Auszug aus dem Deutschen Hausschatz (19. Jahrgang)


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Jetzt war Ibn Asl mit seinem ganzen Anhange vernichtet und unsere Aufgabe also erfüllt. Wir kehrten zurück, zunächst nach der Seribah Aliab, welche zerstört wurde. Unter Mitnahme derjenigen, die wir dortgelassen hatten, ging es mit den Djangeh nach dem See No und von da bis zur Mündung des Sobat, wo die Djangeh sich von uns trennten. Mit ihnen ging natürlich das zu ihnen gehörige Geschwisterpaar, welches ich in Kairo kennen gelernt hatte. Als wir dann nach Faschodah kamen, war der >Vater der Fünfhundert< ganz entzückt über unsere Erfolge und war gern bereit, die auf der Seribah Aliab genadigten Leute als Asaker in seine Dienst zu nehmen. In Chartum erfuhren wir, daß Barjad, der Kaufmann, gestorben sei. Was aus dem >Fakir aller Fakire< geworden ist, weiß alle Welt. Er hat es wirklich bis zum Mahdi gebracht.

Immer stromabwärts fahrend, legten wir später in Maabdah an, wo ich dem reichen Führer der Höhle seinen verlorenen Bruder brachte. Beide wollten mich zwingen, eine klingende Belohnung anzunehmen; ich schlug sie rundweg ab, und als sie dennoch weiter in mich drangen, adressiert ich ihren Wohlthätigkeitssinn an Ben Nil und Selim. Der erstere war es wert, und der letztere war es bedürftig. Die Genannten schifften sich reich beschenkt (besonders der brave Ben Nil) wieder mit uns ein. Sie wollten mit bis nach Kairo gehen, Ben Nil, um dann seine Verwandten in Gubator zu besuchen. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir Abu en Nil, seinen Großvater, bei uns hatten.

In Kairo verlebten wir noch einige Tage miteinander; dann galt es Abschied zu nehmen. Selim war natürlich der erste, welcher sich meiner Hand bemächtigte.

»Lebe wohl, Effendi!« sagte er. »Du kehrst in Deine Heimat zurück, bereichert mit Schätzen des Körpers und des Geistes, die Du durch meine Hilfe erworben hast. Du wirst dort keinen finden, der mir gleicht und Dich tagtäglich nach mir sehnen. Wenn Du es dann nicht mehr aushalten kannst, so komme getrost wieder. Du wirst, von meinen Strahlen erleuchtet, in meinem Schutze sicher wohnen.«

Der alte Maulheld hat sodann mit Hilfe des in Maabdah erhaltenen Geschenkes in Kairo ein kleines Häuschen gekauft und in demselben ein Maktab el idschwibi (* Institut der Auskunft und Belehrung.) gegründet, ist aber sehr bald wieder verarmt, weil kein Mensch gekommen ist, Belehrung von ihm zu verlangen.


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Als Ben Nil mir die Hand zum Abschiede reichte, stand sein Auge voller Thränen, und seine Stimme zitterte, indem er sagte:

»Mein Herz geht mit Dir, Effendi. Ich wollte, ich könnte auch fernerhin bei Dir sein und alle Gefahren mit Dir teilen. Ich will nicht lange reden, sonst stocken mir die Worte. Allah sei mit Dir. Kehre wieder, denn ich weiß, mich wird sehr nach Dir verlangen!«

Der gute Junge ist jetzt Besitzer einer eigenen Dahabijeh, mit welcher er seinen noch lebenden Großvater, seine Eltern und Geschwister ernährt. Auch hat er, als er von der Verarmung Selims hörte, diesen zu sich genommen, um ihm mehr ein Gnaden- als ein verdientes Brot zu gewähren.

Weniger herzlich war die Verabschiedung von dem Reïs Effendina. Er hatte es doch vielleicht nicht vergessen können, daß ich von dem Häuptlinge der Gohk zum Generalissimus ernannt worden war. Wir reichten uns die Hände, und damit war es gut. Ich habe ihn ebenso wir Ben Nil wiedergesehen, doch nur von fern; er sah auch mich, doch blieb sein Auge nicht auf mir haften. Er ist ein hoher Herr geworden.

Und noch einen habe ich wiedergesehen! Aber wen? Vor einigen Jahren besuchte ich einen Freund in Paris.

  »Ich habe etwas höchst interessantes für Sie,« berichtete er mir. »Darf ich es Ihnen zeigen?«

»Bitte, sogleich! Das Interessante hat man immer gern.«

Wir fuhren nach dem Jardin des plantes, wo, wie ich an den überall klebenden Affiches las, eine Sudanesenkarawane gastierte.

»Interessant für Sie, weil Sie mit diesen Leuten sprechen können,« meinte mein Freund. »Besonders auf einen mache ich Sie aufmerksam. Er ist der Adonis der Gesellschaft, trieft von Fett und Öl und verrät auch in sonstiger Beziehung eine höchst distinguierte Geschmackhaftigkeit. Ich kenne den Direkteur und werde Sie vorstellen.«

Infolge dieser Bekanntschaft durften wir aus dem Zuschauerraume auf die eigentliche Völkerwiese treten, wo ich das Vergnügen hatte, mich mit mehreren Mitgliedern der Karawane unterhalten zu können. Da trat aus einem Zelte eine sonderbare männliche Gestalt. Das Haupt dieses Mannes war unbedeckt - oder vielmehr stark bedeckt von tausend kleinen Löckchen, deren Fett in der Sonne förmlich glänzte. Auf seinen Schultern hing eine grüne, mit silbernen Tressen besetzte weite und nicht zugeknöpfte Weste. Brust und Arme waren von tiefer Schwärze und unbedeckt, aber um den Hals trug er eine Boa von Affenfell. Eine blau und gelb karrierte Badehose umhüllte seine Hüften. Die Beine waren nackt, zwei Hundehalsbänder abgerechnet, welche er über den Knieen festgeschnallt hatte, und die Füße steckten in grauen Filzschuhen, an deren Spitzen je drei lange, gelbe Hahnenfedern aufwärts stehend befestigt waren. In der rechten hielt er eine Reitpeitsche und in der Linken einen alten, rotseidenen Sonnenschirm. Ich ging auf ihn zu, um ihn anzureden. Er sah mich an, stutzte, that einen hohen Freudensprung, wobei er einen seiner Filzschuhe verlor, was ihn aber nicht zu kümmern schien, warf Schirm und Reitpeitsche fort, breitete die Arme aus und kam auf mich zugerannt, wie ein Tiger brüllend:

»Dazizeibrill, dazizeibrill, oy Allah, oy Allah, dazizeibrill! dazizeibrill!«

Er schlang die Arme um mich und drückte mich mit aller Gewalt an sich. Sein liebes Haupt ruhte in bohrender Bewegung an meinem tiefgerührten Herzen. Ich mußte wirklich Kraft anwenden, ihn von mir zu schieben, um sein Gesicht zu betrachten. Ja, er war es, der damalige Jüngling und Brillenbesitzer von Wagunda! Er schob sich wieder an meine Brust und weinte heiße Freudenthränen, welche ich durch das Geschenk eines Fünffrankenstückes stillen wollte, aber ganz im Gegenteile dreifach dicker rinnen machte. So umarmte er mich wieder und wieder, weinend und dazwischen brüllend: »Dazizeibrill, dazizeibrill!« Endlich beruhigte er sich soweit, daß ich mit ihm sprechen konnte. Mit meiner Kenntnis der Djangeh-Gohksprache war es freilich noch ebenso wie damals schlecht bestellt; er hatte indessen soviel Arabisch gelernt, daß er meine Fragen verstehen und leidlich beantworten konnte. Natürlich erkundigte ich mich auch nach jener Holden, mit welcher er damals am Felsen gestanden hatte. Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, so rannte er fort und brachte eine schwarze, weibliche Erscheinung herbeigezerrt, die er mir in die Arme scheluderte, höchst wahrscheinlich deshalb, weil auch ihre Lippen schrieen: »Dazizeibrill, dazizeibrill!« Es war seine Holde von dazumal; die beiderseitige Liebe war also sehr durabel gewesen. Da wurde das Zeichen zum Beginne der >Vorstellung< gegeben. Wir mußten scheiden, doch sah ich mich gezwungen, ihm vorher die Erlaubnis zu einem Besuche bei mir zu geben. Ich schrieb ihm Hotel Violet als meine Wohnung auf die Karte und bat dann auch seinen >Direkteur<, ihn dorthin zu dirigieren, denn dieses wenn auch etwas ungestüme Wiedersehen erfreute mich mehr wie jenes mit dem Reïs Effendina. - Die Scene hatte Aufsehen gemacht, und aus allen Zuschauerräumen waren die Augen und Lorgnons auf mich gerichtet. Wahrscheinlich hielt man mich nun auch für eine Sudanesen, für einen ausnahmsweise etwas weißeren. Als ich zu meinem Freunde trat, empfing er mich mit herzlichem Lachen, indem er auf meinen Anzug deutete. Ich blickte an mir nieder. Maschallah, wie sah ich aus! Das liebe Paar hatte sich um seine ganze Schönheit gebracht, denn sie war auf meinem Anzuge zurückgeblieben. Meine weiße Weste war gelb und meine lilla Kravatte braun geworden; die vordere Seite meines Rockes, nein, nicht nur das, sondern die vordere Seite meines ganzen Körpers, von den Knieen an aufwärts gerechnet, glänzte von Fett. Ich sah aus wie eine mit Firnis grundierte Malerleinwand. Ich konnte in diesem verfetteten Zustande natürlich keinen Augenblick mehr bleiben und floh mit Hilfe des nächsten besten Mietwagens davon, den diskreten Wänden meines Hotels entgegen.

Am nächsten Tage erzählte der Wirt während der Zweiuhr-Tafel, daß früh sechs Uhr zwei Schwarze, ein männlicher und eine weiblicher, dagewesen seien, um einen fremden, jedenfalls auch Schwarzen zu sprechen; sie hätten weder eine Karte noch sonst etwas Schriftliches bei sich gehabt, sondern nur immer


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den Namen dieses Fremden genannt, seien aber abgewiesen worden, da der Betreffende keinesfalls hier wohne. Ich ahnte natürlich den Zusammenhang und fragte nach dem Namen, welcher genannt worden war. Man hatte ihn der Sonderbarkeit wegen notiert und den Zettel dem Wirte gegeben. Dieser ließ ihn rund um die Tafel gehen. Jeder, der ihn las, schüttelte den Kopf, nur einer nicht, und dieser war ich, denn auf dem Zettel stand >Dazizeibrill-Effendi< geschrieben. - -


Einführung zu "Im Lande des Mahdi"


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