bedarf. Aber hier stehen zahlreiche Moslemim, welche ruhig dulden, daß du den Islam schändest. Gehe in die Dschawahmi (* Moscheen) und in die Medahris (* Universitäten), so wirst du hören, daß Jesus am jüngsten Tage herniedersteigen wird, um alle Lebendigen und Toten zu richten! Und den, welchen der Islam den Gebieter des jüngsten Tages nennt, wagst du, einen Sohn der Unwahrheit zu heißen? Ist diese Beleidigung des Islam etwa dadurch möglich, daß du ein Anhänger der Sunna bist, während die Schia die Wahrheit lehrt?« Diese Frage war, um mich so auszudrücken, ein rednerischer Handstreich von mir, den ich unternahm, weil die meisten der Anwesenden Schiiten waren. Die Wirkung zeigte sich sofort in einem beifälligen Gemurmel, welches sich hören ließ. Dadurch ermutigt, fuhr ich fort: »Du hast mich einen Hund und einen von Allah verfluchten Christen genannt. Den Hund verzeihe ich dir; wo aber steht im Kuran oder in einer seiner Auslegungen - 142 - zu lesen, daß Allah die Christen verflucht habe? Wo steht geschrieben, daß wir Ungläubige, daß wir Heiden seien? Muhammed giebt uns, weil wir an denselben Gott glauben, zwar nicht alle sieben, aber doch auch einen Himmel. Wer sind die eigentlichen Feinde des Islam? Sind wir Christen es, oder seid ihr es selbst? Wer hat euch entzweit? Etwa wir? Wer hat gegen Ali, den Kalifen, gestritten, und von wessen Hand wurde Hussein getötet? Sind das Christen oder Muhammedaner gewesen?« Jetzt wurden so zahlreiche Beifallsrufe laut, daß der Sandschaki einsah, er dürfe mich unmöglich in dieser Weise fortfahren lassen. Er sprang auf, warf die Arme abwehrend in die Luft und rief: »Wer hat dir, dem Christen, befohlen, vom heiligen Islam zu sprechen? Wir sind hier versammelt, um über eure Schandthaten zu Gericht zu sitzen, und ihr seid die Angeklagten. Du hast nicht ohne meine Erlaubnis zu sprechen, sondern nur meine Fragen kurz und bündig zu beantworten!« »Und du,« antwortete ich, »lässest mich nicht weitersprechen, weil du dich vor den hier anwesenden Bekennern der Schia fürchtest. Ich sage dir, wenn ein Christ in die Gegend von Meschhed Ali oder Kerbela kommt, so ist darin nichts Besonderes zu sehen, denn er ist ein für die Schiiten gleichgültiger Mann, dessen Herz weder an Abu Bekr, Omar und Osman, noch an der Dynastie der Omajjaden hängt, auch hat er den traurigen Tag von Kerbela nicht verschuldet. Betritt aber ein Sunnit, wie du einer bist, diese Stätten, so ist das eine Beleidigung, eine Schändung der heiligen Orte, denn er bekennt sich zu denen, welche damals Husseins Blut vergossen und seinem Vater das Recht der direkten Nachfolge des Propheten verweigerten. Darum habe ich geglaubt, keine - 143 - Sünde zu begehen, indem ich hierher komme, und darum bin ich überzeugt, daß für die wahren und verständigen Anhänger des Islam mein Glaube kein Grund dazu ist, mich feindlich zu behandeln.« Da stand einer der Beisitzer, ein silberhaariger, ganz in Seide gekleideter Greis, von seinem Sitze auf, erhob den Arm zum Zeichen, daß er sprechen wolle, und sagte: »Dieser Christ hat Worte gesprochen, die wie die Worte eines wahren Gläubigen klingen, und ich erkläre, daß ich ihnen meinen Beifall spende. Solche Worte pflegt kein Mörder, kein Dieb zu sprechen. Ich habe gehört, daß er in die Tiefen des Kuran eingedrungen ist. Wer das gethan hat, darf nicht Giaur genannt werden, denn seine Seele ist der unserigen verwandt, weil sie uns in den heiligen Suren begegnete. Wenn er als Angeklagter ebenso spricht, wie er als Christ gesprochen hat, werden wir ihn so frei entlassen, wie er ungefesselt hierhergekommen ist.« Er setzte sich wieder nieder. Dieser Mann war, wie ich später erfuhr, einer der reichen Indier, welche im Alter nach Hilleh ziehen, um ihre letzten Tage in der Nähe von Kerbela und Meschhed Ali zu verleben, ohne von der dortigen muhammedanischen Geistlichkeit bis auf die letzte Rupie ausgesaugt zu werden. Hinter uns und zu beiden Seiten hörten wir »afak, afarim« und »jißlaho« (* Bravo) rufen, Beifallsworte, welche uns in erfreulicher Weise bewiesen, daß er nicht der einzige war, der nicht dieselbe Meinung wie der Sandschaki hatte. Dieser machte ein verlegenes Gesicht; man sah ihm an, daß er nach Worten suchte und doch keine für den Augenblick passenden fand. Da kam ihm der Perser zu Hilfe, indem er laut erklärte: - 144 - »Wir befinden uns nicht hier, um über den Kuran und seine Auslegungen zu sprechen, sondern um über Mörder, Schmuggler und Diebe zu Gericht zu sitzen. Was dieser Christ für Ansichten über die Sunna und Schia hat, gehört nicht hierher; wir haben es mit den Verbrechen zu thun, die er mit seinem Begleiter begangen hat, und dürfen uns von seiner Kenntnis der Suren nicht blenden lassen. Ich bitte dich, o Pascha, den Wirt und den unverletzten Ghasai kommen zu lassen, welche die Schuld dieser beiden Kerls beweisen werden.« Dieser Mensch verhielt sich ganz so, als ob er Mitglied der Mehkeme sei, was doch keineswegs der Fall war. Ich hob mir eine Bemerkung darüber für später auf; jetzt war ich still. Es wurde fortgeschickt, und wir hatten Pause, bis die Zeugen kamen. Halef füllte diese Zeit mit Bemerkungen aus, welche er über die einzelnen Persönlichkeiten machte; sie waren oft so komisch, daß ich laut lachen mußte, worüber der Sandschaki und besonders der Perser in Zorn gerieten, doch ohne ihm durch Worte Ausdruck zu geben. Endlich wurden die beiden Genannten vom Kol Agasi herbeigebracht und von dem Vorsitzenden ausgefragt. Sie stellten den Vorgang natürlich höchst ungünstig für uns dar. Wenn es nach ihren Verdrehungen und Ausschmückungen gegangen wäre, hätten wir freilich auf keine Nachsicht rechnen können. Als sie ihre Aussage über das Ereignis im Hofe des Wirtes gemacht hatten, erzählten sie auch unsere Gefangennahme am gestrigen Abend und was darauf gefolgt war. Sie stellten auch das in einer Weise dar, daß wirklich nicht viel Phantasie dazu gehörte, uns für Verbündete oder gar für die Anführer der Schmuggler zu halten. - 145 - Mit großem Vergnügen hörten wir dann zu, als der Perser sich Mühe gab, aus den von ihnen angegebenen Punkten den unumstößlichen Beweis zu ziehen, daß wir diejenigen seien, der eigentlich doch er nur war. »Man weiß,« sagte er, »daß der Schmuggel in großartiger Weise betrieben wird; man weiß, daß sowohl dem Schah-in-Schah als auch dem Padischah dadurch große Summen verloren gehen; man hält bei Tag und Nacht die Augen offen, um zu entdecken, auf welchem Wege und in welcher Weise diese Menge von Waren herüber und hinüber geschafft werden, doch ist alle diese Mühe und Aufmerksamkeit bisher vergeblich gewesen, weil man nicht auf den Gedanken gekommen ist, daß man die Fäden nur deshalb nicht entdecken kann, weil sie sich in der Hand eines Fremden, eines Christen vereinigen. Und nun es endlich durch einen Zufall oder vielmehr infolge der gestrigen Verunglückung zweier Menschen, die er auch verschuldet, gelungen ist, ihn zu ergreifen, ihn und den gefährlichsten seiner Leute, dürfen wir uns auf keinen Fall durch seine spitzfindigen Reden irre machen lassen, sondern müssen sie beide durch die Bastonnade zwingen, alles einzugestehen. Das ist meine Meinung, und wer eine andere Ansicht hegt, der gilt für mich als ein Verräter an der Gerechtigkeit.« Das war wirklich mehr als dreist, frech und unverschämt! Dieser Mensch war selbst der Anführer der Schmuggler und mußte als solcher von unserer Unschuld überzeugt sein; dennoch wagte er es, uns offen in die Augen zu sehen. Hätte er gewußt, daß wir ihn besser kannten, als er ahnte! Wie gern hätte ich ihm den Beweis seiner Verworfenheit entgegengeschleudert, wenn es mir nicht grad dadurch unmöglich geworden wäre, den Coup, welcher mir jetzt vorschwebte, gegen ihn auszu- - 146 - führen [auszuführen]. Er konnte durch die leiseste Andeutung meinerseits gewarnt werden und sich mir dann so entziehen, daß er nicht zu fassen war. ich begnügte mich also damit, ihn ruhig lächelnd anzusehen und, als er gesprochen hatte, dem Sandschaki zu sagen, daß der Kol Agasi beweisen werde, daß wir mit den Paschern in keine Beziehung zu bringen seien. Der Genannte zeigte sich sofort bereit dazu; er beschrieb die Spuren, erklärte mit ihrer Hilfe, daß uns nur der Zufall an die Feuer der Schmuggler geführt habe und endete schließlich mit der gewiß zutreffenden Bemerkung. »Sie gaben mir ihr Wort, nicht zu fliehen; sie hätten sich sehr leicht entfernen können, haben es aber nicht gethan. Ein Schmuggler hält kein solches Versprechen heilig, und daß sie ohne allen Zwang mit hierhergeritten sind, muß uns ein Beweis ihrer völligen Unschuld sein.« Er hatte seine Sache wirklich gut gemacht, sah mich dann aber auch mit einem Blicke an, welcher ebenso deutlich wie in gesprochenen Worten fragte: »Du kannst mit mir zufrieden sein: wirst du denn aber diese meine Rede auch mit in deinen Bericht an den Seraskier aufnehmen?« Ich nickte ihm eine stille Bejahung zu und mußte dann meine Aufmerksamkeit dem Statthalter schenken, welcher im Zorne über die uns so günstige Aussage des Kol Agasi sich an den Vorgesetzten desselben, den Oberst wendete: »Was sagst du dazu, oh Mir Alai, daß dein Untergebener es wagt, diese schon völlig überführten Verbrecher zu verteidigen und für unschuldig zu erklären? Ich hoffe, daß du ihn dafür in Strafe nimmst!« Der Oberst, welcher schon einmal zu unsern Gunsten eingegriffen hatte, antwortete: - 147 - »Er hat als Zeuge gesagt, was er für wahr und für richtig hält; wie kannst du verlangen, daß ich ihn dafür bestrafe?« »Ich befehle es dir!« »Du irrst dich über den Bereich deiner Macht. Du bist der Verwalter deiner Statthalterschaft, und ich bin der Kommandant meines Regimentes. Ich bin für gewisse, genau vorgeschriebene Fälle verpflichtet, dir militärischen Beistand zu leisten, aber persönlich zu befehlen haben wir einander nichts. Der Kol Agasi hat ausgesagt, was ihm von seinem Gewissen vorgeschrieben wurde; ich an seiner Stelle hätte ganz dasselbe gethan.« »Aber du mußt doch einsehen, daß er Schuldige verteidigt! Es ist erwiesen, daß diese beiden Angeklagten den Tod eines Menschen und den Beinbruch eines anderen verschuldet haben. Es ist erwiesen, daß sie Schmuggler sind und gestern bei ihrem verbotenen Gewerbe eine himmelschreiende Leichenschänderei begangen haben. Dies sind zwei todeswürdige Verbrechen. Und drittens ist es erwiesen, daß sie am Tigris mehrere Personen überfallen, beraubt und mißhandelt haben. Es ist mir unbegreiflich, wie man da noch zu ihren Gunsten sprechen kann!« »Ist das wirklich alles erwiesen?« »Natürlich! Du hast es ja gehört!« »Erlaube mir, anderer Meinung zu sein! Um einen Angeklagten zu überführen, muß man ihn doch wohl vor allen Dingen verhören?« »Das habe ich ja gethan!« »Nein. Du hast Fragen gestellt; aber ein Verhör war das nicht zu nennen. Es ist ja nicht einmal eine Mazbata (* Protololl) aufgenommen worden. Du weißt ebenso wie - 148 - ich, daß ein Verhör ohne Mazbata nur ein gewöhnliches Gespräch und also nicht gültig ist. Hier sitzt der Schreiber; aber seine Feder ist noch trocken; er hat sie noch nicht einmal in die Tinte getaucht. Und doch ist es vorgeschrieben, daß wir alle die Mazbata zu unterschreiben haben, wenn das Verhör Geltung haben soll. Übrigens habe ich weder richtige, unanfechtbare Beweise gesehen, noch liegt ein Geständnis der Angeklagten vor. Auch muß ich dich darauf aufmerksam machen, daß nur die Mehkeme in ihrer Gesamtheit über Schuld oder Unschuld zu bestimmen hat, nicht du allein. Wir sitzen nicht als stumme Zuhörer hier, sondern wir sind versammelt, um unter deinem Vorsitze Recht zu sprechen!« Das klang scharf. Dieser Offizier besaß Ehrgefühl. Nahm er sich unser nur darum an, weil dieses Gefühl beleidigt worden war? Oder waren es nebenbei auch persönliche Gründe, die ihn veranlaßten, zu opponieren? Ich bemerkte bei ihm, während er sprach, einen ganz eigenen Gesichtsausdruck, und es waren so seltsame Blicke, welche dabei aus seinen Augen zu uns herüberschweiften. Der Sandschaki konnte die ihm gewordenen Vorwürfe nicht entkräften; er kämpfte vergeblich mit seinem Ärger und stieß zornig hervor: »Bei so ungewöhnlichen Fällen, wie der vorliegende ist, habe ich das Recht, auch zu ungewöhnlichen Mitteln zu greifen. Diese Menschen werden bestraft!« »Wenn sie überführt worden sind!« »Ich habe sie überführt!« Da lachte der Mir Alai so halblaut vor sich hin und sagte: »Sie werden nicht bestraft, gleichviel, ob ihre Schuld zu beweisen ist oder nicht.« »Das klingt unklar. Sprich deutlicher!« - 149 - »So will ich deutlich sein: Diese beiden Männer werden sich nicht bestrafen lassen.« »Wie? Was?« »Auf keinen Fall!« »Ich begreife dich nicht!« »Schau sie an! Sehen sie so aus, als ob sie mit sich machen lassen werden, was dir beliebt?« »Maschallah! Sie sollen sofort andere Gesichter machen! Da du es verlangst, werde ich ein regelrechtes Verhör anstellen und eine Mazbata anfertigen lassen. jede Frage und jede Antwort soll niedergeschrieben werden, und wenn die Kerle nur eine einzige Frage verneinen, bekommen sie ohne Gnade die Bastonnade.« »Werden sie absteigen?« »Sie müssen!« »Wer aber wird es wagen, inzwischen ihre Pferde zu halten?« »Die werden einstweilen weggejagt; sie mögen laufen, Wohin sie wollen, wenn sie nur nicht hier im Hofe bleiben. Also, es wird begonnen!« Es wird begonnen! Es war auch wirklich Zeit dazu. Denn was es bis jetzt gegeben hatte, das war nur Kinderei gewesen. Der Katib (* Schreiber) tauchte mit gerunzelter Stirn und wichtiger Miene seine Feder in die Tinte, und der Vorsitzende warf uns zum zweitenmal die schreckliche Frage zu: »Ihr seid Mörder? Ich rate euch, es sofort zu gestehen, denn wenn ihr es nicht thut, werdet ihr ohne Säumen dort angeschnallt!« Er zeigte bei diesen Worten auf das »Kamel der Schmerzen«. Ich antwortete: - 150 - »Hamdulillah! Endlich scheint der Scherz zu Ende zu sein und der Ernst zu beginnen! Darum frage ich dich: Hast du schon einmal einem Verhöre beigewohnt?« »Bist du verrückt? Mir eine solche Frage vorzulegen!« »Du hast keinen Grund, dich darüber zu wundern. Vielmehr haben wir alle Veranlassung, erstaunt zu sein, daß du ein Verhör anstellen willst, ohne zu wissen, welche Fragen dabei zunächst vorzulegen sind.« »Welche Fragen?« donnerte er mich an. »Vor allen Dingen mußt du doch wissen, wer wir sind!« »Das weiß ich: Mörder seid ihr!« »Ich verbiete dir, uns so zu nennen! Du darfst diesen Ausdruck nicht eher auf uns anwenden, bis bewiesen ist, daß wir ihn verdienen. Wenn du nicht weißt, was sich ---« »Schweig!« befahl er mir. »Wenn du mich beleidigest, bekommst du soviel Hiebe, daß ---« »Still!« unterbrach ich ihn in meinem kräftigsten Tone. »Jetzt spreche endlich ich einmal und du hast ruhig zuzuhören, bis ich fertig bin! Ich gebe dir mein Wort: Wenn du mich noch einmal unterbrichst, ohne von mir gefragt worden zu sein, reite ich dich vom Stuhle herab und unter die Füße meines Pferdes! Du willst uns verurteilen, ohne gefragt zu haben, wer wir sind; ich aber frage dich: Wer bist denn du? Doch nicht etwa der hiesige Sandschaki? Wenn du der wärest, müßtest du doch wenigstens die geringen Kenntnisse besitzen, welche dazu gehören, ein ganz gewöhnliches Verhör zu leiten. Da du das aber nicht verstehst, halte ich dich für alles andere, nur nicht für einen so hohen Verwaltungsbeamten. Was sollte aus dem Reiche des Padischah werden, wenn er - 151 - seine Provinzen von so unerfahrenen Leuten regieren ließe. Beweise mir also, wer und was du bist, ehe du verlangst, daß wir auf deine Fragen Antwort geben! So, jetzt bin ich einstweilen fertig. Nun kannst du auch einmal sprechen, bis ich wieder anfange!« Es herrschte tiefe Stille rund umher. So etwas war diesen Leuten noch niemals vorgekommen. Ein Christ, mehrerer Verbrechen beschuldigt, wagte es, hier vor der Mehkeme und mitten in einer schiitischen Bevölkerung in dieser Weise mit dem höchsten Beamten des Sandschak zu sprechen! Dieser selbst war wie vom Schlag getroffen. Er stotterte einige Worte, welche ich nicht verstand; darum fuhr ich fort: »Und solltest du trotz alledem der Sandschaki sein, so fordere ich dich auf, mir vor allen Dingen zu sagen, vor was für einem Gericht wir uns befinden. Es ist unser gutes Recht, dies zu erfahren, und wir haben nicht die mindeste Lust, darauf zu verzichten. Ist es ein Scherije (* Geistliches Gericht, aus lauter Muhammedanern bestehend) oder ein Nisamije (* Weltliches Gericht, aus Christen und Muhammedanern zusammengesetzt)? Und wenn es ein Nisamije ist, müssen wir wieder wissen, ob wir ein Hukuk-mehkemeleri (* Zivilgericht), ein Dschesa-mehkemeleri (* Strafgericht) oder ein Tidschavet-mehkemeleri (* Handelsgericht) vor uns haben. Gieb also Antwort! Sprich!« »Es ist ein Dschesa-rnehkerneleri,« antwortete er so kurz, weil er seine Betroffenheit noch nicht zu überwinden vermochte. »Also sind die Mitglieder nicht vom Justizminister angestellt, sondern hier von euch selbst gewählt worden. Wer von euch ist ein Christ?« »Niemand.« - 152 - »Niemand? Und doch wißt ihr, daß ich ein Christ bin! Ein Gericht, welchem ich mich zu unterwerfen hätte, falls ich Bewohner von Hilleh wäre, müßte aus Moslemim und Christen zusammengesetzt sein. Das mußt du wissen! Und nun gestehst du ein, daß ihr lauter Muhammedaner seid! Du hast gewußt, daß euch kein Recht über mich zusteht und es dir dennoch angemaßt! Du hast mir Ausdrücke wie Hund, verfluchter Christ, Schmuggler, Mörder zugeschleudert und bist dir doch bewußt gewesen, daß du mir nichts, kein Wort zu sagen, zu befehlen hast! ich werde mich darüber bei dem Umuru adlieh we meshebieh nasreti (* Minister der Justiz und des Kultus) beschweren und ihm mitteilen, was für einen Sandschaki er hier in Hilleh sitzen hat! Aber es ist noch schlimmer, noch viel schlimmer, denn ich bin kein Unterthan des Großherrn, sondern ein Fremder, ein Ausländer. Als solcher stehe ich nur unter der Gerichtsbarkeit meines Vaterlandes, und ihr hättet euch in dieser Angelegenheit an das Sefaret (* Botschaft, Gesandtschaft) oder an die Kanschelarije (* Konsulat) meiner Regierung zu wenden gehabt. Um dies nicht thun zu müssen, sondern mich ohne alles Recht verurteilen zu können, hast du mich lieber gar nicht gefragt, wer und woher ich bin; jetzt verstehe ich dich. Aber das wirst du schwer zu büßen haben, denn mein Hardschijeh nasreti (* Minister des Aeußeren) wird von dem eurigen Rechenschaft fordern über die Gesetzwidrigkeiten und Beleidigungen, welche ich hier erduldet habe, und dann wirst du wohl erfahren, was es zu bedeuten hat, wenn ein Unterthan meines Vaterlandes und meines Kaisers hier, weil er ein Christ ist, nicht nur Hund genannt, sondern wie ein herrenloser Hund getreten und behandelt wird! Ich bin wieder fertig und erlaube dir, auch ein Wort zu sagen.« - 153 - »Wie heißest du, und welches Reich ist dein Vaterland?« fragte er. »Mein Name ist ---« »Halt! laß mich an deiner Stelle sprechen!« unterbrach mich da der Mir Alai, der meinen Worten mit größter Aufmerksamkeit gefolgt war. Und sich von seinem Sitze erhebend, rief er mit lauter Stimme: »Dieser fremde Mann heißt Emir Kara Ben Nemsi Effendi; er stammt aus dem großen, berühmten Reiche Almanja, dessen Kaiser der Freund des Großherrn ist, und hat sich der Armen, Bedrängten und Hilflosen unsers Landes stets mit aufopfernder liebe und Güte angenommen, ohne zu berücksichtigen, daß sie nicht seines Glaubens sind. Er kennt keine Angst; er fürchtet keine Gefahr; er flieht keinen Feind, und seine Klugheit ist ebenso groß wie seine Stärke und seine Tapferkeit. Und dieser sein treuer Begleiter, den ihr hier neben ihm seht, weicht nie von ihm und nimmt an allen seinen Thaten teil. Sein Name lautet Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.« »Wie? Du kennst uns? Du kennst mich? Du kennst sogar meinen ganzen Namen, den ich allerdings noch sehr verlängern könnte?« fragte Halef in stolzem, freudigem Tone. »Ja, ich kenne euch. Darum habe ich vorhin behauptet, daß ihr euch auf keinen Fall bestrafen lassen werdet, denn euer Wille giebt euch Flügel, und euer Zorn bricht Löcher durch die Mauern.« »Aber ich erinnere mich deiner nicht. Wo bist du uns begegnet?« »Ich habe euch gesehen droben zwischen den Bergen der Teufelsanbeter; es ist schon lange her. Ich war da- - 154 - mals [damals] noch Mülasim (* Lieutenant) und befand mich bei den Truppen, welche der Mir Alai Omar Amed kommandierte. Dieser war ein überstrenger, rücksichtsloser Mann, wofür er mit dem Feuertode bestraft wurde. Ihr befandet euch ja in der Nähe und habt es gesehen (* Siehe: Karl May »Durchs wilde Kurdistan«, S. 56), daß Pir Kamek, der Oberste der Teufelsanbeter, mit ihm in das Feuer des Scheiterhaufens sprang, worauf beide verbrannten. Dann vermittelte dein Emir Kara Ben Nemsi Effendi den Frieden zwischen den Dschesidi und uns. Da erst erfuhren wir, was wir euch zu verdanken hatten. Wir waren rundum eingeschlossen, und keiner von uns wäre mit dem Leben davongekommen, wenn der Emir sich unser nicht angenommen hätte. Es wurde dies von Mund zu Mund erzählt, und alle gewannen euch lieb. Wir hörten auch alles, was ihr vorher gethan und erlebt hattet. Später, als ich in Kerkuk und dann in Suleimanieh stand, wurde oft noch mehr von Kara Ben Nemsi und seinem Hadschi Halef Omar erzählt, von euern Pferden, euern Gewehren und euern Thaten bei den Beduinen der Dschesireh und den Kurdenstämmen der Berge und der Thäler. Ich war stolz darauf, euch zu kennen, und wünschte, euch einmal wiederzusehen. Heut ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen, und ihr könnt euch denken, daß ich mich darüber freue. Ich möchte euch so gern dafür dankbar sein, daß ihr uns allen damals das Leben gerettet habt, aber leider bin ich nicht der Sandschaki von Hilleh, sondern nur der Kommandant meines Regiments. Doch wenn es einen Dienst giebt, den ich euch leisten darf, so bitte ich, es mir unbedenklich zu sagen; ich werde von Herzen gern thun, was ihr wünschet. Daß ihr mich nicht erkannt habt, ist kein Wunder. Ein unbedeutender Mü- - 155 - lasim [Mülasim] konnte eure Aufmerksamkeit ja nicht erregen, und wenn euer Blick ja einmal auf mich gefallen sein sollte, so ist das wohl nur so kurz und vorübergehend geschehen, daß ihr euch mein Gesicht nicht merken konntet. jetzt erlaubt mir, das eine zu bemerken: Ich gehöre zur Mehkeme und habe als Soldat die Aufgabe übernommen, euch nicht fliehen zu lassen. Diesen Verpflichtungen muß ich nachkommen; in allem andern aber, was darüber hinausgeht, werde ich euch meine Hilfe und meinen Schutz sehr gern gewähren, wenn ich auch überzeugt bin, daß Kara Ben Nemsi und sein Halef dieses Schutzes gar nicht bedürfen, obgleich sie scheinbar Gefangene sind.« Diese Begegnung mit dem Mir Alai war auch einer der so oft von mir erlebten Beweisfälle, daß jede gute That, jedes menschenfreundliche Verhalten nicht von anderer Seite her belohnt zu werden braucht, weil es Bestimmung Gottes ist, daß solche Handlungen die spätere Vergeltung ganz aus sich selbst heraus entwickeln. Übrigens schien der Oberst ein tüchtiger Offizier zu sein, da er in der gar nicht sehr langen Zeit zwischen damals und jetzt vom Mülasim zum Mir Alai avanciert war. Er hatte, wie schon erwähnt, so laut gesprochen, daß ihn alle hörten. Der Eindruck, den seine Worte machten, war ein für uns günstiger und sehr leicht zu bemerken. Wenn ich die freundlichen Blicke sah, welche auf uns ruhten, so kam es mir gar nicht so vor, als ob ich, »der von Allah verfluchte Christ,« mich mitten unter fanatischen, christenfeindlichen Schiiten befände. Wahrscheinlich war diesem Fanatismus schon dadurch für uns die Gefährlichkeit genommen worden, daß ich vorhin die Schia so wohlwollend erwähnt und dabei auf den Glaubenshaß der Sunniten hingedeutet hatte. Sodann war mein Auftreten gegen den Sandschaki ein hier gewiß noch nie dagewe- - 156 - senes [dagewesenes] gewesen, ich möchte sagen, ein Schauspiel, welches die regste Teilnahme für dem Träger der Hauptrolle erweckte; man vergaß den Andersgläubigen und sah nur den mutigen Mann in ihm. Dazu kam, daß der Statthalter Sunnit und infolgedessen hier also überhaupt nicht beliebt war; man gönnte ihm im stillen die Zurechtweisungen, welche er erfuhr. Und als sich nun der Mir Alai mit solcher Wärme unser annahm, wurde die Stimmung eine noch freundlichere für uns. Sah ich doch, daß der alte Indier mir mit befriedigtem Lächeln zunickte. Ganz anders freilich verhielten sich der Sandschaki und der Perser. Sie waren über die günstige Aussage des Oberst wütend und flüsterten miteinander. Ich sah, daß der Pascher dem Beamten eifrig mitteilte, wie er sich verhalten müsse, um seine Absicht doch noch zu erreichen. Der letztere ging auf die Vorschläge des ersteren ein; wahrscheinlich gab es eine geheime Abmachung dabei, denn er reichte ihm in der Weise, wie man ein Versprechen bekräftigt, die Hand und ergriff dann, sich uns wieder zuwendend, das Wort: »Es ist in der vorliegenden Angelegenheit eine Wendung eingetreten, welche eine Änderung des Verfahrens nach sich zieht. Hätte der Mir Alai mir gesagt, daß er die Angeklagten kennt, so würde mein Verhalten gleich von Anfang an ein anderes gewesen sein. Haben diese beiden Männer damals dem Mir Alai durch Vorzeigung ihrer Legitimationen bewiesen, daß sie wirklich diejenigen seien, für welche sie sich ausgaben?« »Nein,« antwortete der Oberst. »Sie waren als Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar bekannt und wurden so genannt.« »Hast du vielleicht dann später ihre Legitimationen gesehen?« - 157 - »Nein; aber ich erkläre, daß sie die Personen sind, für welche ich sie halte.« »Das genügt mir nicht. Da der eine von ihnen ein Christ und Unterthan eines fremden Staates zu sein vorgiebt und dies vielleicht nur thut, um sich unserer Gerichtsbarkeit zu entziehen, ist die größte Vorsicht und Gewissenhaftigkeit geboten. Ich muß Legitimationen sehen!« »Legitimationen?« fragte Halef lachend. »Meinst du, daß ich, ein freier Beduine und Scheik meines Stammes, einen Paß bei mir trage, wenn ich einen Ritt unternehme?« »Du siehst aber, daß du hier einen brauchst!« »Wer soll ihn mir ausstellen? Wo ist die Behörde, an welche sich ein unabhängiger Ibn Arab in dieser Angelegenheit zu wenden hätte? Es giebt eben keine. Und du sagst, daß ich hier einen brauche? Warum und wozu?« »Weil du vor dem Gerichte stehst, welches wissen muß, wer du bist.« »Schau dort den Ghasai an! Auch er steht vor Gericht, sogar als Zeuge; hat er dir einen Paß vorgezeigt?« »Das ist nicht nötig, denn der Wirt kennt ihn.« »Hat dieser einen Paß von ihm gesehen?« »Das ist gleichgültig!« »Maschallah! Der Mir Alai kennt uns, und du glaubst ihm nicht; einem gemeinen Manne aber schenkst du dein Vertrauen! Dieser ist ein Wirt, ein gewöhnlicher Kaffeesieder, der andere aber ein hoher Offizier! Wäre ich der Mir Alai, ich spräche wegen Beleidigung ein sehr ernstes Wort mit dir!« Da schnellte, obgleich diese Worte nicht an ihn ge- - 158 - richtet [gerichtet] waren, der Säfir von seinem Sitze auf und rief in zornigem Tone: »Ist es möglich, daß ein Angeklagter hier an dieser Stelle, also vor denen, die ihn zu richten haben, sich solche Beleidigungen erlauben darf?! Er hat damit die Bastonnade verdient, die ihm augenblicklich gegeben werden sollte!« Halef griff mit der Hand nach der Stelle seines Gürtels, wo er die Peitsche hängen hatte; er wollte eine Unvorsichtigkeit begehen; darum ließ ich ihn nicht zu Worte kommen, sondern kam ihm zuvor, indem ich dem Perser antwortete: »Wer bist denn du, da du dir erlaubst, hier das Wort zu ergreifen? Gehörst du zur hiesigen Mehkeme, oder bist du wenigstens ein Bewohner dieser Stadt, in welchem Falle deine eigenmächtige Einmischung doch wenigstens einigermaßen zu entschuldigen wäre?« »Wer ich bin, das geht dich gar nichts an!« antwortete er in verächtlicher Weise. »Ich werde dir beweisen, daß es mich mehr angeht, als du jetzt zu denken scheinst. Wir haben nicht die mindeste Lust, einen Menschen sich hier einmischen zu lassen, der an einen ganz andern Platz gehört als hierher an die Seite des obersten Beamten vom Bezirke Divanijeh!« »Wie meinst du das?« »Das wirst du erfahren, sobald es mir beliebt; jetzt aber habe ich keine Lust, es dir zu sagen.« »Nicht keine Lust, sondern keinen Mut hast du!« »Pah! Denk du, was du willst! Es wird sich sicher zeigen, wer den größern Mut besitzt, du oder ich! Einstweilen will ich nur fragen, ob der Sandschaki von Divanijeh selbst weiß, was er zu thun und zu lassen - 159 - hat, oder ob er einen Vormund nötig hat, der die Aufgabe besitzt, an seiner Stelle zu sprechen und zu handeln!« »Schweig!« fuhr mich da der Sandschaki an. »Dieser Mann ist mein Freund, und ich erlaube ihm, zu sprechen, wann und was er will!« »Was du ihm erlaubst, kommt hier gar nicht in Betracht. Die Hauptsache ist, daß ich ihm verbiete, sich in unsere Angelegenheit zu mischen. Ich bin ein christlicher Europäer, und mein Begleiter ist ein freier Haddedihn; eure Mehkeme hat also keine Macht über uns. Und wenn ich euch die Gewalt abspreche, über uns zu richten, so muß ich es mir erst recht verbitten, daß ein Mensch, der nicht einmal hierher, sondern hinüber nach Farsistan (* Persien) gehört, sich anmaßt, grob gegen uns zu sein. Wenn du es nicht für deine Pflicht hältst, ihm dies zu verbieten, werden wir es selbst übernehmen, ihm den Mund zu schließen!« »Allah! Wie wolltet ihr das anfangen?« »Das wird sich sofort zeigen, sobald er es wagt, uns wieder zu beleidigen. Es kommt nur auf mein Belieben an, so befinde ich mich nicht als Angeklagter, sondern als Kläger hier vor euern Augen. Vor allen Dingen erkennen wir unsere Zuständigkeit vor eurer Mehkeme nicht an.« »So beweise, daß du ein Franke, und zwar ein christlicher bist!« »Nichts ist leichter als das; es soll sofort geschehen!« Ich trieb mein Pferd bis nahe zu ihm hin, nahm meine drei Legitimationen heraus, gab sie ihm und ließ dann den Rappen wieder an seine vorige Stelle zurückgehen. Er faltete eines der Dokumente nach dem andern - 160 - auseinander, las sie durch, prüfte die Siegel und die Unterschriften sorgfältig, doch ohne ihnen die vorgeschriebenen Höflichkeiten zu erweisen, und sagte dann, wobei seiner Stimme die Enttäuschung deutlich anzuhören war: »Es stimmt! Er ist derjenige, für den er sich ausgegeben hat. Er gehört vor einen christlichen Richter, und ich kann nichts thun, als ihn nach Bagdad bringen lassen.« »Ganz recht!« fiel ich ein. »Und dort wird es mein erstes sein, zu bezeugen, daß du dem Siegel und der Unterschrift des Padischah die schuldige Ehrerbietung verweigert hast. Es scheint, ich als Christ und Ausländer kenne die Pflichten, welche du zu erfüllen hast, weit besser als du selbst! Und nun du dich überzeugt hast, wer ich bin, legitimiere ich meinen Begleiter als den weitbekannten Hadschi Halef Omar, welcher der oberste Scheik sämtlicher Haddedihn ist vom großen Stamme der Schammar. Ich hoffe, daß niemand es wagt, an der Wahrheit meiner Worte zu zweifeln!« Da fiel der Säfir schnell ein: »Ich bezweifle sie! Diese Legitimationen sind gefälscht. Er will der gerechten Strafe durch sie entgehen. Man muß sie zerreißen, sofort zerreißen; dann gehört er uns und kann nichts gegen das Urteil der Mehkeme machen. Gieb sie her; gieb sie mir!« Er griff zu und riß sie dem Sandschaki aus der Hand. Die Dokumente befanden sich in der größten Gefahr; ich durfte keinen Augenblick zögern, sie zu retten, riß den Revolver aus dem Gürtel, richtete ihn auf den Säfir und befahl: »Laß sie fallen, augenblicklich fallen! Sobald auch deine andere Hand zugreift, zerschmettere ich sie dir!« Er hielt die Schriftstücke in der Linken; mit einer - 161 - Hand allein konnte er sie nicht zerreißen; dazu gehörte auch die Rechte noch. »Du wirst dich hüten, vor der Mehkeme auf mich zu schießen!« lachte er. »Sieh her, wie die Fetzen fliegen werden!« Er griff mit der andern Hand zu; ich gab sofort zwei Schüsse ab. Er ließ die Legitimationen fallen, stieß einen Schrei aus, warf die verletzte Hand empor und kam auf mich zugesprungen. Ein scharfer Druck meiner Kniee - der Hengst that einen Sprung auf ihn zu und riß ihn nieder. Im nächsten Augenblicke war ich aus dem Sattel, hob mit der linken Hand die Dokumente auf, schlug mit der Rechten dem Säfir den Revolvergriff an den Kopf, daß er, schon halb aufgerichtet, wieder niederstürzte, und schwang mich wieder in den Sattel. Die ehrwürdigen Mitglieder der Mehkeme waren, wie von Spannfedern getrieben, emporgeschnellt. Sie schrieen vor Entsetzen über meine Missethat: der Oberst aber rief ein wiederholtes »Afarim!« (* Bravo!) Die Zuschauer schrieen auch; es gab eine Scene der Aufregung, welche ich nicht, ohne sie zu benutzen, vorübergehen ließ: »Jetzt fort, Halef, fort!« Indem ich dem Hadschi diese Worte zuwarf, trieb ich mein Pferd durch die lebhaft gestikulierenden und wirr durcheinander rufenden Leute; er folgte mir sofort. Wir galoppierten über den Hof hinüber nach der Stelle, welche ich vorher bezeichnet hatte; es war eine Wonne, mit welcher Leichtigkeit wir über die Mauer hinaus auf die Gasse kamen, die sehr schmal war, aber recht bald in eine breitere mündete. Dann ging es schlank durch die Stadt, bis wir sie hinter uns hatten und uns auf - 162 - dem uns wohlbekannten Weg nach Bagdad befanden. Da fragte Halef: »Warum solche Eile, Sihdi? Wer solche Pferde reitet wie wir, kann doch von keinem Menschen eingeholt werden!« »Das ist wahr; aber ich will den Anschein erwecken, daß wir froh sind, Hilleh hinter uns zu haben, und gar nicht daran denken, jemals wiederzukommen.« »Willst du denn zurückkehren?« »Natürlich!« »Wann?« »Schon heute.« »Hamdulillah! Ich ahne den Grund; ich weiß, was du beabsichtigst.« »Was?« »Du hast dem Säfir die Hand zerschossen; aber das ist noch nicht genug; du willst noch weiter mit ihm abrechnen. Ist diese Vermutung richtig?.« »Ja.« »So sage ich dir, daß dieser dein Entschluß wie aus meiner eigenen Seele kommt. Er hat unsern Mut bezweifelt; wir werden ihm beweisen, daß wir von dieser Gabe Allahs mehr besitzen, als er jemals besessen hat!« »Was das betrifft, so ist es mir sehr gleichgültig, ob er mich für feig oder für mutig hält; aber der Mehkeme und besonders dem Sandschaki will ich zeigen, wer vor das Gericht gehört, der Perser oder wir.« »Wie, Sihdi? Du willst die Mehkeme wieder zusammenrufen lassen?« »Ja.« Da trieb er seinen Hengst zu einem Luftsprunge an und rief, indem sein Gesicht vor Freude förmlich strahlte, jubelnd aus: - 163 - »Welche Wonne, welche Seligkeit! Das ist es, was ich liebe und was so ganz nach meinem Herzen ist. Respekt müssen sie vor uns bekommen, Respekt vor dir und mir! Einsehen müssen sie, daß sowohl die Eigenschaften unserer Vorzüge als auch die Vorzüge unserer Eigenschaften von ihnen niemals erreicht werden können! Zur Erkenntnis müssen sie kommen, daß wir eine Beispiellosigkeit aller Unvergleichlichkeiten besitzen, vor welcher alle unsere Feinde in den Staub zu sinken haben. Ich werde sie auffordern, uns doch einmal einen Menschen zu nennen, dem Allah so viele und so herrliche Gaben des Körpers und des Geistes wie uns verliehen hat! Sie müssen in tiefster Demut und Unterwürfigkeit - -!« »Still, Halef!« unterbrach ich ihn lachend. »Wenn ich dich so fortsprechen lasse, wirst du noch erhabener, als sogar Allah ist. Denk an die Ehrfurcht gebietende Majestät, mit welcher wir gestern abend von den Ziegeltrümmern herab- und den Soldaten geradezu in die Hände gefallen sind, dann wirst du dir gewiß etwas weniger bewundernswürdig erscheinen!« »O, Sihdi, erinnere mich doch nicht an diesen Sturz! Bin ich etwa der Erbauer von Babylon? Kann ich dafür, daß die Ziegel nicht mehr zusammenhalten? Du behauptest, mich lieb zu haben, und bist doch so ungerecht gegen mich! Du hast ganz denselben Fall gethan; aber werfe ich ihn dir etwa vor? Ist das nicht ein Beweis, daß mein Verstand mehr Bildung des Herzens besitzt als der deinige? Doch, ich will dich nicht kränken, denn ich bin dein wahrer Freund, und als solcher rate ich dir, niemals wieder eine solche Kletterei wie gestern zu unternehmen!« »Ich muß leider bezweifeln, diesen guten Rat befolgen zu können.« - 164 - »Warum?« »Weil wir zum Birs Nimrud zurückkehren und da wahrscheinlich noch mehr zu klettern haben werden, als gestern.« »Auf welchem Wege gedenkst du, das zu thun? Etwa durch die Stadt zurück?« »Nein. Wir müssen über den Euphrat.« »Schwimmen?« »Vielleicht; aber wenn es uns möglich ist, ein Floß zu bauen, werden wir das natürlich vorziehen.« »Und wann kehren wir um?« »Jetzt noch lange nicht. Es ist sicher, daß wir verfolgt werden, und wir müssen den Anschein erwecken, daß wir so schnell wie möglich nach Bagdad wollen. Darum ist es notwendig, uns im nächsten Khan für kurze Zeit sehen zu lassen und dann noch ein Stück über denselben hinauszureiten. Unsere Verfolger werden wahrscheinlich bis zu diesem Khane reiten, dann aber umkehren, wenn sie erfahren, was für einen Vorsprung wir ihnen mit unsern bessern Pferden abgewonnen haben. Wir müssen uns also beeilen, obgleich wir uns nicht zu fürchten brauchen.« Wir waren während dieser Auseinandersetzungen soweit gekommen, daß wir jetzt el Kulea links von uns am Euphrat liegen hatten; nun ging es auf den Wardijeh-Kanal zu. Als dieser passiert worden war, erreichten wir Dschimtschima, von wo aus sich hohe Erdwälle in gerader Linie nach Nordost ziehen, um dann im rechten Winkel und nordwestlicher Richtung nach dem Flusse zurückzukehren; wahrscheinlich bezeichnen sie die Eindämmungen des früheren, alten Euphratlaufes. Hierauf kamen wir an dem an allen Seiten zerrissenen Tell Amran Ibn Ali vorüber, welcher diesen arabischen Namen von einem - 165 - muhammedanischen Heiligen hat, der hier begraben liegt, und sahen dann die gewaltigen Trümmerhaufen des Kasr sich erheben. Kasr heißt soviel wie Schloß; dieser Name hängt mit der Bedeutung dieser Ruine zusammen, denn das Kasr ist das Residenzschloß Nabuchodonosors gewesen, welcher sich diese Wohnung baute, nachdem seine Vorfahren in einem auf der rechten Seite des Euphrat gelegenen Schlosse residiert hatten. Die Ruinen sind noch jetzt 400 Meter lang und 350 Meter breit, und doch soll dieses Schloß, wie der jüdische Geschichtsschreiber nach dem Chaldäer Berosus berichtet, in nur fünfzehn Tagen errichtet worden sein. Selbst wenn man annimmt, daß sämtliche Materialien vorher erst vollständig fertiggestellt und herbeigeschafft worden sind, um nur noch zusammengesetzt zu werden, erscheint diese Angabe unglaublich; allein es wurde eine jetzt in London befindliche Keilinschrift ausgegraben, welche neben andern wichtigen Stellen auch die folgende enthielt: »ina XV yumi sibirsa usaklil«, zu deutsch: »in fünfzehn Tagen habe ich dieses herrliche Werk vollendet«. Wieviel Tausende von Menschenhänden haben dazu gehört, den Bau in so kurzer Zeit zustande zu bringen! Und dieses gewaltige Unternehmen war nur eines von den vielen, welche von Nabuchodonosors Unternehmungsgeist und Thatkraft zeugen! Die erwähnte Inschrift sagt freilich auch in sehr stolzer Weise in Beziehung hierauf: »Ich habe den Palast errichtet, den Sitz meines Königtumes, das Herz Babels im Lande Babylonien; ich habe seine Fundamente tief unter dem Flußspiegel legen lassen; ich habe den Bau dokumentiert auf Cylindern, von asphaltiertem Mauerwerk umschlossen. Mit deinem Beistande, o erhabener Gott Merodach, habe ich diesen unzerstörbaren Palast errichtet. Möge der Gott in Babel thronen; möge er dort seine Wohnung nehmen; - 166 - möge er ihre Einwohner siebenfach mehren; möge er durch mich das Volk Babyloniens beherrschen bis zu den fernsten Tagen!« Die heilige Schrift aber sagt: (* Daniel 4, 26 - 29) »Nachdem zwölf Monate um waren, da er auf der Burg zu Babylon wandelte, hub der König an und sprach: »Ist das nicht das große Babylon, das ich zur Wohnung des Königs erbaute durch meine starke Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit?« Und als der König das Wort noch im Munde hatte, fiel eine Stimme vom Himmel: »Dir, o König Nabuchodonosor, wird gesagt: Dein Reich soll dir genommen werden, und man wird dich von den Menschen verstoßen, und deine Wohnung wird bei den wilden Tieren sein; Gras wirst du fressen wie ein Ochs, und sieben Zeiten werden über dir ablaufen, bis du erkennst, daß der Allerhöchste im Reiche der Menschen herrschet, und dasselbe giebt, wem er will!« Dieses Gericht ging an ihm in Erfüllung, als der Größenwahn seinen Geist umnachtete. Noch nicht hundert Jahre später kam Cyrus, der Eroberer Babylons, und später machte Alexander der Große der persischen Satrapenherrschaft ein Ende, um, noch jung und voller Thatenlust, in diesem Palaste zu sterben. Der »unzerstörbare«, wie die Keilinschrift ihn nennt, liegt nun seit ungezählten Jahren in Trümmern! Nördlich davon erreichten wir die Mudschelibeh, auch Maklubeh edar Babil genannt, die durch diesen letzteren Namen allein noch an das alte Babylon erinnert. Das sind die Trümmermassen der sogenannten hängenden Gärten, deren unendlich kostspielige Anlage auf den nicht ganz geheilten Wahnsinn Nabuchodonosors deuten, Später passierten wir den Nil-Kanal und machten - 167 - dann am Tell Ukraïneh einen kurzen Halt, um die Pferde verschnaufen zu lassen. Kein Mensch war uns bisher begegnet; jetzt aber sahen wir drei Reiter, welche es sehr eilig zu haben schienen. Sie kamen nicht direkt vom Khan Mohawid her, sondern schienen ihn in einem Bogen umritten zu haben und lenkten erst nun in den von ihm herkommenden Weg ein. Es war daraus zu schließen, daß sie Ursache hatten, sich dort nicht sehen zu lassen. Wer sich aber vor den Augen anderer zu scheuen hat, erregt Verdacht, und so sahen wir ihnen mit begründetem Mißtrauen entgegen. Als sie sich uns weit genug genähert hatten, sahen wir, daß sie persisch gekleidet waren, und einige Sekunden später erkannten wir sie. »Maschallah!« sagte Halef. »Das ist ja der Pädär-i-Baharat mit seinen beiden Halunken! Welch ein Zusammentreffen! Wer hätte das für möglich gehalten!« »Es war nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich,« antwortete ich. »Wir wissen ja, daß der Pädär-i-Baharat von dem Säfir erwartet wird.« »Warum bist du da nicht auf den Gedanken gekommen, ihm auszuweichen?« »Weil es nicht nötig ist, eine offene Begegnung mit ihm zu scheuen. In Bagdad hatten wir uns vor einem hinterlistigen Überfalle in acht zu nehmen; hier aber giebt es nicht den geringsten Grund, uns vor ihnen zu verbergen. Ich denke vielmehr, daß sie es sind, welche Ursache haben, uns zu meiden.« »Das ist sehr richtig, Effendi. Jetzt aber bin ich neugierig, wie sie sich verhalten werden. Ich werde aus Fürsorge die Peitsche aus dem Gürtel nehmen!« Wir hatten uns, als wir abgestiegen waren, auf den Boden niedergesetzt, und zwar so, daß die Pferde - 168 - zwischen uns und den Nahenden standen; darum konnten sie uns nicht eher erkennen, als bis sie uns erreicht hatten. Als da aber die Augen des Pädär-i-Baharat auf uns fielen, riß er unwillkürlich sein Pferd zurück und stieß einen Fluch zorniger Überraschung aus. »Seht, wer da sitzt!« rief er seinen Gefährten zu. »Allah giebt sie in unsere Hände; wir wollen sie sofort zum Schejtan (* Teufel) senden!« Er nahm sein Gewehr nach vorn, um es auf uns anzulegen; aber Halef war ihm zuvorgekommen, indem er das seinige auf ihn gerichtet hatte, und antwortete mit der Drohung: »Thu sofort die Flinte weg, sonst frißt dich meine Kugel! Du wärst der Kerl, uns zu dem zu schicken, zu dem du selbst gehörst! Macht euch nur schleunigst davon, sonst werden euch die Schwielen von letzthin aufgewärmt!« Da auch ich, um die Sache abzukürzen, meinen Stutzen in Anschlag nahm, getraute sich keiner von ihnen, einen Schuß zu wagen; aber der Grimm des Pädär war so groß, daß er trotz der auf ihn gerichteten Gewehre halten blieb und uns zuschrie: »Denkt ja nicht, ihr Hunde, daß euch das, was ihr gethan habt, geschenkt wird! Wir treffen euch auf alle Fälle wieder, und dann werden wir Riemen aus euren Fellen schneiden, um euch damit totzupeitschen. Allah zerschmettere alle eure Knochen!« Nun ritten sie weiter. Für Halef war es natürlich unmöglich, auf diese Drohung zu schweigen; er rief ihm nach: »Die deinigen koche der Teufel und gebe sie seiner Urahne als Bulamadsch es Suwehd (* Pflaumenmus) zu essen!« - 169 - Dann wendete er sich lachend an mich: »Sihdi, habe ich das nicht gut gemacht mit dem Bulamadsch es Suwehd?« »Ja, du bist außerordentlich geistreich gewesen; ich bewundere dich, lieber Halef!« »Spotte nicht! Ich mußte ihm doch antworten, denn es wäre eine Feigheit von mir gewesen, ihm das letzte Wort zu lassen. Wie kann dieser Dummkopf drohen, daß er uns wiedertreffen und sich dann rächen werde? Er sieht ja, daß wir uns auf dem Wege nach Bagdad befinden!« »Da irrst du. Er hat uns nicht reiten, sondern nur hier sitzen sehen; er weiß also nicht, daß wir schon in Hilleh waren, sondern ist der Meinung, daß wir aus Bagdad kommen und von ihm eingeholt worden sind. Darum ist er so überzeugt, uns wiederzusehen.« »Das kann leicht möglich werden, da wir doch nach dem Birs Nimrud zurückwollen. Er wird freilich von dem Säfir erfahren, daß wir schon dort gewesen und jedenfalls nach Bagdad geritten sind.« »Viel wichtiger als dieses ist mir der Umstand, daß der Pädär-i-Baharat den Khan Mohawid vermieden hat. Es muß eine Ursache dazu vorhanden sein.« »Aber welche wohl, Effendi?« »Ich vermute, daß sich Leute dort befinden, die ihn nicht sehen sollen. Errätst du, wer das ist?« »Erraten? Ich? Sihdi, du weißt, daß ich alle Dinge durchschaue, sobald sie den Mut besitzen, mir vor die Augen zu kommen; aber was sich vor meinem Angesicht verbirgt, das kann ich doch nicht sehen; darum habe ich das Erraten stets dir überlassen und bleibe dieser Gewohnheit auch in dem gegenwärtigen Falle treu. Also sag du, wer es ist!« - 170 - »Mit Gewißheit kann natürlich auch ich es nicht bestimmen, aber ich denke, daß ich mit meiner Vermutung das Richtige treffe. Ich ahne nämlich, daß es die Karwan-i-Pischkhidmät Baschi ist, welche im Khane Einkehr gehalten hat. Es sind Leute bei dieser Karawane, welche den Pädär kennen; darum sandte ja der Säfir die beiden Boten, ihn zu warnen. Er ist auch ohne diese Warnung auf seiner Hut und hat einen Umweg gemacht, um nicht gesehen zu werden. Nun sucht er den Säfir auf, um ihm zu melden, daß der Pischkhidmät Baschi schon nahe ist und der Überfall der Karawane nun bald stattfinden kann.« »Sihdi, denkst du nicht, daß wir diese Leute warnen müssen?« »Ja, das ist unsere Pflicht. Hoffentlich schenken sie uns Glauben!« »Warum sollten sie die Wahrheit dessen, was wir sagen, bezweifeln?« »Es ist mir oft geschehen, daß grad solche wohlgemeinte Warnungen mit Undank zurückgewiesen wurden. Können wir Beweise bringen, wenn man welche verlangt?« »Eigentliche Beweise freilich nicht; aber wenn es einer wagen sollte, mir in das Gesicht zu sagen, daß er uns keinen Glauben schenke, so erleuchte ich seinen dunkeln Verstand mit den Strahlen meiner Peitsche. Komm, laß uns weiterreiten! Ich möchte gern sobald wie möglich wissen, ob es wirklich die Karwan-i-Pischkhidmät Baschi ist, die wir sehen werden.« Wir setzten unsern Ritt fort, sahen nach noch nicht einer halben Stunde den Khan vor uns liegen und lenkten in das Thor desselben ein. Als wir den Hof vor uns liegen sahen, zeigte uns der erste Blick, daß die Kara- - 171 - wane [Karawane] hier war. Es gab außer ihr mehrere Gruppen von Pilgern und Leichentransporteuren, welche sich aber bescheiden in die Winkel zurückgezogen hatten, denn der Zug des Kammerherrn war so reich ausgestattet, daß sich niemand in die Nähe der zu ihm Gehörigen wagte. Wir aber ritten ungeniert zwischen den Personen hindurch, um an dem Brunnen abzusteigen. Dieses ungezwungene Verhalten schien ihr Mißfallen zu erregen; wir hörten sie darüber murren und bemerkten gar wohl die unfreundlichen Blicke, welche sie uns deshalb zuwarfen, machten uns aber nichts daraus. Die Karawane zählte zwölf wohlbewaffnete Reiter zu Pferde und sechs Lastkamele, welche mit, wie es schien, wertvollen Paketen beladen waren. Die Pferde gehörten dem mittelguten persischen Schlage an; eines von ihnen aber war das wirklich schöne Produkt einer Kreuzung zwischen arabischer und turkmenischer Rasse. Es schien dem Pischkhidmät Baschi zu gehören und trug ein reiches, silberplattiertes Geschirr. Dieses Zurschautragen der Wohlhabenheit war für die hiesigen Verhältnisse nichts weniger als klug, sie forderte die Raublust geradezu heraus. Im Schatten der Plattform war ein kostbarer Teppich ausgebreitet, auf welchem der »Kammerherr«, seine Hukah (* Wasserpfeife) rauchend, Platz genommen hatte. Er war ein schwarzbärtiger Mann in den dreißiger Jahren und so splendid gekleidet, daß man sein Bestreben, seinen hohen Stand zur Geltung zu bringen, nicht verkennen konnte. Sein Anzug war mit echt goldenen Borden und Tressen besetzt; ein weicher Kaschmirshawl schlang sich um seine Hüften; die schwarze, hohe Schmaschenmütze gehörte wohl - 172 - zu den teuersten, die ich gesehen hatte, und seine Waffen funkelten nur so von eingelegter Arbeit. Welch eine Unvorsichtigkeit inmitten einer Bevölkerung, die den Raub nicht als ein Verbrechen, sondern nur als lohnenden Sport betrachtet! Ähnlich, wenn auch nicht so kostbar, waren auch seine Begleiter gekleidet und bewaffnet. Als wir abgestiegen waren, schickte er einen dieser Leute mit der Aufforderung zu uns, zu ihm zu kommen. »Was sollen wir bei ihm?« fragte ich. »Ihm pflichtschuldigst sagen, wer und was ihr seid, und ihm beweisen, daß euch das Recht zusteht, in seiner beglückenden Nähe zu verweilen.« »So! Wer ist denn er?« »Er ist der Pischkhidmät Baschi des Beherrschers der Welt und darf den Titel Aemin-i-Huzur (* Vertrauter der kgl. Gegenwart) führen.« Der Mann sagte das in einer so dünkelhaften Weise, und in den Gesichtern seiner dabeistehenden Gefährten lag eine solche Fülle der Anmaßung, daß ich in abweisendem Tone antwortete: »Des Beherrschers der Welt? Wo giebt es einen Regenten, der die Welt beherrscht? Pischkhidmät Baschi? Also ein Angestellter, welcher Dienste zu verrichten hat! Aemin-i-Huzur? Also Vertrauter einer andern Gegenwart, aber nicht der meinigen! Ich bin kein Diener wie er; wie kannst du sagen, daß ich mich ihm pflichtschuldigst zu nahen habe!« »So weigerst du dich also?« fragte er streng. »Weigern? Pah! Bin ich ein Kammerdiener, der unter seinem Befehle steht? Befinden wir uns etwa in Persien? Ihr seid hier fremd, und wir sind es auch; ihr seid hier eingekehrt, um auszuruhen, und wir befinden - 173 - uns zu demselben Zwecke hier; wir haben gleiche Rechte. Es ist mir vollständig gleichgültig, wer ihr seid; was geht es euch an, wer ich bin? Wenn euer Pischkhidmät Baschi mir einen Wunsch vorzutragen hat, so mag er zu mir kommen; zu befehlen hat uns hier kein Mensch etwas!« »Du willst also nicht hin zu ihm?« erkundigte er sich in demselben rücksichtslosen Tone wie vorher. »Nein.« »So werden wir euch zu zwingen wissen!« »Versuche es! Du hast seine Nähe eine beglückende< genannt; wir aber wissen, daß das Glück an ganz andern Orten zu suchen ist, als in der Nähe von Leuten, welche nicht einmal die Regeln der allereinfachsten Höflichkeit, die der gewöhnliche Mensch besitzen muß, kennen gelernt haben.« »Das ist eine Beleidigung! Wenn ihr uns nicht gutwillig folgt, werden wir Gewalt anwenden!« Ich setzte mich an den Rand des Brunnens, nahm meinen Henrystutzen zur Hand, deutete auf eine fern von uns gezogene Schnur, an welcher der Khandschi (* Aufseher des Khan) Zwiebeln aufgehängt hatte, und sagte: »Seht dort die Baßal (* Zwiebel)-Reihe! Ich werde die ersten fünf auf der linken Seite treffen. Paßt auf!« Der Hof war groß; die Zwiebeln hingen in einer Entfernung von vielleicht neunzig Schritten von uns; ich drückte fünfmal los, und jeder Schuß traf die angegebenen Ziele. Einige der Perser eilten hin, um sich zu überzeugen; als sie wieder kamen, meldeten sie mit Erstaunen, daß ich alle fünf Zwiebeln, ohne wieder zu laden, obgleich mein Gewehr doch nur einen Lauf besitze, getroffen habe. - 174 - »Es ist ein Zaubergewehr,» erklärte Halef. »Dieser weltberühmte Emir und Effendi schießt und trifft zehntausend und noch mehrmal, ohne nur zu laden. Was seid ihr gegen uns!« Er machte dabei eine wegwerfende Handbewegung. Ich fügte in ruhigem Tone hinzu: »Ich wollte euch nur zeigen, was ihr zu erwarten habt, wenn ihr auch nur eine Hand gegen uns zu erheben wagt. Ihr seid zwölf Personen; und in zwölf kurzen Augenblicken werden euch zwölf Kugeln aus diesem Gewehre zur Erde gestreckt haben. Nun thut, was ihr nicht lassen könnt!« Sie standen da und schauten einander verlegen an. Der Henrystutzen hatte, wie immer, seine Schuldigkeit gethan und ihnen Respekt eingeflößt. Der »Oberste der Kammerherren« war natürlich Zeuge des Vorganges gewesen; auch er war besorgt geworden; er rief seinen Leuten zu: »Geht weg von ihm! Mit so rücksichtslosen, groben und gewaltthätigen Menschen, wie diese beiden Männer sind, können Leute, welche unter dem majestätischen Schutze des Allbeherrschers wandeln, nicht verkehren. Sie sind aus der tiefsten Stufe der Bevölkerung geboren und im Dunkel der Unwissenheit erzogen worden; darum ist ihr Betragen dasjenige ganz ungebildeter Personen; man beschmutzt sich mit ihnen. Wir verachten sie!« Auf diese Worte zogen sich seine Untergebenen augenblicklich von uns zurück; es trat aber noch eine andere Wirkung ein, die er wahrscheinlich nicht vermutet hatte. Mein leicht erregbarer und in Beziehung auf den Ehrenpunkt höchst empfindlicher Hadschi glaubte nämlich, die Beleidigung, welche in den Ausdrücken des Kammerherrn lag, nicht auf sich sitzen lassen zu dürfen. Er sprang von - 175 - dem Brunnenrande, auf welchem er mit mir saß, herunter, schnellte zu dem Perser hin und herrschte ihn zornig an: »Was hast du gesagt? Von der tiefsten Stufe der Bevölkerung und dem Dunkel der Unwissenheit hast du gesprochen? Du kennst wohl diese Stufe und dieses Dunkel aus eigener Erfahrung sehr genau? Uns beiden sind sie unbekannt! Auch hast du gewagt, das Wort der Verachtung über deine niemals abgewischten Lippen zu bringen? Wer bist du denn eigentlich, daß es dir beifällt, in diesem hohen, aber halsbrecherischen Tone mit uns zu sprechen? Du kriechst in der Kammer deines Gebieters herum wie eine niedrige Sakkaja (* Eidechse, Lurch) in den Löchern der Erde; du sinkst vor ihm auf die Kniee und schlägst mit deiner Stirn den Boden zu seinen Füßen. Du bist ein Diener seiner Einfälle und ein Sklave seiner Launen. Die Kleider und die Waffen, in denen du dich brüstest, hast du dir nicht erworben wie ein Mann, welcher Ehre besitzt, sondern er hat sie dir geschenkt, weil du seinen Speichel wie Honig verzehrst. Wir aber sind die freien Herren und Gebieter unserer selbst. Wir thun, was uns beliebt, und beugen unsere Nacken vor Allah allein, aber vor keinem einzigen seiner Geschöpfe, auch dann nicht, wenn sich dasselbe so lächerlicherweise Beherrscher der Welt< nennen läßt. Wer steht da höher, wir oder du? Und wem gehört die Verachtung, welche an unsere Ohren drang, uns oder dir?« Der kleine mutige Kerl hatte diese Strafrede so schnell hervorgesprudelt, daß es unmöglich gewesen war, ihn zu unterbrechen; nun aber, als er eine Pause machte, um Atem zu holen, riß der Oberste der Kammerherren den Dolch aus dem Gürtelshawl und antwortete in zornigem Tone: - 176 - »Schweig, Hund! Wenn du noch ein einziges solches Wort sagst, steche ich dich nieder oder lasse dich durchpeitschen, daß dir die Haut auseinanderspringt!« Auch seine Leute nahmen eine drohende Haltung an; dem Hadschi aber fiel es ganz und gar nicht ein, sich bange machen zu lassen. Er deutete auf mich, der ich den Stutzen schußbereit in den Händen hielt, und erwiderte, indem er laut auflachte: »Was sagtest du? Wie war das? Mich erstechen? Sieh dort meinen Effendi an! Ehe du den Dolch erhoben hättest, würde seine Kugel dir durch den Schädel fahren. Und mich schlagen lassen? Hast du eine Peitsche? Ich sehe keine. Schau aber du doch einmal her an meine Seite! Da hängt eine Kurbadsch, welche aus liebevoll verbundenen Nilhautstreifen zusammengeflochten ist; die hat schon mit dem Rücken manch eines Menschen gesprochen, der sich höher dünkte, als seine Nase reichte, und von uns niedergebogen wurde, um durch unsere Hiebe zur Demut und Bescheidenheit gebracht zu werden. Bilde dir ja nicht ein, daß wir uns vor euch fürchten, weil ihr zwölf Personen seid und wir sind nur zwei! Es ist uns niemals eingefallen, unsere Gegner zu zählen; je mehr ihrer sind, desto lieber ist es uns, und so sage ich auch euch ganz aufrichtig, was wir zu thun gesonnen sind: Mein Effendi hält euch mit seinem Gewehre in Schach; er wird jeden, der die Hand erhebt, sofort über den Haufen schießen; ich aber nehme, wie du siehst, jetzt meine Kurbadsch vom Gürtel und schlage sie dem um die Ohren, der noch ein einziges Wort der Beleidigung zu uns spricht. Du hast mich )Hund< genannt; nimm dich in acht, und zwinge mich ja nicht, dir zu zeigen, wer hier als Herr auftreten und wer als Hund behandelt wird!« Er stand vor dem Perser, welcher von seinem Teppich - 177 - aufgesprungen war, und fuchtelte ihm drohend mit der Peitsche vor dem Gesicht herum. Der Zurechtgewiesene war natürlich wütend; unter andern Verhältnissen hätte er sich auch anders verhalten; aber er sah den Lauf meines Gewehres gerade auf sich gerichtet und meinen Finger am Drücker, und das hielt ihn ab, zu handeln, wie er sonst gehandelt hätte. Vielleicht nahm er an, daß meine drohende Haltung nicht für ihn gefährlich sei, daß ich doch nicht schießen würde; aber zwischen Vermutung und Gewißheit ist ein großer Unterschied, und er besaß nicht den Mut, diesen Unterschied kennen zu lernen. Man sah ihm an, daß er nach einer Weise suchte, sich ohne Blamage aus der Affaire zu ziehen, und es trat auch wirklich ein Umstand ein, der seiner Verlegenheit zu Hilfe kam. Die Scene hatte selbstverständlich die Aufmerksamkeit auch der andern im Khane Anwesenden erregt; sie waren herbeigekommen, um zu beobachten, wie dieselbe verlaufen werde. Da stand der Khandschi mit einigen Soldaten, welche ihm zum Schutze des Ortes beigegeben waren. Er hatte als erster Beamter hier die Verpflichtung, auf Ruhe und Ordnung zu sehen, schien aber ein bequemer und wenig thatkräftiger Mann zu sein, dem es gar nicht einfiel, sich mit unserer Angelegenheit zu beschäftigen. Seine Soldaten lächelten vergnügt vor sich hin; ihnen machte das Intermezzo Spaß; das gab doch einmal eine amüsante Unterbrechung des alltäglichen und langweiligen Einerlei, zu dem sie hier verurteilt waren. Die Pilger, Leichentransporteure und anderen Personen verhielten sich ebenso. Nur einer von ihnen schien Lust zu haben, sich persönlich beteiligen zu wollen. Sein scharf geschnittenes, von der Sonne gebräuntes Gesicht war lebhaft bewegt; er blieb nicht ruhig stehen, sondern - 178 - bewegte sich hin und her, um bald Halef, bald mich genauer und forschend zu betrachten. Ich sah es ihm an, daß er etwas vorhatte, und als er jetzt den Perser so unentschlossen stehen sah, trat er zu ihm hin, verbeugte sich tief vor ihm und sagte: »Hazreti (* Hoheit), verzeih, daß ich ein Wort an dich richte! Ich kann dir über diese beiden Männer Auskunft geben.« »Wer bist du?« fragte ihn der Angeredete, sichtlich erfreut, aus seiner Unschlüssigkeit erlöst zu werden. »Ich war ein tapferer Krieger des Beduinenstammes der Obeïde, bin aber wegen diesen Leuten, die Allah zerreißen möge, ausgestoßen worden und muß nun, um nicht hungern zu müssen, der Diener fremder Menschen sein.« Das Gesicht dieses Mannes kam mir bekannt vor, doch konnte ich mich nicht besinnen, wann und wo ich es gesehen hatte; da kam Halef zu mir zurück und sagte mit leiser Stimme. »Sihdi, ich erkenne ihn; er ist einer der beiden Spione, welche wir damals mit der Schande bestraften, daß wir ihnen die Bärte abschneiden ließen.« (* Siehe Karl May, »Durch die Wüste« Seite 422) Jetzt besann ich mich auch; Halef hatte recht. Die zwei Beduinen waren durch diese Bestrafung ehrlos geworden und infolgedessen von ihrem Stamm verstoßen worden; jetzt ergriff der Mann die sich ihm so unerwartet bietende Gelegenheit, sich an uns zu rächen. Mir war gar nicht bange dabei, und Halef setzte sich mit erwartungsvollem Lächeln wieder neben mich auf den Brunnenrand. Der Perser ließ sich wieder auf seinen Teppich nieder, steckte den Dolch in den Shawl, ließ eine möglichst - 179 - würdevolle Miene sehen und forderte nun den einstigen Obeïde auf: »Erzähle mir, was du von ihnen weißt! Wenn du eine gerechte Sache gegen sie hast, sind wir bereit, dir beizustehen.« »Meine Sache ist nicht nur eine gerechte, sondern eine blutige,« kam der Beduine dieser Aufmunterung nach, »denn eine Schande, wie sie mir angethan worden ist, kann nur mit Blut vergolten werden. Der Stamm der Haddedihn fing damals Streit mit den Obeïde an; wir rüsteten zum Kriege, und unser Scheik sandte zwei Kundschafter aus, die Absichten der Haddedihn zu erforschen. Einer dieser Kundschafter war ich; Allah wollte, daß wir Unglück hatten; wir wurden ergriffen und zu alten Weibern gemacht, indem man uns die Bärte schor. Dadurch ging unsere Ehre verloren, und wir wurden von den Unserigen ausgestoßen.« »Du sprichst von dir, wolltest aber doch von ihnen reden!« »Verzeih; es wird sofort geschehen! Ich kannte diese Männer damals noch nicht, habe sie aber später genau kennen gelernt und sehr viel über sie gehört. Der Kleine dort heißt Hadschi Halef Omar und ist jetzt der Scheik der Haddedihn - - -« »Was sind die Haddedihn? - Sunniten?« »Ja.« »So wird Allah sie und ihn verfluchen und verderben! Wie darf er es wagen, diesen Khan zu betreten, der nur für die gläubigen Bekenner der heiligen Schia erbaut worden ist! Sobald er fort ist, muß dieser Ort von seinem Gestanke gereinigt werden!« »Allah, Wallah! Der Gestank des andern ist noch viel größer!« - 180 - »Wieso?« »Weil er weder ein Sunnit noch ein Schiit, sondern überhaupt kein Moslem ist.« »Was denn? - Etwa ein verfluchter Jehudi?« (* Jude) »Nein, sondern noch schlimmer, denn er ist ein ungläubiger Nasrani.« (* Christ) »Ein Nasrani?« fuhr der Perser auf. »Ist das möglich? Ist das auch nur denkbar? Hat man eine so verfluchte Entweihung des heiligen Pilgerweges jemals erlebt? Was ist da zu thun! Ermannt euch, ihr Leute; es ist eine Bestie, ein nach Verwesung duftendes Aas in unserer Mitte! Werft euch auf den Kerl, schafft ihn, lebend oder tot, vor das Thor hinaus!« Halef griff wieder nach seiner Peitsche und wollte vom Brunnenrande herunterrutschen; ich hielt ihn zurück und sagte: »Bleib! Es wird jetzt interessant. Ich bin neugierig, ob sie den Mut besitzen, sich an mir zu vergreifen.« Sie besaßen ihn nicht; sie fluchten und schimpften in allen Tonarten, blieben aber da stehen, wo sie standen. Der Obeïde bestärkte sie in dieser Feigheit, indem er die Warnung aussprach: »Seid nicht unvorsichtig, sondern nehmt euch in acht! Dieser Ungläubige ist euch unbekannt, ich aber kenne ihn, denn ich habe alles gehört, was man von ihm berichtet.« »Du widersprichst dir doch!« warf der Kammerherr ein. »Erst klagst du ihn an, und dann warnst du uns vor ihm!« »Weil ich nicht will, daß ihr gegen ihn unterliegen sollt.« »Wir sind ihm überlegen!« - 181 - »Im Kampfe nicht! Er ist stark und geschmeidig wie ein Panther und erlegt den Löwen des Nachts mit einer einzigen Kugel. Das große, schwere Gewehr, welches dort neben ihm lehnt, hat Geschosse, welche mehrere Tagreisen weit fliegen und dann noch jeden treffen, den er will, denn ihm hilft der Scheitan, mit welchem er ein Bündnis geschlossen hat. Und mit dem kleinen Gewehre kann er, obgleich er niemals zu laden braucht, soviel tausend- und millionenmal schießen, wie er will, denn es ist in der Hölle angefertigt worden, wo alle seine Ahnen und Urvorväter wohnen. Im Kampfe könnt ihr nichts gegen ihn erreichen; es giebt nur ein einziges Mittel, ohne Schaden für sich selbst mit ihm fertig zu werden; das ist die List!« Ich hätte bei diesen Worten beinahe laut aufgelacht. Daß er in meiner Gegenwart die List empfahl, war doch ein gar zu auffälliger Beweis dafür, daß er selbst von diesem Artikel keine Spur besaß. Auch der Perser sah dies ein; er schaute ihn erstaunt an, schüttelte den Kopf und sagte: »Wir sollen uns nicht an ihn wagen, sondern listig sein? Und das sagst du uns vor seinen eigenen Ohren?« »Warum nicht? Er weiß es doch, ganz gleich, ob er es hört oder nicht, denn seine Verschlagenheit ist fast noch größer als die Stärke seines Körpers und die Unfehlbarkeit seiner Gewehre.« »Und da sollen wir ihn mit List überwinden? Willst du uns angeben, auf welche Weise, durch welche List?« »Das kann ich nicht; das ist eure Sache. Ich habe euch gewarnt und ihn euch übergeben; nun könnt ihr machen, was ihr wollt.« »Ich höre, daß du selbst eine Angst vor ihm hast, die gar nicht zu messen ist; ich aber fürchte mich nicht und weiß, was ich zu thun habe.« - 182 - Das war nur Redensart; er fürchtete sich doch, denn anstatt einen thätlichen oder wörtlichen Angriff gegen mich zu unternehmen, wendete er sich an den in seiner Nähe stehenden Khandschi: »Du bist der von dem Pascha eingesetzte Aufseher dieses Khan?« »Ja, Hazreti,« nickte der Befragte mit breitem, verlegenen Lächeln. Er hatte natürlich die Warnungen auch gehört, fürchtete sich infolgedessen ungeheuer vor Halef und vor mir und ahnte zu seiner größten Beunruhigung, daß man ihm zumuten werde, in irgend einer Weise gegen uns vorzugehen. »Der Khan steht an dem Wege nach den heiligen Stätten der von Allah gesegneten und begnadeten Anhänger der Schia?« fragte der Perser weiter. »Ja.« »Er ist also wohl nur für diese Rechtgläubigen vorhanden?« »Ja.« »Der Zutritt eines Ungläubigen muß als todeswürdige Entweihung dieses Ortes gelten?« »Ja.« »Und du hast darüber zu wachen, daß er die Bestimmung erfüllt, für welche er errichtet worden ist?« »Ja.« »Und mit aller Strenge dafür zu sorgen, daß jede ungesetzliche oder entwürdigende Benutzung unterbleibt?« »Ja.« Es machte mir außerordentliches Vergnügen, daß das wohlgenährte, runde Gesicht des Khandschi bei jedem ja länger und immer länger wurde. Der Perser aber peinigte ihn noch weiter: - 183 - »Du hast gehört, daß sich jetzt ein Christ innerhalb dieser Mauern befindet?« »Ja.« »So fordern wir dich auf, augenblicklich deine Pflicht zu thun! Die Anwesenheit dieses Menschen ist ein himmelschreiendes Verbrechen gegen Allah, gegen den Propheten, gegen die Gebote des Islam und gegen alle Bekenner desselben, welche sich hier befinden. Wir verlangen die schnellste und schwerste Bestrafung, hier gleich, vor unsern Augen! Hörst du wohl! Wenn du dich, was aber gar nicht möglich ist, weigern solltest, werde ich mich bei unserm Beherrscher der Welt beschweren, der deinen Padischah anhalten wird, dich mit zehnfacher Bastonnade und dem Tode zu bestrafen!« Als der Oberste der Kammerherren jetzt seinen Strafantrag beendet hatte, war das Gesicht des Khanwächters so lang geworden, daß die weitere Verlängerung auch nur um ein Muh-i-Schutur (* Pers.: kleinstes Maß = Breite eines Kamelhaares) eine absolute Unmöglichkeit war. In ganz demselben Maße war auch seine Verlegenheit gewachsen; er wußte weder wo ein noch wo aus, und das erweckte mein Mitleid für den harmlosen, friedfertigen Menschen. Ich ergriff deshalb das Wort, mich an ihn wendend: »Tritt näher zu mir her, Khandschi! Du hast bisher gehört, was andere meinen; nun sollst du auch unsere Ansicht kennen lernen. Aber sei höflich, sonst gehen unsere Gewehre augenblicklich los!« Er hatte solche Angst vor uns, daß er nur wenige Schritte that, meiner Aufforderung zu folgen. »Ist dieser Khan wirklich nur für die Anhänger der Schia da?« fragte ich. - 184 - »Ja,« nickte er. »Für Andersgläubige ist er verboten?« »Ja.« »Bist du Schiit?« »Nein.« »Sind deine Soldaten Schiiten?« »Nein.« »Und doch seid ihr hier? Sogar als Beamte? Auch der Obeïde, welcher uns beschuldigt hat, ist kein Schiit. Ich achte das Gesetz, erwarte aber, daß auch andere es respektieren. Wenn dieser Khan nur für Schiiten vorhanden ist, so haben alle, die das nicht sind, ihn unverweilt und für immer zu verlassen. Packe also deine und deiner Soldaten Habseligkeiten zusammen! Sobald ihr fortgeht und der Obeïde mit, werden auch wir den Khan verlassen.« Es war eine wahre Wonne, das Gesicht zu sehen, welches der arme Teufel machte; die Verlegenheit knickte ihn beinahe zusammen. Ich fuhr fort: »Ich halte es außerdem für notwendig, daß jeder, der sich für einen Schiiten ausgiebt, nachweisen muß, daß er wirklich einer ist. Wer das nicht kann, hat sich auch zu entfernen. Haben die Leute, welche sich so feindlich gegen uns benehmen, dir ihre Legitimationen vorgezeigt?« »Nein.« »So sollst du zunächst die meinigen sehen. Ich verlange aber, daß du ihnen die Ehrfurcht erweisest, welche bei Androhung strengster Bestrafung vorgeschrieben ist!« Ich nahm die Dokumente, heut zum zweitenmal, aus der Tasche, öffnete sie und gab sie ihm. Ob er lesen konnte oder nicht, war mir gleich; er sah die Siegel und rief erschrocken aus: - 185 - »Maschallah! Ein Bujurultu, ein Jol teskeressi und gar ein Ferman, alle mit der eigenhändigen Unterschrift des Großherrn, welcher der Liebling Allahs und des ganzen Himmels ist!« Er legte die Siegel an die Stirn, den Mund und das Herz und verbeugte sich dreimal tief, fast bis auf die Erde herab. Dann gab er mir die Legitimationen zurück. Ich nahm eine vierte hervor und fuhr fort: »Da unsere Gegner sich für Leute aus Farsistan ausgeben, will ich dir beweisen, daß wir auch dort der größten Hochachtung und Höflichkeit versichert sind. Selbst die höchsten Würdenträger müssen uns die Ehren erweisen, welche wir auf Grund dieses Schriftstückes zu beanspruchen haben. Bist du der persischen Sprache mächtig« Bei dieser Frage reichte ich ihm meinen persischen Ferman hin. »Des Lesens nicht,« antwortete er in außerordentlich respektvollem Tone. »So will ich dir sagen, daß dieser Ferman von dem Schah-in-Schah auch eigenhändig unterschrieben und untersiegelt worden ist. Die Inschrift des Siegels lautet: Sobald die Hand Nasr-ed-Dins das Siegel des Reiches ergreift, erfüllt die Stimme der Gerechtigkeit die Welt vom Monde an bis zu den Fischen.< Ich hoffe, du siehst nun ein, daß mein Dasein von der Gewogenheit sowohl des Großherrn, als auch des Schah von Persien erleuchtet wird, und hast dich demgemäß gegen uns zu verhalten. Du bist nicht persischer Unterthan und kannst also über die Drohung lachen, welcher dieser angebliche Pischkhidmät Baschi vorhin ausgesprochen hat; eine Beschwerde von mir aber würde dich nicht nur um deine Stelle, sondern auch noch um viel mehr bringen!« - 186 - Er erwies, obgleich er Türke war, jetzt auch dem persischen Ferman die schon erwähnten Höflichkeiten und gab ihn mir dann mit der sehr devoten Versicherung zurück: »Ich bitte dich demütig, o Liebling des Großherrn, mir in Bagdad und Stambul zu bezeugen, daß ich euch weder mit einer Miene noch mit einer Silbe beleidigt habe, denn gleich der erste Blick auf euch sagte mir, daß euch alle Pforten des Reiches und also auch die Thore dieses Khans geöffnet sind. Betrachte mich als deinen Diener! Ich bin bereit, alle deine Befehle augenblicklich zu erfüllen!« »Das erwarte ich allerdings! Vor allen Dingen verlange ich, daß nun auch diese angeblichen Perser beweisen, daß sie Perser, und zwar Schiiten sind. Wir haben uns legitimiert; nun kommt die Reihe an sie, dies auch zu thun!« »Du hast recht, und ich erwarte, daß sie diesem Verlangen nachzukommen vermögen!« Er drehte sich von mir ab und nach dem Kammerherrn um. Ich hatte diesem mit meinem persischen Ferman imponiert; er sah die vorhin gegen mich gerichtete Waffe jetzt in meinen Händen, und der Ausdruck der Verlegenheit, welcher dabei auf seinem Gesichte erschien, verriet mir, daß er nicht imstande war, den von ihm verlangten Nachweis zu führen. Er versuchte, das unter einem möglichst selbstbewußten Tone zu verbergen, indem er den Khandschi zornig fragte: »Ist es denn möglich, daß du den Mut hast, einen solchen Ausweis im Ernste von mir zu verlangen? Du warst bisher vollständig überzeugt, daß ich der Pischkhidmät Baschi des Schah von Persien wirklich bin, und jetzt forderst du mich infolge der Worte eines vollständig - 187 - Fremden plötzlich auf, dir Beweise vorzuzeigen! Steht dir als Moslem deine Würde so wenig fest, daß sie ein so schwaches Lüftchen aus dem Lande der Ungläubigen umzuwehen vermag?« »Es handelt sich hier nur um meine Würde als Beamter des Großherrn. Sobald ich sein von Allah gesegnetes Siegel erblicke, habe ich meine Pflicht zu erfüllen, ohne nach der Religion und dem Glauben dieses Effendi zu fragen, welcher mir bewiesen hat, daß er unter dem ganz besondern Schutze des Padischah steht. Du hast den Streit mit ihm begonnen, indem du dich als ein Mann gebärdetest, der das Recht besitzt, hier als Gebieter aufzutreten. Dieses Recht gebührt dir selbst als Pischkhidmät Baschi nicht; aber da du dich für ihn ausgiebst, ist es meine Pflicht, den Beweis von dir zu verlangen!« »Meine Untergebenen können es mir bezeugen.« »Was sie sagen, gilt nichts, denn ich kenne sie nicht. Wenn du ein so hoher Herr bist, der in der immerwährenden Gegenwart des Schah-in-Schah wandelt, mußt du doch das Siegel und die Unterschrift desselben in den Händen haben. Da dieser fremde Effendi beides besitzt, darf ich wohl sagen, daß es dir doch viel leichter als ihm sein muß, eine solche Beglaubigung deines Herrschers zu erlangen.« »Ich habe sie nicht von ihm gefordert, weil ich es für vollständig unmöglich hielt, daß irgend ein Mensch an der Wahrheit meiner Worte zweifeln könne. Ich habe zwar Briefe meines Gebieters mit, die muß ich aber an den heiligen Orten abgeben und darf sie keinem andern Menschen zeigen als denen, an die sie gerichtet sind.« »Das ist nicht vorteilhaft für dich. Du hast ja selbst gesagt, daß nur Schiiten hierher gehören und jeder Andersgläubige den Khan zu verlassen habe. Wenn du mir - 188 - nicht beweisen kannst, daß du ein Bekenner der Schia bist, muß ich dich nach deinem eigenen Willen mit deinen Leuten aus dem Thore weisen!« »Welche Schande!« fuhr der Perser auf. »Muß ich mir das wirklich sagen lassen!« »Ja, das mußt du! Du bist ein Fremder, der sich nicht legitimieren kann, und hast mir, dem Kommandanten dieses Ortes, zu gehorchen.« »Und was geschieht, wenn ich dir den Gehorsam verweigere?« »So habe ich einen Bericht abzufassen, den ich fortsende, und werde euch hier behalten, bis die Antwort darauf eingetroffen ist.« »Wir lassen uns aber nicht halten!« »Allah bewahre dich vor schädlichem Ungestüm! Meine Asaker (* Soldaten) fürchten sich nicht vor euch, und dieser wohlbewaffnete Effendi würde mir mit seinem tapfern Scheik der Haddedihn gewiß beistehen. Ihr habt gesehen, wie er schießen kann!« Der Kammerherr sah sich fragend im Kreise seiner Leute um; sie zeigten jetzt ganz andere Gesichter als vorher; der frühere Ausdruck der Zuversichtlichkeit war vollständig verschwunden. Meine Schießprobe und die vorgezeigten Legitimationen hatten die beabsichtigte Wirkung hervorgebracht: der Khandschi war mutig, der Kammerherr aber bedenklich geworden. Meinem kleinen, wackern Hadschi machte das Spaß; er griff mit der Hand nach den Waffen in seinem Gürtel und fragte mich in unternehmendem Tone: »Du bist natürlich einverstanden, Effendi? Wollen wir es diesen Leuten sofort zeigen, wie zwei erfahrene - 189 - Krieger es anfangen, zwölf Gegner in zwei Minuten widerstandsunfähig zu machen?« »Ja, das wollen wir, aber in anderer Weise, als du denkst,« antwortete ich. »Grad weil ich kein Moslem bin, sondern ein Christ, werde ich diesen Zwiespalt, an dem wir unschuldig sind, auf friedliche Weise lösen.« Ich wendete mich an den Khandschi und fügte hinzu: »Würdest du es gelten lassen, wenn jemand, den du kennst, dir die Versicherung gäbe, daß dieser persische Mirza (* Titel jedes gebildeten Persers, wenn das Wort vor den Namen gestzt wird) wirklich der Pischkhidmät Baschi des Schah ist?« »Ja,« antwortete er. »So sag, ob du mich jetzt kennst!« »Dich! Natürlich kenne ich dich! Du hast mir ja die allerhöchsten Schriftstücke vorgezeigt; folglich kenne ich dich so gut, als ob ich, wenn du mir gestattest, von Jugend auf an deiner eigenen Stelle gewesen sei.« »Du würdest also meine Worte gelten lassen?« »Wie meine eigenen!« »Gut, so versichere ich dir, daß dieser Mirza wirklich derjenige ist, für den er sich ausgegeben hat, und bitte dich, ihn hier im Khan verweilen zu lassen, so lange es ihm beliebt!« »Du hast es gesagt, und es soll geschehen, Effendi!« »Maschallah!« rief da Halef aus. »Du vergiltst die Beleidigungen, welche wir anzuhören hatten, mit dieser großen, unverdienten Güte? Wie kannst du mich um die Glückseligkeit bringen, diesen zwölf Personen zu beweisen, daß wir zwei, ich und du, viel mehr als zwölf bedeuten!« Ich antwortete ihm nur mit einem Winke auf die Perser, und da begriff er mich. Die verblüffte Miene, - 190 - welche der Kammerherr jetzt zeigte, bereitete mir mehr Genugthuung, als ich durch die Ausführung der Absicht Halefs gefunden hätte. Er starrte mich förmlich an und stieß, indem er mit dem Kopfe schüttelte, die Worte hervor. »Allah akbar - Gott ist groß! Wie groß aber auch ist mein Erstaunen!« »Worüber?« erkundigte sich Halef lachend. »Daß ein Christ, ein Ungläubiger, der mich heut zum erstenmal sieht, es wagt, mich als den Abglanz des Beherrschers zu bestätigen!« »Wenn du glaubst, daß dies ein Wagnis sei, so irrst du dich. Man sieht dir grad jetzt diesen Abglanz so deutlich an, daß ein Irrtum vollständig ausgeschlossen ist. Dein Gesicht strahlt uns in der ganzen Fülle seiner Weisheit entgegen, und wir sehen ein, daß du viel zu klug und zu erhaben bist, als daß wir dir das sagen dürfen, was wir dir eigentlich mitzuteilen hätten.« »Mitzuteilen? Mir? Was meinst du?« »Daß ihr euch in einer großen Gefahr befindet, von welcher ihr keine Ahnung hättet, wenn du nicht eine so große Leuchte des Scharfsinnes wärest.« Der Perser mußte die in diesen Worten liegende Ironie heraushören; er hielt es aber, da es sich um eine Warnung handelte, für angezeigt, so zu thun, als ob er sie nicht bemerkt habe, und erkundigte sich weiter- »Du sprichst von einer Gefahr. Meinst du, daß sie sich auf mich, auf uns beziehe?« »Natürlich auf euch; ich habe ja soeben gesagt, daß sie euch bedrohe. Wenn sie uns beträfe, würden wir kein Wort darüber verlieren, denn die Gefahr ist die Luft, in der wir leben und das Wasser, an welchem wir uns täglich erquicken. Wir lieben die Gefahr; wir können und mögen ohne sie nicht sein, und je - 191 - größer sie ist, desto lieber haben wir sie. Wir kennen diese eure Gefahr sehr genau, denn wir haben selbst auch schon in ihr gesteckt und ihr dabei gezeigt, daß wir mit ihr spielen, so ungefähr, wie zwei Riesen mit einem Zwerge scherzen.« Es war lächerlich, daß der kleine Kerl sich mit einem Riesen verglich; er nahm eben den Mund wieder einmal recht voll, was mir, als dem Europäer, natürlich mehr auffiel als dem Perser, welcher die Ausdrucksweise des Hadschi für ganz selbstverständlich zu halten schien und seine Nachforschung in gespannter Weise fortsetzte: »Ich wüßte nicht, was für eine Gefahr uns bedrohen könnte. Wir stehen unter dem mächtigen Schutze des Schah-in-Schah und sind überzeugt, daß uns nirgends etwas geschehen kann.« »In Persien mögt ihr von diesem Schutze sprechen, aber nicht hier. Ihr habt ja vorhin gesehen, wie gering seine Macht gegen unsern Willen war. Sag mir doch einmal, ob deine Truppe einen besonderen Namen hat!« »Was sollte sie für einen besonderen Namen haben? Sie ist eine Karwan wie jede andere auch.« »Du irrst. Sie besitzt einen Namen, den man ihr gegeben hat, ohne daß du etwas davon weißt.« »Welchen?« »Man nennt sie die Karwan-i-Pischkhidmät Baschi.« »Diesen Namen wirst du ihr wohl in diesem Augenblicke erst selbst gegeben haben!« »Nein. Wir haben ihn gekannt, längst ehe wir dich sahen. Wir wußten, daß diese Karwan-i-Pischkhidmät Baschi unterwegs sei und erwartet werde, und als wir euch hier trafen, erkannten wir euch sofort. Darum nur konnte mein Effendi gegen den Khandschi behaupten, daß du der Oberst der Kammerherren seist.« - 192 - »Der Sinn deiner Rede ist mir außerordentlich dunkel. Du sagtest, daß unsere Karwan erwartet werde. Ich frage dich, wo und von wem? Wir haben uns in tiefster Verborgenheit zur Reise gerüstet und sind so heimlich aufgebrochen, daß niemand etwas von uns wissen kann.« »Allah hat erlaubt, daß Menschen vorhanden sind, welche schärfere Augen und Ohren besitzen, als du zu haben scheinst. Eure Vorbereitungen sind beobachtet worden; man weiß, daß ihr kostbare Waren geladen habt, um sie nach den heiligen Stätten zu bringen. An euerm Wege warten Räuber, denen eure Ankunft bereits gemeldet worden ist. Ihr sollt überfallen werden und wenn ihr nicht auf unsere Warnung hört, so ist es nicht nur um das Eigentum des Schah-in-Schah, sondern wahrscheinlich auch um euer Leben geschehen.« Ich hatte den Hadschi nicht unterbrochen; er fühlte sich als den Herrn der Situation, und diesen für ihn so großen Genuß wollte ich ihm nicht verkümmern. Dabei nahm ich als ganz selbstverständlich an, daß er für seine wohlwollende Absicht Dank und Anerkennung ernten werde. Zu meinem Erstaunen mußte ich aber einsehen, daß ich mich da einer Täuschung hingegeben hatte. Als er jetzt schwieg, sah der Kammerherr bald ihn, bald mich forschend an, brach in ein kurzes, höhnisches Gelächter aus und sagte dann: »Abarak Allah! Gott sei gesegnet, daß er so liebe, gute Menschen wie euch geschaffen hat! Ich bin im höchsten Grade erstaunt darüber, daß es so herrliche, so unvergleichliche Leute giebt! Wir haben euch ganz anders, nur nicht wie Freunde behandelt, und als Antwort darauf seid ihr auf unser Glück, auf unser Heil bedacht! Es trieft Segen von euern Zungen und Wohlthat von euern - 193 - Lippen. Das ist nur darum möglich, weil einer von euch ein Christ ist, dessen Lehre ihm ja, wie ich gehört habe, gebietet, allen seinen Feinden Gutes zu erweisen. Diese unmännliche Lehre habe ich aber stets verachtet, und ebenso verachte ich jeden, der sich zu ihr bekennt. Ihr habt also zu wählen zwischen meiner Verachtung oder meinem Gelächter, und ich bin überzeugt, daß dieses letztere auf euch passen wird. Denn lächerlich ist es im höchsten Grade, mir zuzumuten, das zu glauben, was jetzt gesagt wurde.« »So zweifelst du an dem, was ich von den Absichten dieser Räuber gesagt habe?« fragte Halef in zornigem Tone. »Daran nicht, ganz und gar nicht; aber die Personen der Räuber sind wahrscheinlich ganz andere, als du uns glauben machen willst. Du hast von einer wertvollen Ladung gesprochen, nur um zu erfahren, was wir geladen haben. Das übrige brauche ich nicht zu sagen; du kannst es dir denken!« »Verstehe ich dich richtig Willst du etwa sagen, daß wir -« Sein Zorn war so groß, daß er den Satz nicht ganz aussprechen konnte, aber mit der Rechten nach der Peitsche griff, um die unterbrochene Rede in dieser Weise zu vollenden. Ich faßte seinen Arm, hielt ihn fest und sagte: »Keine Unüberlegtheit, Halef! Was dieser Mann denkt und spricht, kann uns höchst gleichgültig sein. Mag er später zu seinem Schaden erkennen, daß er jetzt und hier die größte Unklugheit seines Lebens begangen hat. Wir sind mit ihm fertig. Komm!« »Ja, reiten wir fort, Sihdi,« stimmte er mir bei. »Er wird es bitter bereuen, daß er heut wie auch - 194 - in seinem ganzen Leben nicht gescheiter als sein Vater, Großvater, und Vorahne gewesen ist, welche die unverzeihliche Dummheit begangen haben, sich von dem Fatum der Schiiten einen solchen Sohn, Enkel und Urenkel aufhängen zu lassen. Allah gebe, daß alle Nähte seines Leibes und seiner Seele aufplatzen, wie bei einem alten, zerrissenen Alduwan!« (* Handschuh) Ich mußte über diesen drastischen Wunsch laut lachen; der Perser getraute sich nur, die beiden Fäuste gegen uns zu schütteln und uns im höchsten, aber ohnmächtigen Zorne zuzurufen: »Ja, macht im Namen aller Teufel, daß ihr fortkommt, und laßt euch ja nicht wieder vor uns sehen! Ich habe heut abermals einen Christen kennen gelernt, und er ist nicht anders und nicht besser als so viele, die ich schon vor ihm gesehen habe. Es ist wahr, was das alte, persische Sprichwort sagt: Wer einem Isävi (* Christ) begegnet, der stoße ihn mit dem Fuße von sich, sonst hat er die Folgen in diesem und in jenem Leben zu tragen!« Ich saß schon auf dem Pferde und hatte mich einige Schritte weit entfernt. Als ich diese Worte hörte, lenkte ich wieder um, ritt zu ihm zurück und antwortete. »Ich könnte dir jetzt die Faust in das Gesicht schlagen, ohne daß du den Mut hättest, dich zu wehren; aber ich werde es nicht thun, eben weil ich ein Isävi bin. Ich fordere dich nur auf, nicht zu vergessen, was du jetzt gesagt hast. Wir sollen uns nicht wieder vor euch sehen lassen? Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß wir uns vor euch fürchten? Das würde nach dem, was hier geschehen ist, der reine Wahnsinn sein. Und ich sage dir, daß ihr herzlich froh sein und Allah danken werdet, - 195 - sobald ihr uns wieder erblickt. Ich weiß schon jetzt genau, daß wir uns sehr bald wieder begegnen werden, und dann werdet ihr euch hüten, uns mit den Füßen von euch zu stoßen, sondern uns von ganzem Herzen und aus voller Seele willkommen heißen. Merke dir diese Vorhersagung; ich werde dich an sie erinnern!« Jetzt ritten wir fort, ohne auf das zu achten, was uns noch nachgerufen wurde. Der Khandschi war mit seinen Asaker (* Asaker ist Plural; ein einzelner Soldat heißt Askari) an das Thor gegangen; ich gab ihm und ihnen das erwartete Bakschisch, worauf sie sich tief verneigten und uns Glück auf unserm weitern Wege wünschten. Der Sicherheit wegen und um die Perser zu täuschen, damit sie erwarteten Falles die von uns beabsichtigte Richtung dem Säfir nicht verraten könnten, folgten wir dem nach Khan Nasrijeh führenden Wege so weit, bis man uns nicht mehr sehen konnte, und wendeten uns dann nach links, um auf geradem Wege durch das wüste Feld den Euphrat zu erreichen. Halef dachte, wie das so seine Gewohnheit war, zunächst still über unsere letzte Begegnung nach; dann, als er sich alles zurechtgelegt hatte, erkundigte er sich: »Du hast diesem allerdümmsten der persischen Kammerherren gesagt, daß er uns sehr bald wiedersehen werde. War dies nur eine Redensart, oder denkst du wirklich, daß wir wieder mit ihm zusammentreffen werden?« »Ich denke es nicht nur, sondern ich bin sogar überzeugt davon.« »Weißt du schon auch den Ort dieses baldigen Wiedersehens?« - 196 - »Nein, denn ich weiß ja nicht, wo der Säfir sich über die Karwan hermachen wird. Auf dem Wege von dem Khan, den wir ebenfalls verlassen haben, bis nach Hilleh kann dies unmöglich geschehen, in der Nähe der heiligen Stätten auch nicht, also höchst wahrscheinlich kurz hinter Hilleh, und da eignet sich kein Ort besser dazu, als das Ruinenfeld von Babylon. Wenn ich mich in alles hineindenke, ist es mir nicht schwer, zu erraten, wie das Ereignis vor sich gehen wird.« »Du weißt, daß mein Verstand nur lange und schwere Arbeiten gewöhnt ist; mit kürzeren Dingen, wie zum Beispiel das Erraten ist, giebt er sich grundsätzlich niemals ab. Darum bitte ich dich, die Kostbarkeit der Zeit in Betracht zu ziehen und mir gleich zu sagen, was deine Vernunft, welche kürzer als die meinige ist, sich ausgesonnen hat!« »Es scheint, daß meine Vernunft trotz ihrer Kürze mehr wert ist, als deine so lang ausgestreckte, lieber Halef!« »Irre dich nicht, Sihdi! Ich mag dir doch nicht zutrauen, der ganz verkehrten Ansicht zu sein, daß eine lang ausgedehnte Klugheit durch diese Ausreckung dünner wird!« »Diese Frage wollen wir, obgleich sie höchst wichtig ist, doch lieber unerörtert lassen. Du weißt, daß der Säfir sich in Hilleh befindet. Der Pädär-i-Baharat, dem wir begegnet sind, wird ihn dort treffen und ihm mitteilen, daß das Eintreffen der Karwan-i-Pischkhidmät Baschi in kurzer Zeit zu erwarten ist. Der Säfir, von dem ich vermute, daß die Perser ihn nicht persönlich kennen, wird ein ganz zufällig erscheinendes Zusammentreffen mit dem Kammerherrn herbeiführen und sich bemühen, sein Vertrauen zu erwerben. Ich bezweifle nicht, daß ihm dies - 197 - gelingen wird, und dann hat er die Karwan in den Händen. Er wird sie verleiten, denjenigen Weg einzuschlagen, welcher seinen Absichten entsprechend ist ---« »Sihdi,« fiel da Halef ein, »Jetzt ist deine Kürze mit meiner Länge zusammengetroffen; ich verstehe dich! Der Säfir wird sich sogar an die Spitze der Karwan stellen, um sie in das Verderben zu führen.« »Nein, das wird er wohl nicht.« »Warum nicht?« »Er ist wahrscheinlich zu klug dazu.« »So hältst du diese meine Ansicht also nicht für eine vortreffliche?« »Allerdings nicht, trotz der ungeheuren Länge deiner Vernunft. Es muß doch später unbedingt herauskommen, daß die Karwan verunglückt ist. Hätte er sich ihr beigesellt, so würde man ihn zur Verantwortung ziehen, und das hat er zu vermeiden.« »Höre, Sihdi, die Kürze deines Verstandes ist wirklich nicht ganz übel! Sie hat auch ihre Vorteile, und ich bin, wie du siehst, gerecht genug, dich hiervon zu benachrichtigen.« »Ich danke dir, und hoffe, daß diese deine Gerechtigkeit sich auch fernerhin bewähren werde! Also ich vermute, daß der Überfall an irgend einer Stelle des Trümmerfeldes vor sich gehen wird, und ich bin der Ansicht, daß diese Stelle nicht weit von derjenigen liegt, wo wir die Schmuggler belauscht haben.« »Warum dort?« »Weil sich in der Nähe das Versteck befindet, in welches man die Beute höchst wahrscheinlich schaffen wird. Gleichgültig ist es uns natürlich, durch welche Vorspiegelungen man die Karwan dorthin lockt; Hauptsache ist, daß wir denselben Platz zum heutigen Ziele haben. - 198 - Wir werden, wie ich hoffe, noch vor der Karwan dort ankommen und ihr, vorausgesetzt, daß wir sie finden, gegen den Säfir Beistand leisten.« »Ja, das werden wir, Effendi, das werden wir!« stimmte er begeistert bei. »Das müssen wir ja schon um des Sandschaki willen.« »Allerdings!« »Wir bringen ihm den Säfir als überwiesenen und während der That ertappten Räuber. Da muß er einsehen, wie falsch er uns behandelt hat, und uns um Verzeihung bitten. Wie freue ich mich darauf! Das wird ein Sieg sein, auf den wir stolz sein können. Meinst du nicht auch, Sihdi?« »Wir wollen vom Stolz jetzt noch nichts sagen. Unsere Absicht ist gut, aber zwischen ihr und der Ausführung liegt eine weite Strecke.« »Sogar der Euphrat liegt dazwischen! Nicht?« »Ja.« »Wenn wir nach den Ruinen wollen, müssen wir an das rechte Ufer hinüber; nach Hilleh, wo die Brücke ist, können wir nicht zurück; wie kommen wir auf die andere Seite?« »Hoffentlich finden wir Schilf oder überhaupt Material, uns ein Floß zusammenzustellen; ist dies nicht der Fall, so müssen wir schwimmen.« »Weißt du, wie breit der Fluß in dieser Gegend ist?« »Gewiß über dreihundert Amtahr (* Meter).« »Das ist viel, sehr viel!« »Du bist doch ein guter Schwimmer!« »Oh, was das betrifft, so ist es mir gar nicht bange, hinüberzukommen; aber bei so einer Strecke ist es gar - 199 - nicht zu umgehen, daß alles naß wird, was trocken bleiben soll.« »Es giebt Mittel, dies zu%vermeid`n. Wollen jetzt schneller reiten, damit wir am Flusse Zeit gewinnen, ein Floß zu bauen, falls wir finden, was wir dazu brauchen.« »Es wäre wohl am besten, wenn zufällig ein Floß oder Boot gefahren käme, dessen Besitzer uns hinüberschaffte.« »Auf so eine Gelegenheit magst du nur verzichten. Wir müssen vermeiden, gesehen zu werden, denn jeder uns begegnende Mensch kann ein Verbündeter des Säfir sein und ihn davon benachrichtigen, daß wir nicht nach Bagdad geritten sind. Du hast ja gehört, daß sein Versteck zwei Stunden oberhalb Hilleh liegt. Das müssen wir wohl in Erwägung ziehen, weil zu bedenken ist, daß die Mitglieder seiner Bande nicht immer dort stecken, sondern sich auch an den Ufern oder auf dem Flusse hin und her bewegen werden. Sobald man uns bemerkt, ist Zehn gegen Eins zu wetten, daß unser Plan mißglückt.« Der Ritt bis zum Euphrat bot nichts Bemerkenswertes. Das Terrain war eine von keiner Erhöhung, aber desto häufiger von tiefen Rinnen unterbrochene Ebene. Als wir an dem frohen Schnauben unserer Pferde bemerkten, daß wir in der Nähe des Wassers angekommen waren, stiegen wir ab und legten den Rest des Weges, um nicht so leicht gesehen zu werden, gehend zurück. Dann mußte Halef mit den Pferden in eine der erwähnten Rinnen steigen, während ich mich dem Ufer vorsichtig näherte, um nachzusehen, ob wir unbemerkt an das Wasser könnten. Es war kein Mensch zu sehen; die Sonne stand schon sehr tief, und ihre in spitzem Winkel auf den - 200 - Strom fallenden Strahlen wurden mir in die Augen gebrochen, daß mich diese schmerzten. Froh überrascht wurde ich von einer Menge Tarfa-Sträucher, welche dicht am Wasser standen und uns erlaubten, wenn nicht uns selbst, so doch diejenigen Gegenstände, welche nicht naß werden durften, trocken hinüberzubringen. Ich holte Halef, und als wir die Pferde versorgt hatten, begannen wir, Zweige zu schneiden und in Bündel zu vereinigen. Leider wuchs die Tarfa (* Tamariske) hier nur schwach, nicht einmal fingerstark. Von einem Floße, welches uns zu tragen vermochte, war keine Rede. Die Sonne ging unter, und es wurde Abend, ehe wir den leichten, zu einem schwimmenden Haufen vereinigten Bündeln die betreffenden Sachen anvertrauen konnten. Es war Halefs Aufgabe, dieses Floß zu dirigieren, indem er es im Schwimmen vor sich herzustoßen hatte; mir fiel die Führung der Pferde zu. Ich knüpfte Schlingen an die lang entschnallten Zügel und schob je einen Arm in eine dieser Schlingen. In dieser Weise die Hengste führend, stieg ich in das Wasser; sie folgten mir sofort und willig. Das edle Pferd der Dschesireh ist nicht wasserscheu. In anderer Beziehung konnte es uns nicht so lieb sein, daß es Abend geworden war, aber in Hinsicht auf unsere Sicherheit hätte die Helle des Tages uns leicht gefährlich werden können. Die Kühle des Flusses that uns und den Pferden wohl; wir schwammen mit Bequemlichkeit, und als wir das jenseitige Ufer erreicht hatten, fühlten wir uns so wenig angestrengt, daß Halef sagte: »Das war keine Arbeit, sondern ein Bad, Sihdi; ich bin wie neugeboren.« »Hoffentlich ist es für die dir anvertrauten Sachen nicht auch ein Bad gewesen!« - 201 - »O nein! Ich habe sie mit meinen Augen behütet, wie ein Kamel sein Füllen bewacht. Wir nehmen alles wieder an uns, und lassen dann dieses Floß schwimmen, wohin es schwimmen will.« »Nein, sondern wir werden es an das Ufer befestigen.« »Warum?« »Weil es uns möglicherweise verraten kann.« »Verraten? Nimm mir meine Worte nicht übel, Sihdi, aber du treibst die Vorsicht viel zu weit! Selbst wenn dieser Tarfahaufen zufällig von den Leuten des Säfir entdeckt würde, kämen sie gewiß nicht auf den Gedanken, daß wir es sind, die ihn benutzt haben.« »Gedanken sind unberechenbar. Millionen Menschen haben schon Unmöglichkeiten gedacht, und hier haben wir es mit etwas sehr Möglichem zu thun. In unserer Lage können wir nicht zu vorsichtig sein. Oder hast du vergessen, welche Mahnung ich im Namen deiner Hanneh vorkommendenfalls an dich richten soll?« »Die Wünsche meiner Hanneh, welche die Rose unter allen Blüten und Blumen des Erdreiches ist, sind mir stets allgegenwärtig; darauf kannst du dich verlassen. ja, ich bin sogar überzeugt, daß du nicht so oft an deine Dschanneh denkst, wie ich mich der holden Gebieterin meines Frauenzeltes erinnere. Aber sag selbst, was aus unsern hoffentlichen und berühmten Erlebnissen werden soll, wenn du mit deiner übertriebenen Vorsicht alle Begebenheiten zurückscheuchst, welche sich uns nähern wollen! Habe doch einmal die Güte, in die Jahrhunderte und Jahrtausende der Weltgeschichte zurückzuschauen! Wie viele berühmte Sultane, Kaiser, Könige, Kalifen, Scheiks und Helden hat es gegeben! Sie sind gar nicht zu zählen! Aber wenn diese Männer alle so vorsichtig gewesen - 202 - wären, wie du bist, so hätten wir keine Weltgeschichte, denn da wäre überhaupt gar nichts geschehen, und wo jetzt überall die Berühmtheiten strahlen, würde es so finster sein wie im Magen einer Ziege oder in einem Stiefel, den man am Fuße trägt.« »Wenn er nicht zerrissen ist!« warf ich ein. »Ich bitte dich, zu schweigen, Effendi! Wenn ich Beispiele anführe, um etwas zu beweisen, so sind sie tadellos; also ist auch dieser Stiefel kein zerrissener, sondern einer, den selbst ich anzuziehen mich nicht schämen würde!« »So ziehe ihn schnell an, denn wir müssen weiter! Wir sind nicht über den Euphrat geschwommen, um uns hier über Fußbekleidungen und Ziegenmagen zu unterhalten. Wir müssen uns vielmehr beeilen, an den Birs Nimrud zu kommen.« »Denkst du nicht, daß wir vorher das hiesige Versteck des Säfir aufsuchen sollten?« »Ich würde dies allerdings vorschlagen, wenn der Ort uns etwas näher bekannt wäre. Da wir aber das Ufer erst mühsam nach ihm absuchen müßten, würden wir zu viel Zeit verlieren. Wenn sich die Notwendigkeit ergeben sollte, das Versteck zu entdecken, werden wir später nach ihm suchen. jetzt wollen wir fort von hier.« Wir hatten während dieser halblauten Wechselrede die Pferde wieder gesattelt und alles auf dem Floße Befindliche an uns genommen. Nun stiegen wir auf und ritten in südlicher Richtung fort. Wir durften uns während dieses Rittes nicht so nahe am Ufer halten, daß der Hufschlag unserer Pferde von dort aus gehört werden konnte; darum bogen wir weiter, als sonst wohl nötig gewesen wäre, nach rechts hinaus; ob mehr oder - 203 - weniger, das wußten wir nicht, weil es noch dunkel war und wir die Krümmungen des Euphrat nicht kannten. Als wir eine Weile geritten waren, bemerkten wir zu unserer Linken einen zwar nur leisen, aber doch bemerkbaren Schein, welcher nur mit einem Feuer in Verbindung gebracht werden konnte. Wir blieben halten, und Halef sagte: »Sihdi, ich vermute, daß dort das Versteck liegt. Das Ufer, an welchem das Feuer brennt, liegt tiefer als die Ebene; darum sieht man nur den Schein und nicht das Feuer selbst. Meinst du, daß ich recht habe?« »Es ist möglich, daß du das Richtige getroffen hast,« antwortete ich. »Wollen wir hin, um zu erfahren, wer sich dort befindet?« »Wir? Wenn nachgesehen werden soll, genügt es, daß einer von uns hingeht.« »Ich oder du?« »Natürlich ich!« »Allah! Warum willst nur immer du es sein, auf welchen der Ruhm der Entdeckungen fallen soll! Ich kenne dich zu genau, als daß ich annehmen könnte, daß es Mißgunst von dir sei. Du wirst dich wahrscheinlich wieder in den bekannten Sattel setzen, um mir deine heißgeliebte Vorsicht vorzureiten?« »Das thue ich allerdings.« »Und weißt doch, wie tief es mich betrübt! Es mag ja sein, daß ich früher, in der Zeit, als du mich kennen lerntest, ein wenig ungestüm und vielleicht auch unbedächtig gewesen bin; daran war meine Jugend schuld. Das ist nun vorüber. jetzt bin ich Besitzer eines Harems mit der besten Frau des Erdenlebens und habe sogar einen Sohn, der sich nach den Regeln meiner Weisheit - 204 - und Erziehung richtet. Wenn du mich trotzdem noch für unbedachtsam hältst, so ist das eine Beleidigung, auf welche ich jedem außer dir mit meiner Peitsche antworten würde.« »Höre, lieber Halef, diese deine Verteidigung spricht nicht für, sondern gegen dich!« »Wieso?« »Daß du auch jetzt die Peitsche erwähnst, wo doch außer uns beiden kein Mensch zugegen ist, bildet einen unumstößlichen Beweis, daß du dich auch jetzt noch nicht beherrschen kannst. Wie ist es mir da möglich, dir Aufgaben anzuvertrauen, zu deren Lösung unerschütterliche Ruhe, kaltes Blut und eine Umsicht gehören, die sich auch von der geringsten Aufwallung nicht beeinflussen läßt?« »Ja, wenn man dich so reden hört, so klingt das allerdings genau so, als ob du das allergrößeste Recht besäßest, in dieser Weise von mir zu sprechen. Aber überzeuge dich doch einmal durch die That!« »Das habe ich schon oft versucht.« »Wie, wo und wann?« »Du kannst noch fragen?« »Ja.« »Fordere ja keine Beispiele von mir; sie würden dich doch nur kränken! Wenn ich dir erlaubte, jetzt allein da hinüberzugehen, würdest du uns wahrscheinlich verraten oder gar festgenommen werden.« Das liebe, kleine Kerlchen fühlte sich durch diese Behauptung so schmerzlich berührt, daß er fast weinend bat: »Sihdi, du versenkst meine Seele in die tiefste Tiefe der Traurigkeit. Ich will dir nichts vorwerfen und auch nicht aufzählen, wie oft ich für dich gestritten und gelitten habe; ich will auch nicht erwähnen, daß ich noch jetzt bereit bin, mein Leben und alles, was ich besitze, hinzu- - 205 - geben [hinzugeben]; wie kannst du mich da in dieser Weise betrüben! Willst du die Schuld der Undankbarkeit auf dich laden? Sie ist ein Schmutz, den man durch alles Waschen niemals von sich entfernen kann!« »Lieber Halef, ich sehe mich gezwungen, jetzt genau so zu sagen, wie du vorhin gesprochen hast: Wenn man dich so hört, klingt das grad so, als ob du das allergrößeste Recht besäßest, in dieser Weise mit mir zu sprechen!« »Das ist auch richtig, Effendi, sehr richtig!« »Nein!« »Ich bitte dich, nicht mit mir darüber zu streiten, sondern mir dein Vertrauen zu schenken! Ich fordere und verlange als Beweis deiner Freundschaft, daß du mich gehen lässest, um nachzuschauen, was für Leute dort das Feuer, welches wir sehen, angezündet haben!« Was konnte ich einer solchen Dringlichkeit gegenüber thun? Ich fühlte die Verpflichtung, ihm seine Bitte abzuschlagen, denn ich kannte ihn zu gut, als daß ich ihn ohne Sorgen hätte gehen lassen können; aber ich brachte es nicht über das Herz, ihm das Leid anzuthun, seinen Wunsch unerfüllt zu lassen. Er benutzte mein unentschlossenes Zaudern, noch einen stärkeren Trumpf auszuspielen: »Ich sage dir, Sihdi, daß ich es als eine Beleidigung auffassen muß, wenn du mich jetzt abermals wie so oft wie einen Knaben behandelst, der zu nichts zu gebrauchen ist! Soll ich, der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar, dein allezeit bereiter und treuer Freund und Beschützer, stets nur so hinter dir herlaufen, wie ein Hund hinter seinem Herrn herläuft?« »Nein.« »Du behandelst mich ganz genau so, als ob dies deine Absicht sei!« - 206 - »Bedenke, was dazu gehört, eine Anzahl schlauer Feinde zu belauschen und zu beobachten!« »Denkst du, daß ich das nicht kann?« »Ja, das denke ich.« »So beleidigst du dich selbst, denn du bist im Anschleichen mein Lehrmeister gewesen, und wenn ich nichts gelernt habe, obgleich ich doch sonst kein unanstelliger Mann bin, so kann die Schuld doch nur allein an dir liegen!« »Ich danke dir, lieber Halef!« lachte ich. »Lache nicht; ich meine es ernst! Übrigens will ich auf das Belauschen und Beobachten gern verzichten. Ich will nur erfahren, wer die Leute sind. Ich gehe hin, schleiche mich an sie heran, bis ich sie sehen kann, und komme sofort wieder. Das ist doch so leicht, daß ich mich fast schäme, es thun zu wollen, und wenn du auch jetzt noch auf deiner Weigerung beharrst, weiß ich wirklich nicht, was ich von dir denken soll!« »Gut, ich werde dich also mitnehmen!« »Mitnehmen?« fuhr er auf. »Davon ist keine Rede gewesen. Du hast gesagt, es genüge, daß nur einer von uns gehe, und nun sprichst du plötzlich vom Mitnehmen! Nein, ich will meiner Hanneh, der unvergleichlichsten Frau unter den Weibern des Erdreiches, erzählen dürfen, daß ich auch einmal etwas ganz allein ausgeführt habe. Darf ich gehen oder nicht, und zwar allein?« »Du zwingst mich, ja zu sagen, und so mag das Wagnis denn unternommen sein!« »Es ist kein Wagnis!« »Doch! Grad der Umstand, daß du es für kein Wagnis hältst, sollte mich bestimmen, dir die Erlaubnis zu versagen. Du sollst aber dennoch gehen, nachdem wir unsere Vorbereitungen getroffen haben.« - 207 - »Vorbereitungen?« fragte er verwundert. »Ja.« »Warum, wozu?« »Um Unvorsichtigkeiten und Irrtümern zu begegnen. Du nimmst nur dein Messer mit und lässest die andern Waffen und auch die Peitsche hier, welche leicht größeres Unheil anzurichten vermag als Pulver und Blei.« »Sihdi, was thust du mir an!« »Nichts, gar nichts.« »Doch, viel, sehr viel! Wenn ich in die Lage komme, mich wehren zu müssen, so brauche ich doch Waffen!« »Du sollst eben vermeiden, in diese Lage zu kommen. Du hast gesagt, daß du nur hingehen und dann gleich wieder zurückkehren willst; dazu brauchst du keine Schußwaffen und auch keine Peitsche. Um aber in einem unvorhergesehenen und außerordentlich dringlichen Fall zur Abwehr geschickt zu sein, darfst du dein Messer mitnehmen; das ist genug.« »Genug! Wenn vielleicht zwanzig oder dreißig Kerle auf mich einspringen!« lamentierte er. »Das darf nicht geschehen!« »Wenn es aber doch geschieht?« »Gut! Ich sehe ein, daß ich dich nicht gehen lassen darf, da du schon jetzt, ehe du noch einen Schritt gethan hast, von zwanzig oder dreißig Personen sprichst, mit denen du dich herumbalgen willst!« »Halt! Sei still! Ich füge mich! Ich lasse sogar mein Messer hier, wenn du dies von mir verlangst!« »Du magst es behalten. Und sodann wollen wir uns nach einem Orte für unsere Pferde umsehen.« »Warum?« »Damit sie niemand findet, wenn nach uns gesucht wird.« - 208 - »Du bleibst doch hier bei ihnen!« »So sollte es eigentlich sein; aber es liegt die Ahnung in mir, daß ich sie verlassen muß, um mich nach dir um zuschauen.« »Diese Ahnung trügt dich, Sihdi!« »Wollen es hoffen! Ich bin aber vorsichtig, obgleich du mir diese Eigenschaft zum Vorwurfe machst, und bedenke jeden möglichen Fall. Wenn dir etwas Unerwartetes geschieht, was dich verhindert, zurückzukehren, muß ich mich um dich bekümmern ---« »Das hast du nicht nötig!« fiel er ein. »Warte es ab! Und wenn ich in diesem Falle die Pferde verlassen muß, müssen sie sich an einem Orte befinden, wo sie wenigstens nicht schon von weitem zu entdecken sind.« »Ich will nicht mit dir streiten, denn ich sehe ein, daß es doch nutzlos sein würde. Was du einmal willst, das thust du auch!« »Leider nicht! Ich wollte dich nicht fortlassen, und nun gehst du doch!« »Darüber freue ich mich! Aber wie sollen wir bei dieser Dunkelheit nach einem Orte suchen, an welchem wir sie verstecken können?« »Ich weiß schon einen.« »Wo?« »Die letzte, tiefe Rinne, über welche wir quer geritten sind. Wenn sie sich da unten befinden, können sie selbst am Tage nur dann entdeckt werden, wenn ein ungünstiger Zufall jemand in die Nähe führt. Dorthin kehren wir zurück. Komm!« Wir lenkten um und hatten ungefähr fünf Minuten zu reiten, bis wir die betreffende Vertiefung erreichten. Der Schein der Sterne hatte sie uns vorhin deutlich ge- - 209 - zeigt [gezeigt], und er war uns auch behilflich, jetzt wieder bequem hinabzukommen. Als Halef alles, was er nicht mitnehmen Sollte, da niedergelegt hatte, stiegen wir wieder hinauf. Der Schein des Feuers war auch von hier aus zu erkennen, aber nur, weil wir schon von ihm wußten. »Du wirst vielleicht eine halbe Stunde brauchen, um hinzukommen,« sagte ich; »auf dem Rückweg kannst du schneller sein. Ich rechne also anderthalb Stunden, aber allerhöchstens! Hörst du es? Wir müssen noch vor der Ankunft der Perser bei den Ruinen sein, und so ist diese Zeit eine wahre Ewigkeit. Mehr kann ich dir nicht geben.« »Ich brauche nicht so viel.« »Doch! Du mußt beim Anschleichen vorsichtig sein; das erfordert Zeit. Und eine Weile mußt du doch dort bleiben, wenn ich dir auch geradezu verbiete, so weit an die Leute heranzugehen, daß du sie belauschen kannst. Das ist für dich allein zu gefährlich.« »Warum für mich? Ich bin überzeugt, daß ich es ebensogut mache wie du.« »Höre, veranlasse mich nicht noch im letzten Augenblicke, dich zurückzuhalten! Du kennst meine Bedenken und zeigst mir dennoch ein Selbstvertrauen, welches mich wieder wankend macht!« »O, Sihdi, wie ist es doch so schwer, mit dir zu verkehren! Was wirst du noch alles von mir verlangen!« »Gar nicht viel. Versprichst du mir, so vorsichtig zu sein, wie ich es wünsche?« »Ja.« »Nur so weit an die Leute heranzugehen, daß du sie zählen kannst?« »Ja.« »Sie nicht etwa zu belauschen?« - 210 - »Ja.« »Dann sofort zurückzukommen?« »Ja.« »Dich auf keinen Kampf und Streit einzulassen, sondern sofort zu fliehen, falls man dich bemerken sollte?« »Ja.« »Wirst du diese Stelle hier schnell wiederfinden?« »Effendi, ich habe bereits gesagt, daß ich kein Knabe bin! Hoffentlich kann ich nun gehen?« »Das kannst du. Vorher aber will ich dir noch kurz folgendes sagen: Du hast mich förmlich gezwungen, dir diese Kundschaft anzuvertrauen; ich thue es ungern, weil mir nichts Gutes ahnt und wir grad jetzt eine höchst wichtige Angelegenheit auszuführen haben. Wenn du dich nicht in acht nimmst und durch deine Schuld in eine üble Lage gerätst, welche die Ausführung deiner Absichten verzögert oder gar unmöglich macht, so hast du dich für immer um mein Vertrauen gebracht und ich übertrage dir niemals wieder eine Aufgabe, wie die gegenwärtige ist!« »Sihdi, was mußt du von mir denken, daß du in dieser Weise zu mir sprechen kannst! Wenn das Hanneh gehört hätte, die Perle aller Kostbarkeiten der Erde und des Meeres, so müßte sie mich für einen Taugenichts halten, obwohl sie überzeugt ist, daß ich nicht weniger leiste, als jeder Mensch und Held zu leisten vermag. Ich entferne mich jetzt und kehre sicher glücklich wieder. Allah sei mit dir!« »Ich wünsche, daß er lieber mit dir gehe!« antwortete ich; dann hörte ich seine Schritte schon nicht mehr. Es giebt Dummheiten, welche der Mensch erst später und auch solche, die er sofort einsieht. Zu der letzteren Art gehörte diejenige, welche ich jetzt begangen hatte. - 211 - Kaum war Halef verschwunden, so hätte ich ihn zurückholen mögen, und es wäre gut für ihn und mich gewesen, wenn ich dies gethan hätte. Aber ich hatte ihn zu lieb, als daß ich ihm diese Kränkung hätte anthun mögen, welche um so größer gewesen wäre, als er den Kundschafterweg schon angetreten hatte. Ich stieg wieder in die Vertiefung hinab und setzte mich bei den Pferden nieder. Hat man etwas gethan, was man lieber hätte unterlassen sollen, so giebt das ein Gefühl des Unbehagens, welches nicht nur die Seele belastet, sondern auch den Körper ergreift; so wenigstens ist es bei mir. Indem ich jetzt so still auf dem Grunde der Rinne saß, war es mir, als ob ich etwas Schädliches gegessen hätte. Ich kenne Leute, welche behaupten, daß die Seele des Menschen den Körper beim Tode in der Gegend des Plexus solaris verlasse und daß dieser Plexus überhaupt in inniger Beziehung zu dem Seelenleben stehe. Ich habe weder Gelegenheit noch Zeit gefunden, mich mit irgend jemandem eines Plexus wegen herumzustreiten; aber das muß ich als ehrlicher Mann zugeben, daß ich jenes unangenehme Gefühl, welches die Folge jeder begangenen Unklugheit ist, stets an derjenigen Körperstelle empfinde, welche der Sitz meines Plexus solaris ist. Er gab mir auch jetzt seine Unzufriedenheit kund, und es war mir leider nicht möglich, ihm zu beweisen, daß er unrecht habe. Ich war, mit einem Worte, mit mir selbst höchst unzufrieden. Ich saß eine viertel, eine halbe, eine ganze Stunde. Dann stieg ich wieder hinauf und setzte mich oben nieder. Das Feuer brannte noch, denn ich erkannte den Schein. Wäre Halef entdeckt worden, so hätte man es wahrscheinlich ausgelöscht. Dieser Gedanke beruhigte mich. Aber es verging wieder eine halbe Stunde und dann noch - 212 - eine viertel Stunde, ohne daß er zurückkehrte. Hatte er etwa seine Beobachtungen glücklich gemacht und dann aber die Stelle, an welcher ich ihn erwartete, nicht wiedergefunden? Ich wußte doch, daß er einen ganz guten Ortssinn besaß! Als abermals eine halbe Stunde verstrichen war, wurde mir bange um ihn, und ich hielt es für meine Pflicht, mich nach ihm umzusehen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als nach dem Feuer zu gehen. Ihn anderswo zu suchen, oder gar nach ihm zu rufen, wäre eine Fortsetzung des bereits begangenen Fehlers gewesen. Freilich mußte die Vorsicht, mit welcher ich nun zu verfahren hatte, wo möglich eine noch größere sein, als diejenige, die ich ihm angeraten hatte, denn wenn er entdeckt oder gar ergriffen worden war, und zwar wahrscheinlicherweise von den Leuten des Säfir, unter denen es welche gab, die ihn kannten, so mußten diese sich sagen, daß ich wohl auch in der Nähe sei, was sie dann jedenfalls veranlaßte, auch nach mir zu forschen. Vor allen Dingen mußte ich, soweit dies unter den gegenwärtigen Umständen möglich war, für die Sicherheit unserer Pferde sorgen. Es war zwar anzunehmen, daß sie während der Nacht nicht entdeckt würden; aber es lag im Bereiche der Möglichkeit, daß ich durch irgend einen Umstand bis zum Tage ferngehalten wurde, und dann konnte es leicht um die kostbaren Tiere geschehen sein, und nicht bloß um sie, sondern auch noch um unsere Waffen. Denn daß ich die meinigen jetzt nicht mitnehmen würde, das verstand sich ganz von selbst. War meinem Halef ein Unglück widerfahren, so ging ich jetzt Ungewißheiten entgegen, denen ich meine beste Habe nicht aussetzen durfte. Bei dem großen Werte, den die Tiere und die Gegenstände für uns besaßen, würde mich, so glaubte - 213 - ich, nichts, aber auch gar nichts, abhalten können, zur rechten Zeit wieder hier zu sein. Ich stieg also wieder hinunter, wickelte alles, was ich nicht mitnehmen wollte, fest in unsere Decken, band die Pferde an die Riemenpflöcke, welche ich fest in die Erde schlug, und behielt nur mein Messer im Gürtel stecken. Nachdem ich die Hengste liebkost und ihnen das bekannte »Schusch!« (* »Sei still!«) zugerufen hatte, konnte ich überzeugt sein, daß sie sich bis zu unserer Rückkehr ganz ruhig verhalten, gegen jeden Fremden aber mit Zähnen und Hufen verteidigen würden; dann machte ich mich auf den Weg, welcher, wie ich mir sagen mußte, ein für mich höchst gefährlicher werden konnte. Eigentlich war es mir unmöglich, mit Bestimmtheit sagen zu können, was für Leute sich dort an dem Feuer befanden; aber es giebt Gedanken, welche, wenn sie kommen, sofort in der Weise überzeugend wirken, daß ein Zweifel an ihrer Richtigkeit gar nicht erst entstehen kann. Mag man sie Eingebungen oder sonstwie nennen, sie werden dem Menschen wie Depeschen über vollendete und nicht anzuzweifelnde Thatsachen übermittelt und von ihm als Wahrheiten aufgenommen und festgehalten. Ich habe das sehr oft an mir selbst erlebt und bin von dem Glauben, den ich solchen, sagen wir einmal Inspirationen, entgegenbrachte, niemals getäuscht worden. So nahm ich auch jetzt so fest, als ob ich die Beweise darüber in den Händen hätte, an, daß ich es mit dem Verstecke des Säfir zu thun hatte und wenn auch nicht grad persönlich ihn, so doch Kumpane von ihm zu sehen bekommen würde. Ich hatte die volle Überzeugung einer vor mir liegenden Gefahr und nahm aber mit ganz derselben Selbstverständlichkeit an, daß sie mich zwar fassen, aber nicht über- - 214 - wältigen [überwältigen] könne. Dies war auch der in mir liegende Grund gewesen, daß ich mich von den für uns doch unersetzlichen Pferden und Gewehren mit so verhältnismäßig geringer Besorgnis getrennt hatte. Der Feuerschein wurde um so heller, je mehr ich mich ihm näherte. Ich bewegte mich in gerader Linie auf ihn zu und hätte Halef unbedingt sehen müssen, wenn er sich auf dem ebenso geraden Rückwege zu mir befunden hätte. Ich ging gebückt und trat so leise wie möglich auf; dabei lauschte ich aufmerksam nach rechts und links, um seine Schritte zu hören, falls er sich doch unterwegs befände und nur von der direkten Richtung abgewichen wäre; diese Aufmerksamkeit blieb jedoch ohne Resultat. Als ich noch ungefähr hundert Schritte zu gehen hatte, legte ich mich nieder und kroch weiter, doch nach der Seite ab, weil mir die Vorsicht gebot, nicht unmittelbar am Ziele anzukommen; ich mußte es zunächst von einer Stelle aus in Augenschein nehmen, welche mir die möglichste persönliche Sicherheit bot. Am hohen Ufer angekommen, sah ich die Wasser des Stromes unter mir und hörte ihr leises, von keinem stärkeren Accent unterbrochenes Rauschen. Sonderbar! Besorgt um den Freund war ich hierhergekommen, um nach ihm zu suchen, und doch richtete sich meine Aufmerksamkeit zunächst nicht dorthin, wo ich nach ihm zu forschen hatte, nämlich nach dem Feuer, sondern auf die von links herbeiströmenden Fluten, deren nachtdunkle Fläche wie mit einem weichen, phosphoreszierenden, sich immerfort bewegenden Filigrannetze überzogen war. Dieses geheimnisvolle »Finsterleuchten« zog meine Blicke an und hielt sie eine ganze Weile fest. Das war nicht der Euphrat, den wir am Tage gesehen hatten und über den wir vor kurzem geschwommen - 215 - waren, sondern ein geheimnisvolles, lebendes, schlangengleiches Wesen, welches, aus dem Paradiese vertrieben, seinen unartikulierten, endlosen Leib in stummer Pein hier vorüberwand, ein nie versiegender Hinweis auf die unerbittliche Gerechtigkeit dessen, der sich nicht spotten läßt. Hier an diesem Flusse hatte sich einst das Gericht vollzogen, von welchem der Psalmist sagt: (* Psalm 136 (137)) »An den Flüssen Babylons, dort saßen wir und weinten, wenn wir Sions gedachten. An den Weiden, die drinnen sind, hingen wir unsere Harfen auf; denn die uns gefangen wegführten, und die uns wegnahmen, forderten da von uns Lieder. Wie aber sollten wir singen den Gesang des Herrn im fremden Lande!« Vielleicht hatten da, wo ich jetzt lag, auch solche Klagende gesessen und sehnsüchtig hinabgeschaut in die Fluten, die von den Höhen kamen, über welche der Weg nach Palästina führte. Und wenn sie hier in der Einsamkeit mit ihren Klagen geendet hatten, so stiegen sie in die Binsenfähre, um hinüberzusetzen an das linke Ufer, an welchem ihre niedrigen Ziegel- oder Erdhütten lagen. Das war noch ganz derselbe damalige Fluß, und rechts von mir, unten im Wasser, lag eine Binsenfähre von genau derselben Form, welche diese Fahrzeuge zu jener Zeit schon hatten, rund und niedrig ausgebaucht, wie eine große, leicht schwimmende Wasserschüssel. Diese Fähre war halb von dem dichten Tamariskengestrüpp verdeckt, welches sich in fast undurchdringlicher Üppigkeit längs des Ufers hinzog. Es war nur eine einzige, vom Gebüsch befreite, freie Stelle zu sehen; dort brannte das Feuer, an welchem ich nur einen einzigen Mann bemerkte. Ein zweiter saß ganz am Wasser, demselben zugewendet und regungslos; er angelte. - 216 - Das gab ein so friedliches Bild; wo war da die Spur von einer Gefahr für mich zu sehen! Befand ich mich an dem gesuchten Versteck, von dem man glaubte, daß die Geister der Erschlagenen des Nachts da ihr Wesen trieben? Oder waren diese beiden Männer nur harmlose Fischer, welche jetzt in der Dunkelheit und Kühle einen Fang machen wollten, um ihn dann am Morgen unten in Hilleh zu verkaufen? Es widerstrebte mir, sie für so unschädlich zu halten, wie sie aussahen. In einem solchen, sich gern um seine eigene Achse drehenden Binsenfahrzeuge zwei volle Wegstunden weit stromaufwärts rudern, ist keine Arbeit, die man eines beabsichtigten Fischfanges wegen unternimmt, von dem man nicht einmal sagen kann, ob er ein Ergebnis haben wird. Zudem war es grad diese Friedlichkeit der Situation, welche mich in meinem Argwohn bestärkte; sie kam mir so gemacht, so künstlich vor. Ich sagte mir, daß - wie man sich auszudrücken pflegt - etwas dahinterstecke, und hätte diese beiden Männer ihre Rolle ruhig und ungestört weiterspielen lassen, wenn ich aus irgend einem andern Grunde und nicht Halefs wegen hergekommen wäre. Ich mußte wissen, warum er nicht zurückgekommen war und konnte das nur hier erfahren. Wer weiß, was man ihm angethan, mit ihm begonnen hatte! Es konnte jede Minute kostbar sein, und so durfte ich nicht hier liegen bleiben und unthätig abwarten, ob ein Fisch anbeißen werde oder nicht. Ich mußte etwas thun, aber was? Ich glaubte, zunächst erfahren zu müssen, ob diese zwei Personen sich wirklich so allein, wie es den Anschein haben sollte, hier befanden, und beschloß also, längs des hohen Uferrandes hinzukriechen, um zu entdecken, ob wohl jemand unten in dem Buschwerk stecke. Ich schob mich - 217 - demnach sehr langsam und vorsichtig in der erwähnten Richtung an der Erde hin. Es verging wohl über eine Viertelstunde, bis ich die hier oben vollständig kahle Strecke so weit, wie unten das Gebüsch reichte, abgekrochen hatte. Da lag ich nun wieder und überlegte. Ich hatte trotz meiner scharfen Augen und Ohren nichts gesehen und nichts gehört. Wenn sich jemand hier versteckt hatte und gegen mich im Hinterhalte lag, so konnte das nur unten im Gestrüpp sein; ich mußte also hinunter; aber das war ebenso schwer wie gefährlich - - schwer, weil der obere Teil der Böschung aus tiefem, lockeren Sande bestand, mit dem ich wahrscheinlich hinunterrutschte, weil er mich nicht tragen konnte, und gefährlich, weil ich von jedem, der da unten steckte, gesehen werden mußte, wenn ich von oben abwärts kam. Es gab freilich noch eine andere Art und Weise, meinen Zweck zu erreichen, wenn ich nämlich meinen Weg noch weiter fortsetzte, dann das Wasser aufsuchte und nachher an demselben wieder aufwärts schlich; so vermied ich es, von der Böschungshöhe zu kommen, wurde vom Scheine des Feuers nicht getroffen und konnte also nicht gesehen werden. Aber das erforderte Zeit, mehr Zeit, als ich meiner Ansicht nach zu diesen nebensächlichen oder gar überflüssigen Vorbereitungen verwenden durfte. Vielleicht kam ich doch auch gleich hier unbemerkt hinab, und vielleicht hatte die Sandböschung doch mehr Halt, als ich dachte, denn es gab verschiedene dunklere Punkte in derselben, welche ich für Steine oder sonstige festere Stellen nahm, deren Färbung sich von der helleren des Sandes abhob. Grad vor mir, ganz in der Nähe, gab es zwei solche Stellen und seitwärts wieder drei. Aber wenn ich die Nebenumstände in Erwägung zog, war es doch besser, wenn ich mich zu dem erwähnten Umweg entschloß, und so kroch ich denn langsam weiter. - 218 - Durch diese Bewegung geschah es, daß ich die zwei mir vorhin nahe liegenden Punkte in einigen Augenblicken erreichte. Ich wollte an ihnen vorüber, hielt aber still, denn sie bewegten sich! Kamen diese Steine etwa durch den von mir verursachten Druck mit dem Böschungssande ins Rollen? Nein, es waren ja gar keine Steine, sondern es fuhren vier Arme plötzlich aus dem Sande heraus, ebensoviele Hände klammerten sich um meinen Hals und meine Oberarme, und eine Stimme rief. »Lahaun, lahaun, ia ridschal - hierher, hierher, ihr Männer! Wir haben ihn; haltet ihn fest, sehr fest!« Man glaube nicht, daß ich erschrocken sei; ich war solche Überraschungen gewohnt, aber diese hier kam so schnell über mich, daß ich keine einzige Sekunde zur Gegenwehr bekam. An Hals und Armen festgehalten, wollte ich mich aufschnellen, es gelang mir auch, mich von dem einen loszureißen; ich kam halb empor und wollte nach dem andern fassen; da aber warf mir der erstere zwei Hände voll Sand in das Gesicht; eine Unzahl dieser Körnchen drang mir in die Augen; meine Hände wurden dadurch natürlich von dem Feinde ab und nach den gefährdeten Augen gelenkt, und dadurch ging mir der erlangte Vorteil sofort wieder verloren. Das Sehvermögen war mir genommen und damit auch die Möglichkeit, mich meinen Gegnern zu entziehen; es kamen mehrere dazu; ich hörte wohl zehn, zwölf verschiedene Stimmen durcheinander schreien. Ich wurde am ganzen Körper gepackt, wieder niedergerissen, gebunden und erst die Böschung hinab und dann durch das Gebüsch geschleift, bis man mich am Feuer lang auf die Erde warf. - - - - 219 - [unpaginiert] Drittes Kapitel. Osman Pascha. Lieber Leser, hast du vielleicht einmal die Augen so voller Sand gehabt, daß auch nicht ein einziges Körnchen mehr Platz gefunden hätte? Nein? Ich auch nicht alle Tage, dafür aber damals so gründlich wie nur möglich. Ich will nicht behaupten, daß dadurch ein gefährlicher Zustand hervorgerufen werde, aber unangenehm, höchst unangenehm ist er auf alle Fälle. Und wenn man dazu gefesselt ist, so daß man den geblendeten Augen nicht mit den Händen zu Hilfe kommen kann, und sich von Menschen umgeben weiß, denen alles andere, nur nichts Gutes, ja sogar das Schlimmste zuzutrauen ist, so ist das nichts weniger als eine Erleichterung zu nennen. Wie ich mich zu verhalten hatte, darüber brauchte ich nicht erst lange nachzudenken. Ich hatte ruhig zu bleiben und nichts zu sagen, sondern nur auf das zu achten, was gesprochen wurde. Was meine Augen betraf, so mußte ich es der augenblicklich höchst energischen Thätigkeit der Thränendrüsen überlassen, sie nach und nach von dem Sande zu befreien. Wenn das geschehen war und ich wieder sehen konnte, dann mußte es sich finden, was ich weiter zu thun hatte. Zunächst durfte - 220 - ich mir sagen, daß ich mich sehr wahrscheinlich ganz in der Nähe meines lieben Halef befand, was aber keineswegs eine wohlthuende Beruhigung für mich war, da ich aus Erfahrung wußte, daß es leichter ist, sich selbst allein, als außerdem noch einen zweiten aus einer solchen Lage, wie unsere jetzige war, zu befreien. Während mir die sandigen Thränen immerfort über die Wangen rannen, verfolgte ich mit größter Aufmerksamkeit, was um mich her gesprochen wurde. Es entging mir kein einziges Wort, denn es fiel keinem Menschen ein, so leise zu sprechen, daß ich es nicht gehört hätte. »Welch ein Fang!« sagte einer, den ich an seiner Stimme als den Pädär-i-Baharat erkannte. »Noch heut sind wir ihnen begegnet und mußten glauben, daß sie nach Bagdad wollten; wir gaben unsere Rache schon verloren; da sind sie uns in die Hände gelaufen!« »Allah hat uns lieb; ihm sei Dank und Preis gesagt!« fügte ein anderer bei; das war Astab, der Begleiter des Pädär. »Der Hund rührt und bewegt sich nicht; er wird doch nicht etwa tot sein?« »Tot? Wovon? Ihr habt ihn hierhergeschleift; dabei ist sein Kopf über die Erde gestreift; da ist er trotz der Weichheit des Sandes ohnmächtig geworden. Diese christlichen Schufte sind nur mit dem Munde stark, sonst aber können sie nichts vertragen. Wir warten, bis er wieder zu sich kommt; dann muß er gestehen, was sie hier zu suchen hatten.« »Sie haben nichts, gar nichts gewollt,« sagte ein dritter, dessen Stimme mir ihn als den Wirt aus Hilleh verriet. »Nur der Zufall kann sie hierher geführt haben, denn es ist ganz unmöglich, daß sie etwas von diesem Verstecke und von unsern Plänen wissen.« - 221 - »Ja, unmöglich!« gab der Pädär zu. »Nur aus diesem Grunde war trotz aller Drohungen aus diesem verfluchten Scheik der Haddedihn kein Wort herauszubringen. Holt ihn aus der Fähre; bringt ihn her! Er soll die Freude haben, seinen berühmten und geliebten Emir aus Dschermanistan auch in unsern Händen zu sehen.« Ich hörte, daß einige fortgingen; dann ließ sich einer, der noch nicht gesprochen hatte, vernehmen: »Ich erwarte, daß nun die Strafe beginnt, welcher diese Halunken durch ihre Flucht aus der Mehkeme entgangen sind. Sie müssen wenigstens totgeprügelt werden!« Das war der Ghasai-Beduine, welcher sich für einen Solaib ausgegeben hatte. Es waren also fast alle unsere hiesigen lieben Freunde und Bekannten beisammen. »Trage nur darum keine Sorge!« beruhigte ihn der Pädär. »Sie werden totgepeitscht, und zwar so langsam, daß sie Monate darüber zubringen. ich würde sofort damit beginnen; aber du weißt ja, wie außerordentlich streng der Säfir in solchen Dingen ist. Er duldet keine Eigenmächtigkeit und beantwortet jede Übertretung unserer Gesetze mit dem Tode des Betreffenden.« »Er treibt die Strenge zu weit!« »Nein, denn nur durch sie können Zucht und Ordnung erhalten werden. jeder andere Verein hat die Möglichkeit, den Ungehorsam mit der Ausstoßung zu ahnden; uns aber ist das versagt, weil der Ausgestoßene uns verraten würde; nur der Tod giebt Sicherheit. Wir dürfen den beiden Gefangenen nicht einmal die Taschen untersuchen, weil die Hand des Säfir die erste ist, welche hineinzugreifen hat. Es genügt, zu wissen, daß sie keine Waffen als nur ihre Messer bei sich trugen, und die haben wir.« - 222 - Wie außerordentlich lieb mir das war! Sie hätten bei genauer Durchsuchung die Ringe der Sillan gefunden, die wir ihm und seinen Begleitern abgenommen hatten. »Wird der Säfir sie nicht etwa leichter bestrafen, als wir wünschen?« fragte der Ghasai. »Gewiß nicht! Er hat, wie ihr erzähltet, selbst mit ihnen abzurechnen, und ich bekomme eine der ersten, vielleicht die wichtigste Stimme, wenn wir über sie zu Gericht sitzen werden; das genügt vollständig. Du hast dich vorhin über die Strenge unserer Gesetze beklagt, und zwar mit Unrecht, denn sie kommt deinem Wunsche entgegen, indem sie unbedingt den Tod dieser Männer fordert. Nur die Art und Weise dieses Todes unterliegt noch dem Beschlusse. jetzt still! Sie bringen den Kleinen. Ich werde jetzt von ihm zu erfahren suchen, wo die Pferde und ihre andern Sachen stecken.« Der Hadschi wurde gebracht und neben mich gelegt; er war auch gefesselt, vielleicht sogar geknebelt, um nicht sprechen oder gar rufen zu können, falls ihm der Gedanke kommen sollte, mich zu warnen. »Bindet ihm den Mund auf, damit er meine Fragen beantworten kann!« befahl der Pädär. Als man dieser Weisung Folge geleistet hatte, sagte er in höhnischem Tone zu dem Hadschi: »Du siehst, daß ich recht hatte; da liegt er; wir haben ihn!« »Ist er tot?« fragte Halef besorgt. »Nein. Es ist ihm nur die Besinnung abhanden gekommen. Sobald er wieder bei sich ist, werdet ihr Hiebe erhalten, die bis auf die Knochen gehen!« »Das freut mich ja ungeheuer!« antwortete Halef lachend. »Es ist eine lobenswerte Einrichtung bei euch, daß diese Hiebe auf euch zurückfallen werden!« - 223 - »Du bist wohl nicht bei Sinnen?« »Oh, ich habe sie alle beisammen! Ihr hattet mir zwar den Mund, nicht aber die Ohren zugebunden, und da ihr so klug gewesen seid, laut genug zu sprechen, so habe ich alles gehört. Ihr dürft uns ja ohne den Säfir nicht einmal in die Taschen greifen, viel weniger also prügeln!« »Hund! Ich werde dir beweisen, daß wir dich prügeln, daß das Blut zur Erde läuft, wenn du die Fragen, welche ich an dich richte, nicht augenblicklich beantwortest. Also höre, was ich wissen will! Warum seid ihr nicht nach Bagdad geritten?« »Weil wir gar nicht dorthin wollten.« »Wohin denn?« »Nach Burdsch Awaineh.« »Das liegt doch im Süden der Ruinen; ihr aber rittet nördlich auf Bagdad zu. Du sagst also einen Widerspruch!« »Allah behüte deinen Verstand! Du scheinst zu den unglücklichen Menschen zu gehören, deren Gehirn in Unordnung geraten ist und die darum grad in der besten Zusammenstimmung den ärgsten Widerspruch entdecken.« »Die Unordnung liegt in deinem, aber nicht in meinem Gehirn. Ich verlange die Erklärung!« Ich gestehe, daß ich höchst neugierig auf diese Erklärung war. Ich kannte meinen kleinen Hadschi; er war in seinen Thaten schnell und unbedachtsam, sonst aber außerordentlich schlau; in Worten überlisten ließ er sich fast nie. Wie er grad auf die Ruine Burdsch Awaineh zu sprechen gekommen war, das bildete für mich ein Rätsel; aber daß er sich ganz gut herausreden und dabei nicht das Geringste verraten werde, davon war ich überzeugt. Er antwortete: - 224 - »Da du die Ordnung meines Verstandes bezweifelst, werde ich dir beweisen, daß weder an ihm noch an ihr etwas zu tadeln ist. Mein Effendi gehört zu den höchst wichtigen und gelehrten Herren, welche gern alte Ruinen untersuchen, um die Denkmäler früherer Zeiten auszugraben. Er kam mit mir hierher, um dies hier auch zu thun. Wir wollten zu diesem Zwecke nach Burdsch Awaineh, wurden aber leider am Birs Nimrud festgenommen und nach Hilleh geschafft. Von dort sind wir zwar entflohen, aber das Nachgraben in Burdsch Awaineh hat mein Effendi trotzdem nicht aufgegeben. Wir stellten uns darum, als ob wir nach Bagdad wollten, ritten aber bloß bis zum Khan Nasrijeh. Zurück nach Hilleh und über die dortige Brücke durften wir natürlich nicht; darum wendeten wir uns dem Euphrat zu, durchschwammen ihn und legten uns dann nieder, um zu schlafen. Bevor wir die Augen schlossen, sahen wir den Schein dieses Feuers, und ich ging, um nachzusehen, wer es angezündet habe. Als ich oben angekommen war, fuhr der lose Sand mit mir herunter und ich mitten unter euch hinein. Ich wurde gefangen genommen und nicht wieder fortgelassen. Die Strahlen deiner unübertrefflichen Weisheit werden dir erklären, daß mein Effendi neugierig gewesen ist, warum ich nicht zu ihm zurückgekehrt bin; er ist gegangen, um nachzusehen, und hat bei euch denselben Empfang wie ich gefunden. Nun sage mir, ob in meinem Gehirn oder in dem, was wir thaten, ein Widerspruch zu finden ist!« Er hatte das in einem so fließenden Tone der Unbefangenheit und Selbstverständlichkeit erzählt, daß es mich gar nicht wundernahm, als der Pädär erwiderte. »So ist euer Hiersein zur Genüge erklärt. Wo ist - 225 - die Stelle, an welcher ihr schlafen wolltet? Wir werden eure Pferde holen.« »Unsere Pferde? Die sind nicht dort.« »Nicht?« klang die erstaunte Frage. »Nein.« »Wo befinden sie sich?« »Im Khan Nasrijeh natürlich, wo wir sie in Aufbewahrung gegeben haben.« »Und eure Waffen?« »Die sind auch dort. Das ist doch ganz selbstverständlich!« »Selbstverständlich? Ich begreife es nicht!« »Nicht? Wirklich nicht? So ist es also doch dein Gehirn und nicht das meinige, welches in Unordnung geraten ist! Wir sind hier unschuldig überfallen und nach der Mehkeme geschafft worden; wir haben fliehen müssen; man verfolgt und sucht uns; wir haben über den Euphrat schwimmen müssen, dessen Wasser unser Eigentum beschädigt oder ganz verdorben hätte. Und bei all diesen vielen Gründen und Erklärungen findest du es unbegreiflich, daß wir nichts mitgenommen haben?!« »Du wirst und mußt aber doch zugeben, daß ihr das alles in Burdsch Awaineh gebraucht hättet!« »Natürlich brauchen wir es, und wir bekommen es auch. Wir erwarten nämlich noch einen zweiten Effendi, welcher mit mehreren Dienern und Begleitern in zwei Tagen nachkommt. Dieser kehrt im Khan Nasrijeh ein, bekommt vom Khandschi alle unsere Sachen und wird sie uns mitbringen, ohne daß sie im Euphrat durchnäßt werden oder in Hilleh Gefahr laufen, von dem Sandschaki als unser Eigentum weggenommen zu werden. Wenn du nun noch etwas unbegreiflich findest, so sage - 226 - es! Ich bin bereit, mich auch noch weiter der sehr beeinträchtigten Klarheit deines Verstandes anzunehmen.« Ich muß sagen, daß ich mich über meinen kleinen, pfiffigen Hadschi freute. Die von ihm angegebenen Erklärungen und Gründe waren, besonders auch infolge der Art und Weise, wie er sie vorgebracht hatte, so vortrefflich, daß er seine Sache gar nicht besser hätte machen können. Der Pädär schien vollständig überzeugt zu sein, daß ihm die Wahrheit gesagt worden sei, denn er versetzte: »Über die Beleidigungen meines Verstandes werde ich später mit dir abrechnen, denn in diesem Augenblicke bin ich zur Milde geneigt, weil du meinem Befehle Folge geleistet und mir die geforderte Auskunft gegeben hast. Darum will ich dir auch als Belohnung deiner Fügsamkeit sagen, daß alle eure im Khan Nasrijeh angewendete Vorsicht vergeblich gewesen ist, denn wir werden doch alles bekommen, was ihr dort in Verwahrung gegeben habt.« »Hast du vielleicht die Absicht, mich zum Lachen zu bringen?« fragte Halef. »Bilde dir ja nichts über meine Fügsamkeit ein! Alles was ich thue oder sage, das sage und thue ich nur, weil es mir gefällt, nicht aber aus Gehorsam gegen dich oder einen andern Menschen. Und der Effendi, den wir erwarten, wird sich hüten, sich auf irgend eine Weise das ablocken zu lassen, was er uns in Burdsch Awaineh zu übergeben hat!« »Du redest wie ein unerfahrener, blinder Knabe, welcher nicht sieht, was vor ihm liegt. Ihr werdet ja gar nicht nach Burdsch Awaineh kommen, sondern wir werden uns dort befinden und ihn in einer Weise empfangen, daß er niemals daran denken wird, die rechtgläubigen Bewohner dieser Gegend durch seine ungläubige - 227 - Gegenwart zu beleidigen. Pferde und Waffen, wie die eurigen sind, läßt man sich nicht entgehen, wenn man sie einmal gesehen hat.« »So hätte ich dich also zu der Sorte von Menschen zu rechnen, welche man Diebe oder gar Räuber nennt?« »Ja, thue das; thue es getrost!« lachte der Pädär. »Du hast überhaupt gar keine Ahnung von unsern--- ah, schaut, der Christ bewegt sich! Seine verlorene Seele scheint zurückgekehrt zu sein, um von uns zu erfahren, daß wir sie zur Hölle senden werden.« Meine Augen waren zwar noch nicht ganz vom Sande frei, aber ich konnte sie doch wenigstens für kurze Augenblicke öffnen und hielt es darum für an der Zeit, ein Lebenszeichen zu geben. Als er dies bemerkte, schürte er das Feuer heller, um mein Gesicht ganz deutlich sehen zu können, und sprach mich höhnisch an: »Sei gegrüßt, o tapfrer Held der Ziegelsteine, nach denen ihr in Burdsch Awaineh graben wollt! Dein Erwachen giebt meiner Seele Trost und lindert mir den Schmerz, den ich empfand, als ich dich für tot hier liegen sah. Ich bin voller Begierde, euch hier am Euphrat die Freundschaft zu vergelten, die ihr uns am Tigris erwiesen habt. Es wird mir eine Wonne sein, mit der Peitsche in die Tiefen deines Körpers einzudringen und das Geheul der Angst und des Schmerzes zu vernehmen, mit welchem ihr zur Hölle fahren werdet!« Hierauf zu schweigen, hätte als ein Zeichen der Furcht gelten können, darum antwortete ich zunächst mit einem kurzen, verächtlichen Lachen. »Lache nicht, Hund!« fuhr er zornig auf. »Du scheinst noch nicht zu wissen, wo und bei wem du dich befindest. Öffne deine Augen und schau mich an! Kennst du mich?« - 228 - Ich warf ihm einen Blick zu und lachte wieder. »Allah vernichte dich! Du hast mich erkannt und lachst dennoch abermals! Ich sage dir, daß diese deine erzwungene Lustigkeit sich sehr bald in das Gejammer der Verzweiflung verwandeln wird! Du hast keine Ahnung von dem Schicksale, welches dich erwartet!« »Mein Schicksal kenne ich freilich nicht, denn das steht in Allahs Hand; dafür aber kenne ich das deinige um so besser, weil ich es bin, der darüber zu bestimmen hat,« antwortete ich nun. »Habt ihr gehört, was er jetzt sagte? Indem sein Kopf, als ihr ihn hierher brachtet, auf der Erde schleifte, ist der Inhalt dieses verruchten Schädels verletzt worden. Der Kerl ist wahnsinnig, vollständig wahnsinnig, das bestätigen die verrückten Worte, welche aus seinem Munde gekommen sind. Wie schade, wie jammerschade das ist! Nun hat er nicht Verstand und Gefühl genug, die unendliche Liebe zu begreifen, mit welcher wir uns seines Glückes und seines Wohlbefindens annehmen werden. - - - Horch ---!« Es war vom Flusse her ein Pfiff erklungen, dem jetzt ein zweiter und dann ein dritter folgte. Die Anwesenden sprangen alle auf, Halef und mich natürlich ausgenommen. »Sie kommen schon!« sagte der Pädär. »Sie kommen schon, leider! Wie gern hätte ich diesen beiden Schurken hier die Qualen ausgemalt, mit denen wir sie beglücken werden! Nun müssen wir sie fortschicken, weil uns die Seichtigkeit des Kanales zwingt, die Kelleks zu teilen und die Särge umzuladen. Diese Arbeit darf keinen Augenblick aufgehoben werden, wenn bis zum Tagesanbruch alles im Machzan (* Magazin, Lager) untergebracht sein soll. Der Bote - 229 - muß sofort aufbrechen, um den Säfir zu benachrichtigen. Es muß noch einer mit, weil er diese Gefangenen mitzunehmen hat!« Nach diesen in hastiger Weise gemachten Bemerkungen stellte er sich an das Wasser und pfiff auch dreimal. Es wurde mit demselben Zeichen erwidert, und dann wurden einige lange und schwer beladene Kelleks herbeigerudert und an das Ufer befestigt. Da die Aufmerksamkeit aller auf diese Flöße gerichtet und also von uns abgelenkt war, glaubte Halef die Gelegenheit wahrnehmen zu müssen, sich mit mir zu verständigen. Er sagte: »Ich kann nicht dafür, Sihdi! Nicht ich bin schuld, sondern es stand im Buche des Geschickes verzeichnet, daß wir Gefangene dieser Leute werden sollten. Denkst du, daß es uns möglich sein wird, wieder loszukommen?« »Nur dann, wenn du jetzt schweigst. Wir dürfen uns kein Wort entgehen lassen. Wahrscheinlich hören wir Dinge, welche uns zu statten kommen werden.« »O, man wird so klug sein, nichts zu sagen, was uns Nutzen bringen kann!« »Wenn wir auch nichts Direktes erfahren, so können doch Worte fallen, aus denen, wenn wir sie richtig zusammensetzen, günstige Schlüsse zu ziehen sind. Sei also jetzt ganz still! Und wenn der Pädär noch mit uns spricht und wir ihm antworten müssen, so überlaß das mir, denn in unserer Lage kann das kleinste Wort von der größten Bedeutung sein!« Als das erste Floß angelegt worden war, sprang ein Mann von demselben zu dem Pädär herüber und sagte: »Du bist selbst da? Das ist ein gutes Zeichen. Es ist alles nach Wunsch abgelaufen?« »Ja. Eure erste Abteilung ist gestern glücklich angekommen, und die Ladung wurde richtig untergebracht. - 230 - Wenn wir heut bis zum Anbruche des Tages fertig werden, ist auch für eure Waren nichts zu besorgen. Wir müssen also augenblicklich mit der Arbeit beginnen.« »Wen habt ihr denn hier liegen? Zwei gefesselte Menschen! Also Gefangene, Leute, die uns gefährlich sind?« »Ja; ein christlicher und ein sunnitischer Hund, die wir in die Dschehenna (* Hölle) schicken werden. Ich erzähle dir das nachher; jetzt haben wir keine Zeit, davon zu sprechen. Ich lasse sie sofort zum Säfir bringen, der sie einstweilen, bis wir mit diesem Transporte fertig sind, in das Zyndan (* Gefängnis) des Nimrud sperren wird.« Der Neuangekommene wendete sich seinem Floße wieder zu. Der Pädär winkte zwei Männer zu sich und sprach so leise mit ihnen, daß ich nichts hören konnte; seine Blicke und Gesten sagten mir aber, daß die Weisungen, welche er ihnen erteilte, unsere Personen betraf. Dann kam er zu uns, gab mir einen Tritt an den Leib und sagte: »Für jetzt muß ich mich leider von euch trennen; aber laß es dir ja nicht einfallen, daraus auch nur die geringste Hoffnung für euch zu schöpfen! Ich komme nach, und dann rechne ich mit euch ab. Es giebt kein Wort des Schreckens, welches ausreichend wäre, das zu beschreiben, was wir mit euch vornehmen werden. Der Teufel sei euer Wächter, bis ich euch wiedersehe!« »Er wird es besser mit uns meinen, als du; darauf gebe ich dir mein Wort!« antwortete ich. »Willst du mir etwa drohen, räudiges Hundefell?« »Was ich sage, ist keine leere Drohung, sondern es geschieht. Nicht du wirst mit uns, sondern wir werden - 231 - mit euch abrechnen, sobald du es wagst, uns wieder vor die Augen zu treten. Mach dich gefaßt darauf!« Er stieß einen Fluch aus, versetzte mir noch einen sehr kräftigen Fußtritt und gab dann seinen Leuten einen auf uns bezüglichen Wink. Wir wurden angefaßt und nach der Binsenfähre getragen, in welcher man uns nebeneinander legte. Die beiden Männer, denen er vorhin seine Befehle erteilt hatte, stiegen zu uns herein, lösten die Fähre von dem Ufer und griffen zu den Rudern, um vom Lande zu stoßen. Das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. Die geflochtenen Ränder der Fähre waren so hoch, daß wir nicht über sie hinwegblicken konnten. Wir sahen ein Stück Himmel über uns, weiter nichts. Die Bewegungen des leichten Fahrzeuges waren sanft und gleichmäßig; man merkte, daß unsre Wächter große Übung in der Führung eines solchen Binsenkorbes besaßen. Sie kümmerten sich nicht um uns und arbeiteten, weil sie Eile hatten, aus Leibeskräften. Da wir gefesselt waren, nahmen sie an, daß eine besondere Beaufsichtigung nicht nötig sei. Als eine Weile vergangen war, näherte Halef seinen Mund meinem Ohre und fragte: »Darf ich jetzt sprechen, Sihdi?« »Ja,« antwortete ich ebenso leise. »Bist du zornig auf mich?« »Wie ein Löwe!« »Das beruhigt mein Herz, denn ich habe noch mit keinem einzigen Löwen gesprochen, der mir gesagt hat, daß er zornig auf mich sei. Ich kann dir nur wiederholen, daß ich keine Schuld an unserm Unglück habe. Es brach so plötzlich über mich herein, wie der Sand einbrach, der in seinem Unverstande das Gleichgewicht des - 232 - Haltes verlor und erst mit meinen Füßen, dann aber mit der ganzen Ausdehnung meines Körpers in die Tiefe flog. Ich sage dir, diese Perser oder was sie sind, waren im ersten Momente nicht weniger bestürzt, als ich es war!« »Konntest du denn ihre Überraschung nicht benutzen?« »Wozu?« »Schnell aufzuspringen und zu fliehen?« »O Sihdi, was du doch manchmal für sonderbare Gedanken hast? Erstens liegt es in der Bestimmung des Kismet, daß das Fallen immer schneller vor sich geht als das Aufspringen, was du doch wohl auch schon an dir selbst erfahren hast. Zweitens war mein Weg von oben herab bis zu ihnen herunter weiter als der ihrige zu mir, die doch einfach sitzen geblieben waren, und so dauerte meine Überraschung auch länger als die ihrige. Drittens lag ich unter einem ganzen Berg von Sand, sie aber nicht. Viertens besaß ich nur zwei Beine zum Ausreißen, sie aber besaßen zusammen wohl zwanzig Hände zum Zugreifen. Fünftens waren ---« »Halt ein, sonst bist du morgen mit deinem Aufzählen noch nicht fertig!« fiel ich ein. »Ich habe das Unheil vorausgesehen. Es ist richtig eingetroffen, was ich befürchtete. Ich hätte selbst gehen, dich aber nicht schicken sollen. Du bist nicht vorsichtig genug!« »Sihdi, zanke nicht auf mich, sondern auf dich! Ich habe mich ganz genau so verhalten, wie du es wolltest, du dich aber nicht so, wie ich es wünschte.« »Wie meinst du das?« »Du wünschtest, ich solle vorsichtig sein, und das bin ich auch gewesen; daß die Böschung dann so unvorsichtig war, mit mir dorthin zu rutschen, wohin sie gar nicht gehört, das mußt du ihr vorwerfen, aber nicht mir. Dann, - 233 - als ich gefangen war und mir sagte, daß du mir folgen werdest, wünschte ich von ganzem Herzen, du möchtest dich nicht auch ergreifen lassen. Hast du diesen meinen Wunsch etwa befolgt?« »Hm, nein!« »Gut! Du siehst also ein, daß du nicht mit mir, sondern mit dir zu zürnen hast. Also zanke nicht!« Ich hätte laut auflachen mögen. Der pfiffige Kleine wälzte alles von sich auf mich und zwar in so diplomatischer Weise, daß es mir fast unmöglich war, ihm unrecht zu geben. Und dann fügte er zur Abwehr eines vielleicht doch von mir beabsichtigten Seitenhiebes hinzu: »Ich glaubte, du seist wirklich ohnmächtig; du warst es aber nicht?« »Nein.« »So hast du gehört, welche Antworten der Pädär von mir bekommen hat?« »Ja.« »Sag aufrichtig, habe ich das nicht gut gemacht?« »Vortrefflich!« »Ich danke dir! Dieses dein Eingeständnis giebt mir die beglückende Überzeugung, daß die Kürze meiner Einsicht der Länge deines Verstandes doch noch ebenbürtig ist. Wir stehen uns also vollständig gleich und sind in Beziehung auf unsere tiefe, von den Persern besorgte Ergriffenheit vollständig miteinander quitt. Wir können uns darum nun in freundschaftlicher Einigkeit der Hauptsache zuwenden: Denkst du, daß es uns glücken wird, freizukommen?« »Gewiß.« »Wann? Wo? Wie?« »Das ist zuviel auf einmal gefragt. Wir müssen abwarten, was geschehen wird.« - 234 - »Man wird uns dem Säfir ausliefern?« »Ja.« »Was wird er mit uns thun?« »Er wird uns, wie du von dem Pädär gehört hast, in dem Zyndan des Nimrud unterbringen.« »Hast du eine Ahnung, was für eine Art von Gefängnis das ist?« »Ich denke, daß es derselbe unterirdische Raum im Birs Nimrud sein wird, in welchem unser Bagdader Bimbaschi gesteckt hat.« »Allah! Wie kommst du auf diese Idee?« »Es sind verschiedene Gründe, die mich auf sie führen. Wir können das jetzt nicht ausführlich erörtern.« »Meintest du nicht, daß es aus diesem Raume einen Ausweg gebe?« »Ich bin beinahe überzeugt davon, doch fragt es sich, ob dieser Ausweg auch für Menschen gangbar ist. Mag geschehen, was da will, und mag es kommen, wie es will, wir müssen wünschen, nicht voneinander getrennt zu werden.« »Das ist richtig, und darum werde ich, falls man uns trennen will, dies einfach nicht zugeben!« »Wie willst du das anfangen?« »Das weiß ich jetzt noch nicht; aber im betreffenden Augenblicke werde ich es wissen.« »Du wirst nichts, gar nichts wissen. Wenn man uns trennen will, wird man es thun, ohne daß wir es verhindern können. Unsere Befreiung steht mir außer allem Zweifel; nur darf sie nicht zu lange auf sich warten lassen, schon unserer Pferde wegen. Wollen doch vor allen Dingen einmal unsere Fesseln untersuchen. Du hast die Finger frei?« »Ja.« - 235 - »Mir hat man die Hände leider auf dem Rücken zusammengebunden. Ich werde mich umdrehen. Untersuche einmal, ob du sie vielleicht aufknüpfen kannst!« Ich legte mich auf die andere Seite, so daß ich ihm den Rücken zudrehte, und fühlte dann, daß er trotz seiner auch gefesselten Hände sehr eifrig an den Knoten, welche mehrfach und zwar sehr fest geknüpft worden waren, herumarbeitete. Es dauerte lang, wohl eine Viertelstunde, bis ich merkte, daß sie locker wurden. Ich half durch Drehen der Hände und Dehnen der Riemen nach, und es gelang mir, zunächst die rechte Hand frei zu bekommen, die linke aber noch nicht, weil man die Vorsicht angewendet hatte, die Banden nicht direkt um beide Handgelenke, sondern um jedes besonders zu schnüren und dann noch unter dem Gürtel zweifach hindurchzuziehen. Die Befreiung dieser Hand hatte eine ziemliche Kraftanstrengung erfordert und einen Ruck verursacht, welcher sich dem leichten Fahrzeuge mitteilte; es schwankte. »Was macht ihr da!« rief uns der eine der Ruderer zu, indem er sich nach uns umdrehte. »Liegt ruhig, sonst werfen wir um, und ihr müßt elend ersaufen!« Der andere war leider bedenklicher; er sagte. »Wer weiß, was sie miteinander vorhaben! Das sind durchtriebene Hunde. Untersuche doch einmal ihre Fesseln! Ich führe inzwischen das Ruder allein.« Sobald ich das hörte, war ich überzeugt, vor einem Augenblicke der Entscheidung zu stehen. Es wurde unbedingt entdeckt, daß eine meiner Hände frei war. Was dann? Sollte ich sie mir wieder festbinden lassen? Nein! Dann gab es einen Kampf und wir fielen alle in das Wasser. Und wenn dies auch nicht geschah, so waren uns die beiden Gegner, weil sie Waffen besaßen und ich mich nur eines Armes bedienen konnte, weit überlegen. - 236 - Das war also auch zu vermeiden. Da gab es nur noch einen Fall, nämlich meine Flucht. Aber Halef konnte, weil gefesselt, nicht mit. Durfte ich ihn verlassen? Warum nicht? Bekam ich meine Freiheit wieder, so konnte ich ihm dann mehr nützen, als wenn ich mit ihm gefangen blieb. Aber ich wagte mein Leben. Die Füße waren zusammengebunden und die linke Hand hing noch am Gürtel fest. Dazu war vorauszusehen, daß man auf mich schießen werde, denn die beiden Männer waren im Besitze von Pistolen. Pah! Ich brauchte nur schnell im Wasser zu verschwinden, so hatte ich keine Kugel zu fürchten. Also, frisch gewagt! Diese Gedanken gingen mir so schnell durch den Kopf, daß ich am Entschlusse stand, noch ehe sich der Ruderer zu uns niedergebückt hatte. Ich flüsterte Halef noch rasch zu: »Sei ohne Sorge; ich hole dich!« Dann richtete ich mich auf und sprang über den Rand des Fahrzeuges in das Wasser. Die Flut schlug über mir zusammen, doch hörte ich noch einen doppelten Schrei vorher. Mein Sprung brachte natürlich die Fähre aus dem Gleichgewichte; gebaut wie ein runder Korb, mußte sie sich im Kreise drehen, und so hatten die Rudersleute zunächst ihre ganze Aufmerksamkeit darauf zu richten, sie wieder in das Gleichgewicht zu bringen. Dadurch gewann ich Zeit und säumte nicht, sie zu meinem Vorteil auszunützen. Wir hatten uns auf einer Krümmung des Flusses und darum in der Nähe des rechten Ufers befunden; meine Aufgabe war, dieses so rasch wie möglich zu erreichen. Der rechte Arm genügte mir zum Schwimmen. Als ich untergetaucht war, brachte ich mich durch einige - 237 - Seitenschläge in die gewünschte Richtung und kam erst wieder empor, als mir der Atem ausgehen wollte. Da sah ich den Binsenkorb als umrißlosen Gegenstand wohl über dreißig Schritte von mir schaukeln. Ich ging wieder nieder und wiederholte das, bis ich ihn nicht mehr sehen und also annehmen konnte, daß man von ihm aus auch mich nicht entdecken werde. Von da an blieb ich oben und gelangte ohne sonderliche Anstrengung an das Ufer, von welchem aus ich die zornigen Stimmen der beiden Euphratpiraten brüllen hörte. Am Wasser sitzend, machte ich mich nun von den Banden frei. Das geschah, da ich nicht beobachtet wurde, ziemlich leicht. Ich zog an dem Gürtel, bis der hintere Teil desselben, und mit ihm die Hand, nach vorn gekommen war, und knüpfte diese mit der Rechten los. Nun standen mir alle zehn Finger zur Verfügung, auch den um die Fußgelenke geschlungenen Riemen aufzuknoten, was nicht mehr als eine Minute erforderte. Dann befand ich mich im Wiederbesitze aller meiner Glieder und konnte das thun, was das zunächst Notwendige war - die Pferde aufsuchen. Wir waren wohl nicht ganz drei Viertelstunden unterwegs gewesen und dabei den Krümmungen des Flusses gefolgt. Ich kannte jetzt diese Windungen, denn wenn wir auch nicht über den Rand der Fähre hatten blicken können, so hatte es in dem Flechtwerke doch Lücken gegeben, die uns, erst einmal entdeckt, hinauszusehen erlaubten. Ich brauchte also nicht dem Laufe des Stromes zu folgen, sondern ging erst ein Stück schräg in das Land hinein und wendete mich dann in die Richtung, welche mich geraden Weges zu den Pferden führen mußte. Wenn man einen Winnetou zum Lehrmeister im Dauerlaufe gehabt hat und so hübsch frisch, naß und - 238 - erquickt aus dem Wasser gestiegen ist, wie jetzt ich, so fördern die Schritte doppelt. Schon nach einer guten halben Stunde sah ich rechts von mir den Feuerschein und kam dann an die Rinne, in welcher ich die Pferde wußte. Die lieben Tiere empfingen mich mit frohem Schnauben. Wäre es Tag gewesen, so hätten sie vor Freude gewiehert. Sie lagen noch grad so da, wie ich sie verlassen hatte; ich streichelte sie zum Dank für ihre Folgsamkeit; dann aber mußten sie auf, denn es galt, nach dem Birs Nimrud zu eilen. Am liebsten wäre ich freilich hinüber zum Pädär-i-Baharat geritten, um ihm und seiner Sippe zu zeigen, wie lange man mich hatte festhalten können; aber das wäre eine nicht nur unnütze, sondern für unsere Zwecke sogar schädliche Prahlhanserei gewesen, und so verzichtete ich darauf. Halefs Barkh bekam die Gewehre und andern Gegenstände zu tragen; Ben Rih mußte mit mir fürlieb nehmen, und so ging es denn zu Pferde der Gegend wieder zu, aus welcher ich soeben als Schnelläufer zu Fuße gekommen war. Welche Ereignisse mich dort unten am Birs Nimrud erwarteten, darauf war ich neugierig. Es galt, Halef zu befreien. Auf welche Weise das zu geschehen hatte, das kam ganz auf den Ort an, wohin man ihn geschafft hatte, und auf die von mir dort vorzufindenden Verhältnisse. Das aber nahm ich mir für alle Fälle vor, daß es keinem Menschen wieder gelingen sollte, meine Person in seine Gewalt zu bringen. Der Mensch denkt und -------- ist dabei so gedankenlos, daß dann grad das Gegenteil von dem geschieht, was er glaubt, ganz logisch und folgerichtig gedacht zu haben! Ich wäre gern Galopp geritten, durfte dies aber nicht, wegen der vielen ausgetrockneten Kanäle, Gräben - 239 - und sonstigen Einsenkungen, welche ich zu passieren hatte; doch kam ich trotzdem so schnell vorwärts, daß ich schon nach drei Viertelstunden den Karawanenweg nach Kerbela kreuzte. Dann kam Tahmasia und später Tell Markeh, worauf ich nach dem Birs Nimrud einbog. Hier brauchte ich wieder einen Ort, an welchem ich die Pferde verbergen konnte. Das gestrige Versteck, wo wir die Spuren der Stachelschweine gesehen hatten, war zwar vortrefflich gewesen, dann aber allen unsern Begleitern bekannt geworden; darum durfte ich es nicht wieder wählen. Als wir in der Frühe mit den Soldaten nach Hilleh geritten waren, hatte ich, freilich ohne spezielle Absicht, den Teil der Ruinen, an welchem wir vorübergekommen waren, genau in Augenschein genommen, und so erinnerte ich mich jetzt eines Mauereinschnittes, von dem ich glaubte, daß er meinem Zwecke entsprechend sei. Ich ritt also der Gegend zu, in welcher er sich befand, und verfehlte ihn nicht. Ich stieg ab und untersuchte die Stelle näher; ich hatte mich nicht getäuscht; sie paßte sehr gut für die Absicht, welche ich verfolgte; darum schaffte ich die Pferde hinein, pflockte sie an und befahl ihnen, sich zu legen, was sie sofort thaten. Ein Messer hatte ich nicht mehr, weil mir das meinige von dem Pädär abgenommen worden war, ich steckte also einen meiner zwei Revolver zu mir; alles andere ließ ich zurück, dann ging ich, um nach Halef zu suchen. Nach meiner Berechnung mußte er schon vor mir angekommen sein; meine Flucht hatte seine Begleiter unbedingt zur größten Eile angetrieben. Da ich annahm, daß das Zyndan, in welches man uns hatte schaffen wollen, das frühere Gefängnis unseres Bimbaschi sei, dessen Eingang ich kannte, so wußte ich, wohin ich meine - 240 - Nachforschungen zu richten hatte: Ich mußte über die Stelle hinweg, an welcher die Särge geöffnet und verbrannt worden waren. Dorthin wendete ich mich. Da ich die Örtlichkeit genau kannte, bot sie mir keine Schwierigkeiten, doch nahm ich mich außerordentlich in acht, von jemand gehört oder gesehen zu werden. Ich benutzte jede Ecke, jeden Vorsprung, um vorher zu horchen, ehe ich weiterging, und das nahm mehr Zeit in Anspruch, als ich an diesen Schleichweg eigentlich hatte wenden wollen. Es herrschte tiefe Stille ringsumher; sogar die Luft schien unbeweglich zu sein. Das war so recht der Tod, der einst, vor nun über zweitausend Jahren, seine Sterbedecke über das damals so leichtlebige Babel ausgebreitet hatte! Ich kam auch an die Stelle, von welcher aus ich mit Halef das Verbrennen der Leichen zuerst bemerkt hatte, und blieb da unwillkürlich stehen. Da klang eine unterdrückte Stimme links aus den Ziegeltrümmern heraus: »Sihdi!« Dieses Wort zog mich rasch nach der Seite hin. War es Halef gelungen, zu entfliehen, und hatte er mich hier erwartet, weil er wußte, daß ich unbedingt kommen und nach ihm suchen werde? »Halef, bist du es?« fragte ich. »Ja. Sprich leise, und komm schnell her, sonst entdecken sie dich!« »Zeige dich erst! Tritt einmal hervor!« forderte ich ihn in meiner so oft bewährten Vorsicht auf. »Da bin ich! Aber schnell, komm schnell! Sie sind ganz in der Nähe, dort, da hinten und auch drüben; sie sehen dich!« Er hatte sein Versteck auf einen Augenblick verlassen, er war es, der kleine, schmächtige Kerl, in dem mir wohl- - 241 - bekannten [wohlbekannten] Anzuge. Er winkte während seiner Worte in hastiger Weise mit beiden Händen; es mußte wirklich für mich gefährlich sein, länger stehen zu bleiben. Ich huschte zu ihm hinüber und zwischen die Trümmerstücke hinein. Da wurde ich gepackt, bekam einen Schlag, wie mit dem Helme einer Axt, auf den Kopf und brach wie ein lebloser Klotz zusammen. Wenn der Mensch sich doch nicht erkühnte, vorherbestimmen zu wollen, was geschehen oder nicht geschehen soll! Das sage ich jetzt, und habe es schon wie oft gesagt, und doch muß ich eingestehen, daß grad ich während meines wechselvollen und ereignisreichen Lebens den soeben gerügten Fehler öfter als hundert und auch tausend andere begangen habe. Und dabei kenne ich doch die alte, gute Kirchenliederstrophe: »Du bist doch nicht Regente, Der alles führen soll; Gott sitzt im Regimente Und führet alles wohl!« --- Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem langen, schmalen, nicht viel über manneshohen Raum, dessen Wände aus Ziegeln bestanden. Er wurde von einem irdenen Öllämpchen, welches in einer Nische stand, nur so erleuchtet, daß man nichts als die nächste Umgebung dieser Nische, die noch mehrere solcher Lämpchen enthielt, erkennen konnte. In einer Ecke, bis zu welcher der spärliche Lichtschein drang, sah ich in dem Boden, von welchem der Sand entfernt worden war, ein Loch in die Tiefe führen; neben demselben lagen die ausgehobenen Deckelbretter und dabei mehrere Werkzeuge und Stricke. Ich sagte mir sofort, daß dies der Gang sei, in welchem der Bagdader Bimbaschi mit seinem dicken Kepek gelegen und den er uns beschrieben hatte. Ich war in eine Falle ge- - 242 - gangen [gegangen], glücklicherweise in eine mir bekannte, obwohl ich mich noch niemals hier im Innern des Birs Nimrud befunden hatte. Es verstand sich ganz von selbst, daß es nicht Halef gewesen war, der mich zu sich gerufen hatte. Und wenn ich das jetzt nicht schon von selbst eingesehen hätte, so wäre es mir ad oculos demonstriert worden, denn der Betreffende hockte mir gegenüber an der Wand des Ganges und beobachtete mich so scharf, daß ich sah, er sei als mein Wächter angestellt. Er war von kleiner, schmächtiger Gestalt und trug den Anzug des Hadschi, jedenfalls eine Entschuldigung für mich, daß ich ihn in der Dunkelheit für Halef gehalten hatte. Als er sah, daß meine Augen jetzt geöffnet und auf ihn gerichtet waren, verzog er sein bartloses Gesicht zu einem höhnischen Grinsen, nickte mir lachend zu und sagte: »Allah sei Dank, daß du endlich erwachst! Der Hieb, den wir dir gaben, war zu kräftig ausgeholt. Ihr Christenhunde scheint eiserne Schädel zu besitzen, denn mir und jedem Rechtgläubigen hätte dieser Schlag die Pforten des Paradieses geöffnet. Nicht wahr, das haben wir schlau angestellt?« Da ich diese Frage nicht beantwortete, fuhr er in selbstgefälligem Tone fort: »Ihr selbst nennt euch berühmte Leute, und so dürft ihr euch nicht darüber wundern, daß wir eure Besonderheiten kennen. Als nur dein Begleiter gebracht wurde, sagte der Säfir sogleich, daß du ihn nicht im Stiche lassen, sondern kommen werdest, um nach ihm zu forschen. Ich mußte, da ich gleicher Gestalt mit ihm bin, die Kleidung mit ihm wechseln, und dann stellten wir uns auf, dich zu erwarten. Ich bekam den Platz, von welchem anzunehmen war, daß du dich da am wahrscheinlichsten - 243 - vorüberschleichen werdest, und der Säfir gab mir die Weisung, dich so in den Hinterhalt zu locken, wie ich es gethan habe. Es war beobachtet worden, daß dein Genosse dich stets Sihdi< nennt, und dieses Wort ist es gewesen, mit dem es mir gelang, deinen anfänglichen Verdacht zu zerstreuen. Allah hatte dir die Schärfe des Gesichtes und des Gehöres genommen, sonst hättest du unbedingt merken müssen, daß es ein anderer war, der dich rief.« »Wo bin ich jetzt?« frage ich. Ich erwartete natürlich nicht, die Wahrheit zu hören; aber wenn ich mich in ein Gespräch mit ihm einließ, so war es vielleicht möglich, aus seinen Worten etwas zu kombinieren, was er mir nicht sagen durfte oder wenigstens nicht sagen wollte. »Das möchtest du wohl sehr gern wissen?« lachte er. »Ich will die Güte meines Herzens über dich ergießen und dir die gewünschte Auskunft geben: Du befindest dich hier in der Vorkammer zur Hölle, in welcher der Teufel mit allen seinen Untergebenen auf dich wartet, um ihnen zu zeigen, wie ein Christenhund deines Schlages geschunden werden muß. Sag, wie gefällt dir das?« »Ganz gut!« »Verstelle dich nicht! Ich sehe dir doch die Angst an, welche in deinem Innern wohnt. Ich brauche es dir gar nicht erst mitzuteilen, weil du es dir selbst sagen mußt, daß der Scheitan (* Teufel) für dich das höchste, was die Hölle leisten kann, erfinden wird.« Er hatte wahrscheinlich die Absicht, mir dieses »Höchste« so recht behaglich auszumalen, kam aber nicht dazu, denn es machte sich jetzt in dem erwähnten Loche - 244 - ein Geräusch bemerkbar, wie wenn langsame, tastende Schritte auf Stufen steigen, und dann kamen drei Männer hervor, von denen ich den zweiten und dritten nicht, den ersten dafür aber um so besser kannte; es war der Säfir. Er warf einen kurzen, forschenden Blick auf mich und sagte dann zu meinem Wächter: »Ich sehe, der Schurke ist aufgewacht. Hast du mit ihm gesprochen?« »Ja,« antwortete der Kleine. »Was hat er gesagt?« »Daß es ihm hier ganz gut gefällt.« »Das hat nicht er, sondern seine Verzweiflung gesprochen. Er kann sich denken, was ihn erwartet. Hier giebt es andere Richter als in der Mehkeme zu Hilleh und auch keine Mauer, über die man fliehen kann. jetzt haben wir leider keine Zeit, uns mit ihm abzugeben; mit um so größerer liebe aber werden wir uns nachher mit ihm beschäftigen. Schafft ihn hinab! Er kommt zum Pischkhidmät Baschi; wir haben keinen andern Platz; zu seinem Scheik der Haddedihn dürfen wir ihn nicht bringen, denn wenn sie beisammen sind, so treiben sie Allotria, und das muß verhütet werden.« »Darf ich meine Kleider wieder haben?« fragte der Wächter. »Ich will diesen Anzug des verfluchten Sunniten keinen Augenblick länger tragen, als es unbedingt notwendig ist. Es ist ja alles vermaledeit, was so ein Kerl berührt!« »Nimm deinen Anzug wieder, wenn wir jetzt hinunterkommen! jetzt verbindet ihr diesem Ungläubigen die Augen; er darf nichts sehen. Und gebt ihm einstweilen die Beine frei, damit er gehen kann und ihr ihn nicht zu tragen braucht!« Man kam diesem Befehle nach. Als es geschehen - 245 - war, mußte ich aufstehen und wurde nach dem Loche geführt, um hinabzusteigen. Ich zählte, indem ich dies that, achtzehn Stufen, was mit der Erzählung des Bimbaschi stimmte. Unten angekommen, hörte ich, als gesprochen wurde, an dem Klange der Stimme, daß wir uns in einem ziemlich großen Raume befanden. jedenfalls war dies Nummer Eins der fünf Vierecke, welche er uns zur Erläuterung gezeichnet hatte. Ich wurde weiter geführt. Ein Vorhang, welcher mich berührte, verriet mir, daß wir nach Nummer Drei kamen. Hier sagte der Wächter: »Jetzt werde ich mit dem Haddedihn die Anzüge wechseln.« Ich hörte, daß er nach rechts ging, und schloß daraus, daß man Halef in dem Raume Nummer Vier untergebracht hatte. Der Säfir erhob dagegen Einspruch, indem er ihm befahl: »Warte, bis wir hier mit dem Christen fertig sind! Bist du einmal verunreinigt, so kommt es auf eine Minute länger auch nicht an!« Hierauf hörte ich Riegel zurückschieben und eiserne Stäbe klirren. Man öffnete den aus starken Drahtstäben bestehenden Vorhang, den ich aus dem Berichte des Bimbaschi kannte, und schob mich nach Nummer Fünf. Kaum waren wir dort eingetroffen, so hörte ich eine Stimme: »Endlich, endlich kommt ihr, mich loszulassen! Ich hätte es in Fesseln und in dieser Finsternis nicht länger ausgehalten!« »Du wirst es dir noch länger gefallen lassen,« antwortete der Säfir lachend. »So liebe Gäste läßt man nicht so schnell fort.« »Aber ich habe ja alles gethan, was ihr von mir verlangtet! Nun haltet auch Wort und laßt mich frei!« - 246 - »Beruhige dich, mein Liebling; wir sind noch nicht ganz fertig mit dir!« »Was wollt ihr noch?« »Du hast uns nur eine Anweisung gegeben. Wir verlangen mehr!« »Nur eine? Ihr wolltet doch nur diese eine; sie war hoch genug; die Summe, welche ich unterschrieben habe, stellt fast mein ganzes Vermögen dar!« »Eben darum sind wir noch nicht mit dir fertig. Wir wollen dein Vermögen nicht fast, sondern ganz.« »Allah kerihm - Gott sei mir gnädig! Was habe ich euch gethan, daß ihr mich zum Bettler machen wollt? Bedenkt doch, daß ich in der beglückenden Nähe des Beherrschers wohne, der mir seine ganze Macht zur Verfügung stellen wird, mich an euch zu rächen!« Da stießen sie alle ein großes Gelächter aus, und der Säfir antwortete: »Entweder bist du verrückt oder im höchsten Grade dumm. Es kommt doch nur auf uns an, ob du Gelegenheit zur Rache findest oder nicht. Ich darf nur wollen, so bekommst du deinen beglückenden Beherrscher nicht wieder zu sehen. Ich brauche dir nur den Lauf dieser Pistole an die Stirn zu halten und loszudrücken, so ist es mit dir und deiner ganzen Rache zu Ende!« Er schien ihm die Pistole wirklich vorzuhalten, denn der Kammerherr rief im allerängstlichsten Tone: »Halt; schieß nicht; schieß nicht! Ich will ja alles, alles thun, was ihr von mir verlangt!« »Gut! Für jetzt verlange ich weiter nichts von dir, als daß du schweigst, solange wir uns hier befinden. Wir können deine Lamentationen nicht erhören. Wir sind gekommen, dir zu zeigen, wie gut wir es mit dir meinen. Du klagst darüber, daß dir die Zeit so lang geworden - 247 - sei; sie soll dir kürzer werden. Hier bringen wir dir einen Kameraden, mit dem du dich unterhalten kannst. Er ist für den Tod bestimmt und wird hier in diesem Raume vor deinen Augen in einer Weise sterben, welche dir die prächtigste Unterhaltung bieten wird, die sich nur denken läßt. Schau ihn einmal an! Er ist zwar nur ein unreiner aussätziger Christenhund, aber - - -« »Das ist da dieser Kara Ben Nemsi Effendi!« unterbrach ihn, vor Überraschung laut schreiend, der Kammerherr. Der Säfir hatte mir nämlich, um ihm mein Gesicht zu zeigen, die Binde von den Augen genommen und die Lampe emporgehoben. »Kennst du ihn etwa?« fragte er schnell. »Ja.« »Woher?« »Ich traf ihn unterwegs im Khan, wo er einen Streit mit mir begann.« »So könnt ihr euch hier ganz vortrefflich weiterstreiten. Ihr habt die beste Gelegenheit dazu, und es wird euch binnen sechs oder sieben Stunden kein Mensch stören. Früher hast du ihn nicht gekannt?« »Nein. Aber er kennt euch.« »Woher weißt du das?« »Er hat mich vor euch gewarnt.« »Wieso?« »Er sagte mir, daß ihr es auf die Karwan-i-Pischkhidmät Baschi abgesehen hättet.« »Maschallah! Wie ist es möglich, daß er dies gewußt hat? Sag, wie hast du es erfahren, und wer hat es dir verraten?« Er wendete sich mit dieser Aufforderung an mich. Seine dunkeln Augen blitzten mich an, und die feuerrote - 248 - Narbe in seinem Gesichte schien anzuschwellen und verdunkelte sich. Da ich nicht sofort antwortete, fügte er drohend hinzu: »Sprich schnell, sonst öffne ich dir den Mund!« Da sagte ich ruhig: »Bilde dir nichts ein! Ich spreche nur dann, wenn es mir gefällt. Ich höre aus deinen Worten, daß du beabsichtigst, in sechs oder sieben Stunden wiederzukommen. Diese Zeit genügt mir, mit mir ins reine zu kommen, in welcher Weise ich mit dir dann sprechen werde.« »Gut! Vortrefflich!« lachte er mir in das Gesicht. »Also nach dieser Frist wirst du wissen, wie du mit mir zu verkehren hast?« »Ja.« »Und ich weiß schon jetzt in diesem Augenblicke, wie ich mich zu dir verhalten werde und welches Ende unsere Bekanntschaft nehmen wird. Du wirst diesen Ort hier lebend nicht verlassen; du wirst hier sterben, und dein Tod wird ein schrecklicher sein, ein so schrecklicher, daß dir dann die Hölle als ein Ort der Erlösung gelten wird!« »Daß dies deine Absicht ist, weiß ich; aber ebenso genau weiß ich, daß ich mich weder vor dir noch vor dem Tode und der Hölle zu fürchten brauche. Das Ende meines Lebens steht nicht in deiner, sondern in Allahs Hand, und da er ein gerechter Richter ist, so bin ich überzeugt, daß er dich eher, viel eher fassen wird, als du mich!« »Ich habe dich ja schon!« zischte er mich an. »Nur einstweilen, für kurze Zeit; er aber wird dich nicht wieder aus seinen Händen lassen. Du kannst mich nicht hier halten; du bist zu schwach dazu; wen aber der Zorn Allahs packt, für den giebt es keine Hoffnung, zu entkommen; er wird zermalmt.« - 249 - Er trat einen Schritt zurück, schlug die Hände in ironischer Verwunderung zusammen und rief mir spottend zu: »Was für ein großer, für ein berühmter und wunderbarer Prophet du bist! Wünschest du, daß ich vor dir niederfalle und dich verehre? Ich sage dir, daß du wie ein Mensch gesprochen hast, der an unheilbarer Verrücktheit leidet. Wenn du vom Zorne Allahs faselst, so setze ich den meinigen dagegen, und du wirst sehr bald erfahren, welcher von beiden der gefährlichere ist. Aus meiner Hand kann dich kein Allah retten; hier im Birs Nimrud gilt er nichts; da bin nur ich allein der Herr!« »Lästerer!« »Ich lästere nicht; ich kenne nur meine Macht, an welcher du zu zweifeln wagst. Höre, was ich dir sage! Mit Beginn des neuen Tages wird auch deine Todesqual beginnen, und nur wenn du mich um Erbarmen bittest, wird sie mit dem Tage zu Ende sein, sonst aber wird sie länger, wohl mehrere Tage dauern!« »So höre auch, was ich dir sagen werde! Mit Beginn des neuen Tages wird deine eingebildete Macht zu Ende sein, und mit dem Ende dieses Tages wird dich die Faust der ewigen Gerechtigkeit ergreifen. Nun haben wir beide unsere Meinungen ausgesprochen und werden sehen, was geschieht!« Diese Worte waren mir keineswegs von einer persönlichen Absicht diktiert worden, sondern als ich sie gesagt hatte, wußte ich selbst nicht, wie ich dazu gekommen war, sie auszusprechen. Ich bin überzeugt, daß auch sie die Folge einer Eingebung waren, deren Quell nicht in mir selber lag. Der Säfir ließ einen unendlich verächtlichen Blick an mir niederstreifen und erwiderte: »Ja, wir werden sehen, was geschieht. Ich weiß - 250 - es ja schon jetzt, und du wirst es erfahren, sobald ich zurückkehre. Damit du inzwischen einen kleinen Vorgeschmack von den Freuden bekommst, die dich erwarten, werden wir dich mit der wonnevollen Stellung der Glieder beglücken, auf die nur hervorragende Herren Anspruch haben und die wir Sa'adet-i-Bädän (* Seligkeit des Körpers) zu nennen pflegen. Bindet ihn, aber so fest, daß er sich nicht rühren kann!« Ich hätte mich wehren können, doch voraussichtlich ohne allen Erfolg; darum verzichtete ich auf Widerstand und ließ mit mir machen, was sie wollten. Ich mußte mich niedersetzen. Sie richteten mir die Kniee bis an die Brust empor und befestigten sie dort mit Hilfe eines um den Hals geführten Strickes, der meinen Kopf bis ganz zu ihnen niederzog; die beiden Enden dieses Strickes wurden mir unten mehreremal um die Fußgelenke geschlungen und dort fest verknüpft. Sodann legten sie mir die Arme um die Kniee und banden sie mir, wie sie meinten, so fest zusammen, daß ein Öffnen der Knoten vollständig ausgeschlossen zu sein schien und mein Körper nun die Haltung einnahm, welche man mit dem Ausdrucke »in den Bock gespannt« bezeichnet. Ich habe mich mit Absicht der Worte »wie sie meinten« bedient, denn sie hatten, allerdings ohne es zu bemerken, ihre Absicht nicht oder doch wenigstens nicht ganz erreicht. Während sie mir die Vorderarme zusammenbanden, hatte ich die Handgelenke nicht breit, sondern hoch aufeinander gelegt und dabei die Ellbogen so weit wie möglich niedergedrückt; zog ich die letzeren dann empor und drehte dabei die Gelenke, so mußte die Schlinge schlaff werden und es gelang mir vielleicht, aus ihr herauszukommen. In dieser Hoffnung wurde ich durch den für - 251 - mich sehr günstigen Umstand bestärkt, daß mir die Hände frei herunterhingen; man hatte, da die Handwurzeln zusammengefesselt waren, es nicht für notwendig gehalten, auch noch die Hände selbst unschädlich zu machen; ich war ihnen hier in diesem unterirdischen Raume ja überhaupt so sicher, daß es ihrer Ansicht nach für mich, selbst wenn ich nicht gefesselt gewesen wäre, nicht die geringste Hoffnung, zu entrinnen, gab. Als man mir in dieser Weise scheinbar alle Möglichkeit, mich zu bewegen, genommen zu haben glaubte, zerrte man mich in eine Ecke. Der Säfir faßte mich an der Schulter, wiegte meinen krummgezogenen Körper einigemal wie einen Schaukelstuhl auf und nieder und sagte dann: »So, das ist die Sa'adet-i-Bädän, welche dir eine sieben Stunden lange Wonne bereiten wird, der Anfang der Glückseligkeit, welche wir dir zugedacht haben. Nun drohe, soviel du willst, mit deiner Faust der ewigen Gerechtigkeit<, über welche ich nur lachen kann!« »Ich werde dich an diese Worte erinnern,« antwortete ich; »dann wirst du nicht mehr lachen!« »Thue das, du Wurm; ich freue mich darauf!« Bei diesen Worten wendete er sich von mir ab und ging hinaus; die andern folgten ihm. Die Eisenstäbe klirrten nieder; die Riegel wurden vorgeschoben, und es war nun vollständig dunkel um uns her. Kaum waren wir nun allein, so begann der Kammerherr: »Wer hätte gedacht, daß - - -« »Schweig!« unterbrach ich ihn. »Sei jetzt ganz ruhig; wir müssen horchen!« Ich legte mich um, so daß mein Ohr auf die Erde zu liegen kam und lauschte. Der dünne Drahtvorhang war nicht hinreichend, die Schallwellen vollständig von - 252 - uns abzuhalten; ich hörte ganz deutlich, daß die vier Männer aus Nummer Drei nach Nummer Vier gingen, also zu Halef, seines Anzuges wegen. Nach vielleicht zehn Minuten kamen sie von da zurück und begaben sich nach Nummer Eins, um, wie ich annahm, in den Gang hinaufzusteigen. Ich unterschied ganz bestimmt die Schritte von vier Personen und durfte also überzeugt sein, daß keiner von ihnen zu unserer Bewachung zurückgeblieben war. Wozu auch? Sie hielten das für vollständig überflüssig und brauchten wahrscheinlich draußen soviel Leute, daß niemand zu entbehren war. Jetzt machte ich den oben erwähnten Versuch mit dem um meine Handgelenke geschlungenen Stricke; ich bekam Zwischenraum, wenn auch nicht soviel, daß es mir möglich gewesen wäre, die eine Hand herauszuziehen; aber ich konnte sie doch wenigstens drehen und bekam dadurch den Knoten in die Finger. Es galt, ihn aufzuknüpfen, worüber ich wohl eine Viertelstunde zubrachte. Während ich mich hiermit beschäftigte, fragte der Kammerherr. »Horchst du noch, oder darf ich jetzt sprechen?« »Du darfst, aber ganz leise,« antwortete ich. »Es könnte sich doch jemand heimlich herangeschlichen haben, um uns zu belauschen.« »Sag, wie bist du hierhergekommen? Ihr schlugt doch den Weg nach Bagdad ein!« »Das thaten wir nur zum Scheine. Wir sind auf einem Umwege zurückgekehrt, um euch zu retten.« »Um - uns - zu - retten?!« sprach er meine Worte verwundert nach. »Du bist aber doch selbst gefangen!« »Das stört mich nicht. Oder stört dich vielleicht meine Gegenwart?« - 253 - »Nein, o nein! Wie kommst du auf diesen Gedanken und zu dieser Frage?« »Das weißt du nicht?« »Nein.« »Hast du vergessen, was du im Khan zu uns sagtest? Deine Worte lauteten: Laßt euch nicht wieder vor uns sehen! Ein altes, persisches Sprichwort fordert, daß jeder Schiit, der einem Christen begegnet, ihn mit den Füßen von sich stoße, sonst hat er die Folgen in diesem und in jenem Leben zu tragen.< Nun, ich bin ein Christ, und du bist ein Schiit. Jetzt stoße mit den Füßen!« »Effendi, du darfst das, was ich gesagt habe, nicht so nehmen, wie es geklungen hat, zumal alles anders geworden ist, als ich dachte. Hätte ich deine Warnung beachtet, so läge ich nicht hier, und meine Begleiter wären nicht ermordet worden!« »Ermordet?« »Ja.« »Alle?« »Alle elf. Ich habe dabei gestanden und zusehen müssen, ohne ihnen helfen zu können. Ich bot Geld über Geld für ihr Leben; aber der, den sie den Säfir nennen, lachte mich aus und sagte, er dürfe keinen Zeugen leben lassen und werde mein Geld auch sonst gewiß bekommen.« »Elf Menschen umgebracht! Das ist geradezu teuflisch von ihm! Erzähle mir, wie ihr in seine Hände gefallen seid!« »Wir kamen nach Hilleh, und ich suchte natürlich sogleich den Sandschaki auf, bei dem ich den Säfir fand -« »Habt ihr da von mir gesprochen?« »Nein. Es war nur die Rede von meiner Reise und von den Gefahren, welche grad in dieser Gegend auf jeden wohlhabenden Pilger lauern.« - 254 - »Vortrefflich ausgedacht! Ich bin überzeugt, daß grad der Säfir das Gespräch auf dieses Thema gebracht hat.« »Deine Vermutung trifft das Richtige. Der Sandschaki versprach mir seinen Schutz; aber der Säfir warnte mich vor ihm.« »Natürlich heimlich?« »Ja. Er suchte mich auf, als ich dann allein war, und sagte mir, daß der Sandschaki mit den Räubern im Einvernehmen steht und einen guten Teil der Beute bekomme.« »Das glaubtest du?« »Warum nicht? Solche Dinge kommen vor, und zwar nicht bloß hier im Lande der Türken, wo Beamte oft jahrelang vergeblich auf die Zahlung ihres Gehaltes warten und darum suchen müssen, auf dunklen Wegen Geld zu verdienen. Der Säfir teilte mir im Vertrauen mit, daß auch er nach den heiligen Stätten wolle, aber sich wohl gehütet habe, dem Sandschaki mitzuteilen, daß er schon heut abend aufbrechen werde; er habe die Leute seiner Karawane, lauter friedliche und zuverlässige Solaib-Araber, bei den Ruinen stehen und werde die Wanderung beginnen, ohne dem Sandschaki ein Wort davon zu sagen.« »Er lud dich ein, dich ihm anzuschließen?« »Nein, sondern ich bat ihn darum, dies thun zu dürfen.« »Grad das hat er gewollt!« »Natürlich! Ich ahnte es leider nicht. Er ritt voran, um uns vor der Stadt zu erwarten, und wir folgten ihm. Als wir ihn erreicht hatten, machte er den Führer.« »Da habe ich ihn also für vorsichtiger gehalten, als - 255 - er gewesen ist. Ich glaubte, daß er für ein Alibi sorgen werde.« »Was ist das, ein Alibi?« »Ein Rer mathra, (* »Anderswo«) ein Beweis, daß der Angeklagte sich zur Zeit des Verbrechens an einem andern Orte befunden hat, als an demjenigen, wo das Verbrechen verübt wurde. Ich nahm an, daß er bei dem Sandschaki in Hilleh bleiben und euch von den sogenannten Solaib-Arabern überfallen lassen werde. Da konnte er nachweisen, daß er nicht dabei gewesen sei.« »Warum brauchst du das Wort sogenannt