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Viertes Kapitel. In Tunis.

Ueber unsere Fahrt nach Alexandrien ist nichts zu sagen. Wir kehrten dort im Hotel ein, und dann ging Bothwell, um Hunter aufzusuchen. Wir hatten angenommen, daß es ihm gar nicht lieb sein werde, weitere Reisegesellschaft zu bekommen, waren aber mit dieser Voraussetzung irre gegangen, denn er kam bald darauf mit Emery zu uns, um uns zu sagen, daß es ihm angenehm sei, mit uns fahren zu können.

Wenn ich einmal nach reiflicher Ueberlegung eine Meinung gefaßt habe, so pflege ich dieselbe, selbst wenn es scheint, daß ich unrecht habe, wenigstens im stillen so lange festzuhalten, bis ich vollständig vom Gegenteile überzeugt worden bin. Besäße ich einen wankelmütigeren Charakter, so hätte ich beim Anblicke dieses jungen Mannes den Verdacht, den ich gegen denselben hegte, sehr wahrscheinlich fallen lassen. Er machte nämlich einen geradezu vortrefflichen Eindruck, und ich wunderte mich nun gar nicht mehr darüber, daß Emery ihn einen anständigen Mann genannt hatte. Es war weder in seinem Gesichte noch in seiner ganzen Erscheinung oder seinem Benehmen das Geringste zu entdecken, was unsern Ver-


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dacht [Verdacht] hätte bestätigen können. Er zeigte sich frei, offen und ohne alle Spur irgend einer Unsicherheit oder gar Bangigkeit, wie man sie bei einem Menschen, welcher auf unsicherem Boden steht, zu erwarten pflegt. Wir hatten uns entweder in ihm geirrt, oder er war trotz seiner Jugend schon ein vollständig klargeriebener Gauner.

Der Dampfer, den wir bestiegen, kam von den Palästinahäfen und wollte von Alexandrien aus über Tunis und Algier nach Marseille zurück. Als wir vier Personen an Bord kamen, trat uns der Kapitän sogleich mit der Bemerkung entgegen:

»Das Schiff ist kein Passagierschiff, Messieurs. Sie müssen sich also wieder zurückbemühen.«

Jetzt mußte es sich zeigen, ob der Kapitän benachrichtigt worden war, und es zeigte sich auch, denn Hunter antwortete:

»Nehmen Sie auch keinen Passagier mit, der Hunter heißt?«

»Hunter? Sind Sie dieser Herr?«

»Ja.«

»Dann dürfen Sie allerdings mitfahren, denn ich bin von Kalaf Ben Urik avisiert worden. Aber ich weiß nur von Ihnen, nicht aber auch von andern Passagieren.«

»Diese drei Herren sind Freunde von mir, von denen Kalaf Ben Urik nicht gewußt hat, daß sie sich mir anschließen würden. Wir würden Ihnen dankbar sein, wenn Sie auch für sie noch Plätze ermöglichten.«

»Da muß ich mich selbst und den ersten Offizier einschränken, denn ich bin nur auf Sie vorbereitet. Doch will ich dieses Mal Kalaf Ben Urik zuliebe eine Ausnahme machen und die Herren auch aufnehmen.«

Der französische Kapitän fühlte sich also dem tunesi-


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schen [tunesischen] Hauptmanne verbunden. Es schien, daß der letztere Verbindungen hegte, welche seinen Militärstand nichts angingen und vielleicht nebenbei allerlei heimliche Geschäfte betrieb, welche die Oeffentlichkeit scheuten. Denn auf welche andere Weise hätte der Führer eines Handelsfahrzeuges dem Offizier anders zur Dankbarkeit verpflichtet sein können? Dieser Umstand bestärkte mich in der vorgefaßten Meinung, welche ich über Kalaf Ben Urik hegte, und die Folge war, daß ich mich durch das scheinbar ehrliche und rechtliche Wesen Hunters nun erst recht nicht irre machen ließ.

Wir vier Personen bekamen zwei kleine Kajüten angewiesen, von denen jede nur Platz für zwei Mann hatte. Da fragte es sich nun, wer Hunter Gesellschaft zu leisten hatte. Einige Worte genügten, uns darüber zu verständigen, daß wir ihm da nicht vorgreifen, sondern ihm die Wahl zwischen uns lassen wollten; seine Entscheidung konnte und sollte uns als Fingerzeig dienen.

Zunächst wurden unsere Habseligkeiten in die eine Kajüte geschafft; dann machten wir, während das Schiff die Anker lichtete, es uns auf dem Decke bequem. Wir saßen da rauchend unter der Sonnenleinwand beisammen und unterhielten uns über allerlei, wobei ich bemerkte, daß Hunter uns heimlich auszuforschen trachtete. Es schien besonders, da er Emery bereits kannte, seine Absicht zu sein, mich auch kennen zu lernen. Ich gab mich so unbefangen wie möglich und war, um ihn zu gewinnen, sehr höflich mit ihm. Es wäre mir lieb gewesen, wenn er mich zu seinem Logisnachbar gewählt hätte, da ich dadurch Gelegenheit finden mußte, ihn genauer zu beobachten.

Meine Bemühungen schienen aber nicht von Erfolg zu sein, denn ich bemerkte einigemal, daß er, wenn ich


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ihn plötzlich und unerwartet ansah, sein Auge scharf auf mich gerichtet hielt und den Blick dann schnell von mir wendete. Ich hatte, wie ich genau wußte, nichts an mir, was ihm verdächtig vorkommen konnte; das Mißtrauen, welches er zu empfinden schien, konnte also nur eine Folge seines bösen Gewissens sein.

Später, als Alexandrien längst hinter uns lag und wir uns auf offener See befanden, trat er zu mir, als ich allein an der Brüstung stand und das Heben und Sinken der Wellen betrachtete. Vorhin hatten wir nur über Allgemeines gesprochen; Persönliches war nicht berührt worden. Jetzt aber war es wohl seine Absicht, sich über mich klar zu machen. Nach einigen einleitenden Fragen und Antworten über gleichgültige Dinge erkundigte er sich:

»Ich höre, daß Sie aus Indien kommen, Mr. Jones. Waren Sie lange dort?«

»Nur vier Monate. Geschäfte riefen mich hin.«

»Sind also wohl nicht engagiert, sondern selbst Besitzer eines Geschäftes?«

»Ja.«

»Würden Sie es für unbescheiden halten, wenn ich mich dafür interessiere, welcher Art dieses Geschäft ist?«

»Ich befasse mich nur mit zwei und zwar sehr profanen Gegenständen: Pelz und Leder,« antwortete ich absichtlich, weil der alte Hunter früher in Leder gearbeitet und gehandelt hatte.

»Das ist ein allerdings sehr einträglicher Geschäftszweig. Aber ich habe noch nie gehört, daß der Pelz- und Lederhandel auch Indien berührt!«

Da griff er mich allerdings an der schwachen Seite an; da ich aber einmal in Indien gewesen sein wollte, mußte ich mich herauszubeißen suchen.


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»Sie denken da wohl nicht an den ungeheuern Pelzertrag Sibiriens.«

»Gehen die Pelze von dort nicht nach Rußland?«

»Nach Rußland und China; aber ich bin ja Engländer; China liegt mir zu weit und zieht zu hohe Prozente von seinem Zwischenhandel; Rußland aber ist neidisch auf England und verhält sich beinahe ablehnend zu unsern Anfragen. Da haben wir uns denn des Umstandes erinnert, daß unsere indischen Besitzungen weit nach Hochasien aufsteigen; eine Handelsstraße von dort aus nach dem Baikalsee war leicht zu schaffen, und nun holen wir uns unsern Bedarf an sibirischem Pelzwerke über Indien, ohne dem Zaren oder dem chinesischen Kaiser gute Worte zu geben.«

»Ah, so! Ihre Hauptbezugsquelle ist aber wohl Nordamerika?«

»Für Häute die La Platastaaten und für Pelzwerk Nordamerika. Ich habe manche Sendung von New Orleans selbst herübergeholt.«

»New Orleans? Natürlich haben Sie dort auch Bekanntschaften gemacht?«

»Nur geschäftliche.«

»Sollten Sie trotzdem nicht auch auf meinen Namen gekommen sein? Mein Vater hat sich zwar längst zur Ruhe gesetzt, ist aber mit seinen dortigen Geschäftsfreunden in ununterbrochenem persönlichem Verkehr geblieben.«

Jetzt hatte er mich da, wo er mich haben wollte, ich ihn aber auch! Ich gab mir den Anschein, nachzusinnen, und antwortete dann:

Ihr Name? Hunter? Hm! Hunter - Hunter - - kann mich auf keine Firma dieses Namens besinnen. Hunter - -«


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»Nicht Firma, sondern Armeelieferant. Er hat viel, sehr viel in Leder gemacht.«

»Armeelieferant? Ah, das ist etwas anderes! Hunter, heißt das nicht auf deutsch Jäger?«

»Ja.«

»Ich habe einen steinreichen Herrn gesehen, welcher deutscher Abstammung war und Jäger geheißen hatte. Er war allerdings Armeelieferant gewesen und hatte den Namen Jäger in Hunter verwandelt.«

»Das war mein Vater! Sie haben ihn also gekannt?«

»Gekannt eigentlich nicht. Ich bin ihm einmal vorgestellt worden. Das ist alles.«

»Wo? Wann?«

»Das ist mir leider nicht mehr erinnerlich. Bei einem so vielbewegten Leben, wie das meinige ist, wird einzelnes leicht vergessen. Es wird aber jedenfalls bei einem Geschäftsfreunde gewesen sein.«

»Natürlich! Und da Sie ihn nicht näher gekannt haben oder kennen, so wissen Sie wohl auch nicht, daß er gestorben ist?«

Mit dieser Frage schoß er einen Bock, der gar nicht größer sein konnte. Ich setzte ihm auch schnell den Fuß zwischen die Thüre, indem ich fragte:

»Gestorben? Er ist tot? Seit wann denn, Mr. Hunter?«

»Etwas über ein Vierteljahr.«

»Sie befanden sich also zur Zeit seines Todes im Oriente?«

»Ja.«

»Haben Sie Geschwister?«

»Nein.«

»So mußten Sie eigentlich sofort heimkehren. Ein solches Erbe läßt man nicht so lange auf sich warten!«


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Er errötete und zog die Augenlider zusammen; er sah jetzt ein, welchen Fehler er begangen hatte. Um denselben wieder gut zu machen, erklärte er:

»Sie wissen nicht, daß ich die Nachricht von dem Todesfalle erst vor einigen Tagen erhalten habe.«

»So! Das ist freilich etwas anderes. Sie gehen jedoch nicht direkt nach Hause?«

Diese Frage brachte ihn abermals in Verlegenheit.

»Nicht gerade direkt,« antwortete er, »aber doch so schnell wie möglich. So sehr ich mich auch beeilen möchte und beeilen muß, ich bin doch gezwungen, Tunis zu berühren.«

Mit dieser Bemerkung gab er sich eine noch viel größere Blöße als vorher. Der Zwang also, der Zwang führte ihn nach Tunis! Um ihn ja nicht zur Ueberlegung, zum Erkennen seines Fehlers kommen zu lassen, fuhr ich schnell fort:

»Gezwungen? Wohl durch Ihre Verbindung mit Kalaf Ben Urik?«

»Wie kommen Sie darauf?« fragte er erstaunt, indem er mir einen schnellen, mißtrauischen Blick zuwarf.

»Auf die einfachste Weise von der Welt. Der Kapitän sprach ja von diesem Manne, den er zu kennen schien. Kalaf Ben Urik hat, wie ich hörte, ihm Auftrag gegeben, Sie von Alexandrien abzuholen. Daraus ist doch zu schließen, daß Sie mit dem Kalaf in enger Beziehung stehen?«

Er war gefangen, wenigstens halb. Seine Stirn legte sich in Falten. Er blickte einige Augenblicke vor sich nieder und sprach dann:

»Da Sie einmal gehört haben, was der Kapitän sagte, so bin ich zu entschuldigen, wenn ich gegen Kalaf eine Indiskretion begehe, indem ich Ihnen eine Bemer-


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kung [Bemerkung] über denselben mache. Sie werden ihn in Tunis sehen und - - reisen Sie von Tunis aus direkt nach Hause?«

»Wahrscheinlich.«

»Und ich gehe über England. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß wir dasselbe Schiff benützen, und da Kalaf vermutlich auch mitfährt, so würden Sie später doch erfahren, was ich Ihnen jetzt unnützerweise vorenthalten könnte. Kalaf ist nämlich Kolarasi.«

»Was ist das?« fragte ich, mich unwissend stellend. Offizier im Kapitänsrang. Er stammt aus den Vereinigten Staaten.«

»Wie? Was?« rief ich verwundert aus. »Ein Amerikaner? So ist er also Christ? Wie kann er da tunesischer Offizier sein?«

»Er ist zum Islam übergetreten.«

»O weh! Ein Abtrünniger!«

»Verurteilen Sie ihn nicht! Er hat mir über sein Vorleben nichts mitgeteilt; aber er ist ein Ehrenmann und kann nur durch schwere Schicksalsschläge zu dem Schritte, der Ihnen vielleicht unmöglich erscheint, gezwungen worden sein.«

»Nichts, gar nichts auf der Welt, kein Leiden, keine Marter, keine Drohung könnte mich bewegen, meinen Glauben abzuschwören!«

»Nicht jeder denkt so wie Sie. Ich verteidige Kalaf nicht, ich verurteile ihn aber noch viel weniger. Ich weiß nur, daß er sich fort sehnt und nicht fort kann. Ich will ihm dazu behilflich sein; ich will ihn befreien!«

»Befreien? Er braucht ja nur um seinen Abschied zu bitten!«

»Den bekommt er nicht, weil man ahnt, daß er dann wieder zum Christentume übertreten werde.«


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»So nimmt er einen Urlaub und geht über die Grenze!«

»Das ist leicht gesagt. Gesetzt, er bekäme den Urlaub und desertierte, was dann? Er ist arm. Wovon sollte er leben? Er braucht dann einen wohlhabenden Beschützer, welcher sich seiner annimmt.«

»Der werden Sie sein!«

»Ja. Ich nehme ihn mit nach Amerika, wo sich bei mir wohl ein Platz für ihn finden wird. Mit dem ersten Schiffe, welches den Hafen von Goletta verläßt, dampfe ich mit ihm ab, und da Sie dasselbe auch benutzen und ihn also sehen werden, habe ich Ihnen die Verhältnisse aufrichtig mitgeteilt. Vielleicht haben Sie, wenn ich eines Helfers bedarf, die Güte, mich zu unterstützen?«

»Mit größtem Vergnügen, Mr. Hunter,« antwortete ich, herzlich erfreut darüber, daß er gerade mich, seinen heimlichen Gegner, als Verbündeten engagierte. »In welcher Weise meinen Sie wohl, daß ich Ihnen behilflich sein könnte?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. Zunächst möchte ich Sie bitten, den Boten zwischen ihm und mir zu machen.«

»Den Boten? Wollen Sie denn nicht direkt mit ihm verkehren?«

»Nein, wenigstens nicht zunächst und nicht öffentlich. Sie geben wohl zu, daß ich, da ich einen Offizier heimlich entführen will, Ursache habe, im Verborgenen zu bleiben. Erführe man, daß ich seine Desertion unterstützt habe, so könnte ich später unangenehme Weiterungen davon haben. Ich habe erfahren, daß er von Tunis abwesend war, und weiß nicht, ob er jetzt schon wieder zurück ist. Das muß ich erfahren, ohne selbst Erkundi-


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gungen [Erkundigungen] darnach einziehen zu brauchen. Würden Sie die Güte haben, das an meiner Stelle zu thun?«

»Mit großem Vergnügen natürlich.«

»So will ich Ihnen sagen, daß ich nicht in Goletta, dem Vorhafen von Tunis aussteigen werde. Der Kapitän hat vielmehr die Weisung, mich schon bei Ras Chamart ans Land zu setzen. Von da aus begebe ich mich heimlich nach dem südlich von Tunis gelegenen Dorfe Zaghuan zu einem Freunde des Kolarasi; er ist Pferdehändler und heißt Bu Marama. Bei ihm bleibe ich verborgen, bis ich mit dem Deserteur zu Schiffe gehe, denn niemand soll erfahren, daß ich dagewesen bin und die Hand im Spiele habe. Sie aber fahren bis in den Hafen, erkundigen sich, ob Kalaf Ben Urik zurück ist, und kommen dann nach Zaghuan zu Bu Marama, um mir zu sagen, was Sie erfahren haben. Oder ist das zuviel von Ihnen verlangt?«

»Nein, gar nicht. Ich bin zwar Geschäftsmann und handle mit Leder und Pelzwerk, bin dabei aber noch ein wenig romantisch angelegt, sodaß ich mich Ihnen mit größtem Vergnügen zur Verfügung stelle. Es soll mich freuen, wenn es mir erlaubt ist, einen kleinen Beitrag zur Befreiung des Hauptmanns zu liefern.«

»So sind wir also einig; Sie unterstützen mich. Sie sind Freund mit Ernery Bothwell?«

»Ja.«

»So will ich Sie nicht von ihm trennen. Wohnen Sie also mit ihm zusammen, während Ihr Somali meine Kajüte mit mir teilen mag. Ist Ihnen das recht?«

Ich gab meine Zustimmung, da ich befürchtete, sein Mißtrauen zu erregen, falls ich mich ihm als Genossen anbieten würde. Uebrigens hielt ich es jetzt nicht mehr so wie vorhin für notwendig, ihn zu beobachten, weil ich


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ihm bei der Befreiung des Kolarasi helfen sollte und dabei jedenfalls viel besser erfahren konnte, was ich wissen wollte.

Jetzt war ich mehr als vorher überzeugt, mit wem ich es zu thun hatte. Der junge Mann war Jonathan Melton, und der tunesische Hauptmann war sein Vater Thomas Melton, der damals auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Hätte dieser Jonathan gewußt, daß ich den Brief bei mir in der Tasche trug, den er seinem Oheim Harry Melton, dem Satan, geschrieben hatte!

Er wollte in Tunis verborgen bleiben, angeblich um späteren Mißhelligkeiten infolge der Desertion des Hauptmanns auszuweichen; ich aber kannte den eigentlichen Grund, welchen er mir natürlich nicht mitteilte. Der eigentliche Small Hunter war auf irgend eine Weise nach Tunis zu dem Hauptmanne gelockt worden, um von diesem auf die Seite gebracht zu werden; ehe er verschwunden war, durfte natürlich sein Nachfolger, der sich für ihn ausgeben wollte, nicht erscheinen. Die Abwesenheit des Hauptmanns stand mit der Ermordung Hunters in engster Beziehung. Solange sie währte, war Hunter vielleicht noch zu retten; befand sich aber der Hauptmann jetzt wieder in Tunis, so war Hunter tot. Jetzt brannte mir das Deck des Schiffes unter den Füßen; ich hätte am liebsten den Hafen von Goletta vor mir sehen und über Bord springen mögen, um keinen Augenblick zur Rettung des Bedrohten zu verlieren.

Ebenso erging es Ernery, als er von mir hörte, was ich von dem falschen Hunter erfahren hatte. Winnetou war infolge seines kühleren Naturelles bedeutend ruhiger und ging, als es Abend geworden war, mit dem gefährlichen Menschen so ruhig und unbedenklich schlafen, als ob dieser der größte Ehrenmann sei.


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Die beiden Kajüten, welche uns angewiesen worden waren, lagen nicht nebeneinander; sie waren vielmehr durch zwei kleine Räume, deren Zweck ich nicht kannte, voneinander getrennt; also konnten diejenigen, welche sich in der einen befanden, nicht beobachten, was in der andern vorging. Dennoch sprachen wir, als ich mich mit Emery über unsere gegenwärtige Aufgabe unterhielt, nur leise miteinander; es geschah dies aus einer Vorsicht, welche wir aus Gewohnheit übten, obgleich sie höchst wahrscheinlich nicht notwendig war. Trotz allem, was ich von Hunter, den ich noch immer so nennen will, obgleich er nicht Hunter, sondern Jonathan Melton war, erfahren hatte, bedauerte Emery es lebhaft, daß dieser mich nicht zu sich einquartiert hatte; er meinte, ich hätte ihn, falls ich mit ihm dieselbe Kajüte bewohnt hätte, noch weit mehr ausfragen können, als es mir bis jetzt möglich gewesen war. Er behauptete, Winnetou könne uns als Schlafgefährte Hunters gar nichts nützen. Auch ich war dieser Ansicht; aber wir sollten sehr bald erfahren, daß wir uns geirrt hatten. Wir schliefen nämlich schon längst, als ich - es mochte zwei Stunden nach Mitternacht sein - durch ein leises Klopfen an unserer Thür aufgeweckt wurde. Dasselbe war so leise, daß Emery ruhig weiterschlief; meine Ohren waren geübter als die seinigen.

Ich lauschte. Das Klopfen wiederholte sich; ich stand auf, ging zur Thür und fragte, ohne dieselbe zu öffnen:

»Wer ist draußen?«

»Winnetou,« wurde leise geantwortet.

Jetzt öffnete ich. Der Apatsche trat ein. Er mußte uns etwas Wichtiges mitzuteilen haben.

»Es ist dunkel hier,« sagte er. »Können meine Brüder kein Licht anbrennen?«


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»So willst du uns nicht nur etwas sagen, sondern auch etwas zeigen?« fragte ich.

»Ja.«

»Ist es von Wichtigkeit?«

»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Hunter ging so heimlich und sorgfältig damit um. Es ist ein ledernes Ding, welches die Bleichgesichter eine Brieftasche nennen.«

»Du hast sie ihm heimlich abgenommen?«

»Ich habe sie ihm gestohlen, um sie so bald wie möglich wieder an die Stelle zu legen, von welcher ich sie genommen habe.«

»Hatte er sie in der Tasche?«

»Nein. Meine Brüder haben den kleinen Koffer gesehen, den er bei sich hat. Als ich mich gelegt hatte, stellte ich mich schlafend. Da öffnete er den Koffer, um die Gegenstände, welche sich darin befanden, zu ordnen. Es gab da auch eine Brieftasche, welche er aufschlug. Er nahm mehrere Papiere heraus, welche er las und dann wieder hineinlegte. Dabei betrachtete er mich so aufmerksam und mißtrauisch, daß ich annehmen mußte, die Brieftasche enthalte Heimlichkeiten, die niemand wissen dürfe. Ich nahm mir sogleich vor, sie ihm zu stehlen. Er legte die Tasche in den Koffer zurück, verschloß ihn und steckte den Schlüssel ein. Diesen also mußte ich haben. Als er dann eingeschlafen war, hat es lange, sehr lange gedauert, ehe ich ihm denselben aus der Hose ziehen konnte.«

»Alle Wetter! Du scheinst ganz bedeutende Anlagen zum Taschendiebe zu haben!«

»Ein Mann muß alles können, was er will; er darf es aber nur dann thun, wenn es gut und nützlich ist. Ich habe dann, während er weiterschlief, den Koffer geöffnet und die Brieftasche herausgenommen. Hier ist sie.


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Meine Brüder mögen sehen, ob sie etwas enthält, was sie brauchen können.«

Wir hatten an der Kajütendecke ein kleines Lämpchen hängen, welches vorhin, als wir uns schlafen legten, ausgelöscht worden war; dieses brannten wir jetzt wieder an. Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, daß Emery jetzt auch munter geworden war. Ich hatte natürlich die Thür wieder zugemacht und sie von innen verriegelt. Nun machten wir uns an die Durchsicht der Brieftasche.

Sie enthielt neben Wert- und anderen Papieren, welche uns nicht interessieren konnten, einige sorgfältig eingeschlagene Briefe, welche ich öffnete. Gleich der erste war geeignet, unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Er war in englischer Sprache geschrieben und lautete in deutscher Uebersetzung ungefähr:

»Lieber Jonathan!

Welch ein Glück, daß du hinter Hunters Rücken seine Postsachen vom Konsulate in Kairo holtest! Welch eine Nachricht! Sein Vater ist tot, und er soll nach Hause kommen! Daß es in Wirklichkeit so ist, wird dadurch bewiesen, daß sowohl die Behörde, als auch der junge Advokat, sein Freund, geschrieben haben. Natürlich wirst du dich in den Besitz des Erbes setzen; es wird das sehr leicht gelingen, und dann giebt es für mich die Mittel, mein trauriges Exil zu verlassen und anderswo ein besseres Dasein zu führen.

Ob ich mit deinem Plane einverstanden bin? Ich sage dir, er könnte gar nicht besser sein! Wir locken Hunter durch den Brief, den du im Namen des Advokaten geschrieben hast, nach Tunis. Du bist ein Tausendkünstler. Die Handschrift des Advokaten ist so täuschend nachgeahmt, daß es Hunter gar nicht einfallen kann, daran zu zweifeln, daß sein rechtsgelehrter Freund sich


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jetzt in Tunis befindet und in sehr wichtigen Angelegenheiten mit ihm sprechen will. Er wird sofort aufbrechen und die nächste Gelegenheit nach Tunis benützen.

Aber natürlich darfst du nicht mit ihm hierher kommen, denn da würde eure ungeheure Aehnlichkeit so auffallen, daß dieser Umstand später zur Entdeckung führen könnte. Du mußt einstweilen in Aegypten zurückbleiben. Um einen Grund dazu wirst du nicht verlegen sein; du kannst ja plötzlich krank werden. Wenn du dich dann in Alexandrien bei dem Griechen Michalis einlogierst, wird mein nächster Brief dich dort treffen. In demselben sage ich dir, was du weiter zu thun hast.

Höchst schlau ist es von dir, daß du in dem gefälschten Briefe Small Hunter an mich adressierst, indem du schreibst, daß der Advokat Fred Murphy bei mir wohne. Da kommt Hunter natürlich direkt zu mir, und ich werde dann Gelegenheit finden, ihn schnell und heimlich verschwinden zu lassen. Dann rufe ich dich, und du trittst an seine Stelle. Da du alle seine Verhältnisse so sehr genau und eingehend studiert hast, wird es dir nicht schwer werden, drüben in den Vereinigten Staaten als Small Hunter aufzutreten, wenigstens so lange, bis das Erbe ausgezahlt worden ist.«

Dies war der größere Teil des Briefes, und dieser bezog sich, wie man sieht, auf unser Unternehmen. Es folgten nun noch verschiedene anderweitige Bemerkungen, welche uns gleichgültig sein konnten, für den Adressaten aber wohl solchen Wert gehabt hatten, daß er ihretwegen das Schreiben aufbewahrt hatte. Sonst wäre es nicht nur unverständlich, sondern geradezu unbegreiflich gewesen, daß diese für ihn so gefährlichen Blätter nicht vernichtet worden waren. Sie enthielten den verbrecherischen Plan mit solcher Deutlichkeit verzeichnet, daß jeder


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Leser, dem sie durch einen Zufall, eine Unvorsichtigkeit in die Hände gerieten, sofort sehen mußte, um was es sich handelte, und dann förmlich gezwungen war, Anzeige zu erstatten.

Ganz ebenso verhielt es sich mit dem zweiten Briefe, welcher noch jüngeren Datums war und ungefähr folgendermaßen begann:

»Lieber Sohn!

Du hast deine Sache sehr gut gemacht. Es klappt alles vortrefflich. Small Hunter ist hier angekommen, hat mich aufgesucht und wohnt bei mir. Nur das eine paßt mir nicht recht, daß er in Kairo die Weisung hinterlassen hat, ihm etwaige Post- und andre Sachen an Musah Babuam hier nachzusenden. Er hat mir von dir erzählt und bedauert es lebhaft, daß er gezwungen gewesen ist, dich krank zurückzulassen. Natürlich hat er keine Ahnung davon, daß sein Vater gestorben ist.

Ganz selbstverständlich hat er mich sofort nach dem Advokaten Fred Murphy, seinem Freunde, gefragt. Ich war darauf vorbereitet und hatte mir eine glaubhafte Antwort ausgesonnen. Ich brauchte dieselbe aber nicht, denn der Zufall kam mir zu Hilfe.

Es haben sich nämlich die Uled Ayar gegen den Bei von Tunis empört, weil ihnen die Kopfsteuer, welche er erhebt, zu hoch ist, und ich habe den Befehl erhalten, mit meiner Atly bälüjül (* Schwadron.) sofort gegen sie aufzubrechen, um sie zu züchtigen und zur Strafe die doppelte Steuer zu erheben. Da nehme ich Small Hunter mit. Ich machte ihm das dadurch plausibel, daß ich ihm sagte, der Advokat habe ihn nicht so schnell erwartet und einen Ausflug in diese Gegend gemacht. Er ist so dumm ge-


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wesen [gewesen], dies zu glauben, trotzdem die Uled Ayar wenigstens hundertfünfzig Kilometer südlich von Tunis wohnen. Morgen geht es fort; es wird Kämpfe geben, und ich finde dabei die trefflichste Gelegenheit, dafür zu sorgen, daß er nicht zurückkehrt.

Nach meiner Berechnung wird die Expedition vier bis fünf Wochen dauern; dann kehre ich nach Tunis zurück. Du magst dich so einrichten, daß du um diese Zeit dort eintriffst. Mein Freund, der französische Kapitän Villefort, dampft von hier nach Alexandrien und wird dich dort aufnehmen. Er hat mir versprochen, dich nicht im Hafen, sondern schon vorher am Kap Chamart ans Land zu setzen, denn du darfst dich natürlich nicht eher öffentlich sehen lassen, als bis ich mit dir gesprochen habe. Erkundige dich, ehe du zu mir kommst, ob ich schon wieder zurück bin. Ist dies nicht der Fall, so mußt du im Verborgenen auf mich warten. Zu diesem Zwecke habe ich mit Bu Marama, dem Pferdehändler, gesprochen. Er wohnt im Dorfe Zaghuan, südlich von Tunis und ist mir sehr zu Dank verpflichtet. Er wird dich gern bei sich aufnehmen und dich so heimlich halten, daß kein Mensch von deiner Anwesenheit erfährt. Den Grund kennt er natürlich nicht.

Es versteht sich ganz von selbst, daß ich Small Hunter alles abnehme, was er bei sich trägt, und es dir mitbringe, damit du dich legitimieren kannst. Dann fällt es mir gar nicht ein, um Urlaub oder gar um meinen Abschied einzukommen, sondern ich desertiere einfach. Wir gehen mit dem nächsten Schiffe über England nach den Vereinigten Staaten. In England möchten wir eine kurze Zeit lang bleiben; ich habe Gründe dazu. Wir müssen nämlich unterwegs einige gute Bekanntschaften zu machen suchen, wo möglich vornehme Personen, welche


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dich als Small Hunter kennen lernen und nötigenfalls dann für deine Echtheit eintreten können.«

Nach diesen Zeilen folgten noch einige Seiten, welche Verhältnisse und Umstände behandelten, die uns nichts angingen; sie waren wohl der Grund, daß auch dieser Brief nicht vernichtet worden war.

Die übrigen Schreibereien enthielten nichts, was uns interessieren konnte. Wir hatten übrigens vollständig genug an diesen beiden Briefen. Sie waren so ausführlich, so klar, daß es gar nichts nachzudenken gab. Wir sahen den schändlichen Plan so offen vor uns liegen, als ob der Kolarasi ihn uns mündlich mitgeteilt hätte.

»Also nun wissen wir genau, warum er schon am Kap aussteigen will,« meinte Emery.

»Und warum er deine Bekanntschaft gesucht hat,« fügte ich hinzu.

»Yes. Ich habe ihn als Small Hunter kennen gelernt und soll, falls es notwendig sein sollte, für die Echtheit dieses Namens eintreten. Der Halunke soll von mir sehr deutlich hören, was an ihm echt oder unecht ist! Natürlich behalten wir diese beiden Briefe!«

»O nein! Wenn er sie vermißt, so schöpft er Argwohn und spielt uns irgend einen unangenehmen Streich!«

»Meinst du, daß du sie später wiederbekommst?«

»Ja.«

»Und wenn er sie aber inzwischen vernichtet?«

»Ich denke, hat er sie bisher so sorgfältig aufbewahrt, so werden die Gründe, infolge deren er dies gethan hat, wohl auch noch einige Zeit fortwirken. Wir lassen ihn ja nicht aus den Augen; er ist uns Sicher, und wir werden zu jeder Zeit wieder zu den Briefen kommen können.«

»Hast recht! Es gilt zunächst, ihn nicht mißtrauisch


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zu machen. Winnetou mag die Brieftasche wieder in den Koffer thun und diesen verschließen.«

Das war freilich keine leichte Aufgabe; aber hatte der Apatsche eine so große Geschicklichkeit bei der Entwendung des Schlüssels entwickelt, so stand zu erwarten, daß er beim Zurückgeben desselben sich auch nicht ertappen lassen werde. Er nahm also die Brieftasche wieder zu sich und schlich fort. Am andern Morgen berichtete er uns, daß der falsche Hunter geschlafen und also nichts davon gemerkt habe, daß der ebenso falsche Somali Ben Asra während der Nacht an seinem Koffer gewesen sei.

Auch den ganzen Tag über war Hunter ganz unbefangen gegen uns, doch wartete ich vergeblich, daß er die Rede wieder auf unsere Abmachung bringen möge; er that dies nicht. Jedenfalls fürchtete er meine Wißbegierde; er wollte nicht durch Fragen in Verlegenheit gebracht werden. Die folgende Nacht verging, und als der nächste Morgen anbrach, näherten wir uns dem Ziele. Jetzt kam er doch endlich zu mir und fragte:

»Sind Sie noch willens, mir den Gefallen zu thun, von welchem wir gesprochen haben?«

»Natürlich!« antwortete ich. »Was ich einmal verspreche, das pflege ich auch zu halten.«

»Sie wollen sich erkundigen, ob der Kolarasi in Tunis anwesend ist, und dann nach Zaghuan kommen, um es mir zu sagen?«

»Ja.«

»Sie können es am besten erfahren in den Kasernen nördlich von der Stadt. Wann darf ich Sie da wohl draußen in Zaghuan erwarten?«

»Wahrscheinlich schon am frühen Nachmittag.«

»Schön! Dann habe ich nur noch eine Bitte. Da ich den weiten Weg von Kap Chamart bis nach Zaghuan


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zurücklegen muß und dabei so wenig wie möglich auffallen darf, ist es für mich nicht geraten, meinen Koffer mit ans Land zu nehmen. Würden Sie die Güte haben, denselben bis in den Hafen in Ihre Obhut zu nehmen und dann durch einen Kofferträger zum Pferdehändler nach Zaghuan zu senden?«

»Recht gern.«

»So will ich mich jetzt von Ihnen verabschieden. Also bis auf Wiedersehen am Nachmittage!«

Er gab mir die Hand und ging nach seiner Kajüte. Auf einen Wink von mir folgte ihm Winnetou dorthin, was gar nicht auffallen konnte. Der Apatsche meldete mir sodann, daß Hunter die Brieftasche aus dem Koffer genommen und zu sich gesteckt habe. Das war's, was ich wissen wollte.

Am Kap ließ der Kapitän beidrehen, um ihn in einem Boote ans Land bringen zu lassen; dann dampften wir weiter nach dem Hafen, wo ich nicht verfehlte, den Koffer einem Hammal (* Lastträger.) zu übergeben.

Es fiel mir gar nicht ein, die versprochene Erkundigung in einer Kaserne einzuholen, sondern ich wollte gleich an die richtige Schmiede gehen, nämlich zu meinem Freunde Krüger-Bei. Wo dieser zu finden war, wußte ich genau. Er hatte zwei Dienstwohnungen, eine in der Kasbah, dem Palaste des Herrschers in der Stadt, und eine in Bardo, einer vier Kilometer von der Stadt gelegenen starken Burg, welche der Sitz der Regierung ist. Meine Gefährten in einem Hotel der untern Stadt lassend, ging ich zunächst nach der Kasbah, wo er nicht war; darum spazierte ich dann hinaus nach dem Bardo. Jeder Schritt war mir bekannt, denn ich hatte während


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meiner beiden frühern Aufenthalte diesen Weg sehr oft hinaus zu meinem ebenso lieben wie originellen »Herrn der Heerscharen« gemacht.

Im Bardo angekommen, sah ich, daß in Beziehung auf die Lokalitäten, nach denen ich wollte, nichts verändert worden war. Im Vorzimmer saß ein alter Unteroffizier, welcher, wie ich wußte, die Kommenden anzumelden hatte. Er rauchte seinen Tschibuk und hatte den Säbel gemütlich abgeschnallt und neben sich liegen.

»Was willst du?« fragte er mechanisch, ohne mich anzusehen.

Ich kannte ihn sehr gut, dieses alte Inventarstück des »Herrn der Heerscharen«. Er war mein Liebling gewesen, damals noch Onbaschy (* Korporal.), jetzt aber, wie ich sah, zum Tschausch (* Feldwebel.) aufgerückt. Der biedere, graubärtige Moslem mußte jetzt weit über sechzig Jahre zählen, sah aber noch so rüstig aus wie damals, als er meinen Führer zu den Uled Sand gemacht hatte. Er hieß eigentlich Selim, wurde aber stets nur der alte »Sallam« genannt, weil er dieses Wort stets im Munde führte und ihm, wie man bald sehen wird, alle möglichen und unmöglichen Bedeutungen unterlegte. Wenn er »o Sallam!« ausrief, so konnte dies ebensowohl o Wonne, wie 0 Schande, o Freude, 0 Unglück, welche Schlechtigkeit, wie herrlich, wie entzückend, wie armselig, wie schändlich und hundert anderes bedeuten. Es kam nur darauf an, wie er es aussprach, welche Miene er dabei zeigte und welche Armbewegungen er dabei machte.

»Ist der Herr der Heerscharen daheim?« antwortete ich auf seine Frage.

»Nein.«


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Er sah mich noch immer nicht an. Ich kannte das. Er ließ seinen Obersten nie eher daheim sein, als bis er ein Backschisch erhielt.

»Aber ich weiß, daß er da ist!« entgegnete ich. »Nimm diese fünf Piaster, und melde mich an.«

»Gut! Da Allah dir den Verstand so hell erleuchtet, sollst du zu ihm dürfen. Gieb also her und -«

Er stockte. Er hatte, indem er diese Worte sprach, den Blick nun doch zu mir erhoben. Er sah von der Hand, mit welcher ich das Geld ihm entgegenhielt, in mein Gesicht, ließ den angefangenen Satz fallen, sprang empor und rief freudig aus:

»O Sallam, Sallam, Sallam, abermals Sallam und dreimal Sallam! Du bist es, o Wonne meiner Augen, o Glanz meiner Seele, o Entzücken meines Angesichtes! Allah führt dich zur rechten Zeit zu uns; wir brauchen dich. Laß dich umarmen, und behalte dein Geld; behalte es! Lieber mag mir die Hand verdorren, als daß ich von dir ein Bakschisch nehme, wenigstens heute; später kannst du es mir doppelt geben.«

Er umarmte und küßte mich und rannte dann ins Nebenzimmer, wo ich ihn laut »o Sallam, Sallam, Sallam!« rufen hörte. Man denke ja nicht, daß ich zornig darüber war, von einem einfachen Unteroffizier umarmt und geküßt zu werden, o nein! Seine Freude war aufrichtig. Zwar hatte er sein Gesicht wohl wochenlang nicht gewaschen; sein grauer Bart hing voller Hammelfett, welches beim Essen auf denselben tropfte und nie entfernt wurde, wenn es nicht von selbst abfiel, und sein Mund roch nach dem Safte der Pfeife, die wohl nie gereinigt worden war; aber ich wischte mir die Lippen erst mit dem rechten Aermel ab, wischte dann mit dem linken tüchtig nach und freute mich herzlich darüber, meinen


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alten Sallam so wohl und munter wiedergefunden zu haben. Der Mensch darf sich nicht überheben. Vielleicht giebt es Personen, welche, wenn ich sie küßte, sich den Mund ebenso abwischen würden - besonders wenn mir vorher der alte Sallam einen Kuß gegeben hätte!

Nun war ich gespannt auf das Wiedersehen mit Krüger-Bei. Ich durfte überzeugt sein, von ihm sogleich mit einem seiner deutschen Rattenkönigsätze empfangen zu werden. Die Thür wurde aufgerissen. Sallam trat heraus, packte mich beim Arme, schleuderte mich hinein und rief dabei:

»Da ist er, der von Allah Gesandte! 0 Sallam, Sallam!«

Dann machte er die Thür hinter mir zu. Ich befand mich im Selamlük des Herrn der Heerscharen, welcher vor mir stand, etwas gealtert, etwas gebeugter als früher, aber mit leuchtenden Augen und lachendem Angesichte. Er streckte mir beide Hände entgegen und begrüßte mich mit den schönen deutschen Worten:

»Ihnen hier? Ihnen hier im Tunis? Ich bitte Ihnen, zu wollen nehmen den Empfang auf herzliche Willkommen zu richten die edle Freundschaft desselbiges Gefühle in Ueberraschung den schönen Augenblick auf Ansicht der Gegenwart wegen tausend Grüßen bei hundert Empfindungen zu sein gewesen und wollen zu bleiben Ihnen der Freund und Sie der Bruder wegen Deutschland und trotzdem immer Afrika!«

Wer diese Worte so schnell wie möglich liest, bekommt wenigstens einen ungefähren Begriff von der virtuosen Art und Weise, in welcher der liebe Krüger-Bei seine Muttersprache zu handhaben pflegte. Er umarmte und küßte mich ebenso herzlich oder noch herzlicher als der alte Sallam, zog mich auf seinen Teppich nieder, auf


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welchem er gesessen hatte, und fuhr eifrig fort; aber ich kann seinen Satzbau meinen Lesern nur etwas korrigiert bieten, sonst verstehen sie keine Zeile davon.

»Setzen Sie Ihnen nieder! Setzen Sie Ihnen, setzen Sie! Mein alter Sallam werden bringen Pfeife und Kaffee mit geschnellter Ungeheurigkeit, um Sie zu beweisen den verzückten Zustand, daß Sie heute so plötzlich hiehergekommen sind. Wann sind Ihnen angekommen?«

»Soeben erst aus Aegypten.«

»Haben Sie Wohnung im Hotel zu nehmen gesonnen sein?«

»Noch nicht fest, wenigstens für mich nicht. Meine Freunde aber haben sehr wahrscheinlich jetzt eingemietet. ich habe zwei Begleiter mit.«

»Wem?«

»Erinnern Sie sich noch meiner Erlebnisse in der algerischen Wüste?«

»Ja. Die Raubkarawane, die famoser Engländer tot zu schlagen und Gefangener befreit nach Hause geführt.«

»Richtig! Dieser famose Engländer, Emery Bothwell, ist mit hier. Und erinnern Sie sich aus meinen früheren Erzählungen des Apatschenhäuptlings Winnetou?«

»Mit genauer Unvergänglichkeit für das Andenken Ihrer amerikanischer Indianer, bei denen Winnetou Ihr Hauptfreund.«

»Ja. Und dieser Indianerhäuptling ist auch mit da. Ich werde Ihnen erzählen, aus welchem Grunde und zu welchem Zwecke ich mich mit diesen beiden außergewöhnlichen Männern vereinigt habe.«

»Ja, Sie werden mir alles sagen,« begann er und erkundigte sich angelegentlich, ob Winnetou auch seine Silberbüchse und ob ich meinen Löwentöter und meinen


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Henrystutzen mitgebracht habe. Er bediente sich jetzt der arabischen Sprache, in welcher er keine Fehler machte. Ich bejahte und fragte sodann:

»Aber warum fragen Sie so angelegentlich nach unsern Waffen?«

»Weil wir sie gebrauchen können.«

»Wieso denn?«

»Weil ich morgen aufbrechen werde gegen die Uled Ayars, die sich wegen der Kopfsteuer empört haben.«

»Die Uled Ayars haben sich empört? Davon habe ich freilich schon gehört. Sie wollen die Kopfsteuer nicht zahlen. Aber ich denke, Sie haben schon Streitkräfte gegen sie geschickt?«

»Doch, aber gestern ist ein Bote gekommen, um zu melden, daß meine Reiter nicht nur ihren Zweck nicht erreicht haben, sondern sogar von den Ayars umzingelt worden sind. Der Bote ist der einzige, welcher entkommen ist.«

»Wo sind Ihre Leute umzingelt worden?«

»Bei den Ruinen von Mudher.«

»Ich kenne den Ort nicht, aber es ist jedenfalls eine Gunst des Umstandes, daß sie nicht auf freiem Felde eingeschlossen worden sind. In den Ruinen finden sie Deckung und können sich möglicherweise so lange halten, bis Hilfe kommt. Es ist da überhaupt ein ganz unverzeihlicher Fehler begangen worden. Die Uled Ayars sind ein tapferer Stamm, und nach dem, was ich von ihnen weiß, vermute ich, daß sie gegen tausend Reiter zusammenbringen können. Ist das richtig gerechnet?«

»Vielleicht neunhundert.«

»Hundert mehr oder weniger bleibt sich gleich; eine einzige Schwadron gegen einen solchen Stamm war auf


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alle Fälle zu wenig. Hat die Schwadron denn tüchtige Offiziere?«

»O ja! Der Kapitän oder Rittmeister ist wegen seiner Klugheit und Tapferkeit mein Liebling geworden. Er heißt Kalaf Ben Urik.«

»Ein Araber, Türke, Maure oder Beduine?«

»Keins von allen vieren. Er ist in England geboren, in Aegypten unters Militär getreten und nach Tunis gekommen, bald Unteroffizier geworden und dann immer schneller avanciert. Er hat sich fortwährend ausgezeichnet und ist endlich Kolarasi geworden und mit der jetzigen Expedition gegen die Uled Ayars betraut.«

»Ein so tüchtiger Mann ist dieser Kalaf Ben Urik? Hm! Wie kommt es da, daß er die Unvorsichtigkeit begangen hat, den gefährlichen Zug mit nur einer einzigen Schwadron zu unternehmen? Wollte der Pascha nur soviel hergeben?«

»Ja,«

»Oder hielt sich Kalaf Ben Urik für so tüchtig, seine Aufgabe mit so wenigen Streitkräften lösen zu können?«

»Auch. Er sagte, daß jeder seiner Leute die Geschicklichkeit und den Mut besitze, um es mit zehn Feinden aufzunehmen.«

»Wo brach er zu dem Zug auf?«

An Uneka.«

»Also auf der Karawanenstraße nach dem Süden. Ist nicht vielleicht ein Fremder bei ihm gewesen?«

»Ja.«

»Wer war der Mann? Wissen Sie es?«

»Nein.«

»Ich denke doch, daß der Kalaf Ben Urik Sie hat um Erlaubnis fragen müssen, wenn es seine Absicht ge-


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wesen [gewesen] ist, einen Fremden, welcher nicht zur Truppe gehört, mitzunehmen?«

»Als oberster Kommandant der Truppe hat er die Erlaubnis, mitnehmen zu dürfen, wen er will.«

»So! Also brauchte er nicht zu fragen. Mit wieviel Leuten wollen Sie denn nun zu seinem Entsatze nachziehen?«

»Mit drei Schwadronen. Morgen nachmittag geht es los.«

»Also wohl zur Zeit des Asr (* Asr = die Zeit des Nachmittaggebetes um 3 Uhr.)?«

»Ja.«

»Leider glauben die Moslemin, daß jeder Zug mißglückt, welcher nicht zur Zeit des Asr begonnen wird; dadurch aber geht ein ganzer Tagesmarsch verloren. Man sollte bedenken, daß gerade dieser Zeitverlust, so kurz er ist, das Verderben derer, die Sie retten wollen, herbeiführen kann. Ich würde keinen Augenblick zaudern, sondern sofort aufbrechen, und wenn es mitten in der Nacht wäre.«

»Sie haben sehr recht; aber das Asr hat immer das Asr zu bleiben und dem Befehle des Pascha darf kein anderer Wille entgegentreten.«

»Wenn Mohammed es Sadok Pascha es so befohlen hat, dann ist allerdings nichts zu ändern. Sie müssen warten bis morgen nachmittag.«

»Und Sie reiten doch jedenfalls mit uns? Und auch Ihre beiden berühmten Begleiter?«

»Hm! Ich habe nichts dagegen. So ein Kriegszug ist mir eben recht. Und was Winnetou und Emery betrifft, so denke ich, daß sie sich auch mit anschließen werden.«


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»Es freut mich ungemein, das zu vernehmen. Die zwei Herren dürfen natürlich nicht im Hotel bleiben, sondern ich lade sie hiemit ganz dringend ein, sich sogleich als meine lieben Gäste zu mir zu begeben.«

»Gut, lassen Sie die beiden Freunde holen. Da sie kein Gepäck bei sich haben, so genügt es, ihnen zwei Pferde zu senden. Ich habe natürlich auch kein Pferd. Wenn wir Sie auf Ihrem Zuge gegen die Uled Ayars begleiten sollen, müssen Sie uns also beritten machen. Dabei brauche ich wohl nicht zu erwähnen, daß Winnetou und Emery Bothwell verwöhnt sind und nicht etwa niedrige Anforderungen an ein gutes Reitpferd stellen.«

»Ganz so wie Sie auch. Aber machen Sie sich keine Angst. Sie kennen mich und haben die Sicherheit, daß Ihnen die allerbesten Pferde zur Verfügung stehen.«

»Das nehmen wir dankbar an. Und da wäre es mir lieb, wenn Sie mir ein Pferd gleich jetzt geben ließen. Ich muß natürlich nach der Stadt zurück und habe auch einen kleinen Ritt nach Zaghuan vor.«

»Zu welchem Zweck?«

»Das werde ich Ihnen später mitteilen, wenn mehr Zeit dazu vorhanden ist. Dann werden Sie auch erfahren, was wir drei Männer eigentlich in Tunis wollen. Jetzt bitte ich Sie um Beantwortung einiger Fragen. Haben Sie Beweise, daß Kalaf Ben Urik Engländer gewesen ist?«

»Nein.«

»Was für ein Unterthan ist er jetzt?«

»Tunesischer.«

»Gesetztenfalls, er verübte ein Verbrechen, so hätte also nicht der Vertreter seines Heimatlandes, sondern der Pascha darüber zu richten?«

»Ja. Aber Kalaf Ben Urik ist der größte Ehren-


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mann [Ehrenmann] und strengste und gläubigste Moslem; ich schwöre jeden Eid auf ihn und dulde keinen Angriff auf meinen Liebling.«

Er hatte diese Worte in einem so strengen und nachdrücklichen Tone gesprochen, daß ich wohl einsah, wie hoch Kalaf Ben Urik in seinem Ansehen stand. Darum wurde das, was ich mir gleich erst vorgenommen hatte, zum festen Beschlusse: Ich wollte Krüger-Bei jetzt noch nicht mitteilen, was wir gegen seinen »Liebling« vorhatten. Da er in dieser Weise von demselben eingenommen war, so stand zu erwarten, daß der alte Herr der Heerscharen uns einen recht unzeitigen Strich durch die Rechnung machen würde. Ich brach also schnell von diesem Thema ab und lenkte das Gespräch auf andere Dinge. Wir teilten uns unsre Erlebnisse mit, rauchten einen köstlichen Dschebeli und tranken dazu den Kaffee, den der alte Sallam immer wieder erneuerte, und unterhielten uns von allem möglichen, aber nur nicht von dem, was ich auf dem Herzen hatte. Endlich mußte ich aufbrechen, doch nur, um bald wiederzukommen. Krüger-Bei begleitete mich, was er nur mit hohen Respektspersonen zu thun pflegte, bis hinaus vor die Thür, wo ein herrlicher Fuchshengst stand, den er für mich hatte satteln lassen. Auf diesem ritt ich zunächst ins Hotel, um meinen Gefährten zu melden, daß sie als Krügers Gäste abgeholt werden sollten, und ihnen zu sagen, daß ich in Beziehung auf Kalaf Ben Urik eigentlich einen Mißerfolg zu verzeichnen hatte. Es war nicht anzunehmen gewesen, daß der raffinierte Mensch gerade auf den für uns so hinderlichen Gedanken kommen werde, sich so tief in die Gunst meines alten Herrn der Heerscharen einzufressen. So lieb mich dieser hatte und so große Stücke er auf mich hielt, ich wußte dennoch, daß


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ich mit einer bloßen Anklage nichts ausrichten, sondern ihm gleich mit den unwiderleglichsten Beweisen ins Haus fallen müsse. Der alte, sonst so liebe und gute, aber überaus hartnäckige Oberst der Leibwache war im stande, sich seines Lieblings auf eine Weise anzunehmen, daß uns dieser vollständig entzogen wurde. Er mußte also überrumpelt werden.

»Aber wie soll das geschehen? Wie sollen wir ihn überrumpeln?« fragte Emery.

»Durch den falschen Hunter,« antwortete ich.

»Wieso?«

»Indem ich jetzt hinaus zu diesem reite und ihn überrede, nicht in Zaghuan auf die Rückkehr seines Vaters zu warten, sondern den Zug gegen die Uled Ayars mitzumachen. Ich bin überzeugt, daß das plötzliche und so ganz unerwartete Wiedersehen seinen Vater Kalaf Ben Urik so außerordentlich überraschen wird, daß er sich ganz gewiß eine Blöße giebt, die uns befähigt, ihn festzunehmen.«

»Kein übler Gedanke! Aber wodurch willst du den Sohn bewegen, mitzugehen?«

»Das überlasse nur mir! Ich werde ihm die Sache so plausibel machen, daß er mir selbst anbietet, mitzureiten. Denk dir den Schrecken des Kolarasi, wenn er ihn sieht, und das Entsetzen, wenn er mich erkennt, Old Shatterhand, der ich von seinem Vorleben ganz genau unterrichtet bin. Es müßte ihm geradezu der Teufel beistehen, wenn er dabei nicht etwas thäte oder wenigstens etwas sagte, was den Herrn der Heerscharen überzeugte, daß er einem Raubtiere in Menschengestalt seine Liebe geschenkt hat. Jetzt reite ich nach Zaghuan; ihr werdet bald abgeholt werden.«

»Warte noch einen Augenblick! Es giebt dabei einen


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Umstand, an den du nicht zu denken scheinst und der doch von großer Wichtigkeit ist. Krüger-Bei weiß natürlich, daß du ein Deutscher bist und kennt auch deinen wirklichen Namen?«

»Natürlich!«

»Auch hast du ihm gesagt, daß Winnetou, der Apatsche, bei dir ist?«

»Auch das.«

»Und da soll dieser falsche Hunter mit uns reiten? Da wird er ja erfahren, daß du ihn belogen hast!«

»Wieso?«

»Weil wir ihm weisgemacht haben, du seiest ein Engländer Namens Jones, und Winnetou hält er gar für einen Somali, welcher Ben Asra heißt.«

»Was schadet das?«

»Was es schadet? Sonderbare Frage! Bist doch sonst nicht so schwer von Begriffen! Es ist ja unterwegs ganz unausbleiblich, daß er eure richtigen Namen hört. Dann wird und muß er Verdacht schöpfen.«

»Brauchtest du gar nicht zu erwähnen. Ich werde ihn glauben machen, daß wir nicht ihn, sondern den Herrn der Heerscharen täuschen.«

»Hm, mag sein! Aber ob dir das gelingen wird?«

»Ganz gewiß. ich sage dir, je raffinierter ein Mensch im Bösen ist, desto leichter ist er zu übertölpeln.«

Da wurde an die Thür geklopft, und der alte Sallam trat ein. Er war von seinem Herrn mit zehn Reitern geschickt worden, um Winnetou und Emery abzuholen, eine Ehrenerweisung, welche bewies, wie gern Krüger-Bei uns bei sich sah. Emery bezahlte die kleine Hotelrechnung, und dann setzte sich die Kavalkade nach dem Bardo in Bewegung; ich aber ritt hinaus nach Zaghuan.

Dort angekommen, war es mir gar nicht schwer, die


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Wohnung Bu Maramas zu erfragen. Zu ihm als Pferdehändler kamen gewiß viele Leute, und so konnte wohl auch meine Person niemandem auffallen. Ich hielt vor einem langen, schmalen, niedrigen, weißgetünchten Hause, welches nur aus dem Erdgeschosse bestand und ein plattes Dach hatte. Marama kam selbst heraus, öffnete das Thor und ließ mich in den Hof reiten, wo in mehreren eingehegten Abteilungen Pferde zum Verkaufe standen. Er betrachtete erst meinen Fuchs und dann mich mit verwundertem Blicke und fragte dann, mich, indem ich abstieg, mit stechendem Blicke betrachtend:

»Kommst du, dieses Pferd zu verkaufen?«

»Nein.«

»Das ist gut, denn dann wärst du ein Pferdedieb. Ich kenne den Fuchs. Er ist ein echter, maurischer Henneschah-Hengst und das Lieblingspferd des Herrn der Leibwache unsers Pascha. Er muß dir ein sehr großes Vertrauen schenken, da er dir dieses kostbare Tier zum Reiten anvertraut.«

»Er ist mein Freund.«

»Dann sage ihm, daß ich sein und auch dein geringster Diener bin! Welchen Wunsch kann ich dir erfüllen?«

»Es ist heut ein Fremdling bei dir angekommen, welcher verborgen bleiben will?«

»Davon weiß ich nichts. Wer hat dir das gesagt?« fragte er, sichtlich betroffen darüber, daß ein Freund Krüger-Beis nach der Person fragte, welche er bei sich versteckt hielt.

»Sage immer die Wahrheit; du darfst mir vertrauen. Ich bin mit dem Fremden zu Schiff gekommen und habe dir durch einen Hammal seinen Koffer geschickt. Sage ihm, daß ich mit ihm sprechen möchte.«


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»Er wird dich wohl schwerlich empfangen,« meinte er noch immer mißtrauisch. »Mein Gastfreund will gerade vor dem, dessen Freund du bist, verborgen bleiben. Wie kann er sich da deinen Augen zeigen! Ich werde gleich erfahren, ob du wirklich derjenige bist, den er erwartet. Woher und wann bist du mit dem Schiff gekommen?«

»Von Alexandrien, heute früh.«

»Wo ist der Fremdling, mit dem du reden willst, gelandet?«

»Am Ras Chamart.« »Aus welchem Lande stammst du?«

»Aus dem Belad el Ingeliza (* England.).«

»Und wie ist dein Name?«

»Jones.«

»Deine Antworten stimmen, und ich muß dich also zu ihm führen. Doch sage mir, ob der Oberst der Leibwache weiß, wohin du geritten bist.«

»Er weiß es nicht.«

»Aber du wirst es ihm sagen?«

»Das fällt mir nicht ein. Ich weiß, daß du ein Freund des Kolarasi Kalaf Ben Urik bist und nur diesem zu Gefallen den Fremden bei dir aufgenommen hast. Ich schenke dem Kolarasi eine sehr große und sehr lebhafte Teilnahme; ich kenne seinen Willen, seine Wünsche und Absichten noch viel genauer, als du sie kennst, und so bitte ich dich, dein Mißtrauen fallen zu lassen und mich zu deinem Gaste zu führen. Ich habe ihm sehr wichtige Dinge mitzuteilen, welche keinen Aufschub erleiden dürfen.«

»So komm! Ich werde dich zu ihm führen.«

Es war allerdings kein Wunder, daß der Pferde-


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händler [Pferdehändler] mir nicht traute. Er war, wenn auch nicht geradezu von Thomas Melton in das Geheimnis gezogen, aber doch jedenfalls von diesem mehr oder weniger unterrichtet worden und wußte also, daß die Obrigkeit von der Anwesenheit seines Gastes nichts wissen sollte. Ich kam nun auf dem Pferde eines Beamten geritten, welcher zu den höchsten Personen der Obrigkeit gehörte, und je wertvoller das Pferd war, in desto größerem Vertrauen mußte ich bei diesem Herrn stehen. Dies war freilich geeignet, ihn zur Vorsicht zu veranlassen.

Ich ließ mein Pferd stehen und folgte ihm. Der scheinbare Zweck meines Besuches war, Jonathan Melton davon zu benachrichtigen, daß der Kolarasi, sein Vater, noch nicht von seinem Zuge zurückgekehrt sei; meine eigentliche Absicht aber bestand darin, ihn zu veranlassen, nicht hier in Zaghuan verborgen stecken zu bleiben, sondern mit uns zu reiten, damit wir ihn sicher hätten und er uns nicht entgehen könne.

Wie aber das anfangen, ohne seinen Verdacht zu erregen? Der wunde Punkt war der, daß er mich für einen Mr. Jones hielt und, wenn er mit uns ging, von Krüger-Bei und anderen unbedingt erfahren mußte, daß ich ein Deutscher war. Ich mußte ihm diesen Widerspruch in einer Weise, welche seinen Verdacht nicht erregte, zu erklären suchen.

Der Pferdehändler führte mich durch einige kleine Räume und ließ mich in einem stehen, um mich anzumelden. Daß er dies selbst jetzt noch für notwendig hielt, war ein Zeichen, daß es mir nicht gelungen war, sein Mißtrauen zu zerstreuen. Es dauerte auch wirklich eine längere Zeit, ehe er wiederkam und mich aufforderte, einzutreten, worauf er sich entfernte.

Der falsche Hunter stand im nächsten Zimmer, mich


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erwartend. Es war, wie es schien, der am besten ausgestattete Raum des Hauses. Er reichte mir die Hand und sagte:

»Da sind Sie ja! Fast wären Sie nicht zu mir gelassen worden. Nicht?«

Aus seinem Tone und seinem Gesichte schloß ich, daß es dem Pferdehändler nicht gelungen war, ihn gegen mich einzunehmen, und ich antwortete:

»Allerdings. Ihr Wirt schien Mißtrauen gegen mich zu hegen.«

»Das ist wahr. Und wissen Sie vielleicht, warum?«

Ach hoffe, es von Ihnen zu erfahren.«

»Weil Sie den Fuchshengst des Kommandanten der Leibgarde reiten. Er sagte, Sie müßten ein Vertrauter des Obersten der Heerscharen sein.«

»Ali so! Hm! Da hat er richtig und auch falsch geraten.«

»Wieso?«

»Ein ganz eigentümlicher Umstand! Ich war zunächst ganz erstaunt, dann aber rasch entschlossen, ihn mir zu nutze zu machen. Setzen wir uns! Ich muß es Ihnen erzählen. Es ist eine Art von Abenteuer, und ich halte es für wahrscheinlich, daß noch mehr Abenteuer darauf folgen.«

»Wieso? Ich bin ganz gespannt. Reden Sie!« forderte er mich auf, indem er sich mit mir niedersetzte und mir eine Cigarre nebst Feuer gab.

»Denken Sie!« begann ich. »Ich begab mich Ihrem Auftrage gemäß nach der Kaserne, um mich nach dem Kolarasi zu erkundigen. Mehrere Soldaten saßen plaudernd vor dem Thore, und eben wollte ich meine Fragen an sie richten, als sie aufsprangen und Honneur machten. Ich sah mich um. Es kamen mehrere Reiter, an deren


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Spitze sich ein hoher Offizier zu befinden schien. Natürlich trat ich schnell zurück. Im Vorüberreiten fiel sein Blick auf mich; er hielt sofort sein Pferd an, stieß einen Ruf der Freude aus und begrüßte mich, indem er mich Kara Ben Nemsi nannte.«

»Ah! Sonderbar! Sie scheinen also demjenigen, welcher so heißt, ähnlich, sogar sehr ähnlich zu sein. Sie sagten ihm doch, daß er sich irre?«

»Das that ich allerdings; aber er lachte dazu und nahm es für Scherz.«

»Dann ist die Aehnlichkeit eine ganz außerordentliche! Wer war der Offizier?«

»Eben Krüger-Bei, der Herr der Heerscharen.«

»Das ist höchst interessant. Erzählen Sie weiter! Was thaten Sie nun? Sie überzeugten ihn doch, daß er sich irre?«

»Das wollte ich; aber er schnitt mir durch ein weiteres lustiges Lachen die Rede ab, nahm mich beim Arme und forderte mich auf, den Scherz doch nicht zu weit zu treiben. Ich mußte ihm in die Kaserne folgen, wo er mich in eine Offiziersstube brachte und mich bat, hier auf ihn zu warten, bis er die dienstliche Angelegenheit, welche ihn hierher geführt hatte, erledigt habe. Damit ich mich indessen nicht langweile, ließ er einen alten Feldwebel bei mir, welcher Sallam hieß.«

»Das klingt freilich ganz wie ein Abenteuer!«

»Es kommt noch besser! Der Feldwebel behauptete nämlich auch, mich genau zu kennen, und nannte mich auch Kara Ben Nemsi.«

»Aber es ist Ihnen gelungen, wenigstens diesen zu überführen?«

»Nein. Fiel mir auch gar nicht ein. Es kam mir nämlich ein Gedanke, welcher zwar kühn war, mir aber


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außerordentliche Vorteile verschaffen kann. Sie wissen doch, daß ich Pelz und Lederhändler bin; ebenso werden Sie wissen, daß die tunesischen Beduinen außerordentlich viel Felle erzeugen, und daß dort große Mengen Maroquin und Saffian ausgeführt werden?«

»Das weiß ich freilich.«

»Schön! Wie also, wenn ich als Lederhändler mir meine Ahnlichkeit mit diesem Kara Ben Nemsi zu nutzen machte?«

»In welcher Weise könnte das geschehen?«

»Auf die einfachste Weise der Welt. Es steht doch fest, daß die Freundschaft, die Empfehlung Krüger-Beis einem Großhändler von ungeheurem Nutzen sein kann, denn dieser Mann ist die rechte Hand des Pascha von Tunis und kann einem Freunde zu großen Vorteilen verhelfen. Ich habe mich also entschlossen, Geschäftsbeziehungen mit Tunis anzuknüpfen und bedeutende Einkäufe an Fellen und Leder zu machen. Dabei hoffe ich, daß meine Aehnlichkeit mir schätzenswerte Vergünstigungen bringen wird.«

»Das würde,« meinte er nachdenklich, »ein vortrefflicher Gedanke sein, wenn -wenn nicht -«

»Nun? Wenn nicht - was meinen Sie?«

»Wenn es nicht ein ganz bedeutendes Bedenken dabei gäbe.«

»Welches Bedenken?«

»Ich vermute, Sie wollen Krüger-Bei bei dem Gedanken lassen, daß Sie Kara Ben Nemsi sind?«

»Ja.«

»Und doch soll die beabsichtigte Geschäftsverbindung für

Sie, den Mr. Jones, eingeleitet werden. Wie reimen Sie aber dann beides zusammen? Sie können doch nicht Mr. Jones sein und zu gleicher Zeit als Kara Ben Nemsi auftreten!«


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»Das werde ich auch nicht. Der Widerspruch ist außerordentlich leicht zu lösen. Ich bin Kara Ben Nemsi; Mr. Jones ist ein Freund von mir und hat mich beauftragt, seine Interessen hier zu vertreten. Verstehen Sie mich?«

»Ja; in dieser Weise könnte es sich freilich machen; aber ich bezweifle, daß Sie es fertig bringen werden, weil es Ihnen unmöglich sein wird, Ihre Rolle als Kara Ben Nemsi durchzuführen.«

»Was das betrifft, so bin ich andrer Ansicht.«

»Die Ansicht ist jedenfalls eine falsche. Sie begeben sich in eine Gefahr, in welcher Sie leicht umkommen können. Es ist nicht nur leicht möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß Sie entlarvt werden.«

»O, was das betrifft, so ist mir nicht im geringsten bange. Die Aehnlichkeit scheint so groß zu sein, daß ich mich unbedenklich auf sie verlassen kann.«

»Dennoch muß ich Ihnen raten, nicht allzu sicher zu sein. Die Aehnlichkeit genügt nicht allein. Wenn Kara Ben Nemsi ein Freund des Herrn der Heerscharen ist, so kennt letzterer nicht bloß ihn, sondern auch alle seine Verhältnisse genau. Sie haben sich kennen gelernt und mit einander verkehrt; wie das geschehen ist, was dabei vorkam, was gesprochen und gethan wurde, das alles müssen Sie ganz genau wissen, wenn Sie sich nicht verraten wollen. Ein einziges falsches Wort, eine unrichtige Bemerkung, eine kleine Unwissenheit kann Sie zu Falle bringen. Dann kommt die Rache, und Sie wissen ja wohl, daß der Moslem dann ohne Nachsicht und Barmherzigkeit ist.«

»Was Sie da gesagt haben, ist alles gut und wohlgemeint, und dennoch machen Sie mir damit nicht bange. Es ist viel leichter, als Sie denken, die Rolle des Kara Ben Nemsi durchzuführen. Nämlich als ich mich mit dem


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alten Feldwebel allein in dem Offizierszimmer befand, habe ich mich sehr lebhaft mit ihm unterhalten und ihn dabei, ohne daß er es im geringsten bemerkte oder auch nur ahnte, nach allen Seiten hin ausgefragt. Ich weiß also nun, woran ich bin. Als Krüger-Bei kam und ich mich nun nicht mehr weigerte, Kara Ben Nemsi zu sein, konnte ich das, was ich von dem Feldwebel erfahren hatte, gleich auf das vortrefflichste verwerten und habe nachher im Verlaufe des weiteren soviel erfahren, daß ich getrost die beabsichtigte Rolle zu spielen vermag.«

»Das klingt ganz schön, erfordert aber ungeheure Vorsicht und ebenso großen Scharfsinn. Sie scheinen fest entschlossen zu sein, das beabsichtigte Vorhaben wirklich auszuführen, und ich will also nicht dagegen sprechen, weil dies vergeblich wäre, aber sagen Sie, nicht wahr, Krüger-Bei ist ein Deutscher?«

»Ja.«

»Und dieser Kara Ben Nemsi scheint derselben Nationalität anzugehören, denn Nemsi heißt ja >ein Deutscher<?«

»Auch das ist richtig.«

»So nehmen Sie sich ja in acht! Es fällt mir zwar nicht ein, die Deutschen für lauter Pfiffikusse zu halten, aber ein dummes Volk sind sie auch nicht. Krüger-Bei hat es zu einer so hervorragenden Stellung gebracht und kann also unmöglich ein dummer Kerl sein. Die Gefahr, von ihm durchschaut zu werden, ist also ganz bedeutend. Dazu kommt, daß er auf den für Sie höchst gefährlichen Gedanken kommen wird, mit Ihnen deutsch zu reden. Was werden Sie dann thun?«

»Was thun? Mitthun werde ich natürlich.«

»Ah! Sie sprechen deutsch?« fragte er erstaunt.

»Leidlich. Ich bin früher einige Zeit in Deutschland gewesen und habe da von der Sprache dieses Landes soviel


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gelernt, wie ich hier brauchen werde. Krüger-Bei hat seine Muttersprache fast verlernt, so daß ihm ein Urteil, ob ich dieselbe gut oder schlecht spreche, unmöglich ist. Ich habe mich mit ihm schon deutsch unterhalten und dabei bemerkt, daß ihm meine Aussprache ganz und gar nicht auffällig gewesen ist.«

»Dann haben Sie freilich Glück; aber nehmen Sie sich trotzdem in acht! Wenn Sie entdeckt oder vielmehr entlarvt werden, möchte ich mich nicht an Ihrer Stelle befinden. Ist denn der Nutzen, welchen Sie aus dieser Täuschung ziehen können, so groß, daß Sie das Wagnis nicht zu bedeutend finden?«

»Allerdings. Es lassen sich, wie ich wohl besser als Sie zu beurteilen weiß, Hunderttausende verdienen.«

»So müssen Sie wohl längere Zeit hier bleiben und können nicht, wie es beabsichtigt war, mit mir abreisen?«

»Leider werde ich wohl auf Ihre Gesellschaft verzichten müssen, denn ich begebe mich morgen in das Innere des Landes.«

»Morgen? Das ist außerordentlich bald! Haben Sie auch an die Gefahren gedacht, welche Sie da laufen werden?«

»Nein, denn es wird keine geben, da ich unter ausgezeichnetem Schutze reisen werde.«

»Unter welchem?«

»Sir Emery reitet mit.«

Der -? Wirklich -?« dehnte er enttäuscht. »Ich war ganz sicher, daß er mit mir zu Schiffe gehen werde!«

»Das wird nun freilich nicht der Fall sein. Als er hörte, was ich beabsichtige, war er sofort entschlossen, mitzureiten. Natürlich freue ich mich darüber, denn er ist ein gewandter und sehr erfahrener Mann, dessen Gesellschaft mir von großem Nutzen sein wird. Aber er ist's


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nicht allein, mit dem ich gehe, sondern ich werde noch ganz andere Begleitung haben: Krüger-Bei.«

»Diesen? Ist das wahr?«

»Ja. Und der Herr der Heerscharen ist nicht allein, sondern wird Militär mitnehmen, Kavallerie. Sie sehen also, daß ich mich keineswegs zu fürchten brauche.«

»Kavallerie? Wozu das?«

»Um die Uled Ayar zu züchtigen.«

»Sonderbar! Ich habe von diesen Beduinen gehört und denke, sie sind schon bestraft! Kalaf Ben Urik, der Kolarasi, ist doch gegen sie gezogen, um sie zu demütigen!«

»Das weiß ich wohl, und damit kommen wir endlich auf den Gegenstand unsers Besuches. Ich habe mich natürlich nach dem Kolarasi erkundigt, wie Sie mich beauftragten.«

»Nun? Ist er wieder da?«

»Nein. Er hat Unglück gehabt.«

»Wirklich?« fragte er erschrocken.

»Ja. Anstatt die Uled Ayar zu besiegen, ist er von ihnen umzingelt und eingeschlossen worden. Ein einziger Soldat ist entkommen und hat es hier gemeldet.«

»Da muß man schleunigst Hilfe senden, sofort, sofort!«

Er war aufgesprungen und schritt sehr erregt im Zimmer hin und her. Das war auch gar kein Wunder, da nach meinen Worten sein Vater sich in der größten Gefahr befand. Freilich durfte er mir nicht sagen, daß der Kolarasi sein Vater sei. Er fuhr fort:

»Da Krüger-Bei Sie für seinen Freund hält, so haben Sie jedenfalls einigen Einfluß auf ihn. Können Sie es nicht bewirken, daß er dem Kolarasi Hilfe sende?«

»Die Frage ist sehr überflüssig, Mr. Hunter. Sie haben ja von mir gehört, daß der Herr der Heerscharen morgen mit Kavallerie aufbrechen wird.«


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»Gegen die Uled Ayar?«

»Ja. Sobald der entkommene Bote die Hiobspost brachte, hat man sich sofort zum Aufbruche gerüstet. Krüger-Bei wird drei Schwadronen anführen.«

»Drei? Meinen Sie, daß das genug ist, den Kolarasi zu retten?«

»Ja, wenn er nicht indessen getötet wird. Die Gefahr ist groß, und die Entfernung beträgt ungefähr fünf Tagereisen. Der Bote fünf Tage her, wir fünf Tage hin, das macht, von dem Augenblicke an, an welchem er eingeschlossen wurde, bis zu unserer Ankunft dort volle zehn Tage.«

»Zehn Tage! Was kann nicht alles in zehn Tagen geschehen!«

»Freilich, freilich! Er hat, um vom Wasser gar nicht zu reden, auch gar nicht soviel Proviant mit, um es mit seiner Schwadron zehn Tage auszuhalten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er sich ergeben muß.«

»Himmel! Was ist da zu thun!«

Er rannte schneller hin und her als vorhin, fuhr sich mit den Händen in das Haar, kratzte sich, stieß unverständliche Ausdrücke aus, kurz und gut, gebärdete sich wie ein Mensch, dessen sich eine ganz außerordentliche Aufregung bemächtigt hat. Ich ließ das geschehen, ohne ein Wort zu sagen. Wenn ich ihn richtig beurteilte und mich nicht in ihm irrte, mußte er jetzt zu dem Entschlusse kommen, auf den ich es abgesehen hatte, nämlich mit uns zu reiten.

Ich war sehr gespannt, was er nun thun werde, ließ es aber nicht merken. Da blieb er vor mir stehen und sagte:

»Sie schließen sich also diesem Kriegszuge an und Sir Emery auch?«


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»Ja. Sogar Ben Asra, unser Somali, geht mit.«

»Auch dieser? Was sagen Sie dazu, daß ich beinahe wünsche, auch mitgehen zu dürfen?«

»Sie? Hm!«

»Brummen Sie nicht, sondern reden Sie! Warum machen Sie ein Gesicht, in welchem das deutlichste >Nein< zu lesen ist?«

»Weil Sie angewiesen worden sind, hier zu bleiben, um auf den Kolarasi zu warten.«

»Pah! Das kann mich nun nichts mehr angehen. Es war als selbstverständlich vorausgesetzt, daß er siegen werde. Es hat aber das Gegenteil stattgefunden, und da versteht es sich ganz von selbst, daß ich nicht mehr an diese Weisung gebunden bin.«

Ich warf mit voller Absicht einen forschenden Blick auf ihn. Als er denselben bemerkte, meinte er:

»Sie wundern sich über die Aufregung, in welcher ich mich befinde?«

»Ich gestehe das allerdings. Der Kolarasi ist doch ein Ihnen fremder Mensch; er geht Sie gar nichts an!«

»Das ist freilich wahr, aber ich bin einmal so. Sie kennen mich noch nicht genau. Ich habe ihm meine Hand zur Befreiung geboten, und ich pflege Wort zu halten. Erst galt es die Befreiung aus einer Lage, welche ihn zu drücken begann, jetzt aber befindet er sich gar in Lebensgefahr. Bin ich da nun nicht erst recht verpflichtet, ihm zu helfen? Hoffentlich haben Sie die Güte, das Vertrauen, welches ich in Sie setze, nicht zu Schanden werden zu lassen.«

»Hm! Sie wollen dem Kolarasi beistehen und verlangen selbst Beistand!«

»Lassen Sie doch Ihr Brummen und Ihr immerwährendes >Hm<! Jetzt freue ich mich darüber, daß Sie


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Ihre Aehnlichkeit mit diesem Kara Ben Nemsi benutzt haben, Krüger-Bei zu täuschen. Er hält Sie für seinen Freund und wird Ihnen keinen billigen Wunsch abschlagen. Wollen Sie bei ihm für mich bitten?«

»Welche Bitte meinen Sie?« fragte ich, innerlich darüber erfreut, daß er auf meine heimliche Absicht einzugehen begann.

»Die Bitte, mitreiten zu dürfen.«

»Hm, ich bezweifle sehr, daß Krüger-Bei Ihnen die erbetene Erlaubnis geben werde. Auf militärische Expeditionen nimmt man nicht den ersten besten Civilisten mit.«

»Er nimmt doch Sie auch mit!«

»Weil er mich für Kara Ben Nemsi hält; sonst würde er sich wohl hüten, es zu thun.«

»Aber Sir Emery und sogar der Somali dürfen teilnehmen!«

»Weil sie seine Gäste sind, denen er nach dem Gebrauche des Landes diesen Wunsch nicht abschlagen darf.«

»Ausrede, Mr. Jones, Ausrede! Sagen Sie mir kurz und bündig, ob Sie sich für mich verwenden wollen oder nicht!«

»Wohl! Ich werde es versuchen.«

»Schön, ich danke Ihnen. Also morgen wird aufgebrochen?«

»Morgen nachmittag nach dem Asr.«

»So müssen Sie mich bald benachrichtigen, welchen Erfolg Ihre Fürbitte gehabt hat. Wann und wie wird das geschehen?«

»Noch heute, durch einen Boten, den ich nicht an Sie, sondern an Ihren Wirt sende. Aber ich muß doch dem Herrn der Heerscharen sagen, wer und was Sie sind. Welchen Namen und Charakter wollen Sie sich geben?«


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»Den richtigen; das ist das allerbeste. Sagen Sie ihm, daß ich Small Hunter heiße, aus den Vereinigten Staaten stamme und ein Bekannter des Kolarasi bin. Und nun gehen Sie! Sie dürfen keine Zeit verlieren. Ich bin überzeugt, daß Sie sich Mühe geben werden, mir die Erlaubnis zu erwirken, und werde also meine Reisevorbereitungen sofort treffen.«

»Ihren Koffer können Sie nicht mitnehmen.«

»Fällt mir auch gar nicht ein, ihn mitzuschleppen. Ich nehme nur das Allernotwendigste mit und werde mir von meinem Wirte ein gutes Pferd geben lassen. Aber nun machen Sie endlich, daß Sie fortkommen! Sie sind im stande, die schönste, kostbarste Zeit zu versäumen!«

Er schob mich förmlich zur Thüre hinaus, und ich ging, um draußen auf das Pferd zu steigen und nach der Stadt und dem Bardo zurückzureiten.

Der sonst so schlaue Mensch war jedenfalls überzeugt, mich im Sacke zu haben. Er hatte mich förmlich gezwungen, dahin zu wirken, daß er mitreiten durfte, und ahnte keineswegs, daß es gerade das war, was ich gewünscht und beabsichtigt hatte. Der Gerechte ist zuletzt immer klüger als der Ungerechte.

Im Bardo fand ich Winnetou und Emery bei Krüger-Bei sitzend. Sie unterhielten sich von ihren Erlebnissen, wobei Winnetou allerdings, da er weder Arabisch noch viel Deutsch verstand, den Schweigsamen spielen mußte. Er hatte sich zwar während seines Umganges mit mir verschiedene deutsche Worte zu eigen gemacht, doch reichte das noch lange nicht aus, an einem lebhaften Gespräche teilzunehmen.

Es wurde mir natürlich ganz und gar nicht schwer, für den falschen Hunter die von diesem erbetene Erlaubnis zu erwirken, doch verlangte Krüger-Bei, daß derselbe sich


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von ihm und uns fernhalte und nur zu den gewöhnlichen Soldaten sich geselle.

»Das ist mir lieb,« antwortete ich; »seine Nähe wäre mir unangenehm gewesen.«

»Wodrum?« fragte der Herr der Heerscharen, welcher mit diesem Worte natürlich »warum« sagen wollte.

»Weil er mir unsympathisch ist, und weil er nicht wissen soll, daß sich der Häuptling der Apatschen bei uns befindet.«

»Hätten Sie gehabt einen Grund dafür?«

»Allerdings habe ich einen Grund. Erlauben Sie mir indessen, Ihnen dies bei einer spätern Gelegenheit mitzuteilen!«

»Bon! Ganz wie Ihnen wollen! Aber wenn er wird fragen nach Winnetou, was wünschen Sie da zu sagen?

»Wir geben Winnetou für einen Somali Namens Ben Asra aus.«

Damit war die Angelegenheit abgemacht, und ich schickte den versprochenen Boten hinaus nach Zaghuan. Ich ließ dem falschen Hunter durch denselben sagen, daß er sich morgen noch vor dem Asr bei dem Dorfe Uneka einfinden solle, von welchem aus der Ritt beginnen werde.

Wir verlebten bei dem braven Herrn der Heerscharen einen hoch interessanten Abend, dessen Beschreibung hier leider zu weit führen würde, mußten dafür aber schon am frühen Morgen auf seine Gesellschaft verzichten, da ihn die dienstlichen Obliegenheiten und Vorbereitungen so in Anspruch nahmen, daß er für uns auch nicht eine Minute erübrigen konnte. Auch beim Mittagessen bekamen wir ihn nicht zu sehen. Nach demselben ritten wir hinaus nach Uneka, wo er sich befand, um die Truppen, welche nach dem Nachmittagsgebete aufbrechen sollten, zu besichtigen.


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Die Leute waren recht gut beritten und mit Säbel, Lanzen und Gewehren versehen. Auf meinen Rat hatte Krüger-Bei auch für einige schnelle Reitkamele gesorgt, welche uns unter Umständen sehr nötig sein konnten. Es versteht sich ganz von selbst, daß auch Lastkamele genug vorhanden waren, welche Proviant, Munition, Zelte und andere Bagage zu tragen hatten. Außerdem hatte man jedes der Tiere mit einem Wasserschlauche versehen. Wir hatten zwar einen verkehrsreichen Weg vor uns, doch bot derselbe auch genug Gegenden, in denen es kein Wasser gab; da mußten die Schläuche vorher gefüllt werden. Und außerdem war es ja möglich, daß wir gezwungen waren, längere Zeit in der wasserlosen Wüste oder Steppe zu kampieren; da durfte es keinesfalls an Schläuchen fehlen.

Kurz vor dem Asr kam der falsche Hunter geritten. Er hatte zwei Pferde, von denen das eine ihn selbst und das andere seine Mundvorräte trug. Er wollte sich sogleich zu uns gesellen; aber als Krüger-Bei dies bemerkte, sagte er zu mir:

»Sagen Sie dem Menschen, daß ich nicht erlaube, jede fremde Person an meiner Seite zu sehen. Der Herr der Heerscharen hat als Höchstkommandierender nicht die Absicht, sich herabzulassen.«

Ich ging dem Amerikaner also entgegen und meldete ihm im Sinne dieser außerordentlich klaren Weisung meines Freundes:

»Krüger-Bei hat erlaubt, daß Sie uns begleiten, wünscht Sie aber nicht in seiner Nähe zu haben.«

Die Mitteilung enthielt eigentlich eine Beleidigung für ihn, er nahm sie aber wider mein Erwarten ruhig hin und antwortete in zufriedenem Tone:

»Das ist mir lieb, außerordentlich lieb.«


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»So? Wirklich? Freut mich sehr. Ich glaubte bereits, Sie würden annehmen, meine Fürsprache für Sie sei nicht kräftig genug gewesen.«

»O nein. Sie sollten ja nur erwirken, was Sie erwirkt haben; mehr habe ich nicht verlangt. Es ist meine Absicht gar nicht, immer in der Nähe des Herrn der Heerscharen zu sein und von ihm beobachtet zu werden. Das würde mir unangenehm sein. Wie wird sich der Zug gestalten?«

»In den ersten Tagen einfache Marschkolonne. Später, wenn wir auf feindlichem Gebiete angelangt sind, wird es natürlich Vorhut, Nachhut und Seitenpatrouillen geben. Halten Sie sich, zu wem Sie wollen. Da Sie hinreichend arabisch sprechen, kann es Ihnen nicht schwer werden, Anschluß zu finden.«

Als die Zeit des Asr nahte, ließ Krüger-Bei einen Kreis bilden, kniete nieder und sprach das Gebet. Dann wurde aufgesessen und ausgerückt.

Es würde zu viel Raum einnehmen, den Marsch zu beschreiben; es genügt, zu sagen, daß wir bis zu den Ruinen von Tastur dem Medscherdah-Flusse folgten und dann über Tunkah, Tebursuk und Zauharim ritten. In der letztgenannten Gegend treiben sich die Uled Ayun herum, welche sich stets noch widerspenstiger als die Uled Ayar gezeigt haben und mit den letzteren verfeindet sind oder wenigstens damals waren. Es galt nun, vorsichtiger als bisher zu sein, denn der Nachmittag des vierten Tages war angebrochen und morgen erreichten wir das Gebiet der Uled Ayar. Es wurden Seitenpatrouillen ausgesandt und eine Vorhut vorausgeschickt. Zu der letzteren gesellte ich mich mit Winnetou und Emery.

Wir ritten jetzt durch sandige Wüste, weshalb vorher die Schläuche gefüllt worden waren. Emery


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musterte die weite Fläche mit scharfem Blicke und fragte mich:

»Du kennst die Ruinen, zu welchen wir wollen?«

»Nur die Gegend im allgemeinen.«

»Wie weit noch bis dort?«

»Vierzehn Stunden ungefähr.«

»Nur? Da gilt's vorsichtig sein! Was sind die Uled Ayar für Leute? Haben wir, nämlich du, Winnetou und ich, sie zu fürchten?«

»Nein. Ein einziger Apatsche oder Sioux ist viel mehr zu fürchten als zehn oder zwanzig Ayars.«

»Well! Dennoch müssen wir vorsichtig sein. Meinst du, daß sie bei den Ruinen geblieben sind?«

»Wer kann das wissen! Hat der Kolarasi sich ergeben müssen, so sind sie längst von dort fort; hat er aber ausgehalten, so belagern sie ihn noch.«

»Hm! Und der Bote, der ihnen entkommen ist?«

»An den habe ich auch schon gedacht. Es kommt sehr viel darauf an, ob sie von ihm wissen. Wissen sie nichts, so werden sie sorglos sein. Wissen sie aber, daß er nach Tunis ist, so können sie sich denken, daß von dort her Militär kommen wird, um die Belagerten zu entsetzen. In diesem Falle werden sie uns Kundschafter entgegensenden, vor denen wir uns in acht zu nehmen haben.«

»Well! Aber sie sich auch vor uns!«

»Meinst du? Aber dann müßten wir ganz zu derselben Maßregel schreiten und auch Kundschafter aussenden.«

»Aber wen? Traust du den Soldaten des Pascha von Tunis gute Augen und Ohren zu?«

»Nein, und Klugheit noch weniger. Ich möchte mich auf sie als Kundschafter nicht verlassen.«


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»Well, so gehen wir selbst und Winnetou auch. Wird sich langweilen, der Apatsche. Kann mit niemand reden als nur mit uns. Müssen ihm Beschäftigung geben. Mag mit mir reiten, da rechts hinüber, und du links. Reiten jeder einen Viertelkreis und kommen da vorn wieder zusammen. Willst du?«

»Natürlich! Ich habe mein Pferd noch gar nicht recht probieren können. Es ist feurig und scheint auch ausdauernd zu sein. Der langsame Karawanenschritt gefällt ihm nicht; werde es einmal jagen lassen. Also vorwärts, Emery!«

Wir trennten uns von der Truppe. Er ritt mit Winnetou gegen Südwest davon, während ich mich nach Südost wendete. Ich war ganz so wie er überzeugt, daß die Uled Ayar wohl kaum versäumt hatten, uns Spione entgegenzusenden; es galt also, denselben zuvorzukommen, sie zu entdecken oder zu ergreifen.

Mein Henneschah-Hengst rechtfertigte das Vertrauen, welches ich in ihn gesetzt hatte. Wenn er auch das nicht war, was mein bekannter Rapphengst Rih gewesen war, so mußte ich mir doch sagen, daß er das zweitbeste Pferd unserer Truppe sei; das beste ritt nämlich selbstverständlich Krüger-Bei, einen Schimmel, den er sich aus dem Marstalle des Pascha von Tunis genommen hatte.

Wir flogen nur so über die sandige Ebene, und dabei hatte ich den Blick immer voraus und nach beiden Seiten, um irgend eine Begegnung womöglich eher zu bemerken, als ich gesehen wurde. Es verging eine halbe Stunde, in welcher ich wenigstens eine deutsche Meile zurückgelegt hatte; ich ritt eine zweite Meile und dann noch eine dritte, ohne etwas zu sehen, und wollte mich eben wieder nach rechts wenden, um, unserm Zuge voraus, mit Emery zusammenzutreffen, als ich mehrere be-


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wegliche [bewegliche] Punkte bemerkte, welche in größerer Entfernung von mir abwechselnd sich auf dem Boden befanden, in die Höhe gingen und dann sich wieder auf die Erde niedersenkten. Aus der Art ihrer Bewegung schloß ich, daß es Geier seien; wo aber Geier sind, da giebt es Aas. Aas in dieser Entfernung vom Verkehrs- oder Karawanenwege, das mußte mir auffallen. Ich ritt auf die betreffende Stelle zu.

Als ich noch weit über hundert, vielleicht zweihundert Pferdelängen davon entfernt war, glaubte ich, eine menschliche Stimme zu vernehmen. Dann, als ich die Hälfte dieser Entfernung zurückgelegt hatte, hörte ich ganz deutlich den Ruf-

»Meded, meded! la Allah, ta' al, ta' al - zu Hilfe, zu Hilfe! 0 Gott, komm, komm!«

Es war eine weibliche Stimme. Und nun sah ich deutlich einen Gegenstand, der eine menschliche Gestalt zu sein schien und an welchem mehrere Geier herumzerrten und hackten. Kurz hinter dieser Stelle saßen weitere Geier, welche etwas anderes gierig zu betrachten schienen, sich aber bei meinem Nahen in die Luft erhoben; auch die anderen Vögel flogen, als ich nahe genug herangekommen war, davon, um sich gar nicht weit davon wieder niederzulassen.

Ja, es war ein menschlicher Körper, an welchem sie gefressen hatten; das sah ich jetzt ganz deutlich. Die Stimme, welche aus der Erde zu kommen schien, rief jetzt:

»Betidschi, betidschi; subhan Allah! - Du kommst, du kommst; Allah sei gepriesen!«

Nun hielt ich da, wo die Stimme ertönte. Ein Kopf sah aus dem Sande, ein menschlicher Kopf! Ob es ein männlicher oder ein weiblicher sei, war nicht zu


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unterscheiden, denn das Gesicht war so verschwollen, daß die Züge nicht zu erkennen waren und ein blaues Tuch bedeckte das Haar. Vor dem Kopfe lag ein mit einem Hemde bekleidetes Kind, welches die Augen geschlossen hielt und sich nicht bewegte; es mochte wenig über ein Jahr alt sein. Die Leiche, von welcher die Geier gefressen hatten, lag nur zehn Schritte entfernt; sie bestand fast nur noch aus den Knochen, welche aber auch schon auseinandergerissen waren.

Mich schauderte. Ich sprang vom Pferde und bückte mich zu dem Kopfe nieder; er hatte jetzt die Augen zu; die Person, der er gehörte, war ohnmächtig geworden. Das war mir zunächst lieb, da ich meine Hilfeleistung besser vornehmen konnte. Um das Kind und das abgenagte Gerippe bekümmerte ich mich zunächst nicht; der oder die Eingegrabene bedurfte meiner Hilfe weit mehr. Ich lüftete das Kopftuch und sah ein zusammengewickeltes, langes, weibliches Haar darunter. Es war eine Frau!

Wie sie nun ohne passende Werkzeuge schnell ausgraben! Ich nahm die Hände. Der Boden war festgetreten worden, aber als ich tiefer kam, wurde er lockerer. Glücklicherweise bemerkte ich bald, daß man ihr eine sitzende Stellung gegeben hatte. Im andern Falle hätte man das Loch tiefer machen müssen, und das war den Buben, welche das arme Weib hier eingegraben hatten, doch zu viel Mühe gewesen. Mir wurde dadurch die Arbeit erleichtert. Als ich den Oberkörper ziemlich befreit hatte, brauchte ich nur noch wenig von der Sanddecke, welche auf den Beinen lag, zu entfernen und konnte dann die ganze Gestalt hervorziehen.

Die Frau war, als ich sie nun niederlegte, noch immer ohnmächtig; sie war nur mit einem hemdartigen


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Gewande bekleidet, wie es von armen Beduininnen getragen wird; das Gesicht hatte sich ein wenig zum Bessern verändert, und nun sah ich, daß sie nicht viel über zwanzig Jahre alt sein konnte. Ihr Puls bewegte sich, wenn auch nur leise.

Auch das Kind war nicht tot. Ich hatte einen kleinen Flaschenkürbis voll Wasser am Sattelknopfe hängen, nahm ihn herab und flößte dem Kleinen von der belebenden Flüssigkeit ein. Es schlug die Augen auf, aber was für Augen! Die Augapfel waren wie mit einer grauen Haut überzogen; das Kind war blind. Ich gab ihm mehr Wasser; es trank und trank und ließ dann die Lider wieder fallen; es war so erschöpft, daß es sogleich wieder in Schlaf verfiel.

Die Geier hatten sich wieder herangemacht. Wenn sie sich auch nicht bis her zu mir zu kommen trauten, so wagten sie sich doch an die Leiche und zerrten an den Knochen derselben herum, ein geradezu scheußlicher Anblick. Ich legte den Stutzen auf sie an und erschoß zwei von ihnen, worauf die andern mit heiseren Schreien davonflogen.

Die beiden Schüsse hatten die Frau erweckt. Sie schlug die Augen auf, erhob den Oberkörper, sah zunächst nur ihr Kind, streckte die Arme nach demselben aus, riß es an sich und rief:

»Weledi, weledi, ia Allah, ia Allah, weledi! - Mein Kind, mein Kind, 0 Allah, mein Kind!«

Dann drehte sie sich zur Seite, sah die Ueberreste der Leiche, stieß ein herzzerreißendes Wehegeschrei aus, wollte aufspringen, um hinzugehen, fiel aber vor Schwäche und Entsetzen wieder nieder. Sie sah mich nicht, weil ich auf der andern Seite stand. Da aber schien sie sich auf die letzten Augenblicke, welche ihrer Ohnmacht vorangegangen waren, zu besinnen, denn ich hörte den Ruf:


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»Der Reiter, der Reiter! Wo ist er?«

Sie wendete sich zu mir um, sah mich und sprang auf. Sie wankte, aber die Erregung gab ihr Kraft, nicht umzufallen. Nachdem sie mich einen Moment mit unsicherem Blicke gemustert hatte, fragte sie:

»Wer bist du? Zu wem gehörst du? Bist du ein Krieger der Uled Ayun?«

»Nein,« antwortete ich. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich gehöre zu keinem hiesigen Stamme; ich bin ein Fremder von weit, weit her und werde dir gern weiterhelfen. Du bist schwach; setz' dich; ich werde dir Wasser geben.«

»Ja, gieb Wasser, Wasser, Wasser!« bat sie, indem sie sich mit meiner Hilfe niederließ.

Ich reichte ihr den Kürbis. Sie trank mit vollen Zügen wie eine Verschmachtende; sie trank ihn ganz aus und gab ihn mir dann zurück. Dabei fiel ihr Blick auf die Leiche; sie wendete sich schaudernd ab, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und begann, herzbrechend zu weinen.

Ich sprach beruhigend auf sie ein; sie antwortete nicht und schluchzte weiter. Da ich annahm, daß die Thränen sie erleichtern würden, schwieg ich und ging zu der Leiche. Der Schädel derselben zeigte mehrere Löcher; der Mann war erschossen worden. Im Boden fand sich keine Spur; der Wind, so leise er ging, hatte alle Eindrücke verweht; der Mord konnte also nicht heute geschehen sein.

Während ich diese Beobachtungen anstellte, hatte die Frau sich so weit beruhigt, daß ich glaubte, nun Antwort zu bekommen; ich kehrte also zu ihr zurück und sagte:

»Dein Herz ist schwer und deine Seele wund; ich möchte dich nicht drängen, sondern dir Ruhe gönnen; aber meine Zeit gehört nicht mir allein, und ich möchte gern


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wissen, wie ich dir weiter helfen kann. Willst du mir Antwort auf meine Fragen geben?«

»Sprich!« sagte sie, indem sie die noch immer thränenden Augen zu mir erhob.

»War dieser Tote dein Mann?«

»Nein; er war ein Greis, ein Freund meines Vaters, und wanderte mit mir nach Nablumah, um anzubeten.«

»Meinst du die Ruinen von Nablumah, in denen sich das Grab eines wunderthätigen Marabu befindet?«

»Ja; an dem Grabe wollten wir beten. Als Allah mir das Kind gab, kam es blind zur Welt; es sollte durch eine Wallfahrt nach dem Grabe des Marabu das Licht der Augen erhalten; der Greis, welcher mich begleitete, war auch auf einem Auge erblindet und wollte in Nablumah Heilung suchen. Mein Herr (Mann) erlaubte mir, mit ihm zu gehen.«

»Aber euer Weg führte durch das Gebiet der Uled Ayun, welche sehr räuberisch sind. Zu welchem Stamme gehörest du?«

»Zu den Uled Ayar.«

»So sind die Ayun Todfeinde von dir; ich weiß, daß sie in Blutrache mit euch leben. Es war von euch beiden sehr gewagt, die Wallfahrt ohne Begleitung zu unternehmen!«

»Wer sollte uns begleiten! Wir sind sehr arm und haben daher keinen Anhang, der mit uns hätte gehen sollen, um uns zu schützen.«

»Aber dein Mann, dein Vater konnten dich begleiten!«

»Das wollten sie auch; aber sie mußten daheim bleiben, weil es plötzlich eine Fehde gab mit den Soldaten des Pascha. Mein Herr und mein Vater hätten für immer als Feiglinge gegolten, wenn sie mit uns gegangen wären.«


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»So hättet ihr mit der Wallfahrt warten sollen, bis die Fehde ausgetragen war.«

»Das ging ja nicht. Wir hatten gelobt, an dem bestimmten Jom ed dschuma (* Freitag.) die Wanderung zu beginnen, und durften dieses Gelübde nicht brechen. Wir kannten die Gefahr, welche uns durch die Uled Ayun drohte, und machten deshalb einen Umweg nach Süden, welcher uns durch das Gebiet der Meidscheri führte, die mit uns befreundet sind.«

»Warum habt ihr den Weg nicht auch zurück gemacht?«

»Mein Begleiter war alt und schwach; die Wanderung hatte ihn ermüdet, und er glaubte, den Umweg nicht aushalten zu können; darum schlugen wir die gerade Richtung ein.«

»Das war eine große Unvorsichtigkeit. Der Greis ist zwar alt, aber doch nicht weise gewesen. Seine Schwäche war gar kein Grund, den Umweg zu vermeiden, denn er hätte sich bei den Meidscheri, euern Freunden, ausruhen und erholen können.«

»ich sagte ihm dasselbe; aber er antwortete mir, daß nach dem Kuran und allen seinen Auslegungen Pilger unantastbar sind und daß während einer Wallfahrt jede Feindschaft zu schweigen hat.«

»Ich kenne das Gesetz; es bezieht sich nur auf die Wallfahrt nach Mekka, Medina und Jerusalem, nicht aber auf andere fromme Wanderungen, und es giebt Tausende, die sich selbst während der großen Hadsch nicht nach demselben richten.«

»Das habe ich nicht gewußt, sonst hätte ich mich geweigert, meinem Führer rückwärts auf dem gefährlichen


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Wege zu folgen. Er schien auch selber zweifelhaft zu sein, denn wir ruhten des Tags und gingen nur des Nachts, bis wir an allen Zelten und Lagern der Uled Ayun vorüber waren.«

»Und dann fühltet ihr euch sicher und wurdet unvorsichtig?«

»Ja. Wir befanden uns zwar noch immer auf feindlichem Gebiete, doch war es bis zu dem unserigen nicht mehr weit; darum wanderten wir zuletzt auch am Tage.«

»Ihr habt nicht daran gedacht, daß da, wo zwei feindliche Gebiete zusammenstoßen, die Gefahr am größten ist. Mitten im Feindeslande ist man oft sicherer als an der Grenze. Das hast du leider zur Genüge erfahren.«

»Ja, Allah hat uns den falschen Weg gehen lassen, weil es im Buche des Lebens so verzeichnet war. Als wir an diese Stelle kamen, wurden wir von den Uled Ayun überfallen. Sie stachen mit Spießen und Messern nach meinem Begleiter, schossen ihm Kugeln durch den Kopf und raubten ihm die Kleider und wenigen Sachen, welche der arme Mann bei sich trug. Mich aber gruben sie ein, damit ich, wie sie sagten, mich an dem Anblicke der Leiche weiden und dann auch von den Geiern gefressen werden möge. Wäre mein Kind nicht blind gewesen, so hätten sie es auch getötet, weil es ein Knabe ist.«

»Wann ist dies geschehen?«

»Vor zwei Tagen.«

»Schrecklich! Was hast du da ausstehen müssen!«

,»Ja. Allah verfluche sie und stoße sie in den tiefsten Grund der Hölle hinab! Ich habe Qualen ausgestanden, welche nicht zu beschreiben sind, um mich und noch viel, viel mehr um mein Kind. Ich konnte ihm nicht helfen. Es lag vor mir im Sonnenbrande und im Dunkel der


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Nacht, ohne daß ich es berühren oder beschützen konnte, weil meine Arme mit eingegraben waren. Und dort lag der Greis, der Gute und Ehrwürdige. Die Geier kamen und zerrissen ihn; ich mußte es sehen; es war entsetzlich. Dann kamen sie zu mir und zu meinem Kinde; ich konnte mich nicht bewegen und vermochte nur, sie durch die Stimme zu verscheuchen. Ich habe mich heiser geschrieen; sie aber merkten nach und nach, daß ich mich nicht verteidigen konnte; sie wurden immer zudringlicher, und wenn du nicht gekommen wärest, hätten sie gewiß noch vor Abend ihre Schnäbel und Krallen in meinen Kopf und in mein armes Kind geschlagen.«

Sie drückte das letztere wieder und wieder an sich und weinte dazu, mehr vor Aufregung, als vor augenblicklichem Schmerz.

»Tröste dich!« bat ich. »Allah hat dich sehr geprüft; nun aber ist dein Leid zu Ende. Wäre der Greis eine Person gewesen, welche deinem Herzen nahe stand, so hättest du noch viel mehr gelitten. Du wirst dich aber von den Qualen, welche du ausgestanden hast, erholen; es lebt dein Kind, und wenn du heimkommst, hast du nichts Liebes verloren und wirst von der Freude und dem Entzücken der Deinen empfangen.«

»Du hast recht, o Herr. Wie aber komme ich heim? Ich habe weder Speise noch Wasser und bin so schwach, daß ich nicht gehen kann.«

»Wirst du dich auf meinem Pferde halten können, wenn ich es dir gebe und nebenher gehe?«

»Ich glaube nicht. Zudem habe ich das Kind bei mir.«

»Das werde ich tragen.«

»Deine Güte, o Herr, ist so groß, wie mein Leid gewesen ist; aber selbst wenn du mir die kleine Last ab-


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nehmen [abnehmen] wolltest, würde ich jetzt noch zu schwach sein, mich im Sattel zu halten.«

»So bleibt nichts anderes übrig, als daß du dich mir anvertraust. Ich nehme dich vor mir auf das Pferd, und indem du deinen Sohn in den Armen trägst, werde ich dich so fest halten, daß du nicht herabgleiten kannst. Iß diese Datteln, die ich glücklicherweise bei mir habe; das wird dich stärken.«

Sie verschlang sie mit Begier und sagte dabei:

»Du weißt, o Herr, daß kein Mann ein fremdes Weib berühren darf, aber da Allah mir die Kraft genommen hat, ohne fremde Hilfe zu gehen oder zu reiten, so wird er mir es auch nicht anrechnen, wenn ich mich in deine Arme lege. Und mein Herr und Gebieter wird es mir ebenso verzeihen.«

»Wo gedenkst du, ihn zu finden?«

»Das weiß ich nicht, da er in den Kampf gezogen ist. Allah möge in demselben sein Leben beschützen! Aber unser Lager, in welchem die Greise, Frauen, Kinder, Kranken und Schwachen zurückgeblieben sind, das weiß ich zu finden. Es liegt am Dschebel Eschuir, den wir morgen erreichen werden. Willst du mich dorthin bringen? Die Unserigen werden dich mit Freude empfangen. Ich bin zwar arm, aber ich heiße Elatheh, und alle haben mich lieb, sodaß sie meinen Retter mit Jubel bewillkommnen werden.«

»Auch wenn er ein Feind von euch ist?«

»Ein Feind? Wie kannst du ein Feind der Uled Ayar sein, du, der du mich von dem schrecklichsten Tode errettet hast!«

»Und doch bin ich es.«

»Das ist ja gar nicht möglich, denn du hast mir


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gesagt, daß du von weit, sehr weit herkommst. Wie heißt der Stamm, dem du angehörst?«

»Es ist kein Stamm, sondern ein Volk, ein großes Volk von wohl fünfzig Millionen Seelen.«

»O Allah! Wie groß muß da die Oase sein, in welcher diese vielen Menschen wohnen. Wie werden sie genannt?«

»Das Land heißt Belad el Alman; ich bin also ein Almani oder, wenn du das Wort vielleicht gehört haben solltest, ein Nemsi und heiße Kara Ben Nemsi. Mein Vaterland liegt weit über dem Meere drüben.«

»Und da sagst du, daß du ein Feind der Uled Ayar seist?«

»Eigentlich bin ich es nicht, und dennoch bin ich es jetzt. Ein Almani oder Nemsi ist keines Menschen Feind; wir lieben den Frieden und halten Allahs Gebote; aber ich bin gegenwärtig ein Freund und Gefährte derer, welche ihr eure Feinde nennt, der Soldaten des Paschas.«

»Wie?« fragte sie erschrocken. »Du bist ein Gefährte dieser Peiniger, denen wir das Kopfgeld verweigert haben?«

»Ja.«

»So bist du allerdings unser Feind, und ich darf nicht mit dir gehen.«

»Willst du hier bleiben und verschmachten?«

»Allah 'l Allah! Du hast recht. Wenn du mich nicht mitnimmst, muß ich mit meinem Kinde hier elend umkommen. Was thue ich!«

»Das, was du vorhin beschlossen hattest; du vertraust dich mir an.«

»Aber du wirst mich nicht nach unserm Lager bringen?«

»Das kann ich freilich nicht. Erstens seid ihr beide


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fast verschmachtet, und ich habe nichts zu essen und auch kein Wasser mehr; wie könntet ihr es bis morgen oder gar übermorgen aushalten! Und zweitens muß ich unbedingt zu den Meinigen zurück. Käme ich nicht, so würden sie um mich in Sorge sein und weit und breit nach mir suchen. Gerade dadurch könnte es zu feindlichen Begegnungen mit den Eurigen kommen, und das ist es, was ich sehr gern vermeiden möchte.«

»So würdest du mich also zu den Soldaten, zu unsern Feinden bringen? Glaubst du wirklich, daß ich da mitgehen werde?«

»Ja. Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon. Willst du lieber umkommen? «

»Du hast recht. Meine Seele ist im Widerstreite; ich weiß nicht, wozu ich mich entschließen soll.«

»Du brauchst dich nicht zu entschließen, denn es steht fest, daß du mit mir reitest. Wenn du es nicht freiwillig thust, werde ich dich zwingen.«

»Allah la jukaddir - Gott verhüte es!« rief sie erschrocken aus. »Willst du ein schwaches Weib zwingen? Willst du ebenso schlimm sein, wie die Uled Ayun gewesen sind?«

»Ja, ich werde dich zwingen, aber ohne so bös wie sie zu sein; ich beabsichtige vielmehr, dir nur Gutes zu thun. Wenn du hier bleibst, bist du verloren; du mußt mit mir fort, und da ich nur zu den Soldaten zurückkehren kann, mußt du mit zu ihnen. Aber du brauchst dich nicht zu fürchten oder gar zu entsetzen. Ich meine es gut mit dir. Ich würde dich nur zwingen, um dich zu retten. Betrachte mich nicht als deinen Feind. Als ich dich in der Erde stecken sah, habe ich mir sofort gesagt, daß du zu den Uled Ayar, also zu meinen jetzigen Gegnern gehörst; dennoch habe ich dich aus der Erde


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gegraben. Du kannst daran ersehen, daß ich kein gefährlicher Feind bin. Ich bin nur mitgezogen, um vielleicht Blutvergießen zu verhüten und, wenn es möglich ist, Frieden zu stiften. Sieh mich an! Habe ich das Gesicht eines Menschen, vor welchem du dich fürchten mußt?«

»Nein,« antwortete sie lächelnd. »Dein Auge blickt freundlich, und dein Gesicht ist mild und gut. Vor dir fürchte ich mich nicht, desto mehr aber vor den Soldaten.«

»Das ist nicht nötig; sie werden alle freundlich mit dir sein; wir führen nicht mit Frauen Krieg.«

»Kannst du ihnen denn befehlen, daß sie mich nicht feindlich behandeln?«

»Ja, und sie werden gehorchen.«

»So bist du ein Oberer von ihnen?«

»Ein Oberer und Gast, und das gilt, wie du weißt, noch viel mehr.«

»Werde ich gefangen sein?«

»Ich verspreche dir, daß du frei sein sollst und alles bekommen wirst, was du brauchst. Ich nehme dich unter meinen ganz besondern Schutz; du wirst stets in meiner Nähe sein, und wer dich antastet, den werde ich streng bestrafen.«

»Und wann kann ich dann gehen?«

»Sobald die Verhältnisse es erlauben und ich erkenne, daß das, was du daheim von uns erzählst, uns nicht mehr schaden kann. Das kann sehr bald werden, vielleicht schon übermorgen.«

»Ich glaube deinen Worten, denn du siehst nicht aus wie ein Betrüger, sondern wie ein ehrlicher Mann. Und da du mir dies versprichst, so - doch siehe,« unterbrach sie sich, »dort kommen zwei Reiter!«

Sie deutete in die Richtung, aus welcher ich gekommen war. Da ich mit dem Rücken nach derselben


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gestanden hatte, so hatte ich sie nicht gesehen. Auch die Frau war so mit unserm Gespräche beschäftigt gewesen, daß sie die beiden erst dann gesehen hatte, als dieselben schon so nahe waren, daß ich sehen konnte, wer sie waren, nämlich Emery und Winnetou.

»Es werden doch nicht Feinde von dir oder mir sein, o Herr!« meinte sie besorgt.

»Es sind Freunde von mir, welche mich suchen, weil meine Abwesenheit ihnen zu lange gewährt hat,« antwortete ich. »Du brauchst dich vor ihnen nicht zu fürchten; sie werden dich ebenso beschützen, wie ich; sie sind auch fremd und gehören nicht zu dem Stamme der Ayun. Der eine ist ein Inglisi und der andere gar ein Mann aus dem fernen Belad Amierika.

Als die beiden uns erreicht hatten, hielten sie an, und Emery fragte:

»Warum so lange fort? Hatten Sorge. Warst über zwei Stunden weg; konntest einen Unfall gehabt haben. Sind bis zu deiner Spur geritten und dann derselben gefolgt. Natürlich wieder Abenteuer gehabt?«

»Ja, dieses Weib befand sich mit ihrem Kinde in größter Gefahr.«

Ich erzählte ihnen das Vorkommnis, natürlich in englischer Sprache, damit Winnetou es auch verstehen konnte. Als ich geendet hatte, sagte Emery:

»Ganz entsetzlich! Habe von Krüger-Bei gehört, daß Uled Ayun Halunken sind. Weib wird natürlich nicht feindlich behandelt, armes Wesen! Werden ihr zu essen und zu trinken geben.«

Sie stiegen ab. Sie hatten Wasser bei sich. Emery gab ihr dazu Datteln und Winnetou ein Stück Fleisch, welches er aus der Satteltasche hervorzog. Er hatte sich einen Vorrat auf Indianerweise gebraten.


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Man sah, die Frau hatte Hunger. Während sie aß, sah ich fern im Osten einen weißen Punkt auftauchen, welcher immer größer wurde und dann eine zweifache Farbe annahm, unten dunkel und oben weiß. Als ich in die angegebene Richtung deutete, meinte Emery:

»Ein Trupp Beduinen; unten Pferde dunkel, oben die Burnus hell. Sie kommen gerade hierher. Was thun?«

Die Frau sah, was wir beobachteten; sie blickte also auch gegen Osten und rief erschrocken aus:

»Allah beschütze uns! Wir sind verloren, wenn wir nicht so schnell wie möglich fliehen! Das sind Uled Ayun.«

»Es können auch andere sein.«

»Nein. Sie leben jetzt mit aller Welt in Unfrieden, und wer so offen und am hellen Tage aus der Gegend ihrer Zeltdörfer kommt, der muß ein Uled Ayun sein. Laß uns fliehen, Herr, schnell, schnell!«

Sie sprang auf.

»Warte nur, warte!« antwortete ich. »Ein Germani flieht nicht so schnell vor solchen Leuten.«

»Aber es sind ihrer mehr als zehn!«

»Und wenn es zwanzig oder dreißig wären, wir fürchten uns nicht.«

»So seid ihr verloren, und ich bin es mit euch! 0 Allah, Allah, beschütze uns in dieser Angst und Gefahr!«

»Sei ruhig! Ich gebe dir mein Wort, daß sie dir nichts thun werden. Ich denke vielmehr, daß wir sie bestrafen werden für den Mord, welcher hier begangen worden ist, nämlich wenn sie wirklich zu den Uled Ayun gehören.«

»Willst bleiben?« fragte Emery in seiner kurzen Weise.

Er hatte die Worte des Weibes und natürlich auch die meinigen verstanden.


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»Auf alle Fälle,« antwortete ich.

»Und wenn es keine Uled Ayun sind -?«

»Dann sind es Uled Ayar, gegen welche wir ziehen, und die müssen wir erst recht bekommen.«

»Gefangen nehmen?«

»Ja. Wenn wir schießen müssen, dann möglichst nur die Pferde, nicht die Menschen, die ich lebendig haben möchte.«

»Weiß schon! Bist stets sparsam mit Menschenblut; sind es aber nicht wert, die zehnfachen Schurken.«

»Du meinst doch, daß wir ihnen überlegen sind?«

»Ueberlegen? Pshaw! Die paar Kerls nimmt ein jeder von uns allein auf sich. Macht mir großen Spaß!«

Sein sonst so ernstes Gesicht strahlte vor innerem Vergnügen, als er zu seinem Pferde trat, um das Gewehr vom Sattel zu nehmen, mit welchem er gewohnt war, jedes Wild und jeden Feind in die Stirn zu treffen.

Auch Winnetou griff nach seiner Silberbüchse und fuhr dann mit der Hand in den Gürtel, in welchem das bewährte Bowiemesser und auch der Tomahawk steckte. Er hatte auch diesen von drüben herübergebracht.

»Das wird für dich vielleicht der erste Kampf in der afrikanischen Wüste werden,« bemerkte ich ihm.

»Winnetou glaubt nicht, daß es zum Kampfe kommen wird,« antwortete er. »Die Furcht wird sie in unsere Hände treiben.«

Da rief die Frau noch ängstlicher als vorher:

»O Erbarmer, o Gnädiger, o Beschützer! Es sind wirklich Uled Ayun! Die sechs, welche mich eingruben, sind bei ihnen.«

»Du täuschest dich nicht?« fragte ich.

»Nein. Der mit dem großen, schwarzen Barte, wel-


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cher [welcher] voranreitet, war ihr Anführer. Wie wird es uns ergehen! 0 Allah, Allah, Allah!«

Ich drückte sie auf den Boden nieder und beruhigte sie:

»Es wird dir und deinem Kinde kein Haar gekrümmt werden. Nicht wir haben die Leute zu fürchten, sondern sie uns.«

»Das ist ja ganz unmöglich, ganz unmöglich! Es sind ihrer vierzehn, und ihr seid doch bloß drei!«

Ich hatte keine Zeit mehr, länger auf die Zaghafte zu achten, denn der Trupp war uns bis auf ungefähr dreihundert Schritte nahe gekommen, wo er anhielt, um uns zu betrachten. Die Uled Ayun kamen jedenfalls, um nachzusehen, ob die Frau tot sei oder nicht, und sich an ihrem Anblicke zu weiden. Ohne daß einer von uns eine Weisung gegeben oder erhalten hatte, standen wir so, wie die gegenwärtige Lage es erforderte, nämlich ich bei dein Weibe in der Mitte, Emery zwanzig Schritte weit rechts und Winnetou ebensoweit links von mir, sodaß wir eine gerade, vierzig Schritt lange Linie bildeten. Die Pferde hielten hinter uns.

Die Beduinen waren außer zweien mit langen Feuersteinflinten bewaffnet; diese beiden aber trugen Lanzen. Beritten waren sie ohne Ausnahme sehr gut. Darum wurde es mir leid um die Pferde, und ich rief meinen beiden Genossen zu:

»Wenn wir schießen müssen, dann nicht die Pferde, wie ich vorhin sagte, sondern die Reiter, aber nur in die Arme oder Beine. Um die Pferde wäre es schade, um die Mörder aber nicht.«

»Well, soll pünktlich geschehen,« antwortete Emery, der, seine hohe Gestalt auf die nie versagende Büchse ge-


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stützt [gestützt], die feindliche Truppe mit hellen, erwartungsvollen Augen betrachtete.

Die Beduinen hielten ungefähr zwei Minuten vor uns; sie teilten sich ihre Ansichten über uns mit; zuweilen klang ein lauter Ausruf der Bewunderung oder der Anfeuerung zu uns herüber. Sie hatten nicht erwartet, jemand hier zu treffen, und unsere Haltung erregte erst recht ihr Erstaunen. Drei Beduinen wären ganz gewiß vor einer solchen Uebermacht beizeiten geflohen, und wären sie ja geblieben, so hätten sie sich unbedingt auf die Pferde gesetzt, um für alle Fälle zur Flucht bereit zu sein. Daß wir ganz im Gegenteile nicht nur nicht wichen, sondern ihnen so bewegungslos und getrost entgegenblickten, war ihnen geradezu ein Rätsel; so etwas hatten sie noch nie erlebt. Sie konnten sich unser Verhalten wohl nur dadurch erklären, daß wir sie kannten und keine Ursache hatten, sie zu scheuen, und doch kannten sie uns nicht und hatten uns noch nie gesehen! Nur eins stand bei ihnen fest, und zwar gerade das, worin sie sich irrten, nämlich daß wir Mohammedaner seien, was keiner von uns war. Daß sie diese Ueberzeugung hegten, zeigte ihr Gruß. Nie wird nämlich ein strenggläubiger Mohammedaner einen Andersgläubigen mit »Sallam aaleikum« grüßen, ja es ist sogar Nichtmohammedanern verboten, einem Anhänger des Islam gegenüber diesen Gruß zu gebrauchen. Und doch trieb jetzt der schwarzbärtige Anführer sein Pferd einige Schritte vor, legte die Hand auf das Herz und rief zu uns herüber:

»Sallam aaleïkum, ichwani - Heil sei mit euch, meine Brüder!«

»Sal - aal -« antwortete ich kurz.

Indem ich nur die beiden ersten Silben gebrauchte, gab ich sehr deutlich zu verstehen, daß ich nicht die Absicht


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hegte, zu den Grüßenden in freundliche Beziehungen zu treten. Er that so, als ob er dies nicht bemerkt habe, und fuhr fort:

»Kef sahhatak - wie befindest du dich?«

Ich entgegnete grob:

»Ente es beddak; min hua - was willst du? wer bist du?«

Das war freilich gegen alle Regeln der Höflichkeit; er langte auch sofort nach dem Kolben seiner Flinte und antwortete:

»Wie kannst du wagen, diese Frage auszusprechen! Bist du vom Ende der Welt hieher gekommen, daß du nicht weißt, wie man sich zu benehmen hat? Wisse, daß ich mich Farad el Aswad nenne und der oberste Scheik der Uled Ayun bin, denen der Boden gehört, auf welchem du dich befindest. Du hast denselben betreten, ohne uns um Erlaubnis zu fragen, und wirst die darauf ruhende Steuer bezahlen müssen.«

»Wie hoch ist dieselbe?«

»Für die Person hundert tunesische Piaster und sechzehn Karuben.«

Das waren einundfünfzig Mark für jeden von uns.

»Wenn du sie haben willst, so hole sie dir!« forderte ich ihn auf, indem ich mein Gewehr erhob und über den gekrümmten Arm legte.

Mit dieser Bewegung sagte ich ihm, daß er nichts bekommen solle.

»Dein Maul ist so groß, wie dasjenige eines Nilpferdes,« lachte er höhnisch; »aber dein Gehirn scheint noch kleiner zu sein, als dasjenige der verachteten Dscherada (* Heuschrecke.). Wie ist dein Name, und wie heißen deine Be-


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gleiter [Begleiter]? Woher kommen sie? Was wollen sie? Welches ist ihr Beruf, und haben ihre Väter Namen gehabt, welche noch nicht vergessen worden sind?«

Die letzte Frage enthielt nach hiesigen Anschauungen eine schwere Beleidigung. Ich antwortete:

»Du scheinst deine Zunge in den Schmutz eurer Kamele und Rinder getaucht zu haben, da dieselbe so übelriechende Worte spricht. Ich bin Kara Ben Nemsi aus dem Lande der Alman; mein Freund zur Rechten ist der weit berühmte Behluwan-Bei aus dem Lande der Inkelis, und der Held zu meiner Linken ist Winnetou el Harbi w' Nasir (* Krieger und Sieger.), der oberste Häuptling aller Stämme der Apatschen im großen Belad Amierika. Wir sind gewohnt, Mördern unsere Kugeln zu geben, aber keine Steuern. Ich wiederhole es: Wenn du das Geld haben willst, so hole es dir!«

»Dein Verstand ist noch viel kleiner als ich dachte! Sind wir nicht vierzehn starke und tapfere Männer, und ihr zählt nur drei? Also würde jeder von euch fünfmal getötet, ehe er einen von uns töten könnte!«

»Versucht es doch einmal! Ihr kommt nicht dreißig Schritte weit, so haben unsere Kugeln euch gefressen!«

Drüben erscholl ein allgemeines Gelächter. Man meine ja nicht, daß ich mit meinen Worten prahlen wollte. Nein! Gerade wie die altgriechischen Helden ihre Kampfthaten mit einem volltönenden Wortgefecht einzuleiten pflegten, so hat auch der Beduine die Gewohnheit, bei offen auszukämpfenden Streitigkeiten vor der wirklichen Waffe erst den Mund zu gebrauchen, und das thut er gewöhnlich in der ausgiebigsten Weise. Wenn ich in dieser Weise von uns sprach, folgte ich nur der Sitte


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der Gegend, in welcher wir uns befanden. Das Hohngelächter der Uled Ayun konnte mich nicht stören; es gehörte unbedingt mit zur Sache. Als es verklungen war, fuhr der Scheik in sehr drohendem Tone fort:

»Du sprichst von Mördern. Ich befehle dir, mir zu sagen, wen du meinst!«

»Du hast mir nichts zu befehlen, zumal ihr selbst es seid, die ich meine!«

»Wir sollen Mörder sein? Beweise es, du Hund!«

»Für den >Hund< werde ich dich bestrafen, so wahr ich hier stehe, und zwar noch bevor das Abendgebet gesprochen wird! Merke es dir! Habt ihr nicht den Greis ermordet, dessen Ueberreste da vor uns liegen?«

»Das war nicht Mord, sondern Blutrache.«

»Und dann habt ihr dies schwache Weib in die Erde gegraben. Ein Greis und ein Weib können sich nicht wehren; darum habt ihr euch an beide gewagt, ihr Feiglinge und Memmen; an uns aber würde euer Mut zu Schanden werden.«

Ein neues und viel lauteres Gelächter war die Antwort; dann höhnte der Scheik:

»Kommt doch heran, und zeigt uns eure Tapferkeit, ihr Schakale, ihr Schakalssöhne und Enkel von Schakalskindern! Ihr wagt es nicht; ihr bleibt stehen, weil ihr wißt, daß wir euch verschlingen würden. Aber wenn wir zu euch kommen, werdet ihr davonspringen und vor Angst heulen wie die Hunde, die man peitscht!«

»Kommt doch ihr zuerst heran! Ihr seid fünfmal mehr als wir und bedürft also weniger Mut zum Angriffe. Du sprichst von Flucht; aber ich sage dir, daß ihr euch zurückwenden werdet, um uns zu entkommen, doch wird es keinem gelingen. Merkt auf, was ich euch sage! Ihr habt an dieser Stelle ein Verbrechen begangen,


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welches wir bestrafen werden. Ihr seid unsere Gefangenen; wer uns entfliehen will, den schießen wir über den Haufen. Steigt ab, und übergebt uns eure Waffen!«

Das Gelächter, in welches sie jetzt ausbrachen, war ein homerisches, und ich gebe gern zu, daß sie mich für verrückt halten konnten und wohl auch hielten. Das meinte auch der Scheik, als er dann sagte:

»Jetzt ist dein Verstand vollends zu Ende; dein Hirnkasten ist leer. Soll ich ihn öffnen, um es dir zu beweisen?«

»Spotte nicht! Sieh her, wie sicher und ruhig wir vor eurer Uebermacht stehen! Müssen wir unserer Sache nicht sicher sein? Ich wiederhole es: Hütet euch, zu fliehen, denn unsere Kugeln würden euch einholen!«

Da wendete der Schwarzbärtige sich zu den Seinen:

»Der Hund scheint im Ernste zu sprechen; er redet von ihren Kugeln. In unsern Läufen stecken auch welche. Gebt sie ihnen sofort, und dann hin zu ihnen!«

Er legte sein Gewehr auf uns an; seine Leute folgten diesem Beispiele. Zwölf Schüsse knallten, aber keiner traf; ja, es gab nicht eine einzige Kugel, welche auch nur unsere weiten Gewänder streifte, obgleich wir aufrecht und still stehen geblieben waren und uns nicht bewegt hatten. Es war ihre Absicht gewesen, sich auf uns zu stürzen, aber das Erstaunen, uns unverletzt zu sehen, hielt sie am Platze zurück. Da trat Emery einige Schritte vor und rief ihnen mit seiner mächtigen Stimme zu:

»Habt ihr gesehen, wie ihr schießt? Wir blieben getrost stehen, weil wir wußten, daß ihr uns nur aus Versehen treffen würdet. Jetzt wollen wir euch einmal zeigen, wie wir schießen. Dort sind zwei Männer mit Lanzen; einer mag die seinige emporheben, und ich werde sie treffen.«


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Der eine der Lanzenträger gehorchte dieser Aufforderung, als er aber sah, daß Emery seine Büchse zum Schusse erhob, ließ er den Spieß wieder sinken und rief:

»O Allah, Allah! Was fällt dem Menschen ein! Er will auf meine Lanze schießen, wird aber mich treffen!«

»Du fürchtest dich!« lachte der Engländer. »Steig also ab und stecke den Speer in den Boden! Wenn du dich dann entfernst, kann ich dich nicht treffen.«

Der Beduine that so, wie ihm geheißen wurde. Emery legte an und drückte ab, ohne länger als einen Augenblick zu zielen. Die Lanze war gerade unter der eisernen Spitze getroffen; es war ein Meisterschuß.

Die Uled Ayun drängten ihr Pferde hin, um den Treffer in Augenschein zu nehmen. Keiner sagte ein lautes Wort; sie flüsterten nur leise miteinander, einen so großen Eindruck hatte der Schuß auf sie gemacht. Da fragte mich Winnetou:

»Wahrscheinlich wird mein Bruder ihnen auch zeigen, wie er schießt?«

»Ja,« antwortete ich. »Ich will sie ohne Blutvergießen fangen und muß ihnen also durch einige Schüsse beweisen, daß sie uns nicht entkommen können.«

»So braucht Winnetou seine Silberbüchse nicht sprechen zu lassen; aber haben die Leute auch Tomahawks?«

»Nein. Sie würden staunen, wenn du ihnen den deinigen zeigen wolltest.«

»Gut! Ich verstehe nicht, mit ihnen zu sprechen, also mag mein Bruder ihnen sagen, daß ich die Lanze, welche noch in der Erde steckt, durch meinen Tomahawk gerade in der Mitte auseinanderschneiden werde!«

Noch hatten die Beduinen sich von ihrem Erstaunen nicht erholt, als ich ihnen zurief:


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»Geht weg von der Lanze! Dieser mein Gefährte hat eine Waffe, welche ihr noch nicht gesehen habt. Es ist ein Balta el Kitall (* Schlachtbeil.), mit welchem man die Köpfe spaltet und im Wurfe jeden fliehenden Feind erreicht. Er wird es euch zeigen.«

Sie gaben Raum. Winnetou warf den langen Haik ab, zog den Tomahawk, schwang ihn einigemal um den Kopf und ließ ihn dann aus der Hand gleiten. Die Waffe flog, sich immer um sich selbst wirbelnd, erst niederwärts, berührte in einiger Entfernung den Boden, stieg dann rasch und jäh empor, wirbelte in einer Bogenlinie weiter und senkte sich endlich nieder, um den Schaft des Speeres gerade in der Mitte zu treffen und wie ein Rasiermesser zu durchschneiden.

Schon der Umstand, daß die Lanze auf eine so bedeutende Entfernung gerade an der vorher bezeichneten Stelle getroffen worden war, erregte die Verwunderung der Uled Ayun; aber daß die Waffe ein Beil war, vergrößerte ihr Erstaunen; das Unbegreiflichste dabei war ihnen jedoch die wirbelnde Bewegung desselben und die für sie ganz unerklärliche Bahn, welche es durchflogen hatte. Sie waren fast stumm,

Und da geschah noch etwas, was ihnen noch viel wunderbarer vorkam, nämlich Winnetou legte seine Silberbüchse zur Erde nieder und ging fort, um sein Beil zu holen. Er wendete sich gerade auf sie, schritt mitten durch sie hindurch bis nach der Stelle, an welcher sein Beil lag, hob dasselbe auf und kehrte auf ganz demselben Wege zurück, ohne nur einen einzigen von ihnen eines Blickes gewürdigt zu haben. Sie rissen die Augen und, um mich dieses Ausdrucks zu bedienen, auch die Mäuler auf und starrten zu uns herüber.


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»Das war sehr gewagt!« bemerkte ich dem Apatschen.

»Pshaw!« antwortete er in verächtlichem Tone. »Das sind keine Krieger. Sie habe ja nicht einmal ihre Gewehre, die sie vorhin abschossen, wieder geladen.«

»Aber wenn sie sich an dir vergriffen hätten?«

»So hatte ich meine Fäuste und mein Messer, und du hättest mir mit deinem Stutzen Luft gemacht.«

So war Winnetou, kaltblütig, verwegen und dabei von einer Ueberlegung, die ihn selbst im gefährlichsten Augenblicke nicht verließ. Um die Beduinen nicht aus dem Staunen kommen zu lassen, rief ich ihnen jetzt zu:

»Hai ia radschal - auf, ihr Leute, ich will euch nun ein Zaubergewehr zeigen. Steckt die zweite Lanze in die Erde!«

Sie thaten es. Ich nahm den Stutzen zur Hand und fuhr fort:

»Dieses Gewehr schießt immerfort, ohne daß ich es zu laden brauche. Ich werde jetzt zehn Kugeln in die Lanze senden, jede genau zwei Finger breit über die andere. Paßt auf!«

Ich legte an und schoß, nach jedem Schusse die excentrisch sich bewegende Patronenkugel des Henrystutzens mit dem Daumen weiterdrehend. Aller Augen waren zunächst nur auf mich gerichtet, ob ich auch wirklich nicht laden würde; aber als ich dann nach dem zehnten Schusse den Stutzen aus dem Anschlage nahm, eilten alle nach der Lanze. ich achtete nicht auf die Ausrufe, welche dort erschollen, sondern beeilte Mich, unbemerkt zehn neue Patronen in die Kugel zu schieben, um später, wenn es notwendig sein würde, alle fünfundzwanzig Schüsse zu haben.

Die Kugeln hatten die Lanze genau in der von mir angegebenen Entfernung von einander durchschlagen; ich


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mußte ihnen als ein Zauberer erscheinen, wollte ihnen trotzdem aber noch mehr imponieren und rief ihnen also zu:

»Zieht die Lanze heraus, geht hundertfünfzig Schritte weiter und steckt sie dort in den Boden! Ich werde sie trotz dieser Entfernung durch zwei Kugeln in drei genau gleichgroße Teile zerschießen!«

Das dünkte ihnen nun vollends gar unmöglich. Der Besitzer der zweiten Lanze, welche schon die zehn Kugellöcher hatte, wollte nicht thun, was ich geboten hatte, der Scheik winkte ihm aber, mir trotz der Unglaublichkeit dieses Stückes doch zu gehorchen. Daß mir viele Schüsse in wenigen Sekunden zu Gebote standen, hatten sie gesehen; nun wollte ich ihnen auch zeigen, auf welch große Entfernung ich noch genau zu treffen vermochte. Dann mußten sie überzeugt sein, daß ich vorhin nicht verrückt gewesen war und es für sie trotz ihrer Uebermacht weder Sieg noch Flucht geben könne. Die kleinen Kugeln des Stutzens hatten die Lanze durchbohrt; das große Kaliber meines Bärentöters aber mußte sie zerbrechen.

Als die Lanze wieder in der Erde steckte, glich sie einem dünnen Rohrstöckchen. Der Schuß war heikel; aber ich kannte mein Gewehr und konnte mich auf dasselbe verlassen. Den schweren Bärentöter empornehmend, legte ich an und zielte. Die zwei Schüsse krachten wie aus einer Donnerbüchse; zwei Dritteile der Lanze waren verschwunden; das letzte Drittel steckte in der Erde. Die Uled Ayun ritten hin. Ich legte den Bärentöter auf den Boden nieder, ergriff den Stutzen und rief Emery und Winnetou zu:

»Nun rasch auch hin, damit sie uns nicht aus der Treffweite kommen. Winnetou mag, da er nicht mit ihnen reden kann, ihre Waffen und Pferde in Empfang nehmen.«


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Wir verließen also die Stelle, auf welcher wir gestanden hatten und wo die Frau mit ihrem Kinde zurückblieb, und folgten den Uled Ayun, denn wir mußten ihnen so nahe sein, daß wir sie mit unsern Kugeln im Schach halten konnten. Wir kamen bis auf fünfzig Schritte an sie heran, ohne daß sie dies für auffällig hielten.

Die Lanzenstücke gingen von Hand zu Hand und des Erstaunens war kein Ende. In seiner unvorsichtigen Bewunderung wendete sich der Scheik um und rief uns zu:

»Der Teufel ist euer Gehilfe. Ihr schießt, ohne zu laden, und eure Kugeln fliegen zehnmal weiter als die unserigen!«

»Und doch hast du die Hauptsache vergessen,« antwortete ich. »Nämlich von euern Kugeln hat keine einzige getroffen, während wir lauter Treffer gehabt haben. Dabei habt ihr auf starke Menschen, die man gar nicht fehlen kann, wir aber auf einen dünnen, schwachen Lanzenschaft geschossen. Ich sage dir, daß niemals eine unserer Kugeln fehl geht. Weißt du, in wieviel Zeit ich die zehn Schüsse gethan habe?«

»In ebensoviel Herzschlägen.«

»In welcher Zeit würde ich dann wohl vierzehn Schüsse thun?«

»In vierzehn Herzschlägen.«

»Richtig! Und jeder würde treffen, nämlich einen von euch!«

»Ja Allah, ia Rabb - o Gott, o Herr! Willst du wirklich auf uns schießen?«

»Nur wenn ihr mich dazu zwingt. Ich habe euch gesagt, daß ihr meine Gefangenen seid; dabei bleibt es! Nun sage mir, ob ihr euch ohne Widerstand ergeben wollt, oder ob ich schießen soll!«

»Gefangen? Ich ergebe mich nicht. Welch eine


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Schande, von so fremden Hunden, wie ihr seid und wie -«

»Schweig!« donnerte ich ihn an. »Du hast mich schon einmal Hund genannt, und ich sagte dir, daß die Strafe dafür noch vor dem Abendgebete erfolgen werde. Ich verdopple sie, wenn du dieses Wort nur noch ein einzigesmal sagst! Also noch einmal und zum letztenmal: Ergebt ihr euch?«

»Nein. Ich schieß dich nieder!«

Er legte seine Flinte auf mich an; ich rief ihm lachend zu:

»Schieß doch! Ihr habt ja nicht geladen! Ihr habt euch vollständig überlisten lassen. Ich wende mich zunächst an dich, und deine Leute werden deinem Beispiele folgen. Steig jetzt ab und - -«

Ich wurde unterbrochen. Emery hatte sein Gewehr blitzschnell erhoben und geschossen, denn einer der Uled Ayun, der hinter zwei andern steckte und also von mir nicht gesehen werden konnte, hatte sich unbeachtet geglaubt und Pulverhorn und Kugeltasche hervorgezogen, um zu laden. Der Schuß des Engländers traf ihn in den Vorderarm. Er schrie laut auf und ließ sein Gewehr vom Pferde fallen.

»Dir ist recht geschehen!« rief ich ihm zu. »So wie dir, wird es jedem ergehen, welcher ungehorsam ist. Ich habe euch gewarnt und warne noch einmal. Auch denjenigen, der sich etwa wendet, um zu fliehen, wird sofort eine Kugel vom Pferde reißen. Steig augenblicklich ab; trag dein Gewehr hinüber zu dem Krieger aus dem Belad Amierika; gieb ihm dein Messer und deine sonstigen Waffen ab, und setze dich dann in seiner Nähe auf den Boden nieder!«

Der Mann zögerte, obgleich ihm das Blut vom


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Arme lief. Da legte ich den Stutzen auf ihn an und drohte:

»Ich zähle bis drei. Wenn du dann noch nicht gehorchst, zerschmettre ich dir auch noch den andern Arm. Also -eins - zwei -!«

»Ma sa Allah kaan wamaa lam jasah lam jekun - was Gott will, geschieht; was er nicht will, geschieht nicht,« knirschte er, stieg vom Pferde, hob sein Gewehr auf und trug es Winnetou hin, der es ihm abnahm und ihn dann nach andern Waffen untersuchte.

Ich rief die Frau herbei, gab ihr mein Messer und sagte:

»Du weißt, was die Schurken an dir und deinem Kinde gethan haben, und wirst uns jetzt gern mithelfen. Schneide dem Manne dort einen starken Streifen vom Haik und binde ihm mit demselben die Arme an beiden Ellbogen so fest auf den Rücken, daß er die Fessel nicht zerreißen kann. Das thust du dann auch mit jedem folgenden!«

»O Herr, was seid ihr für Männer!« rief sie aus. »Ihr thut Wunder über Wunder, und euch ist alles, alles möglich!«

Sie that, was ich ihr befohlen hatte, und ich wendete mich wieder zu dem Scheik:

»Du hast nun gesehen, was man davon hat, wenn man uns widerstrebt. Also gehorche! Herab vom Pferde!«

Anstatt meinem Gebote Folge zu leisten, wollte er sein Pferd schnell herumreißen und davonjagen; das Tier aber verstand den plötzlichen und heftigen Zügelruck falsch und stieg vorn in die Höhe. Schon hob ich den Stutzen, um zu schießen, da sprang Emery zu ihm hin und rief:

»Halunke, du bist keine ehrliche Kugel wert; wir machen das anders. Herunter vom Gaule!«


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Er nahm ihn beim Beine; ein riesenkräftiger Ruck, und der Reiter flog in einem weiten Bogen auf die Erde, wo Emery ihn mit einigen Faustschlägen betäubte, während Winnetou und ich mit unsern Gewehren die andern in Schach hielten. Der Scheik wurde entwaffnet und dann an Händen und Füßen gebunden.

Ich wendete mich nun zu demjenigen, welcher seinen Gesichtszügen und den Narben nach, welche er hatte, der mutigste zu sein schien, und gebot ihm:

»Jetzt nun du! Herab und hin, um dein Gewehr und Messer abzuliefern! Eins - zwei -!«

Er wartete die drei gar nicht ab, sondern stieg, zwar finstern Blickes, aber doch gehorsam, vom Pferde, gab Winnetou seine Waffen, wurde gebunden und setzte sich dann nieder.

Nun glaubte ich, daß es schneller und ohne großen Widerstand gehen werde. Ich hatte mich da nicht geirrt. Uns kam die mohammedanische Ansicht vom Kismet zu statten: Es war Allahs Wille; es stand im Buche des Lebens verzeichnet. Sie gehorchten alle, und nur zwei stießen, indem sie sich doch notgedrungen fügten, dabei Verwünschungen aus. Der eine rief mir zu: »Jil' an daknak - verflucht sei dein Bart!« woraus ich mir natürlich nichts machte. Und der andre fuhr mich grimmig an: »Allah jelbisak bornehta - Allah setze dir einen Hut auf!« Dies bezieht sich darauf, daß ein Moslem niemals einen Hut trägt; die Verwünschung will also sagen: Gott rechne dich zu den Ungläubigen, und da ich im Sinne des Islam Zeit meines Lebens zu den Ungläubigen gehört habe, so konnte auch dieser sonst so entsetzliche Fluch mich weder in großen Zorn versetzen, noch zu bittern Thränen rühren. Hatte ich doch manchen Tag meines Daseins einen Filz- oder Strohhut und zur schönen


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Zeit der lieben Examina sogar einen Cylinder, genannt Angströhre, nebst obligatem Frack getragen, der Glacés für eine Mark zwanzig Pfennige gar nicht zu gedenken!

Wir hatten das jedem, der nicht Prairiejäger gewesen ist, unmöglich Erscheinende vollbracht - zu drei Personen vierzehn bewaffnete und ausgezeichnet berittene Feinde ohne eigentlichen Kampf gefangen genommen; ich gestehe aber aufrichtig und der Wahrheit gemäß, daß uns dies mit vierzehn Indianern nicht gelungen wäre. Zu rühmen brauchten wir uns gar nicht, denn es war uns bei unsrer vortrefflichen Bewaffnung leicht genug geworden, und da mir ein Blutvergießen widerstrebte und wir die Pferde auch gern schonen wollten, so hätten die Uled Ayun nur plötzlich und in Masse auszubrechen gebraucht, um uns zu entkommen; glücklicherweise aber waren sie über die Güte unsrer Waffen so erstaunt und geradezu verblüfft gewesen und von uns so schnell übertölpelt worden, daß sie gar keine Zeit gefunden hatten, einen Entschluß zu fassen, geschweige denn denselben auszuführen. Als sie nun alle gebunden beisammen saßen, fragte mich Emery:

»Wie nun sie fortbringen? Wird wohl schwieriger sein als die Gefangennahme!«

»O nein. Erst hatte ich die Absicht, dich fortzusenden, um Soldaten zu holen, während Winnetou und ich die Kerls bewachen -«

»Werde gleich reiten!«

»Warte, und laß mich ausreden! Jetzt aber denke ich, daß dies nicht notwendig ist. Wir transportieren sie selbst.«

»Sollen sie etwa reiten? Dann brennt uns einer oder der andere durch, trotzdem sie gefesselt sind. Du willst doch keinen töten, und wenn uns einige davon-


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reiten [davonreiten], können wir sie doch nicht verfolgen und die andern halten lassen!«

»Sie reiten eben nicht! Jeder Uled Ayun führt sein Pferd.

Wir binden den Zügel an seine Hände, die er auf dem Rücken hat; er läuft voran, und das Pferd folgt hinter ihm.«

»Well, nicht übel. Aber wenn die Pferde unruhig werden? Ein gefesselter Mann kann, zumal wenn er die Hände auf dem Rücken hat, kein Pferd beruhigen oder gar bändigen.«

»Das braucht er auch nicht, sondern wir drei werden das thun; wir haben ja unterwegs nichts weiter vorzunehmen und können also ganz gut mit auf die Pferde achten.«

»Well! Also vorwärts! Wir haben nur noch anderthalbe Stunde bis zum Abend. Glücklicherweise können wir, selbst wenn die Kerls nicht reiten, in einer Stunde am Warr sein.«

»Warr? Welches Warr?«

»Der Führer sagte, kurz ehe wir aufbrachen, um dich zu suchen, daß wir heute an ein Warr kommen würden, durch welches wir morgen reiten müssen, und so beschloß Krüger-Bei, am Anfange dieses Warr Lager zu machen.«

»Weißt du den Weg dorthin?«

»Müssen unbedingt hinkommen, wenn wir westlich reiten.«

»Warr« ist eine mit Felsblöcken übersäete Wüste. Unter »Sahar« begreift nämlich der Beduine nur die sandige Wüste. »Serir« ist die steinige, »Dschebel« die gebirgige Wüste. Ist die Wüste bewohnbar, so heißt sie »Fiafi«, während man die unbewohnbare »Khala« nennt. Hat die Wüste Gesträuch, so heißt sie »Haitia«, und wo gar Bäume stehen, spricht man von »Khela«.


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Wenn Emery von einem Führer gesprochen hatte, so war der Soldat gemeint, welcher der Einschließung durch die Uled Ayar entkommen war und die Botschaft davon nach Tunis gebracht hatte. Es war ihm dafür der Grad eines Unteroffiziers erteilt worden. Um die Feinde zu finden, bedurften wir keines Führers; wenn es sich aber um die Einzelheiten der Gegend handelte, so mußte es uns ganz lieb sein, einen Mann bei uns zu haben, welcher dieselben kannte, weil er vor so kurzer Zeit erst hier gewesen war.

Jetzt wurden die Gefangenen so, wie ich es gesagt hatte, mit ihren Pferden zusammengebunden, und dann brachen wir auf. Der Verwundete hatte für seinen Arm einen Verband erhalten, und was den Scheik betrifft, so war derselbe natürlich längst aus seiner Ohnmacht erwacht und mußte sich, wenn auch zähneknirschend, in sein Schicksal fügen. - - -


Kapitel 5


Einführung zu "Satan und Ischariot"


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