Jahrgg. 16, Nummer 26, Seite 407
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Lopez Jordan

(El Sendador, Theil I.)

Reiseroman von Karl May.
23. Fortsetzung

Die Ranchera hatte von der Wohnstube aus den Vorgang nicht ohne Angst betrachtet, dabei aber doch Zeit gefunden, der Dienerin zu helfen, den Tisch mit den Erzeugnissen der Küche zu schmücken. Als wir hinein kamen, wurden wir aufgefordert, tüchtig zuzulangen, was wir auch taten. Dabei war natürlich das Ereignis der Gegenstand des Gespräches. Der Yerbatero war am meisten ergrimmt und erzählte während des Essens, auf welche Weise er entkommen war. Das ihm von mir zugeworfene Messer hatte ihn gerettet, aber die Verfolger waren zu schnell hinter ihm gewesen. Er hatte zwar das Pferd zum schnellsten Laufe angespornt, aber es war jenseits der Bergeshöhe mit dem Fuße in einen Kaninchenbau geraten und gestürzt und er selbst war dadurch aus dem Sattel geschleudert worden. Um dem Pferd aufzuhelfen und wieder aufzusteigen, hatte er so viel Zeit gebraucht, daß ihm die Verfolger gefährlich nahe gekommen waren. Sie hatten sich geteilt, um ihn von rechts und links zu nehmen. Das hatte die Krisis auf kurze Zeit verzögert, so daß er noch eine bedeutende Strecke vorwärts gekommen war. Endlich hatten sie mit Bolas nach seinem Pferde geworfen und dasselbe zu Fall gebracht. Er war zwar gesonnen gewesen, sich zu wehren, hatte aber nur das Messer gehabt, während sie mit langen Lanzen bewaffnet gewesen waren, und da war er denn doch zu dem Entschlusse gekommen, sich lieber zu ergeben. Auf der Rückkehr hatten sie mich erblickt und sofort Jagd auf mich gemacht.

»Aber,« fragte ich den Frater, »warum veranlaßten Sie mich denn, hier in den Hof einzubiegen? Warum riefen Sie mir zu, daß ich ins Verderben reiten werde?«

»Weil sich Ihnen jenseits des Rancho ein Flüßchen in den Weg gelegt hätte, über welches Sie nicht gekommen wären. Es mündet dort in den Negro.«

»Nun, wenn ich über diesen letzteren gekommen bin, hätte ich wohl auch durch dieses Flüßchen reiten können.«

»O nein. Die Ufer desselben sind außerordentlich sumpfig. Sie wären stecken geblieben und Ihren Verfolgern in die Hände gefallen. Es gibt nur wenige schmale Stellen, welche passierbar sind, und diese kennen Sie ja nicht. Nun sind Sie doch gerettet.«

»Wenigstens einstweilen. Ich traue diesen Bolaleuten nicht. Ihr Anführer hat zwar sein Ehrenwort gegeben, daß er keine weitere Feindseligkeit unternehmen will, aber ich denke, er ist nicht der Mann, welchem man zutrauen kann, daß er sein Versprechen halten werde. Am liebsten möchte ich selbst einmal hinunter zum Flusse reiten, um mich zu überzeugen, daß sie in Wirklichkeit fort sind.«

»Das wäre nur Zeitverschwendung, bleiben Sie ruhig hier! Sie befinden sich von jetzt an in vollständiger Sicherheit. Diese Leute sehen sich verraten. Der Boden brennt ihnen unter den Füßen, und sie werden sich gewiß beeilen, schleunigst über den Uruguay zu kommen.«

»So halten Sie sie für Argentinier?«

»Ja. Sie sind herübergekommen, um hier zu remontieren, das heißt, Pferde zu stehlen. Ich glaube nicht, daß ich mich irre. Nun müssen sie gewärtig sein, daß wir Militär aus Mercedes holen. Darum fordert die Sorge für ihre eigene Sicherheit, daß sie sich so schnell wie möglich aus dem Staube machen.«

Jetzt ließ sich in der Nebenstube ein Ruf vernehmen. Der Frater stand auf und ging hinaus. Als er nach einiger Zeit wiederkam, teilte er mit mir, daß der kranke Oheim mich zu sehen wünsche. Der Patient hatte gehört daß Ungewöhnliches vorgegangen sei und darnach gefragt. Als er hörte, daß ein Deutscher da sei, hatte er dringend verlangt, mit demselben reden zu dürfen, da er, außer aus dem Munde seiner Verwandten, lange Zeit kein deutsches Wort gehört habe.

»Tun Sie ihm den Gefallen, Sennor!« bat der Frater. »Der Ärmste befindet sich fast unausgesetzt in einem Zustande tiefster Grübelei. Er leidet an seelischer Pein, und es ist mir bisher nicht gelungen, ihn von derselben zu befreien. Vielleicht ist es Ihnen möglich, erlösenden Eindruck auf ihn zu machen.«


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»Setzen Sie nicht eine solche Hoffnung auf mich! Ich bin überzeugt, daß Sie enttäuscht sein werden.«

»O, ich stelle ja gar nicht das Verlangen an Sie, in der Weise eines geistlichen Beraters zu ihm zu sprechen. Ich habe aber erfahren, welchen Eindruck das unerwartete Zusammentreffen mit einem Landsmanne, zumal auf einen Kranken, zu machen vermag. Die Mitteilung, daß ein Deutscher sich hier befinde, erweckte ihn aus seiner Versunkenheit. Er hat nur noch kurze Zeit zu leben; ich befürchte sogar seine baldige Auflösung. Wenn der Tod anklopft, so öffnet sich selbst das verschlossenste Herz. Es kam mir ganz so vor, als ob es nicht bloß die Landsmannschaft sei, derentwegen er Sie sehen will.«

Es verstand sich ganz von selbst, daß ich den Wunsch des Kranken erfüllte. Ich begab mich in die Nebenstube. Diese stellte das vor, was man in einigen Gegenden Deutschlands die »gute Stube« zu nennen pflegt. Sie war besser möbliert als die vordere. Ich sah sogar ein Harmonium dastehen. Es hatte den ersten Gewinn bei einer zu einem mildtätigem Zwecke in Montevideo veranstalteten Lotterie gebildet. Der Ranchero war zufällig dort anwesend gewesen, hatte einige Lose genommen und das Instrument gewonnen. Nun stand es als Luxusmöbel da, denn niemand besaß hier die Fertigkeit, es zu spielen.

Der Landsmann ruhte in einem sauberen Bette. Die Augen lagen ihm tief in den Höhlen, und die Wangen waren eingefallen. Seine hohe Stirn lief in einen haarlosen, glänzenden Schädel aus, und die Lippen bogen sich tief in die zahnarme Mundöffnung ein. Dadurch erhielt das Gesicht das Aussehen eines Totenkopfes. Es war, als ob der Mann jetzt eben zum letzten Male atmen dürfe.

Als ich grüßte, antwortete er nicht sofort und sein Blick richtete sich unruhig forschend auf mein Gesicht. Vielleicht glaubte er zu finden, was er in demselben suchte, denn nun ich zu ihm an das Bett getreten war, streckte er mir die beiden skelettartigen Hände zum Gruße entgegen und sagte, indem sein Mund ein Lächeln versuchte:

»Willkommen, Herr! Sie kommen natürlich nur ungern zu einem Sterbenden. Aber ich möchte Sie nach etwas fragen. Wollen Sie mir genau so antworten, wie Sie denken?«

»Gewiß! Ich werde Ihnen eine wahrheitstreue Antwort erteilen. Sie dürfen sich darauf verlassen.«

»Ich bitte Sie herzlichst darum! Ihre Antwort ist für mich von der größten Wichtigkeit.«

Er sprach langsam und mehr hauchend als laut. Seine Brust ging mühsam und hoch. Ich stützte seinen Oberkörper mit den Kopfkissen, so daß er eine sitzende Stellung erhielt, was ihn zu erleichtern schien. Anstatt mir nun, der ich einen Stuhl für mich an das Bett gezogen hatte, seine Frage vorzulegen, betrachtete er mich abermals eine ganze Weile, als ob er mir ins tiefste Herz sehen wolle. Es lag wirklich der Ausdruck der Angst in seinem Blicke, so daß ich ein herzliches Mitleid für den Ärmsten empfand.

»Sprechen Sie getrost,« munterte ich ihn auf. »Ich will denken, ich sei Ihr bester Freund, und werde als solcher zu Ihnen sprechen.«

»Ja, ja, denken Sie so! Sie sollen mir ja den größten Freundschaftsdienst erweisen, den es geben kann, und ich will Vertrauen zu Ihnen haben.«

Er faltete die Hände und fuhr fort:

»Ich muß sterben, ich weiß es, ich fühle es. Ich soll fort, fort, fort, und doch hängt ein Gewicht an meiner Seele, durch welches sie mit Gewalt zurückgehalten wird. Sind Sie Freigeist oder gläubig?«

»Das letztere, eigentlich auch das erstere, denn ich hege die Überzeugung, daß der Geist des Menschen nur durch den Glauben frei zu werden vermag.«

»So sind Sie der richtige Mann für mich. Wie denken Sie über den Eid?«

Das war eine sonderbare Frage. Sollte ein Eid es sein, der ihn beschwerte? Sollte er ein heiliges, nicht zurücknehmbares Versprechen gegeben haben, welches ihn mit Angst vor dem Tode erfüllte? Ich antwortete nicht sogleich; darum fügte er hinzu:

»Sie verwerfen ihn wohl überhaupt?«


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»Nein. Ein Eid ist ein heiliges Versprechen, bei welchem Gott als Zeuge angerufen wird. Wer ihn bricht, macht sich der Gotteslästerung schuldig.«

»So meinen Sie, daß er unter allen Umständen gehalten werden muß?«

»Ja.«

Er ließ die Hände sinken und seufzte: »Das war auch meine Ansicht, und so bleibt die Last auf mir liegen.«

»Aber wie schworen Sie den Eid? Freiwillig?«

»O nein!«

»Also gezwungen! Ich würde mich zur Ablegung eines solchen Eides niemals zwingen lassen.«

»Auch nicht durch Androhung des Todes?«

»Auch da nicht.«

»So würden Sie lieber sterben?«

»Hm! Das ist eine Frage, welche ich nicht so leichthin beantworten kann. Die Angst vor dem Tode kann mächtiger als der Wille sein. Es kommt auf die Verhältnisse an. Jedenfalls würde ich alles mögliche versuchen und wagen, bevor ich mich bereit erklärte, so ein Versprechen zu geben. Müßte ich es dennoch tun, so würde ich mein Wort nur dann als bindend erachten, wenn sich mein Gewissen nicht dagegen sträubte, das heißt, wenn mein Gelöbnis mich nicht mit den göttlichen Gesetzen in Konflikt brächte, welche mir natürlich über die menschlichen gehen. Wäre ich aber durch mein Versprechen zu einer Begehungs- oder Unterlassungssünde gezwungen, so würde ich es nicht für bindend erachten.«

»Das ist wirklich Ihre Ansicht?«

»Ja. Ein Eid, welcher mich zu einer Sünde zwingt, ist eben selbst auch eine Sünde, und zwar eine sehr gefährliche und große. Wer da zögern möchte, sich selbst von ihm zu entbinden, mag sich an seinen geistlichen Berater wenden, welcher ihm gewiß die Freiheit des Gewissens zurückgeben wird.«

»Herr, Sie machen mir mein Herz leicht!« sagte er, indem er tief aufatmete. »Ich war Zeuge eines Verbrechens, und ich wurde von dem Täter überfallen und zu dem Schwur gezwungen, es nicht zu verraten, selbst auf dem Totenbette nicht.«

»So war es ein schweres Verbrechen?«

»Ja, ein Mord. Ein Führer tötete den Reisenden, welchen er über die Cordillera bringen sollte. Dieser Reisende war ein geistlicher Herr. Beide kamen aus Peru herüber. Ich befand mich in der Nähe und war Zeuge der schrecklichen Tat.«

»Konnten Sie dieselbe nicht verhüten?«

»Nein. Dazu war es zu spät. Das Opfer lag im letzten Zucken, und zwischen mir und dem Orte lag eine steile Felsenwand.«

»Konnten Sie nicht wenigstens den Mörder durch einen Zuruf abschrecken?«

»Ich rief nicht nur, sondern ich brüllte geradezu vor Schreck. Er sah zu mir empor. Er bemerkte, daß ich nicht zu ihm konnte, hohnlachte zu mir herauf und würgte das Opfer vollends ab. Es war entsetzlich anzusehen.«

»Hatten Sie kein Gewehr bei sich, den Kerl zu erschießen?«

»Ich hatte eins, aber kein Pulver mehr. Ich floh von der Höhe und nahm mir vor, dem Mörder zu folgen und ihn anzuzeigen. Er aber hatte das gedacht und kam mir entgegen. Ich war nicht vorsichtig genug. Eben als ich um ein Felsenstück bog, trat er mir entgegen, warf mich zu Boden und setzte mir die Pistole auf die Brust.«

»Haben Sie sich nicht gewehrt?«

»Ja, aber ich war zu schwach. Ich hatte mich verirrt gehabt, droben in der öden Puna, und meine letzte Kugel verschossen, um ein Vicuna zu treffen, aber einen Fehlschuß getan. Mehrere Tage des Hungers und des mühsamen Steigens hatten mich so elend gemacht, daß ich kaum mehr die Kraft eines Kindes besaß. Der Mann hätte mich sicher auch ermordet, aber er war - ein Bekannter, sogar ein früherer Gefährte von mir.«

»Hatten Sie ihn nicht sogleich erkannt?«

»Nein. Seine Gesichtszüge zu unterscheiden, war die Entfernung doch zu groß gewesen. Erst als er mich unter sich liegen hatte, erkannten wir einander. Er scheute sich doch, den Freund zu ermorden; er war mir von früher her zu Dank verpflichtet, und darum ließ er mir das Leben unter der Bedingung,


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daß ich einen Eid ablege, ihn nicht zu verraten. Ich war geschwächt, und nicht nur körperlich; darum gab ich den Schwur, welcher mich wie ein peinigendes Gespenst bis zu diesem Augenblicke begleitet hat.«

Er hielt erschöpft inne. Er hatte nur langsam und mit vielen Unterbrechungen gesprochen; nun mußte er ausruhen. Das, was ich gehört hatte, machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ich mußte bei dieser Erzählung an den Sendador denken, von welchem mir der Yerbatero erzählt hatte. Dieser Sendador hatte mit einem Padre den Übergang über die Cordilleras unternommen und von ihm die Papiere geerbt, da der Padre unterwegs gestorben war. Sollte er jener Mörder sein? Ich hatte ja gegen den Yerbatero ähnliche Gedanken ausgesprochen.

»Darf ich den Namen dieses Mannes erfahren?« fragte ich.

Der Kranke schüttelte den Kopf.

»Oder wenigstens den Ort und die Zeit der Tat?«

Er verneinte durch ein abermaliges Schütteln.

»Haben Sie erfahren, weshalb der Mann den Padre ermordete. War es etwa wegen gewisser Papiere, in denen von Schätzen die Rede war, welche in einen See versenkt und in einem alten Schacht versteckt sein sollten, Schätze aus der Zeit der Inkas?«

Er griff im tiefsten Schrecken mit beiden Händen nach mir.

»Um Gotteswillen, still!« sagte er. »Sie wissen es, Sie wissen es?! Woher woher?«

»Es ist mehr ein Schluß, den ich ziehe, als ein festes, bestimmtes Wissen. Der Padre wollte nach Tucuman in das Kloster der Dominikaner?«

»Er weiß es! Er weiß alles!« hauchte der Patient leise vor sich hin.

»Und der Mörder ist ein berühmter Sendador?«

»Auch das, auch das ist ihm bekannt! Aber, Herr, Sie müssen zugeben, daß ich Ihnen nichts gesagt habe, gar nichts, kein Wort!«

»Ja. Ich habe alles schon vorher gewußt.«

Er dachte nicht daran, daß er zwar direkt nichts verraten, aber ein indirektes Zugeständnis gemacht hatte. Um ihn nicht zu dieser Einsicht kommen zu lassen, fuhr ich schnell fort:

»Und das ist es, was Ihnen solche Sorge und Angst gemacht hat? Lieber Freund, ich an Ihrer Stelle hätte diese Last schon längst von meiner Seele geworfen! Ihre Pflicht war es, sich einem Priester anzuvertrauen. Indem Sie das nicht taten, haben Sie sich einer schweren Unterlassungssünde schuldig gemacht. Da wir nun keinen Priester haben, so ziehen Sie wenigstens Frater Hilario ins Vertrauen. Er kann Ihnen sicher raten.«

»Ob ich das darf, das ist es eben, was ich nicht weiß!«

»Sie dürfen es. Die Sache ist ja kein Geheimnis mehr. Sie haben gehört, daß ich sie fast genau so kenne, wie Sie selbst. Bruder Hilario ist ein sehr würdiger Mann. Er wird, wenn Sie ihn um Rat fragen, Ihr Geheimnis ebenso sicher bewahren, wie wenn Sie es gebeichtet hätten. Freilich wird er Ihnen schwerlich eine andere Antwort geben, wie ich es getan habe.«

Er sah still vor sich hin. Nach einer längeren Weile meinte er:

»Wenn ich Sie so sprechen höre, muß ich Ihnen recht geben. Aber Sie wissen noch nicht alles. Der Senda - - jener Mörder hat mir noch mehr mitgeteilt.«

»Das tut nichts. Es kommt hier gar nicht darauf an, wie viel Sie verschweigen sollten; die Hauptsache ist, daß Ihr Eid Sie nicht dazu verpflichtet. Die Nähe des Todes, welche Sie doppelt bedenklich zu machen scheint, muß Sie veranlassen, aufrichtig zu sein. Ich spreche nicht aus mir selbst heraus, sondern ich versenke mich in Ihre Lage und in Ihre Qual. Ich denke mich ganz an Ihre Stelle und gebe Ihnen mein Wort, daß ich mich dem Bruder Hilario anvertrauen würde.«

Er zupfte mit den dürren Fingern an der Bettdecke herum, legte den Kopf müde zur Seite und sagte:

»Ich will es mir bedenken.«

»Tun Sie das, lieber Freund! Aber vergessen Sie nicht, daß einem jeden Menschen der große Augenblick kommt, an welchem es keine Zeit mehr zum Nachdenken gibt!«

»Ja, der Tod, der Tod!« seufzte er. »Herr, fürchten Sie den Tod?«


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»Nein.«

»Ich meine nicht, ob Sie ein beherzter Mann sind; ich meine nicht die Gefahren dieses Lebens, sondern das, was nach dem Tode kommt.«

»Ich verstehe Sie schon. Der Engel des Todes ist für den Reuigen ein Friedensbote Gottes, welcher das verlorne Kind zum Vater zurückbringt. Für den Verstockten aber ist er der Türschließer am Tore zum ewigen Gerichte. Wer hier nach Kräften seine Pflicht getan hat und seine Sünden aufrichtigen und gläubigen Herzens in Gottes Erbarmen legt, der kann ruhigen Herzens seine Augen schließen, denn Gott ist die Liebe!«

Er machte die Augen zu, als ob er meine letzten Worte befolgen wolle. So lag er lange, lange ruhig da; nur seine Finger zupften konvulsivisch an der Decke, und seine Brust bewegte sich. Wohl eine Viertelstunde verging. Dann öffnete er die Augen und sagte:

»Sie haben recht, Sie haben recht! Ich werde Frater Hilario fragen. Gehen Sie hinaus, und senden Sie ihn mir!«

Natürlich folgte ich dieser Aufforderung und Bruder Hilario ging zu dem Sterbenden. Drin in der Wohnstube saßen wir wohl eine Stunde lang, doch ohne uns zu unterhalten. Dann kam der Frater zurück. Sein Gesicht war ernst; aber in seinem milden Auge leuchtete es warm. Er gab mir die Hand und sagte:

»Er verlangt nach einem Priester. Sendet sofort nach Montevideo, damit er ihn noch am Leben findet. Aber der Zweifel und die Angst sind bereits von dem Kranken gewichen.«

Natürlich ward sofort ein Gaucho nach Montevideo gesandt. Dann sagte Frater Hilario:

»Der Kranke fragte mich, wann Sie fort wollen, und läßt Sie bitten, heute noch dazubleiben.«

»Aber wir müssen nach der Estanzia del Yerbatero!« widersprach Monteso.

»Nein, Sie bleiben!« bat der Ranchero.

Seine Frau und der Bruder schlossen sich dieser Bitte an, und ich blieb gern. Aber den Yerbatero trieb es fort. Man befand sich auf der Estanzia jedenfalls in großer Sorge um uns, und er wollte hin, die Seinen zu beruhigen. Ich versuchte ihn zum Bleiben zu veranlassen, doch vergeblich. Er bestand darauf, sofort aufzubrechen, und versprach, später wieder hier einzukehren; wir würden nach unserem Aufbruche von der Estanzia hier vorüberkommen.

»Aber der Ritt ist gefährlich, Sennor,« warnte ich ihn. »Sie haben gehört, daß ich den Bolamännern nicht traue.«

»Pah! Die sind jetzt so weit fort von hier, daß gar nicht mehr an sie zu denken ist.«

»Das möchte ich nicht beschwören. Lassen Sie sich wenigstens von Sennor Bürgli einige Gauchos mitgeben, welche Sie eine Strecke begleiten, bis Sie sicher sind, daß Ihnen kein Hinterhalt gelegt worden ist.«

»Das wäre ganz überflüssig. Übrigens neigt sich die Sonne nieder. Ich habe mich zu sputen und kann nicht warten, bis die Gauchos fertig sind.«

Ich ließ aber nicht nach, bis er dem Ranchero erlaubte, zwei dieser Leute herbeizurufen. Bald trabten sie von dannen, nachdem ich versprochen hatte, morgen früh nachzukommen. Doch bereits nach kaum einer Viertelstunde kehrten die Gauchos zurück. Er hatte sie fortgeschickt, da ihre Begleitung eigentlich eine Beleidigung sei.

Bei seinem Aufbruche war ich mit vor das Tor gegangen und hatte ihm nachgeschaut. Unten am Flusse war kein lebendes Wesen zu sehen. Das beruhigte mich. Besser wäre es gewesen, wenn ich selbst ihn eine Strecke begleitet hätte. Mir wären sicher gewisse Spuren aufgefallen, aus denen zu ersehen war, daß sein Heimritt doch gefährlicher sei, als er glaubte.

(Fortsetzung folgt.)
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