Auszug aus dem Deutschen Hausschatz (18. Jahrgang)


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Es tauchte nämlich jetzt am westlichen Horizonte ein weißer Punkt auf, welcher sich uns näherte. Bald erkannten wir einen Fußgänger, welcher so eilig lief, daß sein weißer Burnus wie eine Fahne hinter ihm her wehte. Es war Selim. Als er uns erblickte, mäßigte er seine Eile, welche eine Folge seiner Furchtsamkeit war. Nun, da er sich in unserer Nähe sah, fühlte er sich sicher. In Hörweite herangekommen, rief er uns zu:

»Hamdullilah! Preis sei dem Propheten, welcher Euch behütet hat vor der Wuth des langgeschwänzten schwarzen Teufels! Ihr seid errettet. Fallt auf die Kniee und betet das vorgeschriebene Gebet des Dankes!«


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Es war eine Lust, den Mann kommen zu sehen. Er warf die langen Beine von sich wie ein galoppierendes Kameel; die Arme bewegten sich wie Pendel; der Burnus flog; es sah aus, als ob jedes Glied an ihm in einer selbstständigen Bewegung sei. Aus diesem Grunde rief Ben Nil aus:

»Ja, das ist Selim, Selim Mikladar el idam.«

»Mikladar el idam; das ist richtig, und so soll er von heute an heißen,« antwortete der Lieutenant lachend.

Mikladar el idam bedeutet so viel wie Schleuderer der Knochen, und der alte Aufschneider wurde von nun an fast gar nicht anders als bei diesem Namen genannt. Er hatte von dem langgeschwänzten schwarzen Teufel gesprochen. Ich wußte wohl, daß der schwarze Panther so genannt wird; da wir aber ein solches Thier nicht gesehen hatten und es hier in der Wüste überhaupt keine Panther gab, glaubte ich, er spreche von der Gefahr, aus welcher ich den Lieutenant und Ben Nil errettet hatte. Darum antwortete ich, als er bei uns angekommen war und, nach Luft schnappend, stehen blieb:


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»Ja, sie sind befreit; sie mögen Allah danken, auch dafür, daß Du nicht bei Ihnen warst; denn hättest Du Dich mit bei ihnen befunden, so wäre es mir durch irgend eine Deiner Dummheiten unmöglich geworden, sie frei zu machen.«

»Dummheit?« fragte er im Tone des Gekränktseins. »Ich habe als Held gehandelt und Euch das Leben gerettet, und Du redest von Dummheit! Ich habe gemeint, Ehre und Ruhm zu ernten, und nun werden Beleidigungen mein Lohn!«

»Ruhm und Ehre! Wofür?«

»Dafür, daß Ihr mir das Leben zu verdanken habt.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Du kannst es sofort erfahren, wenn Du mir nur vorher erlaubst, Athem zu schöpfen.«

»Dann werde ich höchstens erfahren, daß Du vor lauter Angst so gerannt bist, daß Du keine Luft mehr hast.«

Er schlug die Hände zusammen und klagte mit seiner ausdrucksvollsten Miene:

»O Allah, o Muhammed! Warum ist es doch das Schicksal des Gerechten, verkannt und verleumdet zu werden! Gerade jetzt, da ich bewiesen habe, daß ich der berühmteste Mann meines Stammes und ein Held aller Helden bin, wird mir Angst und Furcht vorgeworfen!«

»Wann und wo hast Du es bewiesen?«

»Wo? Da hinten in der Nähe des heimlichen Brunnens. Und wann? Als Du kaum einige Minuten fort warst. Da kam er nämlich gerannt, der langgeschwänzte schwarze Panther.«

»Den hast Du dort in der Wüste gesehen?«

»Natürlich! Ich habe ihn nicht nur gesehen, sondern sogar mit ihm gesprochen.«

»Ah, Ihr habt Euch wohl neben einander gesetzt und einen Tschibuk geraucht?«

»Spotte nicht! Ich habe mit ihm gesprochen, aber nicht in Worten, auf welche er doch nicht gehört hätte, sondern durch mein Messer.«

»Allah, Allah!« rief ich in künstlichem Erstaunen aus.

»Schau, wie Du erschrickst! Und hörst nur den Namen des schwarzen Teufels. Du hättest aber ihn selbst sehen sollen!«

»Nun, wenn es Dir Spaß macht, so erzähle es einmal.«

Er stellte sich in Positur und berichtete, indem er seine Worte mit den ausdrucksvollsten Gesten begleitete:

»Also, Du warst kaum von mir geschieden, und ich blickte mich um, denn ich dachte, es könnten noch mehr Sklavenhändler kommen. Da sah ich ein riesenhaftes Thier auf der Fährte derer, welche uns überfallen hatten, auf mich zurennen. Erst glaubte ich, es sei ein Elephant; aber als ich es mir genauer betrachtete, sah ich, daß es ein Panther war. Aber was für ein Panther! Ich habe mit vielen Löwen und schwarzen Panthern gekämpft, und keiner ist mir entkommen; ihre Felle hängen alle zu meinem Ruhme in den Zelten unseres Stammes; aber so ein Vieh erblickte ich doch noch nie. Er war so groß wie ein ausgewachsener Elephant, ja, wohl noch größer; er war kein gewöhnlicher Panther, sondern ganz gewiß der Urahne aller langgeschwänzten Teufel, welche von ihm abstammen. Er hielt die Nase tief herab auf die Fährte und wollte, ohne mich zu beachten, an mir vorüberschießen. Da überlegte ich mir, was zu thun sei. Er hatte es auf die fünf Sklavenjäger abgesehen, und Ihr befandet Euch bei diesen. Traf er sie, so traf er auch Euch, vorerst gleich den Effendi, welcher ja seit kurzem erst unterwegs war. Wenn ich ihn laufen ließ, so waret Ihr alle verloren; er hätte Euch aufgefressen. Darum rief ich ihn an.«

»Das war kühn; nicht wahr, Selim?« meinte Ben Nil.

»Richtig, sehr richtig! Aber kühn bin ich stets gewesen, und so hat die Sache keine weitere Bedeutung. Er blieb stehen und sah mich an. Er überlegte, ob er mit mir anbinden solle oder nicht. Dort gab es mehrere, welche er fressen konnte, hier aber nur einen; aber da ich tapferer bin als alle Andern, so war bei mir mehr Ehre zu holen als bei Euch; das sagte sich der schwarze Teufel, und darum beschloß er, sich an mich zu wagen.«

»Das war ein lebensgefährlicher Entschluß!«

»Allerdings. Er mochte das auch denken, denn er warf die Ohren herüber und hinüber und macht ein ungemein bedenkliches Gesicht.«

»So hat er fast eine Stunde Zeit gebraucht, um sich zu besinnen, und Du hast ihn indessen erschossen!«

»Erschossen?« rief der Schleuderer der Knochen aus. »Was denkst Du von mir! Das wäre ja eine Feigheit gewesen!«

»Wieso? Der schwarze Panther ist weit gefährlicher als selbst der Löwe. Ein solches Thier zu erschießen, ist wahrhaftig keine gewöhnliche That.«

»Ja, wenn Du es thust, so will ich es Dir als Tapferkeit anrechnen; aber bei mir ist es doch etwas ganz Anderes; an mich wird die Nachwelt einen anderen Maßstab anlegen als an dich, wenn Dein Name ihr überhaupt überliefert wird. Ein Panther hat kein Flinte, sondern nur seine Krallen und Zähne; also ist es eine Feigheit, ihn von weitem zu erschießen. Der wahre Held kämpft mit ihm Auge in Auge, Brust an Brust - -«

»Nase an Nase und Großmaul an Großmaul!« fiel Ben Nil ein.

»Schweig'!« herrschte ihn Selim an. »Du freilich würdest nicht einmal auf ihn schießen, sondern vor ihm laufen, so weit Dich Deine Beine tragen. Ich aber ging ruhig und langsam auf ihn zu, warf die Flinte und die Pistolen weg und zog nur mein Messer. Ich sah es ihm an, daß er verlegen wurde. Er wedelte freundlich mit dem Schweife und duckte sich nieder wie ein Hund, welcher um Gnade bittet. Das rührte mich, denn ich habe ein gefühlvolles Herz. Fast hätte ich ihm das Leben geschenkt; aber dann wäre er Euch nachgeeilt, um Euch zu zerreißen. Darum zeigte ich ihm mein Messer und deutete ihm durch eine ernste, entschlossene Miene an, daß es zum Kampfe kommen müsse und er sich vertheidigen möge.«

»That er das?«

»Ja. Er vertheidigte sich aus Leibeskräften. Er richtete sich auf und schlug alle vier Pranken um meinen Leib. Da stieß ich ihm langsam und sicher mein Messer hinten in den Rücken und zog es vorn bei der Brust wieder heraus.«

»Durch's Herz?« fragte Ben Nil.

»Ja,« nickte der Lügner ernst und würdevoll.

»War er da todt?«

»Nein, noch nicht. Er ließ mich los, setzte sich nieder und leckte sich die beiden Oeffnungen der Wunde - -«

»Beide?«

»Natürlich! Durch das Lecken wurde das Blut nicht gestillt, und er sah ein, daß er sterben müsse. Das erregte seine Wuth, und er warf sich abermals auf mich - -«

»Da hast Du ihn wieder durchgestochen, doch diesmal nicht von hinten nach vorn, sondern von unten nach oben?«

»Halte den Mund! Wie ich zu stechen habe, das weiß ich ohne Dich. Ich habe aber gar nicht gestochen, sondern geschnitten.«

»Wohl den Kopf ab?«

»Ja. Er sah seinen Untergang vor Augen und ergab sich in sein Schicksal. Dir gegenüber hätte er sich freilich gewehrt, aber in dem Blicke meines Auges liegt selbst für so ein unvernünftiges Thier eine Macht, gegen welche es keinen Widerstand gibt. Ich schnitt ihm also den Kopf herunter und - -«

Er hielt inne, um zu überlegen, wie er fortfahren solle.

»Und - -?« fragte Ben Nil.

»Und - - ging meines Weges.«

»Du nahmst keine Trophäe mit, um uns zu beweisen, daß Deine Geschichte wahr ist?«

»Wozu das?« fragte Selim mit unnachahmlicher Ueberlegenheit. »Ein Held wie ich braucht keine Trophäe, und die Wahrheit meiner Worte steht in ganz Afrika außer Zweifel. Jedes meiner Worte ist wie ein Eid, bei dem Propheten und allen Khalifen geschworen. Kein Mensch, welcher zu denken und zu urtheilen vermag, wird einen Beweis von mir verlangen. Oder zweifelst etwa Du?«

»Nein. Von einem Zweifel kann gar keine Rede sein; aber mein Verstand vermag dem Deinigen nicht schnell genug zu folgen. Mich hätte der Panther erdrückt, wenn ich von ihm mit allen vier Pranken umarmt worden wäre.«

»Du mußt bedenken, daß meine Rippen wie von Eisen sind und daß ich die Stärke eines Löwen besitze.«

»Hat er nicht gebissen?«

»Das wagte er nicht, weil ich ein Amulet am Halse trage.«


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»Und dann, als er sich zum zweiten Male auf Dich warf, war er doch verwundet. Seine Wunde blutete, und ich sehe keinen Flecken an Dir!«

»Ich ging zum Brunnen zurück und kratze ihn auf. Es war so viel Wasser vorhanden, daß ich das Blut wegwaschen konnte.«

»Ohne die Kleider naß zu machen?«

»Dein Verstand ist wirklich ungeheuer gering. Siehst Du denn nicht ein, daß sie in der Sonne schnell trocknen mußten?«

»Das ist wahr, und nun begreife und glaube ich Alles, was Du erzählt hast. Du bist ein Wunder der Tapferkeit und ein Meister im Kampf mit Panthern, welche die Größe eines Elephanten besitzen.«

»Richtig, sehr richtig! Nehmt Euch ein Beispiel an dem leuchtenden Vorbilde, welches ich Euch gegeben habe!«

»Ich werde diesem Beispiele folgen. Soll das aber auch in Beziehung auf die Zeit geschehen?«

»Wieso? Erkläre Dich besser!«

»Du verrichtest Deine Heldenthaten stets und ohne Ausnahme zu einer Zeit, in welcher Du allein bist, in welcher sich Niemand bei Dir befindet.«

»Aus Bescheidenheit, aus reiner Bescheidenheit. - Mein Ruhm ist bereits so groß, daß er einer Steigerung nicht mehr bedarf. Es stört das Gleichgewicht meiner Seele, wenn man von meiner Kühnheit und Unüberwindlichkeit spricht. Darum begebe ich mich wenn der Drang der Heldenthaten mich erfaßt, stets in die Einsamkeit. Trotzdem gelingt es mir dabei stets, das Leben einiger Menschen zu retten. So auch heute. Ich habe den schwarzen Teufel ganz im Stillen getödtet und Euch doch dadurch das Leben erhalten. Ich bin überzeugt, daß Ihr das dankbar anerkennt und mir dafür diejenige Ehrerbietung widmet, welche Allah Euch im Buche des Lebens für mich vorgeschrieben hat.«

»Das werden wir ganz gewiß thun. Du mußt ja zugeben, daß wir Dir schon bisher mit ausgezeichneter Hochachtung entgegen gekommen sind.«

»Manchmal, manchmal ja! Aber meist habe ich mich zu beklagen gehabt, und Ihr habt es nur der Langmuth meiner geduldigen Seelenbeschaffenheit zu verdanken, daß es nicht schon längst zu einem Bruche gekommen ist. Von heute an aber werde ich strenger verfahren. Ruhm dem Helden, und Ehre dem Tapfern. Und weil ich der Tapferste der Helden bin, gebührt mir die Ehre aller Ehren und der Ruhm aller Rühmlichkeit. Ich habe mein Heldenthum bewiesen; was habt denn Ihr inzwischen gethan?«

»Dem Lieutenant und mir war es nicht vergönnt, uns durch kühne Thaten auszuzeichnen, denn wir waren gefesselt; der Emir aber hat es mit den Feinden muthig aufgenommen und sie in die Flucht geschlagen. Diese Kameele hat er getödtet.«

»Was für eine That ist es, einige Kameele zu erschießen! Ich aber habe den langgeschwänzten Teufel besiegt.«

»Das ist freilich etwas anderes. Wir wollen Deine That gerne feiern und uns ein Andenken an dieselbe mitnehmen. Wirst Du uns das gestatten?«


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»Welches Andenken meinst Du?«

»Das schwarze Fell des Panthers. Wir werden zurückkehren und es uns holen.«

»Dazu haben wir ja keine Zeit!«

»O doch! Wir werden trotzdem sehr leicht unser heutiges Ziel erreichen. Da liegt Dein Kameel. Steig' auf!«

Ben Nil that, als ob er das seinige besteigen wolle; da meinte der >Schleuderer, der Knochen< verlegen:

»Du würdest den Ritt jedenfalls ohne Erfolg machen. Der Panther ist nicht mehr da. Als ich ihn verließ, kam eine große Schaar von Geiern geflogen, und ich bin überzeugt, daß sie ihn aufgefressen haben.«

»Auch das Fell und die Knochen?«

»Alles, Alles, denn die Geier lassen bekanntlich von einem Panther nicht das Geringste übrig.«

Er wollte weiter sprechen, aber ich litt es nicht, und so zog er sich schmollend zurück und ritt, als wir aufgebrochen waren, in einiger Entfernung hinter uns drein.

Unsere Gegner hatte die nordöstliche Richtung, welche direct nach dem Bir Murat führte, eingeschlagen. Da sie nicht erfahren sollten, daß wir dasselbe Ziel hatten, hielten wir uns mehr östlich und ritten dann, als wir gewiß waren, sie überholt zu haben, auf den Schebel Mundar zum.


Einführung zu "Im Lande des Mahdi"


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