Jahrgg. 16, Nummer 22, Seite 343
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Lopez Jordan

(El Sendador, Theil I.)

Reiseroman von Karl May.
19. Fortsetzung

Jetzt kehrten die Offiziere auf ihre Sitze zurück und lasen die Papiere, welche von Hand zu Hand gingen. Als sie fertig waren, besprachen sie sich leise; dann sagte der Major zu mir:

»Wir haben uns von Ihrer Schuld vollständig überzeugt. Hoffentlich haben Sie nicht die Absicht, sie zu leugnen?«

»Ich leugne nicht.«

»Schön! Da Sie es also eingestehen - -«

»Halt!« unterbrach ich ihn. »Von einem Geständnisse ist keine Rede. Sie haben mich nicht richtig verstanden. Leugnen kann man nur etwas, was man wirklich getan hat. Da ich nichts getan habe, kann ich nichts leugnen. Ich stelle vielmehr ganz entschieden in Abrede, von diesen Papieren auch nur das geringste gewußt zu haben. Mateo selbst ist es gewesen, welcher sie bei uns versteckt hat.«

»Sennor, nehmt es mir nicht übel, aber ihr beide habt sehr viel Phantasie, wenn ihr annehmt, daß wir euch das glauben. Und was besonders Sie allein betrifft, so habe ich Ihnen genug Noblesse zugetraut, die Wahrheit ehrlich einzugestehen!«

»Danke für dieses Vertrauen! Ich habe aber gar nicht die Absicht, mich aus reiner Noblesse aufhängen zu lassen. Darf man denn nicht den Inhalt der Papiere kennen lernen?«

»Das geht nicht. Die Sache ist so wichtig, daß sie geheim gehalten werden muß. Sie geben also nicht zu, von ihr gewußt zu haben?«

»Nein.«

»Aber Sie geben zu, daß die Papiere bei Ihnen gefunden worden sind?«

»Das muß ich freilich zugeben.«

»Nun, das genügt. Haben Sie noch etwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«

»Nein. Ich könnte manches sagen; aber ich weiß, daß jedes Wort vergeblich sein würde.«

»So werden wir uns über das Urteil beraten, welches augenblicklich vollzogen werden muß.«

Während sie nun leise Reden wechselten, raunte mir der noch immer auf dem Boden liegende Yerbatero zu:

»Ich begreife Sie nicht. Sie benehmen sich geradezu feig! Jetzt werden wir beide erschossen.«

»Ich wohl, aber nicht Sie, denn es ist nicht auf Sie abgesehen.«

»Das bezweifle ich.«

»Ich bin es überzeugt. Das Leben nimmt man Ihnen nicht, aber ohne Schaden werden Sie auch nicht loskommen.«


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»Welch ein Unglück! Hätte ich auf Ihre Warnung gehört!«

»Machen Sie sich keine Vorwürfe! Es war uns bestimmt. Schade, daß Sie gebunden sind. Vielleicht können Sie sich losmachen. Die Gelegenheit dazu will ich Ihnen verschaffen.«

»Wie?«

»Ich fliehe. Alles wird mich verfolgen. Dabei können Sie entkommen.«

»Das ist unmöglich! An Flucht ist gar nicht zu denken.«

»Ich denke so sehr daran, daß mir das, was die Sennores jetzt beraten, sehr gleichgültig ist.«

»Sie kommen gar nicht aufs Pferd! Man hat es sehr vorsorglich aus Ihrer Nähe geschafft. Und wenn Sie in den Sattel kämen, die erste Bola würde Ihr Tier und Sie sicher zu Falle bringen.«

»Ich fliehe zu Fuße.«

»So werden Sie nach wenigen Schritten ebenso gewiß eingeholt.«

»Wollen sehen! Vor allen Dingen verzagen Sie nicht. Ich bin fest überzeugt, daß ich entkomme. Ich reite sogleich nach der Estanzia del Yerbatero zurück -«

»Pferde finden Sie auf dem Camp mehr als genug. Heute nachmittag wird außerdem mein Bruder kommen.«

»Den hole ich zur Verfolgung. Wir befreien Sie ganz gewiß. Lassen Sie sich nur nichts merken! Ich werde Ihnen beweisen, daß ich kein Feigling bin. Ich würde drei oder vier Indianer weit mehr fürchten, als diese fünfzig Reiter. Ich entkomme ganz gewiß und werde vorher diesem lieben Sennor Mateo ein unvergeßliches kleines Andenken geben.«

Mein Plan war gefaßt. Die Revolver brauchte ich nicht; ein Messer war hinreichend. Ich zog die Aufschläge meiner Stiefel, in denen die ersteren steckten, nun ganz empor und schnallte sie fest zu, so daß kein Wasser hineindringen konnte und die Revolver trocken blieben. Das fiel niemandem auf. Ein Indianer oder Präriejäger hätte sofort gewußt, welchen Zweck ich hatte, daß ich die Wasserriemen der Stiefel zuschnallte.

Jetzt waren die Herren Offiziere mit ihrer kriegsgerichtlichen Beratung fertig. Sie erhoben sich von ihren Sitzen. Man sah es ihren ernsten Gesichtern an, daß jetzt das Urteil verkündet werden solle. Doch schien dieser Ernst ein gemachter zu sein, wie überhaupt die ganze Verhandlung für diejenigen, welchen keine Gefahr drohte, mehr eine lächerliche gewesen war. Alle wußten, wie das Urteil lauten werde; es lag keine Spannung in den Mienen, sondern nur die bloße Neugierde, wie ich dasselbe aufnehmen werde. Ich hingegen war fertig. Es gab nur einen einzigen Weg zur Flucht, der, welcher in das Wasser führte, wo ich vor den Bolas sicher war. Ich nahm nicht an, daß einer dieser Männer es mir im Schwimmen gleichtun werde. Der Flug war tief und nicht breit, zwei Eigenschaften, welche mir sehr willkommen sein mußten. Zweimal Atem holen reichten wohl aus, um hinüber zu kommen. Was nun mein Eigentum betraf, welches sich jetzt im Besitze des Majors befand, so fiel es mir nicht ein, dasselbe zurück zu lassen. Es steckte in


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den beiden Brusttaschen des Frackes, und diese Taschen befanden sich auf einer und derselben Stelle, nämlich auf der linken. Die Papiere hatte der Offizier in die Schoßtasche gesteckt. Meine Uhr schloß ausgezeichnet, und auch die Brieftasche hatte einen Verschluß, welcher geeignet war, den Zutritt des Wassers für einige Zeit abzuhalten. Ich war überzeugt, ganz leidlich davon zu kommen. Freilich war der prachtvolle Frack des Majors dem Verderben geweiht. Leider aber reichten die Gefühle meines Herzens nicht so weit, mich zu veranlassen, aus Rücksicht für dieses Kleidungsstück auf Geld und Uhr zu verzichten. Auch mein Pferd gab ich keineswegs auf, wenn es auch ganz unmöglich war, mich schon jetzt desselben zu bemächtigen. Ich mußte ja dem Yerbatero zu Liebe hinter den Bolamännern her. Bei dieser Gelegenheit hoffte ich, es wieder an mich zu bringen. Jetzt erhob der Major die Stimme:

»Dieses hohe und ehrenwerte Kriegsgericht hat beschlossen, und ich als der Vorsitzende desselben habe es zu verkündigen: Erstens, daß Sennor Monteso, der Yerbatero, von der Anklage des Mordversuches freizusprechen, dagegen aber wegen Körperverletzung zu verurteilen ist. In Folge der bei ihm vorgefundenen Papiere ist erwiesen, daß er sich der Beihilfe zum Landesverrat schuldig gemacht hat. Der letztere ist nicht zur Ausführung gekommen, und da es sich nur um Beihilfe handelt, so ist der Angeklagte zu zehn Jahren schwerer Gefangenschaft verurteilt worden. Die Einlieferung in das Gefängnis wird schleunigst erfolgen.«

»Sagte ich es nicht?« fragte ich leise. »Auf Sie ist es durchaus nicht abgesehen.«

»Vielleicht etwa auf ein sehr hohes Lösegeld!«

»Sehr wahrscheinlich.«

»Zweitens, daß sein Komplize, der eigentliche Anstifter der Verbrechen, zwar von der Anschuldigung der Körperverletzung frei zu sprechen, aber wegen Versuch des Mordes und überführten Landesverrates zu verurteilen ist. Die Richter haben sich nach reiflicher Überlegung dahin geeinigt, daß sie auf seinen Tod erkennen. Das Urteil ist augenblicklich zu vollziehen, und zwar durch Blei und Pulver.«

Aller Augen waren auf mich gerichtet; ich tat, als ob ich es nicht bemerke.

»Haben die Verurteilten etwas zu bemerken?« fragte der Offizier.

»Nein,« antwortete Monteso. »Was ich zu sagen habe, wird man später hören.«

Trotz dieser Antwort zitterte seine Stimme, und sein Gesicht war bleich geworden. Er hatte Sorge, wohl ebenso sehr um mich, als um sich, da von dem Gelingen meiner Flucht auch für ihn viel abhing. Ich aber fühlte mich innerlich sehr ruhig. Es ist eine alte Erfahrung, daß beim Eintritte einer erwarteten Gefahr die Angst aufhört. Ein Schüler kann sich zum Beispiel wochenlang wegen des Examens ängstigen; sobald aber die erste Frage an ihn gerichtet wird, ist wohl meistens die Angst vorüber.


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»Und Sie, Sennor?« fragte der Major mich.

»Ich habe zu bemerken, daß ich Sie überhaupt nicht als meine Richter anerkenne. Sie haben nicht einmal über Inländer, am allerwenigsten aber über einen Ausländer abzuurteilen. Dem Inländer würde die Appellation an die höhere Instanz freistehen; es kann also von einer sofortigen Vollstreckung des Urteiles gar keine Rede sein. Da ich aber nun gar ein Ausländer bin, so verlange ich unbedingt, daß die Angelegenheit vor den Vertreter meines Landes gebracht werde.«

Wie ich gedacht hatte, das geschah, man lachte. Der Major aber antwortete mir:

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, Sennor, daß derartige Einsprüche völlig unnütz sind. Wir fühlen uns kompetent und werden das Urteil vollstrecken. Haben Sie noch etwas zu bemerken?«

»Ja, einige Wünsche habe ich freilich.«

»So teilen Sie uns dieselben mit. Ist es möglich, so werden wir sie erfüllen.«

»Wie lange habe ich noch zu leben, Sennor?«

Er zog meine Uhr hervor, sah darauf und antwortete:

»Sagen wir, noch eine Viertelstunde. Werden Sie bis dahin mit Ihren Vorbereitungen zu Ende sein?«

»Ganz gewiß. Ich möchte als Caballero sterben, Sennor, mit offenen Augen, unverbunden!«

»Das kann ich nicht gestatten.«

»Warum nicht?«

»Es ist gegen die Regel. Sie werden an den Armen gefesselt und erhalten ein Tuch um die Augen.«

»So möchte ich wenigstens die Stelle sehen, an welcher ich die Kugel empfangen soll.«

Er blickte sich um. Sein Auge blieb an einem Baume haften, welcher sich am Rande der Lagerstelle und zugleich in nur ganz geringer Entfernung von dem Ufer befand. Man konnte von dort aus mit drei Sprüngen im Wasser sein.

»Ist Ihnen der Baum dort recht?« fragte er, nach demselben deutend. »Da können Sie sich anlehnen, und meine Leute haben dann ein sicheres Zielen.«

»Das würde ich ihnen bieten auch ohne daß ich mich anlehne. Ich wanke nicht.«

»Noch einen Wunsch?«

»Einen Wunsch für Sie, Sennor.«

»Ah, für mich! Welchen?«

»Daß Ihnen die Urteilvollstreckung gegen mich keinen Schaden bringen möge, und daß wir uns als Freunde betrachten, wenn wir uns einst wiedersehen.«

»Einen Schaden habe ich nicht zu befürchten, und unser Wiedersehen wird da oben stattfinden, wo alle Feindschaft schweigt.«

»Einen Trost würde es mir gewähren,« fügte ich hinzu, »wenn mein Kamerad Zeuge sein könnte, wie ich Ihre Kugel empfange. Ich bitte Sie um die Gnade, ihm die Fesseln von den Füßen zu lösen, damit er stehen kann. Er ist dann noch an den Händen gebunden und kann Ihnen ja nicht entfliehen.«

»Dieser Wunsch soll erfüllt werden. Man binde dem Sennor die Füße los!«

Einer der Soldaten kam diesem Befehle nach. Zu gleicher Zeit trat Mateo herbei. Er hatte einen Riemen und ein Taschentuch in der Hand.

»Was wollen Sie?« fragte ihn der Major.

»Den Verurteilten binden. Das steht mir zu, da ich der Zeuge bin.«

Also sogar diese Genugtuung wollte er noch haben. Er trat, ohne die Zustimmung des Offiziers abzuwarten, nahe an mich heran und gebot:

»Legen Sie die Hände auf den Rücken! Es ist Zeit.«

»Wozu?« fragte ich.

»Daß Sie endlich Ihre Strafe empfangen.«

»Erst nehmen Sie die Ihrige, Sie Halunke!«

Ich gab ihm mit der Faust, und zwar die Spitze des eingebogenen Daumens nach aufwärts gerichtet, einen Hieb von unten herauf in das Gesicht, welcher ihm das Nasenfleisch abschälte. Der Kerl flog weit über den Platz hinüber und stürzte dort zu Boden. Er raffte sich zwar sogleich wieder auf, blieb aber doch halb betäubt stehen, bedeckte die Nase mit den Händen


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und ließ ein fürchterliches Gebrüll hören. Niemand regte sich, ihm zu Hilfe zu kommen; ja man schien ihm diese kräftige Zurechtweisung zu gönnen. Der Verräter pflegt zwar Bezahlung, niemals aber Dank zu erhalten. Selbst der Major gab mir nur einen verhältnismäßig milden Verweis:

»Was fällt Ihnen ein, Sennor! In meiner Gegenwart sich an diesem Manne zu vergreifen!«

»Er mag mich in Ruhe lassen! Hat er hier zu bestimmen oder Sie? Ich will nicht unschuldig sterben und mich vorher noch von diesem Schurken verhöhnen lassen.«

»Unschuldig, Sennor! Streiten wir nicht. Die Viertelstunde ist vergangen. Ich werde Sie selbst binden, und zwar gleich an den Baum. Kommen Sie!«

»Haben Sie schon diejenigen bestimmt, welche mich erschießen sollen?«

»Das werde ich gleich tun.«

»So will ich nur noch meinem Kameraden die letzte Hand geben.«

Ich umarmte den Yerbatero, welcher jetzt aufrecht stand, und raunte ihm dabei in das Ohr:

»Ich schleudere Ihnen ein Messer zu. Haben Sie Acht, und sehen Sie, ob Sie mit demselben den Riemen aus einander bringen können!«

Nun öffnete sich der Kreis, und der Major führte mich nach dem Baume. Ich sah in keinem Auge Mitleid. Das Erschießen eines Mannes war für diese Leute ein Schauspiel, welches ihre Nerven nicht aufregen konnte. Ich lehnte mich an den Baum. Der Major hatte das Tuch und den Riemen aufgehoben, welche Mateo bei meinem Hiebe aus der Hand gefallen waren.

»Also, Sennor,« sagte er, »der ernste Augenblick beginnt. Ich hoffe nicht, daß Sie zittern werden!«

»Schwerlich! Darf ich noch erfahren, was Sie mit meinem Eigentume beginnen werden?«

»Das wird der Oberbehörde eingesandt. Sie brauchen ja jetzt weder Uhr noch Geld. Legen Sie die Hände nach hinten um den Baum!«

Er hielt den Riemen bereit. Noch waren die Füsiliere nicht bestimmt. Keiner hatte die Flinte schußfertig in der Hand, und die Lanzen und Bolas hingen an den Sattelknöpfen. Es war der geeignete Augenblick gekommen, und ich sah das Auge des Yerbatero mit erwartungsvoller Angst auf mich gerichtet. Er hielt mich für verloren.

»O doch, Sennor,« antwortete ich. »Ich brauche beides so notwendig, daß ich es mir jetzt ausbitten werde.«

Er sah mich erstaunt an.

»Wie meinen Sie das, Sennor?«

»So ungefähr in dieser Weise. Passen Sie auf!« Ich griff in die Brustrabatte seines Frackes und riß ihm diesen Teil der Uniform, in welchem sich die beiden mir gehörigen Gegenstände befanden, vom Leib. Den Uniformfetzen mir unter den Gürtel schieben und ihm die Messer aus dem seinigen ziehen, das war das Werk desselben Augenblickes. Eins der Messer nahm ich zwischen die Zähne, und das andere schleuderte ich an die Stelle, an welcher der Yerbatero stand.

»Aber Sennor, was - -« schrie der Major. Er kam nicht weiter. Ich hatte ihn beim Kragen - ein Ruck - noch einer - und noch einer - - ich sprang mit ihm in das tiefe Wasser des Flusses, wo ich ihn los ließ. Ehe sich das Wasser über mir schloß, hörte ich den vielstimmigen Schrei der Bolamänner. Das war so blitzschnell gegangen, daß keiner von ihnen Zeit gefunden hatte, dem Anführer zu Hilfe zu kommen. Ja, dieser selbst war so überrascht gewesen, daß er nicht ein Fingerglied bewegt hatte, um sich meiner zu erwehren.

Den Hut hatte ich mir schon vorher so fest auf den Kopf gedrückt, daß er mir nicht von den Wellen genommen werden konnte. Den Major hatte ich mit in den Fluß gerissen, um die Seinen von meiner Verfolgung abzulenken, denn es war voraus zu sehen, daß sie sich zuerst bemühen würden, ihn aus dem Wasser zu ziehen. Ich tauchte also unter und strich unter der Oberfläche aus Leibeskräften aus. Als ich zum ersten Male Atem fassen mußte und zu diesem Zwecke in die Höhe kam, wurde mir doch der Hut genommen. Bevor ich ihn fassen


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konnte, vergingen einige Augenblicke. Da krachten mehrere Schüsse; wüstes Geschrei erscholl hinter mir vom Ufer her, und ein harter, schwerer Gegenstand flog klatschend neben meinem Kopfe in das Wasser. Zugleich erhielt ich einen sehr kräftigen Hieb an die Schulter.

Es war eine Bola gewesen; eine der drei Kugeln derselben hatte mich getroffen. Wäre sie mir an den Kopf geflogen, so wäre es um mich geschehen gewesen.

Ich hatte gesehen, daß der dritte Teil der Stromesbreite hinter mir lag. Nur noch einmal brauchte ich aufzutauchen. Das durfte aber nicht in der jetzigen Richtung geschehen. Ich ließ mich also vom Wasser treiben, behielt den Hut in der Hand, arbeitete mich eifrig nach jenseits und legte mich dann, als ich wieder Luft brauchte, auf den Rücken. Die Wellen nahmen mich langsam empor; Nase und Mund erreichten die Oberfläche; ich holte tief, tief Atem und sank dann wieder nieder. Man hatte mich dieses Mal gar nicht gesehen, da die Blicke jedenfalls die Richtung einhielten, in welcher ich zum ersten Male in die Höhe gekommen war.

Glücklich erreichte ich das andere tiefe Ufer. Aber ich sprang nicht etwa nun augenblicklich an demselben empor, sondern ich schob nur den Kopf bis zum Munde über das Wasser herauf. Es gab da eine Wurzel, an welcher ich mich festhalten konnte. Ein wenig weiter abwärts war eine Stelle, wo Pflanzen über dem Wasser niederhingen. Dorthin schob ich mich. Die dichten Stengel verbargen mein Gesicht, und ich konnte nach dem jenseitigen Ufer sehen, ohne selbst bemerkt zu werden.

Eben schaffte man den Major aus dem Wasser. Er bewegte sich nicht. Vielleicht war er gar tot, was freilich nicht in meiner Absicht gelegen hatte.

Niemanden war es bisher eingefallen, in das Wasser zu gehen, um mich zu verfolgen; aber die Reiter hielten zu Pferde am Ufer. um zu sehen, an welcher Stelle ich erscheinen werde. Dann erst wollten sie in den Fluß reiten, um mich zu verfolgen. Ausgenommen davon waren nur die vier oder fünf Leute, welche den Major aus dem Wasser gezogen hatten. Sie legten ihn dort nieder und beugten sich über ihn. Meine Sorge, einen unbeabsichtigten Mord begangen zu haben, wurde sehr schnell gehoben, denn ich sah, daß der Offizier sich aufrichtete und das Wasser aus den Kleidern schüttelte. Ich sah, daß er mit den andern hinter den Büschen verschwand. Bald aber kam er zurück, und zwar zu Pferde; er saß - auf meinem Braunen.

Jetzt hielten sie alle drüben am Ufer, ganz begierig, zu sehen, wo ich erscheinen werde. Wie ich später erfuhr, war nur einer bei dem Yerbatero geblieben, um diesen zu bewachen. In diesem Augenblicke mußte ich an den Gefährten denken. Wenn es überhaupt für ihn möglich war, zu entfliehen, dann nur jetzt, wo alle ihre Aufmerksamkeit nach dem Flusse gerichtet hatten. Auf mich kam es an, ihm die Gelegenheit zu bieten. Blieb ich in meinem Schlupfwinkel stecken, so kam er nicht fort. Ließ ich mich aber sehen, so folgten gewiß die meisten, wo möglich alle in das Wasser, um mich zu fangen. Ich beschloß, dieses letztere zu tun. Das war übrigens nicht etwa eine Aufopferung meinerseits, denn lange konnte ich nicht mehr im Flusse bleiben. Meine Kleider hingen mir schwer am Leibe - bis zum Anbruche der Nacht durfte ich unmöglich warten. Zwar wäre mir dann die Flucht leicht geworden, aber bis dahin hätte Feuchtigkeit Zutritt in die Brieftasche gefunden und mir mein Reisegeld, welches nur in Papier bestand, verdorben. Ich mußte also heraus. Es war noch am Vormittage, bis zum Abende eine lange Zeit. Vielleicht suchten die Bolamänner das Ufer ab und fanden mich in einem Zustande, in welchem es mir schwer geworden wäre, Gegenwehr zu leisten. Also heraus aus dem Wasser, und hinauf zur Uferhöhe! Ich schob mich langsam höher. Der Oberkörper kam aus dem Wasser; ich konnte den Wurzelstock eines Strauches ergreifen und schwang mich an demselben empor. Dabei bewegte sich der Busch und lenkte die Blicke aller auf sich.

(Fortsetzung folgt.)
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